Weltweite Trends bei Rentenreformen


Hausarbeit, 2002

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

I. RENAISSANCE DER KAPITALDECKUNG

II. UNBESTRITTENER REFORMBEDARF

III. DIE REFORM IN CHILE
A. DARSTELLUNG
B. BEURTEILUNG

IV. DIE REFORM IN ARGENTINIEN
A. DARSTELLUNG
B. BEURTEILUNG

V. DIE REFORM IN SCHWEDEN
A. DARSTELLUNG
B. BEURTEILUNG

VI. FAKTOREN DER REFORMRICHTUNG UND -INTENSITÄT

VII. FRAGEZEICHEN DER ENTWICKLUNG

VIII. ZUSAMMENFASSUNG

IX. LITERATUR

Abbildungsverzeichnis

TABELLE 1: DIE BEIDEN GRUNDMUSTER INTERNATIONALER RENTENSYSTEME

TABELLE 2: MAKROÖKONOMISCHE INDIKATOREN CHILES, 1970-1997. AUS: EISEN

(2000: 21)

TABELLE 3: RENDITEN DER ARGENTINISCHEN RENTENFONDS (QUELLE: SAFJP 2001)

TABELLE 4: RENTENREFORMEN IN LATEINAMERIKA UND OSTEUROPA (EIGENE GRAFIK; QUELLEN: PINERA 2001, MÜLLER/RYLL/WAGENER 1999, HOLZMANN 1999) ..

ABBILDUNG 1: IMPLICIT PUBLIC DEBT (IPD) UND REFORMINTENSITÄT, AUS: BROCKS/JAMES 1999

ABBILDUNG 2: DER MULTI - PILLAR APPROACH DER WELTBANK, AUS: WORLD BANK (1994)

ABBILDUNG 3: RENTENSYSTEME AUSGEWÄHLTER LÄNDER IM ZEITABLAUF (EIGENE GRAFIK)

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Renaissance der Kapitaldeckung

Waren Anfang des 20. Jahrhunderts die wenigen Rentensysteme, die es zum damaligen Zeitpunkt gab, auf der Basis eines kollektiven Kapitalstocks aufgebaut, so hatte sich dieses Bild im Laufe des Jahrhunderts grundlegend geändert. Der Zweite Weltkrieg hatte einen Großteil der akkumulierten Kapitalien vernichtet und aus dem politischen Willen heraus, rasch breite Bevölkerungskreise in das staatliche Rentensystem einzubeziehen, wurden in vielen Ländern Umlagesysteme etabliert. Eine neue Ära zurück zur Kapitaldeckung hat ohne Zweifel 1981 die paradigmatische Reform in Chile eingeläutet. Mittlerweile haben über 30 Länder weltweit ihr umlagefinanziertes (auch: Pay-As-You-Go, PAYG) Alterssicherungssystem durch ein kapitalgedecktes (fully funded, FF) ergänzt oder ersetzt.

Das vorliegende Referat möchte die Hauptlinien dieser Entwicklung darstellen und diskutieren. Dass die PAYG-Systeme aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts dringender Reformen bedürfen, ist unbestritten. In Abschnitt 2 werden knapp die Hauptschwachstellen diskutiert. Über die Reichweite und konkrete Ausgestaltung der Rentenreformen herrscht allerdings Dissens. Zu unterschiedlich sind die ökonomischen Ausgangslagen und bisherigen Entwicklungspfade der verschiedenen Länder, zu unterschiedlich die jeweiligen politischen Kräfteverhältnisse. Daher verwundert es nicht, wenn Robert Holzmann von der Weltbank zu dem Schluss kommt, dass keine zwei Zwillingsreformen in der Welt zu finden sind (vgl. Holzmann 1999: 12). In den Abschnitten 3 bis 5 werden aus diesem Grund drei beschrittene Reformwege dargestellt, die die Bandbreite und Mannigfaltigkeit der Reformoptionen und gewählten Ansätze dokumentieren sollen. An erster Stelle steht hierbei die Rentenreform in Chile, die als erste und zugleich radikalste Realisation eines kapitalgedeckten Systems in der internationalen Fachliteratur zum Referenzmodell geworden ist. Daran anschließend werden die argentinische und die schwedische Rentenreform - wenngleich auch weniger ausführlich - erläutert und diskutiert. Argentiniens Reform, obwohl von Chile inspiriert, ist viel moderater als jene ausgefallen und zeigt die Uneinheitlichkeit der Reformanstrengungen allein in Lateinamerika auf. Das schwedische Beispiel wurde schließlich ausgewählt, weil dort in den 90er Jahren eine moderne Variante des Umlagesystems, der sogenannte Notional Defined Contribution (NDC) Ansatz, entwickelt und umgesetzt worden ist.

Abschnitt 6 möchte die Einzelbeobachtungen verallgemeinern und geht der Frage nach den Bestimmungsfaktoren der Reformintensität nach. Dabei werden nur staatlich institutionalisierte Rentensysteme und hierbei nur die Regionen Lateinamerika und Europa in die Betrachtung einbezogen. Es bleibt festzuhalten, dass in weiten Teilen der Welt noch heute eigene Kinder die sicherste Altersvorsorge sind. Im siebten Abschnitt möchte der Autor den Blick auf bedenkliche Entwicklungen richten, die sich aus der Umstellung auf die Kapitaldeckung ergeben. Abschnitt 8 fasst schließlich die gewonnenen Erkenntnisse zusammen und gibt einen kurzen Ausblick auf anschließende Forschungsfragen.

II. Unbestrittener Reformbedarf

Mit dem zu einer groben Einteilung gehörenden Mut lassen sich international die folgenden zwei Grundtypen an Rentensystemen unterscheiden (Tabelle 1). Damit soll keinesfalls ausgesagt werden, dass die einzelnen Konstruktionselemente zwangsläufig auf diese Weise miteinander verkoppelt werden müssen, sondern vielmehr, dass sie es in der Mehrzahl der zu beobachtenden Fälle sind.

Tabelle 1: Die beiden Grundmuster internationaler Rentensysteme

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abgesehen von den Problemen für die zu erwartende Rendite, die aus dem in weiten Teilen Europas mittlerweile negativen Bevölkerungswachstum (ohne Migration) resultieren, hat die Konstruktion der Rentenformel nach dem Defined Benefit (DB) Prinzip, bei dem die Rentenformel allein die Rentenauszahlungen definiert, zur langsamen Aushöhlung der Rentensysteme vom Typ Umlage geführt, da dieses Prinzip die finanzielle Stabilität des Systems nicht zu garantieren vermag und unter anderem die stark gestiegene Lebenserwartung nicht automatisch eingerechnet werden kann. Im Gegensatz dazu steht das Defined Contribution Prinzip (DC, auch: Lebenseinkommensprinzip), in dem nur die Beiträge festgelegt werden und die Höhe der späteren Rente sich durch eine versicherungsmathematisch strikt äquivalente Umrechnung der über das gesamte Leben akkumulierten Beiträge plus ihren Erträgen ergibt.

DB-Systeme bieten Anreize zur Beitragsvermeidung, da die Höhe der Rente überwiegend oder ganz von dem Einkommen der letzten Berufsjahre vor Eintritt in den Ruhestand bestimmt wird. Dies führt besonders in jungen Jahren zur Unterdeklaration der Einkommen oder Abgabenflucht durch Abwanderung in die Schattenwirtschaft (tax evasion), da diese Beiträge keinen Einfluss auf die spätere Rentenhöhe haben. Zudem führt dies zu problematischen Verteilungen, da Personen mit alterssteilen Einkommensprofilen, die zumeist der Mittel- bis Oberschicht entstammen, deutlich von der Rentenformel bevorteilt werden.

Darüber hinaus erlaubt das DB-Prinzip politische Manipulationen, da es unsystematischer als das DC-Prinzip ist. Aus (kurzsichtiger) politischer Opportunität wurde in vielen Ländern der Kreis der Rentenempfänger auf Personengruppen ausgeweitet, die niemals Beiträge geleistet haben, und generöse Vorruhestandsregelungen geschaffen, die zu exzessiven Frühverrentungen geführt haben1. Durch die intransparente Verquickung von Sozialversicherung und Umverteilung geht ein klarer Zusammenhang zwischen den eingezahlten Beiträgen und den späteren Rentenleistungen verloren, was zu einem Akzeptanzverlust des Systems führt.

III. Die Reform in Chile

a. Darstellung

Mit dem chilenischen Rentensystem2 vor 1981 wurde ein System abgelöst, das durch erhebliche Ineffizienzen gekennzeichnet war: Zum einen war es in über hundert Sondersysteme zersplittert, was zur Privilegierung bestimmter Berufsgruppen und so zu gravierender Ungleichheit geführt hatte. Zum anderen drohten demografische Trends die fiskalische Belastung durch das Rentensystem drastisch ansteigen zu lassen. Diese Ausgangslage traf zusammen mit einer extrem marktorientierten Ideologie des 1973 durch einen Militärputsch an die Macht gekommenen Pinochet- Regimes. Mit den Dekreten 3500 und 3501 vom 04. November 1980 wurde in Chile schließlich quasi mit einem Federstrich der radikale Übergang von der Umlagefinanzierung zur Kapitaldeckung vollzogen.

Das neue Rentensystem Chiles besteht aus drei Komponenten: einer staatlich garantierten Mindestrente, einer kapitalgedeckten Pflichtversicherung und zusätzlichen freiwilligen Sparleistungen.

Anspruch auf die steuerfinanzierte, inflationsangepasste Mindestrente erwirbt, wer mindestens 20 Jahre lang Beiträge zur Rentenversicherung geleistet hat. Liegt die damit erworbene Rente unter dem Niveau der Mindestrente, wird sie bis zu deren Betrag aufgestockt, der derzeit bei etwa 25% des chilenischen Durchschnittslohnes liegt. Darüber hinaus existiert eine an Bedürftigkeit geknüpfte, niedriger bemessene, von der Anzahl der Beitragsjahre unabhängige Sozialrente.

Die zweite Säule besteht aus der gesetzlichen Verpflichtung für jeden Arbeitnehmer, 10% seines Bruttolohnes (bis zu einer Bemessungsgrenze von ca. 22.000 USD jährlich; vgl. Piñera 1996) an einen privaten Rentenfonds seiner Wahl abzuführen. Zusätzlich werden 3% für eine Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung fällig, die strikt von der Altersversicherung getrennt ist. Die Pflichtbeiträge und ihre Erträge sind von der Einkommensteuer befreit; freiwillige Beiträge, die die dritte Säule des Systems bilden, werden erst bei ihrer Auszahlung besteuert. Selbständigen steht die Teilnahme an dem Rentensystem frei, das Militär ist in seinem eigenen System verblieben und wurde komplett von der Reform ausgenommen3.

Die Rentenfonds werden von professionellen Firmen, den sogenannten Administradoras de Fondos de Pensiones (AFP), verwaltet, wobei die Regel gilt: eine AFP - ein Fond. In Chile wurde der Weg einer strengen Regulierung der AFP gewählt und eine eigene Institution, die Superintendencia de AFP (SAFP), ins Leben gerufen, der die Aufsicht über die Einhaltung der Vorschriften obliegt. Das Vermögen der AFP ist von den Einlagen der Rentenversicherten strikt getrennt, sodass im Falle der Insolvenz einer AFP diese nicht verloren gehen. Für ihre Dienstleistung dürfen die AFP eine proportionale Gebühr auf die Neueinlagen sowie eine Gebühr für Kontoeröffnungen erheben, nicht jedoch eine für Kontoschließungen auf Grund eines Wechsels der AFP, der den Versicherten bis zu vier Mal innerhalb eines Jahres gestattet ist. Zur Lizenzierung einer AFP ist eine Rücklage in Höhe von umgerechnet ca. 160.000 USD nachzuweisen; ein Betrag, der mit der Anzahl der eingetragenen Klienten wächst. Der Anlagepolitik der Fonds sind enge Grenzen gesetzt: so dürfen z.B. höchstens 37% der Gesamteinlagen eines Fonds in Aktien gehalten und nicht mehr als 9% im Ausland investiert werden (vgl. Hujo 1999: 131; für Details siehe Eisen 2000: 16). Der Staat garantiert eine minimale Ertragsrate auf das eingezahlte Kapital, die gleich der Hälfte der Durchschnittsrendite aller AFP bzw. dieser Durchschnitt minus zwei Prozentpunkten ist; je nachdem, was geringer ist. Liegen die Erträge eines Fonds unter der minimalen Ertragsrate muss die AFP aus ihrem eigenen Kapital die Erträge auf diese Rate aufstocken4. Kann die AFP die Lücke nicht aus eigenen Mitteln schließen, wird sie liquidiert.

Beim Eintritt in den Ruhestand - regulär mit 65 (60) Jahren für Männer (Frauen)5 - besteht für die Versicherten die Wahl, entweder mit ihrem akkumulierten Kapital eine lebenslange Leibrente (Annuität) bei einer privaten Versicherung zu erwerben oder kontrolliert Monat für Monat einen Teil ihres Kapitals abzuheben (programmed withdrawel) entweder bis zu ihrem Tode, wobei ein eventuelles Restvermögen der Erbmasse zugeschlagen wird, oder bis der gesamte Kapitalstock aufgebraucht ist, wonach die staatliche Mindestrente bezogen werden kann.

Das ehemalige chilenische Umlagesystem wird etwa im Jahre 2030 vollständig auslaufen. Alle Arbeitnehmer, die nach dem 31.12.1982 in das Berufsleben eingetreten sind, sind verpflichtet, am neuen System teil zu nehmen. Alle, die zu diesem Stichtag schon im Berufsleben standen, hatten die Wahl, im alten System zu verbleiben oder in das neue hinüber zu wechseln, wobei ein Steueranreiz von einem um 11% höheren Nettolohn viele Menschen zum Wechsel veranlasst hat. Diejenigen, die unter dem alten System schon Beiträge geleistet hatten, erhielten dafür sogenannte Anerkennungsbonds für die geleisteten Beiträge, die pauschal mit einer realen Rate von 4% verzinst wurden.

b. Beurteilung

Im Folgenden soll die chilenische Rentenreform unter drei Gesichtspunkten analysiert werden: erstens sollen die bis dato erzielten Resultate auf dem Gebiet der Rentenversicherung an sich untersucht werden, zweitens soll nach möglichen Konstruktionsfehlern gefragt und drittens sollen die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen betrachtet werden.

Beginnen wir mit der Rentenversicherung an sich. Mittlerweile haben 99% aller chilenischen Erwerbspersonen ein Konto bei einer der AFP eröffnet und damit mindestens in einem Monat einen Beitrag entrichtet. Allerdings lag die Rate der regelmäßigen Beitragszahler 1995 lediglich bei 58% der Beschäftigten. Diese niedrige Beitragsrate wird damit erklärt, dass die meisten Selbständigen sich dem neuen System nicht freiwillig angeschlossen haben. Zudem wird vermutet, dass unter Spekulation auf die Mindestrente Sozialabgaben hinterzogen werden (moral hazard). Die durchschnittliche jährliche reale Ertragsrate aller Fonds betrug im Zeitraum von 1981 bis Oktober 2001 10,7% (SAFP 2001), wobei die Streuung allerdings relativ hoch ist (σ≈0,09). Besonders in den Anfangsjahren wiesen die Fonds weit überdurchschnittliche reale Ertragsraten von 28,8% (1982) bzw. 21,2% (1983) auf (vgl. Edwards 1998: 43), die allerdings vor allen Dingen der Anlage in zwei Stromerzeuger (Enersis und Endesa) geschuldet waren, die durch umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen, die Teil der damaligen chilenischen Stabilisierungspolitik waren, außerordentliche Gewinne erwirtschafteten.

Eine erste Untersuchung aus dem Jahr 1995 kommt zum dem Schluss, dass die neue chilenische Rente ein replacement ratio von ca. 78 % erreicht und dass die Renten des FF-Systems im direkten Vergleich mit denen des PAYG-Systems um 42% höher liegen (vgl. Edwards 1998: 48). Die Beitragsrate wurde zugleich von ehemals 16- 26% des Bruttolohnes je nach Berufsgruppe (vgl. Eisen 2000: 9) auf 13% gesenkt. Betrachtet man die Reform zweitens von der administrativen Seite her, so haben die hohen Verwaltungskosten bei gleichzeitig relativer Unterschiedslosigkeit der AFP die größte Kritik auf sich gezogen. Die Verwaltungskosten lagen zu Beginn der Reform bei 90% der gesamten Beiträge. Dieser Anteil ist mittlerweile auf 10% der Beiträge gesunken, liegt aber im Vergleich zu anderen Ländern immer noch relativ hoch. Dies erstaunt umso mehr vor dem Hintergrund, dass es gerade in den letzten Jahren zu einer erheblichen Konzentration auf dem Markt der AFP gekommen ist.

Waren zu Beginn der Reform 1981 12 AFP lizenziert, stieg diese Zahl im Jahre 1994 auf 21 und fällt seitdem durch Zusammenschlüsse kontinuierlich auf derzeit6 sieben AFP (vgl. Eisen 2000: 11, 48f.; SAFP 2001). Verantwortlich für die hohen Verwaltungskosten wird die Erlaubnis zum viermaligen Wechsel innerhalb eines Jahres gemacht, was zu extremen Werbeausgaben der AFP bis hin zu „free toasters“ als Wechselprämien (Edwards 1998: 61) geführt hat.

Die Portfolios der AFP unterscheiden sich kaum voneinander (vgl. Eisen 2000: 55 sowie Appendix B). Der Grund dafür wird in der gesetzlichen minimalen Gewinn- Garantie gesehen. Die kleineren Fonds folgen in Anlageentscheidungen häufig den Marktführern, um nicht Gefahr zu laufen, bei ungünstigen Fehlanlagen mit ihrem Vermögen zu haften („ herding-effect “, Menil/Sheshinski 2001: 28). Dies ist insofern ein Nachteil, als damit der von Anleger zu Anleger unterschiedlichen Risikoeinstellung nicht Rechnung getragen werden kann. José Piñera, der Vater der chilenischen Reform und damaliger Arbeitsminister, verteidigt die strikte Regulierung, da bei dem unterentwickelten chilenischen Kapitalmarkt und der damit verbundenen mangelnden Anlageerfahrung die Gefahr bestand, dass die Einlagen verspielt und damit das Vertrauen in die Reform zerstört würde. Ziel sei es schon damals gewesen, die Regelungen in dem Maße aufzuheben, in dem die Erfahrungen der AFP steigen (vgl. Piñera 1996).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Makroökonomische Indikatoren Chiles, 1970-1997. Aus: Eisen (2000: 21)

Betrachten wir drittens die makroökonomischen Auswirkungen der Reform, so sind die Ergebnisse schwerer zu interpretieren, da Chile in den 80er Jahren eine Reihe von Maßnahmen gleichzeitig durch geführt hat (u.a. Privatisierung, Stabilisierungs- programm) und eine genaue Zuordnung der Resultate auf die einzelnen Maßnahmen unmöglich ist.

Bezüglich der chilenischen Sparquote kommt Haindl Rondonelli (1996; zitiert nach James 1998: 35) mittels einer Zeitreihenanalyse zu dem Ergebnis, dass ihr Anstieg von 16,7% (1976-1980) auf 26,6% (1990-1994) zu zwei Drittel auf die Rentenreform zurück zu führen ist. Allerdings bleibt die genaue Auswirkung auf die Sparquote, besonders die der privaten Haushalte, umstritten, da, wie James (1998: 34) anmerkt, die Ergebnisse stark von der Wahl des Startzeitpunktes abhängen.

Einig sind sich die Beobachter in den positiven Rückwirkungen auf den chilenischen Kapitalmarkt, der 1981 lediglich 0,9% des BIP betrug und auf 40% des BIP im Jahre 1998 angewachsen ist (vgl. Edwards 1998: 52) und damit vielen Firmen eine gute Möglichkeit zur langfristigen Finanzierung eröffnet.

Die reale Wachstumsrate des chilenischen BIP lag im Zeitraum 1970-1981 bei durchschnittlich 2,79% und betrug 1982-1997 durchschnittlich 5,38%. Dennoch ergibt sich ein „mixed picture“, wie Eisen (2000: 23) es formuliert, da sie kurz nach der Rentenreform stark abgefallen ist (siehe Tabelle 2). Die Arbeitslosenrate ist im Zeitraum nach der Reform gefallen, allerdings nur schwach.

IV. Die Reform in Argentinien

a. Darstellung

Argentinien hat sein7 ineffizientes Defined Benefit -Umlagesystem, das durch eine schwache Beitrag-Leistungs-Kongruenz und ein hohes Maß an Ungleichheit gekennzeichnet war und durch ungünstige demografische Trends drohte, finanziell aus dem Ruder zu laufen, in zwei Schritten umstrukturiert.

Der erste Schritt der argentinischen Reform bestand 1991 vor allem darin, den Anspruch auf den Bezug der umlagefinanzierten Rente zu straffen, indem er an die Bedingung von 20 Jahren Beitragszahlung (vormals 15 Jahre) geknüpft wurde. In einem zweiten Schritt wurde 1994 ein Mischsystem aus Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung eingeführt, das sogenannte Integrierte System (SIJP). Die Versicherten haben die Wahl, entweder ganz im staatlichen Umlagesystem zu verbleiben oder mit einem Teil ihres Beitrags einen individuellen Kapitalstock anzusparen. Der vollständige Austritt aus dem staatlichen System ist nicht möglich. Formal besteht das neue Rentensystem aus drei Säulen. Die erste Säule (PBU) garantiert eine Basisrente auf dem PAYG-DB-Prinzip, in das die Arbeitgeber 16% des Lohnes einzahlen müssen und das darüber hinaus aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert wird. Die zweite Säule ist zweigeteilt. Wer im reinen Umlagesystem verbleiben möchte, zahlt zusätzlich zur ersten Säule 11% seines Bruttolohnes in das zusätzliche öffentliche PAYG-DB-Rentensystem (PAP) ein. Wer sich einen eigenen Kapitalstock für seine Rente aufbauen möchte (JO), führt diesen Betrag an einen privaten oder öffentlichen Rentenfonds (FJP) seiner Wahl ab. Die Managementfirmen der Rentenfonds (AFJP) werden wie in Chile von einer staatlichen Aufsichtsbehörde kontrolliert. Ebenso existieren eine Mindestertrags- garantie sowie gesetzliche Investionsschranken (vgl. Cottani/Demarco 1998: 188). Schließlich wurde in Argentinien eine dritte Säule geschaffen, die aus freiwilligen Rentensparleistungen besteht, die eine begünstigte Steuerbehandlung erfahren. Die Selbständigen müssen 27% ihres Einkommens in die Versicherung einzahlen, die in demselben Verhältnis wie für die Arbeitnehmer (16:11) auf die erste und zweite Säule aufgeteilt werden.

Personen, die neu in die Berufswelt einsteigen, müssen sich zwischen dem reinen Umlageverfahren (PBU+PAP) und dem Mischsystem (PBU+JO) entscheiden. Der Wechsel vom Umlage- zum Mischsystem ist jederzeit möglich, ein umgekehrter Wechsel dagegen ausgeschlossen. Personen, die unter dem alten Umlagesystem Beiträge geleistet haben, erhalten mit Renteneintritt zusätzlich eine sogenannte Kompensatorische Rente (PC). Auf die Vergabe von pauschal verzinsten Anerkennungsbonds wie in Chile wurde in Argentinien verzichtet.

b. Beurteilung

Auch wenn Berufseinsteigern die freie Wahl zwischen einem vollständigen PAYG- System und einem Mischsystem eingeräumt worden ist, gehen die einhelligen Prognosen in die Richtung, dass das reine Umlagesystem auf Dauer verschwinden wird. Nur ein Jahr nach Einführung der Reform, also im Jahre 1995, entschieden sich 90% aller Berufseinsteiger für das Mischsystem. Mittlerweile befinden sich von den 4,2 Millionen Beitragszahlern 16,6% im reinen Umlagesystem, 78,6% im Mischsystem, der Rest sind Sonderfälle (vgl. SAFJP 2001: 7). Die Parallelität der Systeme war von den Autoren der Reform nicht intendiert, sondern Ergebnis der über zweijährigen politischen Diskussion, an deren Ende eine Reihe von Kompromissen stand. Die Optionalität wird als ein Kniff interpretiert, die Bevölkerung mit der Reform nicht zu überfordern, sondern langsam an den Gedanken einer privat verwalteten Rentenkasse zu gewöhnen (Anita M. Schwarz, Comment on Demarco/Cottani 1998: 210).

Zahlten zu Beginn der Reform 70% der Mitglieder des Integrierten Systems regelmäßig Beiträge, so ist diese Quote bei den derzeitig8 11,2 Millionen Mitgliedern auf 37,8% (absolut 4,2 Mill.) gefallen (SAFJP 2001: 7, 121).

Tabelle 3: Renditen der argentinischen Rentenfonds (Quelle: SAFJP 2001)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die durchschnittliche jährliche Rendite aller Rentenfonds von Juli 1994 bis Juli 2001 lag bei 11,2%, mit zum Teil beträchtlichen Schwankungen (siehe Tabelle 3). Die durchschnittlichen Gebühren liegen bei 3,5 % der Einlagen (vgl. SAFJP 2001: 53), mit größeren Unterschieden je nach Höhe der monatlichen Beiträge und AFJP. Eine Beurteilung der ausgezahlten Renten und der makroökonomischen Auswirkungen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und kaum gesicherte Erkenntnisse ergeben angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Turbulenzen und der relativ kurzen Laufzeit der Reform (sieben Jahre).

V. Die Reform in Schweden

a. Darstellung

Schweden hat in einem zweistufigen9 Verfahren zuerst sein Umlagesystem reformiert (1994) und schließlich im Jahre 2000 einen zweiten, kapitalgedeckten Pfeiler eingeführt. Das ehemalige schwedische Rentensystem bestand aus einem umlage- finanzierten System, bei dem die Rente 60% des realen Durchschnitts der 15 besten Einkommensjahre betrug, und einer zusätzlichen, niedrig bemessenen Grundrente (folkpension) für alle schwedischen Bürger. Drei Ziele standen bei den Reformüberlegungen im Vordergrund. Erstens sollte die gestiegene Lebenserwartung in der Rentenhöhe berücksichtigt werden, zweitens sollten die Beiträge über die gesamte Lebensarbeitszeit in die Berechnung einfließen und drittens sollte die Indexierung auf dem Wachstum der Löhne fußen an Statt auf dem KonsumgüterPreisindex, der die Rentner in den letzten Jahren gegenüber den Arbeitnehmern, die Reallohneinbußen hinzunehmen hatten, bevorteilt hatte.

Im Jahre 1994 hat Schweden aus diesen Gründen sein Umlagesystem von einem Defined Benefit auf ein Notional Defined Contribution (NDC) System umgestellt, mit einer festen Beitragshöhe von 16% des Bruttolohnes. In einem NDC Umlagesystem werden die geleisteten Beiträge auf einem individuellen, lebenslangen Konto geführt und verzinst (in Schweden mit der jährlichen Wachstumsrate des Pro- Kopf-Einkommens). Allerdings liegen die Beiträge dort nicht real, sondern werden nur virtuell notiert. Die realen Einzahlungen werden sofort zur Begleichung der laufenden Rentenauszahlungen verwandt. Der Eintritt in den Ruhestand ist kein festgesetztes Datum mehr, sondern die Versicherten können innerhalb eines bestimmten Korridors (in Schweden ist nur ein Mindestalter von 61 Jahren festgelegt) frei den Beginn ihrer Rentenauszahlungen wählen. Bei Renteneintritt werden die aufgezinsten Beträge des individuellen Rentenkontos in eine geschlechtsneutrale10, aktuarisch faire Annuität umgewandelt, wobei in Schweden (anders als z.B. in Polen und Lettland) die akkumulierte Summe vor Berechnung der Annuität noch um das erwartete, reale Lohnwachstum erhöht wird (frontloading).

Für das kapitalgedeckte System, das im Jahre 2000 als zweite Säule etabliert wurde, werden zusätzlich verpflichtend 2,5% des Bruttolohnes fällig. In diesem System können die Individuen frei einen aus über 500 (Jahr 2000) registrierten Investmentfonds wählen, denen keinerlei Anlage-Restriktionen auferlegt sind. Bei Renteneintritt haben die Versicherten die Wahl, ihren Kapitalstock entweder beim staatlichen Monopolisten in eine Annuität umzuwandeln oder ihre Einlagen nach und nach zurück zu ziehen.

An die Stelle der folkpension für alle wurde eine bedürfnisgeprüfte Garantierente gesetzt.

b. Beurteilung

Mit dem Übergang zum NDC-Prinzip wurde im schwedischen Umlagesystem der pure Versicherungsgedanke realisiert. Redistributive Maßnahmen, wie z.B. die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, wurden von der Alterssicherung getrennt und werden fortan aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Palmer fasst diesen Hauptgedanken der Reform zusammen: „The Swedish model seperates social policy from social insurance.“ (2001: 8).

Der NDC-Ansatz engt den Spielraum für politische Interventionen auf Grund der transparenten Beitrag-Leistungs-Kongruenz ein und senkt Fehlanreize zu Früh- verrentung und Abgabenflucht, indem die Rentenhöhe direkt an die lebenslang gezahlten Beiträge gekoppelt ist. Da die steigende Lebenserwartung in die Berechnung der Annuität eingeht, führt dies bei rationalen Individuen mit unveränderten Konsumwünschen automatisch zu einer Verschiebung des Renteneintrittsalters nach hinten.

Die finanzielle Balance des NDC Systems ist nicht unter allen Konstellationen gewährleistet. Besonders bei einer falschen Kalkulation der Lebenserwartung, die immer nur auf vergangenen Daten beruht, kann es zu Finanzierungsproblemen kommen. James (1998: 20) beurteilt den NDC Ansatz in diesem Zusammenhang sehr skeptisch: „Since both the conversion factor and the interest rate are set by the government, the NDC maybe thought of as a PAYG DB in which the DB is defined in a new way.“ Weiter kritisiert sie, dass durch die Kombination eines PAYG-NDC mit einem FF-DC-System keine Armutsabsicherung vorhanden ist und quasi ein „nullter“ Pfeiler (Garantierente) vorangestellt werden muss.

Kritik hat auch die zweite, kapitalgedeckte Säule auf sich gezogen, die mit einer Beitragsrate von 2,5% zu klein bemessen sei, weil administrative Kosten überproportional zu Buche schlagen. Während die regierenden Sozialdemokraten am liebsten ganz auf die zweite Säule verzichtet hätten, war ihre Einführung ein politischer Kompromiss, der nur in dieser Größenordnung zu erreichen war, aber den Befürwortern das Fundament für eine spätere Ausdehnung der kapitalgedeckten Komponente bietet.

VI. Faktoren der Reformrichtung und -intensität

Betrachtet man die Fülle der unterschiedlichen Reformansätze, stellt sich die Frage, welche Faktoren die Richtung und Intensität einer Reform am stärksten beeinflussen. Zuerst lässt sich eine geografische Diffusion unterstellen. Tabelle 4 zeigt allerdings, dass sich keine geografischen Trends ableiten lassen hinsichtlich der Reformrichtung.

Tabelle 4: Rentenreformen in Lateinamerika und Osteuropa (eigene Grafik; Quellen: Pinera 2001, Müller/Ryll/Wagener 1999, Holzmann 1999)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Katharina Müller unterscheidet die Reformen nach dem institutionellen Kontext. Für sie stellt die moderatere argentinische Reform die „demokratische Variante“ (u.a. 15 Müller 1999: 297) der chilenischen Reform dar, deren Radikalität nur auf Grund der Militärdiktatur Pinochets durchgesetzt werden konnte. Diese These scheint durch die Reformen in Bolivien und El Salvador, zwei von „Freedomhouse“11 als frei eingestufte Länder, als widerlegt.

James und Brocks (1999) können mittels einer Regressionsrechnung einen signifikanten negativen Zusammenhang zwischen der Höhe des Implicit Public Debt (IPD), gemessen in Prozent des BIP, und der Intensität der Reform nachweisen. Je höher das IPD und damit je höher die erwarteten Transitionskosten der Reform, desto kleiner ist die kapitalgedeckte Komponente ausgefallen (siehe Abbildung 1)12.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Implicit Public Debt (IPD) und Reformintensität, aus: Brocks/James 1999

Schießlich darf die internationale Dimension der Reformen und hier insbesondere die Rolle einflussreicher internationaler Organisationen nicht übersehen werden, die gerade auf Transformationsländer mit hohen Auslandsschulden entscheidenden Druck ausüben können. Allen voran steht hier die Weltbank, die in ihrem Weg weisenden Bericht Averting the Old Age Crisis (1994) einen multi-pillar approach propagiert (siehe Abbildung 2), der sich stark an das chilenische Vorbild lehnt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Der multi-pillar approach der Weltbank, aus: World Bank (1994)

Den ersten Pfeiler bildet in diesem Konzept eine steuerfinanzierte, niedrig bemessene Rente, die lediglich zur Verhinderung von Altersarmut ausreichen sollte. Der zweite, zentrale Pfeiler besteht aus einem kapitalgedeckten, privat verwalteten DC- Rentensystem mit regulativen Schutzmechanismen, die bei der dritten, freiwilligen Säule entfallen. Interessant an der Position der Weltbank ist der Untertitel des Berichtes „ Policies to Protect the Old and Promote Growth”, der verrät, dass es ihr nicht allein um Alterssicherung, sondern vielmehr um die Stärkung des Wirtschaftswachstums geht.

VII. Fragezeichen der Entwicklung

Kapitalgedeckte, privat verwaltete DC-Rentensysteme sind, wie gezeigt, weltweit deutlich auf dem Vormarsch. Diese bergen indes eigene Risiken, die gegen ihre Vorteile abgewogen werden müssen. Die Diskussion der agency risks hat bereits zu vielfältigen Formen der Regulierung geführt (u.a. Trennung von Fonds und Verwaltung, Mindestrücklagen, Ertragsgarantie). Mit Hilfe gezielter Diversifikation kann das Kapitalmarktrisiko verringert, wenn auch nicht eliminiert werden. Andere Ineffizienzen wie der kostspielige Werbekampf der AFP in Chile, der sich in den deutlich höheren Verwaltungsgebühren dort (10% der Einlagen) im Vergleich zu beispielsweise Argentinien (3,5%) nieder schlägt, erscheinen von vorüber gehender Natur.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Rentensysteme ausgewählter Länder im Zeitablauf (eigene Grafik)

Gravierender erscheint m.E. die Gefahr, bei extremen exogenen Schocks (z.B. Kriegen) Totalverluste zu erleiden, wie es im Laufe des 20. Jahrhunderts geschehen ist. Betrachtet man die Rentensysteme verschiedener Länder in unterschiedlichen Regionen der Welt im Zeitablauf, so zeigt sich eine erstaunliche Parallelität (Abbildung 3). Die Entwicklung stellt sich im abgelaufenen Jahrhundert als eine Wellenbewegung von der Kapitaldeckung zur Umlagefinanzierung und wieder zurück dar. Das ungünstigste Szenario, das sich vorstellen lässt, wäre der heutige Übergang zu einem kapitalgedeckten System unter hohen Transitionskosten, dessen angesparte Kapitalien dann in einem Krieg vernichtet würden.

Jose Piñera ist keinesfalls zuzustimmen, wenn er die Flexibilität der individuellen Rentenkonten in Bezug unter anderem auf Teilzeitarbeit lobt und damit zu der pauschalen Aussage gelangt: „In pay-as-you-go systems, those flexible working styles create the problem of filling the gaps in contributions. Not so in a PSA (Pension Savings Account; O.S.) scheme where stop-and-go contributions are no problem whatsoever.” (Piñera 1996, Hervorhebung O.S.). Während die kapitalgedeckten Systeme sowohl in Chile als auch in Argentinien fast die gesamte Erwerbsbevölkerung einbeziehen, ist die dort zu beobachtende geringe Quote der aktiven Beitragszahler (40%-60%) eine ernst zu nehmende Entwicklung. Das verfügbare Datenmaterial lässt leider keinen Rückschluss darüber zu, in wie weit diese beitragslosen Zeiten auf gewollt flexiblen Arbeitsbiografien oder auf moral hazard (s.o.) beruhen oder unverschuldet durch z.B. Arbeitslosigkeit zu Stande gekommen sind. Es ist jedoch zu befürchten, dass es in der Zukunft verstärkt zu dem Phänomen von Altersarmut kommen wird.

Durch die Individualisierung und Privatisierung der Rentenbeiträge gerät schließlich der Sachverhalt ins Hintertreffen, dass auch bei einem kapitalgedeckten System der Konsum der jeweiligen Rentnergeneration aus der laufenden Produktion der aktiven Erwerbsgeneration befriedigt werden muss. Auch wenn trotz negativen Bevölkerungswachstums in Westeuropa auf Grund internationalen Handels und internationaler Migration davon ausgegangen werden kann, dass die Nachfrage der Rentner befriedigt werden kann, ergibt sich dennoch ein Externalitätenproblem dergestalt, dass sich die Rentnergeneration angesichts der drastisch gefallenen Geburtenrate nicht im adäquaten Maße an den Erziehungskosten der nachfolgenden Erwerbsgeneration beteiligt hat. Private Kosten und Erträge fallen auseinander.

VIII. Zusammenfassung

Der weltweite Prozess, der in dieser Arbeit identifiziert wurde, stellt sich als die allmähliche Durchsetzung der strikten Beitrag-Leistungs-Kongruenz auf dem Feld der Alterssicherung, der Trennung von Sozialpolitik und Sozialversicherung dar. Die bisherigen PAYG-DB-Systeme mit ihrem „absence of market discipline“, wie James (1999) es formuliert, wurden durch politische Interventionen finanziell ausgehöhlt und konnten dem eklatanten Auseinanderklaffen von einer steigenden Lebenserwartung und gleichzeitig sinkendem Renteneintrittsalter nicht Einhalt gebieten. Dieser Fehlentwicklung konnte in den meisten Ländern erst mit der Rhetorik der Kapitaldeckung entgegen gesteuert werden. Obwohl mit Hilfe des NDC-Prinzips in dieser Frage dieselben Ergebnisse erzielt hätten werden können, haben nur wenige Länder diese Alternative gewählt. Denn mit dem Übergang zur Kapitaldeckung ist eine Reihe von weiteren Zielen verbunden, die von einer höheren Rendite bis hin zu verstärktem Wirtschaftswachstum (Worldbank 1994) reichen.

Ob der Übergang zur Kapitaldeckung die erwarteten Vorteile erbringt, ist allerdings noch offen. Die bis dato erzielten Resultate sind ambivalent. Auf der einen Seite wurden weit überdurchschnittliche (jedoch sehr volatile) Renditen erzielt, die zu höheren Rentenannuitäten geführt und damit den Versicherten direkt zu Gute gekommen sind. Auch die Entwicklung der Kapitalmärkte der Reformländer konnte voran getrieben werden mit wahrscheinlich positiven Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum.

Auf der anderen Seite hat die bisherige Entwicklung auch Schwachstellen offenbart. Der Trend zur Durchsetzung der puren Beitrag-Leistungs-Kongruenz verschärft Externalitätenprobleme in Bezug auf die Erziehung von Kindern, deren Folgen für die nationale und internationale Verteilung zu analysieren sind. In Bezug auf die kapitalgedeckten Systeme wurden ferner in dieser Arbeit die niedrige Quote der aktiven Beitragszahler in Chile und Argentinien sowie die Gefahr von Totalverlusten in Kriegszeiten diskutiert. Schließlich ist ungewiss, wie die Kapitalmärkte und die dort erzielbaren Renditen sich verändern werden, wenn immer mehr Länder ihre Rentensysteme auf eine Kapitaldeckung umstellen werden. Auch die Frage der Macht der Pensionsfonds und ihren Anlagestrategien stellt sich vor diesem Hintergrund neu.

IX. Literatur

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Menil, Georges de/Sheshinski, Eytan 2001: Romania’s Pension System: From Crisis to Reform, updated 21. Juni 2001, +

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Palmer, Edward 2001: Swedish Pension Reform - How Did It Evolve and What Does It Mean for the Future?, +

Piñera, Jose 1996: Empowering Workers: The Privatization of Social Security in Chile, Cato Letter No. 10, http://www.pensionreform.org/cl10.html

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Superintendencia de AFJP (SAFJP) 2001: El Régimen de Capitalización a 7 años de la Reforma Previsional, http://www.safjp.gov.ar

Superintendencia de AFP (SAFP) 2001: Comunicados de Prensa, 09-Nov-2001

World Bank 1994: Averting the Old Age Crisis: Policies to Protect the Old and Promote Growth. Summary, Washington DC

Die mit einem Stern (*) gekennzeichneten Artikel sind online erhältlich unter: http://wbln0018.worldbank.org/HDNet/hddocs.nsf/2d5135ecbf351de6852566a90069 b8b6/307dcdf30f915c4b8525696200583bf2?OpenDocument

Die mit einem Plus (+) gekennzeichneten Artikel sind online erhältlich unter der Adresse: http://www.nber.org/books/pensioncrisis/index.html und sollen 2002 erscheinen in: Martin Feldstein and Horst Siebert (ed): Social Security Pension Reform in Europe, Konferenz 20.-21. März 2000, Forthcoming from The University of Chicago Press

[...]


1 Krasses Beispiel hierfür ist Rumänien Anfang der 90er Jahre (siehe Menil/Sheshinski 2001). 1990 wurde allen Arbeitern, die über 30 Jahre im Berufsleben standen, Frühverrentung unter Beibehaltung der vollen Rentenansprüche angeboten. Damit wurde die Anzahl der Rentner schlagartig um 400.000 auf 1,42 Millionen erhöht (ein Plus von 37%). Ebenso wurde Arbeitern in „harten“ und „sehr harten“ Berufen Vorruhestand im Alter von 55 (Frauen: 50) bzw. 50 (45) Jahren ermöglicht. Alle Maßnahmen dienten der Ruhigstellung der Gesellschaft und der Vermeidung offener Arbeitslosigkeit

2 Die Darstellung der chilenischen Rentenreform basiert überwiegend auf Edwards (1998) und Eisen (2000).

3 Dies war ein notwendiges Zugeständnis von Arbeitsminister Piñera an das regierende Militär, das den neuen Plänen keineswegs von Anfang an wohlgesonnen gegenüber stand (vgl. Edwards 1998: 39).

4 Ebenso gibt es eine maximale Ertragsrate. Erträge, die darüber liegen, werden einer „profitability reserve“ zugeführt und können zum Ausgleich in denjenigen Jahren verwandt werden, in denen das Portfolio der AFP Erträge erwirtschaftet, die unter der Mindestertragsrate liegen.

5 Frühverrentung ist möglich unter der Bedingung, dass mit dem bisher akkumulierten Kapital eine Annuität erworben werden kann, die mindestens 70% des laufenden Einkommens beträgt (vgl. Edwards 1998: 48).

6 Stand: November 2001

7 Die Darstellung der argentinischen Reform beruht überwiegend auf Hujo (1998) und Cottani/ Demarco (1998). Da es um einen groben Überblick über die Reform, besonders unter dem Aspekt des Parallelsystems geht, wurde auf die akribische Nennung aller Details und Teilsysteme verzichtet.

8 Stand: Juli 2001

9 Die Darstellung der schwedischen Rentenreform basiert auf Palmer 2001.

10 Die unisexuale Annuität lässt sich in Schweden durchsetzen, weil der Staat ein Angebotsmonopol für Annuitäten besitzt.

11 www.freedomhouse.org

12 Jimeno (2001) betont ebenfalls die Bedeutung der Umstellungskosten, insbesondere für Transformationsländer, und stellt für den Fall Kroatien Überlegungen an, wie diese gesenkt werden können. Seine wichtigsten Ergebnisse, die ebenso für eine Reihe anderer Länder gelten, lauten: Auf Grund unterentwickelter Kapitalmärkte werden erstens voraussichtlich 2/3 der Kapitalien in Staatsanleihen angelegt werden und für ausreichend fiskalische Liquidität sorgen. Zweitens erhöht sich durch die gestiegene Nachfrage nach Kapitalanlagen der Privatisierungserlös von Staatsbetrieben. Drittens setzt die Reform den Arbeitern Anreize, aus der Schattenwirtschaft heraus zu treten. Viertens hat die Weltbank ein Darlehen in Höhe von 100 Millionen US-Dollar an Kroatien vergeben (vgl. Jimeno 2001).

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Weltweite Trends bei Rentenreformen
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
23
Katalognummer
V107441
ISBN (eBook)
9783640057146
Dateigröße
721 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Abbildung fehlt.
Schlagworte
Weltweite, Trends, Rentenreformen
Arbeit zitieren
Oliver Szuca (Autor:in), 2002, Weltweite Trends bei Rentenreformen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107441

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