Die rechtliche Relevanz des Paschtunwali


Term Paper, 2002

11 Pages, Grade: sehr gut -


Excerpt


1. Einleitung

Die folgende Arbeit basiert auf dem Referat „Die rechtliche Relevanz des Paschtunwali“, das im Rahmen des Seminars „Politik, Ethnizität und Religion: Paschtunen in Pakistan und Afghanistan“ entstanden ist.

Bereits im Referat habe ich mich geographisch auf das Becken von Khost in Afghanistan beschränkt. Diese Arbeit wird sich ebenfalls exklusiv auf diese Region beziehen. Wenn ich mich im folgenden auf „die“ paschtunische Gesellschaft etc. beziehe, so sind damit die Paschtunen im Becken von Khost gemeint.

Der erste Abschnitt soll in die Konzepte des Paschtunwali, den Ehrenkodex der Paschtunen, einführen. Des weiteren werde ich darstellen, wie sich das Paschtunwali in den rechtlichen Normen der Paschtunen wiederfindet.

1.1. Das Paschtunwali

Das Paschtunwali kann als Ansammlung von Normen und Werten gesehen

werden, die die soziale Interaktion in der paschtunischen Gesellschaft anleiten. Es umfaßt mehrere Konzepte, die das Ideal des Paschtunen bestimmen. Die Konzepte des Paschtunwali, die im paschtunischen Recht von großer Bedeutung sind, sind das nang- sowie das tura-Konzept. Das nang-Konzept fordert vom Paschtunen „Dienst an der Gemeinschaft“.1 Dieser Dienst besteht insbesondere im Schutz und in der Verteidigung von Gruppen, gegenueber denen der Paschtune verantwortlich ist:

1. den weiblichen Individuen seiner Familie und seiner Lineage, seines Clans oder auch allen Frauen, „mit denen er in Berührung kommt“.2

2. seinem Territorium (Stammesland, aber auch Heimat- und Vaterland).3

Die rechtliche Relevanz des Paschtunwali -2-

3. Schwachen, die in ritualisierter Form (nanawati) um seinen Schutz gebeten haben.4

4. seinen Gästen, denen er Geleitschutz (badraga) geben muß.

Während die Forderungen des nang altruistischer Art sind, zielt das turaKonzept auf „die Verteidigung der eigenen Interessen“.5

Nach paschtunischer Auffassung lebt das männliche Individuum in einer ihm feindlich gesonnen Umwelt, die ihm jederzeit seine Lebensressourcen (Frauen, Land etc.) und seine Position innerhalb der Gesellschaft streitig machen will.6 Diese Umstände fordern ein aggressives und kriegerisches Verhalten vom Paschtunen, mit dem er alles verteidigt, „worauf er einen Anspruch zu machen glauben kann.“7

Im tura-Konzept manifestiert sich dieses Weltbild insbesondere in der Forderung nach badal. Badal bedeutet hier „Ausgleich“ in der Form von „Vergeltung nach dem Prinzip ‚Aug um Aug, Zahn um Zahn, Leben um Leben’“.8 Badal hat laut Steul einen rationalen Hintergrund. Da der Paschtune sich und seine Familie, bzw. Lineage oder Clan, ständig gegen seine feindliche Umwelt verteidigen muß, ist der Verlust eines verteidigungsfähigen Mannes in seiner Gruppe bedeutend. Daher muß „dem Aggressor [..] ebenfalls eine Verminderung seiner Verteidigungsfähigkeit zugefügt werden, um das vorher bestehende Ausgangsstadium und Gleichgeweicht der Kräfte wiederherzustellen.“9

Zwar beinhaltet tura auch die Forderung nach nanawati10, das als befriedendes Mittel eingesetzt wird. Doch fördert dieses laut Steul nur nach erfolgtem badal das Prestige des Paschtunen. Das Angebot und die Annahme von nanawati vor der Vergeltung gilt als Zeichen für Feigheit und Verteidigungsunfähigkeit und hat Ehrverlust zur Folge.11

Das Paschtunwali beinhalten zwar noch weitere Konzepte. Das tura- und das nang-Konzept stellen jedoch im paschtunischen Recht die zentralen Begriffe dar. Ihre teils antagonistisch wirkenden Forderungen bestimmen maßgeblich den Verlauf der Konlikte in der paschtunischen Gesellschaft.

2. Das Paschtunwali als Rechtsgrundlage des Becken von Khost

In der paschtunischen Gesellschaft im europäischen Sinne von „Recht“ zu sprechen, ist schwierig. Das hiesige Auffassung von Recht als Institution läßt sich nicht ohne weiteres auf die dortige Kultur übertragen.

Im Becken von Khost handelt es sich um ein Rechtssystem, das auf Selbsthilfe beruht. So kennt die akephale und segmentäre paschtunische Gesellschaft keine zentralen Kontrollinstanzen, die die Aufgabe der Rechtspflege übernehmen könnten.12 Stattdessen existiert ein Mediatorensystem. So wird im Falle eines dawa (Rechtsstreit) eine jirga13 eingesetzt. Diese hat keinen organisierten, permanenten Charakter, sondern sie formiert sich lediglich im akuten Fall eines Normbruchs und dient nicht der Rechtsvollstreckung, sondern als vermittelnde Instanz zwischen der Konfliktparteien.

Im Unterschied zu westlichen Rechtssystemen kennt das paschtunische weder eine Niederschrift noch eine mündliche Überlieferung eines kodifizierten Rechts.14 Vielmehr sind die Normen und Rechte der paschtunischen Gesellschaft durch das Paschtunwali geprägt, das „die Summe sämtlicher Werte und [den] daraus entwickelte[n] Normen“15 beinhaltet.

2.1. Rechtliche Normen

Aufgrund der oben genannten Fakten ist es schwierig, von einem paschtunischen Recht zu sprechen. Ein solches existiert - zumindest im Becken von Khost- de facto nicht. Rechtsnormen der Paschtunen werden, so Steul, nur durch das Beobachten und Analysieren von einer großen Anzahl an Präzedenzfällen sowie die Einbeziehung des Paschtunwali erkennbar.16 Allerdings lassen die Fallbeispiele für Konflikte - und da beziehe ich mich auf Steuls Untersuchungen17 - lediglich Schlüsse darauf zu, welche Handlungen gegen die Rechtsnorm verstossen.

Steul formuliert anhand seiner Beobachtungen fünf Kategorien von schweren Normverstössen (terai)18:

1. Tötung oder versuchte Tötung eines Menschens, ob unverschuldet oder verschuldet.
2. Körperverletzung oder versuchte Körperverletzung, d.h. „jede dauerhafte und nicht dauerhafte Einschränkung eines Individuums in seiner körperlichen Funktionsfähigkeit“.19
3. Ehrverletzung oder versuchte Ehrverletzung, d.h. „der durch Aktionen oder verbale Äußerungen dokumentierte Zweifel an der moralischen und ethischen Integrität des Individuums oder Gemeinwesens“20
4. Handlung oder versuchte Handlung „gegen die sexuelle Ehre einer Frau“ oder auch „Verstöße gegen die dem Ehemann ausschließlich zustehenden sexuellen Rechte“21.
5. Eingriffe oder versuchte Eingriffe „in die Verfügungs-, Eigentums- und Nutzungsrechte eines Individuums oder eines Gemeinwesens“.22

An anderer Stelle faßt Steul die Objekte von terai in die griffige Formel „sar, zan und zamin“ („Kopf, Frau und Land“). Hierbei steht „Kopf“ für das Individuum und das Gemeinwesen, „Frau“ für Frauen bzw. deren sexuelle Ehre, „Land“ für

Eigentum, zu dem auch Frauen zählen.23 Daraus schließe ich, dass In der paschtunischen Gesellschaft die Art der Tat eine untergeordnete Rolle spielt. So kann die Verletzung von sar, zan und zamin kann auf undenkbar viele Weisen erfolgen. Auch Steul meint:

„Die Spezifizierung, der Versuch, einen elaborierten paschtunischen Normenaufbau herauszuarbeiten, entspräche nicht der Realität:“24

3. Die rechtliche Realität im Becken von Khost

Im folgenden werde ich skizzieren, nach welchen Schemata Konflikte in der paschtunischen Gesellschaft entstehen und wie diese aufgrund des paschtunischen Rechtsverständnisses gelöst werden.

3.1. Die Entstehung von Konflikten

Wie schon oben besprochen gibt es Bereiche, deren Verletzung bei den Paschtunen als schwerer und zu sanktionierender Normbruch, also als terai empfunden wird. Letztlich beinhalten diese Bereiche die „Grundressourcen“, die für das Überleben unersetzlich sind: Mann, Frau und Land.

Konflikte entstehen in der paschtunischen Gesellschaft demnach, wenn sich ein Individuum in seinen Lebensgrundlagen bedroht sieht. Da es in einem akephalen System lebt, ist es bezüglich der Vertretung seiner Interessen und Rechte auf sich selber und seine Solidaritätsgruppe angewiesen. Das Gefühl, in einer generell „feindlichen Welt“ zu leben, schürt das Mißtrauen gegenüber anderen Individuen (Männern) und verstärkt das Bedürfnis nach aggressiver Verteidigung. Diese Haltung wird auch durch das tura-Konzept des Paschtunwali gefordert, da Aggressivität als positive Eigenschaft gewertet wird, die zum Überleben notwendig ist.25 Das nang-Konzept hat hierauf kaum

Einfluß.26 Selbst der Angreifer handelt entsprechend dem Ideal des turialai und wird von der Öffentlichkeit „mit Prestigegewinn honoriert“.27

3.2. Konfliktablauf

Kommt es zu einem Normbruch, so wird dieser von dem betroffenen Individuum festgestellt.28 Die weitere Sanktionierung der Tat liegt in seiner Hand. (Eine Ausnahme bildet hier der Fall des zetha29, wo das Gemeinwesen diese Rolle übernimmt.)30

In dieser Phase schreitet die Öffentlichkeit nicht in den Konflikt ein. Sie kann das Verhalten des vom terai betroffenen Individuum beurteilen, jedoch hat sie keinen Einfluß auf dessen Reaktion.31 Liegt ein schwerer Verstoß gegen die Norm, z.B. eine Tötung vor, so wird eine jirga, d.h. „neutrale Führungspersönlichkeiten“32 des Gemeinwesens versuchen, die Parteien zu einer materiellen Kompensation in Form eines neks bewegen, bevor es zum blutigen Ausgleich der Tat, zum badal kommt.33 Diese Befriedungsversuche scheitern meist jedoch, was nicht zuletzt an den Forderungen des Paschtunwali liegt. Schließlich wiegt hier das kriegerische tura-Konzept mehr als das altruistische nang-Konzept. Um ihre Ehre wiederherzustellen und sich nicht der Feigheit verdächtig zu machen, bevorzugen meist beide Parteien die Konfliktlösung durch badal.34 In diesem Faller anerkennt die jirga das Recht des Einzelnen auf Rache und läßt ihn gewähren.35

Das badal stellt eine legitime Reaktion dar, wenn es im Ausmaß der Tat gleichsteht. Durch das badal soll die ursprüngliche Situation wiederhergestellt werden:

„Durch den Normbruch stellt sich ein Mann außerhalb der Gesellschaft, die dadurch ‚erkrankt’. Mit der Herstellung von b a d a l (s.o.) ‚gesundet die Gesellschaft wieder, der auch der Normbrecher angehört“36

Allerdings muß der Vergeltungsakt nicht in seiner Form mit der Tat über- einstimmen. So wird die Verführung einer Frau nicht durch die Verführung der Frau des Täters gerächt, sondern meist durch die Tötung des letzteren.37 Die Rechtmäßigkeit des badals als Antwort auf einen Normbruch ist derart, dass sogar die Gegenpartei, also der Täter und seine Solidaritätsgruppe, dieses als Mittel zur Konfliktbewältigung akzeptieren.38

Das erreichte badal bedeutet jedoch nicht immer das Ende des Konflikts. Eine Reaktion der Gegenpartei bricht zwar erneut mit der Norm, jedoch ist sie im Sinne des Rechts auf Blutrache legitim und wird auch als Beweis der turialaiQualitäten39 vom Gemeinwesen anerkannt.40 Aus diesem Grunde ist eine Eskalation der Konflikte nicht selten.

Blutrausch oder Amoklauf werden von der Gesellschaft allerdings nicht toleriert. Sobald die Auseinandersetzung aber allzu zerstörerische Züge annimmt und zur Bedrohung des Gemeinwesens wird, macht die Öffentlichkeit ihren Anspruch auf Frieden geltend, indem sie fortan weiter aggressiv Handelnde als salem (Gewalttäter) bezeichnet und an die nang-Qualitäten der Verfeindeten appelliert.41 Ab diesem Zeitpunkt steht das Wohl der Gemeinschaft vor dem Wohl des Einzelnen.

Nicht alle Normbrüche werden durch badal gesühnt. Bei Verstössen gegen das Eigentums-, Verfügungs- oder Nutzungsrecht beispielsweise formiert sich des öfteren vor dem badal (auf Anfrage mindestens einer betroffenen Partei und immer nur mit der Zustimmung beider Parteien) eine jirga, die eine unblutige Lösung der Auseinandersetzung anstrebt.42

3.3. Konfliktlösung durch die jirga

Am Ende eines jeden Konlikts in der paschtunischen Gesellschaft wird eine jirga eingesetzt. Diese rechtliche Instanz, die aus den informellen Führungspersönlichkeiten der Gemeinschaft zusammengesetzt wird und somit die Öffentlichkeit darstellt, hat keine Möglichkeit die Parteien zu sanktionieren.43 Ihre Aufgabe besteht vielmehr in der Vermittlung zwischen den Verfeindeten, wobei es - wie ich anschließend noch ausführen werde - nicht erstrangig um die Schuldfrage geht. Die Beschlüsse der jirga richten sich nach dem narkh, das Steul als „Rechtstradtion“ bezeichnet.44 Das narkh besteht aus den vorhergegangenen jirga-Entscheidungen und ersetzt in der paschtunischen Gesellschaft sozusagen das niedergeschriebene Gesetz. Die jirga kann laut Steul in zwei Funktionen auftreten:

1. „Die gerichtsähnliche jirga“

Die gerichtsähnliche jirga entspricht hierbei am ehesten den europäischen Vorstellungen einer rechtlichen Instanz. Ihre Aufgabe besteht in der Wahrheitsfindung, d.h. in der Feststellung der Schuld einer der Parteien.45 Zur Beweisung von Schuld oder Unschuld werden im Prozeß unter anderem Schwüre auf den Koran angebracht. Dieses Mittel gilt insofern als legitim, als dass in der paschtunischen Auffassung ein Meineidiger den Zorn Gottes auf sich zieht, was sich in der „Mißernte bis zum Tod de[s] Meineidigen“46 auswirken kann.

Diese Form der jirga wird vornehmlich in Auseinandersetzungen um Eigentums- und Nutzungsrechten und Verführung bzw. Entführung von Frauen, also bei Verletzung des namus47 eines Paschtunen eingesetzt. Vorrausgesetzt ist auch, dass zuvor noch kein badal geübt wurde und das beide Parteien einer Verhandlung durch die jirga zustimmen.48

2. „Die jirga als Plattform für Friedensverhandlungen“

Sobald es sich bei dem begangenen Normbruch um eine schwerwiegendere Tat wie z.B. die Tötung eines Individuums handelt, formiert sich die jirga als Plattform für Friedensverhandlungen.49 Ihre Funktion liegt nicht in der Wahrheitsfindung, sondern in der Vermittlung zwischen den Parteien. Ihr Ziel liegt primär in der frühzeitigen Eindämmung des Konflikts und nicht in der Klärung der Schuldfrage. Daher versucht die jirga bereits vor der Ausübung von badal, die Parteien zur Einigung über eine materiellen Kompensation, dem nek50, zu bewegen.51

Diese Konfliktlösung, die den Appellen des nang entspricht, wird jedoch meistens von den streitenden Parteien abgelehnt.52 Schließlich müssen sie gemäß der tura-Forderungen unentwegt ihre kriegerischen Qualitäten unter Beweis stellen. Eine Annahme bzw. das Angebot eines materiellen Ausgleichs würde als Angstreaktion vor dem badal angesehen.53 Wird der Vorschlag der jirga von der Täter- und Opfergruppe abgelehnt, so zieht sich die jirga zurück und erkennt somit die Souveränität beider Parteien in diesem Konflikt an.54 Nach der Ausübung des badals startet die jirga erneut Vermittlungsversuche. Allerdings können noch weitere Gewalttaten und darauffolgende badal-Aktionen verübt werden, bevor die Parteien den Forderungen des nang folgen und zugunsten des Gemeinwesens einer rechtlichen Beendigung des Konflikts zustimmen.55

Wird von den Konfliktparteien dann der Einsatz der jirga gewünscht, so besteht deren Aufgabe meist darin den erfolgten badal festzustellen.56 Zur endgültigen Aussöhnung der verfeindeten Parteien kann die jirga auch die Gabe eines nanawati beschliessen. Nach erfolgtem badal ist dieses keine Geste der

Unterwürfigkeit, sondern erhöht das Ansehen des nanawati-Gebers sowie des Nehmers, da es nun den Forderungen des nang entspricht.57

3.4. Fallbeispiel für einen Konflikt im Becken von Khost

Um die beschriebenen rechtlichen Prozesse zu konkretisieren und anschaulicher zu machen, habe ich einen Fall aus den von Steul dokumentierten Normbrüchen herausgesucht.58 Hierbei handelt es sich um einen Konflikt, der recht geradlinig verlaufen ist. Es waren nur zwei Parteien beteiligt und es kam nicht zu einer Eskalation. Dadurch läßt sich der Konfliktablauf sehr klar erkennen:

Zwei Mitglieder einer Lineage, Steul nennt sie A1 und B1, stritten über den Grenzverlauf zwischen ihren beiden Feldern. Im Verlauf ihres Zwist erstach A1 B1. Die Öffentlichkeit reagierte auf die Tötung, indem informelle Führungspersön- lichkeiten den beiden Parteien nahelegten, den Konflikt durch eine jirga und somit durch eine materielle Kompensation in Form einer nek-Zahlung und eines nanawatis zu beenden. Die Solidaritätsgruppe des getöteten B1 lehnte diese Lösung von vornherein ab, woraufhin A1 davon absah, ein solches Angebot öffentlich zu machen.

Die informellen Führungspersönlichkeiten respektierten diese Entscheidung und zogen sich aus dem Konflikt zurück. Neun Monate später erfolgte das badal, indem die Brüder von B1 A1 erschossen.

Die Solidaritätsgruppe sah von einer Vergeltung der Tötung von A1 ab. Steul konnte zwar nicht mehr den Einsatz der jirga dokumentieren, die den Fall „offiziell beendet“59, jedoch ist dies laut Steul „lediglich ein Formsache“.60

4. Resumée

Steuls Untersuchung der Paschtunen aus dem Becken von Khost zeigt, dass der Paschtunwali als Ehrenkodex und Ethik das Fundament des paschtunischen “Rechtsverständnisses“ stellt. Allerdings ist diese Feststellung meiner Meinung nach trivial, da auch in westlichen Gesellschaften Recht auf moralischen Idealen beruht. Der Unterschied liegt eher darin, dass die paschtunische Gesellschaft kein organisiertes, permanentes Rechtssystem etabliert, welches die Befolgung der Normen observiert und eventuelle Verstösse feststellt und sanktioniert. Stattdessen legt die akhepale paschtunische Gesellschaft diese Aufgaben in die Hand des einzelnen Individuums, wobei das “Individuum“ hier eindeutig männlich definiert ist (Frauen treten im System des Paschtunwali lediglich als namus des Mannes auf, also als passive, beschützenswerte Objekte). Daher liegt es beim einzelnen Paschtunen eine eventuelle Bedrohung seiner Person oder seines Umfeldes festzustellen und dieser zu begegnen. Das tura-Ideal des Paschtunwalis verlangt in diesem Zusammenhang vom Paschtunen eine aggressive, kriegerische Verteidigung seiner selbst und seiner Interessen. Dies mag in westlichen Augen roh und unzivilisiert erscheinen, jedoch ist diese Ethik in der paschtunischen Lebenswelt notwendig zum Überleben.

Zudem beinhaltet das Paschtunwali das nang-Konzept, das dem Paschtunen ein gewisses Maß an Selbstlosigkeit abverlangt. In Konfliktsituationen stellen die Forderungen des nang sicher, dass das Verhalten des Einzelnen keine irrationalen, zerstörerische Ausmaße annimmt. Das nang-Konzept wirkt als Antagonist zu den tura-Forderungen, indem es das Wohl und die Interessen der Gemeinschaft über die des Einzelnen stellt.

Kurz gesagt besteht das Paschtunwali im Becken von Khost aus einem Normenkomplex, der zur Regulierung von Individualinteressen und Gemeinschaftsinteressen sowohl in alltäglichen sozialen wie auch rechtlichen Verhältnissen dient.

5. Bibliographie

Steul, Willi: Paschtunwali. Ein Ehrenkodex und seine rechtliche Relevanz. Franz Steiner Verlag: Wiesbaden, 1981.

[...]


1 Steul, Willi: Paschtunwali. Ein Ehrenkodex und seine rechtliche Relevanz. Franz Steiner Verlag: Wiesbaden, 1981: 137.

2 ibid.: 141. „Frauen“ und „Land“ gehören beim Paschtunen zum namus. Namus

beinhaltet u.a. „Ehre, Ruf [und] Würde“ des männlichen Paschtunen. (Janata, A. und Hassas, R.: Ghairatman - Der gute Pashtune. Exkurs über die Grundlagen des Paschtunwali. In: Afghanistan Journal, 3, Graz: 1975: 83-97. zitiert in Steul: 140.)

3 vgl. Steul: 141.

4 vgl. Steul: 143-147.

5 ibid.: 152.

6 vgl. ibid.: 152.

7 ibid.: 153.

8 ibid.: 153.

9 ibid.: 156.

10 Nanawati ist eine ritualisierte Gabe von einem Schaf oder einer Ziege. Diese Gabe wird nicht nur zur Aussöhnung von Konflikten geleistet, sondern auch in anderen Zusammenhängen wie z.B. bei der Bitte um Asyl. Die Situation, in der das nanawati gegeben wird, bestimmt,ob es die Gabe für die Betroffenen Prestigegewinn oder Prestigeverlust bedeutet (siehe dazu Steul: 144 ff..).

11 vgl. ibid.: 163.

12 Steul: 188 ff..

13 Eine jirga ist eine „offene Ratsversammlung sämtlicher Männer, die sich von einer, eine Versammlung notwendig machende Situation oder Problematik betroffen fühlen.“ ibid.: 121.

14 vgl. ibid.: 187-189.

15 ibid.: 191.

16 vgl. ibid.: 218.

17 siehe Steul: 216.

18 vgl. ibid.: 216.

19 ibid.: 216.

20 ibid.: 216.

21 ibid.: 216.

22 ibid.: 216

23 siehe dazu ibid.: 218/219

24 Steul: 217.

25 siehe dazu ibid.: 220/221.

26 vgl. ibid.: 221.

27 ibid.: 222.

28 ibid.: 222.

29 Von zetha wird gesprochen, wenn ein Individuum seine “Erbkonkurrenz“, also z. B. seinen Bruder tötet. Hier ist das betroffene Individuum tot und daher unfähig, das Vergehen zu ahnden. Siehe hierzu Steul: 203.

30 vgl. ibid.: 222.

31 vgl. ibid.: 217ff..

32 ibid.: 229.

33 vgl. ibid.: 229

34 siehe ibid.: 229/230.

35 siehe ibid.: 230.

36 Janata/Hassas, 1975: 96. zitiert in Steul: 225.

37 siehe Steul: 222.

38 siehe ibid.: 223.

39 Turialai ist das von tura abgeleitete Adjektiv und bedeutet „heldenmütig“ (Janata/Hassas, 1975: 86. zitiert in Steul:151.

40 siehe Steul: 223.

41 siehe ibid.: 225.

42 siehe ibid.: 226.

43 vgl. ibid.: 225 ff..

44 siehe ibid.: 225.

45 vgl. ibid.: 226.

46 ibid.: 227.

47 Erklärung siehe Seite Eins, zweite Fußnote.

48 vgl. ibid.: 226.

49 siehe ibid.: 229.

50 Das nek umfaßt die Höhe von zwei Brautpreisen. Je nach Schweregrad der Tat, wird ein nek (z.B. für die Tötung eines männlichen Individuums), 1/6 nek (Verlust eines Auges), 1/2 nek (Verlust eines Beines) etc. verlangt. Die jeweilige Höhe der Entschädigung ist festgelegt und wird mit dem Prinzip des neks mündlich in der paschtunischen Gesellschaft tradiert. Siehe hierzu Steul: 232-235.

51 vgl. ibid.: 229.

52 vgl. ibid.: 229/230.

53 vgl. ibid.: 229/230.

54 vgl. ibid.: 230 ff..

55 vgl. ibid.: 230.

56 vgl. ibid.: 232.

57 vgl. Steul: 232.

58 siehe zu dem Fall: Steul: 207-208.

59 ibid.: 207.

60 ibid.: 207.

Excerpt out of 11 pages

Details

Title
Die rechtliche Relevanz des Paschtunwali
Grade
sehr gut -
Author
Year
2002
Pages
11
Catalog Number
V107383
ISBN (eBook)
9783640056569
File size
414 KB
Language
German
Keywords
Relevanz, Paschtunwali
Quote paper
Caroline Thon (Author), 2002, Die rechtliche Relevanz des Paschtunwali, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107383

Comments

  • guest on 4/17/2003

    Auskunft.

    Es hat fast nichts mit dem text zu tun aber doch.
    Deine arbeit ist ein guter ausschnit des buches von Steul dass man unbedingt lesen sollte.
    Ich hatte eine frage uber das seminar, an welcher uni findet es statt und git es noch andere solche referate.
    Ich studiere in frankreich und ware sehr erfreut uber diese auskunft.

    Quraishi

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