Wahrnehmung und Ableitung von Informationen aus dem Verhalten anderer Individuen im Prozess einer Informationskaskade


Seminararbeit, 2005

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das BHW-Modell
2.1. Aufbau des Modells
2.2. Annahmen im Modell

3. Wahrnehmung von Verhalten und Informationsableitung
3.1. Low vs. High Involvement
3.2. Der « perception-behavior-link »
3.3. Die Existenz von Informationskaskaden und die Ableitung von Informationen
3.4. Mögliche Fehler innerhalb von Informationskaskaden

4. Zusammenfassung

5. Literaturverzeichnis IV

Abstract

Perception and derivation of information in the behavior of other individuals during decision processes which are involved in informational cascades.

The paper contains an analysis of the process of decision behaviour. The behaviour of people who make a decision is for the purpose of this thesis divided into two different aspects:

§ Perception behaviour link

§ Informational cascades.

The first point deals with the perception of the behaviour and the decision structures of other individuals which have a strong impact on one´s own decision.

The second point deals with information cascades: If the majority of a certain group decides in favor for something, the observing individual tends to follow the decision of the majority. In the process of informational cascades it is crucial that people observe other peoples behaviour and obtain a private individual signal. Every individual forms the expected value for a decision using the above mentioned points.

An important point of the paper discusses possible drawbacks or biases during the information process and decision process.

The paper results in conclusions of real decision processes which are influenced by biases. E.g. the decision to enter an empty restaurant if another restaurant (which is just in the neighbourhood) is pretty crowded. Why and how does an individual come to a decision?

1. Einleitung

Im Rahmen dieser Arbeit soll der Prozess des Entscheidungsverhaltens innerhalb einer Informationskaskade betrachtet werden. Zur Veranschaulichung dieses Phänomens sollen drei verschiedene Situationen dargestellt werden. Hierzu werden u.a. folgende Fragestellungen erörtert:

Warum setzen sich zu verschiedenen Zeiten bestimmte Modestile innerhalb von Gruppen, oft über mehrere Länder hinweg, durch? Warum ist eines von zwei nebeneinanderliegenden Restaurants immer leer, während das andere ohne ersichtlichen Grund stets gut besucht ist?

Die Tatsache einer solchen Entwicklung lässt sich in den verschiedensten Bereichen beobachten. Aus ökonomischer Sicht ist beispielsweise die Wahrnehmung von Veränderungen im Börsengeschäft ein interessantes Beispiel. Auch hier lassen sich oft aus nicht erkenntlichen Motiven drastische Abstürze oder auch Aufschwungphasen beobachten.

All diese Situationen stehen in einem engen Zusammenhang. Individuen treffen innerhalb einer Gruppe oder innerhalb einer Gesellschaft Entscheidungen. Dabei verhalten sich Menschen innerhalb einer Gruppe anders, als würden sie eine Entscheidung allein treffen (vgl. Musse/Thalmann 1997, S.39).

Ein Grund ist die Nutzung von verschiedenen Informationen zur Bewertung des Wertes oder Nutzens der eigenen Entscheidung.

Der Prozess einer Informationskaskade ist eine besondere Form des Gruppenverhaltens und besagt, dass ein Individuum zusätzlich zu seinem eigenen Wissen die Entscheidungen anderer in einer bestimmten Situation beobachtet. Eine Informationskaskade findet statt, wenn die Entscheidung des Individuums nicht auf seinem privaten Wissen beruht. Vielmehr wird den Informationen, die aus den Beobachtungen der Mitmenschen gewonnen werden, ein höheres Gewicht beigemessen.

Mit Hilfe eines Modells über Informationskaskaden von Bikhchandani, Hirshleifer und Welch[1] soll dieser Prozess im Abschnitt 2 erläutert werden. Besondere Beachtung soll dann dem Aspekt der Wahrnehmung des Verhaltens der Mitmenschen zuteil werden. Außerdem ist es in diesem Zusammenhang entscheidend, welche und auf welche Art und Weise Informationen aus der Beobachtung gewonnen werden.

Entsprechend der verschiedenen Annahmen im BHW-Modell, werden im Abschnitt 3.4 mögliche Ursachen für ein Fehlverhalten innerhalb des Entscheidungsprozesses beschrieben. Dadurch soll auch der Bezug zu reellen Situationen, gerade auch innerhalb des Konsumentenverhaltens, dargestellt werden.

2. Das BHW-Modell

2.1. Aufbau des Modells

Mit Hilfe des Modells über Informationskaskaden versuchen die Autoren sowohl lokale Verhaltensübereinstimmungen als auch die Anfälligkeit von Massenverhalten darzustellen.

Die Theorie einer Informationskaskade besagt, dass es für ein Individuum die beste Entscheidung ist, das Verhalten anderer Individuen zu beobachten, daraus Informationen zu ziehen, und gegebenenfalls das eigene Wissen zu ignorieren und dem Verhalten der anderen Individuen zu folgen (vgl. Bikhchandani/Hirshleifer/

Welch 1992, S.992). Nach dieser Annahme gilt folgender Sachverhalt: befindet sich das Individuum in einer Informationskaskade, gibt sein Verhalten für spätere Entscheider keinen Hinweis auf das erhaltene individuelle Signal und alle weiteren Individuen befinden sich ebenfalls in dieser Informationskaskade. Dadurch dass die Entscheidungen innerhalb einer Informationskaskade keine weiteren Informationen hervorbringen, ist die Kaskade gegenüber neuen externen Informationen anfällig.

Informationskaskaden haben eine positive oder eine negative Ausprägung, wenn alle Individuen eine Entscheidung annehmen bzw. diese ablehnen.

Allgemein wird in diesem Zusammenhang von einer Entscheidung unter Unsicherheit gesprochen. Durch die Aufnahme von Informationen werden die Unsicherheiten oder Unbestimmtheiten im realen und sozialen Unfeld reduziert (vgl. Hiebsch 1986, S.180).

In einer Reihe von Individuen entscheidet jeder, ob er ein Verhalten annimmt oder ablehnt, wobei jedes Individuum die Handlungen der Entscheider vor ihm beobachtet. In diesem Modell ist der Gewinn oder Nutzen für eine Annahme für alle Individuen identisch und beträgt bei gleichen Wahrscheinlichkeiten von P = 0,5 entweder V=0 oder V=1.

Die Kosten für die Annahme der Entscheidung betragen für alle Individuen ½. Das heißt, entsprechend dem unter Abbildung 1 dargestellten Entscheidungsbaum, dass bei einer richtigen Entscheidung der Gewinn gleich ½ ist. Wird die falsche Wahl getroffen, liegt der Verlust bei - ½.

Des Weiteren nimmt jedes Individuum ein Signal wahr, welches auch als individuelles Wissen über den Wert oder Gewinn der Entscheidung dargestellt werden kann. Ist V=1 hat das Signal Xi für ein Individuum i die Ausprägung H mit einer Wahrscheinlichkeit von pi > ½. Für einen Wert von V=0 erhält der Entscheider das Signal Xi mit der Ausprägung L mit einer Residualwahrscheinlichkeit von 1-pi (die somit kleiner als 0.5 ist). Je größer pi ist, desto präziser ist der Informationsgehalt des Signals. Ist pi = ½ enthält das Signal keine Information. Somit wird sich ein rationaler Entscheider bei einem Signal H für eine Annahme entscheiden, bei einem Signal L für eine Abweisung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1:

Hat das erste Individuum der Entscheidung zugestimmt und erhält der zweite Entscheider als Signal ein H, so wird er sich für eine Annahme entscheiden. Bei einem Signal mit der Ausprägung L ist das zweite Individuum indifferent in der Entscheidung. Der erwartete Wert für eine Annahme liegt bei ½, so wird er mit einer Wahrscheinlichkeit von P = ½ die Entscheidung annehmen. Eine gleiche Situation ergibt sich, wenn sich das erste Individuum für eine Abweisung entschieden hat und das zweite als Signal ein H erhält. Eindeutig wird die Entscheidung wieder, wenn beide Individuen ein L bekommen, dann werden beide eine Abweisung vorziehen.

Das dritte Individuum in dieser Reihe steht einer von drei Situationen gegenüber.

Wenn die Individuen eins und zwei sich für eine Annahme entschieden haben, so wird der dritte Entscheider auch annehmen, selbst wenn er ein L-Signal bekommt. In diesem Fall wird von einer up cascade gesprochen. Haben eins und zwei durch eine Abweisung gehandelt, so wird der dritte die Entscheidung auch ablehnen, selbst wenn er ein H-Signal bekommt (down cascade). Eine andere Situation ergibt sich, wenn die erste Person sich entsprechend ihrem Signal für die Annahme entschieden hat, die zweite jedoch abgewiesen hat. Die dritte Person ist nun in der gleichen Situation wie die erste, sie wird entsprechend ihrer Signalausprägung wählen (vgl. Bikhchandani, Hirshleifer, Welch 1992, S.996-997).

2.2. Annahmen im Modell

Wichtige Merkmale dieses Entscheidungsvorgangs sind, dass die Individuen jeweils nur eine Entscheidung treffen, das heißt individuelles Lernen wird ausgeschlossen. Demgegenüber ist der Prozess des sozialen Lernens von zentraler Bedeutung. Soziales Lernen bedeutet, dass Individuen, beispielsweise in der Frage über die Annahme einer neuen Technologie, von den Erfahrungen der anderen Individuen lernen. Dies geschieht über die Beobachtung der von den anderen getroffenen Entscheidungen und deren Resultate (vgl. Munshi 2003, S. 1).

Die Individuen unterscheiden sich dementsprechend in der Reihenfolge, in der sie ihre Entscheidung treffen und erhalten individuell unvollständige und asymmetrische Informationen (vgl. Celen/Kariv 2002, S.2; Bikhchandani/Hirshleifer/Welch 1992, S. 1000).

Ein ausschlaggebender Aspekt im Modell der Informationskaskaden ist, dass die Individuen Erwartungswerte über den Nutzen oder Wert der Entscheidung bilden. Für ihre Entscheidung kombinieren sie dabei die Informationen der eigenen privaten Signale mit denen der vorangegangenen Entscheider. Wichtig dabei ist, dass die Signale der Vorgänger unbekannt sind. Jedes Individuum muss aus den wahrgenommenen Entscheidungen Rückschlüsse auf die jeweiligen Signale ziehen.

Dabei wird angenommen, dass die endgültige Entscheidung des einzelnen nach dem sogenannten Erwartungswertprinzip von Bayes getroffen wird. Das Prinzip besagt, dass Entscheidungen unter Risiko durch bekannte Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten des jeweiligen Ereignisses gekennzeichnet sind.

Als Annahme gilt dann, dass jedes Individuum diejenige Handlungsmöglichkeit wählt, die den größten mathematischen Erwartungswert bezüglich des verfolgten Ziels aufweist (vgl. Wöhe 2000, S. 157 /158).

Bei Betrachtung der Wahrscheinlichkeiten in diesem Modell, setzt sich der Erwartungswert für die Annahme der Entscheidung aus den folgenden einzelnen Wahrscheinlichkeiten zusammen.

Abbildung 2:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

P(V=H/Xi) ist die Wahrscheinlichkeit des Individuums i bei gegebenen Signal Xi, dass V=H=1. P(V=H/Wi) ist die Wahrscheinlichkeit des Individuums i bei gegebener Wahrnehmung Wi, dass V=H=1. Entsprechend setzt sich die kombinierte Wahrscheinlichkeit zusammen.

Der Erwartungswert sieht wie folgt aus:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ei= P(V=H/XiWi)*H + P(V=L/XiWi)*L > 0

Im perfekten Bayesianischen Gleichgewicht wird davon ausgegangen, dass der Nutzen einer Entscheidung nicht von den späteren Entscheidungen der anderen Individuen abhängig ist. Dadurch hat kein Individuum einen Anreiz, nicht entsprechend dem Erwartungswertprinzips zu handeln, um eventuell spätere Entscheidungen zu beeinflussen (vgl. Bikhchandani/Hirshleifer/Welch 1992, S. 999).

Diese Annahme kann noch weitergeführt werden, indem in dem Basismodell davon ausgegangen wird, dass die Individuen keine Fehler machen. Alle Individuen entscheiden entsprechend ihrem Signal. Somit lässt sich beispielsweise nicht erkennen, ob sie sich in einer Kaskade befinden oder nicht.

Eine Annahme, die besonders hervorgehoben werden muss, ist die Annahme der Homogenität. Das heißt, dass alle Individuen in diesem Entscheidungsprozess das gleiche Ziel und auch die gleichen Voraussetzungen haben.

Im folgenden Abschnitt soll innerhalb des Entscheidungsverhaltens der Aspekt der Wahrnehmung des Verhaltens anderer besonders erläutert werden. Zur Verdeutlichung werden dabei auch mögliche Ableitungen für das Konsumentenverhalten getroffen.

3. Wahrnehmung von Verhalten und Informationsableitung

3.1. Low vs. High Involvement

Einer anfänglichen Betrachtung soll ein Modell der Erkenntnisgewinnung aus dem Konsumentenverhalten dienen. In der einfachen Variante einer Reiz-Reaktions-Verknüpfung folgt einem Stimulus eine Reaktion.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Stimulus wird als eine Wirkungseinheit dargestellt, die eine bestimmte Reizkonstellation widerspiegelt, wohingegen die Reaktion eine individuelle, abgrenzbare Verhaltensweise abbildet (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S.319). Wird in diesem Zusammenhang, beispielsweise im Konsumentenverhalten, eine Kaufentscheidung betrachtet, kann im Wirken des Reizes die Ich-Beteiligung oder das Engagement, das mit dieser Entscheidung oder einem Verhalten verbunden ist, eine wichtige Funktion einnehmen. Dies wird unter dem Begriff Involvement definiert (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S.174). Zu unterscheiden ist ein Verhalten unter schwachem oder hohem Involvement. Bei vielen Gebrauchsgütern des täglichen Bedarfs kann davon ausgegangen werden, dass Individuen eine Kaufentscheidung spontan treffen, ohne sich eventuell zusätzliche Informationen zu beschaffen oder in eine Kommunikation mit anderen zu treten. Als Merkmale für Low-Involvement Produkte können genannt werden, dass es viele akzeptable Alternativen gibt oder es durch Gewohnheit zu einer bestimmten Markentreue gekommen ist (vgl. Trommsdorff 1998, S.51).

Steigt der Grad des Engagements im Kaufverhalten, kann es für den Konsumenten als nützlich erscheinen, in eine Kommunikation mit seiner Umwelt zu treten. Eine Entscheidung beeinflusst eventuell das Verhältnis in einer Gruppe. Individuen neigen oft dazu, andere zu imitieren, indem sie dem Wunsch nach Gleichheit nachkommen. Ein solches Herdenverhalten wird mit Hilfe des „perception-behavior“Ansatzes im folgenden Absatz noch einmal verdeutlicht.

Befasst sich der Konsument besonders detailliert mit der Informationsbeschaffung und tritt zudem in eine besonders intensive Kommunikation mit anderen Individuen, wird von einem hohen Involvement gesprochen. In diesem Entscheidungsprozess handelt der Konsument rational. Merkmale sind in diesem Fall eine aktive Auseinandersetzung mit der Entscheidung, Markenbewertungen vor dem Kauf, zusätzlich gibt es wenige akzeptable Alternativen und der Konsument verfolgt ein Optimierungsziel (vgl. Trommsdorff 1998, S. 51). Als ein Beispiel kann der Kauf eines neuen Autos genannt werden.

In den Stimulus-Reaktions-Prozess fügt sich in diesem Fall eine intervenierende Variable ein, die als Ergebnis eines Lernvorganges oder als Einflussgröße interpretiert werden kann (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S.318).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Zuge einer ausgeprägten Kommunikation und detaillierten Wahrnehmung des Handelns anderer, kann es zu einem gleichförmigen Gruppenverhalten mittels einer Informationskaskade kommen.

Im Folgenden soll auf den Aspekt der Wahrnehmung, der mit diesem Verhalten einhergeht, besonders eingegangen werden.

3.2. Der « perception-behavior-link »

In der Beobachtung von gleichförmigem Gruppenverhalten lassen sich, wie oben genannt, zwei Ansatzpunkte unterscheiden. Individuen tendieren dazu, wie ihre Mitmenschen innerhalb einer Gruppe oder Gesellschaft zu handeln und assoziieren mit gleichem Handeln einen bestimmten Nutzen oder sie verspüren eine Abneigung sich abzugrenzen und somit einem Risiko allein gegenüberzustehen (vgl. Anderson/Holt 1997, S.848, Mewis 2001, S.30).

In einem negativen Fall entsteht ein übereinstimmendes Verhalten durch Anordnungen oder Strafen (vgl. Bikhchandani/Hirshleifer/Welch 1992, S. 993).

Der „perception-behavior link“ besagt, dass durch das Beobachten des Verhaltens anderer Menschen die Wahrscheinlichkeit steigt, selbst in ein solches Verhalten einzutreten (vgl. Bargh/Chartrand 1999, S.893). Der Ansatz impliziert unter anderem den sogenannten „Chamäleon-Effekt“. Menschen neigen dazu, andere Menschen unbewusst und unabsichtlich durch Nachahmen ihrer Haltung, Gesten oder Mimik zu imitieren (vgl. Bargh/Chartrand 1999, S.893). Andere Untersuchungen belegen eine Imitation und entsprechende Reaktion von persönlichen Eigenarten. Feindliches oder freundliches Auftreten wird dabei vom anderen Individuum imitiert (vgl. Dijksterhuis/v.Knippenberg 1998, S.876).

Innerhalb einer Gruppe oder auch nur beim Beobachter kommt es hier zu einem Gefühl des emphatischen Verständnisses oder auch einer persönlichen Beziehung (vgl. Bargh/Chartrand 1999, S.897). Ein solches Herdenverhalten hat ein konfliktfreies Miteinander zum Ziel und indem alle gleich handeln, wird ein Ausgrenzen einzelner Gruppenmitglieder vermieden.

In diesem Zusammenhang soll noch einmal auf den Ansatz des Low-Involvement verwiesen werden. Es ist anzunehmen, dass bei einer geringen inneren Beteiligung in einer Kaufentscheidung aus hier genannten Gründen eher der Masse an Mitmenschen gefolgt wird. Als ein weiterer Grund für Herdenverhalten kann auch auf den Aspekt eines Zeitdrucks in der Entscheidung verwiesen werden, wenn lediglich die Zeit für eine genaue Informationsbeschaffung fehlt, um Nutzen und Risiken abzuwägen.

Als ein komplexeres System von sozialem Lernen beschreibt eine Informationskaskade das Verhalten von Individuen als gezielte Beobachtung des Handelns der Mitmenschen, verbunden mit dem Versuch, aus deren Entscheidungen Rückschlüsse zu ziehen. Somit kann es dem Beobachter möglich sein, die eigenen Informationen zu erweitern und eine präzisere Entscheidung zu treffen. Auf verschiedene Annahmen dieses Modells soll im Folgenden eingegangen werden.

3.3. Die Existenz von Informationskaskaden und die Ableitung von Informationen

Durch Laborexperimente versuchen verschiedene Autoren den Entscheidungsweg der Individuen näher zu untersuchen. L.Anderson und C.Holt lassen Experimentteilnehmer Vorhersagen über das Eintreten eines bestimmten Ereignisses machen. Für die Entscheidung erhalten sie ein individuelles Signal, welches einen Hinweis auf die richtige Wahl geben kann. Zusätzlich beobachten sie auch die vorhergehenden Entscheidungen der Mitspieler. D.Kübler und G.Weizsäcker erweitern diesen Test, indem die Probanden entscheiden können, ob sie ein Signal kaufen wollen oder nicht. Im Rahmen dieses Abschnitts sollen mit Hilfe der Ansätze folgende Fragen bearbeitet werden: Erkennen Menschen, dass andere in einer Informationskaskade sind und wie viele Informationen unterstellen sie den Entscheidungen der anderen?

Die Probanden müssen eine Vorhersage über das Eintreffen eines Ereignisses A oder B machen. In einer Urne A sind drei Bälle, zwei mit einem „a“ und einer mit einem „b“ gekennzeichnet. Entsprechend ist die Verteilung in der Urne B mit zwei Bällen mit einem „b“ und einem Ball mit einem „a“ (Abbildung 2). Für jedes Individuum wird ein Ball gezogen, welcher als jeweiliges privates Signal für eines der beiden gleichverteilten Ereignisse Informationen offenbart[2].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Auswahl der Urne erfolgt mit der gleichen Wahrscheinlichkeit von ½ durch einen Würfel[3]. Angenommen die Wahl fällt auf die Urne A, so erhält als nächstes der erste Spieler sein privates Signal. Ist der gezogene Ball mit einem „a“ gekennzeichnet, so entscheidet sich ein rationaler Spieler, gegeben einer Wahrscheinlichkeit von 2/3, für die Wahl des Ereignisses A. Die Entscheidungen werden öffentlich bekannt gegeben, die jeweiligen Signale nicht. Allerdings gibt der erste Proband durch seine Entscheidung auch sein mögliches Signal preis, ausgenommen ein verzerrendes oder fehlerhaftes Verhalten. Der zweite Spieler kann an dieser Stelle also aus der Entscheidung des ersten Rückschlüsse auf sein Signal machen. Erhält der zweite Entscheider als Signal ebenfalls ein „a“, wird er der Vorhersage des ersten folgen. Ist das Signal allerdings verschieden, wird in diesem Modell angenommen, dass der zweite Proband auch seinem privaten Signal folgt.

Eine Kaskade sollte immer dann starten, wenn zwei aufeinanderfolgende Individuen eine gleiche Entscheidung/Vorhersage getroffen haben. Laut Anderson und Holt sollte es dann für den nächsten Spieler optimal sein, das private Signal zu ignorieren und den vorherigen Entscheidungen zu folgen (vgl. Anderson/Holt 1997, S.849-851).

Der Aspekt der Wahrnehmung soll noch einmal besonders betrachtet werden. Wichtig ist, dass in einer Informationskaskade, abgesehen vom ersten Spieler in einer Entscheidungssequenz, zwei Faktoren zusammentreffen.

Jeder Proband erhält zum einen sein individuelles privates Signal, welches aber nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu der richtigen Entscheidung führt. Zusätzlich nimmt jeder die Entscheidungen der anderen wahr, kennt aber nicht die jeweiligen Signale. Aus diesen Faktoren bildet sich der Spieler eine Wahrscheinlichkeit, mit der er seine Vorhersage trifft. Für eine Analyse von Entscheidungssituationen in der Realität ist zusätzlich zu beachten, dass verschiedene interpersonelle oder umweltbedingte Einflüsse vorhanden sein können. Dabei stellt sich dann die Frage, inwieweit sich die Individuen untereinander kennen. Dabei könnte es von besonderer Bedeutung sein, wie viel ein Spieler über einen früheren Entscheider weiß und eventuell einschätzen kann, welche zusätzlichen Informationen dieser hat. Sind beispielsweise alle Entscheidungen auf dem individuellen Wissen oder Kennen eines unabhängigen Dritten begründet, in wie weit kann ein späterer Entscheider dieses Wissen bei früheren Entscheidern bestimmen. Es stellt sich die Frage, wie viele Informationen demzufolge aus den Beobachtungen abgeleitet werden?

Im Modell von Bikhchandani et al. ist eine der wichtigen Annahmen, dass alle Individuen das gleiche Ziel haben.

Der erste Entscheider erhält ein Signal und trifft seine Wahl entsprechend dem Signal. In der Betrachtung des zweiten Entscheiders, welcher den unabhängigen Dritten (im Folgenden X) sehr gut kennt und diesem Signal einen hohen Wahrscheinlichkeitswert beimisst, liegt zum anderen auch die Beobachtung des ersten Spielers vor, der sich in die andere Richtung entschieden hat. Zusätzlich ist dem zweiten Spieler aber bekannt, dass der erste X nicht sehr gut kennt. In diesem Fall wird der zweite Entscheider eher seinem Signal folgen, als der Entscheidung des ersten. Umgekehrt wird der zweite Proband sich an der Entscheidung des ersten orientieren, wenn er über diesen weiß, dass zu X ein sehr gutes Verhältnis besteht. Kennt der spätere selbst X nur sehr flüchtig, wird er eventuell seinem Signal oder Wissen eine geringere Bedeutung zumessen.

Ein weiterer Punkt in der Beobachtung der vorangegangenen Entscheidungen ist die Möglichkeit, dass ein Spieler eventuell nicht entsprechend seinem Signal handelt. In der Erweiterung des Laborexperiments von Anderson/Holt durch Kübler/Weizsäcker können die Probanden wählen, ob sie ein Signal kaufen möchten. Sind die Kosten für den Kauf eines Signals hoch, entscheiden sich 48% dagegen, ein Signal zu kaufen und treffen die Wahl entsprechend zufällig[4] (vgl. Kübler/Weizsäcker 2000, S. 22).

Der nächste Proband in der Sequenz sieht allerdings nur die Entscheidung, trifft Rückschlüsse auf das Signal des Vorgängers und misst diesem eventuell zu viel Gewicht bei. Bei entsprechenden weiteren Signalen und Entscheidungen gemäß den Annahmen, startet auf Basis einer zufälligen Entscheidung eine Kaskade.

Eine andere Bedeutung kommt der Wahrnehmung von mehreren vorangegangenen Entscheidungen zu. Um aussagekräftige Rückschlüsse aufstellen zu können, spielen verschiedene Aspekte eine Rolle. Wie werden gleichförmige Entscheidungen gewichtet, d.h. reicht es, wenn zwei Individuen gleich entscheiden oder müssen es mehr als zwei Individuen sein? Wie wird das Auftreten einer Informationskaskade wahrgenommen?

Im Experiment von Kübler/Weizsäcker zeigen sich diesbezüglich verschiedene Verhaltensmuster. Nach dem Bayes – Nash – Gleichgewicht müsste der erste Spieler ein Signal kaufen, diesem entsprechend eine Vorhersage treffen und alle anderen würden ohne Kauf eines Signals dieser Vorhersage folgen (vgl. Kübler/Weizsäcker 2000, S. 5). Aber schon in anderen Untersuchungen kommt es zum Ergebnis, dass Menschen in solchen Situationen eher ihrem Signal folgen (vgl. Nöth/Weber 1999, S. 185).

In diesem Fall kaufen die Individuen in späteren Stadien der Sequenz zu viele Signale. Gründe hierfür können wahrgenommene Risiken sein, dass die Vorgänger nicht entsprechend ihrem Signal entscheiden, also Fehler begehen. Dabei sind entsprechend der Resultate aber noch einmal zwei verschiedene Zeitpunkte in einer Sequenz zu unterscheiden.

Wenn sich nur wenige Entscheider vorher für das gleiche Ereignis ausgesprochen haben, wird dieser Beobachtung noch wenig Vertrauen entgegengebracht. Erhöht sich dahingegen die Anzahl der Vorhersagen für ein Ereignis, so folgen die Probanden diesem eher, ohne einen zusätzlichen Kauf eines Signals (Kübler/Weizsäcker 2000, S.21). Dabei kommt es aber zu einem weiteren Problem in der Wahrnehmung. Individuen erkennen oft nicht, dass die vorherigen Entscheidungen zum Teil schon ab der dritten Stufe in einer Informationskaskade sind. Das heißt, dass allen anderen unterstellt wird, dass sie informierte Entscheidungen getroffen haben. In dem Fall, in dem den Probanden mitgeteilt wurde, ob die Vorgänger ein Signal gekauft haben, kam es in späteren Stadien zu noch mehr Käufen von Signalen (vgl. Kübler/Weizsäcker 2000, S. 6). Es zeigt noch einmal deutlich die Tendenz der Menschen, in diesem Fall eher auf ihr eigenes Signal zu vertrauen und nicht rational nach dem Bayesianischen Gleichgewicht zu handeln.

Ein Vergleich der Ergebnisse aus den Untersuchungen von Anderson/Holt und Kübler/Weizsäcker zeigt, dass Menschen sich an den Entscheidungen der Vorgänger orientieren. Bei Anderson/Holt kam es in 41 von 56 Perioden zu einem Kaskadenverhalten, nachdem zwei identische Vorhersagen hintereinander beobachtet werden konnten. Allerdings zeigen die Ergebnisse von Kübler/Weizsäcker, dass die Wahrnehmung nicht in die Richtung einer Informationskaskade geht. Wie schon beschrieben, unterstellen späte Entscheider, dass die Vorhersagen auf den informierten Signalen beruhen. Die Menschen lernen vom vorherigen Entscheider, haben aber Schwierigkeiten zu realisieren, dass dieser auch von seinem Vorgänger gelernt hat (vgl. Kübler/Weizsäcker 2000, S. 8).

Erkennen Individuen dagegen, dass die Entscheidungen innerhalb einer Kaskade getroffen werden und somit uninformativ sind, dann ignorieren sie diese und konzentrieren sich auf die relevanten Entscheidungen, welche eindeutig Informationen offenbaren (vgl. Anderson/Holt 1997, S.850).

Da es wie beschrieben bei Individuen zu Verzerrungen in der Wahrnehmung der Entscheidung oder des Handelns bei anderen kommen kann, soll im folgenden Abschnitt etwas detaillierter auf mögliche Fehler in einem Entscheidungsprozess eingegangen werden.

3.4. Mögliche Fehler innerhalb von Informationskaskaden

Innerhalb einer Informationskaskade kann es zu verschiedenen Fehlern kommen. Zum einen haben Menschen Schwierigkeiten in der Wahrnehmung und Beurteilung von anderen und ziehen somit unpräzise oder falsche Rückschlüsse für ihre eigene Entscheidung.

Zum anderen können Individuen in ihren Entscheidungen selbst bewusst oder auch unbewusst Fehler machen.

Im Folgenden werden verschiedene Ursachen denkbarer und analysierter Verzerrungen betrachtet.

Gerade im Hinblick auf das Konsumentenverhalten ist es ein wichtiger Aspekt, wie aufnahmefähig ein Mensch ist. Für die Wahrnehmung und Beurteilung benutzen die Konsumenten nur einen geringen Teil der möglichen Informationen und setzen auch nur relativ einfache Informationsverarbeitungsprogramme ein. Sollen jedoch mehr Informationen oder komplexere Verarbeitungsprogramme benutzt werden, kann es zu Entscheidungsineffizienzen kommen (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S.370).

Für den Prozess einer Informationskaskade bedeutet dies, dass ein Entscheider eventuell nur sehr wenige Entscheidungen genau beurteilen kann und somit unfähig ist, Informationskaskaden zu erkennen. Somit kann es zu der fehlenden Erkenntnis kommen, dass nur die Signale vor einer Informationskaskade oder Signale, die eine Kaskade aufbrechen, wirklich relevant für die eigene Entscheidung sind. Diese Verzerrung in der Wahrnehmung deutet wiederum auf den schon angesprochenen Punkt hin, dass Menschen in den durchgeführten Untersuchungen erst nach einer ausreichend starken Anzahl von Entscheidungen für ein Ereignis diesem folgen und ihr eigenes Signal ignorieren. Ein Grund kann auch das begrenzte Beurteilungsvermögen sein. Der Entscheider ist dann nicht mehr fähig, alle Informationen zu sammeln und sie gegeneinander abzuwägen und entscheidet der Einfachheit halber entsprechend der Mehrheit.

Bei wenigen vorherigen Entscheidungen wird eventuell noch versucht, diese genau zu beurteilen oder miteinander zu verbinden.

Dabei kommt zusätzlich die Tatsache zum Tragen, dass die Subjekte anderen eine höhere Fehlerquote unterstellen, als sich selbst (vgl. Kübler/Weizsäcker 2000, S.8). Fehlendes Vertrauen fördert den Kauf von Signalen oder auch ein Handeln nach dem eigenen Signal.

In diesem Zusammenhang ist vielleicht noch ein weiterer Punkt interessant. Obwohl die unter Absatz 2.1. getroffenen Definitionen von einem Herdenverhalten (Reiz-Reaktion) und einer Informationskaskade (Reiz-Intervenierende Variable- Reaktion) in vielen Fällen nicht leicht zu trennen sind, lässt sich möglicherweise bei einer sehr großen Anzahl von Entscheidern in einem späten Stadium wieder ein Verhalten erkennen, dass nur auf einem Reiz und einer Reaktion beruht. Auch wenn die Individuen weiter vorn in der Sequenz durch Wahrnehmung und Beurteilung der anderen und des eigenen Signals gehandelt haben, gibt es unter Umständen Menschen, die sich nur noch auf die Wahrnehmung konzentrieren und entsprechend handeln („perception-behavior-link“). Mögliche Argumente dafür könnten einerseits Zeitmangel sein, andererseits aber auch eine Informationsüberlastung. Jacoby spricht hier, auch im Hinblick auf die Zeit, von engen Grenzen, in denen ein Mensch fähig ist Informationen wahrzunehmen und zu beurteilen (vgl. Jacoby 1977, S.569). Auch in diesem Fall kann der Entscheidung durch nachfolgende Entscheider ein zu hoher Informationsgehalt beigemessen werden.

Wird die Betrachtung von Fehlern auf den Punkt der Entscheidung gelenkt, so können auch hier Verzerrungen auftreten. Im Abschnitt 2.3. wurde bereits der Einfluss von Kosten für ein Signal erwähnt. Demnach haben sich im Experiment von Kübler/Weizsäcker in der ersten Position einer Sequenz nur 52% dafür entschieden, ein Signal zu kaufen. Entsprechend einem risikoneutralem Individuum, das seinen Gewinn maximieren möchte, ist diese Entscheidung als Fehler anzusehen[5] (vgl. Kübler/Weizsäcker 2000, S.22).

In Anwendung auf das Konsumentenverhalten kann der Aspekt der Kosten für die Beschaffung von Informationen und Wissen eine entscheidende Rolle spielen. Innerhalb eines Laborexperiments erscheint es möglicherweise einfach, eine zufällige Wahl einer Urne zu treffen. Geht es aber in der Realität, gerade im Bereich von Produkten mit einem hohen Involvement, um eine beachtliche Entscheidung, so lassen sich diese Ergebnisse vermutlich nicht direkt übernehmen. Die Kosten für Wissen und Informationen sollten in einem angemessenen Verhältnis zum dadurch erzielten Nutzen stehen.

Ein weiteres Phänomen ist eine Entscheidung entsprechend einem Status Quo. Angenommen wird hier, dass Individuen anderen folgen, wenn es für sie rational ist. Zusätzlich gibt es eine Tendenz mit anderen gleichförmig zu handeln. Deutlich wird eine solche Entscheidung, wenn ein Individuum ein gegenteiliges Signal erhält, als es beim Vorgänger durch Rückschlüsse ermitteln konnte. Entsprechend der Annahme wird der ersten Entscheidung die Position des Status Quo zuteil.

Ein weiterer Ansatz geht in die Richtung einer unbewussten Entscheidung, verbunden mit Wissen und Wiedererkennen. Laut Goldstein/Gigerenzer sollen über die „recognition heuristic“ aus der Tatsache des Wiedererkennens Rückschlüsse über unbekannte Aspekte getroffen werden. Dabei stehen in einer Entscheidung frühere Erfahrungen neuen Erkenntnissen gegenüber (vgl. Goldstein/Gigerenzer 1999, S.38). In einer Zwei-Alternativen-Wahl müssen Individuen ableiten, welches von zwei Objekten einen höheren Wert hat. Dabei kann nach Goldstein/Gigerenzer die Aussage getroffen werden, dass ein bekanntes Objekt für den Probanden einen höheren Wert hat (vgl. Goldstein/Gigerenzer 1999, S.41). Auch Kahnemann/Tversky beschreiben unter dem Begriff „representativeness“ eine ähnliche Entscheidungs-Heuristik. Demnach bewertet ein Individuum die Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung unter Unsicherheit unter anderem durch den Grad, in dem es in bestimmten Merkmalen gleich dem ursprünglichen Zustand (parent population) ist (vgl. Kahnemann/Tversky 1972, S. 538).

Für die Betrachtung einer Informationskaskade kann das Wiedererkennen das Signal oder Wissen über eine der Alternativen darstellen. Allerdings gibt allein dieses Signal oder Wissen nicht unbedingt einen aussagekräftigen Rückschluss auf die richtige Wahl. In dem Experiment von Goldstein/Gigerenzer wurde dieser Ansatz mittels geographischer Fragen belegt. Der Zusammenhang zu einem Entscheidungsprozess in einer Informationskaskade und eventuelle Auswirkungen könnten einen interessanten Ansatz darstellen.

Wird die individuelle Selbsteinschätzung der Menschen in einer Entscheidungssequenz betrachtet, kann es auch hier zu einem Fehlverhalten kommen. Bei einem gesteigerten Selbstbewusstsein bemisst ein Individuum dem eigenen Signal oder Wissen einen viel höheren Wert bei, als den Informationen der wahrgenommenen Entscheidungen. Eventuell spielt auch eine Abneigung „mit der Masse zu schwimmen“ eine Rolle. Trifft dieser Entscheider im Prozess einer Informationskaskade eine abweichende Entscheidung, so kann er die Kaskade durchbrechen. Es kann aber auch zum Start einer neuen Kaskade in die andere Richtung kommen. Die folgende Entscheidungssequenz (mittels des Experimentansatzes von Anderson/Holt) soll ein kurzes Beispiel für einen solchen Prozess geben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die am Anfang gewählte Urne B beinhaltet zwei Bälle als Signal b und einen als Signal a. Der erste Proband erhält ein a als Signal und entscheidet sich gemäß einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 für die Urne A (*). Damit bildet diese Entscheidung den Anfang einer entgegengesetzten Kaskade. Der zweite und dritte Entscheider wählen jeweils nach ihrem Signal und der beobachteten vorherigen Entscheidung (Bayesianisches Prinzip). Mit dem vierten Probanden startet die Informationskaskade (**), da dieser sein privates Signal ignoriert. Aus den Vorhersagen der anderen leitet er für sich Rückschlüsse ab und misst diesen einen höheren Informationswert bei. Dass sich der Proband an sechster Stelle (***) gemäß seinem Signal entscheidet, bedeutet eine Überbewertung seines eigenen Signals gegenüber den Beobachtungen. Zwei Gründe können hierfür genannt werden. Die Anzahl der Entscheider vor ihm ist für ihn nicht stark genug und er entscheidet sich für das eigene Signal. Zum anderen kann eine völlige Selbstüberschätzung des individuellen Wissens der Grund sein (vgl. Nöth/Weber 2003, S.185). In einer reellen Situation kann das Individuum auch eine zusätzliche Information erhalten haben, welche ihm einen Vorteil verschafft[6].

Allerdings trifft er mit dieser Entscheidung in diesem Beispiel die richtige Vorhersage.

Am ihm folgenden Entscheider kann das Phänomen des Status Quo verdeutlicht werden. Erhält dieser ein a und betrachtet nur die Entscheidung der sechsten Stelle, heben sich beide Signale auf. Bemisst er der vorangegangenen Entscheidung allerdings den Status- Quo- Zustand bei, handelt er ungeachtet seinem Signal. Ist das Signal an dieser Stelle ein b, so sollte der Proband entsprechend der Modellannahmen die Urne B wählen. An diese Stelle können die beschriebenen Ineffizienzen der Wahrnehmung und Beurteilung eine Rolle spielen. Kann der Spieler die Informationskaskade in früheren Positionen erkennen. Diese Entscheidungen sind für ihn uninformativ. In wie weit sind die relevanten Signale für ihn erkennbar? Zumal wie in diesem Fall der erste Proband zwar gemäß seinem Signal richtig gehandelt hat, die Kaskade ist aber in die entgegengesetzte Richtung gestartet.

Dieses Beispiel verdeutlicht auch die Möglichkeit, dass eine falsche Kaskade durchbrochen wird und entsprechend den weiteren Entscheidungen in die richtige Richtung geleitet wird.

Die aufgezeigten Beispiele verdeutlichen die Schwierigkeiten der Trennung zwischen reinen Laborexperimenten und Entscheidungssituationen in der Realität. Über ein mögliches Fehlverhalten gemäß dem Bayesianischen Prinzip können Annahmen getroffen werden, im Experiment sind sie jedoch nicht unbedingt nachzuweisen. Als Beispiel ist die Untersuchung des Status Quo im Ansatz von Anderson/Holt zu nennen. Allerdings fließen die verschiedensten Einflüsse (u.a. interpersonell, ökonomisch oder umweltbedingt) in der Realität mit in eine Entscheidung. Im Rahmen dieses Abschnitts wurde auch versucht, einige dieser Phänomene ansatzweise mit ihren Auswirkungen in der Realität zu betrachten.

4. Zusammenfassung

Über verschiedene Ansatzpunkte des BHW-Modells oder auch des Modells von Anderson und Holt wurde ein Entscheidungsverhalten innerhalb einer Gruppe gemäß dem Prinzip der Informationskaskaden verdeutlicht.

Dabei wurde ersichtlich, dass es verschiedene Ausprägungen oder Intensitäten in diesem Gruppen –oder Herdenverhalten gibt. Im Bezug auf das Konsumentenverhalten wird im Bereich der Low- Involvement Produkte eher ein Verhalten gemäß des „perception- behavior“ links deutlich. Gemäß der Definition und Darstellung des Prozesses der Informationskaskade wird ein komplexeres System des Entscheidungsverhaltens abgebildet. Durch eine gesteigerte Kommunikation und Wahrnehmung zwischen den Individuen kommt es zu einem intensiveren Informationsaustausch und auch zu einer Aggregation von Informationen. Bezüglich der Informationskaskade kann aber auch von einer ineffizienten Nutzung der Informationen gesprochen werden. Wenn Individuen das eigene Wissen ignorieren und nur aufgrund vorliegender Handlungen der Vorgänger entscheiden, so kommt es zu einer Vernachlässigung der Informationen in der Kaskade (vgl. Mewis 2001, S. 30).

Des Weiteren mussten innerhalb dieser Prozesse zum Teil sehr starre Annahmen getroffen werden. Innerhalb der Laborexperimente wird versucht, interpersonelle, ökonomische und umweltbedingte Einflüsse zu eliminieren. Diese sind aber für die Untersuchung teilweise entscheidend in der Analyse von möglichen Schwierigkeiten, Verzerrungen oder Fehlern innerhalb von reellen Entscheidungssituationen. Auch wurde der Aspekt der Heterogenität der Individuen untereinander fast vollständig außer Acht gelassen. Innerhalb der Modelle wurde die Annahme der Homogenität getroffen.

Diese aufgezeigten Ansatzpunkte bieten sicherlich noch eine Vielzahl von Forschungsmöglichkeiten.

5. Literaturverzeichnis

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[...]


[1] Im Folgenden BHW-Modell.

[2] Die Vorhersage für eine Urne entspricht dem Ereignis. Urne A= Ereignis A; Urne B= Ereignis B.

[3] Zahlen 1-3 führen zur Nutzung von Urne A; Zahlen 4-6 zur Nutzung von Urne B.

[4] Das Experiment wurde in verschiedenen Durchgängen mit (1) hohen Kosten für ein Signal, (2) niedrigeren Kosten für ein Signal, (3) hohen Kosten und die Information, ob die Vorgänger Signale kauften und (4) keine Kosten durchgeführt (vgl. Kübler/Weizsäcker 2000).

[5] Waren Vorhersage und Wahl der Urne übereinstimmend, erhielten die Probanden einen Gewinn von $12 (vgl. Kübler/Weizsäcker 2000, S.9).

[6] Bikhchandani et al. nennen dabei beispielsweise die Veröffentlichung neuer Informationen.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Wahrnehmung und Ableitung von Informationen aus dem Verhalten anderer Individuen im Prozess einer Informationskaskade
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V109563
ISBN (eBook)
9783640077434
Dateigröße
399 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wahrnehmung, Ableitung, Informationen, Verhalten, Individuen, Prozess, Informationskaskade
Arbeit zitieren
Elisabeth Utermark (Autor:in), 2005, Wahrnehmung und Ableitung von Informationen aus dem Verhalten anderer Individuen im Prozess einer Informationskaskade, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109563

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