Die Erzähltradition des Reliquientranslationsberichts im Grauen Rock (Orendel)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

22 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


I. Einleitende Bemerkungen

Der Epos ‚Orendel‘, oder trefflicher ‚Der Graue Rock‘, wird in der wissenschaftlichen Diskussion sehr vielseitig dargelegt und gilt in seiner literarischen Qualität als umstritten. Insbesondere in den Anfängen der Auseinandersetzung mit dem Text im 19. Jahrhundert und Anfang 20. Jahrhundert, kritisierte man ihn häufig als „Dichtung ohne Grundsatz“[1]. Im Zuge dessen, ordnete man ihn der heute desolat gewordenen Gattungsbezeichnung Spielmannsepik zu. Unter diesem Sammelbegriff gruppierten -und gruppieren- sich Texte, welche als mittelalterliche Trivialliteratur abgetan wurden und somit keinen ernst zunehmenden Gegenstand wissenschaftlicher Forschung bildeten. Dazu gehören fernerhin die Epen Salman und Morlof, Sankt Oswald, König Rother und Herzog Ernst.[2] Neben dieser herablassenden wissenschaftlichen Meinung, gab es die Auffassung, dass es sich bei dem Grauen-Rock-Epos um einen alten, jedoch theologisch verklärten, Sagenstoff handle, welcher auf ursprüngliche germanisch-nordische Mythologie beruht.[3]

Beide Meinungen wiederspiegeln geradezu exemplarisch den Zeitgeist des 19. Jahrhundert. In der wissenschaftlichen Diskussion des 20. Jahrhundert wurden sie relativiert und niviliert. Vor allem wurde der Begriff des Spielmannsepos stark angefeindet. Man kritisiert besonders das Gattundmerkmal des spielmännischen Vortrages. In der heutigen Forschung werden jene Texte und somit auch der Graue Rock vor allem als Auftragswerke von gebildeten Klerikern verstanden. Man nimmt an, dass die anonymen Schreiber der Epen sich älterer Erzähltraditionen aus schriftlichen und mündlichen Quellen bedienten. Allen Texten ist dabei die Verknüpfung von gefahrvoller abenteuerliche Brautfahrt und die Wunderwelt des in den Kreuzügen erschlossenen Orients gemein.[4]

Bezüglich dem ‚Grauen Rock‘ vermutet die Forschung, dass der Autor auf die Erzähltraditionen des Translationsberichtes, des antiken Romans -insbesondere auf ‚Apollonius von Tyrus‘-, der Kreuzzugs- und Heidenkampfdichtung, der Heldenepik, der Heiligenlegenden und der Brautwerbungsromane zurückgreift. Über diesen Konsens hinaus sind noch weitere Bezüge auf Erzähltraditionen nachweisbar, so z.B. die irische Brigida-Legende[5] und die nordgermanische Helgi-Sage[6]. Von der Meinung, dass die einzelnen Traditionen im Handlungsgefüge additiv zueinander stehen, nimmt man in der Forschung zunehmend Abstand. Die Kitik an der literarischen Qualität bleibt aufgrund der Homogenität der einzelnen Handlungsstränge und des metrischen Aufbaus dennoch bestehen.

Ein weiteres Feld der Orendel-Forschung situiert sich um die textimmanente Translation des heiligen Rockes vom Orient nach Trier. Davon ausgehend, kann man Rückschlüsse auf Entstehungszeit, -hintergründe und –ort, auf Autor und Adressatenkreis ziehen. Begründen läßt sich dieses Vorgehen durch die Annahme, dass die Vermittlung der Reliquientranslation die eigentliche Intention des Epos ist. Diesem Themenfeld widmet sich die vorliegende Arbeit.

Sie fasst dabei den Reliquientranslationsbericht als Erzähltradition auf. Ziel wird es sein, diese Erzähltradition konkret anhand des Textes nachzuweisen und transparent zu machen. Als Werkzeug dient dabei die Gattungsdefinition der Translationberichte[7] von Heinzelmann. Punktuell werden die einzelnen Merkmale mit den Gegebenheiten des Epos verglichen. Es läßt sich dabei feststellen, dass die Erzähltradition klar herausgearbeitet werden kann und auf den gesamten Text prägend wirkt.

Zuvor halte ich es aber für angebracht, den derzeitig postulierten Entstehungskontext kurz vorzustellen, um ein tieferes Verständnis für das Anliegen der Arbeit zu entwickeln. Diese Erkenntnisse sind auch die Grundlage für den Wahrheitsanspruch der Studie.

II. Erkenntnisse über die Entstehung des ‚Grauen Rockes‘ im groben Überblick

Die Abschrift der Handschrift H von 1477 ist der früheste Textzeuge, auf den wir zurückgreifen können. Weiterhin stehen uns zwei Druckfassungen aus dem Jahre 1512 zur Verfügung, welche im Kontext der Rockausstellung unter Kaiser Maximilian I. erschienen sind.. Die Urfassung ist nicht überliefert. Man vermutet ihre Entstehung Ende 12. Jahrhundert. Ein Indiz dafür ist der auf diesen Zeitraum verweisende metrische Aufbau.[8]

Ein weiterer Verweis geht auf den historischen Sachverhalt zurück, dass die Existenz des Heiligen Rocks von Trier erst ab 12. Jahrhundert belegt werden kann. Textzeuge ist die Doppelvita der hl. Helena und des hl. Agritius, niedergeschrieben im Jahre 1050. Diese Vita enthielt das sogennante ‚Silvesterdiplom‘. Laut diesem habe Helena der Stadt Trier Reliquien zugesendet, worunter sich auch der hl. Rock befand. Untersuchungen dieser Urkunde ergaben, dass die Angabe der Herrenreliquie durch eine Fälschung im 12. Jahrhundert beigefügt wurde.[9]

Außer dem Hinweis auf das Entstehungsdatum des Grauen-Rock-Epos, läßt sich auf dessen Entstehungskontext schließen. So kann man die Verfälschung der Trierer Helena-Tradition auf den Willen der Stadt zurückführen, den Primatsanspruch über Gallien und Germanien zu erhalten: Für diesen mußten Gründe gefunden werden, welche Trier als würdig erklären. Einziger Vorteil der Stadt gegenüber anderen Konkurrenten waren die zahlreich vorzuweisenden Reliquien. Die Herrenreliquie hatte daran erheblichen Anteil..

Bezüglich des Grauen-Rock-Epos kann man schlussfolgern, dass dieser zur Propagierung der Trierer Herrenreliquie, sowie der göttlichen Begünstigung Triers zugeschrieben werden kann. Diese Feststellung geht auf Textbeobachtungen zurück, wonach die Stadt als göttlich bestimmtem Ort der Niederlegung des ‚Grauen Rocks‘ und des Jüngsten Gerichts im Mittelpunkt des Epos steht (siehe auch III.3. zu depositio). Im Zuge dessen nimmt man an, dass der Autor ein Geistlicher der Trierer Erzdiziöse ist. Für diese These sprechen auch dialektale Besonderheiten und gute geographische Kenntnisse über das Umland von Trier. Als Adressatenkreis vermutet man ein „breites, theologisch oder historisch nicht weiter vorgebildetes Publikum“ bei dem man „aufgrund der verstreut vorhandenen ‚heldenepischen‘ Implikationen des Textes zumindestens sekundär mit einem ritterlich orientierten Publikum rechnen darf“. Von einen klerikalen Rezipientenkreis sieht man, aufgrund fehlender kirchlicher Würdenträger, ab.[10]

Diese Beobachtungen implizieren, dass die Reliquientranslation die zentrale Botschaft des Epos ist. Da im Mittelalter Erzähltraditionen durch ihren schematischen inhaltlichen Aufbau authentisierend auf ihre Rezipienten wirkten, müßte folglich besonders die Erzähltradition des Translationsberichtes dem Text zugrunde liegen.

III. Merkmale der Quellengattung Translationsbericht im Grauen Rock

Die vorliegende Studie entnimmt das Wissen über Translationsberichte den Ausführungen Heinzelmanns. Glaubt man den bibliographischen Angaben der entsprechenden Lexika[11], so stellt sein Aufsatz „Translationsberichte und andere Quellen des Reliquienkultes“[12] von 1979 den bisher letzten Versuch dar, diese Quellengattung zu definieren und deren Grundmuster zu erkennen. Es wird im folgenden versucht, basierend auf seine hagiografischen bzw. historiografischen Erkenntnisse, die Elemente der Erzähltradition Translationsbericht im Grauen Rock wiederzuerkennen. Dabei bleibt der Fakt ungeachtet, dass seinen Ausführungen keine literaturwissenschaftlichen Verfahren zu Grunde liegen. Dieser ist auch meines Erachtens ohne belang, da sich der Epos, in Anbetracht der aktuellen Forschungsmeinung über seinen Entstehungskontext (siehe II.), genau in jener Gattungsgrenze zwischen literarischer Fiktion und hagiografischer Quelle befindet.

1. Die grundlegenden Merkmale

Translationsberichte sind der Textsorte ‚hagiografische Quellen‘ zugeordnet. Deren wichtigstes Merkmal außerhalb des Textes stellt die Reliquie dar, deren Translation beschrieben wird. Über eine solche verfügt der Graue-Rock-Epos durch den ‚Heiligen Rock‘ im Domschatz von Trier. Obwohl sich die öffentliche Überlieferungsurkunden der Reliquie auf die Trierer Helena-Tradition berufen[13] und sich in diesen weder ein Orendel, noch ein König Ougel. finden, bleibt der Bezug des grawen rock zum Heiligen Rock mittels eindeutiger Textsignale, z.B. durch die Niederlegung in Trier (V. 3198ff.), bestehen (siehe auch II.).

[...]


[1] Steininger. S.XXVII.

[2] Vgl. Meves. 1975. S. 5ff.

[3] Vgl. Mecves. 1976. S. 228.

[4] speziell zum ‚Grauen Rock‘ Ganter, Meves 1975.

[5] Vgl. Birkhan

[6] Vgl. Jungandreas

[7] Heinzelmann.

[8] Steininger XIff.

[9] Vgl.Meves. 1975. S. 9.

[10] Vgl. Embach. S. 773. zu letzteren besonders Plate.

[11] z.B. Lexikon des Mittelalters.

[12] Heinzelmann.

[13] Vgl. Hans A. Pohlsander: Der Trierer Heilige Rock und die Helena-Tradition. . In: Der Heilige Rock zu Trier, Studien zur Geschichte und Verehrung der Tunika Christi / anlässlich der Heiligen-Rock-Wahlfahrt 1996 im Auftr. Des Bischöflichen Generalvikariates. Erich Aertz et al. (Hrsg.) Trier 1996. S. 119-127.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Erzähltradition des Reliquientranslationsberichts im Grauen Rock (Orendel)
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Germanistik)
Veranstaltung
Orendel, der Graue Rock
Note
2,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V10940
ISBN (eBook)
9783638172318
ISBN (Buch)
9783656036258
Dateigröße
585 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Note aufgrund sprachlicher Flüchtigkeitsfehler und fehlender Einordnung in Gesamtkontext im Schluss. 237 KB
Schlagworte
Trier Orendel Graue Rock Reliquie Reliquientranslationsbericht
Arbeit zitieren
Andreas Taut (Autor:in), 2002, Die Erzähltradition des Reliquientranslationsberichts im Grauen Rock (Orendel), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10940

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