Haus und Staat bei Aristoteles - ein Vergleich


Seminararbeit, 2002

12 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1 Einführung

2 Begriffsbestimmungen

3 Die Hausverwaltung (oikos)
3.1 Zusammensetzung
3.2 Aufgaben und Ziele
3.3 Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse
3.4 Die Tugenden im oiko
3.5 Das Dorf

4 Der Staat (polis)
4.1 Zusammensetzung
4.2 Aufgaben und Ziele
4.3 Herrschaftsverhältnisse
4.4 Notwendige Tugenden

5 Fazit

6 Literaturverzeichni

1 Einführung

„ Diejenigen nun, die meinen, der Staatsmann, der k ö nigliche Machthaber, der Hausver- walter und der Herr seien ein und dasselbe, ä u ß ern sich nicht richtig. Sie sind n ä mlich der Auffassung, nur in der Menge [...] erg ä be sich jeweils der Unterschied, nicht jedoch in der Art dieser Leute; [...] so unterscheide sich ein gro ß es Haus und ein kleiner Staat in nichts. “ 1

Diese Aussage vom Beginn des ersten Buches von Aristoteles’ Politik macht bereits deutlich, dass ein wesentliches und oft genanntes Unterscheidungsmerkmal zwischen der platonischen und der aristotelischen Staatsauffassung die Art der Differenzierung zwischen polis (Staat) und oikos (Haushalt) ist. In dieser Arbeit werde ich mich mit den Ansichten des Aristoteles auseinandersetzen, um so einen Grundstein für eine eventuell darauf aufbauende Diskussion zu legen. Die Diskussion selbst, d.h. der eigentliche Vergleich der beiden verschiedenen Ansätze, soll jedoch nicht Thema dieser Arbeit sein, da dies eine tiefgreifendere Auseinandersetzung mit dem Thema verlangen würde, als dies hier möglich wäre.

Der Logik der Aufgabenstellung folgend, stützt sich diese Arbeit auf zwei wesentliche Pfeiler. Der erste beschäftigt sich mit dem Wesen der Hausverwaltung, insbesondere ihren Aufgaben und Zielen, ihrer Zusammensetzung, den verschiedenen Herrschaftsverhältnissen unter den Mitgliedern, deren Stellungen und Abhängigkeitsverhältnissen, sowie ihren Tugenden. Im zweiten Teil werde ich analog diesem Schema die wichtigsten Wesensmerkmale des aristotelischen Staates herausarbeiten. In meinem Fazit, welches ich gleichzeitig auch als zusammenfassende Gegenüberstellung verstanden wissen möchte, sollen die wesentlichsten Unterscheidungspunkte noch einmal klargestellt werden.

2 Begriffsbestimmungen

Zum besseren Verständnis der Arbeit werde ich an dieser Stelle einige besonders relevante Begriffe näher erläutern, welche, in der Reihenfolge ihrer Erläuterung, später im Text erneut auftauchen werden.

Oikos - Unter dem oikos verstand man im antiken Griechenland die häusliche Gemeinschaft, also den Zusammenschluss von Menschen unter einem gemeinsamen Dach. In der deutschen Übersetzung finden sich auch die Vokabeln Haus, Haushalt oder Hausverwaltung.

Tugend (griech.: arete) - Nach heute verbreiteter Auffassung ist die Tugend: „ das best ä ndige Bestreben, das eigene Handeln auf das Sittlich-Gute auszurichten “ 2.

Aristoteles unterscheidet zwei Arten von Tugenden: die theoretischen (dianoetischen) Tugen- den - Vernunft, Wissenschaft, Weisheit, Kunst, Einsicht - und die ethischen Tugenden - Be- sonnenheit, Gerechtigkeit, Freigiebigkeit, Großherzigkeit, Freundschaft, Wahrhaftigkeit, Mil- de, Gewandtheit und Tapferkeit. Dabei hält Aristoteles insbesondere bei den ethischen Tu- genden die Einhaltung des richtigen Ma ß es bzw. der rechten Mitte für geboten. Tugendhaft sei demnach, wer den mittleren Weg zwischen dem Übermaß und dem Mangel wählt.3

Polis - Eine im antiken Griechenland weit verbreitete Gesellschaftsform war das Gemeinwesen der polis. Sie bestand aus einem städtischen Zentrum und dem umliegenden Gebiet und kann daher heute unter den Begriff des Stadtstaates gefasst werden.4

Eudaimonia - Die eudaimonia (dt.: richtiger Geist) ist im klassischen Sinne gleichzusetzen mit Glück oder Glückseligkeit. Diese wurde im antiken Griechenland als das höchste mensch- liche Gut und Ziel allen Handelns angesehen. Alle Menschen, so Aristoteles in seiner Niko- machischen Ethik, streben nach Erlangung des guten Lebens und somit nach Eudaimonie.5

Die Staatsformen - Aristoteles unterscheidet die Staatsformen zunächst nach der Anzahl der Regierenden. Unter denen mit nur einem einzigen Machthaber kennzeichnet sich die Tyrannis dadurch, dass bei ihr der Eigennutz des Herrschers im Vordergrund steht.6 Bei der Monarchie hingegen, die er zu den guten Staatsformen zählt, steht der gemeinsame Nutzen aller Bürger im Mittelpunkt des herrschaftlichen Denkens und Handelns. Oligarchie und Aristokratie kennzeichnen sich dadurch, dass bei ihnen eine kleine Gruppe, eine Elite, herrscht. Doch wäh- rend bei ersterer allein das Vermögen über die Zugehörigkeit entscheidet, stehen bei der Aris- tokratie die Weisheit, Tüchtigkeit und Tugendhaftigkeit im Vordergrund.7 Zu den Staatsfor-

men, bei denen die Mehrheit des Volkes herrscht, gehören die Demokratie und die Politie. Im

antiken Griechenland verstand man, im Gegensatz zu heute, unter der Demokratie die direkte Beteiligung des Volkes an politischen Entscheidungen. Daher sah Aristoteles die Gefahr, dass die Mehrheit des Volkes, also die Armen und Mittellosen, den Begüterten aus Neid ihre Reichtümer nehmen. Deshalb votierte er für die Staatsform der Politie. Bei dieser Mischform aus Demokratie und Oligarchie herrscht der Mittelstand und fungiert als Schiedsrichter zwischen den Extremen - Arm und Reich.8

Autarkeia - Die Selbstgenügsamkeit (griech.: autarkeia) kann als ein Ergebnis der erreichten Glückseligkeit gesehen werden. Durch Erlangung des h ö chsten Gutes erreicht man gleichzei- tig auch die Endstufe der Entwicklung, die Vollendung, durch die man absolute Unabhängig- keit erhält und gleichsam losgelöst von allen anderen Einflussfaktoren Entscheidungen treffen kann. Ob diese höchste Stufe der Entwicklung in der Realität überhaupt jemals erreicht wer- den kann, ist sicher fraglich. Indes meinte mancher, dies für sich beanspruchen zu können. Zur Selbstverherrlichung und schließlich zur - eingebildeten - Göttlichkeit, ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.

3 Die Hausverwaltung (oikos)

Aristoteles, der Empiriker unter den Philosophen, erlangte viele seiner Erkenntnisse durch das Studium der Realität. Induktiv schloss er dabei von dem Einzelnen, Speziellen auf das Ganze und Allgemeine.9 So soll auch diese Untersuchung zuerst bei der kleinsten Gemeinschaft, dem oikos, beginnen um später im Ganzen zu enden.

3.1 Zusammensetzung

Am Anfang aller Gemeinschaften steht das einzelne Individuum. Doch so wie jeder Mensch aus einer Vereinigung, nämlich der zwischen Mann und Frau, hervorgegangen ist, strebt er auch danach diese selbst zu erreichen. Als Grund dafür sieht Aristoteles den Fortpflanzungs- trieb, der in jedem Menschen von Natur aus verankert ist.10 Ein anderer Trieb, nämlich der der Lebenserhaltung, ist es, welcher zu einer weiteren Gemeinschaft führt, der zwischen Herrn und Sklave. Die häusliche Gemeinschaft ist allein auf das Überleben, d.h. die Beschaf- fung des Lebensunterhaltes und die Sicherung der Existenz ausgerichtet. Die Sklaven dienen ihrem Herrn dabei als „ beseelte Werkzeuge “.11 Direktes Ergebnis der Vereinigung zwischen Mann und Frau sind die Kinder, welche somit ebenfalls zu einem Teil des oikos werden.

3.2 Aufgaben und Ziele

Wie bereits erwähnt, schließen sich Mann und Frau zum Zwecke der Reproduktion zu einer Gemeinschaft zusammen. Somit kann die Fortpflanzung als ein Hauptziel des oikos angese- hen werden. Die einzelnen Mitglieder des Haushaltes müssen jedoch auch mit dem zum Le- ben Notwendigen versorgt werden. Dies ist eine weitere wesentliche Aufgabe, welche inner- halb des oikos von den Sklaven wahrgenommen wird. Als „ beseelte Werkzeuge “ 12 verrichten sie die Tätigkeiten, die zum Erwerb des Lebensunterhaltes erforderlich sind. Da sie selbst jedoch auch ein Teil des oikos sind und somit am Lebensunterhalt teilhaben, kommt nach Aristoteles diese Arbeit, wie auch das Sklavensein, ihnen selbst zugute. Die Erziehung der Kinder und Frauen zu tugendhaften Staatsbürgern wird ebenso erst durch die häusliche Ge- meinschaft ermöglicht, wie die Beschäftigung der Bürger mit Politik und Philosophie.13 14 Denn nur im oikos erlangen die Bürger die nötige Muße. Somit kann man vorwegnehmend sagen, dass in der Hausverwaltung eine wesentliche Stütze des aristotelischen Staates zu se- hen ist.

3.3 Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnis

Der Hausherr steht an der obersten Stelle der häuslichen Hierarchie. Diese wird von dem je- weils ältesten, freien Mann innerhalb des oikos eingenommen. „ Denn das M ä nnliche ist von Natur aus f ü hrungsgeeigneter als das Weibliche [...] und das Ä ltere und Reife ist das mehr als das J ü ngere und Unreife. “ 15 Der Hausherr herrscht über alle anderen Mitglieder des oikos wie ein König und somit despotisch.16 Ihm folgend, kommt auf der nächst niedrigeren Rang- stufe die Frau des Hauses. Als Freie steht sie zwischen ihrem Ehemann und den Kindern, welche ebenfalls frei sind. Allerdings räumt Aristoteles den Frauen eine Sonderstellung ein, wenn er davon schreibt, über sie nach Art eines Staatsmannes zu herrschen.17 Meiner Ansicht nach ist dies ein Hinweis auf einen Dialog, einen Gedankenaustausch, der zwischen Mann und Frau, Kindesvater und Kindesmutter, zwingend stattfinden muss. Beim Verhältnis zwi- schen Vater und Kind ist dies anders. Denn die Kinder werden als „unfertige“ Menschen an- gesehen, deren Vollendung Aufgabe des Vaters ist.18 Dieser Logik folgend, kann hier nur ein Monolog stattfinden, welcher die „leere Hülle - Kind“ mit Weisheit und Tugend füllt. An unterster Stufe der Hierarchie kommen schließlich die Sklaven. Als Unfreie, d.h. Besitz- tum des Herrn, sind diese ihm völlig ausgeliefert. Die Aufgaben, die der Beschaffung des Le- bensunterhalts dienen, werden ihnen durch ihren Herrn oder besser noch, durch einen Aufse- her, aufgetragen. Doch auch unter den Sklaven gab es Rangfolgen, da je nach ausgeübter Tä- tigkeit und Nähe zum Herrn die einen geschätzter waren als die anderen.19

3.4 Die Tugenden im oikos

Aristoteles’ Vorstellungen über die Tugenden und deren Ausprägungen bei den Menschen bilden sozusagen das Grundgerüst seiner Überlegungen zu Haus, Staat und Gesellschaft. In den Tugenden sieht er die Rechtfertigung des Herrschens und Beherrscht Werdens. Seiner Vorstellung folgend sind alle Menschen von Natur aus in bestimmter Weise mit Tugenden ausgestattet. Die Art und Weise wie, d.h. die Qualität ihrer Tugendhaftigkeit, entscheidet dann darüber ob, man zu den Herrschenden oder den Beherrschten gehört.20 Aus dieser Über- legung leitet Aristoteles schließlich ab, dass es für alle besser sein müsste, wenn die Tugend- hafteren die weniger Tugendhaften lenken und legitimiert so sein Gesellschaftsmodell.

Für den oikos bedeutet dies, dass der Hausherr, also der Mann, auf der obersten Hierarchiestu- fe auch über die ausgeprägteste Tugendhaftigkeit und den größten Anteil an der Vernunft ver- fügen muss. Doch auch die Beherrschten müssen Anteil an der Vernunft und an den Tugen- den haben, da sie einerseits ebenfalls Menschen sind und andererseits sich sonst nicht beherr- schen ließen. Es ist die Qualität, die ausschlaggebend ist und sie zu Dienenden macht, dazu befähigt, ihre Aufgaben zu erfüllen und daran hindert, mehr als das zu erreichen. Das gilt für die Frauen, die Kinder und die Sklaven. Allerdings werden die Kinder die für sie mögliche Tugendhaftigkeit, denn auch hier muss man ja zwischen Jungen und Mädchen unterscheiden, mit ihrem Heranwachsen noch herausbilden.21

3.5 Das Dorf

„ Daraus geht nun klar hervor, [...] dass der Mensch von Natur aus ein staatsbezogenes Le- bewesen ist [...] “ 22 Dieser lapidar klingende Satz ist eine der wichtigsten Kernthesen der Po- litik - der Mensch als zoon politikon. Es drängt ihn danach mit anderen Verbindungen einzu- gehen und Gesellschaften zu bilden. In der Gemeinschaft wird der Mensch zum besten aller Lebewesen.23 Das Dorf, als ein Ergebnis dieses Drangs, sieht Aristoteles als eine „ Erweite- rung des Hauses “ 24 . Doch es ist auch die erste Gemeinschaft, die mehr anstrebt als nur die Sicherung des Überlebens. Vielmehr ist es ein besseres Leben, welches durch den Zusam- menschluss mehrerer Häuser zu einem Dorf, dem Bindeglied zwischen Haus und Staat, er- reicht werden soll.

4 Der Staat (polis)

Ausgangspunkt und Ziel aller menschlichen Gemeinschaften ist der Staat. Denn jeder Mensch strebt nach Erreichung des h ö chsten Gutes - der e udaimonia.25 Diese, so Aristoteles, lässt sich jedoch nur durch die Polisgemeinschaft erreichen. Somit ist es natürlich, dass die Menschen stets nach Verwirklichung dieser streben. Andererseits besteht aber das Ganze, Umfassendere und Allgemeinere, stets vor dem einzelnen Teil. So muss auch der Staat, als größte Gemeinschaft, vor allen anderen bestehen.26

„ Genetisch, in Raum und Zeit gesehen, sind Individuum und Familie fr ü her; aus einer Mehrheit davon bildet sich erst die Gemeinschaft und der Staat. Aber sie schlie ß en sich dabei nicht willk ü rlich zusammen, [...] sondern sie realisieren eine im Sein des Menschen selbst angelegte Tendenz. “ 27

4.1 Zusammensetzung

Die polis, als Höchst- und Endstufe menschlicher Gesellschaft, setzt sich aus mehreren Dör- fern zusammen. Diese wiederum bestehen, wie bereits erwähnt, aus Häusern, diese aus Indi- viduen unterschiedlichster Beschaffenheit. Nach Aristoteles ist der Staat etwas zutief Menschliches. Denn nur der Mensch verfügt über die nötigen Voraussetzungen, diesen zu verwirklichen. Nur ihm ist die Möglichkeit gegeben, sich über die Sprache auszutauschen und Gerechtes von Ungerechtem zu unterscheiden.28 Festlegungen darüber, was in der polis unter gerecht und ungerecht zu verstehen ist, finden sich schließlich in der Verfassung wieder. Die- se ist gewissermaßen eine Art Konsens aller Staatsbürger darüber, wie man innerhalb der po- lis zu leben und die eudaimonia zu erlangen beabsichtigt. Die Verfassung ist somit das eigent- liche konstitutive Element der polis. Doch sie regelt ebenfalls, wer über die Einhaltung der Übereinkünfte wacht, an deren Fortentwicklung beteiligt ist und somit Anteil an der Herr- schaft hat.29 Aristoteles studierte eine Vielzahl unterschiedlicher existierender Verfassungs- und Staatsformen. Die Anzahl der Regierenden und die Ziele des Staates betrachtend, unter- scheidet er sechs Kategorien. Zu den guten Staatsformen zählt er die Monarchie, die Aristo- kratie und die Politie, weil hier jeweils das Wohl und der Nutzen aller im Vordergrund steht. Die aber, die nur das eigene Wohl und den Eigennutz der Herrschenden im Blick haben, also Tyrannis, Oligarchie und Demokratie, zählt Aristoteles zu den schlechten.

4.2 Aufgaben und Ziele

Zu den Aufgaben und Zielen des Staates nach Aristoteles ließe sich sicher Unzähliges sagen. Ich werde nun jedoch nur diejenigen Dinge ansprechen, die besonders charakteristisch sind und einer Unterscheidung zu den platonischen Auffassungen dienlich wären. Zu den obersten Zielen des Staates gehört mit Sicherheit, den Menschen ein Lebensumfeld zu geben, in welchem sie ihre persönliche Gl ü ckseligkeit, die eudaimonia, erlangen, und ein gu- tes Leben führen können. Dies ist es ja auch, was die Individuen erst zur Staatenbildung drängt, sie zu zoon politikon macht. Dabei trägt der Staat jedoch nicht die Verantwortung für die Glückseligkeit des Einzelnen. Seine Aufgabe ist es lediglich, die äußeren Bedingungen zur Verwirklichung dieser zu schaffen. Doch genau wie jeder wohl etwas anderes unter dem Begriff Gl ü ckseligkeit verstehen wird, unterscheiden sich die Bürger der polis auch in vielen anderen Bereichen ihres Denkens, so in ihrer Auffassung von Recht und Unrecht, vom richti- gen politischen Handeln, von Moral, Tugenden usw. Es wird also deutlich, dass im Staate nicht eine völlig homogene Masse unter einem Dach zusammengefasst wird, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Überzeugungen nebeneinander existieren. Somit muss es eine Hauptaufgabe des Staates sein, diese durch eine von allen Bürgern getragene Verfassung zu integrieren.30 Die Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungsprozessen führt nicht zuletzt auch zu einer hohen Beständigkeit. Nach Aristoteles sollte jeder Staat von vornherein auf dieses Ziel hin ausgerichtet sein. In diesem Kontext gewinnt auch der Begriff des Mittle- ren an Bedeutung. Denn Aristoteles sieht darin den Schlüssel für die Beständigkeit. Nur wenn man das Mittlere zwischen den Extremen wählt, so z.B. zwischen Gemeinsinn und Eigennutz oder den Interessen der Armen und der Reichen, kann man den Bestand des Staates auf Dauer sichern, da durch die Zufriedenheit der Mehrheit der Bürger Umwälzungen verhindert wer- den.31 Als ein weiteres wesentliches Ziel des Staates kann die Erreichung der autarkeia, der Selbstgenügsamkeit, gesehen werden. Denn, da nach Aristoteles alles nach seiner Vollendung strebt, ist dies auch bei der Polis der Fall. Seine Vollkommenheit findet der Staat jedoch erst mit Erreichung der autarkeia. Diese wiederum ist ein direktes Ergebnis der erlangten eudai- monia.

4.3 Herrschaftsverhältnis

Wenn Aristoteles im ersten Buch seiner Politik davon schreibt, dass die Staatskunst die „ Herrschaft ü ber Freie und Gleiche “ 32 meint, so spielt er damit sicher nur auf die existieren- de attische Verfassung an. Denn hier waren alle freien Bürger einander gleichgestellt und konnten sich am politischen Leben beteiligen. Somit waren all diese gleichzeitig Herrscher und Beherrschte, jeder über jeden und sich selbst. Wer als Bürger galt, wurde nach sehr de- taillierten und strikten Regeln festgelegt. Dazu gehörten unter anderem die attische Abstam- mung, die Volljährigkeit, das männliche Geschlecht, eine militärische Ausbildung usw. Wer diese Kriterien nicht erfüllte, war von der Herrschaft ausgeschlossen und musste sich somit in die von den anderen getroffenen Regelungen fügen. Betrachtet man insbesondere die despoti- schen Herrschaftsformen sowie die Oligarchie und Aristokratie, so zeichnet sich nochmals ein gänzlich anderes Bild. Denn von Gleichheit aller kann hier natürlich keine Rede mehr sein. Vielmehr wird eine kleine Elite hervorgehoben, welche sich durch bestimmte Merk- malsausprägungen (Macht, Abstammung, Vermögendheit, Tugendhaftigkeit etc.) klar vom Rest der freien Bürger abgrenzt.

4.4 Notwendige Tugenden

Im attischen Staat waren die Staatsbürger gleichzeitig Regierende und Regierte, denn sie hat- ten direkten Einfluss auf politische Entscheidungen, mussten sich aber auch in unliebsame fügen. Aristoteles unterscheidet bei den Tugenden zwischen den Vernünftigen, zum Regieren gemachten, und den Unvernünftigen, zum Regiert Werden. Jeder Mensch verfügt über beide Teile. Doch nur bei den Staatsbürgern, also den männlichen, freien Athenern, liegen sie in einem zum Herrschen geeigneten Verhältnis vor.33 Somit verfügen diese über die Vorausset- zungen zur Teilhabe am politischen System. Die Legitimation dieses Regierungssystems of- fenbart sich, wenn man sich Aristoteles’ Ansicht vor Augen führt, dass die Bürger in ihrer Gesamtheit, also in ihrer Summe, tugendhafter sind als allein. Somit müssen auch die Ent- scheidungen, die von der Mehrheit der Bürger getragen werden, vernünftiger sein als die ei- nes einzelnen Menschen. Nur wenn jemand durch seine hervorragende Tugendhaftigkeit aus den anderen dermaßen hervorsticht, dass er alle übertrifft, so solle dieser der Herrscher sein.34

5 Fazit

Das Ziel meiner Hausarbeit war es, die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale die Aristoteles, zwischen Hausverwaltung und Staat, ausmachte, darzulegen. Dabei habe ich für oikos und polis insbesondere die Gebiete Aufbau, Herrschaftsverhältnisse, Ziele und Tugenden näher untersucht und hierbei signifikante Verschiedenheiten festgestellt. Hausverwaltung und Staat unterscheiden sich demnach nicht nur in der Menge derer, die in diese Gemeinschaften einge- schlossen sind, sondern in ihrer grundsätzlichen Struktur. Während im oikos eine Gemein- schaft zu sehen ist, welche aus Freien und Unfreien besteht und auf Ungleichheit beruht, be- deutet die Staatsherrschaft eine Herrschaft über Freie und Gleiche. Auch die Ziele der Ge- meinschaften unterscheiden sich. Das oikos ist ein Gemeinwesen, welches auf die Versorgung seiner Mitglieder mit dem zum Leben Notwendigsten und somit auf das Überleben ausgerich- tet ist. Weitere Ziele wären die Reproduktion sowie die Erziehung der Kinder. Die Glückse- ligkeit, als höchstes Gut nach dem alle Menschen streben, lässt sich jedoch nur durch die polis verwirklichen. Ihre Aufgabe ist es auch, unterschiedlichste Menschen unter einem gemeinsa- men Dach zu vereinen und dennoch für einen dauerhaften Bestand der Gemeinschaft zu sor- gen. Während innerhalb der Hausverwaltung der Hausherr die Rolle eines despotischen Machthabers einnimmt, dem die anderen Mitglieder untergeordnet sind, findet im attischen Staat die Herrschaft auf einer demokratischeren Ebene statt. Denn an ihr sind alle Staatsbür- ger gleichermaßen beteiligt. Die folgende Übersicht soll die genannten Unterschiede noch verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Staat Das 'gute' Leben frei und gleich demokratisch Auch bei den Tugenden lassen sich Unterschiede in den Anforderungen an die Menschen finden. Während der Hausherr innerhalb des oikos lediglich über die Tugenden, welche zum Herrschen notwendig sind, verfügen muss, braucht er als Teil des Staates auch jene, die nötig sind beherrscht zu werden. Nur der Staat kann als eine Vereinigung derer angesehen werden, die über diese Eigenschaften verfügen. Im oikos hingegen, finden sich eine Vielzahl von Menschen unterschiedlichst ausgeprägter Tugendhaftigkeit wieder.

Nach der nun erfolgten Auseinandersetzung mit den Überzeugungen Aristoteles’, wäre der nächste Schritt die Behandlung der Ansichten Platons und schließlich der Vergleich beider. Dies allerdings soll nicht mehr Thema dieser Hausarbeit sein.

6 Literaturverzeichnis

Gigon, Olof (Hrsg.): „Aristoteles. Staat der Athener.“ In: „Aristoteles. Politik und Staat der Athener“, Zürich 1955

Hirschberger, Johannes: „Kleine Philosophiegeschichte“, Freiburg 1992

Schwarz, Franz F. (Hrsg.): „Aristoteles. Politik.“, Stuttgart 1989

sowie:

Microsoft Encarta Enzyklopädie 2002 (auf CD-Rom)

[...]


1 aus Schwarz 1989, S.75

2 aus Microsoft Encarta 2002

3 vgl. Hirschberger 1992, S.48

4 vgl. Microsoft Encarta 2002

5 vgl. ebd.

6 vgl. Schwarz 1989, S.223

7 vgl. ebd., S.207+217

8 vgl. ebd., S.224

9 vgl. Hirschberger 1992, S.39

10 vgl. Schwarz 1989, S.76

11 vgl. ebd., S.76 f.

12 aus ebd.

13 vgl. ebd., S.88

14 vgl. ebd., S.106

15 aus ebd., S.101

16 vgl. ebd., S.77

17 vgl. ebd., S.101

18 vgl. ebd., S.106

19 vgl. ebd., S.88

20 vgl. ebd., S.102 ff.

21 vgl. ebd.

22 aus ebd., S.78

23 vgl. ebd., S.79

24 aus ebd., S.77

25 vgl. ebd., S.75

26 vgl. ebd., S.78-79

27 Hirschberger 1992, S.50

28 vgl. Schwarz 1989, S.78

29 vgl. ebd., S.203

30 vgl. ebd., S.108 f.

31 vgl. ebd., S.224 f.

32 aus ebd., S.87

33 vgl. Schwarz 1989, S.103 f.

34 vgl. ebd., S.199

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Haus und Staat bei Aristoteles - ein Vergleich
Hochschule
Freie Universität Berlin
Veranstaltung
Aristoteles Politik
Note
2,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
12
Katalognummer
V107492
ISBN (eBook)
9783640057573
Dateigröße
454 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Haus, Staat, Aristoteles, Vergleich, Aristoteles, Politik
Arbeit zitieren
Carsten Werner (Autor:in), 2002, Haus und Staat bei Aristoteles - ein Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107492

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