Der Sprachgebrauch im Gebiet des Grafschafter Platt


Diplomarbeit, 2003

53 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Grafschafter Platt

3. Einblick in die niederdeutsche Sprachgeschichte und die Entwicklung der Dialektsituation in Deutschland
3.1. Niederdeutsche Sprachgeschichte
3.2. Entwicklung der Dialektsituation in Deutschland

4. Theorie der Untersuchung und Aufbau des Fragebogens
4.1. Theorie der Untersuchung
4.2. Aufbau des Fragebogens zur Bestandsaufnahme

5. Die Bestandsaufnahme
5.1. Sprachkompetenz
5.1.1. Dialektkompetenz und Alter
5.1.2. Dialektkompetenz und Geschlecht
5.1.3. Dialektkompetenz und Schulabschluss
5.1.4. Dialektkompetenz und Beruf
5.1.5. Dialektkompetenz und Geburtsort
5.1.6. Dialektkompetenz – Zusammenfassung
5.2. Dialektgebrauch
5.2.1. Der Dialektgebrauch und das Alter
5.2.2. Der Dialektgebrauch und das Geschlecht
5.2.3. Dialektgebrauch und Schulabschluss
5.2.4. Dialektgebrauch und Beruf
5.2.5. Dialektgebrauch und Geburtsort
5.2.6. Dialektgebrauch – Zusammenfassung
5.3. Die Einstellung zum Dialekt
5.3.1. Einstellung und Alter
5.3.2. Einstellung und Geschlecht
5.3.3. Einstellung und Schulabschluss
5.3.4. Einstellung und Beruf
5.3.5. Einstellung und Geburtsort
5.3.6. Einstellung – Zusammenfassung

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Vorliegende Arbeit soll einen Überblick über den heutigen Sprachgebrauch einer norddeutschen Dialektlandschaft, dem Gebiet des Grafschafter Platt bieten. Die ehemalige Grafschaft Moers, der Gegenstand vorliegender Arbeit, befindet sich in der rheinischen Dialektlandschaft am linken Niederrhein. Bereits vorliegende Abhandlungen[1] über das „Rheinische“ ergeben, dass der Sprachgebrauch im behandelten Gebiet immer noch wert ist, um erforscht zu werden, und ein Thema für eine sprachwissenschaftliche Untersuchung bietet. Im Folgenden soll eine terminologische und dialektologische Einleitung zum Thema gegeben werden.

Dialekte werden in modernen Gesellschaften – wie in der Bundesrepublik – nirgends isoliert gesprochen. Der Dialekt bildet einen Teil des Varietätenspektrums eines Sprechers, so muss in der ganzen Bundesrepublik neben dem Dialekt immer auch die Standardvarietät beachtet werden.[2] Die Sprachwahl eines Sprechers erfolgt in der ganzen deutschen Sprachgemeinschaft auf sozio-situativer Grundlage. Im nördlichen Deutschland muss jedoch mit der stärkeren Verbreitung der Standardvarietät gerechnet werden. Die Verbreitung der Standardvarietät reicht gegenüber der süddeutschen Sprachsituation bis in die mittleren und unteren Schichten der Bevölkerung. Es lässt sich also ein durch den Ortsdialekt bzw. Basisdialekt und der Standardvarietät gekennzeichnetes Varietätenspektrum der Sprecher erwarten. Die Frage des Sprachgebrauchs und der Sprachwahl muss deshalb einer Differenzierung unterzogen werden.

Der Sprachgebrauch wird durch mehrere Faktoren bestimmt, als solche gelten das Alter, die Schulbildung, der Wohnort, der Beruf uva.. Diese Differenzierung bzw. die Ergründung des Sprachgebrauchs ist Ziel dieser Arbeit. Wie bereits ausgeführt, kann in der norddeutschen Sprachsituation die Zweiteilung des Varietätenspektrums unterschieden werden, jedoch muss das Varietätenfeld auch zwischen den zwei Extrempunkten Basisdialekt – Standardvarietät strukturiert werden.[3] In dieser Hinsicht wurden von der dialektologischen Forschung mehrere Ansätze vorgeschlagen. Das Deutsche Spracharchiv unterscheidet zwischen der gesprochenen Hochsprache, der überregionalen Umgangssprache, der regionalen Umgangssprache, der Halbmundart und der Vollmundart. Andere Modelle fügen zwischen den Extrempunkten nur die Regionalsprache und den Regionalakzent ein. Auch die Sprecher haben Schwierigkeiten diese Strukturierung an ihrem Varietätenfeld vorzunehmen.[4] Aus diesem Grunde soll und kann die Strukturierung des Varietätenfeldes im behandelten Gebiet nicht Ziel der vorliegenden Arbeit sein. Damit ein terminologischer Konsens besteht, wird in der Arbeit der Terminus Dialekt als übergreifender Begriff für die von der Standardsprache abweichenden Varietäten im behandelten Gebiet gebraucht.

In der Arbeit soll aufgezeigt werden, welche Einstellung Sprecher gegenüber dem Dialekt zeigen, ob der Dialekt im behandelten Gebiet noch gesprochen wird und welche Sprechergruppe den Dialekt verwendet. Die Wahl des Sprachgebietes, fiel aus dem Grunde auf die benannte Gegend, weil der Autor selber einige Jahre in dieser Gegend gelebt hat und über eigene Erfahrungen bezüglich des Sprachgebrauchs der Population verfügt. Der niederfränkische Dialekt wird in der germanistischen Sprachwissenschaft etwas weniger als andere Dialekte behandelt, das Grafschafter Platt bildet jedoch – mit einigen Ausnahmen in der germanistischen Sprachwissenschaft – den Untersuchungsgegenstand von Mundartfreunden und Mundartvereinen. Vorliegende Untersuchung stützt sich im Aufbau und in der Arbeitsmethode auf die im Themenbereich vorliegende Fachliteratur. Im Interesse der Untersuchung wurde ein Fragebogen zusammengestellt um eine Bestandsaufnahme der Sprechgewohnheiten vorzunehmen.

Der erste Teil vorliegender Arbeit befasst sich mit dem Gebiet des Grafschafter Platt; es wird der sprachgeschichtliche Hintergrund der niederdeutschen Mundarten erläutert und ein Einblick in die Dialektsituation Deutschlands und speziell norddeutscher Gebiete gegeben. Die sprachwissenschaftliche Untersuchung des Sprachgebrauchs wird durch den theoretischen Hintergrund und der Erläuterung des Fragebogens eingeleitet. In diesem Teil werden weiterhin die Erwartungen gegenüber der Bestandsaufnahme konkretisiert.

Die Auswertung der Fragebögen und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen bilden mit der Zusammenfassung den zweiten Teil der Arbeit. Die Auswertung der Fragebögen wird thematisch in drei Kapitel geteilt um die Dialektkompetenz, den Dialektgebrauch und die Einstellung zum Dialekt untersuchen zu können.

2. Das Grafschafter Platt

Im Folgenden wird das behandelte Sprachgebiet, das Gebiet der ehemaligen Grafschaft Moers sprachgeographisch und geschichtlich eingegrenzt. In der großräumigen Einteilung des deutschen Sprachgebietes befindet sich das Gebiet des Grafschafter Platt an der Grenze des Hoch- und Niederdeutschen Raumes. Obwohl das Gebiet eigentlich bereits in einem Übergangsgebiet zwischen dem Hochdeutschen und dem Niederdeutschem liegt[5] kann sprachwissenschaftlich nachgewiesen werden, dass das Gebiet als ein Westausläufer des niederdeutschen Sprachgebietes gilt. Im Süden ist die Grafschaftsgrenze mit der Uerdinger Linie deckungsgleich. Die Unterscheidung zwischen dem hochdeutschen und niederdeutschen Gebiet beruht auf sprachgeschichtlich begründeten Unterschieden, welche sich im Verlaufe der Zeit manifestiert haben. Als wichtigster, heute zu nennender Unterschied gilt die Zweite Lautverschiebung, welche am bedeutendsten zur Verzweigung des Hoch- und Niederdeutschen geführt hat.

Das Gebiet des Niederfränkischen ist ein Interferenzraum, das von Anfang an einen Interferenzdialekt zwischen dem Hochdeutsch-Fränkischem und dem Niederdeutsch-Sächsischen verkörpert. Mangels der Lautverschiebung wird dieser Dialekt einfach als Niederdeutsch bezeichnet, obwohl es vom Niederdeutschen auf altsächsischer Grundlage unterschieden werden muss.

Im Gebiet begegnen sich mehrere Dialekte, darunter das Ripuarische, das Westfälische, das Niederfränkische, das Kleverländische, das Moselfränkische und die deutsche Standardvarietät. Das auf niederländischem Gebiet gesprochene, mit dem Nordrheinischen dialektologisch verwandte Maasländisch wird hier nicht beachtet, da die Umgangssprachen von zwei verschiedenen Standardvarietäten, dem Standarddeutschen und dem Standardniederländischen überdacht, durch diese gespeist und beeinflusst werden.

Auf der schriftlichen Ebene weist die deutsche Standardvarietät in der ganzen Bundesrepublik keine regionalen Differenzen mehr auf, unstrittig ist aber, dass die Existenz einer rheinischen Varietät im mündlichen Bereich identifiziert werden kann.

Die Bezeichnung Rheinisch bezieht sich auf den mittleren Rheinabschnitt, der sich von der deutsch-niederländischen Grenze bei Emmerich bis Hunsrück erstreckt.[6] Das Rheinische kann im phonetischen Bereich klar von der Dialektlandschaft des Südens abgegrenzt werden. Diese Abgrenzung fällt aber in Richtung Norden und Nordosten schwer, da diese Sprachlandschaft wichtige gemeinsame Charakteristika mit den niederdeutschen Sprachlandschaften aufweist, bzw. das Grafschafter Platt – ein niederfränkischer Dialekt – zu den niederdeutschen Dialekten gerechnet wird.

Der Unterschied zwischen regionalen Aussprachevarianten und einem Regiolekt liegt nach Elmentaler darin, dass Regiolekte durch die stärkere Durchdringung mit regionalsprachlichen Merkmalen eine größere Distanz zur Standardvarietät aufweisen und auch von den Sprechern als eine eigenständige Varietät angesehen werden. Die Merkmale der Aussprache treten differenziert auf; die Sprecher wählen ihre Aussprache soziosituativ und verwenden im amtlichen / offiziellen Bereich eine eher standardgerechte und im persönlichen / inoffiziellen Bereich eine eher dialektgefärbte Aussprache.

Innerhalb des Niederfränkischen bildet das Grafschafter Platt eine regional abgrenzbare Mundart, einen Ortsdialekt. Das Gebiet der ehemaligen Grafschaft Moers erstreckt sich von Eversael und Baerl im Norden bis nach Rheinhausen im Süden und von Vluyn im Westen bis an den Rhein im Osten.[7] Die Mundart in diesem Gebiet zeigt vergleichsweise wenig Varianz und weist weitreichende Übereinstimmungen auf. Natürlich gibt es auch hier regionale Abweichungen, welche die Mundartsprecher beträchtlich bezeichnen, und sogar ausreichend fänden, um einzelne Ortsmundarten zu unterscheiden. Aus sprachwissenschaftlicher Betrachtung hingegen kann hier über einen übergreifenden Dialekt gesprochen werden.

Die starke Distanzhaltung der Mundartsprecher gegenüber anderen umliegenden Dialekten des Gebietes beruht auf einem geschichtlichen Hintergrund. Im Laufe des 13 Jahrhunderts werden die Herren von Moers Gerichts- und Landesherren von Homberg. Die Einführung der Reformation durch Graf Hermann von Neuenahr und Moers im Jahre 1560 ließ die territorialen Grenzen auch zu Konfessionsgrenzen werden. Sprache und Kultur wurden zu dieser Zeit beträchtlich durch den kirchlichen Einfluss geprägt. Protestantische Wechselbeziehungen zu den Niederlanden brachten viele Geistliche in die Grafschaft.

Später folgten lange Kämpfe um die Grafschaft zwischen den Herzögen von Cleve und dem Hause Oranien. Erst im Jahre 1702 fiel Moers an Cleve-Brandenburg, um dann aber später noch durch den spanischen (1701-1714) und dem österreichischen (1741-48) Erbfolgekrieg in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Zwischen 1794-1815 befindet sich das Gebiet unter französischer Herrschaft. Diese Zeit hinterließ bedeutende sprachliche Spuren, mit französischen Entlehnungen. Im Jahre 1815 kommt das linke Rheinufer endgültig in die Hände Preußens.[8] Die sprachliche Teilung entsteht dadurch, dass die Uerdinger Linie, als südliche Grenze des Gebietes gilt. Nördlich der Linie wird ek, südlich davon ech gesprochen. Die erste Form ist niederfränkisch, die zweite Form ripuarisch. Zum niederfränkischen Sprachgebiet gehören linksrheinisch die Gebiete von Moers, Geldern und Kleve und darüber hinaus Teile der Niederlande und von Belgien, dies ist das alte Gebiet der salischen Franken.

Heute kann der Unterschied zwischen dem Niederfränkischen und dem Mittelfränkischen z.B. an der Wortbildung, wie auch am Wortschatz festgehalten werden. Die politische und die konfessionelle Trennung der Gebiete hängt sofern zusammen, dass sich das Gebiet der Grafschaft Moers sich zum protestantisch-reformierten Glauben bis sich das Gebiet Kurköln zum katholischen Glauben bekannt hat. Hierüber hinausgehend kann bereits zu Anfang des 19. Jh. belegt werden, dass es Streitigkeiten um die Gebietsgrenzen von Kurköln und der Grafschaft Moers gaben. Diese dreifache Trennung machte sich noch zu Anfang des 20. Jh. bemerkbar.

3. Einblick in die niederdeutsche Sprachgeschichte und die Entwicklung der Dialektsituation in Deutschland

3.1. Niederdeutsche Sprachgeschichte

Der sprachgeschichtliche Rückblick besteht größtenteils aus der Beschreibung der mittelniederdeutschen Periode, da diese Periode die wichtigsten sprachgeschichtlichen Veränderungen zur heutigen Unterscheidung zwischen Hochdeutsch und Niederdeutsch in sich trägt.

Die mittelniederdeutsche Periode zeichnet sich vor allem durch eine starke Veränderung des niederdeutschen Gebietes aus. Im 12.-14. Jahrhundert wurden die ostseeslawischen Gebiete von niederländischen und niederdeutschen Siedlern besiedelt. Mit dem Dichterwerden der Siedlungen wurden die slawischen Reste von dem wirtschaftlich, politisch und kulturell überlegenen Deutschtum größtenteils verdrängt. Die deutsche Sprache, sowohl die des nördlichen, als auch die des südlichen Deutschlands trägt heute noch einige Elemente slawischen Sprachgutes (Jauche < poln. j ucha ist ein Wort des md. und nd. Ostens)[9].

Auch andere Sprachgebiete, wie das des Friesischen wurden von dem Niederdeutschen unterdrückt. Der Ausweitung des niederdeutschen Gebietes steht der Verlust des südöstlichen sächsischen Gebietes gegenüber, das im regen Handel mit Thüringen stand und so zugunsten des Mitteldeutschen die niederdeutsche Sprache gänzlich aufgegeben hat.

Der Anfang der mittelniederdeutschen Periode lässt sich etwa auf das 13 Jh. setzen, zu dieser Zeit hat die mittelniederdeutsche Sprache – nach einem Ausfall von ca. 150 Jahren an niederdeutschen schriftlichen Belegen, das mit der Verwendung des Lateinischen als Schriftsprache zusammenhängt – wieder eingesetzt. Das Sprachsystem kennzeichnet sich dadurch, dass bei Erhaltung einer eigenen niederdeutschen Sprachstruktur, der nordseegermanische (ingowänische) Charakter des Altniederdeutschen weithin zurückgetreten ist.[10]

Die Schriftlichkeit der niederdeutschen Sprache setzt im 13. Jh. mit der höfischen Dichtung wieder ein. Die gegenseitige Beeinflussung beider Sprachgebiete, sowohl der Einfluss des Mitteldeutschen auf das Niederdeutsche, als auch der des Niederdeutschen auf das Mitteldeutsche kann sogar im heutigen Sprachzustand noch nachgewiesen werden. Die Diminutivform bzw. die Diminuierung war dem Niederdeutschen so gut wie unbekannt, daher muss diese aus dem mitteldeutschen bzw. aus dem oberdeutschen Raum nach Norden vorgedrungen sein, auch wenn die Diminutivendungen im heutigen Sprachgebrauch verschieden sind. (obd. –līn md. –chīn nd. –kīn und ihre Varianten)[11]

Als Beispiel auf den niederdeutschen Einfluss dient die nhd. Form Held, sie ist aus dem Nd. im 12 Jh. nach Süden aus der as. Form heliþ vorgedrungen.[12] Die niederdeutschen Formen wurden bei dem Vordringen nach Süden gelegentlich den dortigen Lautverhältnissen angeglichen. Der niederfränkische Raum (Niederrhein), wie bereits in der altniederdeutschen Periode spielt auch in dieser Periode eine bedeutende und das Nd. wie auch das Gesamtdt. beeinflussende Rolle. Die Nähe des niederrheinischen Gebietes zum nördlichen Frankreich und dessen Ritterkultur erheben die niederfränkischen Gebiete zum Vorbild binnendeutscher Ritterlichkeit und höfischer Dichtung. Von dieser hohen Stellung zeugt auch der Wortschatz des Gesamtdt., so wurden auch mndl. Wörter, die keine Verbindung zum frz. Wortgut haben in den deutschen Sprachgebrauch übernommen. So z.B.: mndl. wāpen für hd. wāfen.[13] Die md. bzw. hd. höfische Literatur hat jedoch bis zum Verfall der ritterlichen Kultur die Schriftlichkeit in Niederdeutschland überwiegend bestimmt.

Die Schaffung einer eigenen Schriftlichkeit ist durch das literarische Werk des Ostfalen Eike von Repgow und seinen beiden monumentalen Prosawerken, dem ‚Sachsenspiegel’ (1221-24) und der ‚Sächsischen Weltchronik’ (1230-31) gekennzeichnet.

Der hochdeutsche Einfluss ist jedoch immer noch so stark, dass die Vorrede zu seinem früheren Werk dem ‚Sachsenspiegel’ in Hochdeutsch abgefasst wurde.

Die Schriftlichkeit des Niederdeutschen in seiner mittleren Periode wird hauptsächlich durch die Rolle der sog. Hansestädte und derer Sprachverwendung bestimmt.

Gegen Mitte des 12. Jahrhunderts wird die Ostseeküste besiedelt und die Stadt Lübeck um 1158-59 neu gegründet. Der Welthandel wird zu dieser Zeit größten Teils über die Ostsee abgewickelt, so bedeutet die Herrschaft über diesen Raum eine bestimmende und zentrale Rolle für Norddeutschland, und die einzelnen Händler gewinnen immer mehr an Macht, schließlich schließen sich die handelnden Städte zu einem Handelsbund zusammen. In diesem Handelsbund erlangt Lübeck die führende Rolle, dadurch auch die führende Rolle unter den Hansestädten. Diese bestimmende Rolle im Handel bringt die politisch-rechtlich dominante Rolle mit sich. Lübeck ist der Oberhof der lübischen Stadtrechtsfamilie und etwa 100 Städte an der Ostseeküste sind von Lübeck unmittelbar abhängig. Dies verursacht die Verbreitung der normierten lübischen Schriftsprache als Hansesprache zuerst an der Nordseeküste, später im größten Teil des niederdeutschen Sprachraumes. Der Geltungsbereich der Hansesprache beschränkt sich nicht auf den niederdeutschen Raum. Die im Welthandel interessierten Staaten sind größtenteils gezwungen ihren Schriftverkehr mit niederdeutschen Händlern in der lübischen Hansesprache zu führen.

Die einzelnen regionalen Varianten des Niederdeutschen bleiben von der Verbreitung der normierten Hansesprache ebenfalls nicht unberührt. Ein Unterschied niederdeutscher Mundarten kann jedoch nachgewiesen werden. Zuerst werden aber einige charakteristischen Züge der normierten mittelniederdeutschen Sprache mit Hilfe des Formensystems beschrieben. Die Nomina können auf Grund ihrer Pluralbildung in 5 Klassen[14] und schließlich eine Klasse ohne Pluralendung eingeteilt werden.

1. Die Klasse der Nomina mit der Pluralendung –e. (alle dage[15], Wagen perde)
2. Die Klasse der Nomina mit der Pluralendung –e mit umgelautetem Stammvokal (Drij houfft stede)
3. Die Klasse der Nomina mit der Pluralendung –s (drij kirspels)
4. Die Klasse der Nomina mit der Pluralendung –er (myt tween kinderen, X dorper, swerder)
5. Die Klasse der Nomina mit der Pluralendung –en (hoichgebraen fursten)
6. Die Nomina, die ihre Pluralform ohne eine Pluralendung haben. (van den eyrberen burgeren)

In der starken Adjektivflexion sind die as. Doppelformen ausgeglichen worden. Die as. mask. Dat. Sg. Endung –emu/-emo lautet in der mittelniederdeutschen Zeit –eme und wird in der Sprechsprache zu > -en abgeschwächt. (van eynen burger[16]) Die as. Endungen –an –ana für den mask. Akk. Sg. sind im Mnd. zu Gunsten von –an > -en ausgeglichen worden.

In der Verbalflexion lauteten die frühmnd. Personalendungen des Pl. Präs. Ind. –et (as. –ad, -iad, -od), wobei die Endungen des Konj. Präs. und die Präterito-Präsentien auf –en ausgingen. Dieser Unterschied wurde im Westnd. zu –et in der Pluralbildung ausgeglichen, das Ostnd. machte einen entgegengesetzten Ausgleich. Hier setzte sich die Endung des Optativs und der Präterito-Präsentien –en auch im Präs. Ind. durch. Unter dem Einfluss der lübischen Norm, wurde diese Form in der Schriftsprache übernommen.[17] Der starke Einfluss des Optativs auf den Plur. Prät. Ind., der im Mnd. vielfach zum Umlaut des Stammvokals im Prät. Plur. Ind. der starken Verben führte ist für das Niederdeutsche kennzeichnend.

Bei der sein Konjugation setzt das Mnd. die Verwendung der as. Kreuzungsform bium nicht weiter fort. Hier wird gänzlich die hochdeutsche Form bin übernommen, teilweise bereits zu der Zeit zu bün gerundet.[18]

Die niederdeutsche Sprache hat bis zum Ende der mittelniederdeutschen Zeit, eine wichtige und keineswegs dialektale Rolle im heutigen Sinne gehabt. Mit der Hansesprache wurde eine gebietübergreifende niederdeutsche Schriftsprache geschaffen, die sich bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts gehalten hat. Der Anfang der neuniederdeutschen Periode wird meistens um 1600-1650 angesetzt. Dieser Zeitpunkt bedeutet die Übernahme des Hochdeutschen als Standardsprache, jedoch sind bis Mitte des 17. Jahrhunderts viele niederdeutsche Ausgaben der Bibel von Luther und seiner Schriften erschienen (letzte Ausgabe 1621). Die Sprache der Kanzleien Niederdeutschlands, die auch die ersten mittelniederdeutschen Sprachbelege geliefert hat, hielt sich im Allgemeinen bis ins 17. Jh., so enthält das Lübecker Oberstadtbuch bis 1809 nur niederdeutsche Einträge[19]. Die niederdeutsche Sprache hielt sich als mündliche Umgangssprache der gebildeten Kreise Norddeutschlands ebenfalls bis Anfang des 19.Jh’s.

Der Machtverlust des Hansabundes, die Ausbreitung des Römischen Rechtes, der allgemeine Ausbau des Bildungswesens bedeutete die Ablösung der niederdeutschen Sprache als Schriftsprache durch das Hochdeutsche. Der bis dahin in niederdeutscher Sprache abgewickelte Schriftverkehr musste nun in hochdeutsch erfolgen. Dies betraf vor allem die fürstlichen Kanzleien, bis der innere Schriftverkehr meistens noch nd. geblieben ist. Wie ausgeführt, hatte die mittelniederdeutsche Periode einen bedeutenden Einfluss auf die Ausbildung des Hochdeutschen, wie auch die niederdeutsche Sprache von vielen angrenzenden Sprachgebieten beeinträchtig wurde.

Viele, in der heutigen Sprachverwendung als „typisch platt“ genannten Erscheinungen erweisen sich in diachroner Betrachtung oft als ganz atypische Formen des Niederdeutschen. Nach der Beschreibung der sprachgeschichtlichen Grundlage soll die allgemeine Dialektsituation in Deutschland und die spezielle Dialektsituation Norddeutschlands dargestellt werden.

3.2. Entwicklung der Dialektsituation in Deutschland

Die Diagliederung der Sprache ist ein wichtiger Punkt bei der Betrachtung des Sprachgebrauchs, je nach den zur Sprechzeit gegebenen Umständen benutzt man eine andere zur Sprechsituation angepasste Varietät der deutschen Sprache. Die Beurteilung des Dialektgebrauchs und der Dialektgebrauch selber änderten sich im Verlaufe der Geschichte. Die gesellschaftliche Entwicklung zeigt, dass um ca. 1930 noch in weiten Teilen des deutschen Sprachgebietes in den ländlichen Gebieten die Bevölkerung zu mehr als 50% im Agrar- und Forstwesen beschäftigt war. Die prägende Umgangssprache dieser Bevölkerungsschicht war der Dialekt. Die Umgangssprache der Städte zeigt hingegen eine abwertende Tendenz gegenüber dem Dialekt. Die städtische Umgangssprache entwickelte sich in den Städten des mittel- und oberdeutschen Raumes durch das zunehmende Bildungsstreben der Aufklärung. In Folge dessen begann in den bürgerlichen Kreisen der Ober- und Mittelschicht die „durch Gottsched und Adelung vereinheitlichte, nun im ganzen deutschen Sprachraum aufgegriffene und durch das neu eingeführte Pflichtschulwesen sehr geförderte Schriftsprache auch mündlich Fuß zu fassen.“[20] Es kam ein Ausgleich zwischen dem Dialekt und der neuen Standardsprache zu Stande, hierbei wurden die primären Merkmale des Dialekts zu Gunsten der Standardsprache aufgegeben, sekundäre Dialektmerkmale wie die Lautbildung oder Intonation, Assimilationen, Konsonantenschwächungen uva. wurden aber beibehalten und dadurch entstand in Ober- und Mitteldeutschland eine regional unterschiedliche Gliederung der gesprochenen Standardsprache, die als regionale Aussprachevarianten angesehen werden können. Der Dialekt bleibt weiterhin erhalten und es wird eine Ausgleichsform gebildet.

In den norddeutschen Dialektgebieten, den Gebieten des Niederdeutschen fassen hingegen die Schriftsprache, und deren umgangssprachliche Formen durch die Industrialisierung, durch die neuen Ballungsräume, wie das Industriegebiet Rhein und Ruhr schnell Fuß und verdrängen zunehmend die dort „bodenständigen niederfränkischen und niederdeutsch-westfälischen Dialekte“[21], so dass diese fast gänzlich aus dem alltäglichen Sprachgebrauch verschwinden.

Trotz einer sehr unterschiedlichen Verbreitung der Standardsprache kann im ganzen deutschen Sprachgebiet im Hinblick auf das Sozial- und Varietätenspektrum vor dem II. Weltkrieg ausgesagt werden, dass die Sprachsituation durch eine starke soziale Schichtung gekennzeichnet wurde. Weiterhin war ein Stadt-Land Gefälle des Dialektgebrauchs zu beobachten. Der zu mehr als zu 50% im Agrar- und Forstwesen beschäftigten Landbevölkerung und der Handwerkerschicht auf dem Lande waren die verschiedenen Varietäten der Standardsprache bekannt, verwendet wurde aber weiterhin der Dialekt als Alltagssprache. Die entstandene Diglossiesituation im südlichen Deutschland hat eine deutlich stärkere Ausprägung, da im Norden des Landes von der Sprachstandardisierung teilweise auch die niedrigeren sozialen Schichten betroffen wurden. Gleiches gilt auch für die Städte Nord- und Süddeutschlands. Obwohl in den Städten der Dialektgebrauch stark zurückgedrängt wurde, konnte im Süden Deutschlands ein Weiterbestehen des Dialektgebrauchs beobachtet werden. Dieses Nord-Süd und Stadt-Land Gefälle wird auch im weiteren Verlauf der Sprachentwicklung eine bedeutende Rolle spielen.

Die zweite Hälfte des 20. Jh. bringt weitere Entwicklungen und Veränderungen mit sich. Hier müssen mehrere Vorgänge aufgezeigt werden, welche mit der sozialen Entwicklung auch eine Änderung des Sprachgebrauchs mit sich gebracht haben. Diese Änderungen sind nicht Folge eines plötzlichen Vorgangs, sondern ziehen sich in der Zeit hin. Das Alter und das Geschlecht eines Sprechers spielen bei der Untersuchung seines Sprachgebrauchs eine erhebliche Rolle. So erfolgen alle Veränderungen und Entwicklungen in der jüngeren Generation von Sprechern, wobei die älteren Sprecher meist bei ihren Sprechgewohnheiten verbleiben.

Folgende Vorgänge[22] üben einen deutlichen Einfluss auf die Änderung des Sprachgebrauchs aus:

1. Die Umstrukturierung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Die Schicht der im Agrarwesen Beschäftigten ging bis ca. in den 1960-er Jahren stark zurück, die Anzahl liegt gegenüber dem einstigen 50% nur noch bei 5-10%, wobei diese Zahl regional stark unterschiedlich ist.
2. Die geschichtlich bedingten Bevölkerungsverschiebungen, welche einen Einfluss auf den Sprachgebrauch der verschiedenen Regionen hatten. Die Aus- und Umsiedlungen der deutschsprachigen Bevölkerung aus Deutschland und die spätere Aufnahmefunktion Deutschlands für vertriebene Leute verschiedener Nationalitäten und Sprachen spielen eine wichtige Rolle. So scheinen die hochgradige Vermischung der verschiedenen Mundarten und die Änderung der Sprache bzw. des Sprachgebrauchs verständlich.
3. Die starke Urbanisierung und der Zuwachs der Arbeitnehmerzahl in den Städten verursachten, dass das Agrar- und Forstwesen, wie auch die Zahl der Landbevölkerung allgemein stark zurückgegangen sind. Die auf dem Lande sesshaften Leute sind ebenfalls oft in der Stadt gewerbetätig und ihr Sprachgebrauch, wie auch jener der Landbevölkerung wird bedeutend durch den städtischen Sprachgebrauch beeinflusst. Hier ist auch der mehr und mehr zurückgehende und verschwindende Wortschatz einzelner – zum Teil untergehender – Handwerke zu nennen, der regional bedingt einen Großteil des dialektalen Wortschatzes und des Sprachgebrauchs ausmacht.
4. Der zunehmende Zugang aller sozialen Schichten zur Bildung ermöglicht immer mehr Leuten eine höher liegende Qualifikation und Fachbildung. Dies ist aber meistens mit dem Gebrauch der Standardvarietät verbunden.
5. Der Einfluss der Medien, am bedeutendsten der Einfluss von Rundfunk und Fernsehen auf den Sprachgebrauch der deutschsprachigen Bevölkerung.

Die Beeinflussung durch og. Vorgänge erfolgt auf den verschiedenen Ebenen der Mundarten unterschiedlich. Die niedrigste Stufe, der Basisdialekt oder Ortsdialekt wird wegen der größtmöglichen Distanz zur Schrift- und Standardsprache, also zur Standardvarietät am meisten beeinflusst. Die von Region zu Region und sogar von Ortschaft zu Ortschaft unterschiedlichen Basisdialekte werden in ihrer Funktion als Umgangssprache in eine höhere Sprachschicht umstrukturiert oder durch eine solche ersetzt. Der Gebrauch der so gebildeten Varietät, des Regionaldialekts / Regiolekts – der sich durch eine höhere räumliche Verbreitung auszeichnet und somit zum umgangssprachlichen Gebrauch, mehr als der Basisdialekt geeignet ist – macht sich vor allem bei der jüngeren Generation bemerkbar. Diese Sprachschicht liegt zwischen dem Dialekt und der Standardsprache.

Die Funktionstüchtigkeit einer Sprachschicht als Umgangssprache wurde angesprochen. Ein wichtiges Merkmal der Umgangssprache ist die große kommunikative Reichweite. Hier ist das bereits erwähnte Nord-Süd Gefälle des Sprachgebrauchs wieder anzutreffen, da in den norddeutschen Gebieten die Standardvarietät, bzw. die durch regionale Aussprachevarianten gefärbte Standardvarietät als Umgangssprache gelten und eine Diglossiesituation entsteht, in der dem Dialekt eine immer geringere Rolle zukommt. In den mittel- und oberdeutschen Gebieten, in denen der Dialekt sprachgeschichtlich bedingt erhalten geblieben ist, ist eine Polyglossiesituation zu beobachten, welche durch die dreifache oder sogar mehrfache Gliederung des Sprachgebrauchs charakterisiert wird.

Zur Untersuchung der heutigen Funktion des Dialektes muss eine räumliche Differenzierung des deutschen Sprachraumes unternommen werden, weil wie eben ausgeführt das Nord-Süd Gefälle eine bedeutende Differenz in der Funktion ausmacht. Da diese Arbeit sich mit einem norddeutschen Dialekt befasst, werde ich mich auf dieses Gebiet begrenzen.

Zur allgemeinen Situation kann noch ausgesagt werden, dass der Dialektgebrauch in manchen soziokommunikativen Konstellationen noch als soziales Stigma gilt. Dies lässt sich auch in Norddeutschland vermuten, wo die Standardvarietät auch die niedrigeren sozialen Schichten erreicht hat. Der Dialekt wird daher nur noch in manchen privaten Lebenssituationen und von bestimmten sozialen Schichten verwendet. Dieser Dialektschwund kann größtenteils mit der gesellschaftlichen Modernisierung erklärt werden, bei der auch gegenüber der Sprache eine Erwartungshaltung der Überregionalität aufkommt. Es kann aber eine dem Rückgang des Dialektgebrauchs entgegengesetzte Tendenz entdeckt werden, bei der der Dialekt und der Dialektgebrauch von den Sprechern oftmals nicht aufgegeben werden, um dem Zwang des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses zu widerstehen. Ein Bemühen um den Erhalt des Dialektes sehen wird auch bei der Funktion des Dialekts als Symbol für die lokale und regionale Identität. In diesem Bereich erleben wir eine Art „Dialektrenaissance“, bei der unter anderem auch Dialekt- und Mundartliteratur produziert wird. Die Untersuchung des Sprachgebrauchs richtet sich in unserem Fall auf die Frage ob der Dialekt am Niederrhein noch verwendet wird.

4. Theorie der Untersuchung und Aufbau des Fragebogens

4.1. Theorie der Untersuchung

Die Untersuchung soll Ergebnisse zum Sprachgebrauch im makrosoziolinguistischen Bereich[23] liefern, dh. Daten zu Beziehungen zwischen den Sprachvarietäten und den sozialen Gruppen bzw. sozialen Situationen.

Der Aufbau des Fragebogens wurde so gestaltet, dass die Sprachkompetenz und der Sprachgebrauch der untersuchten Personen erfragt werden, und die Untersuchung ein objektives Ergebnis ergibt. Um ein Bild vom Sprachgebrauch und zum Warum der Sprachwahl zu erhalten, mussten den Befragen ebenfalls Fragen zu ihrem Geburtsort, dem Geburtsort ihrer Eltern und zu weiteren Sozialdaten gestellt werden, weil diese die Entwicklung einer dialektalen Sprachkompetenz und die Vorgeschichte der sprachlichen Entfaltung der befragten Person darlegen und somit aufschlussreiche Informationen zur Untersuchung liefern.

Die Herausbildung der dialektalen Sprachkompetenz und des Dialektgebrauchs gegenüber dem Erlernen der Standardvarietät und deren Gebrauch werden durch mehrere Faktoren bestimmt. In der einschlägigen Fachliteratur werden als den Dialektgebrauch beeinflussende Faktoren ua. das Alter, das Geschlecht, die Schulbildung, der ausgeübte Beruf, die Sprachregion (der Geburtsort, der Wohnort, Arbeitsort der untersuchten Person), der Sprachgebrauch in der Familie und im Beruf, die Gesprächssituation uva. aufgezählt. Vorgenannte Faktoren bedürfen einer eingehenden Erläuterung.

Im Bezug auf das Geschlecht des Sprechenden muss das Geschlecht im biologischen Sinn als kritisch betrachtet werden. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem biologischen Geschlecht und der Sprachwahl zwischen Dialekt und Standardvarietät konnte psychologisch noch nicht bewiesen werden; wahrscheinlicher erscheint hier, dass die gesellschaftliche Funktion des Geschlechtes, die verschiedenen Rollenstrukturen und Tätigkeitsbereiche, das sog. 'soziale Geschlecht'[24] im Hinblick auf die Sprachwahl einwirkt. So gebrauchen Frauen den Dialekt in einer ihrer gesellschaftlich bestimmten Rollen, als Hausfrau und Mutter weniger als z.B. ihre Männer oder ihre männliche Umgebung. Aus einem erhöhten gesellschaftlichen und schulischen Drang resultiert, dass Frauen in der Zeit der Kindererziehung weniger Dialekt verwenden, als in anderen Phasen ihres Lebens. Die Unterrichtssprache der Schule ist in der ganzen BRD die Standardvarietät, dadurch erfahren die vom Hause aus dialektsprechenden Kinder im Unterricht und bei Leistungsabfragen oft Nachteile wegen ihrer Erstsprache. Auch bei der Bearbeitung der Schulaufgaben und dem Erlernen des Lehrmaterials haben dialektsprechende Kinder Schwierigkeiten, denn bestimmte Bereiche des Lebens sind im Dialekt vielfältiger vertreten als in der Standardsprache, andere wiederum sind dem Dialekt wenig oder gar nicht bekannt. Als Beispiele können hier der im Dialekt reich vertretene Themenbereich Natur oder Landwirtschaft und Tierhaltung, dazu im Gegensatz die Informatik, Technik genannt werden. Der geschlechtspezifische Sprachgebrauch macht sich auch im eben genannten Milieu, der Schule bemerkbar. Ammon stellt in seiner Untersuchung von 1978 fest, dass Jungen im Schulalter eine höhere Neigung zur dialektalen Ausdrucksweise haben als Mädchen. In ländlichen Gegenden kann nach dem Schulaustritt ein Verharren der Jungen beim Dialekt festgestellt werden, dies ist vor allem der Fall, wenn die Jungen nach dem Schulaustritt in der Landwirtschaft oder im handwerklichen Bereich eine berufliche Anstellung finden. Sogar im familiären Bereich zeigt sich die Tendenz, dass die Hochsprachenerziehung der Jungen mit dem Schulaustritt abnimmt, bis gegenüber Mädchen die Erwartung gestellt wird sich gewählt und 'fein' auszudrücken.[25] Die geschlechtspezifische Differenz im Dialektgebrauch kann gleichermaßen auf einen Unterschied des Tätigkeitsbereiches der untersuchten Person zurückgeführt werden. So hat eine Hausfrau einen anderen Sprachgebrauch als eine erwerbstätige Frau im selben Alter, weil sich die Hausfrau in einem engeren Lebensraum bewegt und meist eine Varietät mit einer engeren regionalen Reichweite verwendet, bis die erwerbstätige Frau unabhängig von ihrem Bildungsrad[26] eine Varietät mit einem erweiterten Geltungsgrad verwendet.

In Berufen, die einen höheren Bildungsrad voraussetzen zeigt sich die Tendenz, dass Männer über eine höhere Dialektkenntnis verfügen und auch mehr geneigt sind den Dialekt zu verwenden als Frauen. Die Erklärung mag in der überwiegend schreibenden Tätigkeit der Frauen und der daraus resultierenden Standardorientiertheit liegen.

Folgende tabellarische Zusammenstellung soll die geschlechtspezifische Differenz im Sprachgebrauch veranschaulichen, aus der Tabelle[27] ist auch die Rolle des ausgeübten Berufes für den Dialektgebrauch zu ersehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Heuwagen (1974)

Das Ergebnis oben angeführter Tabelle unterstützt die These, dass der Dialektgebrauch mit dem höheren Bildungsniveau abnimmt, desgleichen dass das männliche Geschlecht eine stärkere Neigung zum Dialektgebrauch zeigt.

Die situative Wahl der Sprachvarietät zeigt, dass Sprechende im engeren, inoffizielleren Kreis mehr geneigt sind den von der Standardvarietät distanzierten Dialekt zu verwenden, mit der Ausweitung des Geltungsareals muss folgerichtig eine Varietät mit einer höheren Reichweite gewählt werden. So nimmt der Dialektgebrauch ausgehend vom Landwirt, der einem physischen Beruf nachkommt, seinem Beruf entsprechend gebildet ist und dessen Sprachgebrauch sich aus dem dialektalen Wortschatz nährt über den geprüften Facharbeiter, der gleichfalls einen physischen Beruf ausübt, jedoch sich im Interesse seiner Arbeit räumlich mehr bewegt bis zum stark standardorientierten und prestigereichen Amt eines Beamten höheren Dienstes kontinuierlich ab.

Nach der Erläuterung des Geschlechtes und des Bildungsgrades / Berufes muss das Alter als nächster wichtiger Faktor erwähnt werden. Der Sprachgebrauch bleibt im Verlaufe des Menschenlebens nicht gleich, dh. es können altersabhängig Unterschiede in der Sprachwahl festgestellt werden. Wie bereits bei der Frage des Geschlechtes muss hier der biologische und soziale Aspekt des Faktors Alter untersucht werden. Dem Geschlecht gegenüberstehend muss in dieser Hinsicht auch der biologische Aspekt, nämlich der Aspekt der psychologischen und biologischen Reife beachtet werden. Wie die primäre sprachliche Erziehung des Kindes einen bedeutenden Einfluss auf die weitere Entwicklung des Weltbildes als Resultat ergibt, muss auch die psychische Reife zur Unterscheidung zweier Varietäten eines Kindes in Betracht gezogen werden. Bis ältere Sprecher zwei aneinander angrenzende Varietäten gut auseinander halten können, verursacht diese Aufgabe bei jüngeren Kindern (ca. bis zum 10-13. Lebensjahr) Interferenzen zwischen dem Dialekt und der Standardvarietät. Die altersbezogene Einteilung der Varietätenverwendung in mehrere Phasen, wie bei der psychischen, biologischen Reife, hat auch hinsichtlich des ‚sozialen Alters’[28] seine Richtigkeit. Der Sprachgebrauch ändert sich mit den verschiedenen sozialen Altersphasen. Hier müssen laut Mattheier 6 Komponenten des Sprachgebrauchs unterschieden werden, die größtenteils auch mit den Altersphasen der sprachlichen Änderung übereinstimmen. Die ersten zwei Phasen können mit der biologisch, psychischen Reifung in Verbindung gebracht werden. Die zweite Phase, die der schulischen Spracherziehung wird bedeutend von der primären Spracherziehung des Elternhauses bestimmt. Zurückgreifend auf die genannten eventuellen schulischen Probleme, die aus der dialektalen primären sprachlichen Erziehung des Kindes resultieren, und auf die bereits genannte Tendenz zu einer erhöhten Erwartungsstellung gegenüber der Sprachweise der Mädchen muss eingesehen werden, dass die primäre sprachliche Erziehung im Allgemeinen der städtischen Tendenz[29] zur Erziehung in der Standardsprache folgt, dh. auch in ländlichen Gegenden werden beide Geschlechter immer mehr primärsprachlich in der Standardvarietät erzogen. In dieser Phase werden die standardsprachlichen Elemente verfestigt. In der nächsten Phase wird das Switching-System zwischen den beiden Varietäten den angelernten sozialen Normen entsprechend ausgebildet. Die vierte Phase beginnt mit dem Eintritt des Sprechers in das Berufsleben. Die sprachliche Entwicklung und der Sprachgebrauch werden in dieser Phase durch die bereits genannten Faktoren gewählter Beruf, Schriftlichkeitsgrad des Berufes, der Arbeitsort etc. determiniert. Ein wichtiger Punkt ist, dass die berufliche Stellung und Entwicklung des Sprechers auch seine gesellschaftliche Position bestimmt, die wiederum den Sprachgebrauch beeinflusst. Diese Phase bedeutet unabhängig von der eingenommenen Position meistens eine Ausweitung des sprachlichen Geltungsareals, dh. es wird in der Großzahl der Fälle eine gewisse Standardorientierung zu beobachten sein. Nach der Eheschließung, in der beide Partner sich im Sprachgebrauch dem Anderen anpassen erfolgt in der Phase der Kindererziehung eine gesellschaftliche Eingrenzung beider Elternteile, aber vor allem die der erziehenden Mutter. Die gesellschaftliche Eingrenzung müsste eine Hinwendung zum Dialekt bedeuten, denn die Umgebung, in der man sich verständigen muss ist durch den Familien- und Freundeskreis bestimmt. Dem entgegengesetzt sehen wir jedoch die bereits erwähnte verstärkte Hinwendung der Mutter zur Standardvarietät. Der Sprachgebrauch der Männer zeigt in dieser Phase eine höhere dialektale Färbung. Mit dem Ende der Kindererziehung gleicht sich das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in der Dialektverwendung wieder aus. Als letzte Phase wird das Ausscheiden aus dem beruflichen Leben betont. Diese Phase wird erneut durch das Einengen der gesellschaftlichen Kontakte und der ansteigenden Dialektalität charakterisiert.

4.2. Aufbau des Fragebogens zur Bestandsaufnahme

Die pragmatische Untersuchung des Sprachgebrauchs erfolgt durch eine Bestandsaufnahme zu den Sprechgewohnheiten der Bevölkerung des behandelten Gebietes. Der Fragebogen wurde in drei Teile geteilt und wurde im Umfang begrenzt, weil davon ausgegangen wurde, dass ein zu umfangreich bemessener Fragebogen die Hilfsbereitschaft der Befragten negativ beeinträchtigen könnte. Im ersten Teil werden Sozialdaten erfragt. Der Name und das genaue Geburtsdatum dienen der Nachprüfbarkeit. Im Bezug auf das Geburtsdatum ist das Jahr der Geburt maßgebend. Das Geschlecht spielt wie aus der Erläuterung im vorigen Kapitel ersichtlich, eine bedeutende Rolle. Der Geburtsort und der Geburtsort der Eltern sind ebenfalls wichtige Anhaltspunkte, die auf eine eventuelle Sprachkompetenz des Befragten deuten können. Die dialektale Sprachkompetenz (Grafschafter Platt) kann sich nur dann entwickelt haben, wenn beide Elternteile aus derselben Gegend stammen und den gleichen Dialekt verwenden. Der Wohnort muss mit dem angegebenen Geburtsort verglichen werden, sollten beide übereinstimmen oder in einer Gegend liegen, lässt sich eine höhere Wahrscheinlichkeit der Dialektkompetenz vermuten. Da nur Personen im behandelten Gebiet befragt wurden kann eine Abweichung nur in Bezug des Geburtsorts vorkommen. Sollte der Befragte nicht aus dem behandelten Sprachgebiet stammen lässt sich die Vermutung anstellen, dass der Sprecher nicht über die Sprachkompetenz des Grafschafter Platt verfügt. Die Wirkung des Familienstandes auf den Sprachgebrauch sehen wir in obiger Ausführung, denken wir nur an die standardsprachliche Erziehung des Kindes oder an die gegenseitige sprachliche Anpassung der Ehepartner. Die Frage des Schulabschlusses und des Berufes wurden ebenfalls geklärt. Fest steht, dass mit einem höheren Bildungsniveau die Dialektalität des Sprachgebrauches sinkt, ebenfalls fest steht, dass die Weisungsbefugnis den Dialektgebrauch durch eine hohe Prestigestellung des Weisungsbefugten ebenfalls zurückdrängt. Der Zusammenhang zwischen der geistigen oder körperlichen Art der verrichteten Arbeit kann leicht eingesehen werden, denn eine körperliche Arbeit ist weniger standardorientiert, als die Geistige.

Die Sprachkompetenz wird durch Fragen zur eigenen sprachlichen Erziehung, zur standardsprachlichen und dialektalen Sprachkompetenz des Befragten und der Weitervererbung der Sprachvarietäten erörtert. Der Sprachgebrauch der Eltern und der Großeltern bestimmt die primäre sprachliche Entwicklung des Sprechers. Die Frage nach der eigentlichen Sprachkompetenz soll die aus der primären sprachlichen Erziehung des Sprechers resultierende Erwartung bestätigen oder widerlegen. Sollte die Erwartung widerlegt werden, können daraus weiterführende Schlussfolgerungen gezogen werden. Die sprachliche Erziehung der eigenen Kinder und Enkelkinder zeigt eine bestimmte Einstellung gegenüber dem Dialekt oder der Standardvarietät. Diese Einstellung bestimmt den Sprachgebrauch der jüngeren Generation und die eventuelle Fortbestehung des Dialekts.

Der Fragenkreis zum Sprachgebrauch enthält Fragen zu der situativen Sprachverwendung und der Anschauung des Befragten über den Dialekt. Die eventuelle Dialektverwendung kann aus der Ganzheit des Fragebogens erschlossen werden und hierbei dienen die Fragen zur Gesprächssituation als Hilfestellung. Aus diesem Grund wurden die Fragen stärker um die Anschauungsseite konzentriert, um eine weiterführende Tendenz zur Spracheinstellung aufzuzeigen. Die aus der Untersuchung resultierende Sprachsituation kann auf Grund dieser Tendenz erklärt werden.

5. Die Bestandsaufnahme

Die Bestandsaufnahme wurde mit insgesamt 24 Personen aufgenommen. Bei der Auswahl der Personen wurde darauf geachtet, dass die Befragten ohne Ausnahme im behandelten Gebiet wohnhaft sind. Weiterhin wurde darauf geachtet, dass die befragten Personen in Bezug Alter, Geschlecht, Schulabschluss, Beruf, Familienstand ein möglichst breites Sprecherspektrum abdecken. Die Bestandsaufnahme ergab, dass die Befragten in insgesamt drei Altersgruppen eingeteilt werden können. Die erste Gruppe wird von der Gruppe der zwischen den Jahren 1925 und 1945 geborenen Personen vertreten, bei dieser Gruppe ist anzunehmen, dass sie ihre Sprachgewohnheiten nicht mehr ändert, es kann ein konsolidierter Sprachgebrauch vorausgesetzt werden. Der zweiten Gruppen gehören die zwischen 1946 und 1970 geborenen Personen an, die Vertreter dieser Gruppe stehen noch fest im Berufsleben und obwohl ihr Sprachgebrauch bereits konsolidiert ist, kann ein gewisser äußerlicher Einfluss auf den Sprachgebrauch und der sprachliche Entwicklung dieser Personen vermutet werden. Die Personen der dritten Gruppe wurden zwischen den Jahren 1971 und 1985 geboren. Diese Personen erfahren noch Änderungen in ihrem Sprachgebrauch. Obwohl die sprachliche Entwicklung psychologisch bereits abgeschlossen ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Befragten dieser Gruppe über die am leichtesten veränderbaren Normen des Sprachgebrauchs verfügen. Die Altersklassen wurden im Interesse der leichteren Auswertung der Fragebögen in Gruppe 1: 1925-1945, Gruppe 2: 1946-1970 und Gruppe 3: 1971-1985 benannt.

In der Bestandsaufnahme wurden insgesamt 10 männliche und 14 weibliche Personen zu ihrem Sprachgebrauch befragt. Die am stärksten vertretene Altersgruppe ist die Gruppe 2 mit 12 Personen gegenüber der Gruppe 1 mit 7 und der Gruppe 2 mit 5 Personen. Die Verteilung der Geschlechter in den einzelnen Gruppen ergibt folgende Zahlen: 5 männl. und 2 weibl. Personen in der Gruppe 1; 5 männl. und 7 weibl. Personen in der Gruppe 2; 5 weibl. Personen in der Gruppe 3. Die Verteilung der Geschlechter zeigt, dass das in dem von der Gruppe 1 und 2 vertretenem Alter Frauen eine höhere Bereitschaft zeigen sich über ihren Sprachgebrauch zu äußern.

Bei der Betrachtung des Geburtsortes fällt auf, dass die Befragten mit der Ausnahme von 12,5 % alle am Niederrhein geboren wurden. Diese hohe Zahl sollte zumindest eine im Allgemeinen starke Dialektkompetenz bedeuten, aber in Bezug auf den Geburtsort der Eltern ergibt sich, dass die Eltern der Befragten kaum mehr als zu 50% aus dem behandelten Gebiet, also vom Niederrhein stammen. Bei der Frage zum Familienstand sagten 38% der Befragten aus verheiratet, 8% geschieden, 46% ledig und 8% verwitwet zu sein. Die Verteilung des Schulabschlusses ergibt, dass fast 80% der Befragten über die mittlere Reife (Hochschulzugangsberechtigung) verfügen oder zumindest diesen Abschluss anstreben bis nur 12,5% über einen Abschluss der Volksschule und 8,3% über einen Abschluss der Hauptschule verfügen. Bei dieser hoher Anzahl der Abschlüsse mittleren Grades scheint die Verteilung der Art der Arbeitsverrichtung überraschend, da nur 50% der Befragten angaben einer geistigen Tätigkeit nachzukommen, 17% der Befragten gaben an eine körperliche Arbeit zu verrichten und eine relativ hohe Zahl, nämlich 33% sagten aus eine sowohl körperliche als auch geistige Arbeit auszuführen.

Bei der Auswertung der Fragebögen wurde darauf geachtet, dass die Sprachkompetenz, der Sprachgebrauch und die Einstellung der Befragten zum Dialekt unter den wichtigsten, im theoretischen Teil benannten Faktoren untersucht werden. So wird der zweite Teil der Arbeit in drei Kapitel geteilt, die Kapitel werden in je 5 Abschnitte und je eine kurze Zusammenfassung eingeteilt, um die einzelnen Bereiche nach fünf Faktoren, nämlich Alter, Geschlecht, Schulabschluss, Beruf und Wohn- bzw. Geburtsort zu erörtern. Die berufliche Tätigkeit wurde in drei Kategorien (geistig, körperlich, geistig und körperlich) eingeteilt, um nicht die einzelnen Berufe untersuchen zu müssen. Bei der Untersuchung der Sprachkompetenz, des Sprachgebrauchs und der Einstellung zum Dialekt muss der direkte Zusammenhang zwischen diesen und der Schreiborientiertheit des Berufes und dem Wortschatz des Berufes gesehen werden. Bei dem Geburts- bzw. Wohnort wurden alle Ortschaften untersucht, ob sie im niederrheinischen Gebiet liegen.

Nach der Zusammenfassung der Ergebnisse wird eine mögliche Prognose zum Sprachgebrauch des behandelten Gebietes aufgestellt.

5.1. Sprachkompetenz

Im Folgenden soll die Dialektkompetenz der Befragten anhand der Fragebögen erörtert werden. Die Sprachkompetenz in Bezug auf die Standardvarietät bedarf keiner Erörterung, denn fast alle Befragten gaben an die Standardvarietät sehr gut oder gut zu beherrschen. Die Differenz zwischen der Beurteilung sehr gut und gut ergibt sich aus dem Bildungsniveau der Befragten. Die Befragten mit einem höheren Bildungsniveau gaben zur ihrer Standardkompetenz eine eher zurückgehaltene Antwort an. Dies deutet auf ein entwickeltes Sprachbewusstsein der Antwortgebenden an.

5.1.1. Dialektkompetenz und Alter

Die angegebenen Antworten ergeben, dass die Personen der Gruppe 1 über eine allgemein gute Dialektkompetenz verfügen. Keine der Befragten gab an überhaupt keine Dialektkompetenz zu haben und insgesamt geben nur 16,6% der Befragten an über eine schlechte Dialektkompetenz zu verfügen. Der Grund dafür mag daran liegen, die Generation der Gruppe 1 größtenteils noch zweisprachig, dh. im Dialekt und gleichzeitig in der Standardvarietät erzogen wurden, wobei der Schwerpunkt beim Dialekt gelegen sein mag. Wichtig zu wissen ist, dass das behandelte Gebiet noch heute überwiegend in der Landwirtschaft und in der Tierhaltung interessiert ist. Diese Tatsache kann den Dialektgebrauch und dadurch die Dialektkompetenz beeinflussen, da in den vorgenannten Bereichen der dialektale Wortschatz vielfältiger ausgestattet ist als die Standardvarietät.

Diejenigen, die eine schlechte Dialektkompetenz angegeben haben, sind nicht im behandelten Gebiet geboren worden und mussten sich das Grafschafter Platt als Zweitsprache nach dem Erlernen einer anderen Varietät aneignen.

Die am stärksten vertretene Gruppe 2 zeigt die größte Streuung der Dialektkompetenz. Diese Gruppe ist bereits zu der Zeit erwachsen worden, in der die allgemeine Tendenz bemerkbar wurde, die Kinder primärsprachlich in der Standardvarietät zu erziehen. Dies zeigt sich auch an den Zahlen, denn je 38,5% der befragten Personen gaben an über eine schlechte oder mittelmäßige Dialektkompetenz zu verfügen und nur 23% der Personen waren der Meinung das Grafschafter Platt sehr gut sprechen und verstehen zu können.

Die Gruppe der jüngsten Befragten gibt größtenteils an schlecht oder mittelmäßig den Dialekt zu beherrschen. Bemerkenswert ist jedoch, dass auch diese Gruppe, die am stärksten von ihrer standardsprachlichen Umwelt beeinflusst wird immer noch über eine zumindest minimale Dialektkompetenz verfügt. Diese Kompetenz bedeutet meistens die Kompetenz des Dialektverstehens.

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5.1.2. Dialektkompetenz und Geschlecht

Die Untersuchung der Dialektkompetenz in Bezug auf das Geschlecht ergab, dass alle Sprecher vom Geschlecht unabhängig über eine minimale Dialektkompetenz verfügen. Bei der Untersuchung der männlichen Befragten ergibt sich eine gleichmäßig verteilte Streuung zwischen den schlecht, mittelmäßig und sehr gut Dialekt Sprechenden und Verstehenden. So gaben je 30% der Befragten an schlecht oder mittelmäßig und 40% den grafschafter Dialekt sehr gut sprechen und verstehen zu können. Die Kompetenz der Befragten Frauen zeigt eine niedrigere Dialektkompetenz, hier geben immerhin 50% der Frauen an schlecht, 29% mittelmäßig und nur 21% sehr gut Dialekt sprechen und verstehen zu können.

Der Vergleich oben angegebener Daten lässt darauf deuten, dass Frauen in ihrer dialektalen Sprachkompetenz weniger entwickelt sind, als Männer. Dieser Fakt kann mehrere Erklärungen haben, vorerst möchte ich mich auf die Frage des Alters und des sozialen Geschlechts konzentrieren. Wir haben bereits gesehen, dass sich ein gradliniger Verlust der Dialektkompetenz zeigt. Es ist also klar zu erkennen, dass die jüngeren Generationen – siehe den Vergleich der Gruppen 1 bis 3 – immer weniger über die Kompetenz verfügen den Dialekt sprechen und verstehen zu können.

Hier tritt die gesellschaftliche Rolle der Frau ins Bild. Trotz einer hohen Emanzipiertheit der Frau unserer heutigen Gesellschaft kann immer noch die wichtige Rolle der Frau als Mutter angetroffen werden. Eben diese Rolle kann die sprachliche Erziehung von Mädchen prädestinieren, um später ihren eigenen Kindern die Sicherheit der Standardvarietät bieten zu können. Andererseits spielt die soeben genannte emanzipatorische Bewegung der Frauen eine ebenso wichtige Rolle in der sprachlichen Erziehung des Kindes; auch Frauen müssen sich im beruflichen Alltag behaupten und eine Voraussetzung hierfür ist die primäre sprachliche Erziehung der Mädchen in der Standardvarietät.

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5.1.3. Dialektkompetenz und Schulabschluss

Die Verteilung des Schulabschlusses zeigt in Hinsicht auf die Dialektkompetenz, dass der Kreis der Personen mit einer niedrigeren Schulausbildung eine höhere Dialektkompetenz hat, als Personen mit einem höheren Schulabschluss. Dieser Zusammenhang lässt die unmittelbare Verbindung zwischen der Dialektkompetenz und dem Schulabschluss erkennen. So gaben alle Personen mit einem Volksschulabschluss an über eine sehr gute Dialektkompetenz zu verfügen. Die Befragten mit einem Volksschulabschluss verfügen zu 66% über eine sehr gute und zu 33% über eine mittelmäßige Dialektkompetenz. Erwartungsgemäß gestaltet sich auch das Bild der Dialektkompetenz bei Personen mit einem mittlerem Schulabschluss, also Abitur oder Hochschulzugangsberechtigung. Die Untersuchung dieser Gruppe ergab, dass die Befragten zu 21% sehr gut, zu 31,6 mittelmäßig und zu 47,4% schlecht Dialekt sprechen und verstehen können. Eine höhere Schulbildung bedeutet also eine stärkere Hinwendung zum Standarddeutschen. Dies lässt sich durch eine längere Schulzeit, also eine längere Konfrontation mit dem Standarddeutschen und der Abwendung vom Dialekt erklären. Diese Tendenz wird sich wahrscheinlich auch in Bezug des Berufes bestätigen lassen.

Die tabellarische Zusammenstellung zeigt die prozentuale Verteilung aller Befragten in Bezug auf den Schulabschluss.

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5.1.4. Dialektkompetenz und Beruf

Die Auslegung der Ergebnisse zu diesem Punkt ergibt, dass die Befragten mit einem geistigen Beruf zu 66,6% eine schlechte und nur zu je 16,6% eine mittelmäßige und sehr gute Dialektkompetenz aufweisen. Personen mit einer körperlichen Beschäftigung hingegen sagten zu 100% aus über ein sehr gutes Dialektkönnen zu verfügen. Beschäftigte mit einem sowohl körperlichen als auch geistigen Beruf zeigen die größte Varianz in Bezug auf die Dialektkompetenz. Hier gaben nur 12,5% der Sprecher die Antwort das Grafschafter Platt schlecht sprechen oder verstehen zu können, 25% der Personen antworteten, dass sie über eine mittelmäßige Dialektkompetenz verfügen und 62,5% gaben an den Dialekt sehr gut zu beherrschen, diese Gruppe bildet einen Übergang in Bezug auf die Dialektkompetenz.

Wie bereits angedeutet besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau bzw. Art der verrichteten Arbeit und der Dialektkompetenz. Ein Beruf geistiger Art erfordert ein höheres Maß an Sprachverwendung. Diese Sprachverwendung orientiert sich an der deutschen Standardvarietät der BRD. Eine Voraussetzung für die Anstellung in einem geistigen Beruf – neben vielen anderen – ist die entsprechende Kompetenz der Standardvarietät. Sollte auf Grund der primären sprachlichen Erziehung die Dialektkompetenz nicht entwickelt worden sein, wird die Entwicklung dieser in einer langen Schulzeit nicht gefördert.

Die körperliche Art einer Arbeitsverrichtung drängt den Sprachgebrauch in den Hintergrund, der Sprachgebrauch begrenzt sich auf einen engeren, oft mit der unmittelbaren Arbeitsverrichtung verbundenen Wortschatz, welcher sich im behandelten Gebiet größtenteils aus dem dialektalen Wortschatz nährt.

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5.1.5. Dialektkompetenz und Geburtsort

In Bezug auf den Geburts- bzw. Wohnort muss klargestellt werden, dass die Bestandsaufnahme am Niederrhein durchgeführt wurde und die Befragten alle in diesem Gebiet wohnhaft sind.

Zwar wurde bei der geographischen Abgrenzung des Grafschafter Platt ein engeres Gebiet angegeben, als welches letztendlich untersucht wurde, aber der Geltungsbereich des niederfränkischen Dialekts erstreckt sich weit über dieses Gebiet, diese Tatsache mag die Ausweitung des untersuchten Gebietes rechtfertigen. Die südliche Grenze des niederfränkischen Raumes bildet die Benrather bzw. die Uerdinger Linie. Zwischen diesen beiden Isoglossen wird eine Art Misch-Mundart gesprochen in der das Niederfränkische und das Mittelfränkische beteiligt sind. Die nördliche Grenze des Niederfränkischen kann um Kleve angesetzt werden.

Der Wohnort ist natürlich ein bestimmender Faktor für alle zu behandelnden Bereiche, wie die Dialektkompetenz, der Dialektgebrauch und die Einstellung zum Dialekt, aber da alle Befragten im behandelten Gebiet wohnhaft sind, kann nur eine Differenzierung in der Größe der Ortschaften vorgenommen werden. Die bereits genannte Ausbreitung der Tendenz des städtischen Erziehungsmodells, in dem die Kinder in der Standardvarietät erzogen werden, lässt auch diesen Aspekt weniger wichtig erscheinen. Die Kenntnis des Geburtsortes der Befragten und derer Eltern ist hingegen zur Untersuchung der Dialektkompetenz unerlässlich. Da aber aus der Untersuchung ergeht, dass die Eltern der Befragten zu kaum mehr als 50% aus der besagten Gegend stammen und diese Tatsache die Dialektkompetenz nur mittelbar beeinflusst, wird auf die Erörterung des Geburtsortes der Eltern verzichtet.

Die Untersuchung des Geburtsortes der Sprecher ergab, dass lediglich 12,5% der Befragten nicht am Niederrhein geboren wurden. Diese Zahl steht jedoch nicht im Verhältnis zur Dialektkompetenz. Es lässt sich eine gleichmäßige Verteilung des Dialektkompetenzgrades erkennen, dh. also, dass der Geburtsort nicht als einziger Faktor die Dialektkompetenz bestimmt. So lässt sich ein in etwa vergleichbares Verhältnis zwischen der Dialektkompetenz derjenigen, die am Niederrhein geboren wurden und derjenigen die in anderen Gebieten Deutschlands geboren wurden erkennen. Die Befragten, die nicht am Niederrhein geboren wurden, gaben zu je 33,3% an über eine schlechte, mittelmäßige und eine sehr gute Dialektkompetenz zu verfügen, diese Verteilung lässt sich annähernd auch bei der Gruppe der am Niederrhein geborenen feststellen. Die Untersuchung ergab, dass 33,3% der Sprecher der letztgenannten Gruppe über ein sehr gutes, 28,6% über ein mittelmäßiges und 38,1% über ein schlechtes Dialektkönnen verfügen. Diese Feststellungen unterstützen die Annahme, dass der Geburtsort nicht als primäres Merkmal der Entwicklung der Dialektkompetenz gilt.

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5.1.6. Dialektkompetenz – Zusammenfassung

Wie aus den Ausführungen ersichtlich, müssen bei der Untersuchung der Dialektkompetenz mehrere Faktoren erörtert werden. Keine dieser Faktoren vermag die Dialektkompetenz einseitig zu bestimmen, jedoch müssen einige Faktoren hervorgehoben werden bis andere eine eher marginale Rolle spielen. So haben wir gesehen, dass das Alter eine direkte Einwirkung auf die Dialektkompetenz hat, dies soll aber nicht heißen, dass die Befragten der Gruppe 3 mit dem Voranschreiten ihres Alters eine höhere Dialektkompetenz erreichen werden, – wobei dies natürlich nicht ausgeschlossen werden kann – da die gradlinige Kompetenzverlust eindeutig festgestellt werden konnte.

Die Dialektkompetenz wird also bei den untersuchten Sprechern überwiegend durch das Geschlecht, den Schulabschluss und dem ausgeübten Beruf determiniert. Die untersuchte Rolle des Geschlechtes in Bezug auf die Dialektkompetenz scheint die theoretische Annahme, welche eine stärkere Dialektverwendung bei Männern voraussetzt zu unterstützen. Der Geburtsort und der Wohnort scheinen insofern noch eine bestimmende Rolle zu spielen, dass der Sprecher in der Phase seiner primären sprachlichen Erziehung zwar nicht von seinen Eltern, aber in seiner Umgebung, in seiner peer-group den Dialekt hört und sich diesen in einem gewissen Maß aneignet.

5.2. Dialektgebrauch

Der Dialektgebrauch ist derjenige Bereich, der am meisten durch die anderen zwei Bereiche, der Dialektkompetenz und der Einstellung beeinflusst wird. Die Rolle der Dialektkompetenz in Bezug auf den Dialektgebrauch ist unbestritten, fraglicher steht die Rolle der Einstellung. Es wurde bereits angedeutet, dass der Dialektgebrauch und die Einstellung miteinander korrelieren. Im Folgenden muss diese Wechselbeziehung erörtert werden.

Die Sprachwahl in dialektsprechenden Gebieten erfolgt meist soziosituativ, der Sprecher fällt eine der Sprachsituation angemessene Wahl der zu verwendenden Varietät. Hierbei denke ich nicht nur an eine momentane Entscheidung, denn z.B. die erziehende Mutter drängt in der Zeit der Kindererziehung den Dialektgebrauch zurück und kehrt dann nach dieser Lebensphase zum stärkeren Dialektgebrauch zurück.[30] Diese situative Sprachwahl kann anhand mehrerer Faktoren erfasst werden. Die Sprachwahl bzw. der Dialektgebrauch werden durch diese Faktoren bestimmt, so wird sich ein Gesamtbild des Dialektgebrauchs erst nach der Auslegung aller Faktoren ergeben.

Bei der Erörterung des Dialektgebrauches wurde die Ganzheit des Fragebogens unter die Lupe genommen, um ein Bild vom Sprachgebrauch der untersuchten Personen zu erhalten. Da sich in einigen Fällen bei der Erfragung des Dialektgebrauches Widersprüche ergaben, mussten auch Passagen des Fragebogens untersucht werden, bei denen die Befragten über den Sprachgebrauch der Eltern und Großeltern, also den Sprachgebrauch in der Familie eine Aussage getroffen haben, da vermutlich die befragte Person nicht aus der Kommunikation seiner Umgebung, seiner Familie ausgeschlossen wird. Diese Methode wurde dann bei der Auswertung aller Fragebögen angewendet, um die Objektivität zu bewahren. Da der Dialektgebrauch im Allgemeinen untersucht werden sollte, wurden auch ganz explizit situationsbedingte positive Antworten in Bezug auf den Dialektgebrauch als Antworten zu einer bestehenden Dialektverwendung gerechnet.

5.2.1. Der Dialektgebrauch und das Alter

In Hinblick auf das Alter kann auf Grund der Bestandsaufnahme festgestellt werden, dass bei der Gruppe 1 und der Gruppe 2 eine etwaige Gleichheit im Dialektgebrauch besteht. So sagten 66,6% der Befragten der Gruppe 1 und 69,3% der Gruppe 2 aus, den Dialekt in irgendeiner Form noch zu gebrauchen. Die Antwortenden der Gruppe 3 gaben jedoch die Antwort den Dialekt zu 60% nicht mehr zu verwenden. Die Tendenz des gradlinigen Dialektschwunds scheint hier bestätigt. Wenn die Ergebnisse der Untersuchung der Dialektkompetenz und Alter mit den Ergebnissen des Bereichs Dialektgebrauch und Alter verglichen werden, ergibt sich, dass die Gruppe 3 weder über eine hohe Kompetenz noch über einen dialektalen Sprachgebrauch verfügt.

Der höhere Dialektgebrauch der Gruppe 1 lässt sich dadurch erklären, dass in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg der Dialekt noch oft die Rolle der Alltagssprache einnahm[31] und obwohl sich diese Rolle geändert hat wird der Dialekt in familiären Situationen und engeren Freundeskreisen noch gebraucht. Die Auslegung des Dialektgebrauchs der Gruppe 2 muss an den der Gruppe 1 angeschlossen werden, da zwischen den beiden Generationen oft ein Eltern-Kind Verhältnis besteht. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Personen der Gruppe 2 den Dialekt durch ihre Eltern oder ihrer peer-group mitbekommen haben und zum Teil mit diesem Personenkreis das Platt noch heute gebrauchen. Da die Gruppe 2 bereits größtenteils primärsprachlich in der Standardvarietät erzogen wurde und sich die Rolle des Dialekts geändert hat, weiterhin diese Personen mit ihren Kindern kein Dialekt mehr gesprochen haben, erklärt warum die Gruppe 3 einen so niedrigen Dialektgebrauch angegeben hat. Ein Bestehen des Dialektgebrauches kann jedoch daraus resultieren, dass die Großeltern zum Teil noch den Dialekt verwenden und zur Kommunikation ein Mindestmaß an Dialektkompetenz- und Gebrauch erforderlich ist. Einen weiteren Grund könnte die Rolle des Dialekts als regionales Identitätssymbol bedeuten.

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5.2.2. Der Dialektgebrauch und das Geschlecht

Die geschlechtsspezifische Untersuchung des Dialektgebrauchs bestätigt die These, nach der Frauen weniger Dialekt gebrauchen als Männer. Diese Differenz kann in allen untersuchten Bereichen festgestellt werden. In dieser Untersuchung gaben 57,1% der Frauen und 70% der Männer an den Dialekt noch zu gebrauchen. Hier muss wieder auf die Rolle des sozialen Geschlechts und auf den Beruf der Befragten verwiesen werden. Männer kommen in einer größeren Zahl einer körperlichen Arbeit nach, dadurch ist deren Sprachgebrauch stärker dialektorientiert. Es zeigt sich jedoch, dass auch Frauen, die einen sog. männlichen Beruf ausüben eine stärkere Dialektorientierung haben. Die Rolle des sozialen Geschlechts ist in diesem Punkt mehr adäquat, als die des Berufes, hier sei auf die Kapitel Dialektkompetenz und Geschlecht, Einstellung und Geschlecht verwiesen, weil das da Thema ausführlich diskutiert wird.

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5.2.3. Dialektgebrauch und Schulabschluss

Bei der Untersuchung der Auswirkung des Schulabschlusses auf den Dialektgebrauch konnte ein der Dialektkompetenz gleichendes Ergebnis festgestellt werden. Personen mit einem niedrigeren Schulabschluss, also dem Volksschul- oder Hauptschulabschluss sagten zu 100% aus den Dialekt noch zu verwenden bis die Befragten mit einer mittleren Schulbildung nur noch zu 47,2% diese Antwort gaben. Es zeigt sich, dass eine längere Schulbildung auch den Sprachgebrauch in Richtung Standardorientierung lenkt. Bei diesem Ergebnis muss bemerkt werden, dass die Beteiligung der Personen mit mittlerer Reife am größten war und eine weitere Differenzierung in Hinsicht auf den Beruf erfolgen muss.

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5.2.4. Dialektgebrauch und Beruf

Bei der Betrachtung des Dialektgebrauchs zeigt sich ein ähnliches Bild, wie bei der Dialektkompetenz. Personen mit einem körperlichem Beruf gaben zu 100% an den Dialekt zu verwenden. Ein etwas niedrigeres Ergebnis zeigt sich bei geistig-körperlichen Berufen mit 75%. Der Dialekt wird am wenigsten von Personen mit einem geistigen Beruf gebraucht, nämlich nur noch zu 41,7%. Die Gründe ergeben sich, wie bei der Auslegung der Dialektkompetenz aus der sprachlichen bzw. standardsprachlichen Orientiertheit des Berufes. Geistige Berufe orientieren sich in ihrem Sprachgebrauch an der deutschen Standardvarietät, weil eine möglichst große kommunikative Reichweite erreicht werden muss. Körperliche Berufe grenzen ihren Sprachgebrauch meistens auf den Fachjargon ein. Handwerkliche, vor allem traditionelle Berufe nähren sich oft aus dem dialektalen Wortschatz.

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5.2.5. Dialektgebrauch und Geburtsort

Die Wichtigkeit des Geburtsortes im Sprachgebrauch zeigt sich eindeutig, da 61,1% der am Niederrhein Geborenen geantwortet haben den Dialekt zu verwenden bis nur 33,3% der Befragten der anderen Gruppe dieselbe Antwort gaben. Den Grund dafür sehen wir bei der Dialektkompetenz. Zwar ist die Verteilung der Dialektkompetenz gleichmäßig, es kann jedoch ausgesagt werden, dass die Kategorien schlecht und mittelmäßig 66,6% der Sprecher ausmachen. Die Wirkung der schlechten Dialektkompetenz ist auf jeden Fall in Bezug auf den Dialektgebrauch zu erkennen.

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5.2.6. Dialektgebrauch – Zusammenfassung

Wie aus der Auslegung der einzelnen Faktoren ersichtlich ist, wird der Dialektgebrauch primär durch die Dialektkompetenz des Sprechers bestimmt. Sollte der Sprecher über eine mittelmäßige oder sehr gute Kompetenz verfügen, ist die Wahrscheinlichkeit des Dialektgebrauches höher als bei Personen, die nur eine schlechte Dialektkompetenz haben. Nach der Dialektkompetenz folgen die Faktoren Alter, Geschlecht, die Schulbildung in Verbindung mit dem ausgeübten Beruf.

In Bezug Alter kann ausgesagt werden, dass die jüngste Generation in ihrer Sprachverwendung mit einigen Ausnahmen sich nur noch an der Standardvarietät orientiert. Der Faktor Geschlecht zeigt den stärkeren Dialektgebrauch der Männer, wobei sich auch in diesem Bezug vermuten lässt, dass die jüngste Altersklasse geschlechtsunabhängig weniger Dialekt verwendet.

Die Art der beruflichen Tätigkeit und die erreichte Schulbildung haben einen starken Einfluss auf den Dialektgebrauch, auch wenn dir befragte Person über eine mittelmäßige oder gute Dialektkompetenz verfügt zeigt sich bei einer höheren Schulbildung bzw. einer geistigen Tätigkeit der Dialektgebrauch gering.

5.3. Die Einstellung zum Dialekt

Die Untersuchung der Einstellung zum Dialekt ist bei der Darlegung des heutigen Dialektgebrauchs von großer Wichtigkeit. Der Dialektgebrauch wird am stärksten durch die Dialektkompetenz und der Einstellung determiniert, selbstverständlich spielen auch andere Faktoren eine Rolle, jedoch haben sich bei der Auswertung der Bestandsaufnahme die eben genannten Faktoren als die wichtigsten erwiesen.

Die Einstellung der Sprecher zum Dialekt wurde insbesondere auf Grund der Fragen III. 2. / 3. und natürlich der Ganzheit des Fragenbogens festgestellt. Bei der Auswertung wurden zwei Kategorien gebildet, die Kategorie der positiven und der negativen Einstellung. Bei der Beurteilung der Antworten wurden folgende Gegensatzpaare der Frage III. 3. kategorisiert[32]:

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Natürlich können die Attribute im Einzelnen nicht eindeutig als positiv oder negativ eingeordnet werden, jedoch ergibt sich dem Untersuchenden zusammen mit dem Ganzen eines ausgefüllten Fragebogens ein Bild über die positive oder negative Einstellung des Befragten. Vor der Untersuchung der einzelnen Faktoren muss vorausgeschickt werden dass 86,4% der Befragten aussagten eine überwiegend positive Einstellung zum Dialekt zu haben und nur bei 13,6% eine negative Einstellung festgestellt werden konnte.

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5.3.1. Einstellung und Alter

In Bezug auf das Alter kann eine fast gleiche Einstellung aller Befragten aufgezeigt werden. Die Befragten der Gruppe 1 waren zu 66,6% gegenüber 33,3% einer positiven Meinung gegenüber dem Dialekt. Die Gruppe 2, deren Beteiligung an der Bestandsaufnahme am größten ist sagte zu 86,6% gegenüber 15,4% aus, eine positive Einstellung zu haben. Die Gruppe 3, also die Gruppe der jüngsten Befragten zeugte auch von einer überwiegend positiven Einstellung mit 80% zu 20%. Dieses Ergebnis scheint ein wenig überraschend, da auf Grund der dargestellten Dialektkompetenz und Dialektverwendung auch die Einstellung ein negativeres Ergebnis hätte ergeben können. Das relativ tiefe Ergebnis der positiven Einstellung der Gruppe 1 resultiert wahrscheinlich aus der hohen Prestigestellung der Standardvarietät um die Jahrhundertwende.

Die Einstellung der einzelnen Gruppen lässt sich eventuell durch ihren Sprachgebrauch erklären. Obwohl die Einstellung aller Gruppen als positiv bewertet werden kann, muss die Differenz zwischen den einzelnen Gruppen gesehen werden. Die Zuteilung der Attribute scheint auf Grund der Fragebögen in der Gruppe 1 weniger bewusst, als in den anderen zwei Gruppen. Die Befragten der Gruppe 1 haben im Allgemeinen weniger Attribute dem Dialekt gegenüber benannt, dh. dass die Einstellung zum Dialekt nicht bewusst ist und primär durch den Sprachgebrauch bestimmt wird, bis bei der Gruppe 1 und 2 der Sprachgebrauch nicht mehr bedeutend ist und diese Gruppen eine eher bewusste Einstellung zum Dialekt haben.

5.3.2. Einstellung und Geschlecht

Die Untersuchung der Einstellung in Bezug auf das Geschlecht ergibt ein ähnliches Bild wie das der Dialektkompetenz und des Dialektgebrauchs. Die männlichen Befragten zeigen in diesem Punkt eine 100%-ig positive Einstellung, bis die weiblichen Personen nur zu 71,4% eine positive Einstellung angaben. 28,6% der befragten Frauen zeigten eine negative Einstellung.

Dieses Ergebnis korreliert mit dem Ergebnis der Dialektkompetenz und dem Dialektgebrauch der Frauen. Auch hier muss die gesellschaftliche Rolle der Frau, also das soziale Geschlecht erwähnt werden. Frauen haben bereits im Verhältnis zu Männern in den zwei vorgehenden Kapiteln eine niedrigere Dialektorientierung gezeigt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5.3.3. Einstellung und Schulabschluss

Der Faktor Schulabschluss hat sich bereits in den Kapiteln Sprachkompetenz und Dialektgebrauch als ausschlaggebend erwiesen. Die Antworten zeigen eine Erhöhung der negativen Einstellung in der Gruppe der Personen, die über die mittlere Reife verfügen. Personen mit einem Hauptschulabschluss zeigen zu 100% eine positive Einstellung, die Befragten mit Volksschulabschluss gaben zu 66,6% gegenüber 33,3% eine positive Antwort in Hinsicht auf die Einstellung. Die Personen mit Abitur bzw. der mittleren Reife sind in ihrer Einstellung zu 78,9% positiv gegenüber dem Dialekt eingestellt.

Obwohl in Punkt 5.1.3. der Schulabschluss im umgekehrten Verhältnis mit der Dialektkompetenz stand, dh. ein höherer Schulabschluss im Allgemeinen zu einer niedrigeren Dialektkompetenz führte muss hier erkannt werden, dass das prozentuale Verhältnis zwischen den einzelnen Abschlüssen ein übereinstimmendes Ergebnis zeigt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5.3.4. Einstellung und Beruf

Die Untersuchung des Schulabschlusses in Bezug auf die Einstellung ergab, dass der Schulabschluss keine stark prägende Wirkung auf die Einstellung hat. Auf Grund der Ergebnisse in den vorgehenden Punkten, in dem der Schulabschluss mit dem Beruf eine Kongruenz zeigte wäre hier ein ähnliches Resultat zu erwarten. Die Ergebnisse zeigen aber, dass die zwei Gruppen der körperlich und der körperlich-geistig Arbeitenden zu je 100% eine positive Einstellung zeigen bis die geistig Beschäftigten nur zu 58,3% aussagten eine positive Einstellung zum Dialekt zu haben. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich darin, dass viele Befragte mit einem mittleren Schulabschluss eine körperliche oder körperlich-geistige Arbeit verrichten und der Sprachgebrauch in diesen Anstellungen stärker dialektorientiert ist.

Der Dialekt ist in manchen Bereichen mit einem reicheren Wortschatz ausgestattet als die deutsche Standardvarietät. Da vorgenannte Personen durch den Dialekt über ein zum Teil ausreichendes Mittel der Kommunikation verfügen, ergibt sich auch ihre Einstellung erwartungsgemäß positiv. Personen mit einem geistigen Beruf hingegen werden mit dem eingeschränkten Wortschatz des Dialekts konfrontiert, da sich der Wortschatz der Dialekte oft aus handwerklichem Wortschatz nährt[33]. Der Fragebogen bietet eine Passage zur Unterstützung dieser Annahme.

Auf die Frage III.2.

„Glauben Sie, dass es Themen gibt, über die man Plattdeutsch nicht reden kann? Wenn ja, warum? Welche?“

wurden unter anderen folgende Antworten gegeben:

Beruf: Tischler

Mann kann über alles „Platt“ sprechen.

Beruf: Landwirt

Alle Themen sind möglich.

Beruf: Abiturient

Informatik > ich denke, dass es gerade in diesem Bereich zu viele „neue“ Begriffe gibt, die im Plattdeutschen nicht existieren.

Beruf: Abiturient

Ich denke, dass Menschen, die Plattdeutsch sprechen, über fast alle Themengebiete reden können. Informatik und technische Bereiche jedoch befinden sich mittlerweile auf einem anderen Sprachstandard (viele Fremdwörter, besonders englische), sodass „gehobene“ Konversation nicht unbedingt möglich ist.

Folgende Tabelle stellt die prozentuale Verteilung der am öftesten genannten Antworten aller Befragten dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es zeigt sich, dass Personen mit einer geistigen Betätigung die fehlende kommunikative Reichweite des Dialekts erkannt haben und dieser Fakt ihre Einstellung – auch wenn unbewusst – beeinflusst hat.

5.3.5. Einstellung und Geburtsort

Der Zusammenhang zwischen der Einstellung und dem Geburtsort scheint sich – anders als bei der Sprachkompetenz und dem Dialektgebrauch – in dieser Frage als ein bedeutender Faktor herauszustellen. Wir haben gesehen, dass die Rolle des Geburtsortes keine besonders prägende Rolle bei der Entwicklung der Dialektkompetenz ergab. Die Einstellung scheint jedoch stärker durch diesen Faktor beeinflusst, denn die am Niederrhein geborenen Personen zeigen eine bedeutend positivere Einstellung zum Dialekt, als diejenigen, die nicht im behandelten Gebiet geboren wurden. Dieses Ergebnis kann eventuell durch ein verstärktes Identitätsbewusstsein der Befragten erklärt werden. Als ein nächster Grund kann die Tatsache gelten, dass die im behandelten Gebiet Geborenen, trotz einer langen Schulzeit oder einer standardsprachlichen Erziehung durch ihre sozialen Kontakte stärker und länger mit dem grafschafter Dialekt konfrontiert wurden.

5.3.6. Einstellung – Zusammenfassung

Die Einstellung scheint am stärksten durch die berufliche Tätigkeit und durch das Geschlecht beeinflusst. Das heißt, dass der Sprachgebrauch in Korrelation mit der Einstellung steht, demzufolge wird nicht nur der Dialektgebrauch durch die Einstellung beeinflusst sondern auch umgekehrt, dies lässt sich sowohl in Bezug auf das Geschlecht als auch auf den Beruf festmachen. Bemerkenswert ist, dass folgende Attribute des Dialektes am meisten für sehr zutreffend markiert wurden. Dies mag das erstellte Bild von der Einstellung unterstützen.

Als positiv gewertete Attribute: vollwertig, notwendig, familiär, brauchbar, wortreich, ausdrucksvoll

Negative Attribute: überflüssig, schlicht

Gegenüber den zahlreichen positiven Charakteristika werden nur die Überflüssigkeit und die Schlichtheit als Negativum genannt, diese beiden betreffen aber gerade die kommunikative Reichweite des Dialekts. Da der Dialekt, vor allem der Ortsdialekt weder räumlich noch thematische eine große kommunikative Reichweite abdeckt kann ohne Zweifel ausgesagt werden, dass eine negative Einstellung primär durch die kommunikative Begrenztheit des Dialektes entsteht.

6. Zusammenfassung

In der Einleitung haben wir gesehen, dass der Dialekt in Deutschland keine allein stehende Varietät ist, sondern immer in Verbindung mit der Standardvarietät betrachtet werden muss. Der Dialektgebrauch in Deutschland und speziell in Norddeutschland zeigt eine rückgehende Tendenz, in der die Varietäten zwischen dem Dialekt und der Standardvarietät in den Vordergrund kommen. Diese Zwischenvarietäten, Regiolekte oder der Substandard erfahren einen ständigen Ausgleich mit der Standardvarietät. Die Sprachwahl hierbei erfolgt auf sozio-situativer Basis, wobei die niederdeutsche Sprachsituation, in der die Standardvarietät die allgemeine führende Rolle übernommen hat, den Dialekt nicht mehr als Umgangssprache akzeptiert. Das Plattdeutsche wird von ganz bestimmten Personenkreisen und nur in persönlichen, informellen Situationen gesprochen. Im gesprochenen Deutsch Norddeutschlands können dialektale Elemente angetroffen werden, diese begrenzen sich jedoch meistens auf die phonetische bzw. in einigen Fällen auf die lexikalische Ebene. Als Gegenbeispiel hierzu könnte die Sprachsituation in Süddeutschland genannt werden. Der Sprachgebrauch im Süden lässt sich vor allem in kleinen Ortschaften durch eine ausgeprägte Dialektverwendung charakterisieren. Hier hat der Ortsdialekt bzw. der Regiolekt noch seine Rolle als Umgangssprache erhalten. Der Grund dafür liegt – wie in der Arbeit ausgeführt – in der sprachgeschichtlichen Entwicklung des deutschen Sprachgebietes, vor allem Deutschlands.

Die Modernisierungstendenz der Gesellschaft hat auch die Sprache und die sprachliche Entwicklung in Deutschland betroffen. So überlagerte die Standardsprache mit ihrer überregionalen Reichweite die Dialekte, die der Herausforderung Überregionalität nicht gewachsen waren. Die fehlende kommunikative Reichweite war für den Dialekt nicht die einzige Hürde. Die Standardvarietät kann polyfunktional eingesetzt werden, dh. sie kann für alle sozialen Schichten und alle Themenbereiche als Mittel der Kommunikation dienen. Der Dialekt hingegen ist in seinem Wortschatz und in seiner Grammatik begrenzt, begrenzt entwicklungsfähig, also nur für bestimmte soziale Kreise und für bestimmte Berufsgruppen verwendbar. Dies ist vor allen im niederdeutschen Sprachraum der Fall.

Obwohl die Tendenz ein Zurückdrängen des Dialekts zeigt, begegnet man immer wieder dem Plattdeutschen, sei es im Rundfunk, im Fernsehen oder bei Unterhaltungen im Freundeskreis. Dieses Phänomen lässt sich mit der Attitüde gegenüber dem Dialekt in Norddeutschland erklären. Wie auch aus der Untersuchung ersichtlich kann die Einstellung zum Dialekt im Allgemeinen als positiv bezeichnet werden. Die benannten positiven Attribute weisen darauf hin, dass der Dialekt von den Sprechern als eine familiäre und ausdrucksvolle Varietät angesehen wird. Diese positive Attitüde der Sprecher, also die Distanz aufhebende, vertrauliche Rolle des Dialekts wird oftmals verwendet, um für Produkte oder auch Personen zu werben. Diese Art Sprachverwendung kann natürlich nicht als umgangssprachlicher Dialektgebrauch bezeichnet werden. Eine nächste Möglichkeit des Dialektgebrauchs ist der Dialektgebrauch aus Gründen der Identitätsbekundung und der Heimatliebe. Diese Sprachverwendung ist aber wieder in der Anzahl der Sprecher begrenzt, kann demgemäß die umgangssprachliche Rolle des Dialekts nicht untermauern.

In der Untersuchung haben wir gesehen, dass der Dialektgebrauch durch mehrere Faktoren bestimmt wird. Als wichtigsten Punkt möchte ich die sozial bedingte Sprachwahl erwähnen. Die Untersuchung ergab, dass der Dialekt vor allem von Personen mit niedriger Bildung und vor allem von körperlich Arbeitenden gesprochen wird.

Das Alter spielt insofern eine Rolle, als die älteren Personen in der heutigen Sprachsituation noch über eine höhere Dialektkompetenz verfügen und den Dialekt auch öfter gebrauchen. Da aber die Dialektkompetenz von den Generationen nicht an die nächste Generation weitergegeben wird bzw. weitergegeben wurde, kann davon ausgegangen werden, dass der Faktor Alter bei einer später erfolgenden Bestandsaufnahme keine bedeutende Rolle mehr spielen wird. Die Untersuchung des Geschlechts spielt ebenfalls in der heutigen Sprachsituation eine wichtige Rolle, jedoch wird auch dieser Faktor voraussichtlich seine Bedeutung verlieren, wenn der Dialekt nicht seinen umgangssprachlichen Status zumindest teils zurückgewinnt. Diese Aussagen können aus der Modernisierungstendenz der Kommunikation erschlossen werden, da auch diejenigen Berufe, die den Dialekt zurzeit noch als Fachjargon gebrauchen zur Standardvarietät übertreten werden, weil diese eine höhere Kommunikationsreichweite hat. Die persönlichen und informellen Situationen, in denen der Dialekt noch gebraucht wird, werden mit dem Erwachsenwerden der jüngsten Sprechergeneration auch die Standardvarietät übernehmen müssen, weil die primäre sprachliche Erziehung – wie auch aus der Untersuchung ersichtlich - erfolgt bereits seit zumindest einer Generation in der Standardvarietät. In der heutigen Zeit zeigt sich die Tendenz der standardsprachlichen Konversation mit den eigenen Kindern am stärksten.[34]

Die Daten der Bestandsaufnahme stimmen mit den Daten der einschlägigen Fachliteratur überein, und lassen auf einen Dialektschwund zumindest niederdeutscher Gebiete schließen. Da aber die positive Einstellung zum Dialekt und eine Mindestkompetenz des Dialekts immer noch aufgezeigt werden können wäre es zu früh die Zukunft des Dialekts als aussichtslos zu betrachten. Die schulische Bildung könnte meines Erachtens dem Aufleben des Dialektgebrauchs eine unterstützende Position gewähren, in dem den Lernenden in der Phase seiner sekundären sprachlichen Erziehung die Grundzüge seines Heimatdialekts und Heimatkunde gelehrt werden. Dies könnte auch das Problem der sozialen Stigmatisierung des Dialektgebrauchs in eine positive Richtung lenken.

7. Literaturverzeichnis

- Grafschafter Mundartlexikon – Knüfermann, Arnold; Köln 1993
- Über die Mundart von Homberg-Niederrhein – Dr. phil. Meynen, Paul; Moers 1911
- Das Grafschafter Platt – Honnen, Peter, in: Jahrbuch 1987/88, Beiträge zur Heimat- und Kulturpflege, Hrsg: Freundeskreis lebendige Grafschaft e.V.
- Die Sprachgrenze in Kaldenhausen – Billen, Heinz, in: Jahrbuch 1987/88, Beiträge zur Heimat- und Kulturpflege, Hrsg: Freundeskreis lebendige Grafschaft e.V.
- „Dialektverfall“ und „Mundartrenaissance“ in Westniederdeutschland und im Osten der Niederlande – Gossens, Jan; in: Varietäten des Deutschen, Hrsg. Gerhard Stickel, Walter de Gruyter, New York – Berlin 1997 in: Jahrbuch 1996 des Instituts für deutsche Sprache
- Einteilung der deutschen Dialekte, in: HSK Dialektologie, Band 1, S. 820-859
- Geschichte der niederdeutschen Mundarten – Foerste, William, in: Deutsche Philologie im Aufriss, Berlin 1966
- Soziokulturelle Voraussetzungen und Sprachraum des Mittelniederdeutschen – Peters, Robert, in: HSK Sprachgeschichte, Bd. 2.2
- Die Rolle der Hanse und Lübecks für die mittelniederdeutsche Sprachgeschichte – Peters, Robert, in: HSK Sprachgeschichte, Bd. 2.2
- Die mittelniederdeutsche Kanzleisprache und die Rolle des Buchdruckes in der mittelniederdeutschen Sprachgeschichte - Marita Gesenhoff / Margarete Reck, in: HSK Sprachgeschichte, Bd. 2.2
- Phonetik und Phonologie, Graphetik und Graphemik des Mittelniederdeutschen – Niebaum, Hermann, in: HSK Sprachgeschichte, Bd. 2.2
- Schriftsprache und Dialekte im Deutschen - Socin, Adolf, Heilbronn 1888
- Über die Lautverschiebung und das Verhältnis des Hochdeutschen zum Niederdeutschen – Devantier, Franz, Berlin 1881
- Abriss der Geschichte der deutschen Sprache – Joachim Schildt, Berlin 1976
- Die germanischen Sprachen, Ihre Geschichte in Grundzügen – Hutterer, Claus Jürgen, Wiesbaden 1999
- Geschichte der deutschen Sprache – Behagel, Otto, Strassburg 1911[3]
- Die Chronik des Johann Wassenberch – Ahrend Mihm, Hrsg, Duisburg 1981
- Geschichte der deutschen Sprache – Bach, Adolf, Heidelberg 1961
- Dialekt und Standardsprache. Über das Varietätensystem des Deutschen in der Bundesrepublik – Klaus J. Mattheier in: Dialektologie des Deutschen, Hrsg. Klaus Mattheier / Peter Wiesinger, Tübingen 1994
- Varietätenzensus – Klaus J. Mattheier in: Dialektologie des Deutschen, Hrsg. Klaus Mattheier / Peter Wiesinger, Tübingen 1994
- Niederfränkisch-niederrheinische Grammatik – Kurt-Wilhelm Graf Laufs, Mönchengladbach 1995
- Pragmatik und Soziologie der Dialekte – Klaus Mattheier, Heidelberg 1980, in: Reihe Uni Taschenbücher Nr. 994
- Sprachliche Varietäten - Gestern und Heute – Peter Wiesinger, in: Varietäten des Deutschen, Jahrbuch des Instituts für deutsche Sprache 1996, Berlin 1997
- Maikirschen – Specht, Katharine; Köln 1991

[...]


[1] Elmentaler (2001), Meynen (1919), Honnen-Langensiepen-Cornelissen (1989), Graf Laufs (1995)

[2] Mattheier: Varietätenzensus, S. 414

[3] Mattheier: Varietätenzensus, S. 416 f.

[4] ebd.

[5] siehe Anlage Nr. 1-3

[6] Elmentaler (1995), S 120.

[7] Knüfermann (1993), S. 20.

[8] Meynen (1911)

[9] Bach (1961), S. 142.

[10] Peters in: HSK Sprachgeschichte, S. 1211

[11] Bach (1961), S. 144.

[12] ebd.

[13] Bach (1961), S. 152.

[14] Foerste, (1966), S. 1781. f.

[15] Die Chronik des Johann Wassenberch, S.13.

[16] Die Chronik des Johann Wassenberch, S. 16.

[17] Foerste – S. 1787.

[18] Ebd. S. 1788.

[19] Bach (1961) S. 215.

[20] Wiesinger (1997), S. 17.

[21] Ebd.

[22] Wiesinger (1997), S. 19. ff.

[23] Mattheier: Varietätenzensus, S. 424 f.

[24] Mattheier 1980, S. 34.

[25] Diese Tendenzen werden im Späteren in Bezug auf das Ergebnis der Bestandsaufnahme überdacht.

[26] Der Bildungsgrad spielt zwar eine bedeutende Rolle, doch die Erwerbstätigkeit gibt dem Sprecher einen erweiterten Bewegungsraum und so den erhöhten Zwang sich sprachlich seiner Umgebung anzupassen.

[27] Mattheier (1980), S. 31.

[28] Ebd., S. 46.

[29] Vor Mitte des 20. Jahrhunderts war es nur in städtischen Gegenden üblich die Kinder in der Standardvarietät primärsprachlich zu erziehen. – siehe Mattheier (1980), S. 31. f.

[30] Mattheier (1980), S. 53.

[31] Wiesinger (1997), S. 16.

[32] Siehe Fragebogen im Anhang, Anlage Nr. 4. Die Tabelle wurde im Interesse einer besseren Übersicht der Arbeit umgeordnet, die Wahlmöglichkeiten entsprechen aber dem originalen Fragebogen.

[33] Wiesinger (1997), S. 24.

[34] Mattheier: Varietätenzensus, S. 423.

Ende der Leseprobe aus 53 Seiten

Details

Titel
Der Sprachgebrauch im Gebiet des Grafschafter Platt
Veranstaltung
Diplomarbeit
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
53
Katalognummer
V107535
ISBN (eBook)
9783640057948
Dateigröße
630 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ohne Anhang!
Schlagworte
Sprachgebrauch, Gebiet, Grafschafter, Platt, Diplomarbeit
Arbeit zitieren
Gergely Takács (Autor:in), 2003, Der Sprachgebrauch im Gebiet des Grafschafter Platt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107535

Kommentare

  • Gast am 5.9.2008

    RE: Niederfränkisch-Niederrheinische Grammatik für das Land an Rhein und Maas.

    Sehr geehrter Herr Laufs,

    ich möchte mich auch bei Ihnen bedanken, dass Sie meine Arbeit gelesen haben. Wie Sie sicherlich gemerkt haben, habe ich auch Ihr Werk in der Bibliografie angegeben.
    Des Weiteren möchte ich mich für Ihre Ratschlaege bedanken, welche eventuelle zukünftige Untersuchungen betreffen. Da ich jedoch seit der Erstellung meiner Diplomarbeit keine Möglichkeit hatte in diesem Fachgebiet weiterhin taetig zu sein, muss ich leider davon ausgehen, dass ich keine weitere linguistischen Untersuchungen unternehmen werde. Trotz dieser Tatsache danke ich Ihnen für die Ratschlaege.
    MfG:
    Gergely Takacs
    4.9.2008

  • Gast am 14.3.2008

    Niederfränkisch-Niederrheinische Grammatik für das Land an Rhein und Maas.

    Sehr geehrter Herr Takacs,

    sehr überzeugend, auch die statistischen Ergebnisse Ihrer Diplom-Arbeit.
    Meiner Erfahrung an Hunderten gezielt angesprochenen einer kleinen Umfrage in den 1990ern mit Fragestellung im Dialekt "spreken se hier noch Platt", erhält man von ca. 80% die Antwort "ja" und ca. 30% anworten auch auf Platt, in ländlichen Gegenden mehr, wo Bergarbeiter und viele Zugereiste sind, weniger, wobei oftmals Gastarbeiterfamilien besser Platt sprechen als Einheimische.
    Für Ihren methodischen Ansatz bei künftigen Untersuchungen würde ich Ihnen eine elaborierte Konfigurations-Frequenbz-Analyse mit Prozent-Chi-Quadrat und Apaltenhalbierung vorschlagen, so dass Sie in den informationstheoretischen Richtungen "ja" (+) und "nein" (-) bei 16 faktoriellen Kombinationsmöglichkeiten (Typen) mit 4 "Dimensionen" (die 4. als hyper-räumliche Dimension") vier-konfigurativ arbeiten könnten und die Prozente aus gefundenen Konfigurations-Clustern wie die Spalten-Prozente interkorrelieren könnten. Ich bitte, leichte Fehler in meiner Grammatik übersehen haben zu wollen, die mir erst nach Drucklegung aufgefallen waren.

    Mit freundlichen Grüssen,

    Laufs, K.W., (c) 14.3.2008

  • Gast am 13.2.2008

    Re: Lob und Kritik.

    Sehr geehrter Herr Dr. Wolfgang Müskens,

    Erstens möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich die Mühe genommen haben meine Arbeit zu bewerten.
    Da ich seit Jahren nicht mehr die Seite diplomarbeiten.de besucht habe, habe ich Ihr Kommentar erst jetzt, im Jahr 2008 bemerkt. Tut mir leid...
    Um auf Ihre Frage zu antworten:
    2. es steht auch in der Arbeit, dass ich einige Jahre in diesem Gebiet gelebt und diese Mundart in mein Herz geschlossen habe.
    1. Der Fragebogen konnte leider nicht an eine größere Menge von Probanden ausgeteilt werden, da ich zur Zeit der Erstellung der Arbeit keine Möglichkeit hatte nach Deutschland zu fahren. Aus diesem Grunde haben einige Bekannte für mich die Fragebögen ausgeteilt und diese wieder nach Ungarn zurückgeschickt.
    Sie haben natürlich recht, die Verallgemeinerungen können nicht als zuverlaessig betrachtet werden. Aber auch so hat die Untersuchung meine These bestaetigt, da ich ja bereits eine Vorahnung und Erfahrung mit dem Sprachgebrauch hatte.

    Mfg:
    Gergely Takacs

  • Gast am 4.11.2003

    Lob und Kritik.

    Ein methodisch sehr gut konzipierte Arbeit! Doch warum eine so kleine Stichprobe, die ja kaum zuverlässige Verallgemeinerungen erlaubt? Wäre es nicht möglich (gewesen), den Fragebogen an 50-100 weitere Probanden auszugeben?
    Was mich interessieren würde: Wie kommt ein Absolvent der Uni Budapest auf die Idee, sich mit dem Grafschafter Platt zu beschäftigen?

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Titel: Der Sprachgebrauch im Gebiet des Grafschafter Platt



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