Berufliche Mobilität und Auswirkungen auf die privaten Lebensformen


Diplomarbeit, 2003

128 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Einleitung

3. Mobilität
3.1 Definition
3.1.1 Räumliche Mobilität
3.1.2 Soziale Mobilität
3.2 Mobilität im geschichtlichen Kontext

4. Warum sind Menschen mobil?
4.1 Gründe für Mobilität
4.2 Der Prozess der Entscheidungsfindung
4.2.1 Einflüsse auf die Entscheidung
4.2.2 Mobilitätsfördernde und –hemmende Aspekte
EXKURS: Wie mobil müssen Arbeitssuchende auf dem heutigen Arbeitsmarkt sein?

5. Auswirkungen der Berufsmobilität auf die privaten Lebensformen
5.1 Die Entstehung neuer Lebensformen
5.1.1 Fernpendler
5.1.2 Shuttles
5.1.3 Getrennt Zusammenlebende
5.1.4 Varimobile
5.1.5 Umzugsmobile

6. Psychosoziale Folgen für Betroffene
6.1 Individuell erlebte Vor- und Nachteile
6.2 Auswirkungen auf die Partnerschaft
6.3 Auswirkungen auf die Familienplanung und das Familienleben
6.3.1 Vereinbarkeit von Berufsmobilität und Familie
6.3.2 Organisation des Alltags
6.4 Zukunftsaussichten der Betroffenen

7. Unterstützung und Entlastung für beruflich Mobile
7.1 Wünsche und Anregungen von Betroffenen
7.2 Bestehende Ansätze und Leistungen
7.2.1 Leistungen des Arbeitgebers
7.2.2 Verbesserungen in Politik und Wirtschaft
7.2.3 Ideen und Innovationen

8. Ausblick

9. Literaturverzeichnis

10. Anhang

1. Vorwort

Das Thema dieser Arbeit hat sich aus einer Idee entwickelt, die ich schon seit einigen Semestern im Hinterkopf hatte. Ich wollte Lebensformen erforschen, die in irgendeiner Art und Weise von der Norm abweichen. Nachdem ich mir eine Aufstellung unterschiedlicher Lebensformen erarbeitet hatte, wählte ich als Forschungsobjekt Paare aus, die aus den unterschiedlichsten Gründen eine Fern- oder Wochenendbeziehung haben. Diese Lebensform interessiert mich besonders, weil ich selbst seit einigen Jahren eine Fernbeziehung führe und deshalb die Charakteristika einer solchen Partnerschaft kenne. Allerdings ist dies ein bislang nahezu unerforschtes Thema, so dass ich mein Konzept verändern musste. In den Gesprächen mit meiner betreuenden Dozentin Frau Bruns entwickelte sich dann die Idee, die Ursachen und Konsequenzen von beruflicher Mobilität zu untersuchen und die daraus entstehenden Lebensformen vorzustellen.

Ich möchte dieses Vorwort dazu nutzen, mich bei allen Menschen zu bedanken, die mir bei der Entstehung dieser Arbeit Hilfe und Unterstützung gaben. Ich danke meiner betreuenden Dozentin Frau Irmgard Bruns dafür, dass sie sich immer Zeit für mich und meine Fragen genommen hat. In den Gesprächen mit ihr ergaben sich für mich immer wieder neue Sichtweisen und Anregungen für meine Arbeit und ich konnte von ihren Erfahrungen und Kenntnissen zu dem Thema profitieren. Weiterhin danke ich den Frauen, die sich zu einem Interview bereit erklärten und mir sehr persönliche Einblicke in ihr Leben gewährten. Abschließend möchte ich meiner Freundin und meinen Freunden für ihre Geduld und Unterstützung danken und dafür, dass ich mit meinen Fragen und Probleme nicht alleine war.

2. Einleitung

In unserer heutigen Arbeitswelt scheinen – nicht zuletzt durch die erst kürzlich verfassten Reformpläne von Peter Hartz – die Anforderungen an Arbeitnehmer stetig zu steigen. Meine Diplomarbeit beschäftigt sich mit einem weit verbreiteten, aber wenig wahrgenommenen Thema: der beruflichen Mobilität. Nach Angaben des Soziologen Norbert Schneider ist jeder sechste Beschäftigte, der in einer Partnerschaft oder Familie lebt, aus beruflichen Gründen mobil. Unter Singles dürfte der Anteil noch weitaus höher liegen. Die Forderung nach Mobilität ist in aller Munde, doch es genügt schon lange nicht mehr, lediglich die Auswirkungen auf wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer Ebene zu betrachten. Ich will in dieser Arbeit den Fragen nachgehen, wie Mobilität im Beruf die Menschen beeinflusst und wie sie ihr Leben prägt. Wer ist überhaupt betroffen und welche Gründe gibt es für ein mobiles Verhalten? Wie wirkt sich berufliche Mobilität auf die Entwicklung und die Persönlichkeit des Individuums aus und welche Folgen hat die Situation für die Partnerschaft und die Familie? Um die gesellschaftliche Bedeutung von Mobilität besser verstehen zu können, sollte man sich darüber bewusst werden, dass daraus ganz neue, manchmal unkonventionelle Lebensformen entstanden sind, die es in dieser Form vor einigen Jahrzehnten noch nicht gab. Die rasant steigende Anzahl dieser „neuen“ mobilen Lebensformen ist Grund genug, sich eingehender und intensiver mit diesem Phänomen zu beschäftigen. Es gab in den vergangenen Jahren schon eine Reihe von Forschungen, die sich vor allem mit der Situation von Pendlern auseinander setzten (vgl. u.a. Erich Ott, 1990, 1992), doch erst in den letzten Monaten wurde damit begonnen, umfassendere Studien zu erarbeiten, die Mobilität als ganzheitliches Erscheinungsbild untersuchen. Die Studie „Berufsmobilität und Lebensform“, die unter der Leitung von Norbert F. Schneider an den Universitäten Bamberg und Mainz durchgeführt wurde, geht zum ersten Mal detailliert auf die Erscheinungsformen, Gründe und Auswirkungen von beruflicher Mobilität ein und dient mir beim Erstellen dieser Arbeit als Anhaltspunkt und Grundlage. Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf der Untersuchung verschiedener mobiler Lebensformen. Dies reicht von der Entstehung und der Offenlegung der Gründe für ein mobiles Verhalten über genaue Portraits der Lebensformen bis hin zu der Untersuchung, welche psychosozialen Folgen auf Individuen in dieser Lebenssituation einwirken. Als besonders wichtig erachte ich weiterhin den Blick auf Unterstützungs- und Entlastungsmöglichkeiten für beruflich mobile Menschen, um einerseits zu zeigen, dass sich das öffentliche Bewusstsein langsam zu verändern beginnt und um andererseits Anregungen für notwenige Veränderungen zu geben.

Meine Arbeit stützt sich zum einen auf eine ausführliche Literaturrecherche, bei der ich allerdings feststellen musste, dass der gegenwärtige Forschungsstand weit hinter meinen Erwartungen liegt und zum anderen auf von mir durchgeführten Interviews mit Betroffenen, die mir einen intensiven Einblick in ihre Lebenssituation gaben.

Diese Arbeit soll zugleich Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektive sein und einen weiteren Schritt zur öffentlichen Wahrnehmung mobiler Lebensformen darstellen.

3. Berufliche Mobilität

3.1 Definition

Berufliche Mobilität wird als „Wechsel von Positionen innerhalb der Arbeits- und Berufswelt“ angesehen (Breunig, 2001). Damit eng verknüpft ist die „Anpassung der Erwerbspersonen an veränderte berufliche Aufgaben und Verantwortungsbereiche“ (Breunig, 2001). Auf dem heutigen, sich wandelnden Arbeitsmarkt geht es dabei um eine Bewegung weg von „starre[n] Strukturen und regulierte[n] Abläufe[n]“ (Schneider,2001, 9) und hin zu beweg-lichen, flexiblen Bedingungen und neuen Anforderungen an die Arbeitnehmer. Dabei ist Mobilität kein Wunsch, den Arbeitgeber an künftige Mitarbeiter herantragen, sie ist vielmehr zu einer Forderung geworden. So sind z.B. die Beschäftigten eines deutschen Chemiekonzerns vertraglich verpflichtet, „überall hinzuziehen, wo sie gerade gebraucht werden – weltweit, versteht sich“ (Englisch, 2001, 34). Man könnte also davon sprechen, dass Arbeitnehmer die Bereitschaft zeigen müssen sich „den Anforderungen des Marktes zu unterwerfen“ (Schneider, 2001, 11).

Mobil sein kann entscheidende Auswirkungen auf die Erwerbsbiografie haben in Form von weniger dauerhaften Beschäftigungsverhältnissen und einer zunehmenden Zahl von Arbeitsplatzwechseln. 70% der Ostdeutschen und 52% der Westdeutschen wären dazu bereit, sowohl ihren Arbeitsort als auch ihre berufliche Tätigkeit zu wechseln um nicht arbeitslos zu werden (vgl. Wieke, 2000). Gleichzeitig ist Mobilität als Synonym zu verstehen für wertgeschätzte Merkmale in der Persönlichkeit eines Arbeitnehmers. Dazu gehören „Flexibilität, Offenheit, Verfügbarkeit, Engagement und Belastbarkeit“ (Schneider, 2001, 14). Bei all diesen positiven Assoziationen sollte allerdings nicht vergessen werden, dass Mobilität sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf persönlicher Ebene Nachteile mit sich bringt, die die positiven Merkmale aufheben können.

Wenn ich in der folgenden Arbeit von Mobilität spreche, schließt das vor allem die Bereitschaft ein, gewisse Strecken zwischen Arbeitsort und Wohnort zu überbrücken, in eine andere Stadt zu ziehen, das Privatleben zugunsten der Erwerbstätigkeit einzuschränken und Kompromisse einzugehen, die es ermöglichen, bestimmte individuelle Lebensziele zu erreichen. Anders als Günther sehe ich Wochenend- und Fernpendler nicht als Mobilitätsverweigerer, die sich scheuen den einschneidenden Schritt eines Umzugs zu gehen, sondern als Menschen, die eine Variante beruflicher Mobilität für sich gewählt haben (vgl. Günther, 2002). Zu den mobilen Arbeitnehmern gehören vom Außendienstmitarbeiter bis hin zum Angestellten mit Heimarbeitsplatz all diejenigen, die bereit sind sich auf neue flexible Arbeitsstrukturen einzulassen und die Folgen in ihren Alltag und ihre Lebensform zu integrieren. Daran anknüpfend ist zu sagen, dass sich Mobilität nicht nur auf eine räumliche Bewegung bezieht, sondern dass sie auch „die geistige, soziale und emotionale Beweglichkeit, das Bedürfnis nach neuen Erfahrungen und neuen gedanklichen Horizonten“ (Englisch, 2001, 37) beinhaltet.

Abschließend ist festzuhalten, dass berufliche Mobilität nicht nur den Wechsel von Arbeitsplätzen innerhalb eines Betriebes (arbeitsplatzbezogene Mobilität) und auch nicht nur die Möglichkeit meint zwischen verschiedenen Berufen zu wechseln (vgl. Breunig, 2001), sondern dass Mobilität ein Instrument darstellt, das eine Kombination von Wohnort und Arbeitsort ermöglicht.

3.1.1 Räumliche Mobilität

Die räumliche oder geografische Mobilität wird auch als Migration bezeichnet und „beschreibt physische Bewegungen von Individuen und Bevölkerungsgruppen“ (Pelizäus-Hoffmeister, 2001, 21). Nach sozialwissenschaftlicher Auffassung ist räumliche Mobilität beschränkt auf „die Bewegung im Raum, die einen Wohnortwechsel impliziert“ (Albrecht. 1972, 25). Räumliche Mobilität umfasst aber auch die regelmäßige Überwindung größerer Distanzen und längere Abwesenheitszeiten vom Wohnort (vgl. Schneider, 2001,15). Dabei wird der Lebensmittelpunkt nicht unbedingt verändert. Die Bereitschaft ist abhängig von den Merkmalen und Attraktionen der Ziel- und der Herkunftsregion, den sozialen Aufstiegsmöglichkeiten, von individuellen Faktoren und von familialen Gegebenheiten (vgl. Schneider, 2001, 15). Des weiteren muss im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen unterschieden werden zwischen residentieller Mobilität, die Migration meint, und zirkulärer Mobilität, bei der der Wohnsitz vorhanden bleibt und die Betroffenen die langen Strecken zwischen Wohn- und Arbeitsort durch Fern- oder Nahpendeln bewältigen.

3.1.2 Soziale Mobilität

Die soziale Mobilität umfasst „Bewegungen oder Wechsel innerhalb gesellschaftlicher Lagen, Klassen oder Schichten“ (Pelizäus-Hoffmeister, 2001, 19). Soziale Mobilität lässt sich unterteilen in eine vertikale und eine horizontale Mobilität. Bei der vertikalen Mobilität handelt es sich um soziale Aufstiegs- oder Abstiegsbewegungen eines Individuums innerhalb eines „Systems der sozialen Ungleichheit“ (Franz, 1984, 25) oder einer Berufshierarchie. Die horizontale Mobilität meint eine Positionsänderung, ohne dass der soziale Status verändert wird, d.h. einen Wechsel zwischen gleichwertigen Positionen. Beispielsweise sind das Bewegungen in sozialen Netzwerken wie z.B. „Prozesse der Einbindung, des Verlassens und der Wiedereinbindung“ (Schneider, 2001,15, vgl. Pelizäus-Hoffmeister, 2001). Außerdem wird unterschieden zwischen einer strukturell bedingten Mobilität, die durch Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt erzwungenen wird und einer freiwilligen Mobilität. In dieser Arbeit wird zugunsten der räumlichen Mobilität nicht näher auf die Aufstiegs- und Abstiegbewegungen der Arbeitnehmer eingegangen.

3.2 Mobilität im geschichtlichen Kontext

Das Phänomen der beruflichen Mobilität und dessen Folgen für die privaten Beziehungen ist keineswegs eine Erscheinung unseres Jahrhunderts, auch wenn man dies aufgrund des Wandels auf dem Arbeitsmarkt und der unkomplizierten Fortbewegungsmittel annehmen könnte. Mobilität lässt sich jahrhunderteweit zurückverfolgen. Anfangen möchte ich mit der Situation im Mittelalter, als „das zeitweilige Getrenntleben vom Partner (...) nur in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen in breiteren Bevölkerungsgruppen auftrat“ (Schneider/Rosenkranz/Limmer, 1998, 48) und davon auch nur eine kleine Gruppe betroffen war. Mobilität war also eine Reaktion auf äußere, keineswegs angenehme Lebensumstände und keine freiwillige Entscheidung. Eine Ausnahme bildete zum einen die führende Gesellschaftsklasse, zu der Päpste und andere Geistliche gehörten, für die ein ständiges Herumreisen zu den Privilegien ihres Standes gehörte. Zum zweiten mussten Könige und Kaiser viel reisen, weil es im Mittelalter keine Reichshauptstädte gab und sie bei allen Anlässen persönlich präsent sein mussten. Zum dritten gab es Berufe wie den des Händlers, des Musikanten oder des Gauklers, die ohne Mobilität und ein ständiges Reisen nicht denkbar gewesen wären. Im Mittelalter wurde außerdem das Phänomen der „Wanderjahre“ geprägt, nach dem Auszubildende fernab der Heimat Lebens- und Berufserfahrung sammeln sollten. Das ist vergleichbar mit dem heutigen Anspruch der Firmen auf eine ausreichende Auslandserfahrung der Mitarbeiter (vgl. Günther, 2002). Doch nicht nur berufliche Gründe waren entscheidend für die Mobilität im Mittelalter, sondern auch wirtschaftliche Umstände wie beispielsweise Missernten oder große Seuchen, die zu Ab- und Auswanderungen führten.

Bis in das 18. Jahrhundert hinein wurde Mobilität „als etwas Schädliches und Gefährliches“ (Schneider, 2001, 10) angesehen. Lediglich Händler, Soldaten, Gelehrte, Missionare und Wallfahrer nahmen die vielen Nachteile auf sich, zogen durch das Land und lebten getrennt von ihren Familien. Doch mit dem Beginn der Bildungsreisen berühmter Dichter und Denker wie z.B. Goethe erfuhr das Phänomen der Mobilität einen Wandel. Mobilität wurde „unabdingbar für die Entwicklung des Wissens und der sozialen Fähigkeiten“ (Schneider, 2001, 10).

Mit dem Einsetzen der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ergab sich für viele Erwerbstätige eine neue Herausforderung. Während bis dahin lediglich die „fahrenden“ Berufe von Mobilität betroffen waren, setzten plötzlich große Umzugs- und Pendelströme zwischen den neu entstandenen Industrieanlagen und den Wohnungen ein (vgl. Schneider, 2001). Von einer reinen Landflucht und einem Strom in die großen Industriezentren zu sprechen wäre zu allgemein, obwohl die Zahl der Landbevölkerung zwischen 1871 und 1910 von zuvor zwei Dritteln auf rund 40% abnahm (vgl. Wieke, 2000). Hinzu kam eine riesige Wanderbewegung der Menschen von Europa nach Nordamerika: Zwischen 1800 und 1914 wanderten ca. 50 Millionen Menschen dorthin aus (vgl. Günther, 2002).

Zu Beginn der Industrialisierung betrachteten die Menschen die neu entstandenen Industrieanlagen mit großer Skepsis. Viele fühlten sich erinnert an die Arbeitshäuser der Soldaten und Strafgefangenen und scheuten sich ihre bisher mehr oder weniger erfolgreich ausgeübten Berufe zugunsten einer Arbeit in den Fabriken aufzugeben. Für viele stellte die Erwerbstätigkeit dort nur einen Nebenverdienst dar, der für eine verbesserte wirtschaftliche Lage sorgen sollte. Hinzu kommt, dass es in den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts von staatlicher Seite aus Zuzugsbeschränkungen gab, die einem „unkontrollierten Zuzug verarmter Arbeitermassen“ (Borscheid, 1979, 35) entgegenwirken sollten. Damit wollte man den individuellen Bedarf an Arbeitskräften regulieren und die Menschen davon abhalten ihre Existenzen aufzugeben um nach einem besseren Leben in den großen Industriezentren zu suchen. Mit der Aufhebung der Beschränkungen in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts setzte dann erneut ein Zuwanderungsstrom von schlecht ausgebildeten und ebenso schlecht bezahlten Arbeitern ein, der die einheimischen Arbeiter in der Firmenhierarchie steigen ließ (vgl. Borscheid, 1979).

Betrachtet man nun die Wanderungsbewegungen aus dieser Zeit, so lassen diese zwei Rückschlüsse zu. Zum einen wurden Wohnortwechsel meist nur über relativ kurze Distanzen vorgenommen um die materiellen Kosten niedrig zu halten, zum anderen zog es Stadtbewohner immer wieder in andere, oft größere Städte, während die Landbevölkerung eher wieder auf dem Land sesshaft wurde (vgl. Borscheid, 1979). Zu den Mobilitätszahlen hat Dieter Langwiesche einige Daten des Statistischen Jahrbuchs Deutscher Städte zitiert und kommt zu dem Ergebnis, dass es in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Städten mit mehr als 50 000 Einwohner deutliche Zuwanderungsgewinne gab (vgl. Langwiesche, 1979). Die Wanderungs- und Pendelbewegungen führten zu einer grundlegenden „strukturellen Veränderung, nämlich einer Trennung von Arbeiten und Wohnen“ (Schneider/Rosenkranz/Limmer, 1998, 49). Mit dieser Trennung der Lebenswelten geht ein „Ausschluss der Frau aus den Lebensbereichen Bildung, Erwerbsarbeit, Politik, Wissenschaft, Rechtswesen und Geldverkehr, und damit aus den subjektive Autonomie voraussetzenden und zugleich freisetzenden Erfahrungs- und Handlungsbereichen“ einher (Beck/Beck-Gernsheim, 1994, 142). Außerdem wurde die Frau mehr und mehr zum Statussymbol für den Mann, „während ihre Berufstätigkeit als Zeichen galt, dass er sie nicht unterhalten konnte“ (Lewis/Cooper, 12).

In dieser Entwicklungsphase lassen sich zwei Vorformen für Partnerschaften mit getrennten Haushalten unterscheiden. Das sind zum einen die gut-bürgerlichen Familien, die einen „Familienwohnsitz auf dem Lande“ und einen „Wohnsitz des Ernährers in der Stadt“ besaßen (Schneider/Rosenkranz/Limmer, 1998, 49) - das betraf vor allem reiche Kaufleute, die mit ihrer Lebensform eine „komplementäre Arbeitsteilung“ (Schneider/ Rosenkranz/Limmer, 1998, 49) verstärkten, indem sie zwischen dem Lebensbereich des Mannes mit Erwerbstätigkeit und Ernährerfunktion und dem Lebensbereich der Frau, die sich um Familie und Haushalt kümmern sollte, unterschieden. Andererseits eröffneten die neuen Arbeitsplätze in der Industrie weniger wohlhabenden Familien eine „Möglichkeit der Existenzsicherung“ (Schneider/Rosenkranz/Limmer, 1998, 49), die allerdings mit einer Trennung von Arbeits- und Wohnort verbunden war. In der ersten Pendlergeneration wurde noch viel gependelt um einerseits der Wohnungsnot in den Städten zu entgehen und andererseits die „vertraute soziale Umgebung nicht aufgeben“ (Schneider/Rosen-kranz/Limmer, 1998, 50) zu müssen. Borscheid schreibt dazu, dass durch das tägliche bis wöchentliche Pendeln versucht wurde „die wirtschaftlichen und sozialen Spannungen zu minimieren und gleichzeitig die wirtschaftlichen Bedürfnisse optimal zu befriedigen“ (Borscheid, 1979, 40). Wer nicht jeden Tag pendeln konnte, verbrachte die arbeitsfreie Zeit und die Nächte in meist betriebseigenen Schlafunterkünften oder in Privatunterkünften.

Erwerbstätigkeit und berufliche Mobilität lagen in dieser Zeit aber nicht nur in Männerhand. Es gab einen großen „Bedarf des Kapitals an billiger Frauenarbeit“ (Englisch, 2001, 267), was dazu führte, dass Frauen ökonomisch unabhängiger und eigenständiger leben konnten. Auch sie pendelten täglich zu ihren Arbeitsplätzen und der Anteil an weiblichen Arbeitskräften war in den frauenspezifischen Industriezweigen beispielsweise der Textilindustrie besonders bedeutsam (vgl. Schneider/Rosenkranz/Limmer, 1998). Jedoch geht aus bisherigen Untersuchungen hervor, dass die mobilen Frauen ihren männlichen Kollegen zahlenmäßig deutlich unterlegen waren und dass sie sich auf die „Umland- und Nahwanderung“ (Langewiesche, 1979, 78) beschränkten. Das lässt den Schluss zu, dass mit der beruflichen Qualifikation auch die zu bewältigenden Entfernungen wuchsen. Zur Jahrhundertwende gehörten sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen die 20- 35jährigen zu den mobilsten Arbeitnehmern.

Dann kam es durch Veränderungen und Verbesserungen in der Infrastruktur und Arbeitszeitverkürzungen zu großen Erleichterungen im täglichen Pendelverkehr, so dass der Anteil an Wochenendpendlern abnahm und immer mehr Menschen täglich immer größere Strecken auf sich nehmen und bewältigen konnten.

Die Mobilitätszahlen, d.h. die Zu- und Abwanderungsraten, nahmen in den folgenden Jahrzehnten rapide ab und pendelten sich auf einem weitaus geringeren Wert ein (vgl. Langwiesche, 1979).

Mitte des 20. Jahrhunderts – in den 50er bis 70er Jahren – setzte sich dann eine Form der Mobilität durch: die Umzugsmobilität. Bekam der Mann ein Arbeitsplatzangebot, das eine gewisse Entfernung zu seinem Wohnort beinhaltete, war es selbstverständlich, dass Frau und Kinder der Karriere des Mannes nicht im Weg standen und mitzogen. Es galt die Norm: „Der Platz einer Frau ist an der Seite ihres Mannes“ (Schneider/Rosenkranz/Limmer, 1998, 63) Für damalige Verhältnisse war es nahezu ausgeschlossen, dass Ehepartner – wenn auch für eine zeitlich begrenzte Dauer - getrennt voneinander an zwei verschiedenen Orten lebten. Ebenso ausgeschlossen war eine Partnerschaft, in der die Frau ihrer Karriere nachgeht, während der Mann die häuslichen Aufgaben übernimmt. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Bürgerlichen Gesetzbuch wider. So wurden dem Mann durch den 1957 aufgehobenen § 1354 BGB alle Entscheidungen, die das gemeinschaftliche eheliche Leben betrafen, übertragen. Das heißt, dass er zum Verwalter des gemeinsamen Vermögens wurde und z.B. auch den Wohnort der Familie bestimmen konnte und dass er bis zum Gleichberechtigungsgesetz 1957 das Recht hatte Arbeitsverträge der Frau fristlos zu kündigen. Bis 1977 war dieses Recht noch durchsetzbar, wenn feststand, dass die Frau durch ihre Erwerbstätigkeit ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter vernachlässigte (vgl. Limbach, 1988). So war der Frau eine Erwerbstätigkeit gegen den Willen des Mannes nur dann möglich, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen notwendig war (vgl. Bürgerliches Gesetzbuch und Familienrecht) und dies keine Auswirkungen auf das Familienleben hatte. Allerdings ist auch zu beachten, dass dies zwar auf dem Papier eine große Bedeutung hatte, es aber in der Praxis nur sehr wenige Urteile gegen erwerbstätige Frauen gab (vgl. Limbach, 1988). Durch vielfältige Reformbemühungen, z.B. dem Eherechtsreformgesetz von 1977, wurden umfassende Änderungen vorgenommen, die sich an der modernisierten gesellschaftlichen Wirklichkeit orientierten und ein neues gleichberechtigtes Rollenverständnis hervorbrachten.

Betrachtet man nun die Einbindung von Frauen in die Erwerbstätigkeit, fällt auf, dass es in der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland durchaus Unterschiede gab. In den vergangenen Jahrzehnten wurde bei Frauen die “weitgehende Integration (...) in das Erwerbsleben ermöglicht und die gleichzeitige Ausübung von Berufs- und Familientätigkeit forciert“ (Nauck, 1995, 103). So liegt die Erwerbsquote von Frauen in den neuen Bundesländern 1990 bei über 80%, abgesehen von den Frauen, die Kinder unter 3 Jahren haben und von denen deshalb nur ein Anteil von ca. 40% erwerbstätig ist. Frauen in den alten Bundesländern sind zu einem wesentlich geringeren Anteil erwerbstätig: die Quote bei kinderlosen Frauen erreicht lediglich 64% und diese Zahl steigert sich auch durch das zunehmende Alter der Kinder nicht mehr (vgl. Nauck, 1995). Diese Entwicklung in den neuen Bundesländern kann als Grundlage für die Mobilität von Frauen gesehen werden, denn nur durch diese Art der Einbindung erhalten Frauen überhaupt die Chance mobilen Berufen nachzugehen. In der BRD realisierten Frauen lediglich das „Phasenmodell, bei dem Beruf und Familientätigkeit zeitlich nacheinander wahrgenommen werden“ (Nauck, 1995, 103). Natürlich haben auch hier Frauen die Möglichkeit berufliche Mobilitätserfordernisse zu erfüllen, dennoch muss beachtet werden, dass die Mehrheit der mobilen Arbeitnehmern hochdotierte Stellen bekleiden und dass eine Unterbrechung der Karriere durch den Erziehungsurlaub sicher einen Einbruch für Frauen bedeutet.

Heute sind „Frauen, die eine eigene Karriere aufgebaut haben, immer seltener bereit, ihrem Partner um die Welt zu folgen“ (Vetter, 1991, 160). Mobilität und mobil sein ist kein reines Männerthema mehr bzw. Frauen nehmen heute nicht mehr die passive Rolle der „Mitläuferin“ ein, sondern verfolgen ihre eigenen Karrieren und zeigen eine immer größere Mobilitätsbereitschaft. So werden z.B. drei Viertel der Ablehnungen von Auslandsentsendungen mit dem Einspruch der Ehefrau begründet, die ihre eigene Stelle nicht aufgeben will (vgl. Freymeyer/Otzelberger, 2000). Deshalb bleibt vielen Paaren nur die räumliche Trennung, die aber nicht nur als „Notlösung“ oder Kompromiss verstanden werden darf, sondern die „beiden Partnern Freiräume und neue Selbsterfahrungen“ (Vetter, 1991, 160) bietet und damit auch ein gewisses Beziehungsideal beschreibt.

4. Warum sind Menschen mobil?

4.1 Gründe für Mobilität

„Unser Arbeitsmarkt verlangt immer mehr Mobilität und Leistungsbereitschaft“

( Elisabeth Beck-Gernsheim)

Dieser These schließen sich viele fachkundige Autoren an. Aufgrund einer deutlichen Zunahme von individuellen Handlungsmöglichkeiten und einer ansteigenden Autonomie im Umgang mit Entscheidungen findet heute eine „Individualisierung der Lebensführung“ (Schneider, 2001, 21) statt, die einhergeht mit einer größer werdenden Anzahl an selbstbestimmten Lebensformen (Pluralisierung). In unserer Gesellschaft werden Arbeitskräfte gebraucht, die „unabhängig, beweglich und flexibel“ (Schmitz-Köster, 1990, 199) sind und die es vor allem schaffen ihre bestehende Partnerschaft bzw. Familie in diesen Katalog von Anforderungen zu integrieren. Die meistgewählte Lösung ist dabei Mobilität. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gehen Kompromisse ein, verzichten vielleicht zugunsten des Partners auf die eigene Karriere und versuchen den Markterfordernissen zu genügen. Sie erstellen Zeitpläne und nehmen große persönliche und finanzielle Belastungen auf sich um in dieses System hineinzupassen. Diese Entwicklung hat natürlich auch Auswirkungen auf die Erwerbsbiografien vieler Arbeitnehmer: Es finden viel häufiger als in vergangenen Jahrzehnten Stellenwechsel statt, Arbeitnehmer sind ständig gezwungen sich weiterzubilden und es gibt kaum noch einen Beruf, bei dem man, wie das früher üblich war, von der Ausbildung bis zur Rente im gleichen Betrieb arbeitet.

Johann Günther stellt in seinem kürzlich erschienen Buch „Die neue Mobilität der Gesellschaft“ die These auf, dass die heutige Flexibilität in vielen Wirtschaftszweigen mit dem „Wegfall der Monopole“ (Günther,2002, 24) in ihrer früheren Form zu begründen sei. Während die Industrieanlagen der früheren Jahrhunderte Monopolstellungen hatten, begannen in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr die Auslagerungen verschiedener Betriebszweige und Branchen, so dass die Angestellten ihre Arbeitsplätze ebenso flexibel verlagern mussten. Ein zweites Phänomen ist die Rückkehr der sogenannten „Wanderjahre“, in denen die Auszubildenden im Mittelalter Erfahrungen sammeln sollten. Heute wird von Hochschulabsolventen in den meisten Studiengängen eine fundierte Auslandserfahrung verlangt.

Arbeitnehmer arrangieren sich nach Aussagen einer Reportage der Zeitschrift „Der Spiegel“ aus zwei verschiedenen Motivationen heraus mit beruflicher Mobilität. Die Autorinnen stellen die These auf, dass Arbeitnehmer entweder eine hohe berufliche Qualifikation erlangt haben und in ihrer Lebensplanung sehr karriereorientiert oder sie sehen sich einem gewissen Mobilitätsdruck aufgrund der drohenden oder tatsächlich existierenden Arbeitslosigkeit ausgesetzt und nehmen Mobilität in Kauf um einen Job zu bekommen, „der annähernd der Ausbildung entspricht“ ( Beyer/Knöfel im Spiegel 39/99, 1999).

Ich habe meine Ausbildung gemacht und habe mir die auch so eingerichtet, dass ich eher eine Hochschulkarriere angestrebt habe. Man ist angewiesen darauf, dass es freie Professorenstellen gibt und einem Lehrstühle angeboten werden, auf die man sich bewerben kann. Und es gibt eben nur eine begrenzte Anzahl von solchen Lehrstühlen in der Bundesrepublik und wenn man dorthin berufen wird, ist das eine Ehre, die man dann auch annehmen sollte.“ (Karla M., Shuttle)

An dieser Stelle ist es sicher interessant zu erwähnen, welchen Wert eine geregelte Beschäftigung in unserer Gesellschaft einnimmt. In der Industrialisierung ist ein relativ starres Modell entstanden, das für eine Zweiteilung der Gesellschaft verantwortlich ist. Zum einen gibt es die Gruppe der Erwerbstätigen und zum anderen diejenigen, die aus dem Erwerbsleben ausgeschlossen sind und zu den Nichterwerbstätigen gehören (vgl. Englisch, 2001). Der arbeitende Mensch steht im Mittelpunkt des politischen und gesellschaftlichen Interesses, wohingegen Arbeitslose oft mit Stigmatisierungen und Benachteiligungen leben müssen. Es wird klar, dass Menschen daran gemessen werden, ob sie einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen und sich damit in das „System“ einfügen oder ob sie eine Außenseiterposition einnehmen. Aus dieser Perspektive heraus betrachtet ist es verständlich, wenn sich viele Arbeitnehmer heute auf enorme berufliche Anfordernisse wie z.B. einen weiten Arbeitsweg einlassen.

„Meine Motivation bei dieser Stelle ist ganz klar aus der Arbeitslosigkeit geboren. (...) Ein Job musste her, ich wollte unbedingt wieder was machen. (...) Und dann war halt die Überlegung: arbeitslos in Köln oder den Job in Frankfurt...Ich habe mich dann für den Job in Frankfurt entschieden.(...) Also man nimmt schon einiges auf sich momentan, und ich habe das alles auf mich genommen, weil ich einfach nicht länger arbeitslos sein wollte.“ (Alexandra B., Fernpendlerin)

Mobilität ist heute „längst nicht mehr auf bestimmte Berufsgruppen oder die Chefetage beschränkt“ (Fliegel, 1999), sondern vielmehr in nahezu allen Berufsbildern existent. „Ob Volkswirt oder Ingenieur - Mobilität ist fast schon eine obligatorische Anforderung.“ ( Beyer/Knöfel, 1999).

In einem Interview mit der Fachzeitschrift „Psychologie heute“ im April 2002 schildert Norbert Schneider die Gründe für Mobilität wie folgt:

Er beschreibt drei verschiedene Ursachen. „Zum einen den ganz normalen Strukturwandel des Arbeitsmarktes“ (Krumpholz-Reichel, Psychologie heute 2002, 48), der viele Arbeitsbereiche wie zum Beispiel den Tagebau im Ruhrgebiet einfach schluckt und stattdessen neue zukunftsweisende Branchen aufleben lässt. Dazu beschreibt Günther folgende Entwicklung: Während Arbeit früher mit schwerem körperlichem Einsatz verbunden wurde, ist dieser Faktor mittlerweile fast komplett verschwunden, da Maschinen die menschliche Arbeitskraft ersetzen. Arbeitsstellen in den Fabriken sind zugunsten einer Ausweitung des Dienstleistungssektors reduziert worden (vgl. Günther, 2002). Zum zweiten hat die Globalisierung zur Folge, dass eine „zunehmende Vernetzung und Internationalisierung von Handelsströmen (Krumpholz-Reichel, 2002, 48) erfolgt. Das schließt laut Günther auch eine Zweiteilung der Arbeitskräfte ein, in die „leitenden Manager“, die für die internationale Wirtschaft zuständig sind, und die „Low End Gesellschaft“ (Günther, 2002, 56), die von der grenzüberschreitenden Mobilität ausgeschlossen ist. Zum dritten gibt es zunehmend „Fortschritte in der Verkehrstechnologie“ (Krumpholz-Reichel, 2002, 48), die mobile Lebensformen begünstigen.

In der Studie „Berufsmobilität und Lebensform“ wurde untersucht, welche Gründe mobile Arbeitsnehmer für oder gegen Mobilität vorbringen. Dabei stellte sich heraus, dass 76% aller Befragten berufliche Gründe für die bestehende Mobilität angaben, lediglich für 23% waren private Gründe entscheidend.

Schneider nimmt daraufhin eine interessante Einteilung vor: Er unterscheidet zwischen einer freiwilligen, einer gezwungenen und einer ambivalenten Entscheidung sowohl bei den beruflichen als auch bei den privaten Auslösern. Bei der freiwilligen Entscheidung ist die „subjektiv empfundene Qualität des Arbeitsplatzes“ (Schneider, 2001, 128) inklusive des Gehaltes und des Anspruches der Tätigkeit entscheidend. Das heißt, Arbeitnehmer legen größten Wert auf einen Arbeitsplatz, der ihren Vorstellungen entspricht und nehmen die erforderliche Mobilität nur als Rahmenbedingung wahr. Ebenso entscheidend sind in dieser Gruppe die privaten Entscheidungskriterien und Lebensideale. Anders sieht das bei Menschen aus, die einen eher geringen individuellen Entscheidungsspielraum haben und zur Mobilität gezwungen sind. Sie empfinden dies als große Belastung und beugen sich äußeren Zwängen um z.B. einen Weg aus der Arbeitslosigkeit zu finden oder um einer bestehenden Familienform nicht zu schaden. Eine Mischung dieser beiden Formen bilden die ambivalenten Entscheidungstypen, die sowohl Zwänge als auch freiwillige Gründe für ihre Entscheidung anführen können. Hier werden Kompromisse geschlossen um möglichst viele Ideale verwirklichen zu können.

Zum Vergleich spricht Josef Freisl 1994 von freiwilliger und unfreiwilliger Mobilität: Freiwillige Mobilität meint, dass die Entscheidung für oder gegen einen Arbeitsplatz einzig und alleine vom Arbeitnehmer ausgeht, während es sich bei der unfreiwilligen Mobilität um eine Situation handelt, in der der Arbeitnehmer aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen ist seine Qualifikation zu verändern oder den Arbeitsplatz zu wechseln (vgl. Freisl, 1994). Zu den Unfreiwilligen gehören auch Menschen, bei denen Mobilität zum Berufsbild dazugehört und damit unvermeidlich ist (vgl. Varimobile Punkt 6.1.4).

4.2 Der Prozess der Entscheidungsfindung

4.2.1 Einflüsse auf die Entscheidung

Der Prozess der Entscheidungsfindung wird von „individuellen Präferenzen“ (Schneider, 2001, 124) und „externen Gegebenheiten“ (Schneider, 2001, 124) begründet. Dabei gilt es individuelle Vorstellungen und Wünsche mit äußeren Strukturen, auf die das Individuum keinen Einfluss hat, zu verknüpfen.

Auf der individuellen Ebene beeinflussen sowohl demografische Merkmale wie Alter und Geschlecht und die bisherige Erwerbsbiografie als auch persönliche Lebenserfahrungen, Charakterzüge und Wertvorstellungen die Entscheidung für oder gegen Mobilität. Hinzu kommen äußere Einflüsse, die einerseits auf der Mikroebene „individuelle Ressourcen an ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital“ (Schneider, 2001, 124) bedeuten und auf der Makroebene für die Arbeitsmarktsituation, die Gesetzgebung, den Wohnungsmarkt, gesellschaftliche Strukturen etc. stehen. ( vgl. Schneider, 2001).

Wagner (1989) stellt in seinem Buch „Räumliche Mobilität im Lebensverlauf“ einen handlungstheoretischen Ansatz vor, der sich genau mit diesen beiden Polaritäten beschäftigt. Zur Erklärung von Wanderungen bzw. von Mobilität betrachtet er zum einen den „faktischen Zustand der Umgebung und die Position des Akteurs in der Umgebung“ (Wagner, 1989, 22) und zum anderen die subjektiven Einstellungen des Akteurs gegenüber dieser Umgebung. Der eigentliche Entscheidungsprozess aber, in dem sich der Akteur für oder geben Mobilität entscheidet, ist geprägt von sehr individuellen Einstellungen und Bewertungen. Zum einen spielt das Ausmaß des Anreizes, der eine veränderte Lebenssituation auf den Betroffenen ausübt, eine Rolle. Zum anderen sind aber auch die Vorerfahrungen, die ein Betroffener in seinem Leben mit Mobilität gemacht hat, prägend für die Entscheidungsfindung, denn wenn er sicher sein kann, sich z.B. in der neuen Umgebung schnell einzuleben, erleichtert dies seine Lage. Abschließend ist natürlich auch der finanzielle Aspekt zu beachten, der ausschlaggebend für die Entscheidung sein kann. Zusammenfassend erklärt Wagner, dass Menschen immer versuchen, ihr „Anspruchsniveau zu befriedigen“ (Wagner, 1989, 23) und dass daraus eine Motivation für Mobilität entstehen kann.

4.2.2 Mobilitätsfördernde und –hemmende Aspekte

Bevor ich in den Punkten 6 und 7 ausführlich auf die Vor- und Nachteile von Mobilität eingehe, möchte ich kurz die Faktoren vorstellen, die Mobilität zum einen fördern und zum anderen hemmen.

Zu den mobilitätsfördernden Aspekten gehört zunächst das Bildungsniveau, d.h. dass hochqualifizierte Arbeitnehmer mit einer akademischen Ausbildung erstens öfter von Mobilität betroffen sind, da sie durch ihre Ausbildung eher in die Lage kommen, eine Stellenangebot zu bekommen, das ein mobiles Verhalten voraussetzt, und zum zweiten nimmt der Wunsch nach einer Karriere hier einen so großen Stellenwert ein, dass eher eine Bereitschaft zur Mobilität vorliegt. Es gilt die „Regel, dass eine qualifizierte Berufsausbildung die Zugangsmöglichkeiten zu höher dotierten Jobs vergrößert“ (Schmitz-Köster, 1990, 189), die oft nur in Kombination mit mobilen Lebensformen ausgeübt werden können. Rüdiger Peuckert hat herausgefunden, dass sich Commuter-Ehen in den USA vorwiegend unter „Akademikern in oberen Rängen der Berufshierarchie“ finden und dass sie „langfristig eine berufliche Karriere verfolgen (und) hochgradig spezialisiert sind, die Arbeit selbst einteilen können, ein relativ hohes Einkommen haben und sich stark mit der Arbeit identifizieren“ (Schmitz-Köster, 1990, 192).

Die modernen Kommunikationsmittel wie z.B. PCs mit Internetzugang, Handys, Notebooks etc. ermöglichen es mobilen Arbeitnehmern ortsungebunden zu arbeiten und gleichzeitig stets im Kontakt mit der Partnerin oder dem Partner bzw. der Familie zu bleiben. Zwar ersetzen diese neuen Technologien keine persönliche Begegnung, aber sie mindern zumindest die Belastungen, die durch die ständige Abwesenheit und den Zeitmangel entstehen.

Zu den mobilitätsfördernden Aspekten zählt auch die Haushaltsgröße. Nach einer Untersuchung von EMNID sind Alleinlebende und Menschen, die in einem Zweipersonen-haushalt leben, eher bereit zur Mobilität als Paare mit Kindern. Es gilt der Satz: „Je kleiner der Haushalt, desto größer die Bereitschaft umzuziehen“ (EMNID, 2001).

In einer Untersuchung der Deutschen Bahn konnte bezüglich der Mobilitätsbereitschaft herausgefunden werden, dass vor allem Frauen aus den neuen Bundesländern besonders mobilitätsbereit sind, weil sie den Anspruch und den Wunsch haben Vollzeit zu arbeiten. Aufgrund der schlechten Arbeitsmarktlage ist das aber oft nur in Verbindung mit Mobilität möglich. Günstig wirkt sich außerdem das gut ausgebaute Netz an Betreuungseinrichtungen für Kinder aus. Ebenso mobilitätsbereit sind Männer, die entweder die Befürchtung haben ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder bei denen das tatsächlich schon geschehen ist. Aufgrund des gesellschaftlichen Drucks, der Männern die „Familienernährerrolle“ zuschreibt, entsteht eine hohe Bereitschaft zu mobilen Lebensformen. Des weiteren spielt – sofern vorhanden - das Alter der Kinder eine entscheidende Rolle. Während Familien mit schulpflichtigen Kindern eher zu den Mobilitätsverweigerern gehören, zeigen Familien mit Kindern unter sechs Jahren oder volljährigen Kindern eine höhere Bereitschaft.

Zu den hemmenden Aspekten zähle ich zum einen das individuelle Alter der Arbeitnehmer. „25 - 34 jährige sind am mobilsten. (...) Je höher das Alter, desto geringer ist die Mobilitätsbereitschaft“ (Breunig, 2001), d.h. dass sich für Arbeitnehmer bei der Entscheidung für oder gegen eine Stelle das Lebensalter als Hemmnis darstellen kann.

Hinzu kommt, dass viele Menschen eine starke Bindung an ihren Wohnort haben, die zum einen durch die persönlichen Beziehungen also die eigene Familie, den Freundes- und Bekanntenkreis sowie die Zugehörigkeit zu Vereinen ausgemacht wird. Zum anderen handelt es sich um materielle Dinge wie hohe Wohnstandards oder gegebenenfalls Wohneigentum. „Wer im Eigentum lebt, wechselt seine Wohnung kaum noch – weder über kürzere noch über längere Distanzen“ (Wagner, 1989, 167). Dorothee Schmitz-Köster stellt dazu die These auf, dass Menschen, die in der Großstadt leben, mobiler sind als die Landbevölkerung und dass sich dort die traditionellen Lebensformen schneller auflösen zugunsten von moderneren, alternativen Lebensformen (Schmitz-Köster, 1990). Wagner hat 1989 die These aufgestellt, dass „ein hoher Wohnstandard nur ungern aufgegeben wird“ (Wagner, 1989, 165/166). Daraus folgt, dass die Mobilitätsbereitschaft von Arbeitnehmern dann gefährdet ist, wenn am neuen Wohnort keine adäquate Wohnung gefunden werden kann. Gäbe es hingegen genügend „günstige und qualitativ angemessene Wohnungen, müssten Individuen nicht damit rechnen im Zuge einer Migration ihre Wohnsituation zu verschlechtern“ (Wagner, 1989, 166).

In einer Pendleruntersuchung von Erich Ott aus dem Jahr 1990 bestätigt sich die Annahme von einer starken Bindung an den Wohnort. Ein Umzug wird nur von 10% der Befragten in Erwägung gezogen. Dabei spielt die Familienbindung mit 88,2% die größte Rolle, gefolgt von der Lebensqualität, dem sozialen Netzwerk und Wohneigentum (vgl. Ott, 1990).

Des weiteren stellen viele Arbeitnehmer eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf und beachten dabei besonders die entstehenden wirtschaftlichen Folgen. Da mobile Lebensformen in beispiellosem Maße kostenintensiv sind, ist dies ein entscheidender Faktor für oder gegen einen Stelle.

Auch die Biografie jedes Einzelnen hat eine Bedeutung für das Mobilitätsverhalten. Einerseits wechseln Individuen, die als Kinder und Jugendliche in ihrer Herkunftsfamilie oft den Wohnort gewechselt haben, öfter ihren Standort. Andererseits sind Menschen, die noch an ihrem Geburtsort leben und dort starke Netzwerke haben, weniger oft dazu bereit einen Fernumzug vorzunehmen. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass „an Bewegungen innerhalb lokaler Wohnungsmärkte vornehmlich Personen beteiligt sind, die in diese Regionen zugezogen sind“ (Wagner, 1989, 169).

Abschließend ist zu sagen, dass natürlich auch die familiären Umstände einen wesentlichen Teil zu einer Entscheidung für oder gegen Mobilität darstellen und für viele stellen Kinder oder die Erwerbstätigkeit des Partners/der Partnerin durchaus ausschlaggebende Faktoren gegen Mobilität dar.

Diese Aufstellung wird komplementiert durch die Untersuchung der Vor- und Nachteile der jeweiligen Lebensform.

EXKURS: Wie mobil müssen Arbeitssuchende auf dem heutigen Arbeitsmarkt sein?

Um unter anderem der Frage nach der Mobilitätsbereitschaft nachzugehen hat das Umfrage-Institut EMNID im Auftrag von www.jobware.de in den Jahren 2000/2001 insgesamt 1.041 Interviews mit berufstätigen Deutschen im Alter zwischen 18 und 50 Jahren geführt. Es wurde erfragt, ob die Testpersonen bereit wären weitere Anfahrtswege oder einen Umzug in Kauf zu nehmen. Dabei liegt die Bereitschaft bis zu 50 km mehr zurückzulegen bei zwei Dritteln, während weitere Distanzen von immer weniger Menschen akzeptiert würden. 38% wären bereit zu einem Umzug . Des weiteren wurde herausgefunden, dass Männer bei einer zurückzulegenden Entfernung von 50 km Anfahrtsweg mit 37% wesentlich mobiler sind als Frauen (21%). Außerdem akzeptieren Männer zu 41% einen Umzug, während Frauen nur zu 34% dazu bereit wären.

Weitaus schwieriger stellt sich die Situation bei arbeitplatzsuchenden Menschen dar. Es stellt sich die Frage, welcher Grad an Mobilität für Arbeitslose als zumutbar gilt und was der Staat von diesen Menschen zum Beispiel im Hinblick auf die tägliche Fahrzeit verlangen kann. Regelungen dieser Art finden sich im Sozialgesetzbuch III § 121, das zumutbare Beschäftigungen genauer definiert. Im Hinblick auf Mobilitätsanforderungen findet sich dort folgende Aussage:

„Aus personenbezogenen Gründen ist einem Arbeitslosen eine Beschäftigung auch nicht zumutbar, wenn die täglichen Pendelzeiten zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte im Vergleich zur Arbeitszeit unverhältnismäßig lang sind. 2Als unverhältnismäßig lang sind im Regelfall Pendelzeiten von insgesamt mehr als zweieinhalb Stunden bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden und Pendelzeiten von mehr als zwei Stunden bei einer Arbeitszeit von sechs Stunden und weniger anzusehen. 3Sind in einer Region unter vergleichbaren Arbeitnehmern längere Pendelzeiten üblich, bilden diese den Maßstab.“ (SGB III, § 121, Absatz 4, Satz 1-3).

Zusammengefasst heißt das, dass bei mehr als 6 Stunden täglicher Arbeit eine Pendelzeit bis zu 2,5 Stunden hin und zurück zumutbar ist. Bei einer täglichen Arbeitszeit von bis zu 6 Stunden ist eine Pendelzeit von 2 Stunden hin und zurück zumutbar.

Im Absatz 5 heißt es bezugnehmend auf einen zumutbaren Umzug: „Eine Beschäftigung ist nicht schon deshalb unzumutbar, weil sie (...) vorübergehend eine getrennte Haushaltsführung erfordert (...)“.

Das heißt, dass Arbeitslose unter Berücksichtigung nachstehender Kriterien dazu gezwungen werden können, „von Kiel in den Breisgau umzusiedeln, um dort einen unter-wertigen, unqualifizierten Job anzunehmen, andernfalls wird das ALG gekürzt.“ (ver.di, 05.08.02)

Die Zumutbarkeit wird in den im Sommer 2002 erarbeiteten Plänen von Dr. Peter Hartz nach geographischen, materiellen, funktionalen und sozialen Kriterien neu geregelt (vgl. www.spd-fraktion.de).

Der geographische Aspekt beinhaltet die Richtlinien für eine Erwerbstätigkeit in einer anderen Region. Darunter fällt zum einen, dass zeitweise getrennte Haushalte zumutbar sind und zum anderen, dass von alleinstehenden, jungen Langzeitarbeitslosen ein vollständiger Umzug in eine strukturstärkere Stadt verlangt werden kann. Dies gilt nicht für Leistungsempfänger, die für betreuungsbedürftige Personen oder Familienangehörige zu sorgen haben oder bei denen der zu erwartende Einkommensgewinn in keinem Verhältnis zu dem erbrachten Aufwand steht. Die regionale Mobilität kann durch pauschalierte Prämien gefördert werden. Ver.di kritisiert diesen Ansatz mit der Begründung, durch die Vermittlung Jugendlicher in strukturstärkere Regionen würde die „soziale Auszehrung dieser Regionen“ beschleunigt (ver.di, 05.08.02). Gefordert wird hingegen die Förderung der Arbeitsmarktsituation in schwächeren Regionen.

Die materiellen Aspekte beziehen sich darauf, dass Arbeitslosen zugemutet werden kann Tätigkeiten anzunehmen, in denen sie eine geringere Entlohnung als vor der Arbeitslosigkeit erhalten. In den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit ist eine Arbeit zumutbar, wenn das Bruttoeinkommen mindestens 80% des vorherigen Bruttoeinkommens beträgt. Vom vierten bis sechsten Monat der Arbeitslosigkeit ist eine Arbeit zumutbar, wenn das Bruttoeinkommen mindestens 70% des Bruttoeinkommen erreicht. Ab dem siebten Monat ist eine Arbeit zumutbar, wenn das Nettoeinkommen abzüglich der Werbungskosten gleich hoch oder höher ist als das jeweilige Arbeitslosengeld. Hinzu kommt, dass die Ablehnung einer Stelle schärfer sanktioniert wird als bisher und dass lediglich nach Häufigkeit der Ablehnung und nicht nach Art der abgelehnten Tätigkeit differenziert wird (vgl. FAZ. 15.11.2002).

Nach funktionalen Kriterien ist es Arbeitssuchenden zuzumuten auch sogenannte „unter-qualifikatorische Tätigkeiten“ anzunehmen oder solche, für die sie nicht ausgebildet sind oder die sie nicht ausgeübt haben. Auch eine Beschäftigung in Zeitarbeit wäre hier akzeptabel.

Die sozialen Kriterien berücksichtigen den familiären Status des Arbeitslosen. Unterschieden werden dabei Ledige, Verheiratete, Personen mit oder ohne Kinder sowie Alleinerziehende. Dabei sollen ledige Arbeitslose nach Beendigung des letzten Beschäftigungsverhältnisses bundesweit vermittelbar sein, nach 6 Monaten müssen sie eine Stelle annehmen, die „finanziell in Höhe des ALG liegt“ (ver.di, 05.08.02). Ver.di hält diese Maßnahmen für unzumutbar, da auch ledige Menschen feste soziale Netzwerke und Bindungen haben, die nicht einfach unberücksichtigt bleiben können.

Grundsätzlich ist es so, dass sich die Zumutbarkeit mit der Dauer der Arbeitslosigkeit für alle betroffenen Gruppen erhöht und damit speziell auch die Mobilitätsanforderungen an Arbeitssuchende stetig steigen. Gleichzeitig bietet der Staat aber auch eine Reihe von Unterstützungsangeboten an, die die Betroffenen vor allem finanziell entlasten sollen. Die sogenannten „Mobilitätshilfen“ sind in den §§ 53-55 SBG III geregelt und umfassen eine Übergangsbeihilfe zum Bestreiten des Lebensunterhalts, eine Ausrüstungsbeihilfe für Arbeitskleidung und –gerät, eine Reise- und Fahrtkostenbeihilfe, die vor allem für mobile Arbeitnehmer vorteilhaft ist sowie finanzielle Unterstützungsleistungen zur Abdeckung der Mehrkosten einer zweiten Wohnung oder eines berufsbedingten Umzugs.

Eine weitere Maßnahme zur Steigerung der Mobilitätsbereitschaft von Arbeitssuchenden könnte zum Beispiel eine umfassende Weiterbildung sein oder eine Maßnahme zur Höherqualifizierung, wodurch die Chancen auf eine angemessene Arbeitsstelle steigen. Durch die qualitativ höherwertige Stelle nimmt auch die Bereitschaft und die Motivation zu, für diese Stelle ein gewisses Maß an Mobilität aufzubringen.

Seit Juni 2001 gibt es von Seiten der Arbeitsämter eine bundesweite Vermittlungsaktion für junge Fachkräfte, die der zunehmenden Jugendarbeitslosigkeit entgegen wirken soll. Dabei werden junge Erwachsene mit und ohne Ausbildung in andere Städte oder Regionen vermittelt und dabei durch Zuschüsse für Wochenendheimfahrten oder eine Umzugskostenbeihilfe finanziell entlastet (vgl. www.sueddeutsche.de vom 11.06.01). Dies ist die Umsetzung eines Vorschlags von Peter Hartz, der Jugendlichen ein hohes Maß an Mobilität abverlangt und die schulische und berufliche Ausbildung „enger am Arbeitskräftebedarf orientieren“ (Stern, 27.02.2002, S.27) will.

5. Auswirkungen der Berufsmobilität auf die privaten Lebensformen

5.1 Die Entstehung neuer Lebensformen

Bislang gab es in Untersuchungen über die Lebensformen in unserer Gesellschaft keine große Vielfalt. Es wurde unterschieden zwischen ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften, Partnerschaften mit Kindern und ohne und vor allem wurde als Kriterium für eine „normale“ Lebensgemeinschaft eine „gemeinsame Wohnung, die gemeinsame Wirtschaft, der gemeinsame Alltag“ (Schmitz-Köster, 1990, 22) angegeben. Schmitz-Köster verweist in diesem Zusammenhang auf das Ehescheidungsgesetz, das getrennte Wohnungen als „Nachweis der Zerrüttung“ (2001, 26) ansieht. Bei einer traditionellen Ehe bzw. Familie handelte es sich um eine Partnerschaft, in der die Partner verheiratet sind und der Haushalt von der Frau geführt wird, während der Mann in außerhäuslicher Erwerbsarbeit den Lebensunterhalt für die Familie verdient (vgl. Schmitz-Köster, 1990). Dabei galt dieses Muster in der Sozialpolitik und der Gesetzgebung als normbildend und wurde als Grundlage betrachtet. Diese traditionelle Rollenverteilung kann allerdings „nicht mehr als vorherrschendes Muster betrachtet werden“ (Buschoff, 1997, 357). Vielmehr sind zu den typischen Lebensformen neue Konzepte hinzugekommen, die „‚neue‘ Strategien der Lebensführung zwischen den Bereichen Erwerbsarbeit und Familie repräsentieren“ (Buschoff, 1997, 357). Es gab also in den letzten Jahren eine deutliche Differenzierung von Lebensformen, auf die ich im folgenden genauer eingehen möchte.

Betrachtet werden sollen einerseits Paare mit einem gemeinsamen Haushalt, von denen allerdings wenigstens ein Partner beruflich mobil ist und entweder zu der Gruppe der Fernpendler oder zu den Varimobilen gehört (vgl. Punkte 6.1.1 und 6.1.4). Darüber hinaus werden auch Paare vorgestellt, die sich aus beruflichen Gründen zu einem Umzug gezwungen sahen und so den gemeinsamen Haushalt aufrecht erhalten konnten. Andererseits geht es um Paare, bei denen jeder Partner einen eigenen Haushalt hat oder der beruflich mobile Partner zumindest einen Zweithaushalt an seinem Arbeitsort unterhält (Shuttle).

Um die Aktualität meiner Arbeit zu gewährleisten habe ich einerseits eine umfassende Literaturrecherche zu den einzelnen Lebensformen vorgenommen, werde mich aber auch auf eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2001 stützen, die von Norbert Schneider, Kerstin Hartmann und Ruth Limmer in einem dreijährigen Projekt erarbeitet und kürzlich veröffentlicht wurde. Zur Veranschaulichung der Ergebnisse werde ich Zitate aus den Interviews einfügen, die ich mit mobilen Menschen geführt habe.

Auf alle Lebensformen wirken mobilitätsbedingt drei Faktoren ein: Raum, Zeit und die Beziehungsoptionen. Zur räumlichen Ebene gehört die Tatsache, dass beruflich mobile Menschen viel unterwegs sind, entweder täglich oder wöchentlich pendeln und damit „eine kontinuierliche Anwesenheit am Wohnort verhindert“ wird (Pelizäus-Hoffmeister, 2001, 79). Es entsteht gezwungenermaßen eine Distanz zwischen der mobilen Person und den Bezugspersonen.

„Tatsächlich ist es auch so gewesen, dass mein Mann vor einigen Jahren, als die Kinder noch klein waren, viel pendelte und dann auch ganz selten zu Hause war, nur am Wochenende. Wenn wir das länger gemacht hätten, wäre die Partnerschaft sicherlich kaputt gegangen. Wir sind gerade noch rechtzeitig wieder zusammen gezogen, weil wir uns so weit voneinander entfernt hatten. Das passiert einfach relativ schnell. Das hätte ich auch nicht gedacht.“ (Karla M., Shuttle)

Des weiteren müssen beruflich Mobile zeitliche Einschränkungen in Kauf nehmen, die die Interaktion entweder mit der Familie, Freunden oder mit Arbeitskollegen einschränken. Die fehlende Kontinuität in der Beziehung zu den Partnern bzw. Familienmitgliedern macht es schwer stabile, konstante Beziehungen aufrechtzuerhalten.

„...es ist sehr viel Zeit für uns weggegangen, weil es einfach keine Zeit mehr gab. Das Wochenende war meistens vollgepackt mit längst fälligen Besuchen bei unseren Eltern oder irgendwelchen Freundeskreistreffen... Man will die Freunde ja dann auch sehen, denn es ist nicht nur die Beziehung, die bei so einer Pendelei auf der Strecke bleibt, sondern auch gute Freundschaften. Ich war am Wochenende immer total hin- und hergerissen, denn ich wollte natürlich viel Zeit mit Marc verbringen und andererseits wollte ich auch mal meine Freunde sehen. Da wurden dann immer Zeitrechnungen aufgestellt, die für mich richtige innere Kämpfe waren. Je nachdem wofür ich mich dann entschieden hatte, war ich einfach nicht 100-prozentig glücklich mit der Entscheidung.“ (Alexandra B. in ihrer Zeit als Shuttle )

Die Beziehungsoptionen, d.h. die Möglichkeiten mit anderen in Kontakt zu treten und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen, sind zwar bei mobilen Menschen wesentlich ausgeprägter als bei Sesshaften, dennoch besteht auch die Gefahr, dass die ständigen Veränderungen und Diskontinuitäten dazu führen, dass stabile, dauerhafte Beziehungen schwer beizubehalten sind (vgl. Pelizäus-Hoffmeister, 2001).

5.1.1 Fernpendler

Definition:

Um die Gruppe der Fernpendler zu beschreiben möchte ich mich mit Einschränkungen auf die Pendler-Definition des Statistischen Bundesamts berufen: „Pendler sind Erwerbstätige oder Schüler ( ohne Berufsschüler ) und Studierende, deren Arbeits- oder Ausbildungsstätte außerhalb ihrer Wohngemeinde liegt und die täglich in ihre Wohngemeinde zurückkehren“ (Ott, 1994, 22).

Da dies allerdings für eine zu große Zahl von Arbeitnehmern zutrifft, schränke ich diese Gruppe ein, indem ich erstens in Anlehnung an Wagner (1989) die Marke von 50 km als „Schwellenwert“ (Kalter, 1994, 463) festlege, um Fernpendler zu definieren. Zweitens schließe ich die Definition Schneiders aus der Studie „Berufsmobilität und Lebensform“ ein, die alle Arbeitnehmer als Fernpendler bezeichnet, die mindestens eine Stunde für den einfachen Weg zur Arbeit benötigen.

Die genaue Zahl der Fernpendler nach dieser Definition zu bestimmen ist nur bedingt möglich. Deshalb stütze ich mich auf die Angaben von Erich Ott (1990), der konstatierte, dass die Zahl der Pendler mit mehr als 50 km Wegstrecke zum Arbeitsplatz 1988 bei 779.000 (2,8%) und die Zahl derjenigen, die länger als 60 Minuten für eine Strecke benötigen bei 934.000 (3,4%) lag. Außerdem berufe ich mich auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 1996, nach denen von den insgesamt 12 Millionen Pendler immerhin 1.247000 als Fernpendler, die eine Wegstrecke von mindestens 50 km zurücklegen, bezeichnet werden können.

Da es keine längerführenden Daten gibt und ich auch die Angaben dieser beiden Quellen nicht miteinander vergleichen kann, lässt sich noch keine eindeutige Tendenz ausmachen.

Wer ist betroffen?

Die folgenden Angaben zur Lebenssituation der Betroffenen sind der bereits erwähnten Studie „Berufsmobilität und Lebensform“ entnommen.

Persönliche Daten:

Der Männeranteil in der Gruppe der Fernpendler liegt bei 66%. Von der Gesamtzahl der Pendler sind 11% unter 30 Jahren, 40% zwischen 30 und 40 Jahren und 49% 40 Jahre und älter. Zum Vergleich hat Erich Ott in seiner Pendleruntersuchung aus dem Jahr 1990 einen fast gleich hohen Männeranteil erfasst (69,9%), bei der Altersstruktur gibt es allerdings deutliche Abweichungen: Nach Ott sind 54,9% der befragten Pendler unter 30 Jahre alt, danach nimmt die Mobilität mit zunehmendem Alter ab. Allerdings ist hier auch zu beachten, dass Ott wesentlich mehr jüngere Arbeitnehmer befragt hat und dadurch auch andere Ergebnisse erhielt (vgl. Ott, 1990).

Lebenssituation:

Ein Großteil der Befragten ist verheiratet (89%), 65% haben Kinder. Gefragt nach den Prioritäten in ihrem Leben geben Fernpendler zu 51% die Partnerschaft und zu 22% ihren Beruf an. Es konnte in der Untersuchung keine eindeutige Zuordnung zu größeren oder kleineren Städten nachgewiesen werden, sondern es liegt eine relativ gleichmäßige Verteilung vor. Bemerkenswert erscheint mir, dass mehr als die Hälfte der Befragten Wohneigentum haben. Damit ist bereits der Grundstein für eine gewisse Immobilität im Sinne einer Umzugsverweigerung gelegt und um den Wunsch nach einer Wohnort-Arbeitsort-Kombination zu verwirklichen wird das Pendeln letztendlich als einzige praktikable Möglichkeit in Betracht gezogen. Fernpendler bezeichnen sich und ihre Entscheidung zu dieser Lebensform häufig als „beruflich-gezwungen“.

Berufliche und ökonomische Situation:

Die Mehrheit der Befragten hat eine hohe Schulbildung, d.h. Abitur/eine (Fach-) Hochschulreife sowie einen hohen beruflichen Abschluss. 86% der erfassten Fernpendler sind Angestellte. Das lässt den Rückschluss zu, dass Fernpendler zu einer relativ gut verdienenden Schicht gehören. Vergleicht man die Zahlen der Studie mit dieser These, stellt sich heraus, dass immerhin 29% ein monatliches Nettoeinkommen von über 5000 DM haben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass diese Gruppe durch hohe Ausgaben im Bereich der Fahrtkosten belastet ist. Für den täglichen Weg zur Arbeit brauchen 40% unter 90 Minuten, 20% zwischen 90 und 120 Minuten und nochmals 40% nehmen einen täglichen Arbeitsweg von über 120 Minuten in Kauf. In der Befragung von Erich Ott nehmen sogar 52,2% der Befragten eine tägliche Pendelzeit von mehr als 4 Stunden auf sich (vgl. Ott, 1990). Welche Auswirkungen das auf die Erwerbstätigkeit und auf das Privatleben hat, wird in dieser Arbeit noch überprüft werden. Zur Arbeitszeit lässt sich sagen, dass fast die Hälfte der Fernpendler eine Normalarbeitszeit von 38 bis 40 Stunden pro Woche hat (44%), während ein noch größerer Anteil (50%) zwischen 41 und 50 Stunden arbeitet.

Ursachen und Beweggründe:

Die Ausgangssituation der Befragten zeichnet sich oft dadurch aus, dass z.B. Wert darauf gelegt wird, dass die Berufstätigkeit beider Partner gewährleistet werden kann. Damit wird ein Kompromiss zwischen den Partnern angestrebt, der zu einer höheren Zufriedenheit im Beruf führen soll. Des weiteren zeigt sich eine Abneigung gegen Veränderungen im Privatleben, d.h. es gibt einen starken Wunsch nach Nähe und Zusammenleben mit der Familie bzw. dem Partner/der Partnerin und feste soziale Netzwerke, die nicht vernachlässigt werden sollen. 35% der Befragten gaben an eine berufliche Veränderung gesucht zu haben, 51% sahen sich zum Pendeln gezwungen um überhaupt eine Stelle zu bekommen und 14% wurden versetzt. Von der neuen Stelle erhofften sich die Fernpendler Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, des Gehalts und der Karrierechancen. Viele der Befragten konnten es sich nicht vorstellen umzuziehen, einen zweiten Wohnsitz zu gründen oder völlig auf einen gemeinsamen Haushalt zu verzichten, weil sie sich ihrem Heimatort verbunden fühlen, weil die Berufstätigkeit des Partners/der Partnerin dann gefährdet wäre und weil sie ihrer Familie keine derart einschneidende Erfahrung zumuten möchten. Kalter hat 1994 bereits festgestellt, dass Berufstätige vermehrt „größere Entfernungen zwischen Arbeitsplatz und Wohnung in Kauf“ (S.461) nehmen und dass statt eines Umzugs die häufigere Variante darin besteht, „dass einer der Partner einen relativ weiten täglichen Arbeitsweg in Kauf nimmt“ (Kalter, 1994, 461).

Vorteile:

Die Vorteile dieser Lebensform sind genauso wie die Nachteile abhängig von der persönlichen Einstellung und dem subjektiven Erleben der mobilen Person. Deshalb ist es schwer hier allgemeingültige Aussagen zu formulieren. Es lassen sich lediglich Meinungen zusammentragen, die dann zu einem vollständigen Bild beitragen. Geht man von den äußeren Umständen aus, wird das Fernpendeln durch die „stetige Verbesserung der Verkehrs- und Kommunikations-Infrastruktur begünstigt, die Zeitaufwand und reale Kosten für Arbeitswege sinken lässt“ (Kalter, 1994, 461).

...die Bahn hat mir diese Lebensform eigentlich erst ermöglicht, denn ohne den neuen Shuttle-Zug, der nur noch eine Stunde braucht, wäre ich jeweils 2 Stunden unterwegs gewesen und dann hätte ich es nicht gemacht.“ (Alexandra B., Fernpendlerin)

Hinzu kommt sicherlich die „räumlich bedingte klare Trennung zwischen der Welt der Familie und der Welt der Arbeit“ (Ott, 1990, 29). Viele Befragte betonen, dass sie durch die langen Fahrzeiten einen positiven Übergang vom Berufs- in das Privatleben haben und dass sie die Fahrzeit ganz bewusst dazu nutzen abzuschalten und sich auf die Familie einzustellen.

„Abends arbeite ich auch fast gar nicht mehr im Zug. Ich habe dann meistens ein Buch dabei und was ich sehr schätze ist, dass ich nach einem stressigen Tag Zeit habe abzuschalten und das alles hinter mir zu lassen. Wenn ich dann in Köln ankomme, gehört Frankfurt nicht mehr zu meinem Leben. Dann beginnt meine Freizeit.“ (Alexandra B., Fernpendlerin)

Zu unterscheiden sind hier allerdings die „Auto-Pendler“ und die „Bahn-Pendler“, denn für diejenigen, die mit dem eigenen PKW zur Arbeit pendeln, gestaltet sich die Hin- und Rückfahrt weit weniger entspannend. Nach Ott leiden die Fernpendler, die den täglichen Weg mit dem PKW antreten (43%) ebenso wie die Bahnpendler unter den mangelnden Kontakten zu ihren Kollegen, da sie oft so schnell wie möglich den Nachhauseweg antreten wollen um z.B. dem Berufsverkehr zu entgehen. Außerdem können sie sich nicht wie die Zugfahrer während der Fahrt vom Arbeitstag erholen und gegebenenfalls noch Aufgaben abarbeiten, sondern müssen sich hoch konzentriert durch den Berufsverkehr kämpfen (vgl. Ott, 1990).

Als großen Vorteil sehen 75% der Fernpendler die Möglichkeit an ihrem Wunschort zu leben und gleichzeitig dem Beruf nachzugehen, den sie sich gewünscht haben. Außerdem wird als positiv bewertet, dass alles, was man sich „zuhause“ aufgebaut hat, bestehen bleibt und man in dem Sinne keine Einschränkungen hinnehmen muss.

Belastungen/Nachteile:

Die Belastungen der meisten Fernpendler lassen sich in drei Gruppen unterteilen. Das sind zum einen die familiären Beeinträchtigungen, bei denen vor allem die Zeitknappheit für den Partner/die Partnerin und die Kinder eine Rolle spielen. Fernpendler verbringen sehr viel Zeit mit ihrem Beruf und den Hin- und Rückfahrten, so dass die Zeit, die effektiv mit der Familie verbracht wird unter der Woche auf ein Minimum zusammenschrumpft und alle Aktivitäten auf das Wochenende verschoben werden müssen. Das hat zur Folge, dass sich viele Fernpendler aus dem alltäglichen Familienleben ausgeschlossen fühlen und das Gefühl des Auseinanderlebens haben. Dazu gehört auch die Tatsache, dass Freunde und Bekannte oft aufgrund mangelnder Gelegenheiten vernachlässigt werden. Zum zweiten erleben sie Nachteile im Beruf. Viele Fernpendler können den Kontakt zu anderen Kollegen nicht so intensiv wie nicht mobile Arbeitnehmer pflegen, was auch bedeutet, dass sie im Firmengefüge weniger integriert sind. Grund dafür ist, dass 48% der befragten Fernpendler die Bahn für ihre Wege zur Arbeit und zurück benutzen und damit in ihren Arbeitszeiten weniger flexibel sind, da sie auf feste Fahrpläne angewiesen sind. Treffen mit den Kollegen nach Feierabend fallen damit oft weg. Außerdem sind Fernpendler in der Flexibilität ihrer Arbeitszeit eingeschränkt und können nicht ohne weiteres allabendlich Überstunden leisten.

„Ich habe also mein Pensum und teile mir selber ein, wie und wann ich das machen will und das geht ganz gut. Ich mache zwar immer noch jeden Tag Überstunden, aber ich habe beschlossen, dass ich dann halt abends einfach gehe. Bei Kollegen habe ich dafür schon oft Stirnrunzeln geerntet und dann kommen halt so Sprüche wie ‚Ach, hast `n Halbtagsjob?’“ (Alexandra B., Fernpendlerin)

Dauer der Lebensform:

Für 62% der Befragten ist eine Beendigung der Lebensform kein Thema, weil die Betroffenen schlicht keine bessere Alternative sehen. Von denjenigen, die den Wunsch nach einer Beendigung der Lebensform haben, liegen bei 93% persönliche Gründe, bei 64% berufliche Gründe, bei 57% partnerschaftliche Gründe und bei 43% finanzielle Gründe vor. Lediglich 14% geben in der Befragung konkret an das Pendeln bald zu beenden. Kalter beschreibt die Wohnort-Arbeitsort-Kombinationen als Lebensformen mit einer „generell kürzere(n) Dauer“ (Kalter, 1994, 465) und begründet das mit einer ausgeprägteren Neigung der Fernpendler den Arbeitsplatz zu wechseln. Er sieht diese Lebensform zwar nicht als kurzfristiges Unterfangen an, kommt aber zu dem Ergebnis, dass es hier „eher zu einer Auflösung“ (Kalter, 1994, 465) kommt. Nach seinen Studien bestehen 64% der Fernpendlerarrangements mindestens 5 Jahre lang, 46% überdauern 10 Jahre und 29% leben länger als 20 Jahre in dieser Lebensform. Diese Ergebnisse sind in etwa vergleichbar mit den Resultaten von Erich Ott aus dem Jahr 1990.

Über die eigentliche Beziehungsdauer und über das Fernpendeln als Trennungsgrund gibt die Studie keine Auskünfte. Es kann demnach hier nicht darauf eingegangen werden, was die Belastungen letztendlich für die Partnerschaft und die Familie der Betroffenen bedeuten und welche Konsequenzen daraus gezogen werden. Möglicherweise scheitern viele Partnerschaften an den extremen Belastungen dieser Lebensform, diese werden dann allerdings nicht mehr erfasst, da die Studie sich nur mit mobilen Personen in Partnerschaften beschäftigt.

5.1.2 Shuttles

Definition

In meiner Definition der Shuttle-Beziehung kann ich mich an der Formulierung Norbert Schneiders orientieren. Er versteht darunter Lebensformen, „in denen ein Partner einen berufsbedingten festen Zweitwohnsitz am Arbeitsort hat“ (Schneider, 2001,65). Wichtig dabei ist im Unterschied zu den getrennt Zusammenlebenden, dass es einen gemeinsamen Haupthaushalt gibt, an den meist am Wochenende zurückgekehrt wird. Deshalb geht der Begriff „Wochenendbeziehung“ mit in diese Definition ein. Rüdiger Peuckert bezeichnete dieses Phänomen 1989 noch als „Commuter-Ehe“, in der beide Partner unter der Woche ihrer Karriere nachgehen und sich am Wochenende im gemeinsamen Haushalt treffen. Voraussetzung ist also, dass „ein Zweithaushalt am Arbeitsort gegründet“ (Fliegel, 1999) wird.

[...]

Ende der Leseprobe aus 128 Seiten

Details

Titel
Berufliche Mobilität und Auswirkungen auf die privaten Lebensformen
Hochschule
Technische Hochschule Köln, ehem. Fachhochschule Köln  (FB Sozialpädagogik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
128
Katalognummer
V10856
ISBN (eBook)
9783638171700
ISBN (Buch)
9783656661191
Dateigröße
727 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Berufliche, Mobilität, Auswirkungen, Lebensformen
Arbeit zitieren
Silke Löwenbrück (Autor:in), 2003, Berufliche Mobilität und Auswirkungen auf die privaten Lebensformen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10856

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