Das österreichische Rechtsinformationssystem im Spannungsfeld von privatem und öffentlichem Interesse


Diplomarbeit, 2002

96 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Metaangaben zur Diplomarbeit
0.1 Kurzreferat
0.2 Abstract
0.3 Schlagwörter / Keywords
0.4 Die Arbeit im Überblick
0.6 Verzeichnis der Abkürzungen

1. Grundsätzliche Überlegungen
1.1 Zusammenfassung
1.2 Zum Begriff der Rechtskenntnis
1.2.1 Rechtskenntnis und Rechtsbewusstsein
1.2.2 Rechtskenntnis und mangelnde Verständlichkeit von Rechtstexten
1.2.3 Rechtskenntnis als Voraussetzung für rechtskonformes Verhalten
1.3 Information als demokratiepolitisches Desiderat
1.4 Weitere Fragen

2. Formen der Rechtsvermittlung
2.1 Zusammenfassung
2.2 Oral: Altes Testament
2.3 Oral/schriftlich: Manuduktionspflicht
2.4 Oral: „Miranda Warnings“
2.5 Oral: Erste anwaltliche Auskunft
2.6 Schriftlich: Polizeikalender
2.7 Digital/offline: Bundesgesetzblätter auf CD-ROM
2.8 Digital/online: Rechtsinformationssystem
2.9 Vergleich der Formen der Rechtsvermittlung
2.10 Ausblick

3. Das österreichische Rechtsinformationssystem RIS
3.1 Zusammenfassung
3.2 Entstehung und Entwicklung
3.4 Inhalt
3.3.1 Bundesrecht
3.3.2 Bundesgesetzblätter
3.3.3 Landesrecht
3.3.4 Landesgesetzblätter
3.3.5 Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs
3.3.6 Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs
3.3.7 Normenliste des Verwaltungsgerichtshofs
3.3.8 Justiz
3.3.9 Erlässe der Bundesministerien
3.3.10 Unabhängige Verwaltungssenate (UVS)
3.3.11 Unabhängiger Bundesasylsenat (UBAS)
3.3.12 Umweltsenat
3.3.13 Bundesvergabeamt und Bundesvergabekontrollkommission
3.3.14 Datenschutzkommission
3.3.15 Begutachtungsentwürfe und Regierungsvorlagen
3.3.16 RDB, Celex, interne Datenbanken
3.4 Technische Voraussetzungen
3.5 Hilfeangebote
3.5.1 Schulungen
3.5.2 Informationen zu den einzelnen Applikationen
3.5.3 Mouse-Over als Hilfe zu den einzelnen Feldern
3.5.4 Kurzhilfe beim Anklicken der einzelnen Suchfelder
3.5.5 Handbuch
3.5.6 Informationsbroschüre
3.5.7 Ansprechpartner
3.5.8 „§ 0“
3.6 Zusätzliche Informationsangebote
3.6.1 Aktuelle Informationen
3.6.2 Stand der Aktualität des Bundesrechts im RIS
3.7 „Bekanntheitsgrad“ in Suchmaschinen
3.8 Zugriffszahlen
3.9 Ausblick – das Projekt „eRecht“

4. Die Debatte um die geplante Kostenpflichtigkeit des RIS
4.1 Zusammenfassung
4.2 Der Gesetzesentwurf
4.3 Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf
4.3.1 § 2 ABGB
4.3.2 Transparenz des Staates und der Gesetzgebung
4.3.3 Zugang is t auch in anderen Ländern kostenlos
4.3.4 Österreich als Vorbild für andere Länder
4.3.5 Probleme mit Bezahlungsformen im Internet
4.3.6 Probleme bei der Aufbringung der Gebühren
4.3.7 Chancen für die Informationswirtschaft und Qualitätssteigerung
4.3.8 Keine anonyme Bezahlung möglich
4.3.9 nur für Expertinnen
4.3.10 Keine Bedenken
4.4 Gespräche mit Vertretern verschiedener Akteursgruppen
4.4.1 Entscheidung für Experteninterviews
4.4.2 Interviewte Personen (in alphabetischer Reihenfolge)
4.4.3 Zusammenfassung der Interviews (in alphabetischer Reihenfolge)
Alexander Christian
Andreas Kaufmann
Andreas Krisch
Friedrich Lachmayer
Gerhard K. Wagner
4.5 Weitere Aussagen
4.6 Eine mögliche Rolle von Bibliotheken

5. Die Rechtsdatenbank RDB
5.1 Zusammenfassung
5.2 Entstehung und Geschichte
5.3 Angebot
5.4 Ausblick auf künftige Angebote

6. Berührungspunkte zwischen RIS und RDB
6.1 Zusammenfassung
6.2 Datenaustausch
6.3 Klage
6.4 Derzeitige Verhandlungen

7. Zusammenfassung der Ergebnisse

8. Literaturverzeichnis

9. Anhang
9.1 Fragebögen
9.1.1 Andreas Kaufmann, RDB
9.1.2 Andreas Krisch, Vibe!at
9.1.3 Friedrich Lachmayer, Bundeskanzleramt
9.1.4 Gerhard Wagner, VIW e-business Austria
9.1.5 Alexander Christian, Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
9.2 Screenshots des Rechtsinformationssystems
9.3 Stellungnahmen zur geplanten Kostenpflichtigkeit des RIS im Überblick

0.MetaangabenzurDiplomarbeit

0.1 Kurzreferat

Der freie Zugang zur sogenannten „Public Sector Information” ist ein derzeit weithin diskutiertes Thema, wie aktuelle Publikationen wie das im Jänner 1999 veröffentlichte „Grünbuch über Informationen des öffentlichen Sektors in der Informationsgesellschaft“[2] der Europäischen Union und eine Reihe kürzlich abgehaltener Tagungen[3] zeigen. Rechtsinformation spielt eine besondere Rolle in diesem Zusammenhang, da sie eine Voraussetzung für das Einhalten von Gesetzen und die Kenntnis der Rechte und Pflichten als Staatsbürger ist.

Die vorliegende Diplomarbeit beschäftigt sich mit dem österreichischen Rechtsinformationssystem (RIS) als Beispiel für Public Sector Information und ihrem kommerziellen Gegenspieler, der Rechtsdatenbank (RDB). Dafür wurden eine Literaturrecherche und Experteninterviews durchgeführt. Ein Mitglied eines auf diesem Gebiet aktiven Vereins, ein Vertreter des Bundeskanzleramts als Anbieter des RIS, ein Interessensvertreter der Informationswirtschaft, ein Vertreter der Rechtsanwaltskammer und der Geschäftsführer der Rechtsdatenbank wurden zu Rate gezogen.

Im besonderen beschäftigt sich die Arbeit mit den folgenden drei Hypothesen:

1. Ein barrierefreier Zugang zur Rechtsinformation ist aus juristischen und demokratiepolitischen Gründen geboten.

2. Das existierende österreichische Rechtsinformationssystem RIS muss durch kostenlose Rechtsberatung ergänzt werden, die von rechtskundigen Personen durchgeführt wird.

3. Kostenlose Basisinformation und kostenpflichtige Mehrwertdienste der Informationsindustrie können unter bestimmten Bedingungen nebeneinander existieren.

Für die beiden ersten Hypothesen konnten unterstützende Argumente gefunden werden. Für die Überprüfung der dritten Hypothese sind aktuelle Marktentwicklungen abzuwarten.

0.2 Abstract

Access to “public sector information” is a broadly discussed topic at the moment, as current publications like the “green book on public sector information in the infor- mation society“ compiled by the European Union[4] and a number of recent confer- ences dealing with this topic show. Legal information plays a special role within this field, as it is the prerequisite to obeying the law and to exercising one’s rights and duties as a citizen.

The paper deals with the Austrian legal information system “Rechtsinformationssys- tem” (RIS) as an example of public sector information and its commercial opponent “Rechtsdatenbank” (RDB). It uses data gathered by a literature review and interviews with experts. One member of a non-governmental organization, one representative of the federal agency providing the RIS, the head of a group representing the infor- mation industry’s interests, a representative of the Austrian bar association and the managing director of the RDB, a Vienna-based company selling legal information, were consulted.

The dissertation has sought arguments that support or vitiate the following hypothe- ses:

1. Non-restrictive access to legal information is necessary for legal and democ- ratic/political reasons.
2. The existing Austrian legal information system “RIS” has to be complemented by legal advise supplied by qualified persons familiar with law and jurisdiction.
3. Free-of-charge basic information, provided by the government, and commercial added-value services can coexist – under certain circumstances.

Supporting arguments for the hypotheses 1 and 2 could be found. The assessment of the third hypothesis depends on current market developments and cannot be under- taken yet.

0.3 Schlagwörter / Keywords

Rechtsinformation, Rechtsinformationssystem, Rechtsvermittlung, barrierefreier Zugang

Legal information (system), Governmental information, Public sector information, Public Access

0.4 Die Arbeit im Überblick

Das Hauptthema der Arbeit ist das österreichische Rechtsinformationssystem (RIS) und die Frage, ob der Zugang dazu kostenlos (und im weiteren Sinne barrierefrei) sein soll und wenn ja, warum. Außerdem wird das Verhältnis des RIS zum kommerziellen Angebot der RDB beleuchtet.

Im ersten, grundlegenden Kapitel werden die Begriffe „Rechtskenntnis“ und „Rechtsbewusstsein“ erklärt sowie die Fragen behandelt, wodurch die Rechtskenntnis beeinträchtigt wird und warum ihre Verbesserung sowohl aus juristischer als auch aus demokratiepolitischer Sicht wichtig sei. Im zweiten Kapitel folgt eine Beschreibun]g von ausgewählten Formen der Rechtsvermittlung in ihrer mediengeschichtlichen Entwicklung, an deren derzeitigem Endpunkt die Online- Rechtsdatenbank steht.

In Kapitel 3 wird das Rechtsinformationssystem ausführlich vorgestellt. Nachdem „barrierefrei“ in diesem Zusammenhang nicht nur kostenlos bedeutet, werden auch die Hilfeangebote und die technischen Voraussetzungen für eine Abfrage im RIS untersucht.

Der Gesetzesentwurf, der eine Gebührenpflicht für das RIS ermöglichen sollte, und die wichtigsten Argumente aus über fünfzig Stellungnahmen österreichischer Institutionen dazu werden im Kapitel 4 („Die Debatte um die geplante Kostenpflichtigkeit des RIS“) abgehandelt. Dazu kommen Interviews mit fünf Vertretern unterschiedlicher Akteursgruppen, die eine mögliche Kostenpflichtigkeit aus sehr verschiedenen Blickwinkeln sehen.

Die Rechtsdatenbank als größter privatwirtschaftlicher Anbieter von Rechtsinformationen in Österreich wird im fünften Kapitel vorgestellt.

Berührungspunkte zwischen RIS und RDB sind Thema des Kapitels 6. Diese Kontakte finden auf drei Ebenen statt: Zunächst der gegenseitige Datenaustausch. Dann die noch immer aufrechte Klage der Rechtsdatenbank gegen die Republik Österreich, die nach dem Internetgang des RIS eingereicht wurde. Drittens die derzeit laufenden Verhandlungen um den Preis, den der Bund in Zukunft für RDB- Daten bezahlen wird.

Die Ergebnisse der Untersuchungen werden in Kapitel 7 zusammengefasst. Dort werden die drei im Laufe der Arbeit aufgestellten Hypothesen überprüft. Diese lauten:

1. Ein barrierefreier Zugang zur Rechtsinformation ist aus juristischen und demokratiepolitischen Gründen geboten.
2. Das existierende österreichische Rechtsinformationssystem RIS muss durch kostenlose Rechtsberatung ergänzt werden, die von rechtskundigen Personen durchgeführt wird.
3. Kostenlose Basisinformation und kostenpflichtige Mehrwertdienste der Informationsindustrie können unter bestimmten Bedingungen nebeneinander existieren.

Im Anhang finden sich die Fragebögen, ein Überblick über die abgegebenen Stellungnahmen zum erwähnten Gesetzesentwurf und Screenshots, die einen Eindruck vom Aussehen und der Bedienung des RIS geben sollen.

Mein Dank für Zeit und Know-How gilt meinem Betreuer Mag. Dr. Fritz Betz, ebenso meinen Interviewpartnern. Für die (oft unwissentlich erteilten) Denkanstöße bedanke ich mich bei meinen Kollegen am Institut für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, für die angeregte Diskussion über Public Sector Information bei den Mitgliedern des Vereins Vibe!at, besonders Boris „pi“ Piwinger und Andreas Krisch, und den Leserinnen und Lesern der Mailingliste Internetz.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde auf die sogenannte Binnen-I- Schreibung verzichtet. Stattdessen werden die grammatikalisch weiblichen Formen sowohl für Frauen als auch für Männer verwendet, sofern nicht anders vermerkt. Bei der Wiedergabe der Interviews wurde allerdings die von den Gesprächspartnern verwendete Form benutzt.

Die angegebenen Hyperlinks wurden zuletzt am 6. Mai 2002 überprüft.

0.6 Verzeichnis der Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Grundsätzliche Überlegungen

1.1 Zusammenfassung

In diesem Kapitel werden die Begriffe „Rechtskenntnis“ und „Rechtsbewusstsein“ erklärt und die Frage behandelt, warum die Verbesserung der Rechtskenntnis der Bevölkerung sowohl aus juristischer als auch aus demokratiepolitischer Sicht wichtig ist.

1.2 Zum Begriff der Rechtskenntnis

1.2.1 Rechtskenntnis und Rechtsbewusstsein

Rechtskenntnis wird nach Rehbinder als „mentale Realisation des Inhalts bestimmter Rechtsnormen“ definiert und ist je nach Alter, Geschlecht, Wohnort, Bildungsgrad und sozialer Schicht unterschiedlich.[5]

Rechtsbewusstsein als „innere Bejahung des Rechts“ umfasst mehrere Facetten: positives, ideales und allgemeines Rechtsbewusstsein. Einerseits kann jemandem eine bestimmte Norm bewusst sein – man spricht von Rechtsgewissheit oder „positivem Rechtsbewusstsein“. Die Vorstellung darüber, wie eine bestimmte Rechtsnorm auszusehen hätte, ist die Meinung über das richtige Recht und wird als „ideales Rechtsbewusstsein“ bezeichnet.

„Nur dieses sog. ideale Rechtsbewußtsein soll hier als Rechtsbewußtsein bezeichnet werden, das im Gegensatz zur Rechtskenntnis mit einer inneren Bejahung der Rechtsnorm verbunden ist (Akzeptanz). Dementsprechend gibt es auch ein ideales Rechtsgefühl als Gefühl für das, was Recht sein soll. Es ist die Hinwendung zu einem Rechtsideal, das Rechtsgewissen.“[6]

Die Achtung vor der Rechtsordnung als ganzes, das Wissen, dass nur Recht und nicht Unrecht geschehen soll, kann auch Rechtsethos oder „allgemeines Rechtsbewusstsein“ genannt werden.[7]

1.2.2 Rechtskenntnis und mangelnde Verständlichkeit von Rechtstexten

Beschwerden über mangelnde Verständlichkeit von Rechtstexten und Forderungen nach verstärkter Vermittlung sind nicht nur heute im Alltag von verärgerten Bürgerinnen zu hören, sondern wurden zum Beispiel schon vom Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seinem Werk „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ formuliert. Die Verbindlichkeit schließe die Notwendigkeit ein, dass die Gesetze allgemein bekannt gemacht seien:

„Die Gesetze so hoch aufhängen, wieDionysiusderTyranntat, daß sie kein Bürger lesen konnte, - oder aber sie in den weitläufigen Apparat von gelehrten Büchern, Sammlungen von Dezisionen abweichender Urteile und Meinungen, Gewohnheiten u. s. f. und noch dazu in einer fremden Sprache vergraben, so daß die Kenntnis des geltenden Rechts nur denen zugänglich ist, die sich gelehrt darauf legen, - ist ein und dasselbe Unrecht.“[8]

Einen ähnlichen Gedanken formuliert der Schriftsteller und Jurist Franz Kafka in seinem Prosastück „Zur Frage der Gesetze“:

„Unsere Gesetze sind leider nicht allgemein bekannt, sie sind Geheimnis einer kleinen Adelsgruppe, welche uns beherrscht. Wir sind davon überzeugt, daß diese alten Gesetze genau eingehalten werden, aber es ist doch etwas äußerst Quälendes nach Gesetzen beherrscht zu werden, die man nicht kennt“.[9]

Und Volksanwalt Gustav Zeillinger forderte 1979 bei der Richterwoche in Badgastein, dass ein „durchschnittlich gebildeter Bürger mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit und durchschnittlichen Mitteln die ihm vom Gesetzgeber zugedachte Rechtsposition erlangen können muß“. Er betonte, dass die Probleme bereits bei der Information über die eigenen Rechte beginne und dass der juristisch nicht gebildete Bürger den Überblick verloren habe.[10]

Auch der deutsche Justizreformer Rudolf Wassermann sieht durch die komplizierte Formulierung und Auslegung die Wirksamkeit des Rechts gefährdet:

„Den Rechtsnormen fehlt es so, wie sie nach ihrer Bearbeitung durch höchstrichterliche Auslegung den Bürgern gegenübertreten, an Klarheit und Stringenz: sie öffnen sich nicht dem Verständnis, sondern verschließen sich ihm. (...) Was schwindet, ist dabei nicht das Recht als solches (die Gesetzesproduktion nimmt sogar noch zu), sondern die Wirksamkeit des Rechts, dessen tatsächliche und juristische Geltung“.[11]

1.2.3 Rechtskenntnis als Voraussetzung für rechtskonformes Verhalten

Das in der österreichischen Debatte am häufigsten angewandte Argument[12], wenn es um kostenlosen Zugang zu Rechtsinformationen geht, ist die Regelung im Paragraph 2 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), die man einfach gesagt als „Unwissen schützt vor Strafe nicht“ oder „Ignorantia juris nocet“ zusammenfassen könnte.

„Sobald ein Gesetz gehörig kundgemacht worden ist, kann sich niemand damit entschuldigen, daß ihm dasselbe nicht bekannt geworden sei.“[13]

Eine ähnliche Regelung gab es auch im Preußischen Allgemeinen Landrecht: „Es ist aber auch ein jeder Einwohner des Staats sich um die Gesetze, welche ihn oder sein Gewerbe und seine Handlungen betreffen, genau zu erkundigen gehalten; und es kann sich niemand mit der Unwissenheit eines gehörig publizierten Gesetzes entschuldigen“.[14]

Rehbinder stellt fest, dass die Rechtskenntnis der Bevölkerung erschreckend gering sei und dies die Effektivität des Rechts bedrohe. Diesem Problem könne aber durch das ständige Wachsen des Rechtsstoffes, wie er in einem sozialen Rechtsstaat unvermeidbar sei, nur schwer begegnet werden.

Rehbinder schlägt daher folgendes vor: Bürgerinnen sollten Kenntnisse in drei Bereichen haben. Erstens grundlegende Informationen („Kenntnisse über Grundlinien der Staatsverfassung, allgemeine Orientierung in den Grundlagen wichtiger Rechtsgebiete sowie Kenntnis der Möglichkeit, sich ausführlichere Kenntnisse anzueignen“[15]). Zweitens Informationen, die „im Hinblick auf die Anforderungen bestimmter gesellschaftlicher Rollen unerlässlich sind“. Drittens Informationen, die zur aktuellen Entschlussfassung notwendig sind. Die ersten beiden Gruppen sollten der Bürgerin ständig zur Verfügung stehen, die letztere Gruppe muss nur im Bedarfsfall verfügbar sein.[16]

Um eine gesteigerte Rechtskenntnis und dadurch höhere Effektivität des Rechts zu erreichen, sollen nach Rehbinder vier Prinzipien beachtet werden: die Prinzipien der Gesetzesökonomie, der verständlichen Gesetzessprache, der systematischen Ordnung des Rechtsstoffes und der adäquaten Kundmachung.

Das Internet wird als Möglichkeit gesehen, zu einer Erhöhung der Rechtskenntnis beizutragen – es biete erstmals eine „realistische Option, diese gesetzliche Erwartung zumindest ansatzweise durch ein universelles Informationsangebot zu erfüllen“.[17]

1.3 Information als demokratiepolitisches Desiderat

Informationen über das Tun und Lassen der Regierung und Verwaltung sind Voraussetzung für Demokratie und das Ausüben der Rechte und Pflichten als Staatsbürgerin. Dieser Gedanke spiegelt sich in zahlreichen Publikationen wieder. Immer wieder fordert zum Beispiel der Europäische Ombudsmann Jacob Söderman eine „offene Verwaltung“.

„A precondition of effective democracy is that citizens should have sufficient information available to them about what the public authorities have done, what they are doing and what they are planning to do. Without adequate in- formation, citizens cannot evaluate the performance of those for whom they have voted and for whom they may be asked to vote again. Nor can citizens be participate effectively in the on-going public debate between elections, which is part of a healthy democracy.“[18]

In einer Untersuchung über das Informationsbedürfnis von britischen Staatsbürgerinnen, die Rita Marcella und Graeme Baxter mittels persönlichen Interviews durchführten, wurde festgestellt, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten Informationsfreiheit als wichtige Voraussetzung für das Ausüben der Rechte als Staatsbürgerinnen sah: „A highly significant majority (91.7 %) believed that freedom of information was important for exercising their rights as citizens. (...) In summary, freedom of information was felt to be: a basic democratic right; necessary to ensure politicians‘ accountability; and necessary in the current atmosphere of sleaze and corruption“.[19]

Ein ähnlicher Gedanke wird von Ewald Wiederin geäußert: „Demokratie setzt voraus, daß Informationen frei beschafft und verbreitet werden können, denn erst dadurch entsteht jene Öffentlichkeit, in der sich der demokratische Prozeß entfaltet“.[20]

Das Rechtsinformationssystem spielt bei diesem Aspekt eine besondere Rolle, da es auch Gesetzesentwürfe und Regierungsvorlagen der Öffentlichkeit zugänglich macht. Wenn auch keine Garantie besteht, dass die eigene Stellungnahme berücksichtigt wird, so muss sich die aktive Teilnahme an der Demokratie und die Mitbestimmung nicht auf das Ausfüllen eines Stimmzettels beschränken. Edeltraud Egger spricht in diesem Zusammenhang von einem „Informationsvorsprung des Staates“, der hinderlich für eine demokratische Entwicklung sei: „Zur Zeit besteht ein Informationsvorsprung des Staates, der zu Gunsten der BürgerInnen in ein akzeptables Informationsgleichgewicht umgewandelt werden muß, sollen demokratische Prinzipien nicht zu reinen Lippenbekenntnissen werden“.[21]

Man könnte in Bereich der Rechtsinformationen eine Unterscheidung vornehmen, zum Beispiel: Verfassungs- und Verwaltungsrecht, die unmittelbar das staatliche Gemeinwesen betreffen und damit eindeutig demokratiepolitisch wichtig sind, werden vom Staat kostenlos zur Verfügung gestellt; dagegen wird das Bürgerliche Recht, das das Verhalten der Staatsbürgerinnen untereinander regelt[22], von ebenso „bürgerlichen“, d.h. privaten Anbietern zugänglich gemacht, und zwar unter ebenso privat geregelten Konditionen.

1.4 Weitere Fragen

Bei der Literatursichtung tauchten auch drei Fragen auf, die im Rahmen dieser Arbeit leider nicht oder nur äußerst kurz behandelt werden können. aus.“

Da ist zunächst die Frage, warum Menschen sich überhaupt „freiwillig“ an Gesetze halten[23]. Rehbinder unterscheidet zwischen Sanktionsorientierung, Identifikation und Internalisierung. Die Sanktionsorientierung entspricht sozusagen einer rationalen Kosten-Nutzen-Analyse: Eine Norm wird dann befolgt, wenn der Nutzen des Gesetzesverstoßes niedriger ist als der Nutzen der Einhaltung der Gesetze. Unter Identifikation versteht man in diesem Zusammenhang die Einhaltung von Normen aufgrund einer Orientierung am Verhalten anderer. Die dritte Form, die Internalisierung, kann als die „ideale Wirkungsweise des Rechts“ betrachtet werden: Die Normen werden freiwillig befolgt, weil die Inhalte als richtig, vertretbar, legitim akzeptiert werden. Eine ähnliche Einteilung gibt es auch bei Tyler: „If people view compliance with the law as appropriate because of their atti- tudes about how they should behave, they will voluntarily assume the obliga- tion to follow legal rules. They will feel personally committed to obeying the law, irrespective of whether they risk punishment for breaking the law.”[24]

Die zweite Frage ist, warum – obwohl die Rechtskenntnis der Bevölkerung so gering ist – die meisten Menschen im Lauf ihres Lebens nie mit dem Gesetz in Konflikt kommen: „Wie ist es zu erklären, daß der größte Teil der Bevölkerung trotz seiner Unkenntnis der zahllosen, ständiger Abänderung und Ergänzung unterworfenen Gesetze, Verordnungen und Verfügungen die Rechtsordnung tatsächlich respektiert und niemals mit Gericht, Rechtsanwalt und Staatsanwalt in Berührung kommt?“[25]

Die dritte Frage ist, ob es nicht durch eine verbesserte Rechtskenntnis und verstärkte Kundmachung des Rechts zu einer starken, vielleicht unerwünschten Disziplinierung der Staatsbürgerinnen kommt.[26]

2. Formen der Rechtsvermittlung

2.1 Zusammenfassung

In diesem Kapitel werden beispielhaft Vermittlungsformen von Rechtsinformation und –wissen in ihrer mediengeschichtlichen Entwicklung dargestellt. Dabei wird darauf eingegangen, an wen sich die Rechtsvermittlung richtet, ob sie direkt oder über Intermediäre passiert und wie dabei auf das vorhandene oder mangelnde Vorwissen der Zielgruppe eingegangen wird.

2.2 Oral: Altes Testament

Eine Form der mündlichen Rechtsvermittlung findet sich bereits im Alten Testament im zweiten Buch Esra, Nehemia 8,1 ff.: Dort wird geschildert, wie dem versammelten Volk das Gesetz Gottes nahegebracht wird.

„Da versammelte sich das ganze Volk einmütig auf dem Platz vor dem Wassertor. Man bat den Schriftgelehrten Esra, das Buch mit dem Gesetz des Moses zu holen, das der Herr Israel vorgeschrieben hatte. Der Priester Esra brachte das Gesetz in die Versammlung der Männer und Frauen und aller, die imstande waren, es zu verstehen. (...) Das ganze Volk lieh sein Ohr dem Buch des Gesetzes. (...) Darauf gaben die Leviten[27] ... dem Volk Unterweisung im Gesetz. Die Leute blieben auf ihrem Platz versammelt. So lasen sie aus dem Buch, dem Gesetz Gottes, in Abschnitten und mit Erklärungen vor, so daß man das Vorgelesene begreifen konnte.“[28]

[...]


[2] http://www.cordis.lu/econtent/publicsector/gp-index.html

[3] z.B. der 8. Deutsche EDV-Gerichtstag in Saarbrücken (Herbst 1999) und die Tagung „Access to and Ownership of Public Sector Information“ des Instituts für Technikfolgenabschätzung in Wien (Winter 2001)

[4] http://www.cordis.lu/econtent/publicsector/gp-index.html

[5] Rehbinder: Rechtssoziologie, 2000, S. 143

[6] ebenda, S. 145 f.

[7] Rehbinder: Rechtssoziologie, 2000, S. 146

[8] Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1995, S. 185

[9] Kafka: Zur Frage der Gesetze und andere Schriften aus dem Nachlaß, 1994, S. 106

[10] Zeillinger, Gustav: Verbesserter Zugang zum Recht und Rechtsverwirklichung, 1979, S. XI

[11] Wassermann: Gestörtes Gleichgewicht, 1995

[12] vgl. die Stellungnahmen zu jenem Gesetzesentwurf, der eine Kostenpflichtigkeit des RIS vorsah

[13] Mohr: Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, 1997, S. 4

[14] Berkemann: Freies Recht für freie Bürger! (http://www.jurpc.de/aufsatz/19990188.htm)

[15] Rehbinder: Rechtssoziologie, 2000, S. 144 ff.

[16] ebenda, S. 143

[17] Lachmayer /Lebl: Entwicklungsperspektiven des RIS im ausgehenden 20. Jahrhundert. Vortrag gehalten beim ODOK 1997 (http://info.uibk.ac.at/sci-org/voeb/odokab.html#fl)

[18] Söderman: Access to official documents and archives – the democratic aspect, 2001

[19] Marcella/Baxter: „Citizenship information needs in the UK: results from a national survey of the general public by personal doorstep interview”, 2000

[20] Hofmann et al.: Information, Medien und Demokratie, 1997

[21] Egger: Datenschutz versus Informationsfreiheit, 1990, S. 16

[22] vgl. §1 ABGB: „Der Inbegriff der Gesetze, wodurch die Privat-Rechte und Pflichten der Einwohner des Staates unter sich bestimmt werden, macht das bürgerliche Recht in demselben

[23]vgl. Tyler: Why people obey the law, 1990

[24]ebenda, S. 3

[25] Hirsch: Das Recht im sozialen Ordnungsgefüge, S. 75. Zitiert nach Rehbinder: Rechtssoziologie, 2000, S. 136

[26] vgl. http://www.rechtssemiotik.de/begriffe/dispositiv.shtml

[27] Die bekannte Redewendung „jemandem die Leviten lesen“ kommt allerdings nicht davon, sondern von den Andachtsübungen aus dem Leben der Benediktiner, wobei häufig Texte aus dem dritten Buch Moses („Leviticus“) vorgelesen wurden. Dieses Buch enthält Verhaltensregeln für die Leviten (vgl. Drosdowski: Duden Band 11. Redewendungen und sprichwörtliche Redewendungen, 1992)

[28] Hamp/Stenzel: Das alte Testament, 1966, S. 525 f.

Ende der Leseprobe aus 96 Seiten

Details

Titel
Das österreichische Rechtsinformationssystem im Spannungsfeld von privatem und öffentlichem Interesse
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
96
Katalognummer
V107455
ISBN (eBook)
9783640057245
Dateigröße
906 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rechtsinformationssystem, Spannungsfeld, Interesse
Arbeit zitieren
Monika Bargmann (Autor:in), 2002, Das österreichische Rechtsinformationssystem im Spannungsfeld von privatem und öffentlichem Interesse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107455

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