Die Heizer-Handlung in Franz Kafkas "Der Verschollene)


Seminararbeit, 2001

5 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Die Heizer-Handlung in dem Roman „der Verschollene“ (Amerika) von Franz Kafka

Zu Beginn der Heizer-Handlung geht Karl in das Schiffsinnere zurück, weil er seinen Regenschirm im Schiff vergessen hatte. Als er zu dem Gang kommt, der seinen Weg verkürzt hätte, sieht er, dass der Gang zum erstenmal versperrt ist. Dies bietet einen ersten Hinweis darauf, dass sich der Weg zu seinem vergangenen Leben verschlossen hat.

„ [er] mußte sich seinen Weg durch eine Unzahl kleiner Räume, fortwährend abbiegende Korridore, kurze Treppen, die einander aber immer wieder folgten, ein leeres Zimmer mit einem verlassenen Schreibtisch mühselig suchen, bis er sich tatsächlich, da er diesen Weg nur ein oder zweimal gegangen war, ganz und gar verirrt hatte.“ 1 )

Das Schiffsinnere ähnelt einem Labyrinth, und der Weg Karls in das Schiff durch unzählige Räume und Korridore läßt sich mit einem Abstieg in sein Unterbewußtsein vergleichen. Als er sich im Schiffsinneren schlußendlich verirrt hat, schlägt er „ohne zu überlegen“2 ) an eine beliebige Tür. Stellt man nun die folgende Aussage des Heizers „Es ist ja offen“3 ) in den Kontext des Dreiinstanzenmodells von Freud, dann wird ein Hinweis darauf geboten, dass das Tor für Karl in sein `Es´ offen ist. Dem Heizer widerfährt eine pronominale Bestimmung, die verdeutlicht, dass es sich bei diesem Zugang um den Eingang zu Karls Inneren handelt.4 ) Karl beschreibt den Heizer als „ein[en] riesige[n] Mann“5 ), in dessen Kabine „ein trübes, oben im Schiff längst abgebrauchtes Licht“6 ) fällt. Diese Beschreibung des Zimmers bildet einen Bezug zu seinen zurückgedrängten Erinnerungen. Ansonsten stehen ein Bett, ein Schrank und ein Sessel dicht nebeneinander in der Kabine.

Karl befindet sich in der Kabine des Heizers, deren Ausstattung eine Korrespondenz zu Karls

„immer mehr zurückgestoßenen Vergangenheit“7 ) darstellt. Die vorherrschende Enge in der Kabine des Heizers stellt einen Bezug zu dem „engen Zimmerchen neben der Küche“8 ) von Johanna Brummer her. Sein `Es´, in dem seine verdrängten Erinnerungen schlummerten, begegnet ihm. Karl erlebt eine Konfrontierung mit seinem vergangenen Leben, das bisher von ihm noch nicht reflektiert worden ist.

Nach einem kurzen Wortwechsel schiebt der Heizer Karl, der noch zögerte, in die Kabine hinein zu gehen, „mit der Türe, die er rasch schloß, [...] zu sich herein“9 ). Karl konnte sich nicht frei entscheiden, ob er in die Kabine eintreten will. Der Heizer nimmt ihm seine Entscheidungsfreiheit. Ebenso wie Johanna Brummer ihn nötigte, ihr näher zu kommen, in einer Situation, die einer Vergewaltigung nahe kommt.

„ [sie] horchte sein Herz ab, bot ihre Brust zum gleichen Abhorchen hin, wozu sie Karl aber nicht bringen konnte, drückte ihren nackten Bauch an seinen Leib, suchte mit der Hand, so widerlich daß Karl Kopf und Hals aus den Kissen heraus schüttelte, zwischen seinen Beinen, stieß dann den Bauch einigemale gegen ihn [...]“10 )

Die Korrespondenz zwischen den Erinnerungen an Johanna Brummer und dem Zimmer des Heizers, der sprachlich ebenso ungewandt ist wie Johanna, wird noch deutlicher, als Karl „unbehaglich an den Bettpfosten gequetscht dastand.“11 ) In Johannas Bett fühlt er sich auch „unbehaglich in dem vielen warmen Bettzeug“12 ), und ohne seine Handlung vorher zu durchdenken, legt sich Karl unsicher nach der Aufforderung des Heizers in dessen Bett. Genauso verunsichert legte er sich in das Bett des fünfunddreißigjährigen Dienstmädchens Johanna Brummer.13 )

Wie Karl unter der Last seiner Erinnerungen leidet, so leidet auch der Heizer unter einer Schwere, die ihn unbeweglich macht. Dies verdeutlicht der Vorgang, als er eine Ratte mit „[s]eitwärtsstoßen des Fußes“14 ) niedertreten wollte. Jedoch tritt der Heizer die Ratte durch seinen Stoß noch schneller in das Loch hinein. Dieses Bild antizipiert den späteren Verlauf im Kapitänszimmer, die Unterdrückung des Heizers, der dort irgendwann „vollständig kampfunfähig“15 ) schien.

Ihm fehlt die `Bewegungsfähigkeit´, sich gegen das Anbahnende zu stemmen und es zu verhindern. Er vermag es noch nicht einmal eine Ratte - ein ohnehin in der Hierarchie des Schiffes ziemlich weit unten angesiedeltes Wesen - zu beseitigen, er verhilft ihr sogar noch schneller in ihr Loch zu gelangen. Es gelingt ihm das Gegenteil dessen, was er vorher beabsichtigte.

Als Karl in die Kabine des Heizers schaut, hantiert der „an dem Schloß eines kleinen Koffers [...], den er mit beiden Händen immer wieder zudrückte, um das Einschnappen des Riegels zu behorchen.“16 ) Das Bild des einschnappenden Riegels steht hier sinnbildlich für das Ende einer Lebensepoche, denn der Heizer wird seine Stelle als Heizer verlieren. Karl und der Heizer befinden sich in einer Phase, in der sich ihre Lebensumstände verändern.17 ) Ein weiterer Hinweis auf einen sich vollziehenden Wechsel bietet das Kommentar des Heizers. Er erwähnt, dass sich von Hafen zu Hafen die Sitten verändern: „ [...] in Hamburg hätte ihr Butterbaum den Koffer vielleicht bewacht, hier ist höchstwahrscheinlich von beiden keine Spur mehr.“18 ) Er vergleicht die gleichen Situationen, denen jedoch durch die Änderung des Ortes eine Veränderung widerfahren ist.

Neben den Parallelen der beiden Figuren bahnt sich dennoch ein Spannungsverhältnis zwischen ihnen an, das nicht irrelevant für die Entwicklung Karls ist.

Karl ist kurz nach dem Zusammentreffen zwischen ihm und dem Heizer sehr beeindruckt von diesem. Er bezeichnet ihn nach kurzer Zeit sogar als einen Freund, und als er erfährt, dass es sich bei der Bekanntschaft um einen Schiffsheizer handelt, ist er vollkommen für den Heizer eingenommen. Seine Begeisterung geht sogar so weit, dass er sagt: „Jetzt könnte ich auch Heizer werden, [...] meinen Eltern ist es jetzt ganz gleichgiltig was ich werde.“19 )

Diese Aussage impliziert ein Werturteil, das den Beruf des Heizers auf einen minderwertigen Beruf reduziert. In Karl scheint sich ein innerer Konflikt abzuspielen, der ihm vielleicht in dieser Situation noch gar nicht klar geworden ist. Kurze Zeit vorher dachte er noch: „Ich sollte mich vielleicht an diesen Mann halten, [...] wo finde ich gleich einen besseren Freund“ 20 ), und dann folgt wenige Augenblicke später dieses eher negative Werturteil über den Berufstand des Heizers.

Es entwickelt sich eine Spannung, die entscheidend für die Machtverteilung zwischen dem Heizer und Karl ist. Karls Verhältnis zu dem Heizer wandelt sich von einem Zustand der Bewunderung, zu einem Zustand, in dem Karl die Position des Führenden einnimmt.21 ) Die Position des Heizers verlagert sich immer mehr in die eines Unterdrückten. Er will sich aufmachen zu der Kapitänskabine, und begründet sein Vorhaben mit folgenden Worten:

„Jetzt gehe ich ins Bureau und werde den Herren meine Meinung sagen. Es ist niemand mehr da, man muß keine Rücksichten nehmen [...]“22 )

Er denkt, dass sein Auftreten in der Öffentlichkeit nicht mehr erwünscht sei. Trotz seiner offensichtlichen Verunsicherung will er in das Büro des Kapitäns, um seinen Unmut zu äußern. Dort angekommen, wird er, nachdem er seinen Wunsch geäußert hatte, mit dem Oberkassier zu reden, von dem Diener des Oberkassiers abgewiesen. Infolgedessen schaut der Heizer zu Karl herunter, „als sei dieser sein Herz dem er stumm seinen Jammer klage“23 ). Der Heizer ist selber nicht mehr in der Lage, seinen Unmut zu äußern, Karl muß die Initiative an sich reißen und läuft quer durch das Zimmer zu dem Oberkassier. Dadurch erweckt er die Aufmerksamkeit des Kapitäns, der nach einer kurzen Rede Karls den Heizer anhören will.

Jedoch gilt diesem durch seine „ungeschickte Ausdrucksweise“24 ) nach kurzer Dauer nicht mehr das Interesse des gesamten Raumes. Dies äußert sich dadurch, dass sich anfängliche Zuhörer mit anderen Dingen beschäftigen.

„Als erster setzte der Herr in Civil sein Bambusstöckchen in Tätigkeit und klopfte, wenn auch nur leise auf das Parkett“.25 )

Setzt man dieses Bild erneut in den Kontext des Dreiinstanzenmodells, dann zeigt sich, dass das `Es´ von Karl, verkörpert durch die Figur des Heizers, durch den Herrn mit dem Bambusstöckchen, den Onkel Karls, verdrängt wird. Je mehr der Heizer an Boden verliert, desto mehr tritt der Onkel in den Mittelpunkt. Seine Stimme ist sogar noch „deutlich über allem Geschrei des Heizers“26 ) zu hören, obwohl der Onkel „nicht überlaut“27 ) redet. Der Onkel, dessen Blick als „verständnisinnig“28 ) beschrieben wird, nimmt die Instanz des `Über- Ich´ ein, die den Heizer, die Gestalt des `Es´, in den Hintergrund drängt. Auch Karl kann sich nun nicht mehr für den Heizer einsetzen, weil sein Onkel in den Mittelpunkt der Handlung gerückt ist.

Karls Zusammentreffen mit dem Heizer war also keine Zufallsbekanntschaft, sondern ein wichtiges Ereignis für die Entwicklung seiner Persönlichkeit. Karl begegnet in Gestalt des Heizers seinem `Es´ und damit seinen unreflektierten Erinnerungen. Der Heizer wird im Verlauf der Handlung immer mehr in den Hintergrund gedrängt, was sinnbildlich dafür steht, dass Karls `Es´ und damit seine verdrängten Erinnerungen in den Hintergrund gerückt werden.29 )

Diese Veränderung der Machtverhältnisse sorgt dafür, dass dem Onkel die Möglichkeit geboten wird, durch seinen Vorstoß der Disziplin, Karl in die tolerierten Bahnen der Gesellschaft zu lenken.

Literaturverzeichnis

- Franz Kafka: Der Verschollene. Hrsg. Jost Schillemeit. - Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 1983. S. 8-50.
- Ralf R. Nicolai: Kafkas Amerika Roman „Der Verschollene“. Motive und Gestalten. - Würzburg: Königshausen & Neumann Verlag 1981. S. 56-83.

[...]


1) Franz Kafka: Der Verschollene. Hrsg. Jost Schillemeit. - Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 1983. S. 8.

2) Kafka (wie Anm. 1), S. 8.

3) Kafka (wie Anm. 1), S. 8.

4) Vgl. Ralf R. Nicolai: Kafkas Amerika Roman „Der Verschollene“. Motive und Gestalten. - Würzburg: Königshausen & Neumann Verlag 1981. S. 56.

5) Kafka (wie Anm. 1), S. 8.

6) Kafka (wie Anm. 1), S. 8-9.

7) Kafka (wie Anm. 1), S. 41.

8) Kafka (wie Anm. 1), S. 42.

9) Kafka (wie Anm. 1), S. 9.

10) Kafka (wie Anm. 1), S. 42-43.

11) Kafka (wie Anm. 1), S. 9.

12) Kafka (wie Anm. 1), S. 42.

13) Vgl. Nicolai (wie Anm. 4), S. 59.

14) Kafka (wie Anm. 1), S. 18.

15) Kafka (wie Anm. 1), S. 32.

16) Kafka (wie Anm. 1), S. 9.

17) Vgl. Nicolai (wie Anm. 4), S. 60.

18) Kafka (wie Anm. 1), S. 10.

19) Kafka (wie Anm. 1), S. 12.

20) Kafka (wie Anm. 1), S. 10.

21) Vgl. Nicolai (wie Anm. 4), S. 61.

22) Kafka (wie Anm. 1), S. 17.

23) Kafka (wie Anm. 1), S. 21.

24) Kafka (wie Anm. 1), S. 25.

25) Kafka (wie Anm. 1), S. 26.

26) Kafka (wie Anm. 1), S. 31.

27) Kafka (wie Anm. 1), S. 31.

28) Kafka (wie Anm. 1), S. 50.

29) Vgl. Nicolai (wie Anm. 4), S. 83.

Ende der Leseprobe aus 5 Seiten

Details

Titel
Die Heizer-Handlung in Franz Kafkas "Der Verschollene)
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Veranstaltung
Proseminar III: Franz Kafkas Erzählungen
Note
2,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
5
Katalognummer
V107458
ISBN (eBook)
9783640057276
Dateigröße
383 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heizer, Proseminar, Franz, Kafkas, Erzählungen
Arbeit zitieren
Sascha Pütz (Autor:in), 2001, Die Heizer-Handlung in Franz Kafkas "Der Verschollene), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107458

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