Der Einigungsvertrag


Seminararbeit, 1996

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1) Einleitung

2) Zeitlicher Verlauf der deutschen Einheit

3) Vereinigung oder Beitritt (Artikel 146 oder 23)?

4) Gründe für den Einigungsvertrag (Zweck, Ziel)

5) Wer verfolgte welche Interessen?
a) Bundesregierung
b) Opposition
c) DDR-Regierung
d) Bevölkerung
e) Verbände
f) Ausland

6) Inhalt der Verträge
a) Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion
b) Einigungsvertrag

7) Grundgesetzänderungen
a) Die neue Präambel
b) Streichung bzw. Ersetzung des Artikel 23:

8) Abstimmungsergebnisse von Volkskammer, Bundestag und Bundesrat

9) Fazit

10) Literatur

1) Einleitung

In der vorliegenden Hausarbeit werden die Umstände und die Gründe, die zu einem Einigungsvertrag geführt haben, dargelegt sowie ein grober Überblick über seinen Inhalt gegeben. Dazu skizziere ich zuerst kurz den zeitlichen Verlauf der deutschen Einheit. Danach werden die beiden verschiedenen Möglichkeiten einer Zusammenführung nach Artikel 23 oder Artikel 146 des Grundgesetzes in der Fassung von 1949 beleuchtet. Hieran knüpft sich die Frage, warum ein Einigungsvertrag überhaupt notwendig war.

Natürlich spielten die verschiedensten Interessen eine Rolle bei der Gestaltung der Einheit und der damit verbundenen Verträge. Einige dieser Interessen werden kurz dargestellt.

Die Darstellung der Inhalte des Einigungsvertrags und des Vertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion habe ich sehr kurz gehalten; hier werden nur die einzelnen Kapitel mit ihren inhaltlichen Schwerpunkten kurz genannt.

Schließlich werden die mit der Einheit verbundenen Grundgesetzänderungen und ihre Notwendigkeit behandelt.

Am Schluß der Hausarbeit stehen zusammengefaßt die Abstimmungsergeb- nisse von Volkskammer, Bundesrat und Bundestag gefolgt von meinem per- sönlichen Fazit.

2) Zeitlicher Verlauf der deutschen Einheit

Die Reformbemühungen Gorbatschows in der UdSSR ziehen weite Kreise. Doch die DDR-Regierung hält an ihrer alten Politik fest. Die Folge davon ist ein dramatischer Prozeß, der letztendlich zum Zerfall der DDR führt. Am 11. September 1989 öffnet Ungarn die Grenze nach Österreich für DDR- Bewohner. Ende des Monats dürfen 6.000 Flüchtlinge, die in der deutschen Botschaft in Prag Zuflucht gesucht haben, nach Deutschland ausreisen. Zum 40.Jahrestag der DDR am 7.Oktober ‘89 spricht Michail Gorbatschow über die Notwendigkeit von Reformen. Zwei Tage später findet die erste von mehreren sog. „Montags-Demonstrationen“ in Leipzig statt. An der Partei- spitze der SED geht es drunter und drüber, Egon Krenz löst schließlich am 18.Oktober ‘89 während der 9.Tagung des Zentralkomitees der SED Erich Honecker als SED-Generalsekretär ab. Die DDR-Regierung hofft, so die sich anbahnenden Geschehnisse noch einmal abwenden zu können. Am 6.November ‘89 demonstrieren 500.000 Menschen in Leipzig, der Ruf „Wir sind ein Volk“ wird laut. Drei Tage später - am 9.November ‘89 - wer- den (nach Mißverständnissen im Politbüro) die Berliner Mauer und die inner- deutschen Grenzen geöffnet.

Hans Modrow, bisher Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden, wird am 13.November ‘89 zum Vorsitzenden des Ministerrates von der Volkskammer gewählt. Kurz darauf (am 28.November ‘89) stellt Helmut Kohl ein Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands vor. Jetzt geht es um Verhandlungen, die zum Thema „Wiedervereinigung“ geführt werden. Die erste Sitzung des sog. „Runden Tisches“, an dem Ost- und Westpolitiker gemeinsam über das Thema Wiedervereinigung sprechen, findet am 7.Dezember ‘89 statt. Weitere Gespräche folgen.

Bereits am 1.Dezember war die führende Rolle der SED aus der DDR- Verfassung gestrichen worden. Daraufhin und durch die Popularität Helmut Kohls erhält die Ost-CDU, die am 4.Dezember aus dem „Demokratischen Blick“ austritt, einen enormen Aufschwung. Nach der Wahl Lothar de Mai- zières zum Vorsitzenden der Ost-CDU ist er maßgeblich an den Verhandlungen zur Einheit beteiligt.

Ende Januar 1990 finden erste Beratungen einer gemeinsamen Wirtschafts- kommission statt, da man sich darüber einig ist, daß eine Einheit Deutsch- lands nur stattfinden kann, wenn gewisse wirtschaftliche und soziale Rah- menbedingungen stimmen. Am 1.Februar ‘90 präsentiert Ministerpräsident Modrow einen Plan, nach dem sich die Vereinigung in vier Schritten vollzie- hen soll. Abgesehen von seinem Vorschlag, ein vereinigtes Deutschland sollte militärisch neutral sein, entspricht sein Plan im Wesentlichen dem Zehn- Punkte-Programm Helmut Kohls. Es wird weiter verhandelt.

Da auch die Alliierten beim Thema Wiedervereinigung ein Wörtchen mitzu- reden haben, werden am 13.Februar ‘90 die sog. „Zwei-plus-Vier- Gespräche“ initiiert, die letztlich aber erst am 5.Mai ‘90 aufgenommen wer- den.

Als Mitte März ‘90 die ersten freien Volkskammerwahlen stattfinden, ge- winnt die Ost-CDU mit deutlicher Mehrheit. Lothar de Maizière wird im April Ministerpräsident der DDR. In der Regierungserklärung heißt es, Ziel sei die „Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands auf dem durch Arti- kel 23 des Grundgesetzes vorgezeichneten Weg“. Damit sind die Weichen gestellt. Kurz darauf werden die ersten offiziellen Gespräche über die Her- stellung eines Vertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion aufgenommen. Nach den erforderlichen Zustimmungen von Bundestag und Volkskammer am 21.Juni tritt der Vertrag am 1.Juli ‘90 in Kraft. Die Deutsche Mark wird damit zum alleinigen Zahlungsmittel.

Am 06.Juli findet die erste Verhandlungsrunde zum Einigungsvertrag statt. Seine Unterzeichnung ist - nach vielen Verhandlungen - letztendlich am 31.August ‘90 perfekt. Am 20.September stimmen Volkskammer und Bun- destag zu, so daß der Vertrag am 29.September ‘90 in Kraft tritt. Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wird zum 3.Oktober ‘90 wirksam.

3) Vereinigung oder Beitritt (Artikel 146 oder 23)?

Die Regierungen beider Teile Deutschlands waren sich sehr schnell darüber einig, daß die Vereinigung durchgesetzt werden sollte. Grundsätzlich gab es zwei verschiedene legale Möglichkeiten, die beiden Teile zusammenzuführen. Die erste Möglichkeit war nach Artikel 146 GG, der lautete:

Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tag, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Ent scheidung beschlossen worden ist.

Somit bestand also die Möglichkeit, eine gesamtdeutsche Verfassung zu schaffen durch Einsetzung einer verfassungsgebenden Versammlung und einer anschließenden Volksabstimmung.

Die andere Möglichkeit bestand nach Artikel 23 GG, der lautete:

Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nord rhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.

Bei dieser Möglichkeit hätte also die DDR lediglich ihren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland beschließen und erklären müssen. Damit wäre dann die DDR Teil der BRD geworden. Es wäre weder ein Volksabstimmung noch eine Zustimmung der BRD nötig gewesen, da der Beitritt durch eine einseitige Erklärung erfolgen konnte.

Diese beiden Optionen standen bereits im Winter 1989/90 zur Debatte. Die Frage war nun: Welche Variante war zu bevorzugen?

Ein Beitritt nach Art. 23 war relativ schnell zu verwirklichen, eine neue Ver- fassung nach Art. 146 hätte sicherlich länger gedauert, da viel mehr Punkte abzustimmen gewesen wären. Die Befürworter einer schnellen Einheit sahen also den Beitritt nach Art. 23 als beste Lösung an. Wolfgang Schäuble z.B. argumentierte, daß nur dieser Weg die Chance für die notwendige Beschleu- nigung für die Herstellung der staatlichen Einheit böte. Aber warum sollte die Einheit so schnell vorangehen?

Die Regierung begründete dies mit dem Argument, daß die DDR sonst aus- bluten würde. Nach der Grenzöffnung waren Hunderttausende von DDR- Bürgern in den Westen gekommen. Vielleicht hatten sie Angst, daß die Grenze wieder geschlossen würde; vielleicht hatten sie Hoffnung, daß das Leben im „goldenen Westen“ bessere Chancen bieten könnte. Durch ihren Zustrom wuchsen die Probleme der Unterbringung täglich, so daß man nach einer Lösung suchte, die Abwanderung aus der DDR zu stoppen, ohne die neu gewonnene Freiheit der Menschen zu gefährden. Deshalb wurde argu- mentiert, daß die Einheit schnell verwirklicht werden müsse, um den Men- schen im Osten Sicherheit zu geben und Ihnen Anreize zu bieten, in der DDR zu bleiben. So sagte DDR-Staatsekretär Günther Krause: „Wir schaffen es nicht alleine. Wir brauchen auch die staatliche Einheit, weil die wirtschaftli- che Einheit nach der Währungsunion eine imperfekte, eine unvollständige geblieben ist. Wir brauchen stärkere Hilfe aus dem Westen, nicht nur aus Steuermitteln, sondern auch private und öffentliche Institutionen. Die kom- men nur in Gang, wenn wir auch die politische Einheit vollendet haben.“

In der westdeutschen Bevölkerung drohte die Stimmung umzuschlagen. Wa- ren die Menschen, die im Herbst 1989 über Prag oder Wien in den Westen gekommen waren, noch freudig begrüßt und überschwenglich gefeiert wor- den, so hörte man jetzt zunehmend Unmut über die „Ossis“. Die Regierung hatte wohl die Befürchtung, die Stimmung zugunsten der Einheit könnte über längere Zeit umschlagen. Diese Stimmungsschwankung beobachtete bei- spielsweise auch Oskar Lafontaine, der die These aufstellte, die Übersiedler aus dem Osten fehlten in der DDR und wären in der BRD eher zuviel. Damit hatte er im Grunde genommen recht. Allerdings war das keine Berechtigung, den Menschen in der DDR die gerade neu gewonnenen Rechte schon wieder zu beschneiden, indem man sie daran hinderte, umzuziehen. Den damit ver- bundenen Unsicherheiten in der Bevölkerung galt es von Regierungsseite entgegenzuwirken. Deshalb wurde auch hier eine schnelle Einheit befürwor- tet.

Die internationale Lage war extrem unsicher. Keiner wußte, ob das entspann- te internationale Klima lange anhalten würde. Wie schnell konnte ein Putsch in der Sowjetunion geschehen, der eine Vereinigung gefährden oder sogar unmöglich machen würde. Doch die Sowjetunion hatte in dieser Phase so sehr selbst mit innenpolitischen Schwierigkeiten zu kämpfen, daß ihre Au- ßenpolitik nicht mit so viel Interesse verfolgt wurde. Hier galt es also, die scheinbar herrschende Orientierungslosigkeit auszunutzen. Außerdem war sich wohl auch die Führung der UdSSR über die Einheit Deutschlands nicht einig. Gorbatschow soll auch einmal gesagt haben: „Wenn ich heute der Deutschen Einheit zustimme, sitzt morgen ein anderer auf meinem Stuhl.“

Es galt, mit dem Beitritt der DDR ein Gebiet mit einer anderen Wirtschafts- ordnung zu integrieren. Dazu brauchte man unter anderem natürlich auch in- und ausländische Investoren. Der Einigungsvertrag hatte deshalb auch eine nicht zu unterschätzende symbolische Funktion, um das Vertrauen der Inves- toren sowie der Verbraucher zu stärken und zu demonstrieren, daß die BRD die Garantie für das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen der DDR über- nimmt.

Eine Vereinigung nach Artikel 146 hätte sicherlich länger gedauert als der Beitritt nach Artikel 23, da einfach die Konsensfindung einer neuen, gemein- samen Verfassung viele Interessengruppen betroffen hätte. Dann hätte man eine ganze Reihe von Übergangsregelungen treffen müssen, um das Zusam- menleben, die Rechtslage, die Wirtschaft und das Sozialsystem erst einmal in vernünftigen Bahnen weiterlaufen lassen zu können. Hier bestand nun die Gefahr, daß aus diesen Übergangsregelungen Gewohnheitsrecht wird, daß das Provisorium Deutsche Einheit sich verfestigt. Eine schnelle Einheit bot die Chance auf Durchsetzung von Interessen aus westdeutscher Sicht, näm- lich daß grundsätzlich BRD Recht gilt, daß sich die in 40 Jahren BRD-

Geschichte erprobten wirtschaftlichen und sozialen Aspekte auch auf die ehemalige DDR anwenden lassen etc., ohne allzu viele Kompromisse einge- hen zu müssen.

4) Gründe für den Einigungsvertrag (Zweck, Ziel)

Der Einigungsvertrag hatte den Zweck, für „gesicherte Rechtsgrundlagen für das Zusammenwachsen beider deutschen Staaten und für einheitliche Le- bensverhältnisse in den alten und neuen Bundesländern“ zu sorgen. Schaut man sich die beiden deutschen Staaten vor der Einigung an, so er- kennt man gewaltige Gegensätze: Auf der einen Seite ist die BRD, eines der führenden und wohlhabenden Industrieländer, wirtschaftlich und technolo- gisch an der Weltspitze, ein föderaler Rechts- und Sozialstaat, in dem die freiheitliche Entfaltung des Individuums zu einem der wichtigsten Grundsätze zählt. Auf der anderen Seite steht die DDR vor den Ruinen ihres sozialisti- schen Systems, eine zentralstaatliche Diktatur mit wirtschaftlicher Unterent- wicklung, in der das Individuum nichts zählte, in der der Einzelne unter- drückt und kontrolliert wurde. Diese Gegensätze galt es zunächst zu über- winden.

Der Einigungsvertrag sollte eine Grundlage bilden, auf dem ein neues und vereinigtes Deutschland aufgebaut werden konnte. Zu Beginn der Gespräche über die Einheit herrschten verschiedene Vorstellungen darüber, wie die Zu- kunft aussehen soll. So war z.B. Wolfgang Schäuble anfangs der Meinung, DDR-Recht sollte weitergelten und nicht - wie es im Vertrag vereinbart wur- de - nur in Ausnahmefällen. Allerdings sprachen sich dagegen der Rest der Regierung und auch die Parteien aus. Sie argumentierten dagegen: Warum wollte man im vereinten Deutschland sozialistisches Unrecht weitergelten lassen?

Der Vertrag sollte die Stabilität in der DDR sichern, so daß Investoren gefunden werden konnten und die Abwanderungswelle der Menschen in den Westen zurückgehen würde. Man mußte den Menschen einen Anreiz bieten, in der DDR zu bleiben.

Der Vertrag sollte die Rechte der Menschen in der DDR sichern. Ohne den Einigungsvertrag bei einem Beitritt nach Artikel 23 GG wäre mit sofortiger Wirkung nach dem Beitritt BRD-Recht vollständig auf die DDR übertragen worden. Es war also zunächst einmal an der DDR, Forderungen über den Inhalt eines möglichen Einigungsvertrags zu stellen, wenn sie Interesse daran hatte, Teile ihres Systems in ein gemeinsames Deutschland einzubringen. Gewisse soziale Errungenschaften wie die Fristenlösung beim Schwanger- schaftsabbruch sollten gesichert werden. Daher war der Einigungsvertrag anfangs eine Initiative der DDR-Regierung.

5) Wer verfolgte welche Interessen?

Natürlich wurden die Geschehnisse in Deutschland in der ganzen Welt von den verschiedensten Interessengruppen aufmerksam verfolgt:

a) Bundesregierung

Das Interesse der Bundesregierung war vorrangig, eine Stabilität herzustellen, die durch die Grenzöffnung und die damit verbundenen Veränderungen verlorengegangen war. Deshalb war das Interesse eine schnelle Einheit durch den Beitritt der DDR zur BRD und durch die Beibehaltung des Grundgesetzes. Die Opposition sollte in die Verhandlungen mit einbezogen werden, damit sie sich der schnellen Einheit nicht in den Weg stellte.

b) Opposition (SPD)

Die Opposition wollte - und das machte sie auch stets deutlich - genau wie die Regierung die Vertragsverhandlungen zu einem guten Abschluß bringen. Doch sah sie hier ihre Chance, gewisse Bedingungen einzuflechten, die auf anderem Wege vielleicht nicht oder nur schwer durchzusetzen gewesen wä- ren.

H.-J. Vogel war hier als Oppositionsführer auch der große Wortführer, der vehement die Regelung der noch Vermögensfragen, insbesondere des Eigen- tums an Grund und Boden, forderte. Er verlangte Sonderbedingungen für die neuen Bundesländer wie einen längeren Kündigungschutz für Wohnungen oder eine bessere Finanzausstattung der Länder. Er kritisierte den überbe- setzten öffentlichen Dienst und forderte, daß die Abtreibung in den neuen Bundesländern auch weiterhin straffrei bleibt. In der geplanten Änderung der Präambel sah er die Gefahr, daß durch die Streichung des Passus, der die Vorläufigkeit des Grundgesetzes ausdrückte, dem Volk die Entscheidung über die endgültige Verfassung des vereinigten Deutschland vorenthalten werde. Die SPD wollte auch die Idee einer Volksabstimmung über eine neue Verfassung nicht gerne fallen lassen.

c) DDR-Regierung:

Das Ziel der DDR-Regierung war es vor allem, die Interessen der DDR- Bürger zu wahren. Man wollte sich gewinnbringend an den Westen verkau- fen; doch gab es viele Punkte, die der DDR-Regierung Kopfzerbrechen bereitete: Was wird aus dem §218? Bleiben die sozialen Errungenschaften der DDR-Frauen wie der Haushaltstag, das Kindergeld, der Anspruch auf Kindergartenplatz etc. erhalten? Werden die Arbeitslosen in Ostdeutschland sofort vom sozialen Netz des Westens aufgefangen? Hier sah die DDR- Regierung ihre Aufgabe in der Absicherung der Bürger gegen einen Ausver- kauf.

d) Bevölkerung:

Die westdeutsche Bevölkerung hatte vor allem ein Interesse: Die Einheit darf nichts oder so wenig wie möglich kosten. Es gab die große Angst der Bürger vor einer Steuererhöhung, mit der die Einheit finanziert werden mußte. Auch die Ostdeutschen hatten ein vorrangiges Interesse: Sie wollten die West-Mark, da die Ost-Mark von Tag zu Tag an Kaufkraft verlor.

e) Verbände:

Große Verbände wie die Gewerkschaften etc. spielten bei den Verhandlun- gen gar keine Rolle. Einzig die Vertriebenenverbände meldeten sich zu Wort und begrüßten den Wegfall der Grenzen. Jedoch waren sie unzufrieden mit der Bestätigung der Oder-Neiße-Grenze und der Streichung des Artikel 23, da nun weiteren Ostgebieten der Beitritt versagt war, auf den sie vielleicht gehofft hatten. Die Regierung sagte den Vertriebenenverbänden jedoch fi- nanzielle Hilfen für Deutsche in Ostgebieten zu und besänftigte diese so.

f) Ausland:

Im Ausland wurde die Vereinigung allgemein positiv aufgenommen, war sie doch gleichzeitig auch ein Zeichen für die Entspannung des Ost-West- Konflikts. Außerdem war ein Beitritt der DDR zur BRD für die EG erheblich günstiger als ein Beitritt der DDR zur EG. In diesem Fall hätte die EG den Zusammenbruch und den Wiederaufbau der Wirtschaft sehr zu spüren be- kommen.

Andererseits hatten einige Länder (besonders Frankreich) auch Angst vor dem Erstarken eines geeinten Deutschlands. Deshalb war die Festlegung der Oder-Neiße-Grenze und die Streichung des Artikel 23 wichtig als Stabilitäts- garantie.

Die französische Regierung befürchtete, das Gewicht Frankreichs würde nun in der internationalen Politik abnehmen und ihr Status als Siegermacht evtl. verlorengehen. Eine wirtschaftliche Stärkung Deutschland könnte zu einer gleichzeitigen Schwächung Frankreichs führen, das politische Gewicht des europäischen Kontinents sich nach Osten verlagern, so daß Frankreich zur westlichen Peripherie degradiert würde. Doch die französische Bevölkerung begrüßte die Wiedervereinigung Deutschlands überwiegend.

Auch Michail Gorbatschow sah die Wiedervereinigung Deutschlands als Fol- ge der internationalen Entspannung und der Reformen in der UdSSR. damit hat er recht. Ohne die Veränderungen in der UdSSR wäre die deutsche Ein- heit sicherlich nicht so schnell möglich gewesen, wenn sie überhaupt zustan- de gekommen wäre.

Die Vereinigten Staaten unterstützten klar das Recht der Deutschen auf Selbstbestimmung und eine staatliche Einheit. George Bush selbst unterstützte Kohl bei den Verhandlungen mit der Sowjetunion. Auch die amerikanische Bevölkerung sah die Wiedervereinigung Deutschlands positiv; laut Umfragen waren 88% der US-Bürger dafür.

6) Inhalt der Verträge

a) Inhalt des Vertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirt schafts- und Sozialunion

I Grundlagen

(Gegenstand, Grundsätze, Rechtsgrundlagen, Rechtsanpassung, Rechtsschutz, Schiedsgericht, gemeinsamer Regierungsausschuß)

II Bestimmungen über die Währungsunion

(Voraussetzungen und Grundsätze)

III Bestimmungen über die Wirtschaftsunion

(Wirtschaftspolitische Grundlagen, Innerdeutscher Handel, Außenwirtschaft, Agrar- und Ernährungswirtschaft, Strukturanpassungen der Unternehmen, Umweltschutz)

IV Bestimmungen über die Sozialunion

(Arbeitsrechtsordnung, Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung, Krankenversicherung, Gesundheitswesen, Unfallversicherung, Sozialversicherung)

V Bestimmungen über den Staatshaushalt und die Finanzen

(Grundsätze für die Finanzpolitik der DDR, Kreditaufnahme und Schulden, Finanzzuweisungen der BRD, Übergangsregelung im öf- fentlichen Dienst, Zölle, Besitz- und Verkehrssteuern, Informations- austausch, Konsultationsverfahren, Aufbau der Finanzverwaltung)

VI Schlußbestimmungen

(Völkerrechtliche Verträge, Berlin-Klausel, Inkrafttreten)

b) Inhalt des Einigungsvertrags

I Wirkung des Beitritts

(Länder, Hauptstadt, Tag der Deutschen Einheit)

II Grundgesetz

(Inkrafttreten, beitrittsbedingte Änderungen, künftige Verfassungsänderungen, Finanzverfassung)

III Rechtsangleichung

(Überleitung von Bundesrecht, fortgeltendes Recht der DDR, EG- Recht)

IV Völkerrechtliche Verträge und Vereinbarungen

(Verträge der BRD sowie der DDR)

V Öffentliche Verwaltung und Rechtspflege

(Übergang von Einrichtungen, gemeinsame Einrichtungen der Länder, Übergangsregelungen, Rehabilitierung, Fortgeltung gerichtlicher Entscheidungen und von Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung, Rechtsverhältnisse im öffentlichen Dienst)

VI Öffentliches Vermögen und Schulden

(Verwaltungsvermögen, Finanzvermögen, Schuldenregelung, Treu- handvermögen, Abwicklung der Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland und der BRD, Sondervermögen Deutsche Reichsbahn und Deutsche Post, Wirtschaftsförderung, Außenwirt- schaftsbeziehungen)

VII Arbeit, Soziales, Familie, Frauen, Gesundheitswesen und Umwelt-

schutz

VIII Kultur, Bildung und Wissenschaft, Sport

(o.g. und Rundfunk)

IX Übergangs- und Schlußbestimmungen

(Verträge und Vereinbarungen, Regelung von Vermögensfragen, Entsendung von Abgeordneten, Rechtswahrung, Inkrafttreten des Vertrags)

7) Grundgesetzänderungen

a) Die neue Präambel

Die Präambel der Grundgesetzes in der Fassung von 1949 war ein Provisori- um. Sie war verfaßt worden zu einem Zeitpunkt, da noch nicht abzusehen war, wie sich die Zukunft Deutschlands entwickeln würde. Im Zuge des Ei- nigungsvertrages war sie schlichtweg nicht mehr zeitgemäß. Deshalb wurde sie 1990 umgeändert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Beim Vergleich der beiden verschiedenen Fassungen der Präambel ergeben sich folgende Unterschiede:

- Die neuen Bundesländer sind namentlich aufgenommen bzw. sämtliche Änderungen, die in der Zwischenzeit vorgenommen wurden (Aufnahme von Berlin, vom Saarland, Zusammenfügung von Baden, WürttembergBaden und Württemberg-Hohenzollern zu dem Bundesland BadenWürttemberg) sind aktualisiert.
- Die Einheit und Freiheit Deutschland sind vollendet. Somit kann dieser Passus entfallen.
- Die nationale und staatliche Einheit sind gewahrt, womit auch dieser Satz entfallen kann
- Das Grundgesetz gilt nun für das gesamte Deutsche Volk und nicht mehr nur für einen Teil.

b) Streichung bzw. Ersetzung des Artikel 23:

Der Artikel 23 des alten Grundgesetzes lautete:

Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nord rhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.

Dieser Wortlaut kann natürlich die Sorge schüren, daß nun auch andere Ge- biete, die irgendwann früher einmal zu Deutschland gehört haben, den Bei- tritt einfach beschließen könnten. Ganz besonders bezieht sich das auf Gebie- te, die zu Deutschland in den Grenzen von 1937 gehört haben. Deshalb war klar, daß im Zuge der Vollendung der Einheit auch Art. 23 gestrichen wer- den mußte, um dem internationalen Ausland zu signalisieren, daß damit die Beitrittsmöglichkeit weiterer Gebiete zur Bundesrepublik Deutschland aus- geschlossen ist. Hand in Hand damit ging auch die Anerkennung der Oder- Neiße-Grenze, an der vor allem das Ausland ein großes Interesse hatte.

Seit 1990 gibt es einen neuen Artikel 23 in unserem Grundgesetz, der aber nichts mit dem alten zu tun hat.

8) Abstimmungsergebnisse von Volkskammer, Bundestag und Bundesrat

a) Volkskammer:

Zustimmung mit 299 Ja-Stimmen, 80 Nein-Stimmen, 1 Enthaltung

b) Bundestag:

Zustimmung mit 442 Ja-Stimmen, 47 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen

c) Bundesrat:

Zustimmung einstimmig

Die Nein-Stimmen kamen aus den Reihen der PDS, der Grünen und Bündnis

90. Schließlich war man es seinen Wählern schuldig, zu demonstrieren, daß man an den Verhandlungspositionen festhalten wollte und dementsprechend mit Nein stimmte. Letztlich war den Parteien, die bei den Abstimmungen der Volkskammer und des Bundestages ihre Nein-Stimme abgaben, jedoch klar, daß ihr Veto den Einigungsvertrag nicht gefährden würde. Bei der letzten Entscheidung (der Abstimmung des Bundesrates) zeigten sie deutlich mit Abgabe der Ja-Stimme, daß auch sie für den Einigungsvertrag waren - nur eben nicht genau in dieser Form.

9) Fazit

Oft wurde im Nachhinein die Frage laut, ob die „schnelle Einheit“ gerechtfertigt war oder ob es Alternativen dazu gegeben hätte. Man kann natürlich über verschiedenste Möglichkeiten Spekulationen aufstellen. Doch sollte man sich eines klar vor Augen halten:

Die Geschichte hat uns oft genug demonstriert, wie unberechenbar sie ist. Alles, was nach Vollendung der Deutschen Einheit in der Sowjetunion pas- sierte, - die politischen Unruhen, die Staatskrise und der Putschversuch in Moskau im August 1991 - bestätigt doch, daß es die gute Lösung war, den Vereinigungsprozeß zu beschleunigen. Denn nur für eine ganz kurze Zeit war eine politische Konstellation gegeben, die die Vereinigung Deutschlands möglich machte.

Sicherlich hätte man die eine oder andere Bestimmung oder Regelung in dem riesigen Werk „Einigungsvertrag“ variieren oder ganz anders gestalten können. Doch aus oben genannten Gründen war Eile geboten. Man mußte einfach erst einmal einen Konsens finden, mit dem beide Teile Deutschland leben konnten, auch wenn dies bedeutete, daß es für einige kontroverse Themen wie den §218 erst einmal Übergangsregelungen gab mit der Auflage, bis zu einem bestimmten Stichtag eine Endregelung zu finden.

Die deutsche Einheit war sicherlich nicht mit dem Stichtag 3.Oktober 1990 vollendet. Vielmehr war dies erst der Beginn eines Prozesses des Zusammenwachsens zweier Länder, die jahrzehntelang nebeneinander existiert hatten, der sicherlich noch einige Jahre dauern wird.

10) Literatur

- Bundeszentrale für politische Bildung. Verträge zur deutschen Einheit. Bonn, 1991.
- Jesse, Eckhard und Mitter, Armin (Hrsg .). Die Gestaltung der deutschen Einheit. Bonn, 1992
- Liebert, Ulrike und Merkel, Wolfgang (Hrsg.). Die Politik zur deutschen Einheit. Opladen: Leske + Budrich, 1991.
- Presse- und Informationsamt der Bundesregierung . Deutschland - von der Teilung zur Einheit. Bonn, 1994.
- Schäuble, Wolfgang. Der Vertrag. München: Knaur, 1991.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der Einigungsvertrag
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,7
Autor
Jahr
1996
Seiten
20
Katalognummer
V107857
ISBN (eBook)
9783640060771
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einigungsvertrag
Arbeit zitieren
Viola Egler (Autor:in), 1996, Der Einigungsvertrag, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107857

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