Entstehung, Stabilisierung und Verfall von Leitwährungssystemen


Hausarbeit, 1999

21 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Entstehung von Leitwährungssystemen
2.1. Der Leitwährungsbegriff
2.2. Zur Entstehung von Leitwährungssytemen

3. Die Stabilisierung von Leitwährungssystemen

4. Der Verfall von Leitwährungssystemen

5. Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Obwohl die verschiedenen Währungen im nationalen Kontext betrachtet die gleichen Aufgaben erfüllen, ist es doch offensichtlich, daß sie im internationalen Geldverkehr unterschiedliche Funktionen einnehmen[1]. In der Realität läßt sich beobachten, daß die überwiegende Mehrheit von Transaktionen auf den internationalen Kapital- und Gütermärkten in einer oder mehreren ausgesuchten Währungen abgewickelt werden, die dann auch als Schlüsselwährungen bezeichnet werden[2]. In der volkswirtschaftlichen Literatur wird die Etablierung einer Währung zur Leitwährung häufig mit institutionellen Rahmenbedingungen des entsprechenden Staates begründet, so mit seiner Größe und seinem wirtschaftlichen Potential oder der Struktur und Differenzierung der Finanzmärkte und des Bankensektors[3]. Ergänzend sei hier noch hinzugefügt, daß in diesem Zusammenhang auch historische Entwicklungsprozesse berücksichtigt werden müssen, da naturgemäß in Einflußzonen dominierender Länder auch deren Währungen eine übergeordnete Rolle einnehmen. So sehr diese institutionellen Rahmenbedingungen für den Aufstieg einer Währung zur Leitwährung konstitutiv sind, so wenig erklären sie den Mechanismus, der den Währungen im internationalen Geldverkehr und damit einhergehend den monetären Autoritäten der entsprechenden Staaten eine bestimmte Funktion zuordnet, die sich auch im Zeitablauf verändern kann. Daher erscheint es sinnvoll, die Entstehung von Leitwährungssystemen aufgrund der Präferenzen der Marktakteure herzuleiten, die verschiedene Währungen anhand ihrer Eignung zur Vermögenshaltung bewerten. Eine Analyse von Leitwährungssystemen anhand der keynesianischen Geldtheorie, in der Liquiditätspräferenzen des Publikums eine zentrale Rolle einnehmen[4], kann die aus den Marktprozessen resultierenden Mechanismen der funktionellen Differenzierung von Währungen erhellend erklären, stößt jedoch wegen der Vernachlässigung von institutionellen und historischen Faktoren schnell an ihre Grenzen. Insofern wird zwar in den nächsten Kapiteln von den Liquiditätspräferenzen ausgehend der grundlegende Wirkungszusammenhang von Leitwährungssystemen skizziert, der jedoch durch die kritische Diskussion weiterer Fakten präzisiert werden soll. Das 2.Kapitel beschäftigt sich dabei mit der Entstehung von Leitwährungssystemen, die im wesentlichen aus den Liquiditätspräferenzen der Marktakteure abgeleitet wird. Im 3.Kapitel werden dann die wesentlichen Funktionszusammenhänge dargestellt, die zu einer Stabilisierung von Leitwährungssystem führen, während das 4. Kapitel den Verfall von Leitwährungssystemen aufgrund der Konkurrenz von zwei Währungen um die Leitwährungsposition zeigt. In der Zusammenfassung werden noch einmal explizit die Vor- und Nachteile des gewählten Ansatzes für die Erklärung der Funktionsweise von Leitwährungssystem diskutiert.

2. Die Entstehung von Leitwährungssystemen

2.1. Der Leitwährungsbegriff

Entscheidend für den hier betrachteten Ansatz sind die Präferenzen der Vermögensbesitzer, die zur Erhaltung ihres Kapitals diejenigen Wertpapiere bevorzugen, die ihnen von der Rückzahlung her am sichersten erscheinen. Bei der Betrachtung von internationalen Geld- und Vermögensmärkten kommt für die Wahlentscheidung der Vermögensbesitzer neben der Bonität des einzelnen Schuldners auch das Währungsrisiko hinzu, welches neben der Unsicherheit des Wechselkurses auch die künftige Konvertibilität der Währungen überhaupt beinhaltet[5]. Somit wählen die Kapitalanleger Wertpapiere in derjenigen Währung, die aus ihrer Sicht das geringste Risiko für eine nachhaltige Vermögensschmälerung darstellt: sie bevorzugen die Währung mit dem höchsten Liquiditätsgrad[6]. In unserem Modell betrachten wir zunächst die Kapitalanleger als aggregierte Größe, die einheitlich am Markt auftreten und mit den gleichen Präferenzen ausgestattet sind. Als Leitwährung bezeichnen wir dann die Währung, die aus der Sicht der Vermögensbesitzer den höchsten Liquiditätsgrad hat und damit auch bei ihnen die höchste Liquiditätspräferenz aufweist. Der Besitz von Wertpapieren oder Banknoten der Leitwährung stiftet dabei der Vermögensbesitzern einen nichtpekuniären Nutzen, der aus der für sie höchstmöglichen Währungssicherheit resultiert. Die Leitwährung bietet daher den Kapitalanlegern von allen Währungen die höchste Liquiditätsprämie w[7]. So bestechend die aus der keynesianischen Geldtheorie abgeleitete Definition einer Leitwährung auf den ersten Blick erscheint, so verbirgt sie doch in ihrer Einfachheit einige fundamentale Voraussetzungen, die neben den Liquiditätspräferenzen der Kapitalanleger für den Aufstieg einer Währung zur Leitwährung entscheidend sind. Wenn eine Währung ihre Funktion als internationale Anlegerwährung erfüllen soll, so bedeutet dieses zunächst einmal, das für die zu bewältigenden Transaktionen eine hinreichend große Geldmenge zur Verfügung steht. Aus dieser Einschätzung heraus werden Währungen von sehr kleinen Ländern prinzipiell nicht als Leitwährungen in Betracht kommen können. Desweiteren sind die institutionellen Rahmenbedingungen wie die Ausgestaltung der Finanzmärkte und des Bankensektors sowie das Vertrauen in die allgemeine politische Richtung der staatlichen Institutionen und der monetären Autoritäten von entscheidender Bedeutung für die Anlageentscheidung der Kapitalanleger. Somit lassen sich die Liquiditätspräferenzen nicht als exogene, vorgegebene Größe betrachten, sondern sie müssen ihrerseits von dem Verhalten der Marktakteure abhängig gemacht werden[8]. Für den Aufstieg einer Währung zur Leitwährung wird hingegen unterstellt, daß zumindest für den betrachteten Zeitraum die Rangfolge der Liquiditätsprämien konstant bleibt. Bei der Verwendung dieses Modells, das wegen seiner Fokussierung auf die Vermögensbesitzer auch den asset-market-Theorien[9] zugeordnet werden kann, für die Erklärung von Wechselkursen und deren Schwankungen bleiben naturgemäß andere Einflußgrößen außer Betracht[10], die jedoch von entscheidendem Gewicht sein können. Dennoch lassen sich mit Hilfe der Liquiditätspräferenzen der Vermögensbesitzer und daraus abgeleitet der Liquiditätsprämien für einzelne Währungen die Entstehung und Stabilisierung von Leitwährungssystemen hinreichend erklären, so daß sie für die Darstellung in den nächsten Kapiteln Verwendung finden.

2.2. Zur Entstehung von Leitwährungssytemen

Bei einer gegebenen Rangfolge der Liquiditätspräferenzen sind die Staaten bzw. die monetären Autoritäten mit schwachen Währungen gezwungen, den Kapitalanlegern eine Kompensation für die im Vergleich zur Leitwährung geringere Liquiditätsprämie zu bieten, um eine Flucht aus der eigenen Währung und damit die Inkonvertibilität zu verhindern. Die Devisenmärkte befinden sich daher im Gleichgewicht, wenn gilt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[11]

Dabei heben wir jetzt die Aggregation der Vermögensbesitzer auf und unterstellen, daß es zumindest zwei verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Präferenzen für die Vermögensanlage gibt: Während ein Teil der Kapitalanleger weiterhin Wertpapiere in der Leitwährung bevorzugt, hält der andere Teil Schuldtitel in Währungen mit geringeren Liquiditätsprämien, die jedoch durch ein höheres Zinsniveau kompensiert werden. Somit stehen sich auf den Devisenmärkten ein liquiditätsorientierter und ertragsorientierter Kapitalstrom gegenüber, die sich im Gleichgewicht gerade ausgleichen. Da die Leitwährung von den Kapitalanlegern allen anderen Währungen vorgezogen wird, sind die monetären Institutionen der anderen Staaten gezwungen, der Geldpolitik des Leitwährungslandes zu folgen, um das gleichgewichtige Zinsdifferential aufrechtzuerhalten[12]. Aus diesem Zusammenhang folgt eine typische funktionale Differenzierung zwischen den monetären Behörden des Leitwährungslandes und denen der anderen Staaten: Während die Zentralbank des Leitwährungslandes durch ihre Geldpolitik den geldpolitischen Grundton des Leitwährungssystemes vorgibt, haben die Zentralbanken der anderen Staaten für eine Stabilisierung der Wechselkurse zu sorgen, um das Vertrauen der Vermögensbesitzer und damit die Liquiditätsprämie ihrer schwachen Währungen zu sichern[13]. Im Gleichgewicht besteht für die Vermögensbesitzer kein Grund, ihre Wertpapierportefeuilles zu verändern[14]. Aus den empirischen Untersuchungen bisheriger Leitwährungssysteme[15] läßt sich jedoch ein anderer Zusammenhang ableiten, der die Dynamik von Leitwährungssystemen erst begründet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dabei sei hier unterstellt, daß sich die durch das Ungleichgewicht induzierten Kapitalbewegungen sehr langsam vollziehen. Da in dieser Situation der ertragsinduzierte Kapitalstrom den liquiditätsorientierten übersteigt, legen Vermögensbesitzer aus dem Leitwährungsland ihr Kapital zunehmend in ausländische Wertpapiere an. Das Überschußangebot der Leitwährung auf den Devisenmärkten führt zu einer Unterbewertung und damit einhergehend zu einer Steigerung der Exporte, so daß sich das Leitwährungsland in einem Leistungsbilanzüberschuß befindet. Für das Leitwährungsland ergeben sich aus dieser Konstellation spezifische Vor- und Nachteile, die nachfolgend kurz skizziert werden[16]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[17]

Da bei einem dauerhaftem Bestehen des Ungleichgewichtes die Leistungsbilanzüberschüsse und die Gläubigerposition des Leitwährungslandes auf die Schwachwährungsländer destabilisierend wirken und letztendlich die Vermögensbesitzer verunsichert, so daß mit einem Verfall der entsprechenden Liquiditätsprämien zu rechnen ist, kann diese Situation ohne einen ausgleichenden Mechanismus nicht stabil sein[18]. Die Aufgabe des nächsten Kapitels wird es daher sein, die Bedingungen darzustellen, unter denen sich ein Leitwährungssystem stabilisiert.

3. Die Stabilisierung von Leitwährungssystemen

Für die Schwachwährungsländer ergibt sich aus der oben geschilderten Konstellation die Notwendigkeit, ihre Leistungsbilanzdefizite auszugleichen. Da es infolge des Aufbaues einer Schuldnerposition zu Nettokapitalertragsabflüssen in das Leitwährungsland kommt, sehen sich die Schwachwährungsländer gezwungen, die notwendigen Devisen durch einen Handelsbilanzüberschuß zu erwirtschaften. Falls ihnen das gelingt, kann es trotz ertragsinduzierter Kapitalströme durch entgegengesetzte Handelstransaktionen zu einem langfristigen Gleichgewicht auf den Devisenmärkten kommen[19]. Eine schematische Übersicht der Zahlungsbilanz Großbritanniens zur Zeit des Goldwährungsstandards soll dieses abschließend verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der sich aus den Nettokapitalerträgen ergebende Leistungsbilanzüberschuß wird durch den ertragsinduzierten Kapitalstrom und ein Defizit in der Handelsbilanz gerade ausgeglichen, so daß die Devisenbilanz der Schwachwährungsländer nicht durch die fortwährenden Nettokapitalertragsabflüsse gefährdet wird. Das Leitwährungssystem hat sich stabilisiert und befindet sich in seiner „reifen“ Phase[20]. In dieser Situation ergeben sich für das Leitwährungsland spezifische Vor- und Nachteile, die nachfolgend skizziert werden sollen[21]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten [22]

Dem Leitwährungsland ist es eher als anderen Ländern möglich, sich in eigener Währung zu verschulden, da die Vermögensbesitzer naturgemäß die Währung mit der höchsten Liquiditätsprämie allen anderen Währungen vorzieht. Aus diesem Umstand könnte sich für die Kapitalanleger ein moral-hazard-Problem ergeben, wenn das Leitwährungsland nach einer umfangreichen Auslandsverschuldung seine eigene Währung abwertet und sich international betrachtet entschuldet. Innerhalb des von uns betrachteten theoretischen Modells ist diese Handlungsalternative jedoch ausgeschlossen, da die Schwachwährungsländer zur Stabilisierung der Liquiditätsprämien ihrer Währungen gezwungen sind, die Wechselkurse konstant zu halten (Politik der externen Stabilisierung). Innerhalb der funktionellen Differenzierung eines Leitwährungssystemes gelingt es daher dem Leitwährungsland nicht, seine relative Position zu einzelnen oder mehreren Schwachwährungsländern zu verbessern. Während das Leitwährungsland durch die Steuerung der Geldpolitik die wirtschaftliche Entwicklung des Leitwährungssystems bestimmen und dadurch auch einen gewissen politischen Einfluß erhalten oder konservieren kann, übernimmt es andererseits mit der Verantwortung auch die Verpflichtung, seine Geldpolitik nach internationalen Bedürfnissen auszurichten und nicht nur nationale Interessen zu beachten. Insbesondere haben die monetären Autoritäten den Umstand zu berücksichtigen, daß die Nachfrage nach der Leitwährung als bevorzugtes internationales Anlage- und Transaktionsmedium zu unkontrollierten Bewegungen der Geldmenge führen kann, auf die unter Rücksichtnahme auf die Schwachwährungsländer nicht autonom reagiert werden kann. Exemplarisch soll dafür die Rolle der USA im System von Bretton Woods betrachtet werden[23]: Aufgrund ihrer ökonomischen Stärke sahen sich die Vereinigten Staaten nach dem 2.Weltkrieg als einziges Land in der Lage, ihre Notenausgabe durch Goldbestände der Federal Reserve Bank vollständig zu decken und somit an das währungspolitische Ideal der Vorkriegszeit, dem Goldstandard[24], anzuknüpfen. Im Rahmen der Konferenz von Bretton Woods wurden daher bei der Neuordnung des internationalen Währungssystems für die Währungen der beteiligten Länder feste Wechselkurse zum US-Dollar vereinbart, die es aufgrund der Einlöseverpflichtung der Federal Reserve Bank zumindest theoretisch jedem Vermögensbesitzer ermöglichten, seinen Währungsbestand zu einem fixierten Kurs in Gold umzutauschen. In diesem Währungssystem hatte naturgemäß der US-Dollar aufgrund seiner unmittelbaren Golddeckung die höchste Liquiditätsprämie innerhalb des gesamten Währungsgebietes, so daß eine zunehmende Anzahl von Handels- und Finanzkontrakten außerhalb der USA auf Dollar lauteten. Da sich die internationale Nachfrage nach US-Dollar ständig ausweitete, sahen sich die Vereinigten Staaten in der langfristig prekären Situation, durch fortlaufende Zahlungsbilanzdefizite die Versorgung des Währungsraumes mit dem „Weltgeld“ sicherzustellen. Es war abzusehen, daß ab einem bestimmten Zeitpunkt der emittierte Dollarbestand die Goldreserven der Federal Reserve Bank überstieg. Neben dieser durch das Wachstum der Weltwirtschaft und durch die Ausweitung des internationalen Handels bedingten Nachfragesteigerung nach dem US-Dollar kam verschärfend gegen Ende der 60er Jahre der Vietnamkrieg und damit einhergehend eine sich verschärfende Inflation in den USA hinzu, die das Vertrauen der Vermögensbesitzer in die weitere Konvertierbarkeit des Dollars in Gold erschütterte. Dieser nachhaltige Vertrauensverlust der Vermögensbesitzer, der die Liquiditätsprämie der bisher unangefochtenen Leitwährung verminderte und daher umfangreiche Portefeuilleumschichtungen nach sich zog, reduzierte die Gold- und Währungsreserven der Federal Reserve Bank und erhöhte zugleich die inländische Geldmenge und damit auch die Inflation. Daher sieht sich das Leitwährungsland innerhalb seines Währungsraumes der Gefahr ausgesetzt, durch auf die Binnenwirtschaft gerichtete geldpolitische Maßnahmen die internationalen Vermögensbesitzer zu verunsichern, so daß umfangreiche Währungsbestände abgestoßen werden, die sowohl die Devisenkurse, die Währungsreserven als auch die inländische Geldmenge nachteilig beeinflussen. Insofern haben die monetären Autoritäten des Leitwährungslandes auch immer die wirtschaftliche Entwicklung des Währungsraumes und die Einschätzungen der internationalen Währungsbesitzer bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Diese internationalen Abhängigkeiten sowohl des Leitwährungs- als auch der Schwachwährungsländer haben dazu beigetragen, daß das System von Bretton Woods letztendlich mit Billigung der beteiligten Staaten untergegangen ist[25]. Der darauf folgende Zustand einer Welt mit mehreren regionalen Leitwährungen soll anhand des Modells im nächsten Kapitel thematisiert werden.

4. Der Verfall von Leitwährungssystemen

Aus modelltheoretischer Sicht kann die Auflösung von Leitwährungssystemen durch zwei Prozesse geschehen:

1. durch den Verfall der Liquiditätsprämie einer Währung
2. durch die Konkurrenz zweier Währungen um die Position der Leitwährung.[26]

Im ersten Fall bewirkt eine Flucht der Vermögensbesitzer aus der Währung, daß diese inkonvertibel[27] wird und damit aus dem Leitwährungssystem ausscheidet. Mit dieser Möglichkeit möchte ich mich nicht weiter beschäftigen und gehe gleich zum zweiten Fall über: Der relative Abstand der Liquiditätsprämien zweier Währungen verkleinert sich derart, daß eine eindeutige Bestimmung der Leit- und der Schwachwährung nicht mehr möglich ist. Das Konstrukt der Liquiditätsprämien beinhaltet für stabile Leitwährungssysteme die Vorstellung, daß die Rangfolge der Präferenzen der Vermögensbesitzer für bestimmte Währungen konstant bleibt. Obwohl sich innerhalb eines bestimmten Zeitraumes der Liquiditätsgrad insbesondere der Leitwährung nicht gravierend verändert, lassen sich jedoch in der Realität auf den Devisenmärkten teilweise heftige Wechselkursschwankungen beobachten, die schon durch vergleichsweise geringfügige Nachrichten ausgelöst werden können. Die Liquiditätsprämien einzelner Währungen sind daher auch kurzfristig nicht als konstant anzusehen, sondern bilden sich aufgrund der sich ständig verändernden Erwartungen der Vermögensbesitzer, die wiederum von der Wirtschaftspolitik und realwirtschaftlichen Ereignissen innerhalb der einzelnen Staaten abhängen. Aufgrund der Unsicherheit der Kapitalanleger über den künftigen Verlauf der einzel- und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie der Eigendynamik der Marktpsychologie verstärkt sich die Volatilität der Erwartungen und damit der Wechselkurse, so daß die Liquiditätsprämien als höchst wechselhaft und veränderbar anzusehen sind. In dieser Situation gewinnen die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der einzelnen Regierungen erheblich an Gewicht bei der Präferenzenbildung, so daß aus der Sicht der Kapitalanleger die Liquiditätsprämie einer Währung aufgrund des Verhaltens der monetären Institutionen auch dauerhaft steigen oder fallen kann[28]. Für die um die Leitwährungsposition konkurrierenden Staaten ergibt sich daraus der Konflikt zwischen interner und externer Stabilisierung: Während zur Stabilisierung der Erwartungen der Vermögensbesitzer der Anstieg des Preisniveaus in engen Grenzen gehalten werden muß, hat die Geldpolitik aus dem gleichen Grund auch der Verteidigung des Wechselkurses zu dienen. Da die Rollenverteilung zwischen Leitwährungs- und Schwachwährungsland nicht eindeutig entschieden ist, geht die funktionelle Differenzierung zwischen den betroffenen Staaten zurück. Die monetäre Institution mit der aufstrebenden Währung wird sich den geldpolitischen Vorgaben des ehemaligen Leitwährungslandes nicht ohne weiteres fügen wollen, während zugleich der Zwang zur externen Stabilisierung nicht mehr besteht. Es kommt zur Auflösung des durch die ehemalige Leitwährung dominierten einheitlichen Währungsraumes. Für die verbleibenden Schwachwährungsländer stellt sich das Dilemma, daß sie sich bei unterschiedlichen Geldpolitiken der konkurrierenden Staaten entscheiden müssen, an welcher Geldpolitik und damit auch an welcher Währung sie sich orientieren möchten. Nach der Auflösung des Systems von Bretton Woods kam es daher zur Bildung von regionalen Währungsräumen, in denen die konkurrierenden Währungen jeweils die Leitwährungsfunktion einnahmen. Während sich somit innerhalb der regionalen Währungsräume eine eindeutige Rollenverteilung zwischen jeweiliger Leitwährung und den abhängigen Währungen einstellte, bestand für die regionalen Leitwährungen weiterhin der Zwang, durch eine Politik der externen Stabilisierung zueinander die Erwartungen der Vermögensbesitzer zu stabilisieren und damit die Attraktivität der eigenen Währung zu sichern[29]. Anhand der Stellung der D-Mark im Europäischen Währungssystem (EWS) soll dieser Zusammenhang kurz verdeutlicht werden[30]: Aufgrund der strikten antiinflatorischen Geldpolitik der Bundesbank sowie eines stabilitätsorientierten Konsenses innerhalb der deutschen Öffentlichkeit, der die Geldstabilität vor das Vollbeschäftigungsziel stellte, entwickelte sich die D-Mark in der Bewertung der Vermögensbesitzer zur Währung mit der höchsten Liquiditätsprämie innerhalb Europas. Die Bedeutung Deutschlands als Handelspartner ließ es nun vorrangig den kleineren Nachbarstaaten ratsam erscheinen, die Wechselkurse ihrer Währungen zur D-Mark zu fixieren. In der Realität bildete sich somit im EWS ein Leitwährungssystem unter der Führung der D-Mark aus, obwohl das EWS vertraglich als symmetrisches Währungssystem mit der fiktiven Leitwährung ECU angelegt war. Auch die Bundesbank sah sich nun ähnlich der Federal Reserve Bank zur Zeit der Währungsordnung von Bretton Woods der Gefahr ausgesetzt, durch primär binnenwirtschaftlich geleitete Maßnahmen eine Verunsicherung der Vermögensbesitzer und damit massive Portefeuilleumschichtungen zu bewirken mit den schon oben diskutierten nachteiligen Folgen für die inländische Geldmenge und Inflation. Zugleich befand sich die Bundesbank insbesondere nach der deutschen Wiedervereinigung in dem Dilemma, sowohl den Bedürfnissen der europäischen Partner im EWS als auch den gegenläufigen binnenwirtschaftlichen Erfordernissen gerecht zu werden. Somit erfolgte auch im EWS de facto eine funktionelle Differenzierung der beteiligten Währungen, wobei die D-Mark die Abschirmung des gesamten Währungssystems zum US-Dollar und zum japanischen Yen übernahm, während die Währungen der anderen Staaten sich zur D-Mark stabilisierten. Inwieweit sich das oben dargestellte Modell, in dem die Präferenzen der Vermögensbesitzer und die daraus abgeleiteten Liquiditätsprämien eine zentrale Rolle für die funktionelle Differenzierung von Währungen in Leit- und abhängige Währungen einnehmen, für die Erklärung von den in der Realität beobachteten Prozessen eignet, soll im folgenden letzten Kapitel diskutiert werden.

5. Zusammenfassung

Eine Bewertung der unterschiedlichen Bedeutung von Währungen im internationalen Kapitalverkehr anhand von differierenden Liquiditätsprämien der Vermögensbesitzer hat den Vorteil, daß die monetären Autoritäten und die betreffenden Staaten als Marktakteure behandelt und damit ihre Verhaltensweisen unter Marktgesichtspunkten beurteilt werden können. Auf der anderen Seite hingegen werden die institutionellen Rahmenbedingungen und die spezifischen ökonomischen und politischen Charakteristika der Leit- und Schwachwährungsländer in der Analyse vernachlässigt, so daß der vorgestellte Ansatz zur Erklärung der in der Realität beobachteten Phänomene beiträgt. Andere Modellannahmen werden jedoch ergänzend hinzugefügt werden müssen.

6. Literaturverzeichnis

Burda, M.C./ Wyplosz, C. (1994) Makroökonomik. Eine Europäische Perspektive. München.

Calleo, D.P. (1980/81) Inflation and American Power. Foreign Affairs 59

Keohane, R.O. (1984) After Hegemony. Cooperation and Discord in the World Political Economy. Princeton.

Herr, H./ Spahn, H.-P. (1989) Staatsverschuldung, Zahlungsbilanz und Wechselkurs. Außenwirtschaftliche Spielräume und Grenzen der Finazpolitik. Regensburg.

Mayer, G. (1996) Die D-Mark als Leitwährung in Europa? Frankfurt am Main.

Riese, H. (1998) Geldfunktion und Währungsstandard: Der Fall der Ostasienkrise. Diskussionsbeiräge des Fachbereiches Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin, Nr. 1998/43, Volkswirtschaftliche Reihe, Berlin.

Spahn, H.-P. (1994) Die Krise des EWS und die brüchigen Grundlagen der Leitwährungsordnung. Diskussionsbeiträge aus dem Institut für Volkswirtschaftslehre (520), Nr. 92/1994, Stuttgart.

Spahn, H.-P., (19992) Makroökonomie. Theoretische Grundlagen und stabilitätspolitische Strategien. Heidelberg.

Thomasberger, C. (1993) Europäische Währungsintegration und globale Währungskonkurrenz, Tübingen.

Tomann, H. (1997) Stabilitätpolitik. Theorie, Strategie und europäische Perspektive. Heidelberg.

[...]


[1] Vergl. Riese 1998, S.5-10

[2] Vergl. Riese 1998, S.8

[3] Vergl. Thomasberger 1993, S.27

[4] Vergl. Thomasberger 1993, S.19-24

[5] vergl. Tomann 1997, S.108f. und 111f.

[6] Vergl. Thomasberger 1993, S.24-30; Riese 1998, S.9f.

[7] Vergl. Thomasberger 1993, S.24-27

[8] Vergl. Herr/Spahn 1989, S.13-18; dagegen Thomasberger 1993, S.24ff.

[9] Vergl. Thomasberger 1993, S.22 ; Tomann 1997, S. 106ff.

[10] Wie sie z.B. in der Kaufkraftparitätentheorie behandelt werden:vergl. dazu Tomann 1997, 104ff.

[11] vergl. Thomasberger 1993, S.25

[12] Vergl. Thomasberger 1993, S.26f.; vergl. Tomann 1997, S.106f.

[13] vergl. Thomasberger 1993, S.20-24 u. S.49

[14] vergl. Thomasberger 1993, S.44; Spahn 19992, S.250

[15] insbesondere sei hier auf den Goldstandard mit Großbritannien und dem System von Bretton Woods mit den USA als Leitwährungsland verwiesen

[16] für die Schwachwährungsländer ergeben sich die Vor- und Nachteile aus der spiegelverkehrten Perspektive

[17] Den Zusammenhang zwischen währungs- und machtpolitischer Potenz schildert eindrucksvoll Calleo (1980/81). Vergl. auch Keohane 1984, S.31-46

[18] vergl. Thomasberger 1993, S.35-38. In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß Liquiditätsprämien ein vcn J.M. Keynes entwickeltes theoretisches Konstrukt sind und somit empirisch nicht ermittelt werden können. Nur aufgrund bestimmter Verhaltensweisen der Marktakteure kann auf die Existenz, Ausprägung und Veränderung von Liquiditätsprämien geschlossen werden.

[19] Vergl. Thomasberger 1993, S.38f.

[20] vergl. Thomasberger 1993, S.68-70

[21] für die Schwachwährungsländer ergeben sich die Vor- und Nachteile wiederum aus der spiegelverkehrten Perspektive

[22] vergl. Thomasberger 1993, S.48-51, Spahn 1994, S.7; Herr/Spahn 1989, S.19

[23] vergl. zu den folgenden Ausführungen Burda/Wyplosz 1994, S.663-670.

[24] Da sowohl die Federal Reserve Bank als auch die Notenbanken der am Währungssystem von Bretton Woods beteiligten Länder neben Gold auch zunehmend Devisen als Währungsreserve einsetzten, kann dieses System auch als Golddevisenstandard bezeichnet werden. Vergl. dazu Burda/Wyplosz 1994, S. 664.

[25] vergl. Herr/Spahn 1989, S.13f.

[26] vergl. Thomasberger 1993, S.54

[27] vergl. Thomasberger 1993, S.55- 57. Bei einer Kapitalflucht, bei der die Vermögensbesitzer nicht bereit sind, die Währung bei irgendeinem Preis zu halten, wird sich der betreffende Staat zur Einführung von Kapitalverkehrskontrollen genötigt sehen.

[28] vergl. Herr/Spahn 1989, S.14-18; vergl. Spahn 19992, S.251

[29] vergl. Thomasberger 1993, S.57-62

[30] vergl. zu den folgenden Ausführungen Mayer 1996, S.27-69.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Entstehung, Stabilisierung und Verfall von Leitwährungssystemen
Hochschule
Freie Universität Berlin
Veranstaltung
'Theorie und Politik der internationalen Koordination in der Wirtschaftspolitik'
Autor
Jahr
1999
Seiten
21
Katalognummer
V108681
ISBN (eBook)
9783640068760
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entstehung, Stabilisierung, Verfall, Leitwährungssystemen, Politik, Koordination, Wirtschaftspolitik“
Arbeit zitieren
Christopher Bahn (Autor:in), 1999, Entstehung, Stabilisierung und Verfall von Leitwährungssystemen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108681

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