Anglizismen in der Jugendsprache


Essay, 2004

6 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Jugendsprache

Christine Bierbach und Gabriele Birken-Silverman haben in einem Aufsatz der Festschrift „Soziale Welten und kommunikative Stile“ die sprachliche Symbolisierung und die Kommunikationsstile einer Gruppe italienischer Migrantenjugendlicher aus der HipHop-Szene untersucht.[1] Die Wohnorte der Jugendlichen liegen alle im städtischen Milieu. Das sie dort auf zahlreiche und demzufolge mannigfache, vielleicht auch als bedrohlich empfundene soziale Welten stoßen, ist unumgänglich. Nicht nur die kulturellen und sprachlichen Unterschiede, die sie vielleicht von anderen Gruppen unterscheiden mögen, sind Anlässe, sie in eine bestimmte soziale Welt einzuordnen, sondern bereits das Jugendlichsein an sich, die damit verbundene Ausdrucksweise – unabhängig von Nationalität – und vor allem die Orientierung in eine ganz bestimmte Musikrichtung tragen erheblich zu einer Kategorisierung bei. So treffen sich die italienischen Jugendlichen aus Bierbachs und Birken-Silvermans Bericht mehrmals zum Breakdance. Ihre HipHop-Leidenschaft erkennt man deutlich an ihrem Lebensstil. Nicht nur das Outfit ist charakteristisch für diese spezifische Musikrichtung und die daraus folgende Kulturform, sondern ebenso die Art und Weise der Kommunikation, die viele Außenstehende sogar als aggressive Drohungen zu verstehen meinen. Doch lassen sich diese aggressiven Äußerungen nur in der HipHop-Szene finden? Oder sprechen mitunter alle Jugendlichen in einer eher angriffslustigen Sprache? Zu berücksichtigen ist zu aller erst, dass es sich bei den Jugendlichen in diesem Bericht um italienische Migranten-Kinder der zweiten und dritten Generation handelt, die wohlmöglich aus einem noch traditionell, konservativen Elternhaus stammen und sich nach den Freiheiten der deutschstämmigen Jugendlichen sehnen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert werden. Der brennende Wunsch nach mehr Freiheiten und jugendlichem Spaß kann nicht selten zu Auflehnungen gegen die strengen und konservativen Eltern führen. Das Verlangen nach Respekt und Anerkennung, sowohl von Gleichaltrigen als auch von Erwachsenen, steht bei Jugendlichen wohl mit an erster Stelle. Die italienischen Migrantenjugendlichen haben es hierbei besonders schwer. Erhalten sie denn in und von der Gesellschaft den gleichen Anerkennungsstatus wie er den Deutschstämmigen zu Gute kommt? Obwohl sie wohlmöglich in Deutschland geboren worden sind, besitzen sie dadurch nicht zugleich, wie in vielen anderen Ländern, die deutsche Staatsangehörigkeit. Hier gelten sie als „Jugendliche der zweiten oder dritten Generation“[2] – eine schönere Variante des geringschätzigeren Ausdrucks ‚Ausländer’ der in der gesellschaftlichen Kategorisierung von sozialen Welten einen eher unteren Platz einnimmt. Viele der italienisch- und türkischstämmigen Jugendlichen erfahren immer wieder gesellschaftliche Ausgrenzungen. In ihren kleinen Gruppen – den Peergroups – die ihr Selbstbild und ihre Ideologien auch nach außen hin darstellen, genießen sie das Gefühl der Zugehörigkeit und Anerkennung. Im bereits erwähnten Bericht finden dies die italienischen Migrantenjugendlichen in ihrer Breakdance-Gruppe. Musik, Sprache und Abstammung verbinden die Jugendlichen und bilden eine Gemeinschaft mit eigenem Kommunikationsstil. Durch ihre Jugendsprache, die manchem so streitsüchtig erscheint, starten sie ein Affront gegen die Nicht-Mitglieder und stärken insofern ihr Selbstwertgefühl. Ethnische und sprachliche Differenz gelten also als Mittel der Abgrenzung. Forderung nach Rechten, Infragestellung der Autorität Erwachsener und die Herausforderung gesellschaftlicher Regeln verstehen sie als kämpferische Maßnahmen für das Erlangen von Respekt und gesellschaftlichen Status. Sprache scheint hierfür das beste Mittel zu sein und ist nicht unbedingt abhängig von einer bestimmten Musikszene. Die HipHop-Szene bietet allerdings die Möglichkeit eine symbolische Diskurswelt zu erzeugen und somit die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken[3]. In sogenannten „battles“ versuchen Rapper ihren Gegner linguistisch zu besiegen. Sie repräsentieren sich und ihre Gruppe in der Gesellschaft, singen bzw. sprechen über für sie wichtige Themen und informieren sogar teils über aktuelle Welt- oder Gesellschaftsprobleme. Der HipHop bekennt sich also zu einem linguistischen Paradies in dem ideologische Vorstellungen, Machtdarstellungen sowie politische Avantgarde zum Ausdruck gebracht werden können. Doch die Erfahrungen des Anerkennungsmangels und die daraus entstehende sprachliche Revolution verschiedener Jugendkulturen lassen sich natürlich ebenso bei deutschstämmigen Jugendlichen wiederfinden. Die italienischen Migrantenjugendlichen haben allerdings den Vorteil sich auf eine zweite Sprache neben Deutsch zu stützen. Eine Abgrenzungssteigerung können sie durch einen ‚switch’ ins Italienische veranlassen. Aber wollen sie sich denn mit einem ‚switch’ in ihre Muttersprache immer nur von der übrigen Gesellschaft abgrenzen, sie verunsichern und ihre sprachliche Überlegenheit für ihr Vergnügen und eventuell für ein sporadischen Machtgefühls nutzen? Vielmehr kann man in dieser Art von Abgrenzung einen Sicherheit bietenden Rückgriff auf etwas Heimisches erkennen und schließlich wird aufgrund mangelnder Italienischkenntnisse nicht jeder mit Gegenargumenten die Stirn bieten können.

Doch es stellt sich nun die Frage, was deutsche Jugendliche bezwecken, wenn sie einen mit Anglizismen zugepackten Kommunikationsstil verwenden. Ein Rückgriff auf die Heimatsprache steht hier definitiv nicht zur Debatte.

Anglizismen in der Jugendsprache

Schaltet man das Radio, Viva oder MTV an wird man regelrecht von englischsprachigen Songs erschlagen. Anders in Frankreich, wo die französische Regierung den „Kampf gegen die sprachliche Amerikanisierung“ angegangen ist und Pflichtquoten für französische Musik und Filme eingeführt hat[4]. Hierzulande werden die Jugendlichen tagtäglich mit der englischen Sprache konfrontiert. Sie erleben sie vor allem in den Medien. Daneben finden sich allerdings beim Einkaufen in der Fußgängerzone und auf Produkten und Plakaten englische Werbeslogans oder gar Produktbeschreibungen auf Englisch. Wichtigster Einflussfaktor der Nutzung von Anglizismen in der Jugendsprache bleibt allerdings die Musik. Am Beispiel der HipHop-Szene lässt sich verdeutlichen, warum so viele Jugendliche auf die beliebten englischen Sprüche zurückgreifen. HipHop ist eine Musikrichtung mit einer afro-amerikanischen Mutterkultur. Möglicherweise entwickelt sich durch Rückgriffe auf den amerikanischen Ursprung eine gewisse Art von Verbundenheit zur sozialen Welt des HipHop. Auch die Mehrheit an englischen Liedern in den Medien kann durchaus ein Dazugehörigkeitsgefühl in den Jugendlichen durch die Verwendung von Anglizismen in ihnen wecken. Schließlich wird hier ja darüber argumentiert, wie die Jugendlichen ihre Sprache einsetzen um möglichst ihre Lebensstile und ideologischen Vorstellungen sowie ihren linguistischen Kampf gegen Normen und Autoritäten in der Gesellschaft zu platzieren. Das Medium Sprache um seine Meinung international verständlich zu machen ist nicht ganz abwegig. Auch nutzen viele Jugendliche der HipHop-Szene englische Codenamen. So bezieht sich der Berliner „Kool Savas“ auf eine Reihe von Kollegen wie „Kool Keith“ und „Kool Daddy Fresh“. Auch hier ist wieder die Bezugnahme auf die afro-amerikanische Mutterkultur festzustellen. Der Heidelberger „Toni L.- Der Pate“ weißt durch eine geschickte Referenz auf die Mafia auf seine sizilianische Herkunft hin. Ob es sich nun um einen englischen oder sizilianischen Namen handelt, die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei Codenamen häufig um Referenzen auf eine Mutterkultur handelt, ist sehr hoch.
Doch die Anglizismen haben sich schon lange vor dem HipHop-Durchbruch in Deutschland durchgesetzt.

Das Angebot und die Nutzung von Anglizismen in der Gesellschaft

Ende des zweiten Weltkrieges und nach dem kulturpolitischen Herrenmenschentum wirkte die internationale Offenheit wie eine Befreiung. Die Türen waren nicht nur in den amerikanischen Besatzungszonen für die US-Armee geöffnet, sondern entriegelten sich ebenso für die populäre Massenkultur der USA und amerikanische Musik. Der „Mythos USA“ spielte schon damals in Deutschland als „das ewig junge Land“ eine außerordentlich große Rolle[5]. Die Vorstellung von Modernität und Fortschritt, die die USA mit sich brachte, verbinden heute wahrscheinlich noch viele Menschen mit der Benutzung von englischen Ausdrücken. So stand damals das Englische für die Sprache der Freiheit, so wie es heute den Wunsch der Zugehörigkeit und Internationalität symbolisiert. Ist dies nun auch der Grund, warum heute in Medien und in vielen Geschäftsbereichen englische Begriffe verwendet werden? Der Hang nach Internationalität ist mit Sicherheit ein wichtiger Aspekt im Berufsleben. Immer mehr Firmen sind global vertreten. Die weltweite Kommunikation mit Kunden und Geschäftspartnern ist unabdingbar. Doch die Werbebranche, die ihre Produkte hier in Deutschland vermarkten möchte müsste doch eigentlich darauf bedacht sein ihre Botschaften verständlich dem Kunden zu übermitteln. Was bewirkt also Douglas mit seinem Slogan „come in and find out“, wenn mehr als die Hälfte der Kundschaft darunter wohlmöglich „Komm rein und find’ wieder raus“ versteht? Englisch ist und bleibt wohl einfach die Sprache der Moderne – ein charakteristisches Merkmal der Werbung.
Die Dominanz der USA und die Begehrtheit der Anglizismen hat neben den Zweigen der Wirtschaft und der modernen Musikkultur auch Spuren in der elektronischen Kommunikation hinterlassen. Die Präsenz der Anglizismen im Internet-Chat basiert ebenso wie die Anglizismen in der HipHop-Szene auf den amerikanischen Ursprung. Nicht nur Jugendliche, sondern Menschen aller Altersstufen, werden hier mit unterschiedlichen Akronymen konfrontiert, deren Entschlüsselung Aufschluss über das sich dahinter versteckende englische Wort oder Satz gibt. „lol“ – Laughing out loud, “btw” – by the way und “slfn” – so long for now sind nur einige wenige Beispiele hierfür. Die Übernahme von englischen Wörtern in eine nicht-anglophone Sprache scheint also der heutigen Modernität zu entsprechen. Das sich dabei die Anglizismen jedoch nicht immer in die Morphosyntax (Satzlehre) der deutschen Sprache integrieren lassen, spielt eine eher unbedeutende Rolle. Auch wenn, wie Peter Schlobinski in seinem Aufsatz über Anglizismen im Internet erwähnt, die englischen Wörter durch die Eindeutschung ihre Eindeutigkeit verlieren, so wird sich im Laufe des Sprachwandelprozesses eine der miteinander konkurrierenden Varianten letztendlich durchsetzen und in das sprachliche System integriert werden[6].

Zusammenfassung

Der Gebrauch von Anglizismen in der Jugendsprache steht meines Erachtens als wichtiges Indiz für die Zusammenhänge jugendlicher Ideale und dem Bild vom amerikanischen Fortschritt, Modernität und Freiheit. Der Bezug auf die Mutterkultur einer Musikszene oder der technischen Kommunikation zeigt sowohl Bewunderung als auch den dringenden Wunsch des Dazugehörens. Möglicherweise versteckt sich auch in einem ‚switch’ ins Englische bei deutschen Jugendlichen ein Ausflug aus der sozialen Welt des Deutsch-seins. Im Gegensatz zu den italienischen Migrantenjugendlichen, die durch den Rückgriff auf ihre Muttersprache etwas Heimisches aufsuchen, suchen die deutschen Jugendlichen vielmehr einen Ausweg aus dem schleppenden Alltagsgebrauch der deutschen Sprache. Die künstlerische Darstellung der „Mehrsprachigkeit“ verleiht den Jugendlichen das Gefühl der Achtung, des Könnens, der Modernität und die dadurch symbolisierte Internationalität. Doch wenn die Mutterkultur der modernen Musik und die technische Entwicklung des Internet-Chats, sowie das Befreiungsgefühl in der Nachkriegszeit seinen Ursprung in den USA findet, sollten wir dann nicht lieber anstelle von Anglizismen von Amerikanismen sprechen?

Literatur

- Christine Bierbach/Gabriele Birken-Silverman: Kommunikationsstile und sprachliche Symbolisierung in einer Gruppe italienischer Migrantenjugendlicher aus der HipHip-Szene in Mannheim. In: Soziale Welten und kommunikative Stile. Festschrift für Werner Kallmeyer zum 60. Geburtstag. Hrsg. Inken Keim und Wilfried Schütte. Tübingen: Narr, 2002. S. 187-215.
- Jürgen Streeck: HipHop-Identität. In: Soziale Welten und kommunikative Stile. Festschrift für Werner Kallmeyer zum 60. Geburtstag. Hrsg. Inken Keim und Wilfried Schütte. Tübingen: Narr, 2002. S. 537-559.
- Peter Schoblinski: Anglizismen im Internet. Networx-Online-Publikation zum Thema Sprache und Kommunikation im Internet: http://www.websprache.uni-hannover.de/networx/. 2002.

[...]


[1] Christine Bierbach/Gabriele Birken-Silverman: Kommunikationsstile und sprachliche Symbolisierung in einer Gruppe
italienischer Migrantenjugendlicher aus der HipHip-Szene in Mannheim.

[2] Vgl. Christine Bierbach/Gabriele Birken-Silverman

[3] Jürgen Streeck: HipHop-Identität

[4] Dirk Maxeiner: We kehr for you. In: Die Welt, 16.01.2001

[5] Vgl. Volker Ilgen: Bewusstseinsgeschichte, Mythos USA

[6] Peter Schoblinski: Anglizismen im Internet

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Anglizismen in der Jugendsprache
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
Proseminar
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
6
Katalognummer
V108943
ISBN (eBook)
9783640071326
Dateigröße
471 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anglizismen, Jugendsprache, Proseminar
Arbeit zitieren
Claudia Jörges (Autor:in), 2004, Anglizismen in der Jugendsprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108943

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