Die Geschichte der Werkstatt für behinderte Menschen. Eine historische Betrachtung mit Blick auf die soziale Situation behinderter Menschen


Hausarbeit, 2004

37 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Begriffsklärungen
1.1 Entwicklung des Begriffs Behinderung
1.2 Einblick in verschiedene Definitionsweisen
1.3 Überblick über Behinderungsarten

2. Die Entwicklung von Werkstätten für behinderte Menschen
2.1 Umgang mit behinderten Menschen in der Urgesellschaft
2.2 Der Beginn der Weltgeschichte
2.3 Das Altertum
2.3.1 Das alte Ägypten
2.3.2 Die antike griechische Gesellschaft
2.3.3 Das römische Reich
2.4 Behinderte im Mittelalter
2.5 Die Anfänge der Behindertenpädagogik ab 16. Jahrhundert
2.5.1 Bedlam als Vorbild in Europa
2.5.2 Die ersten kommunalen Tollhäuser in Deutschland
2.6. Die Entwicklungen im ausgehenden 19. Jahrhundert bis Ende des Zweiten Weltkrieges
2.6.1 Sozialdarwinismus und Behinderte
2.6.2 Der erste Weltkrieg und seine Wirkung
2.6.3 Das Sterilisierungsgesetz
2.6.4 Beginn der nationalsozialistischen „Euthanasie“
2.7 Der Neubeginn nach 1945 in der DDR
2.7.1 Geschützte Arbeit 1962 - 1982
2.7.2 Konzeption der Geschützten Werkstätten
2.7.2.1 Arbeitsgestaltung
2.7.2.2 Aufgaben
2.7.2.3 Finanzierung
2.7.3 Die Wende 1989
2.8 Der Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg in der BRD
2.8.1 Der Sozialstatt
2.8.2 Leistungen der Werkstätten für Behinderte
2.8.3 Die Werkstattgrundsätze
2.9 Die Werkstatt für Menschen mit Behinderungen heute
2.9.1 Das SGB IX
2.9.2 Das Selbstverständnis der WfbM
2.10 Perspektiven für die Zukunft

Einleitung

Die Geschichte der Menschheit ist wahrscheinlich jedem mehr oder weniger gut bekannt. Man kann sicher in einer groben Beschreibung die Geschehnisse vom ersten aufrecht gehenden Menschen bis zum Pyramidenbau, vom Römischen Reich bis zum Mittelalter und von der Reformation bis heute nachvollziehen, doch ist damit alles gesagt über unsere Geschichte? Wer kann heute, außer den Professionellen der einschlägigen Berufe, schon Angaben zur Vergangenheit der behinderten Bevölkerungsgruppe machen?

Sicher ist, dass die Historie voller negativer Ereignisse für Menschen mit Behinderungen war und sich ihre soziale Situation erst im Laufe des letzten Jahrhunderts grundlegend verbesserte.

Hierzu trugen und tragen im wesentlichen die Rehabilitationswerkstätten bzw. Werkstätten für behinderte Menschen bei.

In einer solchen Einrichtung leistete ich meinen Zivildienst ab, was mich auch dazu bewegte das Studium der Sozialpädagogik aufzunehmen, um mein dort gewecktes Interesse an der Arbeit mit behinderten Menschen auch im späteren Beruf weiterzuführen.

Meine Dienststelle war eine Rehabilitationswerkstatt des Diakonie-Verbundes-Eisenach, welche eine von vier Einrichtungen dieser Art in Thüringen ist. Hier werden verschiedene Stromzähler regeneriert, es gibt eine Hauswirtschafts – und Gebäudeserviceabteilung, eine Keramik und Kerzengruppe, es werden verschiedene Montagearbeiten ausgeführt und eine Arbeitsgruppe ist für Garten - und Landschaftsgestaltung – bzw. pflege zuständig.

Während meiner Zeit dort war ich hauptsächlich einem Gruppenleiter und dessen Montagegruppe zugeteilt. Die Beschäftigten dort setzten sich aus psychisch Behinderten, geistig Behinderten sowie körperlich behinderten Personen zusammen, welche zwischen 25 und 60 Jahren alt waren. Ein Teil dieser Abteilung war für die Kerzenproduktion in der Werkstatt verantwortlich, die vom Gruppenleiter geleitet wurde. Ein anderer Teil übernahm diverse Montagearbeiten und ein Beschäftigter gestaltete verschiedene Keramikprodukte. Meine Aufgabe war es dem Gruppenleiter bei der Erfüllung seiner Aufgaben zur Seite zu stehen, d.h. Betreuung der Gruppe und Kontrolle der ausgeführten Tätigkeiten. Zu dem war ich auch im Fahrdienst eingesetzt, welcher Personenbeförderung und Materialtransport umfasste.

Im Nachfolgenden werde ich versuchen darzustellen, wie es zur Entstehung der WfbM kam. Ich werde mich zunächst zu den Wurzeln des Begriffes ‚Behinderung’ begeben, dann einige Definitionsweisen aufzeigen und einen Überblick über die häufigsten Behinderungsarten geben. Daraufhin folgt die historische Betrachtung der Entwicklung von WfbM´s von der Urgesellschaft bis zur heutigen Existenz dieser Einrichtung und ihrer Rahmenbedingungen. Zum Abschluss werde ich noch einen Ausblick auf das weitere Bestehen der Werkstätten vornehmen und die kommenden Herausforderungen für diese in Ausschnitten erarbeiten.

1. Begriffsklärungen

Zu Beginn der Erarbeitung werden einige Begriffsdefinitionen vorangestellt, um die im anknüpfenden Text aufkommenden Begrifflichkeiten zu klären und zu zeigen wie sich das Wort ‚Behinderung’ entwickelte.

1.1 Entwicklung des Begriffs ‚Behinderung’

Das Substantiv ‚Behinderung’, wie auch das Verb ‚behindern’, ist noch ein recht junges Wort im deutschen Sprachgebrauch. Es tauchte erstmals im 18. Jahrhundert auf, wobei hier jedoch noch ‚behindert’ durch ‚gehindert’ ersetzt wurde. Der o.g. Terminus fand unter anderem als juristischer Begriff Eingang in die Prozessordnung und leitet sich ab von dem Wort ‚hindern’, welches allerdings die räumliche Bedeutung von „etwas nach hinten stellen“ hat. In diesem Kontext wurde es im Mittelhochdeutschen und auch bei Luther verwendet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff ‚Behinderung’ schließlich auf seinen heutigen Gegenstand bezogen, sowie auf die Sonderpädagogik. Bis etwa 1918 war der Krüppelbegriff maßgebend, aber die Kriegsgeschädigten des Ersten Weltkrieges empfanden diese Bezeichnung als diskriminierend nach ihrem Verdienst für das Vaterland. Zudem konnte der Krüppelbegriff auch nicht die Seh- und Hörschädigungen abdecken, was nach einer einheitlichen Bezeichnung für jegliche Art von „Handicap“ verlangte, wie Bielsalski 1915 beschrieb: „Denn auch ein Mann, der ein Auge oder sein Gehör verlor oder sich ein dauerndes inneres Leiden zugezogen hat, ist beschädigt und doch nicht verkrüppelt. Hierunter versteht man eine schwere Beeinträchtigung der Bewegungsmöglichkeiten und der Körperhaltung.“ (zit. nach Schworm 1975) Fortan bürgerte sich der Behindertenbegriff ein. 1950 ersetzte die Kasseler Fassung eines 1957 verabschiedeten Körperbehinderten Gesetzes den Terminus ‚Krüppel’ durch ‚Körperbehinderte’ und allmählich wurde dieser „neue“ Begriff auch auf andere Behindertengruppen angewandt. Teilweise wird heute der Behindertenbegriff auch auf psychisch Kranke bezogen, um „eine Nebeneinanderstellung von körperlich, sinnesmäßig, geistig und seelisch Behinderten zu erzielen, […].“ (zit. nach U. Hensle 1988).

1.2 Einblick in verschiedene Definitionsweisen

Es gibt heute keine allgemein gültige Definition des Wortes ‚Behinderung’, viele einschlägige Organisationen klären dies für sich selbst und weichen mal mehr, mal weniger von denen der „großen“ Institutionen ab. Der Begriff unterliegt auch dem Wertewandel der heutigen Zeit und kann wie vieles keine Gültigkeit aufweisen. Beispielsweise hat sich in den letzten Jahren auch der Begriff ‚Werkstatt für Behinderte’ (WfB) zu ‚Werkstatt für behinderte Menschen’ (WfbM) gewandelt, ja man spricht sogar teilweise von ‚Werkstatt für Menschen mit Behinderungen’. Dies nur kurz als Veranschaulichung der Tragweite einer dem Wandel unterliegenden Begrifflichkeit wie der hier besprochenen. Im Kommenden werden die wohl am verbreitesten Erklärungen vorgestellt.

Beginnen werde ich mit der Definition des Weltgesundheitsamtes, welche sich auf Erörterungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stützt und zwischen Schädigung, Leistungsminderung und Behinderung unterscheidet. Es wird ein Unterschied zwischen biologisch - defektologischer Seite, der Fähigkeitsentwicklung- und entäußerung als Ausdruck der psychologisch – subjektiven Seite und schlussendlich der Seite sozial gegebener Tätigkeitsmöglichkeiten gemacht.

Die Unterscheidung wird folgendermaßen begründet:

Schädigung (impairment): „dauernde oder vorübergehende psychologisch,

physiologisch oder anatomische Einbuße und/oder

Anomalie“ (zit. nach Weltgesundheitsamt 1981, S.

32) z.B. Herzinfarkt, Gehirninfarkt

Leistungsminderung (handicap): teilweise oder gänzliche Unfähigkeit

Tätigkeiten auszuüben, welche für

motorische oder geistige Funktion notwendig

sind, nach deren Bereich und Art sich die

normale Befähigung eines Menschen

bestimmt z.B. gehen, heben, sehen,

sprechen, zählen, schreiben, …

Behinderung (disability): vorhandene Schwierigkeit (verursacht durch

Leistungsminderung und/oder Schädigung) eine

oder mehrere Tätigkeiten auszuüben, die in Bezug

auf Alter der Person, Geschlecht und soziale Rolle

im Allgemeinen als wesentliche Grundkomponenten

der täglichen Lebensführung gelten z.B. Sorge für

sich selbst, soziale Beziehungen (nach WGA)

Sicher wird selten eine solche konkrete Unterscheidung vorgenommen, doch es ist nachvollziehbar, dass jeder Punkt seine Berechtigung hat. Dagegen nimmt die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstatt für behinderte Menschen (im folgenden BAG WfbM) keine solche Differenzierung vor. Man geht hier davon aus, dass jemand quasi von innen, durch sich selbst behindert ist, ohne von außen behindert zu sein. Dazu sind es die gesellschaftlichen Umstände, die behindern. Vgl. hierzu die Definition von Wolfgang Jantzen (1973) „Behinderung kann nicht als naturwüchsig entstandenes Phänomen betrachtet werden. Sie wird sichtbar und damit als Behinderung erst existent, wenn Merkmale und Merkmalskomplexe eines Individuums aufgrund sozialer Interaktion und Kommunikation in Bezug gesetzt werden zu gesellschaftlichen Minimalvorstellungen über individuelle und soziale Fähigkeiten. Indem festgestellt wird, dass ein Individuum aufgrund seiner Merkmalsausprägung diesen Vorstellungen nicht entspricht, wird Behinderung offensichtlich, sie existiert als sozialer Gegenstand erst von diesem Augenblick an.“ (W. Jantzen: Allgemeine Behindertenpädagogik – Band 1 Sozialwissenschaftliche und psychologische Grundlagen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag 1987, S. 18) Hieran wird deutlich, dass heute nicht mehr nur biologische und genetische Ursachen für Behinderungen angenommen werden, sondern vielmehr wie sich die jeweilige Ausprägung der Art der Behinderung auf den Umgang in und mit der Gesellschaft auswirkt. Die ursprünglichen Annahmen scheinen überholt, dies spiegelt sich ebenfalls in der Definition im Behindertengleichstellungsgesetz vom 27.04.2002 wieder „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.“ (BGG §3)

2. Die Entwicklung von Werkstätten für behinderte Menschen

2.1 Umgang mit behinderten Menschen in der Urgesellschaft

Aus der Vorzeit ist nur wenig über das soziale Verhalten zu Menschen mit Einschränkungen bekannt. Ausgrabungen von 45.000 Jahre alten Neandertalern im nordöstlichen Irak konnten die sterblichen Überreste eines ca. 35-40 Jahre alten Mannes hervorbringen, welcher durch eine Vielzahl von (an sich verheilten) Wunden schwer behindert gewesen sein muss. Der Verlust der Sehfähigkeit des linken Auges, Lähmung des rechten Unterarmes und der rechten Hand, sowie die Einschränkung der Gehfähigkeit sind Indizien für seinen Zustand, er konnte so wenig wahrscheinlich einen nennenswerten Beitrag zur Sicherung seines Lebensunterhaltes oder seiner Gruppe leisten – dennoch war es ihm möglich seine Verletzungen ausheilen zu lassen und noch viele Jahre weiter zu leben. Dies lässt den Anschein erwecken, dass er von anderen Mitgliedern seiner Gruppe mitversorgt wurde, obwohl sie rein materiell wohl kaum einen Nutzen davon trugen. Die Fürsorge für kranke und behinderte Gruppenmitglieder lässt sich an vielen weiteren Funden in Mittel – und Westeuropa beweisen. Ein Fund auf der Insel Krim brachte zu Tage, dass dort ein etwa zweijähriges wahrscheinlich geistig behindertes Kind von „primitiven“ Neandertalern pietätvoll bestattet wurde – die Eltern der Stammesgemeinschaft hatten es also offensichtlich nicht verstoßen. Heute weiß man nicht ob es kulturelle Berührungen zwischen ausgestorbenen Neandertalern und dem eigentlichen Menschen gab, welcher eventuell den Neandertaler ausgerottet hat, aber man entdeckte im Bereich einer ca. 25.000 Jahre alten steinzeitlichen Siedlung in Südmähren in einer mit Mammutschulterblättern abgedeckten Grabgrube eine 40jährige Frau, die eine starke Anomalie des Gesichtes aufwies. Aufgrund verschiedener Funde kann man davon ausgehen, dass diese Frau ungeachtet ihrer starken Entstellungen in ihrer Siedlung eine herausgehobene, einflussreiche Stellung einnahm. Ein anderer Fund aus derselben steinzeitlichen Ansiedelung weist darauf hin, dass körperliche Behinderungen in diesen frühen Stammesgesellschaften keinesfalls ein Todesurteil darstellten: 1986 fand man ein Grab, in dem drei ungefähr gleichaltrige Jugendliche bestattet waren, die allesamt ein vererbtes Missbildungssyndrom im Bereich des Schultergürtels aufweisen. Dies bedeutete eine erhebliche Einschränkung der Bewegung und Kontrolle der Arme. Die junge Frau aus dem Trio litt an beträchtlichen zusätzlichen Einschränkungen – ihr linker Unterarm, der rechte Oberschenkel und das rechte Bein waren verkürzt, die Wirbelsäule verkrümmt und sie hatte zudem einige andere Fehlbildungen am Skelett. Trotz dieser pathologischen Veränderungen, welche für die Angehörigen einer eiszeitlichen Jäger-Sammler-Gemeinschaft eine bedeutende Behinderung darstellte, erreichten die drei Individuen das beachtliche Alter von 20 Jahren. Parallel zu diesen Funden finden sich einige ähnliche Fälle in lokal weiter entfernten Fundstätten nordöstlich von Moskau und in Westfrankreich. Im letzteren Fall konnten sterbliche Überreste eines Mannes gefunden werden, welcher trotz erheblichen Behinderungen in der steinzeitlichen Epoche des mittleren Magdalénien das für damalige Verhältnisse außergewöhnliche Alter von 50-60 Jahren erreichte. Verschiedene weitere Funde deuten darauf hin, dass Menschen mit Behinderungen möglicherweise eine besondere Beachtung und Behandlung durch ihre Mitmenschen erfahren haben, da deren Gräber relativ aufwendig gestaltet waren. Dies kann den, die eiszeitlichen Lößsteppen und Tundren durchziehenden, Mammutjägern nur möglich gewesen sein, wenn sie innerhalb ihrer Gruppen die dafür notwendige Fürsorge und Pflege erhielten. Dabei ist aber keine verallgemeinerbare Aussage darüber möglich wie Behinderte in frühen Gesellschaften in der Regel behandelt wurden – dafür liegen leider zu wenig fundierte Kenntnisse vor. Es spricht jedoch einiges dafür, dass in den Wildbeutergemeinschaften des Mittel – und Jungpaläolithikums Solidarität mit hilfsbedürftigen Gruppenmitgliedern einen hohen Stellenwert einnahm. Der Wissenschaftler Ludwig Reich fasste zutreffend zusammen: „Mit der noch weitverbreiteten Klischeevorstellung, dass Schwache, Kranke und Behinderte unter den rauen, durch den täglichen schweren Kampf ums Überleben geprägten Sitten der urgeschichtlichen Menschen keine Überlebenschancen gehabt hätten, lassen die hier zusammengestellten Befunde aber sicher nicht vereinbaren.“ (Mayer, A.: Eine Geschichte der Behinderten, Jubiläums-Dokumentation 40 Jahre Lebenshilfe Fürth. Lebenshilfe Fürth: Eigenverlag, 2001)

2.2 Der Beginn der Weltgeschichte

Der Beginn der Weltgeschichte wird im engeren Sinn, in der Regel um etwa 3000 vor Christi Geburt angesetzt. Von den ältesten Hochkulturen im Orient, welche die Flusstäler des Nils sowie von Euphrat und Tigris fruchtbar machten, gibt es Belege und Hinweise für den Umgang mit behinderten Menschen. Aus dem alten Mesopotamien sind schriftliche Quellen bekannt, die einen gewissen Einblick in das Verhalten zu Behinderten in jener Zeit ermöglichen. Hierbei lassen sich Unterschiede zwischen Nord (Assyrien) und Süd (Babylonien und Sumer) machen. Bei den beiden letztgenannten Ländern war es vom 3. bis zum 1. Jahrtausend vor Christus üblich, dass die Art der Einschränkung zum Personennamen werden konnte, wobei dies auch bei angesehenen Familien vorkam, ohne dass dies als unschicklich betrachtet wurde. In Assyrien dagegen waren solche Namenszusätze äußerst selten, Assyrier schienen ein anderes Verhältnis zu Behinderungen gehabt zu haben – sie verstümmelten Straftäter und Feinde zu Blinden und Krüppeln, dies vertrug sich offensichtlich nicht mit einer Namensgebung die körperliche Anomalien offen nennt. Alten Texten zufolge versuchten staatliche Stellen und Tempel leicht behinderte Personen, Taube und Blinde zu beschäftigen, sie wurden weitgehend in die Gesellschaft integriert und konnten scheinbar auch höhere Verwaltungsposten erreichen.

Die Mythologie der frühesten Hochkulturen thematisiert durchaus Behinderungen und weist beispielsweise dem Blinden den Beruf des Musikers zu und dem Lahmen jenen eines Goldschmieds. Dabei wurde die Behinderung an sich nicht als Strafe gesehen, sondern eher als Laune der Götter gedeutet.

2.3 Das Altertum

Es gibt einige Überlieferungen aus denen Aussagen zu den Gesellschaften des Altertums und ihrer Einstellung zu Behinderungen und Menschen mit Einschränkungen gemacht werden können, dies soll im nachstehenden betrachtet werden.

2.3.1 Das alte Ägypten

Im 11. oder 12. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung entstanden, die so genannten Weisheitslehren des Amenemope, die eine Grundlage der altägyptischen Ethik darstellten. Sie waren auch Bestandteil des Lehrplans an den Schulen und enthalten folgendes: „Lache nicht über einen Blinden und verspotte nicht einen Zwerg! Erschwere nicht das Befinden eines Gelähmten. Verspotte nicht einen Mann, der in der Hand Gottes [geistig behindert] ist… .“ (Weisheitslehren von Amenemope, Kap. 25). Diese Texte lassen vermuten, dass Behinderte sehr wohl mit Spott belastet wurden, dies jedoch von den moralischen Autoritäten nicht gutgeheißen wurde. Die Ursache für diese Behinderungen entzöge sich laut Amenemope menschlicher Einsicht und Erkenntnisfähigkeit, da sie allein dem Willen Gottes entspringe. Nach den Vorstellungen dieser Zeit würden Einschränkungen vom Menschen nach seinem Tod wieder von ihm genommen, dieser Mangelzustand sei also nur von sehr kurzer Dauer, da die irdische Existenz nur etwa eine „Stunde“ im Vergleich zum ewigen Leben im Jenseits darstelle. Kleinwüchsige Menschen konnten im alten Ägypten durchaus Karriere machen – spielten zumindest zeitweise sogar eine hervorragende Rolle am Könighof, wie man anhand Ausgrabungen und bildlichen Darstellungen dokumentieren kann. Blinde treten auf den erhaltenen Abbildungen, vor allem in einem festlichen oder kultischen Kontext in Erscheinung, meist als Sänger und Musiker, was im Übrigen über Jahrtausende in vielen Kulturen eine Konstante blieb. Menschen mit Gehbinderungen wurden nicht nur in Grabdarstellungen ungeschönt verewigt, sondern auch auf von ihnen selbst gestifteten Votivgaben ließen sich die Ägypter mit ihrer Behinderung abbilden.

Die Quellen der zur Betrachtung stehenden Diskussion sind eher spärlich, die meisten Hinweise stammen aus königlichem Umfeld und sind daher nicht repräsentativ. Auf der anderen Seite kann auch für die altägyptische Zeit das allgemeine Klischee widerlegt werden, dass in frühen Kulturen Behinderte keine Chance und keinen Platz hatten.

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Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Die Geschichte der Werkstatt für behinderte Menschen. Eine historische Betrachtung mit Blick auf die soziale Situation behinderter Menschen
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)
Note
gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
37
Katalognummer
V108983
ISBN (eBook)
9783640071722
ISBN (Buch)
9783640946396
Dateigröße
567 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Hausarbeit wurde zum Vordiploms-Praktikum verfasst
Schlagworte
Geschichte, Werkstatt, Menschen, Betrachtung, Blick, Situation, behinderung, behinderte Menschen
Arbeit zitieren
Torsten Kreissl (Autor:in), 2004, Die Geschichte der Werkstatt für behinderte Menschen. Eine historische Betrachtung mit Blick auf die soziale Situation behinderter Menschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108983

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