Bakunin: Gott und der Staat


Seminararbeit, 2001

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung
1.1 Der Begriff “Anarchismus”
1.2 Kurzbiographie Bakunins
1.3 Allgemeines zu Bakunins Werken

2. Gott und der Staat
2.1 Materialistische Metaphysik
2.2 Religionskritik
2.3 Menschliche Entwicklung
2.4 Gesellschaftliche Entwicklung
2.5 Zusammenfassung

3. Fazit

4. Literatur

1. Einleitung

“Gott und der Staat” vermittelt die zentralen Aspekte in Michail A. Bakunins Weltbild. Seine radikale Religionskritik und seine Ablehnung des Idealismus dominieren. Neben fortlaufender Negation von Religion und Idealismus stellt Bakunin seine Vorstellungen der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung dar und erläutert seine Vision einer freien und gleichen Menschheit.

Bakunins anthropologische, politische, religiöse und philosophische Ansichten werden abwechselnd behandelt und jeweils in Bezug zum Gesamtsystem gesetzt.

Gerade durch diese Verknüpfungen erreichen Bakunins Thesen eine größere Plastizität, sie werden allgemein anwendbar.

Ziel dieser Arbeit ist es, sowohl Bakunins Ansichten zu obigen Themen als auch deren Zusammenhänge innerhalb seines Weltbilds darzustellen.

1.1 Der Begriff “Anarchismus”

Die philosophischen Wurzeln des Anarchismus[1] reichen bis ins antike Griechenland. Schon Zenon, Begründer der stoischen Philosophie forderte vor ca. 2300 Jahren eine freie und staatenlose Gesellschaft. Der Begriff “Anarchie” wurde dennoch bis ins 18. Jahrhundert hinein als negative Entartungsform eines Staates bewertet.

Den Grundstein des modernen, individualistischen Anarchismus legte im Jahre 1793 William Godwin mit seinem sein Werk “Enquiry concerning political justice and its influence on morals and happiness”. Godwin widerspricht der bislang geltenden Auffassung, die Tyrannis sei der Anarchie vorzuziehen und kehrt sie ins Gegenteil.

Der Begriff “Anarchist” wurde während der Französischen Revolution durch die Girondisten geprägt. Er bezeichnete diejenigen, die über die Revolution hinaus die Gleichheit des Eigentums forderten.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Anarchismus erstmals als politisches System präsentiert. Die grundsätzliche Ablehnung von Staat, Recht und Religion wurde vor allem durch Proudhon, Stirner und Bakunin geprägt. Letzterer löste den von Stirner und Proudhon vertretenen individualistischen Anarchismus ab indem er eine anarchistisch-kommunistische Gesellschaft entwarf.

Durch sein internationales Engagement war Bakunin entscheidend am Aufbau europäischer Anarchistengruppen beteiligt.

Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts sollten unter dem Einfluss von Sergej Netschajew vermehrt gewaltsame Aktionen die erhoffte anarchistische Revolution einleiten. Diese Entwicklung setzte sich im 20. Jahrhundert fort und prägte das bis heute verbreitete Bild von Chaos und Gewalt.

Trotz seiner europaweiten Verbreitung bestand der Anarchismus seine Bewährungsprobe in der Russischen Revolution von 1917 nicht. Nach einem kurzen Intermezzo im spanischen Bürgerkrieg in den 30er Jahren, wurde der Anarchismus nie wieder zur Massenbewegung, sondern lebte in kleinen, teilweise gewaltbereiten Gruppen fort.

Eine Renaissance erlebte der Anarchismus während der 68er Bewegung und in den siebziger Jahren, zu etwa gleichen Teilen theoretisch und gewalttätig. Innerhalb der damals entstehenden Punkbewegung lebt der Anarchismus nach der Maxime “Tu was Du willst” bis in die Gegenwart fort.

1.4 Allgemeines zu Bakunins Werken

Bakunin gilt als wichtigster Vertreter des Anarchismus, “Gott und der Staat” als dessen Hauptwerk. Im Gegensatz zu anderen Vertretern des Anarchismus wie Stirner oder Proudhon beschäftigte sich Bakunin neben den theoretischen Herleitungen und Zielen der Revolution auch mit ihrer praktischen Umsetzung. Dies ist wohl auf seine langjährige praktische Erfahrung mit Revolutionen zurückzuführen.

Zeit seines Lebens veröffentlichte Bakunin seine Anschauungen in Zeitschriften und auf Flugblättern. Von wenigen Frühwerken abgesehen sind nur sein unvollendetes Hauptwerk “L’empire Knouto-Germanique”[2] und “Staatlichkeit und Anarchie” in Buchform von ihm veröffentlicht worden. “Gott und der Staat” ist ein Auszug aus “L’empire Knouto-Germanique” und wurde vielleicht gerade deshalb so oft gelesen.

Bakunins Schriften beeinflussten 1917 die Machno-Bewegung während der Russischen Revolution und in den 1960ern Che Guevaras Vorstellungen von Revolutionen. In der 68er Bewegung wurde Bakunin von einem breiteren Publikum wiederentdeckt. Es ist auffällig, dass ein Grossteil der heute verfügbaren Quell- und Sekundärliteratur zum Thema Anarchismus in den siebziger Jahren erschien.

Bakunins Einfluss findet sich sowohl im “Konzept Stadtguerilla” der R.A.F, als auch bei Eldridge Cleaver, einem der Gründer der Black Panther Bewegung wieder. Mit dem schwindenden Interesse am Anarchismus geriet auch Bakunin zunehmend in Vergessenheit.

1.1 Kurzbiographie Bakunins

Michail Alexandrowitsch Bakunin wurde am 18.[3] Mai 1814 im heutigen Kalinin geboren. Er entstammte einer adligen, vermögenden Familie. Nach einer kurzen Militärlaufbahn studierte Bakunin in Moskau Philosophie und war bald von Hegel beeinflusst. In Berlin lernte er den Sozialismus kennen, dem er sich fortan widmete. 1842 erschien unter einem Pseudonym sein erster Beitrag “Die Reaktion in Deutschland, Fragment von einem Franzosen.” In Paris traf Bakunin auf Proudhon mit dem er philosophische und politische Gedanken austauschte.

1847 forderte er in einer Rede die russisch-polnische Versöhnung durch eine Revolution gegen Nikolai I. Hier äußert er zum ersten Mal die für ihn charakteristische Forderung nach Sozialrevolution, russisch-polnischer Versöhnung und Befreiung der Slawen.

In der französischen Februarrevolution tat sich Bakunin als begeisterter Revolutionär und Redner hervor. Für ihn kamen jetzt Theorie und Praxis zusammen. Kurz nach dem Scheitern der Revolution lernte er Max Stirner kennen, dessen theoretischer Anarchismus ihn stark beeinflusste. In den letzten Tagen der Deutschen Revolution 1849 spielte Bakunin in Dresden eine entscheidende Rolle bei der Verteidigung der Stadt gegen preußische Truppen. Nach dem endgültigen Scheitern der Revolution wurde er inhaftiert und saß in sächsischen, österreichischen und zuletzt in russischen Gefängnissen. 1857 widerrief er seine zuvor propagierten Ansichten und wurde begnadigt. Bakunin flüchtete nach England und begann dort mit dem Aufbau europäischer Geheimbünde. 1864 unterstützte er in Neapel den republikanischen Aktivist Mazzini in seinem Kampf gegen die Monarchie. Von Italien aus ging er in die Schweiz und begann dort mit dem Aufbau einer elitären Gruppe innerhalb der kommunistischen Internationalen, die sich verstärkt revolutionären Zielen widmen sollte. Karl Marx wusste dies durch seinen Einfluss zu verhindern und bewirkte den generellen Ausschluss der Anarchisten.

In seinen letzten Lebensjahren nahm Bakunin noch an mehreren Aufständen teil, musste jedoch einsehen, dass sein Lebenswerk gescheitert war. Er starb verarmt am 1. Juli 1876 in Bern.

2. Gott und der Staat

2.1 Materialistische Metaphysik

Ein zentraler Aspekt in “Gott und Staat” ist Bakunins scharfe Kritik am Idealismus, dem er seine materialistischen Überzeugungen gegenüberstellt.

Gleich zu Anfang seines Werkes beschreibt er den Materialismus als Grundlage des Ideals. Die Idealisten schätzen die Materie als “arm und elend” ein. Ihren Sinn erhält sie erst durch göttlichen Einfluss.[4] Im Gegensatz dazu schätzen die Materialisten die Materie als positiv und als “das höchste Gut” der Menschheit.[5]

Bakunin vertritt das damals vorherrschende mechanistische Weltbild[6]: die Materie, ebenso wie das menschliche Sozialgefüge entwickelt sich “vom Einfachen zum Zusammengesetzten, von unten nach oben oder von dem Niedrigeren zum Höheren.” Die Idealisten kehren dieses überall auftretende Prinzip um: das Perfekte (Gott) schafft das Unperfekte, den Menschen. Dies sei wider jegliche menschliche Erfahrung und somit absurd.[7]

Bakunin begründet den Glauben an diese Absurdität durch die von der umgebenden Gesellschaft geprägte Erziehung, von deren Einfluss sich niemand befreien kann.

Bakunins Argumentationsschema in Bezug auf die Materie ist mit dem in 2.1 dargestellten identisch: Der Mensch projiziert seine eigenen Fähigkeiten und Lebensumstände auf Gott und bringt sich dadurch in die Sklavenrolle. Er erkennt nicht, dass er für sich selbst verantwortlich ist.

2.2 Religionskritik

XXist für die menschliche Entwicklung nötig

Bakunins Religionskritik ist zweigeteilt. Einerseits greift er vor allem die christlichen Religionen direkt an, indem er beispielsweise die Erschaffung der Welt, den Sündenfall und die göttlichen Wunder im Einzelnen widerlegt und Gott als grausamen Herrscher beschreibt. Andererseits geht er davon aus, dass Gott nur eine menschliche Fiktion sei.

Bakunins Bibelkritik beginnt bei Adam und Eva. Ihr Leben im Paradies deutet er als Zeitvertreib Jehovas, des grausamsten Gottes in der menschlichen Geschichte. Er verbietet ihnen vom Baum der Erkenntnis zu essen um die Unwissenden wie Tiere halten zu können.[8] Satan tritt hier als “der ewige Rebell” und als erster “Weltbefreier” und “Freidenker”[9] auf, der die Menschen aus ihrer Unmündigkeit führt. Aus Zorn darüber verflucht Gott alle künftigen menschlichen Generationen, die fortan unschuldig für die Erbsünde ihrer Ahnen büßen müssen.

Um schließlich “seinen ewigen, und göttlichen, immer opfer- und blutgierigen Zorn zu versöhnen, schickte er als Sühneopfer seinen einzigen Sohn auf die Erde, damit er von den Menschen getötet würde. Dies nennt sich das Mysterium der Erlösung, die Grundlage aller christlichen Religionen.”[10]

Der Erfolg des Christentums liegt in seiner Berücksichtigung der unterprivilegierten Teile des Volkes: Sklaven und Frauen. Diese waren weniger an der christlichen Lehre interessiert, als vielmehr an einer Stärkung ihrer Position in der Gesellschaft, die durch das Christentum ermöglicht wurde.[11]

Der Gottesglaube im Allgemeinen entstand aus einer Projektion des Menschen. Reale Ereignisse wurden verzerrt, vergrößert und somit vergöttlicht. Dadurch sank der Einfluss des Menschen, die Bedeutung des Gottes hingegen stieg. Der Mensch wurde zum Sklaven seiner eigenen Einbildung.[12]

In der Konsequenz wurde Gott zum alleinigen Herrscher gemacht und der Mensch in eine Sklavenrolle gedrängt. Das Grundprinzip jeder Religion ist also “die Herabsetzung der Menschen zum größeren Ruhm der Gottheit.”[13]

Der Mensch muss diesem allmächtigen Gott und seinen weltlichen Vertretern uneingeschränkten Gehorsam entgegenbringen.

Auf diese Autorität gründet die Macht der Religionen. Da Staat und Religion fast immer eng voneinander abhängig sind, geht diese Macht auch auf den Staat über.

Der vom Christentum propagierte Glaube, alle Fähigkeiten seien gottgegeben, macht den Menschen unterscheidbar: Diejenigen, die mehr inspiriert wurden üben Autorität auf die weniger Inspirierten aus.[14] Dieser Unterschied wird durch die Institutionen Staat und Kirche messbar und bestimmt die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft.

Bakunin schreibt: “wenn Gott wirklich existierte, müsste man in beseitigen”[15]

Bakunin erklärt den menschlichen Drang zur Vergöttlichung des Lebens als “leidenschaftliche[n] Protest des menschlichen Wesens gegen die Enge und Flachheit, die Schmerzen und die Schande des eigenen Lebens. Gegen diese Krankheit (...) gibt es nur ein einziges Mittel: die soziale Revolution.”[16]

2.3 Menschliche Entwicklung

Die Menschheit ist für Bakunin die höchste Stufe der Animalität. Seine Vorstellungen orientieren sich an dem damals revolutionären Geschichtsbild Darwins.

Bakunin hat jedoch auch eigene Theorien über die Entwicklung des Menschen, so war der Unterschied zwischen Tieren und den affenartigen Vorfahren der Menschen deren Fähigkeit zu denken und sich zu empören. “Diese beiden Fähigkeiten und ihr progressives Zusammenwirken im Lauf der Geschichte bilden den bewegenden Faktor, die negierende Kraft in der positive Entwicklung der menschlichen Animalität, und schaffen folglich alles, was das Menschliche in den Menschen bildet.”[17]

Nach Bakunin beruht jede Entwicklung auf der Negation des Vorhandenen. Der Blick auf die Geschichte zeigt die zurückgelegte Entwicklung vom Tier zum Menschen und ist deshalb in keinem Fall als Basis für zukünftiges Handeln geeignet. Man sollte das genaue Gegenteil dessen anstreben.[18]

Der Mensch ist einerseits Produkt der Natur, andererseits macht ihn die Negierungd seines Ursprungs erst zum Menschen.

Die menschliche Entwicklung hängt also von drei Faktoren ab:

- menschliche Animalität
- Gedanke
- Empörung

Bakunin unterscheidet drei Phasen auf dem Weg des Menschen zur Freiheit.

Zunächst befand sich die Menschheit in der tierischen Sklaverei, d.h. ihr Leben und Denken wurde durch ihre Animalität bestimmt. Mit zunehmender geistiger Entwicklung begann die Vergöttlichung der Umwelt, sie führte über Polytheismus zum Monotheismus der Gegenwart. Diese Phase ist ein Stadium zwischen Animalität und Menschlichkeit. Nun soll die dritte Phase, die der menschlichen Freiheit beginnen.[19]

Die Freiheit besteht aus einem positiven und einem negativen Aspekt: Wissenschaftliche Bildung und materielles Wohlergehen müssen die Ziele einer Erziehung durch die Gesellschaft sein. Andererseits muss sich das Individuum gegen jegliche Autorität empören um seine Freiheit zu bewahren.[20] Wird die Freiheit eines Individuums nur im Mindesten beschränkt, bedeutet dies, dass ein anderes freier ist. Somit wird ein Individuum der Sklave eines anderen. Die Freiheit beruht also auf der absoluten Gleichheit der Menschheit. Jede kleinste Einschränkung hebt die Freiheit aller auf.

Ein so befreiter Mensch wird in der Lage sein freiwillig moralisch und gerecht zu handeln.

“Die Freiheit, die Sittlichkeit und Würde des Menschen besteht gerade darin, daß er das Gute tut, nicht weil es ihm befohlen wird, sondern weil er es begreift, weil er es will und liebt.”[21]

2.4 Gesellschaftliche Entwicklung

Die menschliche Entwicklung ist untrennbar mit der gesellschaftlichen verbunden. Erst die Gesellschaft macht den Mensch zum Menschen, indem sie die Abstreifung seiner Animalität ermöglicht.[22] Somit ist die Gesellschaft der höchste Ausdruck der Entwicklung der Natur und für den Menschen prägend.[23]

Der Mensch ist bei seiner Geburt per ipsoXX nur fähig Ideen zu entwickeln, die Inhalte werden von der Gesellschaft vermittelt. Sie ist somit maßgeblich an der Prägung eines Menschen beteiligt, so wird zum Beispiel der tief verwurzelte religiöse Glaube durch sie weitergegeben. Immer sind es diese vermittelten Inhalte, die die Basis weiterführender Gedanken bilden.[24]

Bakunin geht nicht von angeborenem oder vererbtem Wissen aus, somit ist seine obige These einleuchtend, dass die Entwicklung des Menschen von einer Gesellschaft abhängig sei.

Die in der Gesellschaft gesammelten Inhalte stammen von deren Herrschern und sind einzig auf deren Machterhalt ausgerichtet.[25] Die Menschheit befindet sich in einem Teufelskreis: Die in den Religionen propagierten Lügen dienen den Regierungen zum Machterhalt und werden bewusst verbreitet um die Unmündigkeit des Volkes zu erhalten. Sie billigen dem Volk nur ein Minimum an intellektueller, materieller und moralischer Existenz zu. Das solchermaßen belogene Volk gibt sein Wissen an seine Kinder weiter. Besonders das Christentum hat diesen Kreislauf perfektioniert.[26]

Es gibt nur einen Ausweg aus dieser Unterdrückung: die soziale Revolution, die die Macht der Kirche und des Staates brechen wird.

Grundlage der sozialen Revolution ist die Empörung der Massen gegen die Autorität ihrer Regierungen.

Bakunin lehnt Autorität in jeder Ausprägung grundsätzlich ab, da sie immer die Herrschaft des einen über den anderen, bzw. einer Minorität über eine Majorität zur Folge hat. Der Missbrauch dieser Herrschaft ist unweigerlich vorprogrammiert.

Ferner lehnt er jede “privilegierte, patentierte, offizielle und legale Gesetzgebung” ab, auch wenn sie demokratisch beschlossen wurde, da sie immer die Bevorteilung einer ausbeuterischen Minorität mit sich bringt.[27]

Die einzige Autorität die Bakunin anerkennt, ist die der Naturwissenschaft, da sie auf allgemeingültigen, beweisbaren Fakten beruht. Er beschreibt sie als “natürlich” und in jedem Individuum tief verankert.

Das Individuum soll die fachliche Autorität eines Spezialisten akzeptieren, jedoch erst nachdem es andere Meinungen eingeholt hat und somit zu einem eigenen Urteil gekommen ist.

Er erläutert dies am Beispiel eines Schusters. Dieser ist auf die Reparatur von Schuhen spezialisiert, dem Durchschnittsmenschen also überlegen. Durch den Vergleich mit anderen Schustern ist es dem Individuum aber möglich sich ein Urteil über jenen zu bilden.

Innerhalb der Gesellschaft soll es zu einem ständigen Wechselspiel zwischen passiver und aktiver Rolle kommen, abhängig von den eigenen Fähigkeiten.[28]

Sie ist jedoch als Basis einer Gesellschaftsordnung ungeeignet. Die Welt wird nie komplett durch Naturgesetze erklärbar sein, eine unvollkommene Wissenschaft ist aber ihrerseits nicht in der Lage eine Gesellschaft zu führen. Ferner hätte diese Emporhebung der Wissenschaften eine Elitebildung unter den Wissenschaftlern zur Folge, die wiederum unweigerlich zu einem Machtmissbrauch führen würde. Aufgabe der Wissenschaften ist es weiter, die Realität zu abstrahieren und zu verallgemeinern. Diese Abstrahierung manifestiert sich in der Theologie als göttliche Wahrheit, in der Politik als Allgemeinwohl und in den Rechtswissenschaften als Gerechtigkeit.[29] Die Verallgemeinerung ist für Bakunins individualistische Gesellschaftsvision grundsätzlich abzulehnen.

Dennoch sieht er in den Wissenschaften die Grundlage jedes zukünftigen moralischen und sozialen Handelns, da gesunder Menschenverstand die Summe aller allgemein anerkannter Naturgesetze sei.[30]

Das durch die jahrhundertelange bewusste VerdummungXX ungebildete Volk, muss in Abendschulen in den Naturwissenschaften unterrichtet werden. Dieser Unterricht dient einerseits der Entwicklung des Individuums, andererseits hilft er den Gottesglauben auszumerzen.[31]

2.5 Zusammenfassung

Auf einem Satz komprimiert fordert Bakunin die Freiheit und Gleichheit aller Menschen durch die Abschaffung von Gott, Kirche und Staat.

Bakunin äußert bereits am Anfang des Textes seine Ablehnung des Idealismus.

Nach Bakunin deuten die Idealisten die Materie der Welt als ursprünglich “arm und elend”, nur göttliches Wirken gibt ihr einen Sinn. Dem stellt er seine materialistische Überzeugung gegenüber: die Materie ist an sich wertvoll. Die Welt, wie auch alles andere, entwickelte sich vom Einfachen hin zum Komplexen. Aufgrund dessen lehnt er auch die idealistische Vorstellung der Schöpfung des Menschen durch ein ihm überlegenes Wesen als absurd ab.

Bakunins Religionskritik ist zweischneidig. Einerseits weist er auf die Grausamkeiten einer personifizierten Gottheit hin, andererseits gibt er den logischen Beweis von dessen Nichtexistenz.

Bakunin deutet die Vertreibung aus dem Paradies folgendermaßen: Der Garten Eden diente Gott als Zeitvertreib. Als sich die Menschen aber mit Satans Hilfe aus ihrer Unmündigkeit erhoben geriet er in Zorn und ließ die nachfolgenden Generationen dafür büßen.

Bakunins theoretische Erklärung des Gottesglaubens ist allgemeiner formuliert: Der religiöse Glaube ist eine Projektion menschlicher Leistungen und Ängste. Der Glaube machte den Menschen zum Sklaven eines von ihm erfundenen Herrschers.

Der Mensch ist diesem Herrscher absoluten Gehorsam schuldig. Dieser verschaffte den weltlichen Vertretern der Gottheit einen fatalen Einfluss. Zusammen mit dem Staat unterdrückten sie fortan die Menschheit.

Der Mensch ist als die höchste Entwicklungsstufe der Animalität zu betrachten. Er ist einerseits ein Teil der Natur, andererseits manifestiert sich das Menschliche in ihrer Negation. Wesentlich für die Entwicklung des Menschen war seine Fähigkeit zu denken und sich zu empören. Die Empörung entspricht der Negation des Vorhandenen ohne die keine Entwicklung möglich ist. Die Menschheit ging durch eine von tierischen Instinkten geprägte und durch eine von Gott dominierte Phase. Ihr steht nun eine Phase der menschlichen Freiheit bevor.

Absolute Freiheit entsteht durch die Negation jeglicher Autorität, allein die Naturgesetze sollen das Handeln des befreiten Menschen bestimmen.

Menschliche Entwicklung ist darüber hinaus untrennbar mit der Gesellschaft verbunden. Durch sie werden dem unwissenden Neugeborenen Inhalte vermittelt. Diese sind für ihn für immer prägend, jede geistige Entwicklung basiert auf ihnen.

Jene Inhalte werden der gläubigen Gesellschaft durch ihre Herrscher vorgegeben, die dadurch ihre Machtpositionen stärken.

Die einzige Möglichkeit dieses System zu zerstören ist die soziale Revolution. An deren Ende soll eine herrschaftsfreie, gleiche und von Naturgesetzen geregelte Gesellschaft stehen.

3. Fazit

Die Vorstellung einer freien und gleichen Gesellschaft, die sich unabhängig von Gott selbst organisiert erscheint auf den ersten Blick verlockend. Dennoch vernachlässigt Bakunin ein wesentliches Element des menschlichen Lebens: Wie reagiert die befreite Gesellschaft wenn ihre Freiheit gewaltsam beschränkt wird – verallgemeinert: wie soll sie auf Verbrechen reagieren? Nach Bakunin soll die uneingeschränkte Freiheit durch eine Empörung erlangt werden[32]. Somit wäre jedes Individuum selbst für seine persönliche Freiheit verantwortlich, es gälte das Auge-um-Auge-Prinzip. Welches wiederum die Starken von den Schwachen trennt, also eine ungleiche Gesellschaft forciert.

In kleinen überschaubaren Gruppen mag die absolute Freiheit und Gleichheit funktionieren, jedoch nicht in größeren Gesellschaften oder gar weltweit. Bakunin scheint den seit Urzeiten gepflegten Egoismus zu unterschätzen, den er durch eine soziale Revolution überwinden will.

Eine so schnell befreite Gesellschaft würde die tiefgreifenden Veränderungen kaum verkraften, im Gegenteil, die Herrschaft von Minoritäten wäre bedingungsloser und grausamer als je zuvor.

Der von Bakunin propagierte Anarchismus sollte eine Utopie bleiben.

Dennoch können auch Utopien nützliche Impulse für die reelle Welt beinhalten. So erscheinen mir die Gründzüge von Bakunins Religionskritik einleuchtend und zutreffend. Etwaige Anleihen bei Ludwig Feuerbach schmälern sie nicht.

Auch Bakunins politische Forderungen halte ich in abgeschwächter Form für realisierbar. Zunächst der Verzicht auf überflüssige Gängeleien des Individuums und die Stärkung seines Rechts auf Selbstbestimmung. Ferner durch weitgehende Zersplitterungen von Machtkonzentrationen und deren größtmögliche Transparenz. Und eine deutliche Trennung von Staat und Kirche.

Abschließend bleibt zu hoffen, dass Bakunin Recht hatte, als er sagte, die Gesellschaft sei noch nicht reif für seine Ideen.

4. Literatur

- Cattepoel, Jan: Der Anarchismus, München 1979
- Hellmann, Susanne: Gott und der Staat und andere Schriften, Hamburg 1969
- Van Dooren, Wim: Bakunin zur Einführung, Hamburg 1985

[...]


[1] Cattepoel, Jan: Der Anarchismus, München 1979 S. 13-17; 141ff

[2] Van Dooren, Wim: Bakunin zur Einführung, Hamburg 1985 S. 90

[3] Cattepoel, J. 1979 S. 47-56

[4] Hillmann, Susanne (Hrsg.): Michail Bakunin, Gott und der Staat und andere Schriften. Hamburg 1969 S. 93f

[5] Hillmann, S. 1969 S. 60f

[6] Cattepoel, J. 1979 S. 73

[7] Hillmann, S. 1969 S. 61

[8] Hillmann, S. 1969 S. 57

[9] Hillmann, S. 1969 S. 57

[10] Hillmann, S. 1969 S. 57

[11] Hillmann, S. 1969 S. 119f

[12] Hillmann, S. 1969 S. 70

[13] Hillmann, S. 1969 S.82

[14] Hillmann, S. 1969 S. 97

[15] Hillmann, S. 1969. S. 73, Bakunin verkehrt hier Voltaires berühmten Satz “Wenn es keinen Gott gäbe, müsste man ihn erfinden” ins Gegenteil.

[16] Hillmann, S. 1969. S.69

[17] Hillmann, S. 1969, S. 56

[18] Hillmann, S. 1969, S. 67

[19] Hillmann, S. 1969, S. 67

[20] Hillmann, S. 1969, S. 140f

[21] Hillmann, S. 1969, S. 145

[22] Hillmann, S. 1969, S. 138

[23] Hillmann, S. 1969, S. 143

[24] Hillmann, S. 1969, S. 145ff

[25] Hillmann, S. 1969, S. 63

[26] Hillmann, S. 1969, S. 62f

[27] Hillmann, S. 1969, S. 80

[28] Hillmann, S. 1969, S. 77f

[29] Hillmann, S. 1969, S. 100

[30] Hillmann, S. 1969, S. 73

[31] Hillmann, S. 1969, S.83ff

[32] Hillmann, S. 1969, S. 80

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Bakunin: Gott und der Staat
Hochschule
Universität Augsburg
Veranstaltung
PS
Note
1,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V107563
ISBN (eBook)
9783640058204
Dateigröße
476 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bakunin, Gott, Staat
Arbeit zitieren
Florian Herbst (Autor:in), 2001, Bakunin: Gott und der Staat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107563

Kommentare

  • Gast am 2.11.2007

    besser spät als nie.

    da ich eigenzlich auf der suche nach was anderem war hab ich die seminararbeit nur kurz überflogen, möchte aber dennoch einige anmerkungen dazu machen:
    1. würd ich den verweis auf die raf so nicht stehen lassen, da diese dich explizit als ML selbst-bezeichnet hat was aus ihrer avantgardistischen revolutionstheorie ua hervorgeht.bei bakunin findet man zwar auch einige avantgardistische passagen, (z.B. die nur auf dem Papier existente "internationale Bruderschaft") welche jedoch durch die volunaristischen elemente aufgehoben werden.
    2. den einfluß Bakunins ideen auf den spanischen bürgerkrieg hervorheben (in zahlreichen (A)publikationen zum spanischen bürgerkrieg zu finden (enzensberger: der kurze sommerdser anarchie uvm).
    @Kommentar von Patrick: Falls deine erwähnung DDR ironisch sein sollten war es leider nicht ersichtlich. Falls dem auf grund von - aufrechterhaltung der lohnarbeit + x>30 verschiedene Lohnstufen - Elitenbildung - die bestätigung der von bakunin uA. kritisierten ML-revolutionstheorie als nicht zur klassenlosen gesellschaft Führenden- nicht so gewesen sein sollte, kann ich mich mit der von ihm gewählten Selbst-bezweichnung nicht so recht anfreunden.
    lieben gruß

  • Gast am 5.3.2003

    Hey Autor.

    Wenn du dich da noch für interessierst, was freie gesellschaft heisst, les mal das ABC des Anarchismus. oder Staatlichkeit und Anarchie von Bakunin. Find dein Referrat sehr gelungen, nur das Fazit gefällt mir (als Anarchist), nicht so gut.

    Es gibt für Verbrechen immer Gründe ! Diebstahl, Mord... alles Sachen die ohne Geld nicht passiern. Guck dir die Kriminalität in der DDR an. = fast 0. Menschen müssen gleichgestelllt werden, dann werden sie friedlich. Bakunin versucht nur diese Gleichstellung und den Kommunismus mit einer freien Gesellschaft zu verknüpfen.

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