Ansi parle la tour CN de Hedi Bouraoui


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

21 Seiten, Note: 2,75


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Geschichte Kanadas
2.1 Von den Ursprüngen bis ins 20.Jahrhundert
2.2 Das Reifen einer Nation

3 Aktuelle Lage der verschiedenen ethnischen Gruppen
3.1 allgemein
3.2 in Quebec
3.3 Unabhängigkeitsbestrebungen Quebecs

4 Der Canadian National Tower (CN)

5 Das Buch „Ainsi parle la Tour CN
5.1 Über den Autor
5.2 Über das Buch
5.3 Die Bewohner
5.3.1 Pete Deloon
5.3.2 Twylla Blue
5.3.3 Marc Durocher
5.3.4 Kelly la Belle Blonde
5.3.5 Rocco Cacciapuoti
5.3.6 Souleyman Mokoko
5.3.7 Marcel-Marie Durocher
5.3.8 L intrus Symphorien
5.3.9 Der personifizierte Turm
5.4 Ausblicke auf die Zukunft in dem Roman
5.5 Vergleich mit anderen Türmen innerhalb des Romans

6 Schluss

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In kaum einem anderen westlichen Land leben so viele Menschen verschiedener Nationalitäten und Ethniken wie in Kanada. Neben den Ureinwohnern und den Kolonialisten leben dort mittlerweile Menschen aus über 80 verschiedenen Ländern zusammen – eine Tatsache, die natürlich zu Spannungen führen muss. Vor allem in Quebec, das dem französischsprachigen Teil Kanadas angehört, ist die Problematik besonders groß: hier gibt es neben ständigen Unabhängigkeitsbestrebungen von Seiten der französischsprechenden Bevölkerung auch viele Immigranten, die sich von einem Auswandern nach Kanada ein besseres Leben versprochen haben, oftmals aber in einer noch größeren Misere leben als in ihrem Heimatland.

Hédi Bouraoui, der selbst in Toronto lebt, befasst sich in seinem soeben erschienen Roman „Ainsi parle la Toure CN“ mit eben dieser Problematik: er beschreibt anhand von konkreten ( allerdings von ihm erfundenen) Personen die Lebensbedingungen verschiedener Rassen und wie sie miteinander bzw. mit ihrem jeweiligen „Schicksal“ umgehen. Neben einer reinen Beschreibung ist der Roman jedoch auch ein stückweit eine Aufforderung Bouraouis an die Leser, aufzuwachen und sich selbst eine Meinung zu bilden.

In der vorliegenden Hausarbeit möchte ich mich im ersten Teil damit beschäftigen, wie es zu der oben erwähnten „Mosaik-Situation“ in Quebec kam und wie die aktuelle Lage der verschiedenen Bevölkerungsgruppen aussieht. Der zweite Teil ist dem Buch gewidmet, dass heißt, wie Bouraoui die Situation in Quebec sieht und beurteilt. Zunächst durch die Darstellung seiner Romanfiguren, dann aber auch durch seine eigene Meinung, die, wie man später sehen wird, im Roman deutlich zum Ausdruck kommt.

Anmerkung:

Da das von mir bearbeitete Buch eine tunesische Ausgabe ist, infolgedessen also auf französisch, sind sämtliche Zitate, soweit nicht anders vermerkt, von mir selbst übersetzt worden. Im folgenden werde ich nicht mehr darauf hinweisen.

2 Die Geschichte Kanadas

2.1 Von den Ursprüngen bis ins 20.Jahrhundert

Kanada ist ein recht junges Land, dessen Geschichte weniger als 500 Jahre umfasst. Seine Ureinwohner sind Indianer und Inuit (Eskimos) , die vor ca. 30 000 Jahren über eine Landbrücke, welche Sibirien mit Alaska verband, aus Asien kamen. Der erste Kontakt mit den Europäern ergab sich vor ca. 1000 Jahren, als sich Wikinger aus Island für kurze Zeit in Neufundland niederließen. Zur eigentlicher Erforschung Kanadas kam es jedoch erst 600 Jahre später.

Im frühen 17.jahrhundert entstanden die ersten französischen und englischen Siedlungen (später auch Kolonien) und da Handel und Bevölkerung immer weiter zunahmen konnte es nicht ausbleiben, dass Nordamerika zum Brennpunkt der Rivalität zwischen England und Frankreich wurde.

1763wurden beim sogenannten „Frieden von Paris“ als Folge der Niederlage Quebecs 1759 alle französischen Gebiete östlich des Mississippis ( mit Ausnahme der Inseln ST. Pierre und Miquelon) englisches Hoheitsgebiet.

Die rund 65 000 französischsprachigen Kanadier unter britischer Herrschaft hatten damals nur ein Ziel im Auge, nämlich ihre eigene Sprache und Kultur zu bewahren. Als Folge ihrer Entschlossenheit und wachsender Unruhen wurde ihnen 1774 mit dem sogenannten „Quebec Act“ das französische Zivilrecht offiziell zuerkannt und das Recht auf freie Religionsausübung sowie der Gebrauch der französischen Sprache zugestanden.

Mit den Ureinwohnern Kanadas wurden ebenfalls 1763 eine Reihe von Verträgen geschlossen, die beinhalteten, dass die sogenannte „Erste Nation“ auf bestimmte Gebiete verzichtete, im Gegenzug aber auch speziell für sie bestimmte Territorien erhielt, auf die Siedler aus Europa oder den Vereinigten Staaten kein Zugriffsrecht hatten.

1791 wurde die alte Provinz Quebec in zwei Provinzen aufgeteilt: Oberkanada (das heutige Ontario), das englischsprachig war und Unterkanada( das heutige Quebec) das den französischsprachigen Teil darstellte. Da es hier jedoch zu mehreren Aufständen kam, vereinigte Großbritannien 1841 die beiden Kolonien als Ost- und Westkanada wieder, die dann 1848 ihre eigene Regierung erhielten und mit Ausnahme der Außenpolitik selbständig wurden. Auf diese Weise erlangte Kanada ein weiteres Maß an Autonomie, blieb jedoch weiterhin Teil des britischen Weltreichs.

1867 schlossen sich Ost- und Westkanada, Neuschottland und Neubrunswick durch den „Britisch North America Act“ zu einem einzigen unabhängigen Land mit dem Namen „Dominion of Canada“ zusammen.

In den folgenden Jahren kam es zu einer immer weiteren Ausdehnung nach Westen, die jedoch nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten ging. 1830 hatte die Regierung mit der Umsiedelung der Indianer in Reservate begonnen und stellte damit die Urbevölkerung quasi unter staatliche Vormundschaft. Dies wurde nicht überall ohne Widerstand hingenommen:

So kam es 1869 zum Beispiel zu einem Aufstand der Métis ( Abkömmlinge indianischer Frauen und englischer oder französischer Pelzjäger), die ihre angestammten Landrechte verteidigen wollten. Als Kompromiss wurde daraufhin die neue Provinz Manitoba geschaffen.

1876 trat der sogenannte „Indian Act“ in Kraft, ein Gesetz dass sich damit beschäftigte, wer ein „Indianer“ war und welche Rechte und Pflichten er damit hatte. Dadurch erhielt die Bundesregierung auch alle Vollmachten über die in den Reservaten lebenden Indianer. Das heißt, diese wurden überwacht wenn sie die Reservate verließen und es wurde bestimmt wann und wo deren Kinder zur Schule zu gehen hatten.

Teile dieses Gesetzes sind übrigens heute noch in Kraft und werden auch angewendet.

2.2 Das Reifen einer Nation

Aufgrund seines Beitrags zum ersten Weltkrieg bekam Kanada einen eigenen Sitz im Völkerbund, und als das britische Weltreich seinem Niedergang nahe stand wurden die Stimmen die die Unabhängigkeit forderten immer lauter. Mit dem „Statut von Westminster“ schließlich erlangte Kanada 1931 die verfassungsmäßige Unabhängigkeit von Großbritannien. Während des 2. Weltkrieges gewann Kanada durch seine Rüstungsindustrie große Reichtümer und hatte sich nach dem Krieg zur 4. größten Industriemacht entwickelt.

Bei den Einwanderern hat sich heute im Bezug auf die Herkunftsländer ein merklicher Wandel vollzogen. Vor dem Zweiten Weltkrieg kamen die meisten Einwanderer aus Großbritannien oder Osteuropa, seit Kriegsende hat vor allem die Zahl aus südeuropäischen Ländern, sowie Asien, Südamerika und der Karibik Kanadas multikulturelles Mosaik bereichert.

Kanada ist Gründungmitglied der Vereinten Nationen und hat bisher als einziges Land an allen wichtigen Friedenssicherungsunternehmungen teilgenommen. Es ist Mitglied im Commonwealth, der Frankophonie, der Gruppe der 7 Industrienationen, der NATO und der NORAD1.

3 Aktuelle Lage der verschiedenen ethnischen Gruppen

3.1 allgemein

Die von Christopher Columbus 1492 fälschlicherweise als „Indianer“ bezeichnete „Erste Nation“ stellt einen bedeutenden Teil der kanadischen Gesellschaft dar. Ende 1995 gab es in Kanada 593 050 sogenannte „Indianer“ die sich landesweit in 608 „Stämme“ aufteilen. Wer sich vom Staat als Indianer „registrieren“ lässt, bekommt von der Regierung den Anspruch auf gewisse Rechte, Privilegien und Vorteile. 55% der „Indianer“ leben in für sie eigens ausgewiesenen Regionen (den sogenannten Reservaten) von denen es in Kanada mehr als 2200 gibt. Resultierend aus dem „Indian Act“ verlangt es das Gesetz heute noch, dass die Bundesregierung die Wahlen der „Ersten Nation“ beaufsichtigt und auch bei einem Gesetzesbeschluss eine Vetostimme einlegen kann.

3.2 In Quebec

In den letzten 30 Jahren musste sich Kanada, vor allem im Gebiet der Provinz Quebec, besonders mit der Frage seiner Identität auseinandersetzen.

Von den rund 7 Millionen Quebecern sind mehr als 5 Millionen französischen Ursprungs, 350 000 sind britischer Herkunft, 137 000 stammen von den indigenen Völkern der Mohawk, Cree, Montagnais, Algonquin, Attimek, Mi Kmaq, Abenaki,Metis, Inuit und Naskapi ab. Die Einwanderer, die traditionell aus Italien und Osteuropa stammen, kommen seit Ende der 60er Jahre zunehmend aus Portugal, Haiti, dem Libanon, Südamerika und Asien. Seit 1945 sind über 650 000 Menschen aus 80 Ländern nach Quebec gekommen, von denen 83% französisch sprechen und ca. 10% englisch als Muttersprache haben.

1 North American Aerospace Defense

3.3 Unabhängigkeitsbestrebungen Quebecs

Die Unzufriedenheit vieler Frankokanadier in der Provinz Quebec führte 1980 zum ersten Volksentscheid über die Frage einer größeren politischen Unabhängigkeit der Provinz. Die Mehrheit stimmte jedoch für die Beibehaltung des Status quo.

Der „Constitutional Act“ ,der 1982 das Ende aller Mitspracherechte Großbritanniens bei der kanadischen Verfassung festlegte, wurde von Quebec nicht unterzeichnet, woraufhin 1987 ein weiterer Vertrag, das sogenannte „Meech Lake Abkommen“ entworfen wurde, das den Vorstellungen Quebecs entgegenkommen sollte, von ihnen jedoch ebenfalls nicht akzeptiert wurde.

1995 wurde ein erneuter Volksentscheid durchgeführt, der wiederum mit hauchdünner Mehrheit zugunsten eines Verbleibens der Provinz Quebec bei Kanada entschieden wurde.

Knapp einen Monat nach dem Volksentscheid, am 30.10.1995 verabschiedete das Kanadische Parlament eine Resolution, in der es Quebec den Status einer „distinct society“ zuerkannte, was bedeutet, dass ihm verfassungsmäßig einige Sonderrechte zustehen sollen, die den anderen Provinzen im eigentlich föderalen Kanada nicht zuerkannt werden.

Im August 1998 entschied Kanadas Oberster Gerichtshof, dass weder kanadisches noch internationales Recht es der Provinz Quebec erlauben würde, sich einseitig vom übrigen Kanada zu trennen. Falls sich aber eine klare Mehrheit der dortigen Bevölkerung für die Unabhängigkeit ausspreche, seien Bundesregierung und Provinzen dazu verpflichtet, mit Quebec über die Sezession zu verhandeln.

Abschließend kann man sagen, dass Kanada ein Land ist, das nicht nur von dem Gegensatz französisch – englisch geprägt ist, sondern aufgrund seiner Einwanderer auch durch eine Vielzahl anderer Einflüsse und Kulturen, welche der kanadischen Bevölkerung ein großes Maß an Toleranz sowie Kompromissbereitschaft abverlangen.

4 Der Canadian National Tower (CN)

Das 1976 fertiggestellte Gebäude ist mit seinen 555 Metern und 2570 Treppenstufen der höchste, nicht mit Kabeln verankerte Turm der Welt. Erbaut wurde er von der Canadian National (CN) Eisenbahngesellschaft, die dadurch die Stärke der Kanadischen Industrie demonstrieren wollte, dass sie ein Gebäude schuf, das höher als alle anderen der Welt sein sollte. Die Bauzeit betrug 40 Monate, in denen 1567 Arbeiter an 5 Tagen pro Woche während 24 Stunden ihre Arbeit verrichteten. Die Baukosten betrugen ca. 300 Millionen $. Am 2.April 1976 wurde der Turm für das Publikum eröffnet und 1995 als eines der „7 Weltwunder der modernen Welt“ eingestuft. Heute dient er 16 kanadischen Fernseh-und Rundfunkstationen als Telekommunikationszentrum, bietet Arbeitsplätze für rund 550 Personen und beherbergt in seinem Inneren unter anderem 360 Restaurants und den höchst gelegenen Weinkeller der Welt.

5 Das Buch „Ainsi parle la Tour CN“

5.1 Über den Autor

Hédi Bouraoui wurde 1932 in Tunesien (Sfax) geboren, hat jedoch die kanadische Staatsbürgerschaft und lebt nach seinem Studium in Frankreich seit nunmehr über 30 Jahren in Toronto. Er ist neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch als Literaturkritiker bekannt geworden. Darüber hinaus ist er Vizeredakteur der lyrischen Zeitschrift “Envol“, arbeitet als Redakteur bei „littéRealité“ und hat mehrere Sonderausgaben verschiedener Zeitungen verfasst, wie zum Beispiel das luxemburgische „Estuaires“ das der franko-ontarischen Poesie gewidmet ist. Er ist Mitglied der « Académie des Lettres es des Sciences Humaines de la Société Royale du Canada », sowie der „Vereinigung der quebecischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller“ und hat für seine Werke schon mehrere Preise verliehen bekommen: 1996 den „Grand Prix“ der Stadt Sfax, 1997 den „prix spécial“ der Jury COMAR in Tunesien, 1998 in Toronto den „Grand Prix du Salon de livre de Toronto“ und 1999 für sein Lebenswerk den „prix de Nouvel Ontario“.

Neben seiner Lehrstuhltätigkeit als Professor für Vergleichende Literaturwissenschaften an der Universität Toronto organisiert er zahlreiche Konferenzen und leitet Workshops über die francophone Literatur. Bei seinen wichtigsten Veröffentlichungen bisher handelt es sich um 8 Romane und 15 Gedichtbände von denen das hier besprochene Buch sein jüngstes Werk ist.

5.2 Über das Buch

Bei dem im Jahre 2000 erschienenen Buch handelt es sich laut Autor um einen „roman, recit, journal, prosème“2, wobei prosème eine Mischung aus „prosa“ und „poème“ darstellt. Aufgeteilt ist es in 24 Kapitel,( die den 24 Umdrehungen entsprechen könnten, welche die Aussichtsplattform des Turms an einem Tag zurücklegt) in denen immer wieder Einschübe von Gedichten, Briefen, Traumsequenzen und Zeitungsartikeln erfolgen. Es wird in der ersten Person Singular aus der Sicht des 2 siehe Bucheinband

Turmes erzählt, der über Toronto steht und das Leben seiner Bewohner mit kritischen Augen verfolgt. Es wird jedoch sehr schnell klar, dass Bouraoui sich selbst mit dem Turm identifiziert und durch den Turm seine Meinung zur aktuellen Lage Kanadas abgibt. An einigen Stellen wird dies besonders deutlich, so zum Beispiel als der Turm verkündet: „normalerweise beschäftige ich mich nicht mit der Vergangenheit meiner Charaktere“(S.76). Infolgedessen werde ich im folgenden keinen Unterschied mehr zwischen Bouraoui und dem Turm machen und die beiden „Personen“ als eine zusammenfassen. Die Tatsache, dass auch mehrmals betont wird, der Turm habe keine eigenen Gedanken „ich denke nicht“(S.151), „Turm ohne Gedanken“(S.153) mag vielleicht ein Hinweis darauf sein, dass Bouraoui sich als neutralen Beobachter sieht, der das reale Geschehen kommentiert ohne jedoch viele eigene Interpretationen zu liefern. Dazu passt auch , dass er sich „als Spiegel in dem sich die Bewohner Torontos anschauen“(S.156) betrachtet. Für ihn sind „alle meine Charaktere Teil von mir selbst“ wobei „jeder von ihnen wiederum ein Turm für sich selbst ist“(S.242). Erst ganz am Ende des Buches bekommt der Turm sogar menschliche Züge. Er verkündet, dass er „trotz allem Anschein menschlicher Natur“(S.302) ist und einen „Türspion besitzt“(S.289) durch den er immer die Leute beobachtet hat und dass er „am Ende seines chaotischen Parcours“ die „Chance hatte, vom Auge des Naturgeistes angesehen zu werden“(S.290) und seine „Gefühle aus Stein explodieren zu lassen“(S.290), so dass er in der Lage ist alle Reaktionen des Naturgeistes nachzuempfinden. Der Turm und damit auch Bouraoui verkündet, dass er sein „Inneres nach außen gewendet“(S.290) hat3, und versucht, sich „ohne Eigeninteressen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“(S.290) zu beziehen. Der schlüssigste Beweis aber dafür, dass Bouraoui und der Turm eins sind, ist ein Brief, den der Turm von der Mutter Lebretons erhält. In diesem Brief klagt sie den Turm an, “absolut untypische französische Wendungen zu gebrauchen, lexikalische und semantische Unkorrektheiten zu begehen, metaphorische Verwirrung zu schaffen“(S.292) und schlägt ihm eine Korrektur, besser noch eine „Neuschreibung“(S.292) des Romans vor. Außerdem informiert sie ihn, dass sie „das sprachliche Gesicht des letzten Kapitels gesäubert“(S.293) hat und fordert „Autorenrechte wie jeder gute Co-Autor“(S.293).

Hierbei kritisiert sich also Bouraoui selbst und erkennt, dass eine von ihm geschaffene, zweitklassige Person aus seinem Roman ihn dazu bringt, an seinen „Fähigkeiten als Erzähler zu zweifeln“(S.296).

3 wrtl. : »je me suis mise à nue »

5.3 Die Bewohner

5.3.1 Pete Deloon

Bei Pete Deloon handelt es sich um einen von Missionaren aufgezogenen Mohawk Indianer. Als Kind von seinen Eltern verlassen, musste er die Kultur seiner „Zieh-Nation“ annehmen. Der „Nomade der modernen Zeit“(S.99) hat beim Bau des Turmes mitgewirkt ( die Antennen montiert) und wird nach einem Sprung mit dem Fallschirm vom Turm herab fristlos entlassen. Daraufhin muss er seinen Zugangsbutton zum Turm abgeben, der für ihn seine gesamte Identität dargestellt hat. Er fühlt sich jetzt „wie eine Ameise, die kein einziges Korn mehr ergattern kann“(S.21).

Als er längere Zeit arbeitslos ist, setzt er sich vor dem Turm mit den alten Mächten in Verbindung um diese um Hilfe anzuflehen

Zudem gibt es noch Petes Vater, der wegen des Mordes an einem Rivalen angeklagt und verurteilt worden ist, obwohl es nie schlüssige Beweise für seine Schuld gegeben hat, sowie einen Cousin Petes, der Selbstmord begeht, weil er „fed up with life“(S.74) ist.

Nachdem Pete ein Verhältnis mit Twylla eingegangen ist, lebt er bei ihr „wie ein Goldfisch in einem Aquarium“(S.157). Er folgt ihr „wie ein Hund“(S.157) und bringt keine eigene Energie mehr auf. Er denkt zwar, aber „existiert nicht mehr. Er ist ein Roboter“(S.153).Er beginnt zu trinken und wird gewalttätig. Schließlich bringt er die Energie auf, Kelly zu verlassen und versucht, wieder zu Twylla zurückzukehren.

5.3.2 Twylla Blue

twylla Blue ist die Frau Petes, die dem christlichen Glauben angehört und zunächst im Reservat bleibt, währen ihr Mann in die Stadt geht, um Geld zu verdienen. Als sie ihn damals geheiratet hat, tat sie es, um das indianische Erbe zu erhalten. Als ihr klar wird, dass ihr Mann so schnell nicht mehr zurückkommen wird, und sie außerdem von seinem Fremdgehen erfahren hat, geht sie in die Stadt und wendet sich an Rocco Cacciapuoti um von ihm Arbeit in ihrem alten Beruf als Journalistin zu erhalten. Da dieser sich ihrer jedoch schnellstmöglich entledigen will, schickt er sie nach Malaysia, um über die Einweihung des Menara Turmes in Kuala Lumpur zu berichten. Vor ihrem Abflug sorgt sie sich jedoch noch um Pete, von dem sie denkt, dass er von seinem toten Vater besessen sei(Vgl.S.127). Denn nur so kann sie sich sein seltsames Verhalten erklären. Zusammen mit Souleyman will sie einen Schamanen aufsuchen, um Pete zu heilen. In Kuala Lumpur lernt sie einen Malaysier kennen, der wegen Euthanasie an seiner Mutter ins Gefängnis kommt. Da sie sich in ihn verliebt hat und weiß, dass es eventuell schwierig sein könnte für ihn eine Einreisegenehmigung nach Kanada zu bekommen, beschließen sie die „Karte des politischen Flüchtlings“(S.139) auszuspielen. Zurück in Kanada erkennt sie, dass „es notwendig war“, ihr „Landzu verlassen, um sich selbst in ihrem Inneren zu finden“(S.143). Sie beschließt, nicht mehr in ihr Reservat zurückzukehren, sondern als „Free Lance“(S.176) in Toronto zu bleiben. Als ihr malaysischer Geliebter sich eine Arbeit suchen will, wird ihm diese verweigert, da der Chef des Arbeitsvermittlungsbüros („ernannt nicht wegen seiner Kompetenz, sondern weil er der in Quebec geborenen frankophonen Minderheit angehört“(S.234)) „keine Namen akzeptieren kann, die seltsame Konsonantenverbindungen enthalten.“(S.234). Schließlich beschließt sie, zusammen mit ihrem Geliebten, den sie nicht heiraten kann, da sie sonst ihre Rechte als „Indianerin“ verlieren würde, sich um die Frauen der Eingeborenen zu kümmern, ihnen zu helfen, sich in der modernen Welt zurechtzufinden.

5.3.3 Marc Durocher

Marc Durocher ist ein anarchistischer Franco-Ontarier, der nicht nur eine zweisprachige Beschilderung in Toronto fordert, sondern alle Franzosen “de souche” oder “dé souchés“ (S.24) (das heißt, alle Franzosen die über Generationen hinweg eine reine Nationalität haben) dazu aufruft, rein englische Schilder schlichtweg zu missachten, „an einem Stopp, das in der Sprache Voltairs nichts zu sagen hat, nicht anzuhalten“(S.24). Zusammen mit Marcel Marie fordert er die Unabhängigkeit Quebecs.

5.3.4 Kelly la Belle Blonde

Kelly verkörpert das typisch westliche Frauenideal:“6 Fuß groß, Brustumfang 32, 110 Pfund schwer“ (S.24). Als Tochter eines Richters hat sie es schnell zu Erfolg gebracht und arbeitet nun im Personalbüro des Turms. Sie ist es, die Pete entlassen hat. Im Laufe der Geschichte verändert sie ihren Charakter, wird offener, sensibler und beginnt schließlich ein Liebesverhältnis mit Pete, das sie sichtlich aufblühen lässt.

5.3.5 Rocco Cacciapuoti

Rocco ist ein italienischer Einwanderer, der seit seinem sechsten Lebensjahr in Kanada wohnt, oft seinen Berufszweig gewechselt hat, und dadurch finanzielle Erfolge verbuchen konnte. Er will in die Politik gehen, sieht aber nur in „little Italiy“ Chancen, Wählerstimmen zu bekommen. Schließlich wird er Informationsminister, ein Posten den vor ihm ein Ukrainer und ein Pole inne hatten. Je nach aktueller politischer Lage ändert er seine Einstellung von links nach rechts, um sich die Gunst der Wähler zu erhalten. Er ist jedoch der einzige, der über seine Fehler nachdenkt und sie auch bereut. Er erkennt, dass er „erst dann gegen das Übel kämpft das die anderen erdulden“(S.222), wenn es ihn selbst betrifft.

5.3.6 Souleyman Mokoko

Bei Souleyman handelt es sich um den schwarzen Lifter des Aufzugs im Turm. In seinem Heimatland ist er Brückeningenieur, seine Diplome nützen ihm hier jedoch nichts, so dass er sich in „nicht umtauschbares Geld“ verwandelt fühlt, und das in einem Land das sich „eines der gastgeberischsten Länder des Okzidents tituliert“(S.26). In Afrika hätte er gewusst, wie er sich einen Job verschaffen kann, nämlich „indem man dem zukünftigen Chef eine Ziege anbietet“(S.26), in Kanada ist er jedoch hoffnungslos verloren. Als er sich seinem Freund Rocco anvertraut teilt ihm dieser mit, dass er zwar ein anerkannter Einwanderer sei, die Gleichheit aber „nur auf dem Papier“ existiere und „ die Praxis eine andere Sache“(S.27) sei. Als er wegen eines Unfalls zu spät zur Arbeit kommt wird er sofort entlassen, da er laut der Verwaltung „keinerlei Zeitgefühl besitzt“ und „alle Afrikaner sowieso nur Pfefferfresser sind“(S.182).

5.3.7 Marcel-Marie Duboucher

Marcel Marie Duboucher ist ein „Franco-Ontarier-de-souche, schwul“(S.32), der aufgrund der Zugehörigkeit zu diversen Minderheitengruppen einen Job erhält. Man vermutet, er schlage seine Frau (Vgl.S.35), doch dies spielt in diesem Moment keine Rolle. Als Marcel Marie sich für Mokoko zu interessieren beginnt, stellt er entsetzt, und vor allem ungläubig fest, dass dieser „die Sprache Molières“(S.50) besser spricht als er selbst. Als er auch die männlichen Besucher des Turmes mit seinen Avancen belästigt stellt sich die Verwaltung taub, da sie Angst hat, dass eine Anzeige aufgrund seines Minderheiten-Status beträchtliche Probleme bereiten könnte.

5.3.8 L intrus Symphorien Lebreton

Lintrus ist ein Bretone, der sich heimlich in das Gebäude des Turms eingeschlichen hat und überall Zettel mit kleinen Nachrichten hinterlässt. Es handelt sich um philosophische, teils rhetorische Fragen an den Turm, der für ihn „Scheitern und Erfolg der Königinnenstadt“(S.109) verkörpert. Andererseits bringt er aber ihm, und allen die an seinem Bau mitgewirkt haben einen tiefen Hass entgegen, da der Turm die Vielzahl ihrer Sprachen auffängt und verbreitet und so das reine Französisch bedroht (Vgl.S.111). Sein Ziel ist es, die „Sprache Shakespeares zu vernichten und die Luft zu reinigen.“(S.112). Er singt im Turm, rezitiert Gedichte und entwickelt eine fast wahnsinnige Liebe zu dem Turm. Diese Hass-Liebe geht so weit, dass er unter dem Turm eine Bombe installieren will um ihn in die Luft zu sprengen, ihm „das Herz zu entreißen“(S.246) und an seiner Statt einen Eiffelturm zu errichten, der „Symbol der ständigen Entwürdigung“(S.246) sein soll.

5.3.9 Der personifizierte Turm

In Quebec leben laut Autor 3 Generationen zusammen. Die Erste Nation, bei denen es sich um die Indianer handelt, die zweite Nation, die Weißen bzw. Franzosen und die 3. Nation, die von den Einwanderern dargestellt wird. Außerdem kommt natürlich noch die Unterscheidung in französischsprachige und englischsprachige Kanadier hinzu. Im Zusammenhang damit spricht Bouraoui von „zwei Einsamkeiten, die es nicht vermeiden können, sich aus Gewohnheit den Rücken zuzukehren“ (S.23).

Er gibt zu, dass in Kanada vor allem die englische Sprache eine Rolle spielt, merkt jedoch an, dass er ,der Turm, „die Minderheitensprecher nicht aus den Augen verliert“ und sich bewusst „dafür entschieden hat, seine Geschichte in der Sprache Chapdelaines, Langevins, Ducharmes und Grandbois“(S.136) zu erzählen.

Bouraoui spürt die starke Präsenz, die die USA in Toronto ausüben. Er sieht Quebec als „kleine Maus“ die im „Schatten des Elephanten“ lebt (S.10), verurteilt jedoch auch Marc Durocher, der für die 5%ige Minderheit der Franco-Ontarier zweisprachige Toilettenbeschilderungen fordert: "als ob die Franco Ontarier nicht in der Lage wären, ein paar englische Worte zu entziffern...man weiß doch dass das Englisch der Königin überall König ist“(S.23).

Auch versteht er nicht, dass die französische Minderheit soviel Aufhebens um jedes Stück Land macht: „wenn man im größten Land der Erde wohnt...mit kaum 28 Millionen Einwohnern“(S.65) gibt es ja Platz genug für alle. Seiner Meinung nach sind die 56 von den französischen Minderheiten gegründeten Organisationen, die der Erhaltung ihrer Sprache dienen sollen, nicht nur „sehr kompliziert“, sondern sie verschaffen ihm „sogar Kopfschmerzen“ (S.64). Als er feststellt, dass sich die Quebecer als die „weißen Schwarzen Amerikas“(S.90) betrachten und einen Kongolesen einstellen, um ihre Lage in Kanada zu beurteilen, klingt dies schon fast ironisch.

Er stellt fest, dass die Amerikaner in ihrem „melting pot“ sämtliche Sprachen und Kulturen vermischt haben, in Kanada jedoch jeder „seine Kultur mit seinen Zähnen“(S.37) festhalten soll.

Für Bouraoui spielt der Begriff der „grande Solitude“ eine große Rolle. Er spricht von den „deux Solitudes premières fondatrices“(S.38) den Gründungseinsamkeiten, denen jetzt eine dritte hinzukommt, die „solitude multiculturelle“(S.158). Diese drei Einsamkeiten wären aber nichts ohne die „Grundlage der Pyramide“(S.158), den Eingeborenen. Da sich innerhalb des „Mosaiks Kanada“(S.37) kleine Inseln von Immigranten bilden, die sich nicht mit den anderen Nationalitäten vermischen, stellen sie jeweils wieder eine große Einsamkeit dar.

Es findet also laut Bouraoui kein Transkulturismus statt. Er sagt, er kenne seine Charaktere:„Sie sprechen durch eine Maske miteinander, ohne sich wirklich zu treffen“(S.99). Jeder trägt weiterhin an seinen eigenen Problemen ,ohne sich bei seinen Freunden Erleichterung verschaffen zu können. „Sie haben fast den Sinn des Zuhörens verloren“(S.243). Er selbst sieht sich in der Rolle des Vermittlers – er „anti-babelisiert“(S.16), und es gefällt ihm „das Wort der Offiziellen Minderheit“ (S.19) zu ergreifen.

Um diesen Zustand auf einen klaren Punkt zu bringen, bedient er sich eines Ausspruches der Schriftstellerin Margaret Atwood: “Die Ansammlung kanadischer Identität ist wie ein Hund der seinen Schwanz verfolgt – Sie verschlechtert immer mehr die Sprachen“(S.154)4

4 „La quête de l´ identité canadienne est comme un chien à la poursuite de sa queue. Elle écorche plus les langues »

An anderer Stelle, als der Afrikaner Mokoko seinen Job verliert und mit seiner Tochter über den Nachteil spricht, Ausländer in Kanada zu sein, wird deutlich klar, dass Bouraoui den in Kanada praktizierten „integrisme“ im Gegensatz zum „integralisme“ stark kritisiert. So stellt Mokoko deprimiert fest, dass man ihm versprochen habe „sein Erbe, seine Kultur, seine Sprache behalten zu dürfen“(S.185) und plötzlich habe man gesagt, „die verschiedenen Ethniken müssen sich integrieren, angleichen, rein werden...um Wurzeln zu fassen“(S.185). Mokoko erkennt aber sehr richtig „egal was wir auch pflanzen, sei es ein Gummibaum oder ein Ahorn, unser Baum wird niemals „de souche“ sein“(S.185). Auch Rocco bekommt oftmals gesagt: “jetzt...sind sie kein Italiener mehr, und sie werden niemals Kanadier sein. Ihre Wurzel, die sie mit ihren dreckigen Händen ausgerissen haben, wird in diesem Paradies auserwählter Herkünfte nie wieder Boden fassen“(S.224).

Der Turm stellt fest, dass er weder mit der befehlenden Gewalt Symphoriens, noch mit dem Subventionismus Marcel Maries oder der Rocco aufgezwungenen Assimilation etwas anfangen kann. Könnte er bestimmen, würde er sich für „das Ideal der sanften und spontanen Integration wie von Souleyman gefordert“(S.247) entscheiden.

Es wird jedoch eindeutig klar, dass er sich für einen Verbleib Quebecs bei Kanada ausspricht. Einmal sagt er dies sogar wörtlich: „..um Quebec davon zu überzeugen im Kreis unserer kanadischen Mutter zu verbleiben.“(S.19). Später, als die beiden Separatisten Marcel Marie und Marc einen Plastiksprengsatz im Turm zünden, bestärkt ihn dies noch in seiner Meinung über „die Separation Quebecs und alles, was damit zusammenhängt“(S.298).

Auch als Pete entlassen wird, seiner Meinung nach, weil er ein bisschen Fantasie in sein Leben gebracht hat (Vgl.S.21) gibt er zu, dass er Pete bewundert und „genauso gehandelt“(S.21) hätte Durch die Einstellung Dubouchers wird klar, dass dieser seinen Job erhalten hat, weil er in zweifacher Hinsicht einer Minderheit angehört. Er ist Franco-Ontarier und schwul. Pete jedoch, der auch einer Minderheit angehört, findet sich ohne Job wieder. Kanada gibt sich also den Anschein, seine Minderheiten zu berücksichtigen, macht aber zwischen Minderheit und Minderheit sehr wohl einen Unterschied.

Ein weiterer Kritikpunkt ist laut Bouraoui der übertriebene Subventionismus von Minderheiten in Kanada. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer „ansteckenden Krankheit“(S.38), die oft nur dazu dient, auf Wählerstimmen-Fang zu gehen. Dies ist seiner Meinung nach jedoch nicht die einzige Krankheit:

Er erkennt, dass sich „die Leiden des 20.Jahrhunderts“(S.95), nämlich Müdigkeit, Sorgen, Beklemmung und die Angst vor dem Morgen trotz Schminke nicht verdecken lassen und somit immer in den Gesichtern der Bewohner zu sehen sind. Für ihn gibt es einen typisch kanadischern Wert: das Überleben ( Vgl.S.129), wohingegen die „Spirualität“ genauso wie die offiziellen Sprachen immer unwichtiger werden.(Vgl.S.129). Später wirft er Kanada sogar vor, gar keine eigene Identität zu haben. Als Twylla aus Malaysia zurückkommt und gefragt wird, was sie denn mitgebracht habe, antwortet sie mit einem Satz den die Malaysier oft zu ihr gesagt haben: “befehlen sie ihren Scheintoten („morts-vivants“), über uns zu sprechen“(S.140). Sie meint, die Kanadier würden immer über sich selbst sprechen, als ob „der Rest der Welt für uns nicht existiert“(S.141). Die Malaysier hingegen ziehen bei allem was sie tun immer die Meinung Amerikas zu Rate, wobei allerdings Kanada für sie nur ein kleines nutzloses „Anhängsel am Kopf der Rakete“(Anm.d.A.: die Rakete sind die USA)(S.141) ist, das „nicht wirklich zu etwas nütze“(S.141) ist.

Gegen Ende des Buches teilt der Turm (bzw. der Autor) mit, dass er „jetzt weiß, warum" er „diese Erzählung geschrieben“(S.180)hat. Er sagt „meine Rolle beginnt dort, wo das Wort erlischt –ich habe keine andere Aufgabe als als Vermittler tätig zu sein“(S.181). Andererseits gibt er aber auch offen zu, dass er „nicht immer neutral“(S.181) bleibe.

Zusammenfassend kann man sagen, dass seine Hauptaufgabe darin besteht, die Leute aufzuwecken (Vgl.S.347) sowie „die Sprache der Vereinigung“(S.68) zu suchen, „die Wahrheit zu entdecken“(S.109) und „die Hoffnung dieses Landes widerzuspiegeln“(S.159).

5.4 Ausblicke auf die Zukunft in dem Roman

Am Ende des Buches treffen sich die beiden Frauen Twylla und Kelly, die zwei ganz unterschiedliche Weltanschauungen verkörpern. Kelly erkennt, dass ihr Handeln nur vom Kapitalismus bestimmt war(Vgl.S.338), während Twylla mehr ihrer Intuition und ihrem sechsten Sinn gefolgt ist. Sie sprechen über die Vergangenheit und auch über eine mögliche Zukunft der Situation der Eingeborenen. Sie erkennen, dass man mit Veränderungen im kleinen beginnen muss und sich so „vom Mikrokosmos zum Makrokosmos“(S.340) emporarbeiten muss. Das Ziel ist „für alle zugängliche Sonnentürme“(S.342) zu schaffen Kurz vor dieser Unterhaltung treffen sich die meisten Hauptpersonen (bis auf Pete und Twylla) auf einem von Marc Durocher organisierten Treffen im Inneren des Turms. Marc vertritt erneut seine These dass man „koste es was es wolle“(S.323) Quebec eine eigene Identität verschaffen müsse und „Freiheit das einzige Mittel“ (S.323) sei, um sich zu unterscheiden. Kelly King hingegen widerspricht ihm in dem sie meint, dass sie so nur noch abhängiger von der Amerikanern werden würden, die ohnehin schon 70% ihrer Wirtschaft dominierten. Laut ihr würde Quebec zu „einer von allen vergessenen kleinen Insel inmitten Nordamerikas“(S.323) werden, und es sei viel besser „zu streiten, als sich zu trennen und sich den Rücken zuzukehren.“(S.324). An dieser Stelle mischt sich Rocco Cacciapuoti in die Diskussion ein und merkt an, dass es nicht möglich sei, die Unabhängigkeit zu fordern, wenn man nichts von der Ursprünglichen Bevölkerung wissen will. Er meint, die Italiener hätten es geschafft „englisch und französisch zu dominieren ohne die Muttersprache zu verlieren“(S.325) und dass sie ständig ihre „kollektive Identität neu erschaffen, die nur auf der Würde aller basieren kann“(S.325). Souleyman Mokoko schließlich schließt sich der Meinung Roccos an, meint jedoch, dass dieser, um Erfolg zu haben, den Trumpf gehabt hätte, Weißer und Europäer zu sein, wohingegen er „und alle andern, die mit einem der ersten Buchstaben des Alphabets beginnen, wie Afrikaner, Afro-Amerikaner, Bewohner der Antillen.“(S.325) unendlich viel mehr Zeit benötigen würden, um sämtliche Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen.

Mann kann also sagen, dass keine der Personen im Laufe der Erzählung ihre Einstellung geändert hat. Alle folgen sie ihrer Ideologie, ihrem einmal eingeschlagenen Weg und sind nicht bereit, sich durch die Argumente anderer von ihrer Meinung abbringen zu lassen.

Ganz zu Ende des Buches stellt sich Bouraoui in Person des Turmes die Frage, welche Konsequenzen ein Austritt Quebecs wohl nach sich ziehen würde. Momentan wird Quebec von Frankreich als „Teil der Frankophonie auf eigenem Staatsgebiet“(S.313) betrachtet und beansprucht 30% des weltweiten Budgets der Frankophonie. Abgesehen von den finanziellen Folgen wäre ein weiteres Problem die Rolle der Indianer in dem zukünftigen Staat, die zwar 4/5 des Quebecer Bodens besitzen, stimmenmäßig aber nur eine geringe Minderheit darstellen. Ebenfalls bedacht werden müsste die Lage der französischsprachigen Ontarier, die nicht bereit sind, ihre Provinz zu verlassen.

Als Schlusswort stellt Bourauoi einen Vergleich mit dem Phönix aus der Asche an. Wie dieser Vogel ,der der einzige ist der niemals stirbt muss Quebec auf irgendeine Art und Weise aus seiner Asche auferstehen und den Weg in eine gemeinsame Zukunft finden.

5.5 Vergleich mit andern Türmen innerhalb des Romans

Im vorliegenden Buch wird der Turm CN neben seinem Titel „ainsi parle la Toure CN“ der stark an Zarathustra erinnert5 zu einer Art “Super-Turm”erhoben, der über alle anderen Türme in der Welt dominiert. Nicht nur durch seine Höhe, sondern auch dadurch, dass er in der Lage ist, alle Wellen aufzufangen, die das Leben in Toronto (seinem „Epizentrum“) und ganz Kanada beschreiben. Durch die Bewohner Torontos, die Beziehungen zu anderen Gegenden der Welt haben, werden verschiedene Vergleiche des CN Towers mit anderen Türmen angestellt.

Der Turm vergleicht sich selbst mit den berühmtesten Bauwerken der USA und Londons. Er erinnert an ein Massaker durch einen Israeli das auf der Besucherterrasse des Empire State Buildings stattgefunden hat und bei dem mehrere Menschen verletzt worden sind. Seiner Meinung nach hat das Empire State Building von diesem Zwischenfall gar nichts mitbekommen, wohingegen seine eigene Antenne „viel aufmerksamer ist...“ weil er „von Natur aus viel aufnahmebereiter“(S.203) ist. Das heißt, er lebt und er-lebt, was um ihn herum vorgeht, nimmt Anteil am Leben um ihn herum, und ist selbst Teil dieses Lebens.

Bei der Menara von Kuala Lumpur handelt es sich um den größten Turm Asiens, errichtet auf dem Bukit Nanas Berg, weltweit erreicht er im Bezug auf seine Höhe jedoch nur den 3. Platz. In seinem Inneren findet man, wie auch im CN Tower, eine Einkaufszone, ein Panoramarestaurant, aber dazu noch ein Amphitheater, ein Minitheater, ein Schwimmbad und einen Gebetssaal. Laut Twylla vermittelt dieser Turm Kontakte zwischen den Menschen und jeder Malaysier „trägt seinen persönlichen Menara in seinem Herzen“(S.175). Er „ ist ihr Glauben und ihr Stolzder Brennpunkt aller ihrer kulturellen, lokalen, internationalen ja sogar universellen Aktivitäten“(S.175). Twylla stellt auch fest, dass es einen großen Unterschied zwischen den beiden Türmen gibt: “Der Turm von Kuala Lumpur ist mit einem Geist ausgestattet, den unserer nicht 5 Chercher la langue qui reconcilie“ von Georges Bélanger in « Liaison » Ausgabe 106 S.31f besitzt und auch nicht besitzen zu wollen scheint. Nicht aufgrund von mangelnden Möglichkeiten , sondern weil wir den Blick nur dann in die Vergangenheit wenden, wenn wir sie verurteilen wollen.“(S.175) Für Twylla ist der Turm CN also ein Gebäude, in der Gegenwart errichtet, das die Gegenwart beschreibt, ohne auf die Wurzeln der Geschichte einzugehen.

Im Gegensatz dazu wird der Turm CN an anderer Stelle von Mokoko als Ka´ba bezeichnet. (Ka ba ist eines der höchsten Heiligtümer des Islams, ein Stein der durch den Erzengel Gabriel auf der Erde abgelegt worden ist). Für ihn ist der Turm ein „Mekka der Bewohner Torontos und der Touristen“ der „zweifellos auch etwas von dem Geist der „première Nation besitzt“(S.189). Die Leute scheinen dies nur nicht zu erkennen.

Der Italiener Rocco, der nur deswegen in der neuen Welt Erfolg hat, weil er „in sich die alte Welt trägt“(S.217) erinnert den Turm an einen viel älteren Turm, nämlich den von Pisa. Die gesamte Stadt Pisa mit ihrer Synthese aus römischen, muselmanischen und gotischen Bauwerken stellt einen neuen Stil dar, der durch den Turm gekrönt wird. Für Rocco ist er ein Turm, der sich vor Gott verneigt, während der Turm CN, ein atheistischer Turm, (Vgl.S.219) ihn „kalt lässt wie ein Stalagmit“(S.219).

6 Schluss

Das Buch „Ainsi parle la Toure CN“ ist ein Buch, dass die Menschen zum Nachdenken animieren, sie wachrütteln soll.

Obwohl Bouraoui zunächst behauptet, nur ein unabhängiger Beobachter, ein Vermittler sein zu wollen, der Schallwellen auffängt und sie dann weitergibt ziehen sich seine wertenden Kommentare wie ein roter Faden durch den gesamten Roman. Teils klingt nur unterschwellig an, welche Dinge und Ideologien seine Zustimmung finden, teilweise äußert er aber auch ganz direkt seine Einstellung zu bestimmten Themen. Je weiter der Roman fortschreitet, desto offener wird Bouraoui in seinen Beurteilungen. Man erkennt (am Beispiel Lebretons), dass ihm die Franzosen nicht sonderlich sympathisch sind, er verurteilt scharf die Diskriminierungen denen die Immigranten ausgesetzt sind und spricht sich eindeutig für einen Verbleib Quebecs bei Kanada aus. Die beiden Separatisten Marcel-Marie und Marc gehören mit zu den am negativsten gezeichneten Charakteren des Buches. Die Stärkste Identifikation von Seiten Bouraouis findet vielleicht mit Mokoko statt, der wie er ein gebildeter, studierter Immigrant ist und mittlerweile die kanadische Staatsbürgerschaft erworben hat. Im Falle Mokokos allerdings nützt ihm dies nicht viel.

Bouraoui erkennt auch die Rechte der Indianer an, die seiner Meinung nach momentan nicht genügend beachtet werden. Sie werden als eine Art „Menschen zweiter Klasse“ behandelt, die weniger wert sind als die Kolonisten. Er fordert, dass die Indianer schrittweise mit Hilfe von „Sozialarbeitern“ wie es Twylla am Ende des Buches ist, an die moderne Gesellschaft herangeführt werden sollen. Pete hingegen ist das Negativbeispiels eines gescheiterten Indianers. Er war dem Druck in der Stadt leben zu müssen nicht gewachsen und ist an Arbeitslosigkeit und Alkoholproblemen zu Grunde gegangen.

Bouraoi kritisiert auch öfters die Scheinheiligkeit Kanadas, die darin besteht, dass Kanada sich als freies, für alle offenes Land bezeichnet, diese Versprechungen aber nie oder so gut wie nie einhalten kann. Quebec brüstet sich damit, ein Herz für Minderheiten zu haben, aber sobald die Minderheit nicht mehr aus ihren eigenen Reihen stammt (siehe Pete, der im Gegensatz zur schwul-ontarischen Minderheit keinen Job bekommt) wird darauf auch keine Rücksicht mehr genommen.

Die einzig mögliche Lösung für all diese Dilemmas liegt laut Bouraoui im Dialog. Nur durch ein Miteinander, ein Kompromisse schließen, wird es möglich sein, eine gemeinsame Zukunft zu erreichen – eine Zukunft, die vielleicht für alle Beteiligten ein besseres Schicksal bereit hält. Er fordert ein ständiges sich Neugestalten der Gesellschaft, und wenn dies durch freundliches Miteinander nicht möglich ist, dann durch Diskussionen, aber das für Bouraoui schlimmste wäre ein Stillstand. Kanada muss sich immer und immer wieder neu gestalten, sich mischen, das Mosaik verändern und wie der Phönix aus seiner eigenen Asche auferstehen.

7 Literaturverzeichnis

7.1 Primärliteratur

Bouraoui,Hédi; Ainsi parle la Tour CN, Tunesien, L´Or du temps, 2000.

7.2 Sekundärliteratur

Gagna, Alain; Quebec y el federalismo canadiense, Madrid, Consejo superior de investigacion cientifica, 1992.

Northeast,William; Handbook of american indians, Washington, Smithsonion institut, 1978.

Prados Torreira, Teresa; canada hoy, Madrid, Informacion y historia, 1994.

7.3 Internetseiten

www.cntower.ca am 13.3.2002

www.francoculture.ca am 10.9.2002

www.gouv.qc.ca am 13.3.2002

www.kanada-info.de am 17.4.2002

www.litterature.org am 10.9.2002

www.quebec-info.de am 17.4.2002

www.true-north.de.vu am 18.4.2002

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Ansi parle la tour CN de Hedi Bouraoui
Veranstaltung
FR 4.2 Romanistik - Französische Kulturwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation
Note
2,75
Autor
Jahr
2002
Seiten
21
Katalognummer
V108718
ISBN (eBook)
9783640069125
Dateigröße
475 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ansi, Hedi, Bouraoui, Romanistik, Französische, Kulturwissenschaft, Interkulturelle, Kommunikation
Arbeit zitieren
Ines Harsch (Autor:in), 2002, Ansi parle la tour CN de Hedi Bouraoui, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108718

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