Adolf Mussafia - Zur 100. Wiederkehr seines Todestages


Essay, 2005

10 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Der Weg nach Wien

Dante und andere wissenschaftliche Themen

Das weitere wissenschaftliche Arbeiten

Friedrich Diez und Adolfo Mussafia

Mussafias Agieren in der zeitgenössischen Scientific Community

Mussafia als Universitätslehrer

Mussafias Bedeutung für die Romanistik des XX. Jahrhunderts

Heutige Spuren von Mussafia

Bibliografie

Adolf Mussafia

Zur 100. Wiederkehr seines Todestages.[1]

Der Weg nach Wien

Vor 170 Jahren, am 15. Februar 1835, wurde Adolfo Mussafia in Spatalo/Split geboren. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelte es sich bei Mussafia um einen Sohn des Rabbiners Johann Amadeus Mussafia in Spatalo. Die Gymnasialklassen besuchte er in seiner Vaterstadt, wo er auch die Maturitätsprüfung ablegte. Im Oktober 1852, also mit gerade einmal 17 Jahren (sic!!), ging der Rabbinersohn – ohne wirkliche Deutschkenntnisse - nach Wien und schrieb sich während vier bis sechs[2] Semestern in der medizinischen Fakultät ein. „Die Wahl war denkbar unglücklich. Mussafia hat zeitlebens Ekel vor Krankheit, Widerwillen vor Kranken und Grauen vor der Leiche empfunden.“ (Richter; 1932; 169). Folgerichtig schloss er diese Studien nie ab, da ihn das Studium der Philologie, vornehmlich der „romanischen“ und „italienischen“ Philologie, wesentlich mehr fesselte. Seine akademische Laufbahn begann Mussafia mit dem Unterricht von „Gymnasial-Lehramtskandidaten“. Ab 1855/56 unterrichtete er kommende Italienischlehrer der kaiserlichen Lehranstalten in italienischer Sprache und Literatur an der Universität und im Auftrage des Ministeriums; jedoch war seine Stellung durchaus „privater Natur“- was bedeutet, dass der Lehrer nicht beamtet war. Angeblich erhielt der junge Italienischlehrer auf die Fürsprache von Franz Miklosich (1813-1891)[3] beim Ministerium diese unbesoldete Stelle. (Richter; 1932; 169). Seine erste Arbeit erschien in der 1854 von seinem Mentor Bolza neu gegründeten „Revista ginnasiale e delle scuole tecniche“ in Form einer ausführlichen schriftlichen Antwort (heute würde man/frau wahrscheinlich von einem „Call for Papers“ sprechen) auf die von Bolza gestellte Frage zum Plural von Städtenamen.[4] 1857 verfasste Mussafia seine erste textkritische Arbeit. Er besprach auf über 100 Seiten Fanfanis Decameroneausgabe. Am 9. November 1860 wurde Mussafia, der schon früher zum katholischen Glauben übergetreten war, per Erlass des k. u. k. Unterrichtsministerium, zum außerordentlichen Professor der romanischen Philologie an der Universität ernannt. Somit wurde die erste und einzige Lehrkanzel für dieses Fach – das an einigen deutschen Universitäten vertreten war – in Österreich errichtet. Dies 13 Jahre nach der offiziellen Anerkennung des Romanistikfaches in Wien (Aldouri-Lauber; 2002; 22). Der völlig unerfahrene Mussafia sollte die Professur zunächst einmal auf drei Jahre ausüben, obwohl es mit Ferdinand Wolf (1796 – 1866) an der k. u. k. Hofbibliothek einen ausgewiesenen Fachmann gab, „der in aller Stille eine reiche wissenschaftliche Tätigkeit“ [5] entfaltet hatte (Mair; 2003; 261). Nach Ablauf der zeitgebundenen außerordentlichen Professur wurde das Provisorium in ein Definitivum umgewandelt. Im Mai 1867 wurde Mussafia zum ordentlichen Professor seines Faches ernannt. Die Gründung der Romanistik in Wien – als universitäres Fach - ist also relativ späten Datums. In diesem Zusammenhang möchte ich ein wenig auf die geistigen Strömungen der Zeit einzugehen, in denen sich die neue Wissenschaft zu etablieren begann. Die junge Romanistik war vorwiegend eine historisch ausgerichtete Wissenschaft. Als ihr Begründer gilt gemeinhin Friedrich Diez in Bonn (1794 - 1876). Bei der Entstehung der Romanistik in Österreich spielte das Vorbild von Diez weniger eine Rolle. Die ersten Schritte zum Aufbau des Faches erfolgten wesentlich früher und es waren durch handfeste politische Überlegungen motiviert. „ Der Grundstein für die Wiener Romanistik wurde in der späten Regierungszeit Maria Theresias [1717-1780: Anm: the] gelegt, als sich die immer dringlicher geforderte Einführung von Studien der romanischen Sprachen an der Kaiserlichen Universität nicht länger hinauszögern ließ und der vorwiegend in der aufstrebenden Beamtenschaft spürbare Mangel auch in den Reformplänen der Kaiserin berücksichtigt werden mußte.“ (Aldouri-Lauber; 2002; 21). Zwei Argumente sprachen für den Aufbau des romanischen Sprachunterrichtes: Die Ausbildung eines zentralistischen Verwaltungsapparates, sowie der Aufstieg des Französischen zur Diplomatensprache und zur Sprache des Adels. Neben diesen handfesten, politischen Motiven, die letztendlich zur Einführung von Sprachkursen in Italienisch, Französisch und Spanisch führten – geleitet von so genannten Sprachmeistern - hinterließ die sich von der Klassik abwendende und zur „lingua romana“ hinwendende Romantik ihre eindeutigen Spuren in der wissenschaftlichen Betrachtung. Die Kenntnis des Mittelalters spielte eine wichtige Rolle. So wie B. E. Vidos schreibt, konnte die „Geisteshaltung des ausgehenden 18. und ersten Hälfte des 19. Jdts. […] nur philologisch sein, was seinen Ausdruck [ darin ] fand, dass Manuskripte und Texte ediert, diese untereinander verglichen und mit Literatur- und sprachwissenschaftlichen Kommentaren sowie mit Glossen versehen wurden.“ (B. E. Vidos, 1975; 29). Am Rande bemerkt: Ein Blick in die Bibliografie des Ge(l)ehrten aus Split bestätigt diese grundlegende Ausrichtung. Der Fokus lag dabei eindeutig auf der geschriebenen Sprache, die jedoch als „organisch“ angesehen wurde. Der Einfluss der Naturwissenschaften und des Darwinismus waren in der sich ausbildenden Philologie unverkennbar. Die aktuelle (Re-)Orientierung zu einem Übergewicht des Spracherwerbs und der Sprachvermittlung, sowie die Beschäftigung mit der Gegenwartssprache an sich sowie zeitgenössischer Literatur, waren weitaus weniger bedeutend für die damalige Romanistik. Böse Zungen behaupten ja hin und wieder, dass die Philologen der damaligen Zeit nicht einmal die Sprache sprechen mussten, über die sie arbeiteten, was bei Mussafia nicht ernsthaft angenommen werden darf. Mussafia kam eindeutig aus der Sprachvermittlung. Sie war, wie bereits gesehen der Grundstein der Romanistik in Wien. Wenn Sie auch zugegebenermaßen an Bedeutung verlor – nicht zuletzt durch das Diktum in Deutsch vortragen zu müssen.

Vor der ordentlichen Professur trat Mussafia im Jänner 1858 den Dienst in der kaiserlichen Hofbibliothek als Hilfsarbeiter an und stieg im Jahre 1863 zum dritten Amanuensis, im Oktober 1867 zum zweiten Amanuensis der Handschriftenabteilung auf. Im selben Jahr wurde Mussafia zum ordentlichen Professor berufen[6], ohne jedoch ein akademisches Studium vollständig absolviert zu haben. Diesen kleinen „Schönheitsfehler“ suchte man zwei Jahre später (27. Juni 1869) mit der Verleihung eines Ehrendoktorats ein wenig zu retouchieren respektive wie sich F.-R. Hausmann ausdrückt: „damit sein Werdegang nicht allzu unakademisch aussah“. (Hausmann; 2000; 291).[7] Die Lehrtätigkeit als Lektor für Italienisch an der Universität war über einen längeren Zeitraum unbesoldet[8], was den parallelen Dienst in der Bibliothek erklärt. Der Eintritt in den Bibliotheksdienst stellte auch später für Akademiker/innen nichts Ungewöhnliches dar, zumal Privatdozenturen und außerordentliche Professuren nicht automatisch remuneriert wurden. Bekannt ist z.B. auch der Fall des Germanisten Robert Franz Arnold (1872 – 1938), der mehrere Jahre als Bibliothekar arbeitete. Oder eben Elise Richter (1865 -1943), die fast zwei Jahrzehnte ohne Remuneration an der Universität unterrichtete. Noch bevor er zum ordentlichen Professor ernannt wurde, wählte die kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien den Rabbinerersohn aus Split zum korrespondierenden Mitglied der philosophisch-historischen Klasse (Mai 1866). Später wurde Mussafia Mitglied der königlichen Kommission zur Herausgabe altitalienischer Denkmäler in Bologna und ab September 1865 Mitglied des Vorstandes der deutschen Dante-Gesellschaft, die in diesem Jahr gegründet wurde und auch heute noch besteht. Die Jahre von 1860-1870 waren insgesamt sehr produktiv. Nicht weniger als 114 Veröffentlichungen – zum großen Teil im Rahmen der Akademie der Wissenschaften – konnte Mussafia am Ende der Dekade verbuchen. 1870 wurde das „Seminar für französische und englische Sprache“ eingerichtet. Erst 1891 erfolgte die Trennung der beiden Fachbereiche. Drei Jahre später waren alle romanischen Sprachen am „Seminar für romanische Sprachen“ repräsentiert. Adolfo Mussafia baute das Institut jedoch nicht alleine auf. An seiner Seite hatte er drei Lektoren für den Sprachunterricht in Französisch, Spanisch und Italienisch. Unterstützt wurde er vor allem von Ferdinand Lotheissen (1833-1887), der französische Literaturgeschichte lehrte. Lotheissen publizierte hauptsächlich zur französischen Literaturgeschichte im 17. Jahrhundert, zu Molière und verfasste eine „Sittengeschichte Frankreichs.“ Ferner schrieb er ein Werk: „Literatur und Gesellschaft in Frankreich zur Zeit der Revolution 1789-1794“ (1872). Aldouri-Lauber qualifiziert Lotheissens Arbeiten als „Literaturanalysen mit sozio-historischem Anspruch“. (Aldouri-Lauber; 2002; 23).

Dante und andere wissenschaftliche Themen

Im Mai 1865 beteiligte sich der junge Professor anlässlich des Dante-Jubiläums mit einigen Freunden der italienischen Literatur an einem künstlerisch-literarischen Vortrag. Bei dieser Gelegenheit hielt er eine kritisch-historische Vorlesung über die divina commedia. (Publiziert wurde von Mussafia zu Dante u.a. : „Über Dante Alighieri“ (1865), in der „Österreichischen Wochenschrift“ oder “I codici Divina Commedia che si conservano alla Biblioteca imperiale di Vienna ed alla Reale di Stoccarda”. Wien, Gerold 1865 in den Sitzungsberichten der Akademie der Wissenschaften., phil.-hist.Cl., Bd.49, Heft 1). Diese beiden Dantearbeiten erwähne ich nicht nur der bibliografischen Genauigkeit wegen, sondern weil Mussafia seinem Wissen über Dante den Einstieg in das philologische Fach verdankte „Vereinzelt hörte er Vorlesungen an der philosophischen Fakultät, vor allem zogen ihn die italienischen Übungen an, die zwei ‚Lehrer’ abhielten, der Titularprofessor Freiherr v. Fornasari-Verce und der Lehrer Ponisio. Beiden war der jugendliche Danteschwärmer von vornherein überlegen. Bei der Erklärung einer Dantestelle, die dem Vortragenden nicht recht gelingen will, meldet er sich zum Wort, und seine klare, einleuchtende Darlegung, verbunden mit der ihm angeborenen, ausgezeichneten Rednergabe, wirken so mächtig, daß der Ministerialsekretär Dr. Giov[anni] Battista Bolza auf ihn aufmerksam wird, und so kann der verdorbene Mediziner 1855 an der Universität italienischen Unterricht geben.“ (Richter; 1932; 168). Ob es sich tatsächlich so zutrug, kann ich nicht beurteilen, dennoch gehörte es zum guten Ton in der damaligen jungen Wissenschaft, den wieder entdeckten Dante in seinem „Repertoire“ zu haben und zu Dante zu publizieren. „ Dem allgemeinen Kult der Divina Commedia lagen hingegen kulturpolitische Faktoren zugrunde: seit der Neubewertung durch Alfieri, Foscolo, Herder und A. W. Schlegel galt Dante, der ja die Jahrhunderte vorher weniger geschätzt worden war, als der nationale Dichter Italiens, dem in Lehre und Forschung ein zentraler Platz zuzukommen hatte.“ (Mair; 2003; 260). Dieses Zitat bestätigt nicht nur die Ansicht von Vidos über die philosophische Grundlage der neuen Wissenschaft aus der Romantik heraus, sondern lässt auch die allgemeine Beschäftigung mit Dante an den anderen österreichischen Universitäten erklären. Für das von Mussafia über Dante herausgegebene Werk wurde der Nichtakademiker vom Kaiser mit der goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet. Aber wie bereits angedeutet widmete Mussafia sich nicht nur der Literatur und der Transkription von alten Texten; auch in der historischen Sprachwissenschaft leistete er Grundsätzliches. Zu nennen ist nicht nur seine Beschäftigung mit verschiedenen Dialekten oder dem Rumänischen, sondern auch Allgemeines, wie das noch immer diskutierte Tobler-Mussafia Gesetz: „Das Tobler-Mussafia-Gesetz (zuerst Tobler 1875 für das Altfranzösische, später Mussafia 1886, 1898 für das Altitalienische) beschreibt die obligatorische Nachstellung der klitischen Objektpronomina in Verb-Erst-(V1-)Sätzen in allen mittelalterlichen romanischen Sprachen. Ein Satz konnte demnach nicht mit einem klitischen Objektpronomen beginnen, wie es heute z.B. im Katalanischen durchaus möglich ist: Me’n vaig. Das Tobler-Mussafia-Gesetz bewirkt vielfach nicht nur am absoluten Satzanfang eine Nachstellung, sondern auch nach vorangehenden Nebensätzen und der koordinierenden Konjunktion ‚und‘ (kat. i, okz. u. altkat. e).“ (Hinzelin, 2004; 113). Wie schon angedeutet, überschaute Mussafia die meisten Gebiete der damaligen Romanistik. Doch reine literaturgeschichtliche Arbeiten verfasste er wenige: Nennenswert „Die italienische Literatur Dalmatiens“ im 10. Band der „Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Wort und Bild“ die von Erbherzog Rudolf[9] herausgegeben wurde (1891). Wahrscheinlich nicht zufällig widmete er seinen Beitrag der eigentlichen Heimat.

Das weitere wissenschaftliche Arbeiten

Das wohl bekannteste Werk des Gelehrten aus Split ist die in vielen Auflagen erschienene Sprachlehre, die ein unmittelbares Produkt von Mussafias Lektorentätigkeit darstellen dürfte. Die „Italienische Sprachlehre in Regeln und Beispielen, für den ersten Unterricht bearbeitet“ (Wien, W. Braumüller) erschien erstmals 1860 und dann in zahlreichen Auflagen. Mussafia verfasste diese Grammatik im Alter von gerade einmal 25 Jahren. Das Werk überdauerte ihren Autor um viele Jahre. 1904 erschien die Sprachlehre in ihrer 27. Auflage und 1905 gab Edgardo Maddalena den „Schlüssel“ zur Sprachlehre von Mussafia nach eben dieser 27. Auflage heraus und führte die Herausgabe des Buches weiter. 1916 erschien – also 11 Jahre nach dem Tode von Mussafia und inmitten des 1. Weltkrieges die 30. Auflage des Werkes. Wie populär das Buch war, beweist nicht nur der Umstand der zahlreichen Auflagen. 1885 gab Johann Herzer in Prag eine Übersetzung des Werkes heraus.[10]

Das Hauptaugenmerkmal von Mussafia lag jedoch, im Sinne des wissenschaftlichen Diskurses, auf der Edition von mittelalterlichen Texten und der Textkritik. Von Paul Meyer (1840-1917)[11] wissen wir, dass Mussafia sich nie zur „Konjektur“ bei der Transkription von Texten hinreißen ließ, und sollte er es doch aufgrund einer „verdorbenen Textstelle“ getan haben, so Meyer weiter, so seien diese „Konjekturen“ in den rarsten Fällen fehlerhaft.

Mussafia begriff sich eben als Philologe. Die Auswahl fokussierte er dabei immer wieder auf Legenden mit christlichem Hintergrund. „Christliche Legenden behandelt er dabei besonders gern, in das Chaos der Marien-Erzählungen hat er zuerst Ordnung gebracht; seine gelegentlichen Abschweifungen auf spanisches Gebiet sind zumeist durch die einschlägige Forschung veranlasst.“ (Meyer-Lübke; 1905). Um nur einen Titel zu nennen: „Altspanische Prosadarstellung der Crescentiasage“ erschien 1866[12]. Die Klassiker wie die Artussagen oder das Altfranzösische Epos bildeten keinen Forschungsschwerpunkt – zu sehr war er wahrscheinlich dem Italienischen verbunden.

Meyer-Lübke referiert weiter, dass ein „bedeutender Teil Mussafiascher Forschung“ in Rezensionen lag, die sich wie Ergänzungen zu den besprochenen Büchern lasen. Ein Brief von Adolf Gaspary (+1892) an Bonaventura Zumbini bestätigt dies: „Wie bereits gesehen, verwies auch Paul Meyer auf diesen Umstand. „Mir selbst übrigens steht gleichfalls von ihm [=der Literaturhistoriker Gustav Körting: Anm. the] der Richterspruch bevor, er will mich, wie er schreibt, in der Zeitschr. für rom. Phil. besprechen; wir ist wenig damit gedient, weil er in diesen Dingen nicht competent ist; ich hoffte auf eine Recension von Mussafia, und aus welcher zu lernen gewesen wäre.“ (Gaspary an Zumbini vom 24. April 1880; Homeyer; 1989; 24).

Die gelegentlichen Ausflüge in die Darstellung der Mundarten, dienten nur zur Erhellung der Schriften. Zentral im Werke von Mussafia ist auch der „Beitrag zur Kunde der norditalienischen Mundarten im 15. Jahrhundert“, der 1874 erschien. „ Es handelt sich um den Neudruck einiger veronesisch oder venezianisch-deutscher Glossare. In den Formen des 15. Jahrhunderts werden nun erklärend die entsprechenden aus den norditalienischen, zum Teile auch aus anderen Mundarten gebracht, in einzelnen Fällen ungemein interessante Exkurse verflochten, z. B. über die verschiedenen Ausdrücke“ (Meyer-Lübke, 1905) des Alltags (Löffel, Holzschuh usw.). Dass eine derartige Arbeit auf Meyer-Lübkes besonderes Interesse als „Wörter und Sachen“-Spezialist und späterer Mitherausgeber der Zeitschrift mit dem selben Namen stößt, braucht nicht eigens erwähnt zu werden. Hugo Schuchardt schätzte diese Arbeit ebenfalls – ob ihrer Ausrichtung auf historische Synonymik.

Die Verdienste Mussafias um das Rumänische seien an dieser Stelle nur kurz erwähnt. Die einzigen Sprachen, die Mussafia vernachlässigte seien das Rhätoromanische und das Sardische (Meyer-Lübke; 1905).

Resümierend schließt Mussafias Schweizer Kollege: Mussafia war mehr Philologe als Sprachforscher.

Friedrich Diez und Adolfo Mussafia

Die Verbindung zu Friedrich Diez entwickelte sich schon recht früh. „ In einem rein berichtenden Aufsatz über Diez’ kritischen Anhang zum Wörterbuch, 1859, wagt er zum Schluß, ‚der freundlichen Aufforderung Diez’ Folge leistend, ein paar Deutungen aus seiner Muttersprache’ beizubringen und übertrifft Diez“ [13] (Richter; 1932; 172) Mussafia wollte sich zunächst bei Diez ausbilden lassen. Er habe zu diesem Zweck beim zuständigen Ministerium in Wien um ein Stipendium angesucht, was ihm verweigert wurde. „Die Antwort war: kein Stipendium, aber – die außerordentliche Professur“ (Richter; 1932; 169). So wurde aus Mussafia also kein direkter Diezschüler, sondern ein Kollege. 1866 rezensierte Mussafia die „Altomanischen Glossen“ von Diez im „Literarischen Centralblatt“ von Friedrich Zarncke (1866, Nr. 3, S. 62). Zwei Jahre zuvor, lernte Adolf Mussafia Friedrich Dietz persönlich kennen. Beide trafen sich während eines kurzen Aufenthalts von Mussafia in Bonn, an den Friedrich Diez in einem Brief vom 5. November 1867 erinnert. In diesem Schreiben bittet er seinen Wiener Kollegen um die Übersendung eines Fotos zur Erinnerung an das gemeinsame Treffen. Das Treffen schien sehr stürmisch verlaufen zu sein. Zumindest legt dies die Schilderung von Elise Richter nahe: „Als Mussafia noch im Laufe der 60er Jahre sich den Wunsch erfüllte, Diez kennen zu lernen, und in seinem stürmischen Temperament auf ihn zustürzend, ihm die Hand küsste, war Diez nicht wenig erstaunt über die Jugendlichkeit des Mannes, der ihn selbst schon in manchen Punkten überholt hatte und in der ersten Reihe der Fachgenossen stand. Er hatte nach der Fülle und der Reife seiner Werke einen alten Herrn erwartet.“ (Richter; 1932; 174). Wenn auch diese Schilderung mit einiger Wahrscheinlichkeit mit dem Etikett „Anekdote“ versehen werden muss, so zeugen einige Briefe von Dietz an Mussafia, die nach dem Tode Friedrich Diez gedruckt wurden (insgesamt 4)[14], von besagter Wertschätzung. Ich habe fast den Eindruck, als sei Diez ein Meister des Understatements und wollte die eigenen Leistungen schmälern, um jene des jungen Kollegen in einem (noch) besseren Licht erscheinen zu lassen. Im bereits angedeuteten Brief aus dem Jahre 1867 gibt Diez einige wortgeschichtliche Erklärungen („insorido“, „peissar“, „rádego“ und „gajandra“) verbunden mit der Hoffnung, dass Mussafia mit seinen Erläuterungen einverstanden sei. Mussafias Urteil schien dem Bonner Gelehrten durchaus wichtig: „Ich bewahre so manche treffliche Mittheilung von Ihnen, wovon ich künftig noch, wenn es mir vergönnt ist, Gebrauch zu machen hoffe; ich meine namentlich Ihre brieflichen Bemerkungen zum 3. Theile meiner Grammatik. Mit Sehnsucht erwarte ich daher auch Ihre neue Publication.“ (Diez an Mussafia, 5. 11. 1867; Stengel; 1883; 94). Im zweiten abgedruckten Brief von Diez an Mussafia (20. 3. 1871) bedankt sich der Schreiber erneut für einige Berichtigungen bezüglich der romanischen Grammatik und hebt Mussafias Verdienste um das Rumänische hervor.[15] (Stengel, 1883; 95). Im dritten Brief (28. 8. 1871) steigert Diez die Komplimente an Mussafia noch einmal: „ Ihre Ansicht von faîte dürfen Sie uns nicht vorenthalten: alles was von Ihnen kommt, ist willkommen.“ und einige Zeilen weiter „Wohin Sie sich wenden, machen Sie neue die Wissenschaft bereichende Beobachtungen“. (Stengel, 1883; 96). Bemerkenswert ist auch die Offenheit mit der Diez über seine Arbeit schreibt: „Mit Brachet habe ich mich noch wenig beschäftigt, weil ich, die Wahrheit zu sagen, das Etymologisieren für eine Zeitlang satt habe und erst nach Abdruck des 3. Bandes der Grammatik wieder aufzunehmen denke!“ Nach dem Tode des Begründers der Romanistik im Jahre 1876 beabsichtigte der Berliner Romanist Adolf Tobler eine Diezstiftung zu gründen und sicherte sich unter anderem die Unterstützung von Adolfo Mussafia. (Storost, 1992, 5). Am 12. Dezember 1876 schreibt Tobler an Mussafia: „Beiliegend schicke ich Ihnen den Entwurf eines Aufrufes zur Gründung einer Diez-Stiftung, den ich demnächst drucken lassen und zu versenden gedenke. Haben Sie die Güte ihn möglichst bald zu lesen oder Sich vorlesen zu lassen und mir zurückzuschicken und dabei zu sagen, ob Sie mit dem Vorhaben einverstanden sind und dasselbe mit dem Gewichte Ihres Namens unterstützen wollen.“ Aus dem Brief geht hervor, dass Tobler die Gesellschaft in Berlin zentrieren wollte, was der in Graz lehrende Hugo Schuchardt (1842 – 1927), selbst Diezschüler, ablehnte (in einem Brief an Mussafia bekundigt er seine Ablehnung einer „engen“ Diezstiftung, die nur auf Deutschland bezogen sei). Mussafia selbst schwebten ebenfalls mehrere Standorte vor und die mit der Stiftung einher gehende Preisverleihung sollte turnusartig u.a. von den Akademien in Berlin und Wien verliehen werden. (Brief von Mussafia an Schuchardt vom 19. 2. 1877). Neben Tobler und Mussafia sicherte Gaston Paris seine Bereitwilligkeit zu, in Frankreich für die Stiftung zu werben. Zwei Monate später erklärte sich Tobler besorgt über das Procedere des österreichischen „Comités“. Tobler befürchtete eine autonome Vorgehensweise der Österreicher und goutierte keineswegs Schuchardts Vorgehen.

Mussafia unterstützte also –wie bereits geschrieben - das Anliegen einer internationalen Diezstiftung – musste sein Scheitern jedoch eingestehen. Er bat in der Folge Schuchardt, das aufgestellte Geld, das für eine autonome österreichische Stiftung offenbar nicht reichte, nach Berlin zu überweisen. „Wir bringen es höchstens auf 470 fl. Mit einer so kleinen Summe können wir, meiner Ansicht nach, weder eine eigene Zweigstiftung gründen, noch eine conditio qua non dem Berliner Hauptcomité gegenüber aufstellen. Meine Ansicht nun wäre: die gesammelte Summe nach Berlin zu schicken, mit einem Begleitschreiben des öst. Comité, worin das Ansuchen und die Hoffnung ausgesprochen werde, dass bei der Constiuierung der Stiftung der öster. Ak. der Wiss. Eine berathende Stimme in Bezug auf die Verwendung der Interessen gewahrt bleibe. Über die Form könnte man dann leicht einig werden.“ (Mussafia an Schuchardt 1878; Storost; 1992; 95) Aufgrund der Meinungsverschiedenheiten zwischen Tobler und Schuchardt die Diezstiftung betreffend, kam es zu einem wahren Zerwürfnis zwischen dem Berliner und dem Grazer Romanisten. Erst die Vermittlung von Gaston Paris 1890 konnte diesen Streit beilegen. (vgl. abgedruckten Brief von Tobler an Schuchardt; Storost; 1992; 97).

Mussafias Agieren in der zeitgenössischen Scientific Community

Nicht nur die Ereignisse um die schlussendliche Gründung der Diez-Stiftung an der Berliner Akademie der Wissenschaften belegen, dass Mussafia zu Lebzeiten einige Wertschätzung bei den übrigen Fachkollegen hatte. Die Sonderabdrucke, die, offensichtlich aus dem persönlichen Bestand von Mussafia stammend, in der Fachbibliothek der Romanistik in Wien erhalten geblieben sind, bezeugen dies. Persönliche Widmungen seiner Schüler, Kolleg/innen und Freunde sind dort zu finden: Enrico Sicardi, Attilo Gentille, Mario Peláez, Carlo Avogaro, Jean-Jacques Salverda de Grave, Bonvesin de la Riva (August 1901), A. Jeanroy, Arturo Farinelli, Giuseppe Vidossich, Ugo Levi, Guido Mazzoni, H. Jarník, J. J. Nunes. Wohl eine der interessantesten Widmungen ist jene von Caroline Michaëlis de Vascancelos, die 1900 ihre „Lais de Bretanha“ Mussafia als Freundschaftsgabe widmete. Der Respekt für und das Ansehen von Mussafia mögen auch, laut Richter, darauf zurückzuführen zu sein, dass er fachlich kaum Fehler beging, die Anlass zu Beanstandungen oder zur Kritik gegeben hätten. „Man griff ihn kaum je an, noch widersprach man ihm. Er bot keine Angriffsflächen.“ (Richter; 1932; 174-175). Der Einfluss Mussafias ist ebenfalls in einigen verstreuten Briefen deutlich spürbar. So schlug er zum Beispiel Schuchardt als Mitglied der K[aiserlichen] Akademie vor. Auch steht er am Ursprung der Berufung des Schweizer Romanisten Wilhelm Meyer-Lübke (er folgte Ferdinand Lotheissen) nach Wien. Mit ihm zusammen erfolgte die institutionelle Trennung in Sprach- und literaturwissenschaftliche Abteilungen. Die beiden „M’s“ bauten – wie Walter N. Mair betont – die so genannte „Wiener Romanistische Schule“[16] auf, aus der zahlreiche Romanist/innen hervorgingen – und der, um im heutigen Jargon zu sprechen das Prädikat „Weltklasse“ verliehen werden kann. Wieso diese „Wiener Romanistische Schule“, die Mair genau von 1890 – 1915 datiert (=der Verbleib von Meyer-Lübke in Wien) lässt sich nicht erklären. Schließlich wirkten Karl von Ettmayer (Schüler von Schuchardt und Meyer-Lübke), sowie Elise Richter (Schülerin von Mussafia und Meyer-Lübke mit Affinitäten zu Karl Vossler und Hugo Schuchardt) bis 1938 in Wien weiter. Neben dem Standort Wien als Metropole der k. u k. Monarchie sind auch die fachliche Ausrichtung und Arbeitsstile zu nennen. Mussafia, der die damalige traditionelle Romanistik abdeckte und der sich durch äußerste „Filigranarbeit“ (Meyer-Lübke) – sprich durch Präzision und Genauigkeit auszeichnete, und Meyer-Lübke, der vor allem die vergleichende Methoden der Indogermanistik auf die romanischen Sprachen applizierte und in seinem Verständnis natürlich ein Positivist war, der auf einer überwältigenden Materialfülle aufbaute.[17] Aus institutionsgeschichtlicher Perspektive sei noch erwähnt, dass die Wiener Romanistik, das einzige Institut der Monarchie war, das mit zwei offiziellen Ordinarien ausgestattet wurde. Dieser Aufbau einer „Wiener Romanistischen Schule“ und Mussafias Stellung in der Akademie der Wissenschaften sicherte auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts Einfluss. Ein Brief des Straßburger Romanisten Gustav Gröber an Mussafias Nachfolger in Wien Phillip August Becker deutet sehr stark in diese Richtung, auch wenn Mussafias „Mitwirken“ nicht explizit erwähnt wird. Gröber schreibt: „inzwischen hat die Wiener Akademie auf meine Decimalfeier noch ihr Siegel gedrückt dadurch, daß sie mich, wie mir Mussafia schreibt, an G[aston] Paris’ Stelle unter ihre Mitglieder aufnahm, war mir als eine besondere Ehre gelten muß.“ (Brief vom 29. 5. 1904).

Die eigene Karriere betreffend, schien Mussafia überaus zurückhaltend, ja bescheiden zu sein –vielleicht waren es aber sehr gute Bedingungen, die Mussafia in Wien hielten. Zwei Berufungen lehnte er mit Rücksicht auf die Kollegen ab. Einerseits nach Florenz, andererseits nach Straßburg. (Richter; 1932; 180). Erst 1878 – aufgrund der Erschwerung der Arbeit durch jahrelange Krankheit – wollte Mussafia mit Hugo Schuchardt tauschen. Schuchardt sollte in Wien seinen Platz einnehmen, während er selbst nach Graz wechseln wollte. Elise Richter berichtet in ihrem Nachruf auf Hugo Schuchardt gewohnt anekdotenhaft: „ Nicht nur die Wahlheimat umfaßte er [=Schuchardt: Anm. the] mit warmer Liebe, auch innerhalb Österreichs gab es keine Ortsveränderungen mehr für ihn. Als Mussafia, damals kränker als in späteren Jahren, ihm 1878 vorschlägt, mit ihm zu tauschen, lehnt er es unbedenklich ab, obzwar er von Wien entzückt ist. Eben deshalb. Man hätte halb soviel Zeit und dafür die doppelte Verpflichtung im Amt. Dazu reichten seine Kräfte nicht.“ (Elise Richter; 1928)

Ferner war Mussafia bei zahlreichen Publikationen als Co-Produzent sehr bedeutsam. Durch die Zusammenarbeit mit Gelehrten (einige würden von „Zuarbeiten“ sprechen), konnten z.B. Handschriften relativ leicht herausgebracht werden. Als Beispiel einer solchen Koproduktion möchte ich aus dem „Vorläufigen Vorwort zum ersten Theile“ der „Altfranzösischen Prosalegenende aus Hs. Der Pariser Nationalbibliothek“ zitieren, die Mussafia zusammen mit Theodor Gartner[18] (1843 – 1925) 1895 in Wien mit Unterstützung der Wiener Akademie der Wissenschaften herausgab: „Gedruckt wurde bisher nur Christoph, durch Mussafia in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie 1893. Eine vollständige Ausgabe schien deshalb gerathen, vor allem des sprachlichen Interesses wegen, dann als Probe dieser in Frankreich so üppigen Übersetzungsliteratur. […] Die Abschrift ist von Gartner genommen worden, dem es auch möglich war, die Druckproben mit der Hs. zu collationieren. Er hat auch die Varianten aus B gesammelt. Die Einrichtung des Druckes und die Anmerkungen hat Mussafia besorgt.“ (Gartner, Mussafia, 1895)

Im selben Jahr wurde ihm – anlässlich seines 60. Geburtstags – eine Tabula Gratulatoria mit gezählten 486 Eintragungen überreicht. Die Liste umfasst Namen von Persönlichkeiten aus ganz Europa und sogar aus den U.S.A. Es befinden sich viele bekannte Namen der damaligen Romanistik, sowie aus anderen Fachbereichen darauf.[19].

1901 wird ihm vom offiziellen Österreich eine weitere Ehre zu Teil. Mussafia wird Mitglied des so genannten Herrenhauses, das – sehr vereinfacht gesagt - mit dem heutigen Haus of Lords im britischen Parlament vergleichbar ist. Die Mitglieder wurden nicht gewählt, sondern berufen. Sitz und Stimme im Herrenhaus hatte der Adel, der hohe Klerus und Männer, die sich um den Staat in Wissenschaft oder Kunst verdient machten. Der Ge(l)ehrte schloss sich dem so genannten „Mittelblock“ unter der Führung des Fürsten von Schönburg an und hielt eine einzige Rede (29. Mai 1902) im Sinne einer italienischen Universität in Triest - für die er sicherlich auch beim damaligen Unterrichtsminister und Kollegen Wilhelm von Hartel (1839-1907) intervenierte. (Richter; 1932; 181). Auf dem Hintergrund des Sprachenstreites musste ein solches Anliegen unumgesetzt bleiben.[20] Mussafia, durch langjährige Krankheit gekennzeichnet, suchte kurz danach um seine Pensionierung an. Diese wurde ihm nicht bewilligt – man wolle nicht auf Mussafia als aktives Mitglied der philosophischen Fakultät verzichten, ganz unabhängig davon ob er Vorlesungen abhalte oder nicht. (Richter; 1932; 182).

1904 widmete Elise Richter ihre Habilitationsschrift „Ab im Romanischen“ ihren beiden Lehrern Mussafia und Meyer-Lübke. Die Festschrift „Bausteine zur romanischen Philologie“ erschien zehn Jahre nach der Tabula und bestätigt die hervorragende Stellung des Geehrten in der damaligen Romanistik[21]. Sie enthält auch eine Bibliografie der Werke, die Elise Richter, im Auftrag von Meyer-Lübke, besorgte und die den Band einleitet. Ferner verfasste Hugo Schuchardt im selben Jahr 1905 ein Folioalbum „An Mussafia“[22]. Ebenso ist eine 240-seitige Gedenkschrift „Ad Adolfo Mussafia“, die in seiner Heimatstadt bereits im Jahre 1904 veröffentlicht wurde, erhalten. Weitere Auszeichnungen, die seinen Stellenwert unterstreichen: Das Österreichische Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft und der preußische Orden „pour le mérite“.

Den Tod von Mussafia wird von Elise Richter beschrieben. Gleichzeitig wirken diese Zeilen aus der „Summe des Lebens“ wie eine Art Nachruf. „1905 verloren wir den teuern Freund Mussafia, der1891 in unser Leben getreten und einen so breiten Raum darin einzunehmen bestimmt war. Wir wurden an sein Sterbebett nach Florenz gerufen, fanden ihn aber nicht mehr bei Bewusstsein. Wie saßen noch sechsunddreißig Stunden an seinem Lager. Da erhellten sich die Züge des schwer Röchelnden. Er lächelte fast, als ob er uns erkennte. Aber es war zu Ende. Der Kreis seiner Florentiner Freunde, Pio Rajna an der Spitze, umgab auch uns mit rührender Herzlichkeit. Er und ein junger Verehrer Mussafias, Mittelschulprofessor Papa, begleiteten mit uns die Leiche, nach prunkvoller Feierlichkeit in der Kirche, hinauf zur Einäscherungshalle nach Trebbiano. Am nächsten Morgen wohnten wir der Einäscherung bei, und während die Flamme ihr Reinigungswerk übte, saßen wie in weihevollstem Gedenken mit Papa auf dem Rasenhang unter Zypressen, vor uns das bezaubernde Tal von Florenz in der Tiefe. Die Asche nahmen wir mit, und die Urne stand, immer mit frischen Blumen belegt, ein Jahr im Bücherkasten, bis die schwer zu behandelnde Witwe sich überlegte, daß sie sie doch lieber nicht in Wien beisetzen, sondern nach Florenz zurückbringen wolle. Dort wurde sie dann in einem überaus geschmacklosen Grabmal zur Ruhe gebracht.“ (SdL, 1997; 65)

Nicht zuletzt die zahlreichen Nachrufe seiner Kollegen und Schüler/innen sind ein Beleg für die zentrale Stellung des vor 100 Jahren verstorbenen Professors. Die Nachrufe von Meyer-Lübke und den für diesen Beitrag besonders relevanten Erinnerungsartikel von Elise Richter wurden bereits erwähnt. Auf jenen von Paul Meyer in der Zeitschrift „Romania“ sei noch einmal eigens hingewiesen. Edgardo Maddalena veröffentlichte seinen „Discorso commemorativo“ 1906.

Mussafia als Universitätslehrer

Ein genaueres Bild des Universitätsprofessor und Fachkollegen Mussafia erschließt sich aus vielen Briefen und Einzeldarstellungen. Wie bereits betont, verdanken wir Elise Richter die persönlichsten Darstellungen, u.a. des „Lehrers“ Mussafia. So zögerte Mussafia lange Zeit die befreundete Schülerin mit Fragen zu „belästigen“. Er wollte den Eindruck vermeiden, dass er Elise Richter bevorzuge. Erst ihre Erfolge bei Meyer-Lübke veranlassten ihn dazu, die Betreuung von Elise Richter zu intensivieren. (SdL; 1997; 104).[23] Vielleicht hatte der eigene Status eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die eigene Art und Weise des Umgangs mit seiner Schülerin. Er selbst war Professor an der Universität ohne akademische Ausbildung und Elise Richter stand nicht nur durch ihr Geschlecht, sondern auch durch ihr Alter (sie begann ihr Studium mit 32), aber auch durch ihre Brillanz in einer Außenseiterinnenposition bei vielen Kollegen.

Überhaupt war Mussafia ein sehr ungewöhnlicher Lehrer. Noch einmal Elise Richter im Rückblick: „Als ich Mussafia, der seinerzeit eine maßgebende Arbeit über Rumänisch verfasst hatte, nach einem sonst in Wien nicht vorhandenen Buch fragte, öffnete er einen Kasten und hieß mich alles heraus- und forttragen, unter der einzigen Bedingung, den ihm unnützen Kram nie wieder zu bringen. Darunter waren für mich sehr wertvolle Schätze.“ (Richter; 1997; 147) Aber auch Wilhelm Meyer-Lübke ließ es sich nicht nehmen seinen Kollegen als Lehrer zu charakterisieren: „Als Lehrer zeichnete sich Mussafia durch große Klarheit aus, so dass auch die Anfänger ihm leicht folgen konnten. Er hing mit ganzer Seele an seinen Kollegien; oft waren sie ihm in den Tagen größter physischer Leiden die einzigen Stunden der Erholung: wenn er von Schmerzen gepeinigt, müde und elend sich zur Universität fahren ließ; so erschien er, so wie er auf dem Katheder zu sprechen anfing, wie ausgewechselt; die Lebhafigkeit seines Vortrages hätte einen jungen, in vollster Gesundheit strotzenden Mann erwarten lassen.“ (Meyer-Lübke; 1905).[24]

Elise Richter ist wohl nicht die bekannteste, wohl aber einer der treuesten Schüler/innen von Adolfo Mussafia gewesen. Obwohl oder gerade wegen des freundschaftlichen Naheverhältnisses schmälert Elise Richter in ihrer Autobiografie „Summe des Lebens“ den Stellenwert Mussafias. „Im ganzen war ich mehr Meyer-Lübke-Schülerin als Mussafia-Schülerin. Mussafia hat eigentlich nie Schule gemacht, aber eine Reihe von Kenntnissen und von Grundsätzen habe ich nur von ihm, und als er verschied, war der Schmerz um den Lehrer nicht geringer als der um den Freund. Er selbst pochte darauf. ‚Die Elise hat mich gut gern’, sagte er einmal, ‚nicht nur als Freund, sondern vor allem als Lehrer.’“ (Richter; 1997; 130).

Mussafia war jedoch nicht nur ein freundschaftlicher Lehrer für Elise Richter, sondern auch ein Lehrer mit didaktischem Weitblick. Die Schaffung einer eigenen Seminarbibliothek erscheint heute eine Selbstverständlichkeit. Mussafia sah, dass es den „Zöglingen“, wie er sich ausdrückte, an Büchern und allgemeinen Mitteln fehlte und setzte sich daher für den Aufbau einer Seminarbibliothek ein, die er nicht nur gründete, sondern bis zu seinem Weggang 1904 betreute. (Aldouri-Lauber; 2002; 22)

Mussafias Bedeutung für die Romanistik des XX. Jahrhunderts

Die sehr „bescheidene“ Einschätzung von Elise Richter mag in gewisser Weise berechtigt sein. Der Name Adolfo Mussafia ist weitaus weniger ein Allgemeingut in der Romanistik, wie etwa jener von Friedrich Diez oder wie der Name des „Exzentrikers“ Hugo Schuchardt. Vielleicht ist der Hinweis, dass „ Mussafia nie Schule gemacht hat“ auch so zu verstehen, dass trotz der unbestrittenen Pionierleistung im institutionellen Bereich, er, wissenschaftstheoretisch gesprochen, bereits zu einem „auslaufenden Modell“ wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens gehörte, der zwar sehr wohl Grundlagen schuf, ohne jedoch den Anspruch der großen Neuerung zu erheben. Diesen Zwiespalt stellt Richter treffend dar, wenn sie meint: „ Mussafia hatte den größten Widerwillen vor dem Betreten begangener Pfade.[…] Er mochte nicht nur immer auf neuen Wegen gehen, er wollte auch keine Weggenossen. Wurde es auf einem Arbeitsfelde gar zu lebhaft so blieb er weg. Dies war mit ein Grund – nicht nur die alte Vorliebe -, dass er sich schließlich ganz auf die Textkritik zurückzog. Als er begann, war ein großer Teil der Romanistik Neuland. “ (Richter, 1932; 178). Tatsächlich ging er, ab einem bestimmten Zeitpunkt, nicht mehr mit den Neuerungen mit und verabsäumte es theoretische Überblickswerke zu schreiben. So in etwa stellt es Elise Richter 25 Jahre nach dem Ableben des romanistischen Pioniers dar. Einer ähnlichen Argumentation folgt Peter Wunderli in seinem Beitrag für das „Lexikon der Romanischen Linguistik“ (LRL), indem auch die Entstehung der Romanistik beschrieben wird. Wunderli zeichnet in seinem Aufsatz, der genau die Spanne zwischen Friedrich Diez und den Junggrammatikern (also sehr grob gesprochen: die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts) behandelt, mehrere Kurzbiografien von bekannten Romanisten. Mussafia wird nicht angeführt. Die Kollegen Diez, Gilliéron, Ascoli, Schuchardt und Paris befinden sich sehr wohl auf der Liste. Wunderli erklärt seine Selektion damit, dass er sich bewusst für die „revolutionären“ Kräfte im Sinne von Thomas S. Kuhns Paradigmenwechseltheorie entschied. Zwangsläufig wurden die evolutionären Geister wie Adolf Tobler aus Berlin und Paul Meyer in Paris nicht berücksichtigt – und ebenso wenig Mussafia. Diese Einschätzung basiert im Grunde auf jener von Wilhelm Meyer-Lübke: „Wenn Friedrich Diez der ruhmreiche Begründer der romanischen Philologie ist, so sind Adolf Mussafia und sein nur wenige Monate jüngerer Kollege an der Berliner Universität Adolf Tobler die Männer, die in ruhig fester Art unzerstörbare Fundamente gelegt haben, auf denen wir Jüngere alle weiterbauen können.“ (Meyer-Lübke; 1905). Auch die Bibliografie von Wunderli scheint Meyer-Lübke zu folgen, zählt sie nur einen Titel von Mussafia (die bereits erwähnten „Beiträge zur Kunde der norditalienischen Mundarten im XV. Jahrhundert, 187§[25] in den Denkschriften der Wiener Akademie der Wissenschaften publiziert). Walter N. Mair spricht hingegen von einer „Mussafia-Schule“, wenn er ebenso wie Richter nicht von einer „wissenschaftlichen Schule im strengen Sinn“ sprechen möchte (Mair; 2003; 263, 264). Tatsächlich habilitierten sich eine Reihe von Studenten bei Mussafia und führten seine Arbeiten mehr oder weniger weiter. Mair nennt Wendelin Foerster (1844 – 1915), der Friedrich Diez 1876 in Bonn „beerbte“ und dessen Namen im Zusammenhang mit der Herausgabe von Chrétien de Troyes zu nennen ist. Weiters den Innsbrucker „Wolfram von Zingerle (1854-1912), ein Kenner des späten höfischen Romans“, Antonio Ive (1851 – 1937), Matthias Friedwagner (1861 – 1940) der in Czernowitz und in Frankfurt lehrte. Einer der ersten Schüler von Mussafia war Johann Urban Jarník (1848 – 1923), dessen Hauptinteresse das Rumänische war.

Heutige Spuren von Mussafia

Die Spuren, die Mussafia hinterließ, können vielfältiger nicht sein. Einerseits gibt es die biografischen Spuren, wie etwa die im Arkadenhof der Universität Wien aufgestellte Büste - entworfen von Caspar von Zumbusch (1830 -1915) -, die von Lorenzo Renzi[26] anlässlich des 60. Todestages herausgegebenen Briefe von Mussafia an Elise und Helene Richter, verstreute Briefe in anderen Romanistennachlässen, sowie die Autobiografie von Elise Richter in der sich, wie anhand der zahlreichen Zitate ersichtlich, viele persönliche Erinnerungen an ihren Lehrer wieder finden. Weiters finden wir das italienische Sprach- und Lehrbuch „Der neue Mussafia“ herausgegeben im Wilhelm Braumüller Verlag in Wien und das bereits erwähnte Tobler-Mussafia-Gesetz. Auch auf der Institutsbibliothek des Wiener Instituts für Romanistik sind die bereits erwähnten Sonderabdrucke mit persönlicher Widmung an den Kollegen und Lehrer frei zugänglich. Ein „Denkmal“ – so behaftet der Begriff auch sein mag – ganz anderer Art setzte ihm die Wiener Autorin und promovierte Romanistin Marie-Thérèse Kerschbaumer in „Der weibliche Name des Widerstands. Sieben Berichte“. In ihrer „Erinnerung“ an Elise und Helene Richter gedenkt sie ebenfalls Mussafia. „Dann muß das Ende kommen, aber du hast noch gar nicht begonnen. Dalmatien? Wegen der stark gegliederten Küstenstreifen, wegen des Adriatischen Meers, wegen der sich küstenparallel dahinziehenden Inseln. Wegen des Wechsels von dynaridisch streifenden Kalkrippen und stellenweise versumpften Flyschstreifen, wegen der Seebäder, wegen des Fremdenverkehrs, wegen Spalato, ach ja, wegen Split.

Am Anfang schickte der Rabbiner von Spalato seinen Sohn Adolfo zum Studium der Medizin in die Hauptstadt. Sein Name war Giovanni Amadeo. Sein Sohn war gerade achtzehn und er sollte der erste italienische Philologe und der erste italienische Linguist werden, denn ich vergaß zu sagen, 1809-1813 war noch die napoleonische Angliederung an Italien, und obwohl Split endgültig zu Österreich gehörte, gehörte es mit Dubrovik und einem Teil Albaniens zum Königreich, na eben, Dalmatien.

Am Anfang schickte ein Rabbiner aus Split seinen Sohn zum Studium der Medizin in die Hauptstadt im Norden. Am Ende sitzen zwei Schwestern im Zug nach Theresienstadt und erzählen eine Geschichte.“ (Kerschbaumer; 1982; 23).

Eine Via Adolfo Mussafia gibt es im Süden von Rom, an der Peripherie.

Thierry Elsen, Wien

Bibiografie:

- Festgabe zum 60. Geburtstag von Adolf Mussafia. 15. Februar 1895. Carl Fromme Wien.

- Hausmann, Frank-Rutger. ‚Vom Studel der Ereignisse verschlungen’. Deutsche Romanistik im ‚Dritten Reich’. Analecta Romanica. Heft 61. Vittorio Klostermann Frankfurt am Main, 2000.

- Hinzelin, Marc-Olivier: Die Stellung der Objektpronomina in frühen okzitanischen und katalanischen Texten im Vergleich. In: Zeitschrift für Katalanistik 17(2004).

- Homeyer, Gerda: Beiträge zur Geschichte der deutschen Romanistik. Unveröffentlichte Korrespondenz zwischen Alfred Bassermann, Adolf Gaspary, Adolf Tobler, Gustav Körting, Hugo Schuchardt u.a. mit Bonaventura Zumbini. Haag + Herchen Frankfurt am Main; 1989.

- Kerschbaumer, Marie-Thérèse: Der weibliche Name des Widerstands. DTV, 1982.

- Meyer-Lübke, Wilhelm: Adolf Mussafia. In: Wiener Zeitung, 11. Juni 1905; Seite 8.

- Meyer Paul: [Nachruf auf Adolfo Mussafia] in: Romania. Hrgb: Meyer / Thomas. 1905

- Richter, Elise: Adolf Mussafia. Zur 25. Wiederkehr seines Todestages. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur. Band 55. Hrgb: Gamillscheg/Winkler. Wilhelm Gronau, Jena 1932.

- Richter, Elise: Hugo Schuchardt 1843-1927. In: Archiv für das Studium der neuere Sprachen und Literaturen. Hrgb: Schultz-Gora und Brandl. Band 54 der neuen Serie. Westermann, 1928. Online unter: http://osa.uni-graz.at/data/wuerd_nach/richter_gesamt.pdf

- Richter, Elise: Summe des Lebens. Hrgb: Verband der Akademikerinnen Österreichs. WUV, 1997.

- Stengel, Edmund.: Erinnerungsworte an Friedrich Diez. Elwert’sche Verlags-Buchhandlung Marburg, 1883.

- Vidos, B. E. : Handbuch der romanischen Sprachwissenschaft. Max Hüber Verlag, 1975.

- Wunderli, Peter: Romanische Philologie von Diez bis zu den Junggrammatikern. In: Lexikon der Romanistischen Linguistik. Hrbg: Holtus, Metzeltin, Schmitt, Niemeyer Tübingen, 2001.

- Wurzbach, Constantin von: Biografisches Lexikon des Kaisertums Österreich. Band 19; 1868.

[...]


[1] Der Titel des Beitrages lehnt sich ganz bewusst an jenen von Elise Richter vor 75 Jahren an, zumal sie einer der Wenigen war, die überaus lebendige Zeugnisse von und über Mussafia hinterließ. Meine Beschäftigung mit Adolf Mussafia erwächst jener mit Elise Richter und der Beschäftigung mit Adolf Mussafia erwächst ein allgemeines Interesse an der Wissenschaftsgeschichte des Romanistik in Wien und darüber hinaus der philosophischen Fakultät. Oder um es mit Elise Richter zu formulieren: „Wie das Leben eines Gelehrten auch ein Stück Geschichte der Wissenschaft, spiegelt das Leben eines Altösterreichers ein Stück Geschichte von Österreich.“ (Richter; 1932; 179). Das Grundgerüst dieses Beitrages verdanke ich den Schilderungen von Elise Richter, die ihr Beitrag hin und wieder ins Anekdotenhafte abweichen ließ. Eine Ausschmückung oder Übertreibung will ich der an und für sich genauen Wissenschaftlerin nicht unterstellen. Wer die (auto)biografischen Schriften von Elise Richter kennt, weiß, dass sie einen starken Hang zur Zurückhaltung, oder wie F.-K. Hausmann meint zur „Sublimierung“ hatte. (Hausmann; 2000; 290)

[2] Die Quellen sind unterschiedlich: Im „Wurzbach“ finden wir die Anzahl „vier“, in Richters Nachruf die Anzahl „sechs“. Meyer-Lübke verweist ebenfalls auf „vier Semester“ Medizinstudium.

[3] Miklosich gilt als Begründer der Slawistik. 1850-86 Universitätsprofessor in Wien, Mitglied des Herrenhauses. Erschloss auch das Rumänische, das Albanische und die Roma-Sprache; schuf vorbildliche lexikographische Werke. (www.aeiou.at)

[4] Revista Ginnasiale II, S. 753 ff. 1855 zitiert nach Richter; 1932. Richter kommentiert die Arbeit von ihrem Lehrer knapp und präzise: „Weiter Gesichtskreis, Sachkenntnis, feines Sprachgefühl, zurückhaltenden Bescheidenheit. Die kleine Untersuchung kann heute so gut bestehen wie vor 80 Jahren.“ (Richter; 1932; 171). Vielleicht ist es mehr als nur ein Zufall, dass die erste Seminararbeit von Elise Richter im Jahre 1898 ebenfalls über „Städtenamen“ verfasst wurde – allerdings diesmal Städtenamen im Französischen. Das Manuskript dieser Arbeit ist noch im Bestand von Elise Richter an der Wiener Stadt- und Landesbibliothek erhalten geblieben. (Richter, Elise: Zur Specialisierung allgemeiner Ortsbezeichnungen - Wien, 1898.02.. - 39 Bl., Ms. H.I.N. 231938)

[5] Mussafia widmete Ferdinand Wolf einen Zeitungsartikel in der Wiener Zeitung mit dem Titel „Zur Erinnerung an Ferdinand Wolf“. Er erstellte ebenfalls eine Bibliographie mit 117 Nummern. Interessant ist im Zusammenhang mit Wolf, dass er angeblich der einzige Romanist war, der in der Frühzeit der Romanistik erkannte, dass es in Brasilien eine eigenständige Entwicklung der Literatur gegeben habe. Diese Information stammt von Dietrich Briesemeister (http://brasilianistik.de/STUDIEN/studien.htm). Elise Richter erklärt, dass das Ministerium nicht Wolf, sondern Mussafia mit einer Kanzel ausstattete, mit dem Umstand, dass Wolf „ in seiner scheuen Zurückhaltung zum Lehramt ganz unbefähigt“ gewesen sein soll. (Richter; 1932; 170). Sowohl Richter als auch Meyer-Lünke meinen, dass Wolf und Mussafia sich durch ihre jeweilige Stellung an der Hofbibliothek gekannt und schätzen gelernt haben dürften, sie jedoch beide verschiedenen Forschungsgegenständen nachgegangen seien.

[6] Auch hier gibt es Unstimmigkeiten in der Angabe. Meyer-Lübke schreibt in seinem Nachruf auf Mussafia, dass dieser bereits 1865 (nebenbei bemerkt ist 1865 das Geburtsjahr von Elise Richter) die ordentliche Professur erhielt.

[7] Den Umstand, dass Mussafia weder ein ordentliches, noch ein außerordentliches Studium absolvierte, hebt der langjährige Kollege und Ordinarius Wilhelm Meyer-Lübke besonders hervor: “Ohne je also eine philosophische Vorlesung belegt zu haben, ohne in irgend welcher Weise der Schulung theilhaftig geworden zu sein, die so manche als die unumgängliche Vorbedingung für eigene Leistungen betrachten, erscheint der junge Italiener als der erste und sofort als ein bedeutender Vertreter einer Wissenschaft, die bisher als solche auch in Deutschland fast unbekannt war.“ (Meyer-Lübke; 1905; 8). Auch für Elise Richter scheint die Tatsache, dass Mussafia den klassischen akademischen Weg nie beschritten hatte, einer besonderen Rechtfertigung würdig: „In Wahrheit hatte Mussafia also nicht nur bereits hervorragende Befähigung zum Lehrfach bewiesen, sondern er konnte auch schon auf eine Reihe von Arbeiten zurücksehen, die nach der heutigen Ausdrucksweise genommen, eine durchschnittliche Dissertations- und Habilitationsschrift tatsächlich bei weitem übertrafen.“ (Richter; 1932; 172). Um die Geschichte ein wenig weiter zu vertiefen: Elise Richters Schwester, die Anglistin, Theaterkritikerin- und Wissenschaftlerin Helene Richter (1861-1942), verfolgte ihre Studien und wissenschaftliche Arbeit ebenfalls ohne akademische Ausbildung. Sie wurde 1931 mit zwei Ehrendoktoraten bedacht – die genauso als universitärer Legitimationsversuch der „freien“ Wissenschaftlerin gesehen werden können. All diese Ausführungen zeigen, dass nicht nur die Qualität der geleisteten Arbeit, sondern auch der akademische Rang in der Bewertung wissenschaftlicher Leistung eine Rolle zu spielen schien/scheint. Nicht zuletzt erhielt Mussafia das Ehrendoktorat, um als Rigorosenprüfer fungieren zu können. „ Da es nicht gut anging, jemanden zum Rigorosenprüfer zu bestellen, der selbst kein Doktorat besaß, schlug das philosophische Doktorenkollegium der Universität vor (20. Mai 1869), Mussafia das Doktorat zuzuerkennen. (Richter; 1932; 180).

[8] Aus dem Personalakt von Adolf Mussafia im Universitätsarchiv der Universität Wien können wir entnehmen, dass mit der außerordentlichen Professor eine Remuneration von 600 fl. zudem 60 fl. Wohngeld jährlich verbunden war. Diese wurden von der k. k. niederösterreichischen Statthalterei beglichen. Für die Unterrichtung von Lehramtskandidaten in italienischer Sprache und Literatur während der Monate Oktober und November 1860 erhielt Mussafia zusätzliche 100 fl.. Vor seiner ao. Professor war die Arbeit als Lehrer nicht besoldet. Im Gegenzug wurde Mussafia verpflichtet 5 Stunden in der Woche dem Vortrag zu widmen. Die Vorlesungen sollten sich einerseits auf die Studierenden sämtlicher Fakultäten beziehen, andererseits speziell für Lehramtskandidaten in Italienisch ausgerichtet sein. Französisch wurde erst 1868 Pflichtfach an Realschulen (Elise Richter; 1932; 173). Das Dekret verweist auch auf den Umstand, dass Mussafia sich allen Gebieten des Faches zu widmen hatte. Sein Engagement in allen Sprachen der Romania war also in der Lehrverpflichtung enthalten. („ dass er den Interessen des umfangreichen wissenschaftlichen Gebietes, das er zu vertreten hat, in jeder Beziehung zu berücksichtigen, und zu fördern bemüht sein wird“ Personalakt Mussafia: 16210/635). Im Zuge der Ernennung zum ordentlichen Professor, musste Mussafia Gehaltseinbußen von 70 fl. hinnehmen. Der damalige Dekan [Lott] verwendete sich im Sinne von Mussafia und unterstützte dessen Antrag auf Abwendung der „Schädigung“, wie es im Antrag heißt. (Personalakt von Adolfo Mussafia). Interessant ist bezüglich des Personalaktes, dass im Wesentlichen die Akten um die außerordentliche Professur und die damit verbundenen finanzielle Angelegenheiten zusammen in einer Mappe liegen.

[9] Diese Enzyklopädie wurde 1883 von Kronprinz Rudolf angeregt und enthält auch eigene Beiträge des Kronprinzen. Sie umfasst 24 Bände mit 12.596 Textseiten, 4529 Illustrationen und 587 Beiträgen, die von 432 Mitarbeitern verfasst wurden. Das Werk, das sowohl in Deutsch als auch in Ungarisch erschien, bildet eine umfassende Darstellung der gesamten österreichisch-ungarischen Monarchie mit allen Kronländern und Völkern. Am 1. 12. 1885 erschien die 1. Lieferung, die letzte am 1.6. 1902. (Quelle: www.aeiou.at). Christiane Zintzen gab 1999 eine Neuedition der Enzyklopädie im Böhlau-Verlag heraus. Allerdings berücksichtigte sie bei ihrer Auswahl den Artikel von Mussafia nicht.

[10] „Mluvnice jazyka vlaskeho“. Grammatik der italienischen Sprache. Nach der 16.Auflage von Adolph Mussafia übersetzt von Johann Herzer, Prag, Storch 1885.

[11] Eigentlich Marie-Paul-Hyacinthe Meyer (1840 -1917),in Paris geboren. Schüler der Ecole des Chartes. Seit 1863 in der Handschriftenabteilung der Französischen Nationalbibliothek. 1876 Professur für Sprache und Literatur am Collège de France. 1872 Gründung der “Romania”. Gründete ebenfalls die Revue critique. Paul Meyer begann mit Studien zur provenzalischen Literatur und entwickelte sich dann zu einem der maßgebenden Romanisten seiner Zeit – besonders die französische Sprache betreffend (www.answers.com).

[12] Dieses Buch rezensierte die knapp 16jährige Karoline Michaëlis de Vascancelos, was ihren Eintritt in die Romanistik bedeutete. Erschienen in „Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen, 1867) http://www.instituto-camoes.pt/cvc/hlp/biografias/cmvasconcelos.html

[13] Elise Richter gibt die Quellen der betreffenden Arbeiten von Mussafia an: Wiener Zeitung Nr. 326 und 327.

[14] Der Herausgeber der Briefe E. Stengel verweist darauf, dass er nicht mehr Briefe erhalten habe, da Mussafia einige an Autografenliebhaber verschenkt habe. Insgesamt dürften die Briefe von und an Mussafia sehr verstreut sein. Eine kurze Abfrage über www.malvine.org ergab 21 Einträge. Davon 1 Brief von Mussafia an Friedrich Diez in Bonn.

[15] Wolfgang N. Mair bestätigt diese Verdienste von Mussafia und erwähnt in diesem Zusammenhang die Schrift von Mussafia „Zur rumänischen Vokalisierung“ aus dem Jahre 1869. Ferner bestätigt Mair, dass Diez das Rumänische vernachlässigt habe. (Mair; 2003; 265)

[16] Aldouri-Lauber schreibt, dass die Zeit seit Meyer-Lübke und Mussafia als „die Blütezeit der Wiener Romanistik “ bezeichnet wird. (Aldouri-Lauber; 2002; 23)

[17] Oder wie Hans-Ingo Radatz anhand Meyer-Lübkes späterem Werk schreibt „Über das Katalanische“: „die Methode(n), die Meyer-Lübke in Das Katalanische anwendet; es wird darin deutlich, daß eine einseitige Festlegung Meyer-Lübkes auf positivistische, junggrammatische Faktenhuberei dem großen Schweizer Romanisten nicht gerecht wird. Weit entfernt davon, ein methodologischer Revolutionär zu sein, stand er Neuerungen seiner Zeit wie der Sprachgeographie, der Raumlinguistik und der Bewegung „Wörter und Sachen“ doch aufgeschlossen gegenüber und integrierte deren Methoden bruchlos in seine Argumentation, wenn die Sache ihm dies zu gebieten schien“ (Zeitschrift für Katalanistik, 12 (1999)). Eine der weitgehendsten Darstellungen zur Arbeit von Wilhelm Meyer-Lübke liefert Yakov Malkiel mit „Die sechs Synthesen im Werke Wilhelm Meyer-Lübkes“. Verlag. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1989.

[18] Der Wiener Theodor Gartner gilt neben G. I. Ascoli als Begründer der Rätoromanistik (Ladinisch). Er bekleidete ab 1899 den in Innsbruck neu geschaffenen Lehrstuhl für Romanistik bis 1913 (www.aeiou.at).

[19] Unter anderem befinden sich auch die Namen von Helene und Elise Richter auf der Liste. Das Bemerkenswerte daran: Elise Richter begann ihr Studium erst zwei Jahre später. Dies kann als weiterer Beleg für die tiefe Freundschaft zwischen Mussafia und den Richter-Schwestern gewertet werden. Weitere Namen auf der Liste: Die Fachkollegen Benedetto Croce, Wilhelm Meyer-Lübke, Caroline Michaëlis de Vascancelos, Adolf Tobler, Theodor Gartner, Gustav Gröber, Hugo Schuchardt, Gaston Paris, uvm., die Germanisten Hermann Paul, August Sauer und Theodor Siebs, der Verleger Gustav Langenscheidt, der Schriftsteller Paul Heyse, Alfred von Arneth (Direktor der Akademie der Wissenschaften in Wien), der klassische Philologe und spätere Unterrichtsminister Wilhelm von Hartel.

[20] Selbst Mussafia blieb von der irredentistischen Bewegung nicht verschont. Maddalena ließ die Festschrift für Mussafia mit einem italienischen Titel drucken, was jedoch von Meyer-Lübke verhindert wurde (Richter; 1997; 183). Auch war Mussafia genötigt seine Vorlesungen in Deutsch zu halten; selbst im Rahmen der Vermittlung von italienischer Literatur musste er auf seine Muttersprache verzichten.

[21] Beiträger/innen zu dieser Festschrift sind u.a. Elise Richter, Karl von Ettmayer, Alexander von Weilen, Wilhelm Meyer-Lübke, Matthias Friedwagner, Edgardo Maddalena, Oskar Schulz-Gora u.a.m.

[22] „Schuchardt, der seine prächtige Studie vorbereitete, bat mich um biographische Auskünfte.“ (Richter; 1997; 183). Dies zeigt, umso mehr, dass Elise Richter sehr wohl als Mussafia-Schülerin anerkannt war.

[23] Diese Vermutung äußert F.-R. Hausmann in seinem Beitrag zu Elise Richter bestätigt . „Er [=Mussafia: Anm: the] sympathisierte aufgrund seiner unkonventionellen Ausbildung sehr mit Elise Richter, förderte sie, wo er konnte, lehnte es aber ab, ihre wissenschaftlichen Arbeiten zu betreuen oder sie in sein Hauptseminar aufzunehmen: das wäre ihm wie Protektionismus vorgekommen.“ (Hausmann; 2000; 291)

[24] Dieses Zitat könnte man/frau als neidvolle Anerkennung lesen: Meyer-Lübke, obwohl eine Art Star am Katheder mit übervollen Vorlesungen, hatte angeblich einen sehr schlechten Vortrag und seine Handschrift war – dies zeigen sowohl die Protokolle, die er als Dekan führte, als auch die Briefe an Elise Richter, alles andere als leicht lesbar.

[25] Das Erscheinungsjahr wird von Meyer-Lübke mit 1874 angegeben in diversen Katalogen finden wir jedoch das Datum 1873.

[26] Adolfo Mussafia, a sessant' anni dalla morte. - Il carteggio di Adolfo Mussafia con Elise e Helene Richter. [Mit italienischer und deutscher Zusammenfassung] - Venezia 1965: Stamperia di Venezia. S. 370-403; II S. Abb., S. 498-515.

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Adolf Mussafia - Zur 100. Wiederkehr seines Todestages
Hochschule
Universität Wien
Autor
Jahr
2005
Seiten
10
Katalognummer
V109479
ISBN (eBook)
9783640076604
ISBN (Buch)
9783640123230
Dateigröße
566 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit entstand anlässlich des 100. Todestages des Gründers der Romanistik in Wien und im Rahmen des Forschungsprojektes "Elise und Helene Richter: Wissenschafterinnen, Jüdinnen, Wienerinnen", das von Prof. Robert Tanzmeister vom Institut für Romanistik geleitet wird. Forschungsmitarbeiter ist Thierry Elsen. Der Essay versteht sich als Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Geisteswissenschaften am Standort Wien.
Schlagworte
Adolf, Mussafia, Wiederkehr, Todestages
Arbeit zitieren
Thierry Elsen (Autor:in), 2005, Adolf Mussafia - Zur 100. Wiederkehr seines Todestages, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109479

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