Die Fotoreportage - ein interdependentes Kommunikationssystem


Hausarbeit, 2003

20 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Überblick und Vorgehensweise

2. Die Genese der Fotoreportage seit den 60ern

3. Unterschiedliche Rezeption von Bildern und Texten

4. Die Fotoreportage als interdependentes Kommunikationssystem
4.1 Bolten: das Medium als Matrix
4.2 Sandig: Kohäsion und Kohärenz

5. Klassifizierung und Funktionalitätsbestimmung der Einzelemente
5.1 Der Text
5.2 Die einzelnen Textelemente
5.3 Die Bilder

6. Die Bildunterschrift

7. Layout als roter Faden der Rezipienzführung

8. Analyse der Reportage „Zum Siegen verdammt“
8.1 Einordnung in den historischen Kontext
8.2 Der Text
8.3 Die Bilder
8.4 Die Bild-Text-Korrelation

9. Schlussüberlegungen und Resumee

10. Literaturliste

11. Anhang

1. Überblick und Vorgehensweise

Fotoreportagen treten in reiner Form nur noch selten auf (Stern & National Geographic). Vielmehr verschmelzen in zunehmenden Maße Text und Bild zu einer Einheit. Sie sind nicht mehr voneinander getrennt zu lesen – auch wenn sie in verschiedenartiger Weise rezipiert werden.

Hierbei soll der mediale Gesamtkontext erwähnt sein, der die Hintergrundfolie/-matrix bildet aufgrund der ein erschöpfendes Entschlüsseln und Interpretieren erst möglich wird.

Text und Bild konstituieren zusammen einen Gesamttext der interdependente Verweise möglich und nötig macht. Dies ist unter den Begriffen Kohässion und Kohärenz zu subsummieren.

Um jedoch sowohl Schrifttext als auch Bildtext genauer einordnen zu können, ist es nötig, die Funktionalität der einzelnen Elemente genauer zu bestimmen. Adäquat dazu erfolgt zuerst eine Einordung des Textes in das Textsortenschema nach Heinemann/Vieweger, danach eine Klassifizierung der Bildelemente.

Besondere Beachtung werden das Verhältnis Bild/Bildunterschrift sowie das Layout der Reportage hier finden.

Nach den oben erarbeiten Kriterien soll im Anschluss, anhand einer Spiegelreportage, schließlich eine beispielhafte Analyse vorgenommen werden.

2. Die Genese des Genres Fotoreportage

Aus Platzgründen soll hier nur kurz, und exemplarisch in der Künstlernennung, auf die Geschichte der Fotoreportage eingegangen werden.

Die Anfänge des Genres liegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in einer rein textillustrativen Funktion von Bildern. Einen ersten Höhepunkt sowohl in der Reichweite, in der öffentlichen Beachtung und in der Emanzipation der Bilder vom Text erreichte die Fotoreportage in den Vierzigern und Fünfzigern des Zwanzigsten Jahrhunderts. In diesen Jahrzenten fanden Magazine wie Life und Look ihre Markteinführung. In diese Zeitspanne fallen für Furore sorgende Reportagen wie Capas „ This is war!“ und „Kampf um Madrid“ (In: Regards. 1936).

Die Fotoreportage brachte das Leiden und Lachen der Welt ins heimische Wohnzimmer. Nahm sich immer wieder gesellschaftspolitisch relevanten Themen an:

- Kriegsheimkehrer (u.a. Robert Lebeck)
- Koreakrieg (D. D. Duncan. Weihnachten in Korea. In: Life. 1950)
- Jugendkriminalität und Drogensucht (Bruce Davidson. Die Jokers. In: Du. 1960),
- Umweltverschmutzung (W. E. Smith. The Horror of Pollution. In: The Sunday Times. 1973)

Mit dem Siegeszug des Fernsehens jedoch verloren die Fotoreportage und ihre publizistischen Kanäle diametral an Bedeutung. Heute sind größere Fotostrecken allenfalls noch in Stern, Geo oder dem National Geographic zu finden.

3. Unterschiedliche Rezeption von Bildern und Texten

Seit den Neunziger verschmelzen in den Printmedien die Bilder immer mehr mit dem Text, werden trotz ihrer unterschiedlichen Rezeptionsweise immer mehr zu einer Einheit.

Flusser nennt die Rezeptionsweise von Bildern s canning. „Dabei folgt der Blick einem komplexen Weg, der zum einen von der Bildstruktur, zum anderen von den Intentionen des Betrachters geformt ist.“ (Flusser, 8) Der schweifende Blick des Betrachters kennt keine Kategorien des „Vorher“ und „Nachher“, sondern nur Bedeutungskomplexe, „in denen das eine Element dem anderen Bedeutung verleiht und von diesem seine eigene Bedeutung gewinnt: Der durch Scanning konstruierte Raum ist der Raum wechselseitiger Bedeutung.“ (Flusser, 9). Im Gegensatz dazu betont er die Linearität der Schrift. In der Rezeption von Texten ist ein eindeutiges Vorher und Nachher festzuhalten. Texte erschließen sich sukzessiv. Sie sind, im Vergleich zu den konnotativ aufgeladenen Bildern, denotative Symbolkomplexe (sieht man hier von den sprachlichen Bildern ab). Ihre Gesamtbedeutung ist weitestgehend gleich der dem Text innewohnenden Intention. Bilder jedoch erschließen sich dem Betrachter erst vollständig durch die Synthese der bildimmanenten Intention und der dem Betrachter eigenen Intention. (vgl. Flusser, 8)

Definiert man nun die moderne Fotoreportage als ein aufeinander abgestimmtes Text-Bild-Gefüge, so folgt, daß zur dessen Analyse und Interpretation mindest drei Ebenen beachtet werden müssen.

Die Ebene des Textes, die Ebene der Bilder und eine übergeordete übergreifende Ebene der Text-Bild-Korrelation.

4. Die Fotoreportage als interdependentes Kommunikationssystem

4.1 Bolten: das Medium als Matrix

Bolten folgend ist die Text-Bild-Interpedenz nur ein Parameter , den es im Zusammenhang in der Analyse eines kommunikativen Systems der Fotoreportage zu beachten gilt: „Das Kommunikationssystem konstituiert sich jedoch erst durch die Interpendenzen seiner verbalen, nonverbalen, para- und extraverbalen Ebenen, so dass eine verbale Aussage“ (aber auch eine bildliche) „durch drei andere Ebenen Korrektive erfährt.“ (Bolten, 287).

Obwohl für die Analyse von Werbeanzeigen entwickelt, ist es sinnvoll das Modell von Bolten auf die Fotoreportage zu übertragen. Die auf der Hand liegenden Gründe sind in der strukturellen Ähnlichkeit beider kommunikativer Systeme zu finden. Hier wie da finden sich die Konstituenten Text und Bild in ihren unterschiedlichen Organisations- und Erscheinungsformen. Hier wie da behalten die verschiedenen verbalen Ebenen ebenso wie ihre außertextuellen Faktoren ihre Gültigkeit und Evidenz.

Analysemodell nach Bolten, 287

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In wie weit das boltsche Modell in diesem Fall brauchbare Ergebnisse liefert, wird sich unter Punkt 8 zeigen.

4.2 Sandig: Kohässion und Kohärenz

Die von Bolten beschriebenen Interdependenzen sind für die in Folge relevante Analyse der Fotoreportage größtenteils unter einem erweiterten Kohäsions- bzw. Konkruenzbegriff subsumiert werden.

In Anlehnung an Sandig soll hier unter Kohäsion die charakteristischen sprachlichen Mittel der Verflechtung an der Textoberfläche verstanden werden (Sandig, 5).

Kohässionsmittel sind im Sprachtext (der verbale Ebene) beispielsweise Deiktika, also direkte sprachliche Verweise im Sinne von dies oder das ist. Sie weisen so direkt auf ein Bild hin. Aber auch Layoutmittel (paraverbale Ebene) sind als Kohässionsmittel zu verstehen. Beispiele:

- das Umfließen eines Bildes durch Text
- einfach räumliche Nähe
- die kulturell bedingte „Lesrichtung“ von links oben nach rechts unten und eine eben dieser Lesrichtung angepasstes Verteilen der Bild und Textelemente

Auf der nonverbalen Ebene nimmt Kohässion beispielsweise wie folgt Form an:

- durch das Verlängern der Kompositionslinien (Vectoren) eines Bildes über die Bildgrenzen hinaus beschreiben .(vgl. Sandig, 8)
- das Wiederaufgreifen von Farben und Formen. Dies geschieht sowohl im Zusammenspiel von Bild mit Bild, aber auch bei Bild und Text. (vgl. Sandig, 9).

Ein extraverbales Kohässionsmitteln ist das Genre an sich, die Fotoreportage. Im vorliegenden Fall der Spiegelreportage öffnet der Frame Kriegsfotoreportage innerhalb des übergeordneten Frames Spiegel (seriöses Nachrichtenmagzin, poltisch leicht links angesiedelt) beim Leser bereits ein entsprechendes Script, das als Matrix für die folgende Rezeption zu Grunde liegt.

Auch in der Verwendung des Begriffes Kohärenz folge ich hier weitgehend Sandig (Sandig, 11).

Sie beschreibt Kohärenz als inhaltliche Zusammenhänge, die vom Rezipienten aufgrund der vorhandenen Schrifttexte und Bilder, rekonstruiert werden können. Hierbei bildet sich Kohärenz oft aus der Kohäsion.

„Damit eine semantische Verknüpfung von Bild und Text zustande kommen kann, müssen visuelle Zeichenkomplexe auf eine bestimmte Art und Weise auf den Text verweisen. Oder umgekehrt: Formulierungen des Textes nehmen gezielt auf das Bild Bezug. Der Text baut bewusst semantische Brücken zum Bild.“ (Stöckel nach Sandig, 11).

Beispielhaft ist das Auftauchen des Wortes „Vertreibung“ in der Subheadline, ein Porträtfoto eines Vertrieben in räumlicher Nähe, ebenso wie ein Bild von einem Flüchtlingslager. Sie alle weisen zumindest ein gemeinsames semantisches Merkmal auf: Leid durch erzwungene Heimatlosigkeit.

Die so entstehende semantische Verkettung nennt Janich Isotopiekette. (Janich, 129).

Das gemeinsame semantische Merkmal Klassem.

Ziehen sich mehrere Isotopieketten dominant durch einen Text, so bezeichnet sie dies als Isotopienetz.

Auch hier lässt sich wieder auf das Modell von Bolten rekurrieren. Im eben angeführten Beispiel ist die Isotopiekette ebenenübergreifend und –verbindend. Sie schafft eine Verbindung zwischen:

- verbaler Ebene ( „Vertreibung“)
- nonverbaler (Bilder) und
- paraverbaler Ebene (typographische Hervorhebung der Subheadline)..

Inwieweit solche Isotopieketten in der zu untersuchenden Spiegelreportage vorhanden sind wird sich in 8. zeigen.

5. Klassifizierung und Funktionalitätsbestimmung der Einzelelemente

5.1 Der Text

Es erscheint jedoch angebracht vor der Betrachtung der verweisenden Strukturen die Einzelelemente, den Schrifttext und die Bilder, einer klassifizierenden Analyse zu unterwerfen.

Der Text wäre nach dem Textsortenklassifikationsschema von Heinemann/Vieweger, das sowohl eine genaue Klassifkation als auch eine exakte Funktionsbetrachtung erlaubt, am Beispiel der vorliegenden Fotoreportage wie folgt einzuordnen:

1. Funktionstypen: Informierend

2. Situationstypen:
2.1 Interaktionale Rahmentypen: Tätigkeit im Dienste übergeordneter nicht kommunikativer Tätigkeit
2.2 Anzahl der Partner: Großgruppe
2.3 Rangverhältnis zwischen Produzent und Rezipient: Symmetrisch
2.4 Grundtypen der Umgebungssituation: Aufzeichnung

3. Verfahrenssystem-Typen
3.1 Textentfaltungsprozesse:
3.1.1 Thema: Krieg im Kosovo,
3.1.2 Rhema: Vertreibung der Flüchtlinge
3.2 Strategische Verfahrensschritte: narrativ, deskriptiv

4. Textstrukturierungstypen
4.1 Grobstrukturierung: IT: Headline, Einlesetext, TK: Bericht über den Krieg im Kososvo, TT: Name des Autors.
4.1.2 Sequenzierungstypen: Chronologisch und kausal

5. Formulierungsmuster:
5.1 Textklassenspezifische Kommunikationsmaxime: Verständlichkeit und Eindringlichkeit (letzteres wird gerade durch die Kombination von Bild/Text erreicht)
5.2 Formulierungsmuster: Verstärktes Vorkommen von Worten aus dem Lexemverband „Krieg“.

Aus Platzgründen kann eine eingehende Erklärung des Mehrebenenklassifikationsschemas für Textsorten an dieser Stelle nicht stattfinden. Ich verweise daher auf Heinemann/Viehweger. 147ff

5.2 Die einzelnen Textelemente

Des weiteren sei hier eine Klassifizierung der einzelnen Textelemente eingeführt.

Zu unterscheiden ist zwischen:

1. Die Topline (Sie ist typografisch kaum oder nicht hervorgehoben und gibt den groben Themenbereich oder auch eine Ortsbestimmung an.)
2. Die Schlagzeile/Headline (Sie ist typografisch extrem hervorgehoben und ist der Aufmerksamkeit erregende Aufreißer. Sie variert oft das Thema, stellt beispielsweise einen Einzelaspekt heraus. Oft sind die hier eingesetzten sprachlichen Strategien interessant (Wortspiel, rethorische Figur ...))
3. die Subheadline ( ist typografisch hervorgehoben und spezifiziert das Thema näher)
4. der Einlesetext (ist ebenfalls typografisch abgesetzt, und behandelt oft in einer Abstract-artigen Form den folgen Text. Er kann auch die Funktion erfüllen den Leser „in den Artikel hineinzuziehen“ und trägt dann narrative Züge.)
5. der Fließtext (ist der eigentliche Text.)

5.3 Die Bilder

Auch bei den in die Reportage integrierten Bildern möchte ich die Funktionalität als entscheidendes Klassifikationsmerkmal hervorheben. Was also kann ein Bildelement leisten ?

Blum unterscheidet für Bildelemente in multimodalen Texten folgende Funktionen (Blum, 64):

1. darstellende Funktion (veranschaulichen des Textinhaltes) Stegu verweist hier auf eine Beweisfunktion.(Stegu, 313). Aber auch auf eine realisierende Funktion, wobei Bilder hier als „Ersatzwirklichkeit“ verwendet werden. (Stegu, 318).

Es ist auch die dokumentarische Funktion unter diesem Punkt subsumieren (bei Blum getrennt aufgeführt), da es mir keinen triftigen Grund zu geben scheint, sie von der darstellenden Funktion zu trennen.

2. Organisationsfunktion (Zusammenhänge zwischen den Schlüsselbegriffen eines Textes darstellen)

Hier ist eine Funktionalität im Dienste der Kohärenz anzusiedeln.

3. Interpretative Funktion (Schwer verständliche Inhalte des Textes übersetzen)

4. symbolische Funktion (berichtete Sachverhalte symbolisieren)

In Anlehnung an Stegu (Stegu, 314) werden hier noch zwei weiter Funktionen benannt :

5. Aktivierende Funktion (Aufmerksamkeit erregen)

6. Unterhaltende Funktion

Zuletzt führe ich die

7. Emotionalisierende Funktion

ein. Bilder sind fähig, aufgrund der Rezeptionsstruktur auch bei nur kurzer Betrachtung, emotionale Reaktionen auszulösen. Sie eignen sich also für den Leser als Einstiegspunkte in den Text:

- sie aktivieren ( animieren zum Lesen),
- stimmen den Leser emotional ein,
- sind sensibilisierender Opener der bereits das erste Glied einer Isotopkette bildet und gewisse Klasseme intendiert.

In der linguistischen Forschungsliteratur zum Kommunikationssystem Werbeanzeige werden auf Grundlage der Funktionalität drei Bildtypen unterschieden (Janich, 58, die auf Zielke, 81-84 verweist).

Ich plädiere für eine Übernahme der Begrifflichkeiten aus folgenden Gründen:

1. Die Werbeanzeige ist ebenso wie die Fotoreportage als ein aus Bildern und Texten zusammengesetztes interpendentes System

2. Redaktionelle Anteile in Zeitungen und Magazinen bleiben nicht unberührt von Marktzwängen und der damit einhergehenden Anpassung an den Kunden.

Dies hat Auswirkungen in

- thematischer,
- stilistischer (textmodaler) und
- ästhetischer Hinsicht.

Jedoch passe ich die Begriffe im Hinblick auf das Text-Bild-Gefüge Fotoreportage inhaltlich an.

1. Key-Visual (Schlüsselbild), welches das eigentliche übergreifende Thema beinhaltet
2. Catch-Visual (Blickfänger), welcher meist stark emotional aufgeladen erscheint. Er ist der Aufmacher, die Tür in die Reportage, ist evokativ und konnotativ beim Leser wirksam.
3. Focus-Visuals, die Details hervorheben und wichtige Elemente visualisieren, aber auch einfach eine darstellende Funktion erfüllen können.

Die Bedeutung von Bildern innerhalb der Reportage ist durch den Trend hin zum visuellen Primat und dem anhaltenden Trend zur Wahrnemungsökönomie, nicht zu unterschätzen. ( Studien zu diesem Thema siehe Bolten, 287ff und Blum, 66).

6. Die Bildunterschrift

Der Bildunterschrift schenke ich an dieser Stelle gesondert Aufmerksamkeit, denn sie nimmt in der Verknüpfung von Schrifttext und Bild eine herausragende Stellung ein.

In seinem Artikel „Foto mit Unterschrift. Ein unsichtbares Genre“ leugnet Rutschky größtenteils die autonomen Qualitäten von in Text-Bild-Gefügen eingebetteten Fotos. „Denn das Foto hat, sage ich mal, keinen Wahrheits-, sondern ausschließlich Sachgehalt. Die Unterschrift bildet den Kommentar, welcher ihn erschließt.“ (Rutschky, 3). Er sieht das Bild als Beleg für die von der Unterschrift gegebene Deutung.

„In dieser Hinsicht funktioniert die Reportage, der das Foto als Illustration beigegeben ist, als ausführliche Unterschrift desselben, die erklärt, dass auf ihm nicht dargestellt sein muß, was für die Lage insgesamt gilt.“ (Rutsckky, 52)

Diese Position scheint mir mit Hinblick auf Flusser, aber auch der in diesem Text immer wieder herausgearbeiteten Interpedenzen nicht haltbar.

Vielmehr ist die Bildunterschrift , eine „Scharnierstelle zwischen visueller Information und Textinformation“ (Blum, 67), zwischen verbaler und nonverbaler Ebene. Sie trägt somit dem immensen kohäsiven wie auch kohärenten Potential der Bilder Rechnung.

7. Layout als roter Faden der Rezipienzführung

Wie bei jeder modernen medialen Kommunnikation, wächst dem Layout, der formalen Gestaltung der Inhalte, immer größere Bedeutung zu. Durch das stetig wachsende Infomationsangebot werden heute nur nur 2-5% der offerierten Information beachtet (vgl. Bolten, 288). Um so wichtiger erscheint es in diesem Licht, jedwede Information so zu verpacken, daß sie den Rezipienten auch wirklich erreicht.

Gilt für die Werbekommunikation in diesem Zusammenhang die AIDA-Formel (Attention, Interest, Desire, Action) als Leitfaden der Wirkungsabsichten (vgl. Janich, 20), so ließe sich für die Fotoreportage folgende Formel aufstellen:

A - Aufmerksamkeit erregen, und so

I - Interesse zum Weiterlesen wecken, um zu

U/I - unterhalten und /oder zu informieren, und so gegebenenfalls

M - Meinung zu machen, bzw. zur Meinungsbildung beizutragen.

Wiederum ist diese Formel gut mit dem Modell von Bolten zu kombinieren. So kann im Layoutbereich (nonverbal und paraverbal) beispielsweise Aufmerksamkeit durch ein geschickt platziertes Catch-Visual erzeugt werden, Dessen Beschnitt und Form wiederum kohässionsbildend auf die Schlagzeile verweisen. (So zu beobachten in der unter 8. vorgestellten Spiegelreportage.)

8. Analyse der Reportage „Zum Siegen verdammt.“ In: Spiegel.15/1999, 166-170

8.1 Einordnung in den historischen Kontext

Nach dem Einmarsch serbischer Truppen in den Kosovo im Frühjahr 1999 sucht die NATO nach angemessenen Strategien um den Serbenführer Milosévic zum Nachgeben zu zwingen. Neben einer bisher erfolglosen Welle von Luftschlägen, die nur ein von Belgrad inszeniertes Flüchtlingsdrama zur Folge hatte, wird nun über die Möglichkeit der Endsendung von Bodentruppen diskutiert. Unterdessen werden Tausende albanische Flüchtlinge von Belgrad als lebendes Schutzschild gegen weitere Luftschläge instrumentalisiert. Sowohl um ihr Gesicht zu wahren, als auch um der humanitären Katastrophe ein Ende zu setzten ist die NATO „zum Siegen verdammt“.

8.2 Der Text

Der Text beginnt mit der Headline „zum Siegen verdammt“ und bietet so den Einstieg in die dominierende Isotopiekette (Die Notwendigkeit eines Sieges der NATO.).

Der folgende Einlesetext ist in Form eines Abstracts gehalten.

Der Einstieg in den Fließtext gelingt über eine erzählerische Passage (Abschnitt 1 und 2, 166) und mündet in eine chronologische Schilderung der Ereignisse. In der Folge mischen sich immer mehr Züge einer kausalen Schilderung unter, bis diese schließlich dominiert.

Es herrscht hypotaktischer Stil vor, der den komplexen inhaltlichen Zusammenhängen formal entspricht. Auch sind wenige Figuren und Tropen zu finden, was die Ernsthaftigkeit des Themas schmucklos wiederspiegelt. Trifft man jedoch auf eine Figur, so lässt sie sich innerhalb eines Zitates von Militärs lokalisieren. So ist zu lesen (167, 3. Abschnitt): „Unsere Moral ist so hoch wie der Himmel“. Dieser Vergleich wird jedoch vom Autor des Textes sofort durch die ausgesuchte Wahl des Prädikats „frohlockte“ einordnend kontrastiert und so der Lächerlichkeit preisgegeben. Auch an weiteren Stellen wird durch Zitate der euphemisierende Code der Militärs entlarvt, und so die humanitäre und politische Dimension des Themas gegenüber der militärischen hervorgehoben. In Anschluss werden vom Autor die militärischen Kürzel für Kriegswerkzeug gebraucht („Typ AH-64A „Apache“, „Hellfire“-Raketen““, 168). Jedoch entzaubert der Autor durch die sich jeweils anschließende genaue Erklärung die verharmlosende oder abstrahierende militärische Benennung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Text informativ konzipiert und nicht reißerisch ist.

8.3 Die Bilder

Die Bilder sind von mir fortlaufend nummeriert (Siehe Anhang). Die Bilder 1-3 finden sich auf der ersten Doppelseite, die übrigen auf der zweiten Doppelseite wieder.

Bild 1 ist eine in Grauwerten gehaltene Luftaufnahme. Durch die Farblosigkeit entsteht hier ein technischer, distanzierter Eindruck. Erst die Bildunterschrift (BU) „Zerstörte Kaserne in Serbien“ konkretisiert den Bildinhalt. Das Bild erweckt den Anschein einer maschinengesteuerten Aufnahme, die den kalten menschenlosen, „sauberen“ Krieg impliziert und erfüllt die Funktion Key-Visual.

Direkt kontrastiv dazu Bild 2. Strotzend vor Emotionalität ist dieses als Catch-Visual anzusehen, trägt aber ebenso Züge eines Key-Visuals. Dieses zentrale Bild zeigt einen Mann (Vater?), der mit Leidensmine ein Kind (seinen Sohn?) schützend hält. Durch den direkten Blickkontakt zwischen Kind und Rezipient wirkt das Bild stark involvierend. Für den Leser bekommt so das Leid ein Gesicht. Durch die Komposition, die Wahl des Bildausschnitts, entsteht ein solch signifikanter Eindruck von Direktheit und Nähe, daß man sich dem gezeigten Leid nicht entziehen kann, man auf voyeuristische Art und Weise zur Teilhabe gezwungen ist. Die BU „Vertriebene*: Wachsende Wut, *Vergangenen Montag in Mazedonien vor dem Abflug in die Türkei.“ wird dem gezeigten nicht gerecht, da sie versucht das Bild konnotativ mit dem Begriff Wut aufzuladen, diese im Foto jedoch nicht zuerkennen ist.

Das Bild ruft beim Leser die Erinnerung an Darstellungen der Gottesmutter mit Kind und öffnet so den Script Jesus (Christentum/Religion), in dem Leid ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Festzuhalten bleibt, daß das Foto sowohl eine symbolische, als auch eine aktivierende und interpretative Funktion übernimmt.

Bild 3 ist eine Überblicksaufnahme eines Flüchtlingslagers. Auch hier ist menschliches Leid zu sehen, jedoch hat der Leser durch die räumliche auch eine größere emotionale Distanz. Auch dies ist ein Key-Visual. Die BU „Flüchtlingslager in Mazedonien: Die humanitäre Katastrophe brach wie ein Naturereignis über die Nato herein “ konkretisiert das zu sehende. Sie ist kohässives Mittel zur kohärenten Anbindung des Bildes an den Text.

Die Bilder 4-7 sind in den Fließtext eingebunden. Sie sind allesamt Focus-Visuals, denen die Funktion des Darstellens des Personals gemein ist. Wie bei auch schon bei Bild 3 übernimmt die BU hier überall sowohl kohässive wie auch kohärente Funktion.

Bild 4 zeigt Frau Albright eingefangen in einer Energie und Entschlossenheit vermittelnden Geste. Ihr Fingerzeig ist zugleich Vektor, der auf den Text verweißt.

Bild 5 lässt Herr Blair in einer herschertypischen Situation erscheinen. Zu allen Zeiten schmückten sich Herrscher gerne mit den Insignien der Macht, vor allem der militärischen.

Auf Bild 6 ist Herr Clinton hinter dem Rücken seines Generalstabchefs zu sehen. Der Militär steht im Vordergrund und sprengt den bildlichen Rahmen. Die erkennbare interpretative und symbolische Funktion könnte etwa so in Worte gefasst werden:

Das Handlungsprimat ist von der Politik auf die Militärs umgeschwungen. Der Repräsentant der politischen Agitation versteckt sich hinter der Potenz der militärischen Kräfte, hat ihnen vielleicht sogar das Feld überlassen.

Bild 7 scheint ein Standbild aus einer TV-Sendung zu sein. Auch dies ist eine herrschertypische Situation. Man sieht Milosévic in einer Macht implizierenden Umgebung.

Bild 8 ist eine Grafik, gekoppelt mit einer schematischen Landkarte.

Die Abbildungen des Kriegsgeräts erfüllen eine darstellende Funktion. Ihre Begleittexte liefern detailierte Zusatzinformationen

Die Grafik ist geprägt von einer organisierende Funktionalität. Sie stellt Begriffe aus dem Text erneut, diesmal visuell zueinander in Beziehung. Auf diesem Weg wird dem Leser eine Art Überblick über wichtige bereits im Text gegebene Informationen und Zusammenhänge gegeben.

8.4 Die Text-Bild-Korrelation

Die nonverbale Ebene der Bilder bietet dem Leser auf der ersten Doppelseite den Einstieg in Thema und Text. Die Fotos nehmen die komplette obere Hälfte der Seiten ein. Und erzählen für sich genommen schon eine erste Geschichte. Zerstörung bringt individuelles Leid – für viele.

Die Bilder 1 und 3 sind jeweils durch den linken und rechten Rand der Seite beschnitten. Bild 2 hingegen ist durch den oberen Seitenrand angeschnitten und reicht vertikal über die beiden angrenzten Bilder hinaus. Dies sichert Bild 2 eine Sonderstellung , wie sie dem Catch-Visual gebührt. Durch die vertikale Lesrichtung verweist das Bild auf die Headline. Somit ist eine kohässive Verknüpfung zwischen nonverbaler und paraverbaler/verbaler Ebene festzuhalten.

Dieses stark involvierende und emotionalisierende Bilderband bildet aus Sicht des Layouts eine Art „Übertext“ zu der verbalen Ebene der analytischen Information. Die Bilder sind durch geschicktes Layout die Matrix, vor der der Leser die Information des Textes erliest. Die Bilder sind hier als textkonstituierend anzusehen.

Auf der zweiten Doppelseite sind die Bilder in den Text eingebunden, werden von ihm umflossen. Die Bild 4,5 und 7 haben eher illustrierenden Charakter. Bild 6 jedoch kann obwohl ebenfalls im Layout in den Text eingebunden durch seinen Mehrwert an Information als textkonstituierend angesehen werden.

Die Grafik (Bild 8) bildet durch ihre Platzierung rechts unten einen optischen Schlusspunkt. Hier erwartet und bekommt der Leser noch einmal die Fakten kompakt präsentiert. Das Weiterführen des Artikels in einer abschließenden Spalte auf der nächsten Seite ist ein Layoutdefizit.

9. Schlussüberlegungen und Resumee

In der vorliegenden Arbeit wurde bewusst auf die Aufnahme des Diskurses, inwieweit Bilder in Text-Bild-Gefügen als Texte zu analysieren sind verzichtet. Interessante Überlegungen finden sich hierzu bei Stegu. Auch wurde hier nicht weiter auf die unterschiedlichen gestalterischen Handlungsspielräume von Fotografen, Redakteuren und Layoutern eingegangen. Hier verweise ich auf Blum und Rutschky.

Wie sich zeigte, ist eine Übernahme von Analysestrukturen aus dem Bereich der Werbekommunikation sinnvoll und ermöglicht ein Aufzeigen der strukturellen und semantischen Wechselbeziehungen in der Fotoreportage.

Es bleibt zu resumieren, dass das Kommunikationssystem Fotoreportage ein dicht verwobenes Netz aus Interdependenzen zwischen den verbalen Ebenen im Dienste der semantischen Dichte darstellt. Der multimodale Aufbau ist von Nöten um durch kohässive und kohärente Verbindungen eine möglichst große emotionale Ansprache, aber auch erschöpfende Informationsvermittlung zu ermöglichen.

10. Literaturliste

Blum, Joachim. Die Zeitung: ein Multimedium: Textdesign – ein Gestaltungskonzept für Text, Bild und Grafik. Konstanz. 1998

Bolten, Jürgen 1996. Öffentlicher Sprachgebrauch, oder was ?! In: Böke, Karin u.a. (Hrsg.). Öffentlicher .Sprachgebrauch. Praktische, theoretische und historische Perspektiven. Opladen. 283-300

Der Spiegel 15/1999. „Zum Siegen verdammt“. 166/171

Fix, Ulla; Wellmann, Hans. Sprachtexte – Bildtexte. In: Fix, Ulla; Wellmann, Hans (Hrsg.). Bild im Text – Text und Bild. Heidelberg. 2000

Flusser, Vilém. Für eine kleine Philosophie der Fotografie. Göttingen. 1991

Heinemann/Viehweger : Textlinguistik. Eine Einführung. Tübingen. 1991

Hüppauf, Bernd. Kriegsfotografie und die Erfahrung des ersten Weltkrieges. In: Naumann, Babara (Hrsg.). Vom Doppelleben der Bilder. Bildmedien und ihre Texte. München. 1993

Janich, Nina. Werbesprache. Tübingen. 1999

Kress, Gunther; Leeuwen, Theo van. Reading Images. The Grammar of Visual Design. London, New York. 1996

Lebeck, Robert; Dewitz, Bodo von (Hrsg.). Kiosk. Eine Geschichte der Fotoreportage. Köln. 2001

Rutschky, Michael. Foto mit Unterschrift. Über ein unsichtbares Genre. In: Naumann, Babara (Hrsg.). Vom Doppelleben der Bilder. Bildmedien und ihre Texte. München. 1993

Sandig, Babara. Textmekmale und Sprache-Bild-Texte. In: Fix, Ulla; Wellmann, Hans (Hrsg.). Bild im Text – Text und Bild. Heidelberg. 2000

Stegu, Martin. Text oder Kontext: zur Rolle von Fotos in Tageszeitungen. In: Fix, Ulla; Wellmann, Hans (Hrsg.). Bild im Text – Text und Bild. Heidelberg. 2000

Stöckel, Hartmut. Bilder – stereotype Muster oder kreatives Chaos? Konstituive Elemente von Bildtypen in der visuellen Kommunikation. In: Fix, Ulla; Wellmann, Hans (Hrsg.). Bild im Text – Text und Bild. Heidelberg. 2000

11. Anhang

Im Anhag finden sich:

1. Eine s/w-Kopie der Spiegelreportage
2. Eine CD, die sowohl den gesamten Artikel, als auch die Bilder noch einmal gesondert enthält.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Fotoreportage - ein interdependentes Kommunikationssystem
Hochschule
Universität des Saarlandes
Veranstaltung
Die Geschichte der Fotographie
Note
2
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V108644
ISBN (eBook)
9783640068395
Dateigröße
576 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zum Verständnis der Arbeit ist der folgende Artikel erforderlich: Der Spiegel 15/1999. 'Zum Siegen verdammt'. 166/171
Schlagworte
Fotoreportage, Kommunikationssystem, Geschichte, Fotographie
Arbeit zitieren
Nicole Scharf (Autor:in), 2003, Die Fotoreportage - ein interdependentes Kommunikationssystem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108644

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Titel: Die Fotoreportage - ein interdependentes Kommunikationssystem



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