Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau. Romantische und realistische Elemente.


Seminararbeit, 2002

7 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Formales

2 Romantische und realistische Elemente
2.1 Motiv des Teufels
2.2 Francœurs Heilung

Zusammenfassung

Einleitung

Die Erzählung "Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau" gehört heute neben der "Isabella von Ägypten, Kaiser Karl des fünften erste Jugendliebe" zu Achim von Arnim`s bekanntesten und am häufigsten interpretierten Werken. Sie erschien 1818 in den von Friedrich Wilhelm Gubitz herausgegebenen "Gaben der Milde" zu Gunsten der Kriegsverletzten aus dem Freiheitskrieg gegen Napoleon. Auch Arnim hatte 1813 an diesem Krieg teilgenommen, und zwar als Hauptmann eines Berliener Landsturmbataillons. Nach den Kriegen gibt es viele Kriegsversehrten. Arnim greift diese Thematik für seine Erzählung auf: Die Hauptfiguren der Erzählung sind ein (allerdings im siebenjährigen Krieg 1756- 1763)

kriegsversehrter französischer Soldat und seine deutsche Frau.

Arnims nutzte als Quelle vermutlich ein Ereignis, das sich in Marseille tatsächlich ereignet hat: Ein Kriegsinvalider hatte sich auf dem Fort Ratonneau gegenüber dem Hafen eingeschlossen und drohte damit, die Stadt zu beschießen. Soldaten hatten den Mann überwältigt und ins Irrenhaus abgeführt. Auf diese Information aus dem „Almanach historique de Marseille pour l`annee bissextile 1772, chez Jean Mossy“ könnte Arnim auf seiner Reise über Nizza nach Marseille gestoßen sein. In diesem Fall wäre Arnims größte Veränderung der Quelle die Einführung Rosalies, Francœurs deutscher Frau.

1 Formales

Der Erzähler zeigt ein auktoriales Erzählverhalten und gewährt in der Innensicht Einblick in die Gefühlswelt der Figuren. Dennoch sind Erzählerkommentare eher selten. Ein Beispiel für einen auktorialen Erzählerkommentar ist die Stelle "Nach solchem Tage läßt sich in einem Menschenleben selten noch etwas erleben, was der Mühe des Erzählens wert wäre" (S. 2101 ). Der Erzähler tritt wertend hervor. Der Kommentar selbstreferentiell, bezieht sich also auf den literarischen Text: Diese Geschichte sei "des Erzählens wert" gewesen, ansonsten gebe es aus dem Leben der Protagonisten nichts weiter zu berichten.

Die Erzählung kann in drei Teile gegliedert werden. Der erste Teil umfasst den Holzbeinbrand von Graf Dürand (S. 187-189). Bereits hier wird das Feuer- Motiv eingeführt. Im zeitlichen Handlungsablauf liegt dieser Abschnitt in der Mitte.

Rosalies Rückschau in direkter Rede (S. 189-193) stellt den zweiten Teil dar. Erst hier wird die 'eigentliche' Hauptfigur, nämlich der 'tolle Invalide' Francœur, eingeführt. Danach läuft die Handlung linear und ohne Unterbrechungen weiter; dieser dritte Teil macht den größten Textabschnitt aus.

2 Romantische und realistische Elemente

In „Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau“ sind sowohl romantische als auch bereits realistische Elemente auszumachen. Romantische Motive und Ereignisse sind so in den Text eingebaut, dass sie in den Rahmen eines realistischen Erzählens passen. Am Beispiel des Teufelsmotivs soll dies im folgenden erläutert werden: der Glaube an Fluch und Schicksalsverhängnis ist romantisch, aber durch die materialistische Erklärung bleibt dieses Motiv realistisch.

2.1 Motiv des Teufels

Der Teufelsglaube wird eingeführt von Rosalie. Ihre Mutter übergab sie wegen der unliebsamen Verbindung mit einem Franzosen „mit feierlicher Rede dem Teufel“ (S. 191). Rosalie glaubt fest an diesen Fluch, der auf ihr lastet. Francœurs Krankheit erklärt sie sich dadurch, dass ein Teil des Fluchs mit der Heirat auf ihn übergegangen sein müsse. Damit vertritt sie eine romantische Auffassung, denn sie glaubt an wunderbare Vorgänge, an Fluch und Schicksal. Eine entgegengesetzte, realistische Haltung nimmt vor allem Graf Dürande, der Kommandant von Marseille, ein. Er nimmt Rosalies Geschichte von Fluch und Teufel nicht wirklich ernst und überführt als erster das Teufelsmotiv in eine semantische Ebene: „ein Franzose hat immer den Teufel im Leibe!“. Für ihm ist der Teufel eher ein Sinnbild. Dürande macht aus dem Motiv ein Wortspiel, womit er dem Teufel geradezu positive Eigenschaften zuschreibt: für einen Franzosen ist es offenbar nicht schlecht, ihn im Leibe zu haben. Als Francœur das Fort in Besitz nimmt wird die Sache für Graf Dürande zwar „ein teuflischer Ernst“ (S. 203), aber auch hier benutzt er das Wort in übertragenem Sinne und fürchtet nicht etwa eine übernatürliche, wunderbare Macht.

Francœur steht zwischen diesen beiden Extremen. Als er erstmals damit konfrontiert wird, dass er vom Teufel besessen sein soll, sagt er nur „er wisse nichts vom Teufel“ (S. 198). Später redet er so, als glaube er selber daran, dass der Teufel in ihm ste>der Teufel und im Namen des Teufels sage ich euch, redet kein Wort“. Diese Aussage wird aber zweifach relativiert:

Die Möglichkeit der geistigen Verwirrung Francœurs auf Grund einer Kopfverletzung ist in der Erzählung zu diesem Zeitpunkt bereits eingeführt. Seine Worte unterliegen daher immer der Möglichkeit, Gerede eines Verrückten zu sein. Zum Zweiten scheint er seine `Besessenheit` auch in seinem geistig entrückten Zustand nicht all zu ernst zu nehmen, sondern er kommentiert beinahe ironisch das, was alle von ihm zu glauben scheinen. Beinahe grotesk wirkt es, wenn er Rosalie als „Satanas“ ihre Kleider zurück schicken lässt.

Das wunderbare Motiv der Teufelsbesessenheit wird am Ende materialistisch erklärt und durch eine medizinische Erklärung aufgelöst. Der Ausgang der Erzählung gibt einer realistischen Auffassung recht. Indem der Knochensplitter aus Francœurs Kopf entfernt wird, verschwindet auch der Wahnsinn oder der Teufel daraus. Eine Art Bewertung des Teufelsglaubens lässt sich jedoch im Verlauf der Geschichte schon früher ausmachen, denn an den Teufel glauben nur die einfachen, ungebildeten Figuren.

Rosalies Mutter ist die erste, die den Teufel ins Spiel bringt. Als Prostituierte (sie „sah viele Männer bei sich“, S. 189) gehört sie zu den untersten Gesellschaftsschichten. Rosalie stammt damit aus der selben Schicht und hat ebenso wenig Bildung wie ihre Mutter. Bei diesen beiden ist der Glaube an den Teufel am heftigsten ausgeprägt. Weitere Figuren in diesem Zusammenhang sind Basset, Kammerdiener des Grafen Dürande, und der Mönch Philipp. Basset bezeichnet der Erzähler als „armen Schwätzer“ (S. 198), während Philipp als ängstlicher Eiferer in einer lächerlichen Szene gedemütigt wird: er hängt an seinem Mantel am Zaun fest.

Graf Dürande nutzt das Teufelsmotiv wie schon erwähnt nur in übertragenem Sinne. Er steht Rosalies abergläubischen Ansichten zwar freundlich, aber eher skeptisch entgegen. Der Teufel taucht in seinen Reden nur in übertragenem Sinne, oftmals spielerisch und in geradezu positivem Sinne auf. Als gebildeter Mann von hoher Stellung vertritt der Kommandant eine realistische Auffassung von Francœurs `Besessenheit`, die sich am Ende der Erzählung auch bewahrheitet.

Der Soldat Francœur dagegen ist sowohl in seinem Glauben an den Teufel als auch in seiner gesellschaftlichen Stellung in der Mitte anzusiedeln.

Interessant ist auch, dass der Teufel allein durch die Sprache in die Vorstellungswelt der Figuren Einzug hält. Rosalies Mutter ist der Ausgangspunkt dieser Entwicklung. Rosalie nimmt die Vorstellung auf und trägt sie zum Kommandanten. Dieser erwähnt erstmals den Teufel gegenüber Francœur. Dessen Antwort auf die Frage Dürandes verdeutlicht prägnant die Wirkung der Rede über den Teufel und fungiert als Vorausdeutung, die sich bewahrheiten soll: „Man darf den Teufel nicht an die Wand malen, sonst hat man ihn im Spiegel“ (S. 195). In der Folge wird Francœur tatsächlich zu einem `Teufel`, der ganz Marseille bedroht. Auch dieses Mittel ist als realistisch einzuschätzen: die `poetische Auferstehung` des Teufels wird mitvollzogen. Die natürliche Herkunft der fantastischen Figur wird offenbart. Die menschlichen Vorstellungen über den Teufel materialisieren sich durch die Sprache.

Francœurs Heilung

Als Francœurs Kopfwunde aufplatzt, häufen sich noch einmal fantastische, romantische Elemente: die brennende Zündschnur wird durch Blut und Tränen gelöscht, während ein Wirbelwind das Pulver weg und die Teufelsflagge vom Turm herab weht. Im Anschluss fliegen in einer idyllischen Szene zwei Tauben um die wieder vereinte, glückliche Familie. Genau zur gleichen Zeit, so erfährt Rosalie später, stirbt ihre Mutter. Die Tauben werden vom Erzähler zumindest soweit in einen realistischen Rahmen integriert, als er sie schon vorher einführt: es handelt sich vermutlich um das Taubenpaar, welches Francœur beim Einzug in das Fort von seinen Vorgängern erstanden hat (S. 196). Auch Francœurs Erklärung „Sie waren, wie gute Engel, meines Kindes Spielkameraden auf dem Fort gewesen“ (S. 209) macht die Szene zumindest etwas wahrscheinlicher. Das idyllische Flair und die mögliche symbolische Deutung der zwei Tauben mit grünen Blättern im Schnabel bleiben dabei dennoch erhalten. Für die wundersame Löschung der Zündschnur dagegen sowie für die anderen Ereignisse muss man schon ein großes Maß an Zufall bemühen, um sie in eine realistische Auslegung zu integrieren. Dennoch wäre eine solche Begründung nicht völlig ausgeschlossen.

Zusammenfassung

In Achim von Arnims Erzählung „Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau“ sind sowohl romantische als auch realistische Motive auszumachen. Dabei lässt sich feststellen, dass sich Realistisches und Wunderbares nicht etwa mischt, wie es zum Beispiel in Ludwig Tiecks „Der blonde Eckbert“ der Fall ist. In Tiecks Märchen vermengen sich die beiden Ebenen derart, dass eine Trennung nicht mehr möglich scheint. Die Grenze zwischen Realität und Fantastischem sind aufgelöst und nicht mehr zu erkennen.

In “Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau” gibt es dagegen klar trennbare Auffassungen von Francœurs Krankheit. Eine wunderbare, die eine teuflische Besessenheit ins Spiel bringt, und eine realistische, die von einer Kopfverletzung ausgeht. Der Ausgang der Geschichte gibt einer materialistischen, medizinischen Deutung recht. Zwar gibt es romantische Motive, man kann diese jedoch alle in einen realistischen Rahmen eingliedern.

[...]


1 Alle Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Achim von Arnim: Erzählungen. Hg. von Gisela Henckmann. Stuttgart 1991.

Ende der Leseprobe aus 7 Seiten

Details

Titel
Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau. Romantische und realistische Elemente.
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)
Veranstaltung
Proseminar Achim von Arnim
Autor
Jahr
2002
Seiten
7
Katalognummer
V107443
ISBN (eBook)
9783640057160
Dateigröße
451 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Invalide, Fort, Ratonneau, Romantische, Elemente, Proseminar, Achim, Arnim
Arbeit zitieren
Andrea Geiss (Autor:in), 2002, Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau. Romantische und realistische Elemente., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107443

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