Untersuchung des Zusammenhangs zwischen sozialer Ungleichheit und gesundheitlicher Ungleichheit am Beispiel von Migrantinnen und Migranten in Deutschland


Hausarbeit, 1998

23 Seiten


Leseprobe


Untersuchung des Zusammenhangs zwischen sozialer Ungleichheit und gesundheitlicher Ungleichheit am Beispiel von Migrantinnen und Migranten in Deutschland

1. Einleitung

Gesundheitliche Risiken, Krankheit und Lebenserwartung sind in allen Gesellschaften sozial ungleich verteilt. So leiden in den westlichen Gesellschaften abgesehen von Allergien untere Schichten signifikant häufiger an allen chronischen Krankheiten und ihre Lebenserwartung ist geringer. In der Medizinsoziologie und den Gesundheits- wissenschaften wird diese Tatsache als gesundheitliche Ungleichheit bezeichnet.1

Die Beziehung zwischen Krankheit und sozialer Ungleichheit wird in mehreren Veröffentlichungen thematisiert. Der Begriff der sozialen Ungleichheit umfaßt z.B. Unterschiede in Wissen, Macht, Geld und Prestige. Unter gesundheitlicher Ungleichheit werden alle Unterschiede im Gesundheitszustand (Morbidität und Mortalität) nach Merkmalen der sozialen Differenzierung (z.B. Geschlecht, Region, Einkommen) verstanden. Viele dieser Unterschiede stoßen auf relativ geringes wissenschaftliches oder politisches Interesse, da sie entweder als zu gering, als unvermeidbar oder aus anderen Gründen als derzeit nicht problematisch angesehen werden.

Sieben Arten von Gleichheit wurden von Mooney (1983) unterschieden:

1. Gleiche Ausgaben pro Person, 2. Gleiche Ressourcen pro Person, 3. Gleiche Prioritäten, 4. Gleiche Ressourcen bei gleichem Bedarf, 5. Gleicher Zugang bei gleichem Bedarf, 6. Gleiche Inanspruchnahme bei gleichem Bedarf und 7. Gleicher Gesundheitszustand. Der Nachteil der 7. Definition besteht jedoch darin, daß Bevölkerungsgruppen, für die das Ziel gleicher Gesundheitszustand realistisch sein kann, schwer zu definieren sind.

Nach dem Programm des WHO-Regionalbüros für Europa „Gesundheit für alle“ in Europa bis zum Jahr 2000 sollten die derzeit bestehenden Unterschiede im Gesundheitszustand zwischen den Ländern sowie zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der Länder um mindestens 25 Prozent verringert werden, und zwar durch Verbesserung des Gesundheitsniveaus der benachteiligten Völker und Gruppen.

Im folgenden werden Unterschiede im Gesundheitszustand im Bereich der gesundheitlichen Ungleichheit diskutiert.

Um die derzeit bestehenden Unterschiede im Gesundheitszustand zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb Deutschlands zu verringern und zwar die Gesundheitsniveaus der benachteiligten Völker und Gruppen zu verbessern, ist es notwendig, verschiedene Gruppen und Völker zu untersuchen.

Zielgruppe dieser Arbeit sind die Migrantinnen und die Migranten in Deutschland. Die Begründung dieser Auswahl ist:

Die BRD ist durch eine längerfristige demographische Abnahme der deutschen Bevölkerung gekennzeichnet, d.h. die ausländische Bevölkerung nimmt zu. Sie entspricht einem Anteil von 8.9% an der Gesamtbevölkerung. Die zugewanderte Bevölkerung soll als Zielgruppe wahrgenommen und ihre Bedürfnisse in der Angebotsstruktur der Regel- und Spezialdienste angemessen berücksichtigt werden (Forderung des bundesweiten Arbeitskreises Migration und öffentliche Gesundheit).

Die ausländische Wohnbevölkerung ist auch aufgrund ihrer Aufenthaltsdauer ein fester Bestandteil der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. So lebten Ende 1996 knapp 30% aller Migranten und Migrantinnen schon 20 Jahre und länger in Deutschland, gut 40% hatten Aufenthaltszeiten von mehr als 15 Jahren und fast 50% haben eine Aufenthaltsdauer von mehr als 10 Jahren. Über 60% stammen aus den Staaten, aus denen vor allem zwischen 1955 und 1973 organisierte Arbeitskräfte angeworben wurden. Dies sind die Türkei, Italien, Griechenland, Spanien und das ehemalige Jugoslawien.

Ende 1996 lebten laut Angaben im Ausländerzentralregister insgesamt 7,314 Mio. Migrantinnen und Migranten in der Bundesrepublik Deutschland. Das entsprach einem Anteil von 8,9% an der Gesamtbevölkerung. Jeder vierte Migrant stammt aus einem Mitgliedsland der Europäischen Union. 1997 waren 4.07 Mio. (55,3%) der Migranten männlichen und 3.28 Mio. (44,7%) weiblichen Geschlechts. 1.70 Mio. (34,1%) waren unter 18 Jahre alt, (73,7%) zwischen 18 und 66 Jahren und 234 790 (3,2%) waren 66 Jahre alt und älter. Die ausländische Bevölkerung ist im Vergleich zur deutschen wesentlich jünger. Der Anteil der älteren Migranten und Migrantinnen wird aber künftig allerdings langsam wachsen. 1,59 Mio.(21,7%) aller Ausländer sind bereits in Deutschland geboren, obwohl sie in Wirklichkeit Kinder und Jugendliche dieses Landes sind2. Diese Ausländerinnen und Ausländer haben Wirtschaft und Gesellschaft produktiv und konstruktiv mitgestaltet. Nach wie vor gibt es aber besonders gravierende ausländerspezifische Benachteiligungen.

Die Migrantinnen und Migranten wurden aufgrund der jeweiligen Migrationserfahrungen und Lebensbedingungen in der BRD körperlich und psychisch besonders belastet. Nach Angabe der Veröffentlichungen der Beauftragten der Bundesregierung liegt die Rate der Totgeboren bei ausländischen Kindern immer noch höher als bei Deutschen. Von 1000 Kindern wurden 4.2 ausländische und 2.9 deutsche Kinder tot geboren. Erkrankungshäufigkeit an Tuberkulose ist auch bei der ausländischen Bevölkerung erschreckend hoch. 2

1.1 Zielsetzung der Arbeit

Das Ziel von theoretischen und empirischen Arbeiten zur gesundheitlichen Ungleichheit

sollte letztlich die Stimulierung von gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Verringerung der Unterschiede sein, vor allem durch eine gezielte Verbesserung des Gesundheitszustandes von Personengruppen mit relativ hoher Morbidität oder Mortalität. Die folgenden vier Aufgaben hat Mielk zusammengefaßt:

1. Identifizierung von Problemen mit großem Handlungsbedarf.

- Vergleich des Ausmaßes von gesundheitlichen Unterschieden für verschiedene Morbiditäts- und Mortalitätsarten in verschiedenen Bevölkerungsgruppen (z.B. unterteilt nach Alter, Geschlecht und Region);

2. Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten:

- Analyse der potentiellen Ursachen gesundheitlicher Ungleichheiten unter Einbeziehung z.B. der Lebensbedingungen (Arbeits- und Wohnbedingungen etc.), des Lebensstils, des Gesundheitsverhaltens, der Inanspruchnahme und der Qualität medizinischer Leistungen;

3. Entwicklung von Vorschlägen zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten;

4. Beteiligung an aktueller sozial- und gesundheitspolitischer Diskussion3

Diese Arbeit hat folgende Zielsetzungen (nach Mielck):

1. Vergleich gesundheitlicher Unterschiede zwischen Migrantinnen /Migranten und Deutschen in der BRD (Gesundheitszustand: Definitionen der Gleichheit 7 von Mooney)
2. Erklärung des Zusammenhangs zwischen sozialer Ungleichheit und gesund- heitlicher Ungleichheiten am Beispiel von Migrantinnen und Migranten in Deutsch- land)

1.2 Zur Methode der Arbeit

Jeder Vergleich der gesundheitlichen Situation von Deutschen und Ausländern wird durch demographische und sozialstrukturelle Unterschiede beider Bevölkerungsgruppen erschwert. Methodische Probleme eines Vergleichs zwischen Ausländern und Deutschen sind, z.B.:

1. Selbstselektion bei Ein- und Auswanderung: zum einen ist erwiesen, daß Auslän- der, die zum Zweck der Arbeitsaufnahme in die BRD, eine hoch selektierte Aus- wahl gesunder Personen darstellen. Diese positive Selbstselektion schränkt die Vergleichbarkeit im Hinblick auf langfristig auftretende Gesundheitsprobleme er- heblich ein. Verglichen mit der deutschen Bevölkerung wäre so mit einer besseren gesundheitlichen Gesamtsituation zu rechnen.4 Ein anderes Problem ist, daß Aus- länder aus älteren Altersgruppen eher entscheiden, in ihre Heimatländer zurückzukehren als jüngere. Dies hätte zur folge, daß Personen mit höherem Sterberisiko bereits vor dem Zeitpunkt ihres Todes die BRD wieder verlassen haben. Das würde bedeuten, daß das Sterbegeschehen der Ausländer zu einem großen Teil von deutschen Statistiken nicht erfaßt wird.
2. Das Durchschnittsalter der Ausländer liegt deutlich unter demjenigen der deut- schen Bevölkerung.
3. Die meisten Auswertungen können auf die Vielfalt der zugrundeliegenden Natio- nalitäten nicht eingehen, sondern betrachten die ausländische Wohnbevölkerung vereinfachend als eine eigene Teilgesamtheit. Dies kann den sehr unterschiedli- chen Lebensbedingungen und kulturellen Traditionen der verschiedenen ethni- schen Gruppen nicht immer gerecht werden.5

Dann stellt sich für den Vergleich des Gesundheitszustandes zwischen Migrantin- nen/Migranten und Deutschen in der BRD die Frage, welche Indikatoren für den Ge- sundheitszustand wichtig sind? Folgende Indikatoren wurden von dem Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst NRW als Gesundheitszustand der Bevölke- rung übernommen:

Sterblichkeit, Säuglingssterblichkeit, Länge des Lebens, Erkrankungshäufigkeit, Krankheiten insgesamt (Frührentenzugänge, Krankenhausfälle), Ausgewählte Infektionskrankheiten, Bösartige Neubildung, Diabetes mellitus, Psychische Krankheiten, Sucht und Medikamentenabhängigkeit, Krankheiten des Kreislaufsystem, Krankheiten des Atmungssystems, Krankheiten des Skeletts, der Muskel und des Bindegewebes Verletzungen, Vergiftungen, Unfälle, Fehlbildungen und Geburtsuntergewicht, Berufskrankheiten und Behinderungen

Verfügbare Beschreibungen und Daten von Migrantinnen/Migranten sind aber viel weniger (markiert mit Fettdruck).

Einige bundesweite Daten mit Indikatoren wurden von den Bundesbeauftragten für Ausländer veröffentlicht:

Arbeitsunfähigkeitstage, Müttersterblichkeit, Schwangerschafts- und Geburtsverläufe, AIDS, subjektive Einschätzung des Gesundheitszustandes, psychische Beeinträchtigungen, Behinderung, Sucht und Tuberkulose.

Diese verfügbaren Daten und Statistiken und Beschreibungen aus Veröffentlichungen der Bundesregierung und Landesregierung NRW über den Gesundheitszustand und sozialen Status der ausländischen Bevölkerung werden zusammengefaßt und verglichen mit denen der Deutschen.

Für die Erklärung des Unterschiedes vom Gesundheitszustand zwischen Migrantinnen und Migranten und Deutschen wird das Modell von Mielck verwendet und die Unterschiede werden als mögliche Ursache diskutiert.

1.3 Aufbau dieser Arbeit

Im Kapitel 2 werden gesundheitliche Unterschiede zwischen Migrantinnen /Migranten und Deutschen in der BRD (Gesundheitszustand: Definitionen der Gleichheit 7 von Mooney) verglichen.

Im Kapitel 3 wird die Erklärung des Zusammenhangs zwischen sozialer Ungleichheit und gesundheitlicher Ungleichheiten am Beispiel von Migrantinnen und Migranten in Deutschland diskutiert.

Die Arbeit endet im Kapitel 4 mit einer Zusammenfassung und Diskussion.

2. Vergleich des gesundheitlichen Zustandes zwischen Migrantinnen /Mi- granten und Deutschen in der BRD

Repräsentative Untersuchungen über den Gesundheitszustand der ausländischen Bevölkerung fehlen. Im folgenden werden einige der verfügbaren, aussagekräftigen Indikatoren dargestellt.6

2.1 Arztbesuche

Es ist erwiesen, daß junge ausländische Frauen als auch junge ausländische Männer seltener als ihre deutschen Altersgenossen einen Arzt aufsuchen. Lag die Zahl der Arztbesuche bezogen auf die drei Monate vor der Befragung bei den jugendlichen Ausländern im Durchschnitt über eins, so lag sie bei den deutschen Jugendlichen über zwei. Verantwortlich dafür sind weniger gesundheitliche Belastungsunterschiede als vielmehr eine unterschiedliche Bereitschaft, einen Arzt aufzusuchen.

Eine entgegengesetzte Verteilung wurde für die Alterskohorte der 40 und 50jährigen festgestellt. Sowohl ausländische Männer als auch ausländische Frauen diesen Alters waren in den vorangehenden drei Monaten häufiger beim Arzt als Deutsche. Der relativ häufigere Arztbesuch älterer ausländischer Frauen und Männer dürfte auf besondere Belastungen am Arbeitsplatz zurückzuführen sein. Wie eingangs bereits betont, arbeiten Ausländer häufiger als Deutsche im verarbeitenden Gewerbe und sind in Berufsbereichen überrepräsentiert, die mit einer starken körperlichen Belastung verbunden sind. Aufgrund ihrer spezifischen Arbeitsplatzsituation unterliegen Ausländer folglich einem höheren Gesundheitsrisiko. Die älteren Mi- granten weisen im Vergleich zur deutschen Altenbevölkerung eine deutlich höhere Frequentierung des Arztes auf.7

Wenn wir den Zusammenhang zwischen Arztbesuch und beruflicher Tätigkeit bei Ausländern und Deutschen vergleichen, finden wir eine weitgehende Annäherung zwischen der Häufigkeit von Arztbesuchen bei Ausländern und Deutschen. Die Deutschen liegen generell etwas über den Werten der Ausländer, was wohl auf die erwähnte unterschiedliche Bereitschaft, zum Arzt zu gehen bzw. die "Schwellenangst" zurückgeführt werden kann.8

2.2 Krankenhausaufenhalt

Kein Unterschiede konnten hinsichtlich der Variable Krankenhausaufenthalt ermittelt werden. Jeweils knapp 13% der befragten Deutschen und Ausländer gaben an, im Jahr 1990 im Krankenhaus gewesen zu sein.9

2.3 Arbeitsunfähigkeitstage

In einer epidemologischen Studie über deutsche und ausländische Arbeitnehmer in der Eisen- und Stahlindustrie haben Schwarze/Jansen eine höhere Arbeits- unfähigkeits-dauer pro Jahr bei Ausländern festgestellt. Waren deutsche Arbeit- nehmer durchschnittlich 15,8 Tage im Jahr krank geschrieben, so lag dieser Wert bei den ausländischen Arbeitnehmern der Eisen- und Stahlindustrie bei 24,0 Tagen. Zurückzuführen ist dieses Ergebnis in erster Linie auf unterschiedliche inner- betriebliche Arbeitsbedingungen.

Tabelle 1: Durchschnittliche Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage pro Jahr deutscher und ausländischer Arbeitnehmer in der Eisen- und Stahlindustrie10

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.4 Müttersterblichkeit, Schwangerschafts- und Geburtsverläufe

1995 nach Angaben des Statistischen Bundesamts betrug die Rate der Müttersterbefälle bei ausländischen Frauen je 100 000 Lebendgeborene 8,2 und beträgt damit gegenüber der deutscher Frauen (4,1) das Doppelte. Seit 1991 ist eine leichte Abnahme der Müttersterblichkeit ausländischer Frauen zu verzeichnen.11

Auch neuere Analysen zeigen anhand von Sonderauswertungen der Todes- ursachenstatistik eine höhere Totgeburtlichkeit, Frühsterblichkeit und Säuglings- sterblichkeit "von Geborenen nicht deutscher Staatsangehörigkeit gegenüber Deut- schen. Ebenso ist die Frühgeburtlichkeit bei Migranten überhöht. Neuere Studien zeigen, daß sekundär - präventive Maßnahmen noch immer wesentliche Risiko- gruppen der Migranten nicht erreichen.12

2.5 Säuglingssterblichkeit

Von 1 000 Lebendgeborenen ausländischen Kindern starben laut Statistischem Bundesamt 1995 im ersten Lebensjahr durchschnittlich 6,5 Kinder, bei deutschen waren es 5,1 Kinder. Damit liegt die Sterblichkeit ausländischer Säuglinge und Kleinkinder um 20% höher als die der deutschen Vergleichsgruppe. Sonderauswertungen der Statistik über Verkehrsunfälle ergaben einen wesentlich höheren Anteil tödlicher Verletzungen und notwendige Unfallbehandlungen sowohl bei ausländischen Kleinkindern als auch bei Schulkindern.13

2.6 Arbeitsunfälle

Im Vergleich zu deutschen scheinen ausländische Beschäftigte etwas stärker von Arbeitsunfällen betroffen zu sein, die zu einem Arztbesuch oder Krankenhausaufenthalt führen (6,0 % bzw. 8,2 % der Beschäftigten). In der Altersgruppe der 41- bis 60jährigen erwerbstätigen Migrantinnen und Migranten passieren anteilmäßig doppelt so viele Arbeitsunfälle wie bei deutschen Beschäftigten (siehe Tabelle 3). Betrachtet man die von Arbeitsunfällen Betroffenen nach der Beschäftigtenstruktur, so ist bei Migrantinnen und Migranten die Gruppe der Facharbeiter und der Angestellten anteilmäßig stärker vertreten als bei Deutschen.14

Tabelle 2:

Beschäftigungsstruktur und Arbeitsunfälle, die zu Arztbesuch oder Kranken- hausaufenhalt führten (im Vorjahr) nach Alter und Staatsangehörigkeit 199515

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.7 AIDS/HIV

Der Anteil AlDS-kranker Migrantinnen und Migranten betrug 1995 12,4%; knapp 60% davon stammen aus Europa einschließlich der Türkei. Die HlV-Ambulanz der Universitätsklinik Frankfurt am Main und des Robert-Koch-lnstituts stellten fest, daß HlV-infizierte Migranten erst in fortgeschrittenerem Krankheitsstadium eine Behandlung beginnen als dies Deutsche tun.16

2.8 Subjektive Einschätzung des Gesundheitszustands

Die subjektive gesundheitliche Situation der älteren Migranten stellt sich wesentlich ungünstiger dar. Fast die Hälfte (44,5%) der Untersuchungsgruppe kommt zu einer eher negativen Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes. Ein Fünftel (17,6%) beurteilt die eigene gesundheitliche Verfassung sogar als schlecht. Verglichen mit den Ergebnissen der Repräsentativbefragung der Altenbevölkerung in Hamburg (BAGS, 1992) und der Seniorenbefragung in Schleswig-Holstein (MS GE, 1991), nach denen in Hamburg lediglich 23,4% und in Schleswig-Holstein sogar nur 11% der Befragten ihren Gesundheitszustand als eher schlecht bis sehr schlecht bezeichneten, ist dies ein großer Unterschied.17

2.9 Psychische Beeinträchtigungen

Noch stärker als durch physische Erkrankungen scheint der Gesundheitszustand der älteren Migranten durch psychische Beeinträchtigungen geprägt zu sein. Daß die älteren Migranten in sehr hohem Maße unter entsprechenden psychischen Beeinträchtigungen leiden, verdeutlicht ein Vergleich mit Untersuchungsergebnissen bei der deutschen Bevölkerung in Hamburg (BAGS; 1992). Hier gaben lediglich 3,6% der Befragten an, von Konzentrationsstörungen, 2,5% von Gereiztheitszuständen, 3,3% von Unlustgefühlen und Antriebslosigkeit und 11,3% von Schlaflosigkeit betroffen zu sein.18

2.10 Behinderung

Der Anteil Erwerbsgeminderter oder Schwerbehinderter an der ausländischen Bevölkerung in NRW ist geringer als der deutschen Bevölkerung. Während 14, 1% der befragten Deutschen angaben, entweder schwerbehindert oder erwerbsgemindert zu sein, sind es unter den Ausländern nur 7,5%. Wesentlich höher als bei der ausländischen Bevölkerung ist bei den Deutschen insbesondere der Prozentsatz der zu 100% Erwerbsgeminderten. Dieses Resultat überrascht nicht, es kann auf jüngere Altersstruktur der Ausländer zurückgeführt werden. Mit zunehmendem Alter steigt die Zahl der Schwerbehinderten an. Während von 1000 Personen im Alter von 14-25 Jahren 15 Schwerbehindert sind, sind es bei 1000 über 65jährigen Personen bereits 262. Da es vergleichsweise weniger Rentner unter den Ausländern gibt, ist folgerichtig auch der prozentuale Anteil Schwerbehinderter oder Erwerbsgeminderter geringer.19

2.11 Sucht

Bei ausländischen Klienten überwiegt die Abhängigkeit von Opiaten, währen Alkoholismus selten vorkommt. Kaum Unterschiede gibt es zwischen EU - Bürgern und Drittstaaten.20

2.12 Tuberkulose

In Deutschland waren 1996 beim statistischen Bundesamt insgesamt 11 814 Tuberkuloseerkrankungen registriert. 70% der Erkrankungen betrafen die einheimische Wohnbevölkerung, 30% ausländische Mitbürger. Eine Abnahme der Zahl der an Tuberkulose erkrankten Ausländer seit 994 ist wohl eine Auswirkung der veränderten Asylgesetzgebung. Im Jahre 1994 lag die Inzidenz extrapulmonaler Tuberkulose in Deutschland pro 100 000 Einwohner bei Immigranten viermal höher als bei Deutschen.21

2.13 Mortalität

Ausländische Kleinkinder, verglichen mit deutschen ,eine zwei- bis dreifach höhere Unfallhäufigkeit aufweisen. Die entsprechenden Raten betrugen für deutsche Kinder 184 pro 199.000 und für ausländische Kinder 457 pro 100.000.22

3. Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten von Migrantinnen und Migranten in Deutschland nach dem Modell von Mielck

Mielck hat ein (integratives) Modell zum Zusammenhang zwischen sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit entwickelt. Ausgangspunkt ist auf der Markroebene die soziale Ungleichheit, spezifiziert durch die klassischen Dimensionen Wissen, Geld , Macht und Prestige. Unter dem Begriff gesundheitliche Ungleichheit versteht er die als ungerecht empfundenen gesundheitlichen Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen.

In der Mesoebene sind zunächst die konkreten gesundheitsrelevanten Lebensbedingenen angesiedelt, welche es den Menschen- weitgehend unabhängig von der subjektiven Wahrnehmung oder Interpretation dieser Bedingungen- objektiv erleichtern oder erschweren, gesund zu leben. Unterschiedlich verteilte gesundheitliche Belastungen und Gefährdungen stehen in Korrespndenz mit unterschiedlich verteilten Ressourcen zur Bewältigung gesunheitliicher Belastungen: deren Bilanz bezeichnet er als gesundheitliche Beanspruchungen. Dieser bisher vor allem in den Arbeitswissenschaften verwendete begriff ist hier nicht auf die Moderation arbeitsweltlicher Belastungen beschränkt, sondern umfaßt die Moderation von Belastungen in und aus der gesamten sozialen Umwelt.

Als eine weitere in der Mesoebene besonders wichtige Bedingung wird in dem Modell die gesundheitliche Versorgung hervorgehoben. diesem Element widmete sich die Diskussion um die Schichtenspezifität der Versorgung. Wie das gesamte Modell ist auch die Mesobene in sich hierarchisch geordnet, indem betont wird, daß unterschiedliche Lebensbedingungen zu unterschiedlichen gesundheitsrelevanten Lebensstilen führen können. Unter dem Begriff Lebensstile sind hier zum einen die in der am Risikofaktorenkonzept orientierten Lebensstil-Diskussion thematisierten alltäglichen Verhaltensmuster (Konsum von Genuß- und Suchtmittlen etc. ) subsumiert.

Nach diesem Modell wird gesundheitliche Ungleichheit durch alle hierarchisch oberhalb angeordneten Ebenen beeinflußt,. Soziale Ungleichheit wirkt somit nicht direkt, sondern über mehrere Zwischenebenen, die ihrerseits durch soziale Ungleichheit beeinflußbar sind. Diese Zwischenebenen lassen sich dabei jedoch nicht vollständig durch soziale Ungleichheit erklären, sie können auch einen eigenständigen Einfluß auf die Entstehung von gesundheitlicher Ungleichheit ausüben. So sind z. B. Unterschiede bei gesundheitlichen Belastungen durch die Erwerbsarbeit oder durch die Wohnumgebung zum großen Teil präformiert durch Unterschiede in den zentralen Ungleichheitsdimensionen Wissen, Geld, Macht und Prestige, sie können jedoch auch unabhängig von diesen sein (z. B. Unterschiede im Lebensstil in Gruppen mit ähnlichem Einkommen).

Entsprechend soll das Modell auch nicht implizieren, daß gesundheitliche Ungleichheit ausschließlich durch soziale Ungleichheit entstehen kann, d.h. derterministisch von dieser abzuleiten wären. Aus gesundheitlicher Ungleichheit wiederum kann ein Rückwirkungseffekt auf die Makroebene sozialer Ungleichheit ausgehen (z.B. Auswirkungen chronischer Krankheit auf zentrale Ressourcen).23

Im folgende werden in verschiedenen Ebenen zwischen ausländische Bevölkerung und deutsche Bevölkerung diskutiert:

3.1 Soziale Unterschiede in Wissen, Macht, Geld und Prestige

Scheuch benutzt zur Bestimmung des Status die sozialen Merkmale Beruf, Einkommen und Bildung. Folgende soziale Merkmale werden in der Soziologie am häufigsten zur Bestimmung des Status einer Person herangezogen, der dann ihren Ort im hierarchischen Schichtungssystem bzw. im Statusaufbau bestimmt: Beruf, monatliches Nettoeinkommen, Schulbildung.

Bildung

1993 verfügte lediglich zu knapp 40% die erste Generation der Ausländer über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse, während die zweite Generation 1993 zu knapp 90% die deutsche Sprache verbal gut beherrscht. Nauck zeigt, daß der Migrationsprozeß und der biographische Zeitpunkt der Migration einschneidend den Lebenszyklus, die Familiengründung und das generative Verhalten bestimmen. Den zweit stärksten Einfluß auf Lebensverläufe türkischer Frauen hatte das Bildungsniveau. Geringe bzw. fehlende Schulbildung begünstigt hohe Fertilität, einen längeren Verbleib in der Herkunftsgesellschaft und zudem vermindern zahlreiche Kinder die Chancen für integrative Handlungen, z.B. den Spracherwerb.24 Für sie ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt schwierig auf Grund der Arbeitsrechtlichen Einstufung und der mit ihr gegebenen überwiegenden Tätigkeit im produktiven Bereich, der fehlenden Ausbildung für technisch Qualifizierte Tätigkeit, der zeitlichen und räumlichen Arbeitsbedingungen und der sprachlichen Schwierigkeiten durchaus plausibel erscheint.25

Wie auch immer sich die wirtschaftliche Situation entwickelt, immer haben beruflich qualifizierte Beschäftigte im Hinblick auf die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes entscheidende Vorteile gegenüber gering Qualifizierten. Ausländer unterliegen einem höheren Arbeitsplatzrisiko in erster Linie wegen ihrer geringeren Ausbildung. Jeder zehnte Einwohner in Deutschland ist Ausländer, bei den Arbeitslosen ist es jeder sechste.

Generell schätzen Ausländer ihre beruflichen Perspektiven negativer ein als Deutsche. Mehr als die Hälfte aller beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer in NRW sind Nicht Facharbeiter ohne Ausbildung. Bei den Deutschen liegt dieser Prozentwert deutlich niedriger, wenn er auch mit 18% immer noch sehr hoch ist. Jeder zweite ausländische Arbeitnehmer, aber nur jeder fünfte Deutsche ist also in NRW als ungelernte bzw. angelernter Arbeitskraft beschäftigt. Faßt man die Facharbeiter und die Angestellten mit beruflicher Ausbildung zur Gruppe der Fachkräfte zusammen, dann ergibt sich, daß knapp 2/3 aller Deutschen, aber nur knapp 1/3 aller Ausländer als qualifizierte Arbeitnehmer angesehen werden können.26 Einkommen

Um die Einkommenssituation der Ausländer adäquat beurteilen zu können, ist es notwendig, einen Vergleich mit der deutschen Bevölkerung durchzuführen. 1984 lag das monatlich verfügbare Einkommen von Deutschen bei 1818 DM. Zum gleichen Zeitpunkt verdienten Ausländer deutlich weniger, nämlich 1582 DM.27

Tabelle 3: Persönliches Nettoeinkommen: Vergleich Deutsche und Ausländer28

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3. 2 Unterschiede in den gesundheitlichen Belastungen

Arbeitsbedingungen

Die überproportionale Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern in besonders belastenden Berufen bei gleichzeitig starker Aktivität im Dienstleistungsbzw. Angestelltenbereich macht die Darstellung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Gruppen im westlichen Bundesgebiet deutlich. Bei folgenden Berufsgruppen lag ihr Anteil bei über 20%: Küche (29,5%), Schweißer (28,0%), Montierter und Metallberufe (25,4%), Gastebetreuer (24,3%), Kunststoffverarbeiter 824,9%), Reinigungsberufe (22,8%) und Bergleute (20,1%).29

In der gewerblichen Wirtschaft sind ausländische Arbeitskräfte zwei bis dreimal häufiger von Arbeitsunfällen betroffen als ihre deutschen Kollegen. Nach einem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit haben 38% der ausländischen Arbeitnehmer mehr als 20kg schwere Lasten zu tragen, 49% arbeiten unter Lärm, 37% sind Staub, Rauch, Gasen und Dämpfen ausgesetzt, 36% Fett, Schmutz und Dreck. Ebenfalls 36% müssen in körperlichen Zwangshaltungen arbeiten, 15% haben Nachtarbeit und 33% Wechselschicht zu leisten.

Ausländer arbeiten oft in kontinuierlicher Wechselschicht, im Gruppen - Leistungslohn, sie führen oft monotone, körperlich schwere Arbeiten mit erhöhter Unfallgefahr aus. Sie arbeiten zudem häufiger im Stehen, mit mehr körperlicher Belastung und häufiger in Zwangshaltungen. Dabei sind sie eher ungünstigen klimatischen Bedingungen, höherer Lärmbelastung, Hand- Arm-Schwingungen, Zugluft und flüchtigen Stoffen ausgesetzt. Neuere empirische Untersuchungen zeigen je doch, daß es in den vergangenen Jahren auf Grund verstärkter Arbeits- schutzmaßnahmen in Form von intensiver Arbeitsvorbereitung und Übersetzung der Sicherheitsvorschriften in die jeweiligen Landessprachen gelungen ist, die Unfallraten am Arbeitsplatz zu senken. So ist von 1971 auf 1991 die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle je 1 Million Arbeitskräfte in der Bundesrepublik von 185 auf 40 zurückgegangen.30

3. 3 Unterschiede in den Bewältigungsressourcen

Soziale Beziehungen haben nicht nur die Funktion eines privaten Hilfenetzes im Falle einer Unterstützungsbedürftigkeit, sondern tragen durch die in ihnen erfahrene Akzeptanz entscheidend zur sozialemotionalen Stabilität des einzelnen bei. Im folgenden wird Familie zuerst als die Faktor der soziale Unterstützung diskutiert:

Die meisten Einwanderer kamen ohne ihre Familien in die Bundesrepublik. Die Phase des Getrenntseins wirkte sich negativ auf die psychische Befindlichkeit aus. Roeder berichtet in diesem Zusammenhang von verstärkten "Paniksyndromen" bei türkischen Migranten der ersten Generation. Einige Untersuchungen gehen der sogenannten Migrations-Streß-Hypothese nach, die davon ausgeht, daß es bei Arbeitsmigranten aufgrund des Verlustes soziokultureller Bindungen und der nachfolgenden "Verpflanzung" in eine fremde Umgebung zu psychischen und psycho-somatischen Störungen kommt. Als pathogene Faktoren zählt Firat auf: Kulturkonflikte, Anpa- ssungsprobleme, Klimawechsel, Ernährungsumstellung, Heimweh und soziale Entwurzelung, Sprachbarrieren, schlechtes Wohnmilieu, Ausländerfeindlichkeit und Streß am Arbeitsplatz.

Zusammenfassend kommt Firat in ihrer Untersuchung zur psychosozialen Situation von türkischen Arbeitsmigranten in Bielefeld zu dem Ergebnis, als Ausländer in Deutschland zu leben, bedeute "Konfrontation mit Ungewöhnlichkeit, Reizüberflutung, Zeitdruck, Selbstwertbedrohung, Orientierungsunsicherheit, Entfremdungsangst, Sprachschwierigkeit und Angst vor antizipierter eventueller Kräftesammlung rechtsextremer Personen Gruppen. Das sind einige psychologische Stressoren, denen sich Ausländer hilflos ausgeliefert fühlen.31

3. 4 Unterschiede in gesundheitlichen Versorgung

Die folgende Beispiele machen es deutlich, daß (präventive) Angebote von der ausländischen Bevölkerung noch nicht im gleichen Umfang wahrgenommen werden wie von Deutschen. Es ist zu vermuten, daß die ausländische Bevölkerung nicht genug in das präventive System des deutschen Gesundheitswesens eingebunden ist. Hier wird auf 3 verfügbare Ebene analysiert: Kommunikation, Schwangerschaftsuntersuchungen und Impfprophylaxe.

Kommunikation

Obwohl im internationalen Vergleich die Qualität der Gesundheitsversorgung in Deutschland auf hohem Niveau ist, wird die multikulturelle und soziodemographische Entwicklung der Bevölkerung Deutschlands noch zu wenig bei der Planung im sozial- und Gesundheitswesen berücksichtigt: Migrantinnen und Migranten sind zudem nicht ausreichend über die unser Gesundheitssystem bietet. Auch Informationen übe bereits bestehende Hilfsangebote, z.B. Ärzte mit Fremdsprachenkenntnissen oder muttersprachlicher Kompetenz, vorhandenen Beratungsstellen oder fremdsprachige Informationsbroschüren erreichen die Zielgruppe oft nicht und sind eventuell auch dem Fachpersonal unbekannt.

Bei der Behandlung ausländischer Patientinnen und Patienten wird jedoch immer wieder von Schwierigkeiten berichtet. Als Problem wird die schwierige Kommunikation zwischen Patient und Fachpersonal genannt. Die sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten erschweren beispielsweise die Anamnese und infolgedessen auch die Diagnose. Eine Therapie kann erst verzögert beginnen, im Krankenhaus bedeutet dies längere Liegezeiten.32

Günay/Haag weisen darauf hin, daß türkische Frauen, die sich an Lebens- zusammenhänge besonders gut angepaßt hatten, häufiger zum Arzt gehen und länger im Krankenhaus behandelt werden als weniger integrierte türkische Frauen. Sie scheinen weniger Angst vor intimen Kontakten mit dem deutschen Umfeld zu haben und nutzen medizinische Einrichtungen selbstbewußter. Türkische Frauen mit schlechten Sprachkenntnissen und unzureichender schulischer und beruflicher Bildung hingegen scheuten nicht selten aus Scham und Unsicherheit vor dem Arztbesuch zurück. Mit der Integration in deutsche Lebenszusammenhänge steigt also die Bereitschaft, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.33

Schwangerschaftsuntersuchungen

In einer Reihe von sehr umfassenden und aussagekräftigen Studien verlaufen Schwangerschaften und Geburten von Migrantinnen anders als bei deutschen Frauen (Collatz et al.,1985; Zink et al., 1985). Am deutlichsten sind diese Unterschiede bei türkischen Frauen. Dies beginnt bereits mit höheren Defiziten an Beratung aller Art, insbesondere bei der Familienplanung, und einer wesentlich höheren anamnesti- schen Belastung ausländischer Schwangerer. Die Anamnesen wurden gegenüber deutschen Frauen sehr lückenhaft erhoben. In Haushalt. Vorsorgeuntersuchungen werden von ausländischen Schwangeren später und weniger kontinuierlich aufge- sucht.34

89,2% der schwangeren Deutschen vor der 13. Schwangerschaftswoche einer Erst- untersuchung unterziehen sich, jedoch nur 69,5 % Schwangerer aus Mittelmeerlän- dern und 58,4 % Schwangerer aus Osteuropa. Eine Analyse der Anzahl der Vorsor- geuntersuchungen führt zu ähnlichen Ergebnissen: 10 und mehr Vorsorge- untersuchungen nahmen ca. 80% der Deutschen, jedoch nur 56% der Schwangeren aus Mittelmeerländern und 54% der werdenden Mütter aus osteuropäischen Staaten in Anspruch.35

Impfprophylaxe

Bei den Einschulungsuntersuchungen im Saarland legten 91 % der deutschen, aber nur 60,4% der ausländischen Kinder ein Impfbuch vor. In Baden-Württemberg hatten 1996 85,6 % der deutschen und ca. 70 % der ausländischen Schulanfänger ein Impfbuch. Die Gründe für das Fehlen dieses Dokuments bei ausländischen Kindern sind vielfältig: im Herkunftsland werden Impfungen nicht dokumentiert, das Impfbuch geht bei der Ausreise oder Flucht verloren. Die folgenden Daten beziehen sich nur auf Kinder mit vorgelegtem Impfbuch.

Eine Erhebung in Bielefeld ergab, daß de Impfstatus der ausländischen Schulanfänger wesentlich schlechter ist als der deutschen Kinder: während 1991 ca. 17% der deutschen Kinder unvollständig geimpft waren, betrug der Anteil der ausländischen Kinder ca. 52%.36 Der Anteil der ungeimpften Schulanfänger war insgesamt gering, liegt jedoch bei ausländischen Schulanfängern durchschnittlich doppelt so hoch wie bei deutschen.

3. 5 Unterschiede in Gesundheits- und Krankheitsverhalten

Verfügbare Vergleich werden Verhalten wie Rauchen und Ernährung als Beispiele gemacht. Bei Vergleich türkischer Populationen mit deutschen Vergleichsgruppen wurde festgestellt, daß gesundheitsschädigende Verhaltensweisen wie Rauchen und zu fette Ernährung bei Türken häufiger anzutreffen sind, und entsprechend sind auch Blutwerte und andere als Risikoindikatoren bekannte biologische Meßwerte in der türkischen Untersuchungsgruppe überhöht zu messen. Diese Daten stellen einen Hintergrund für die deutlich erhöhten und um zehn Jahre gegenüber der deutschen Population frühzeitiger auftretenden chronischen Erkrankungen der türkischen Migranten dar. Insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen treten bei türkischen Migranten zehn Jahre früher als bei Deutschen auf. Türkische Migranten leben mit dem Risiko, 10 Jahre (!) früher als Deutsche schwere chronische Erkrankungen zu erleiden.37

4. Zusammenfassung und Diskussion

Zusammengefaßt zeigen die herangezogenen Indikatoren, daß der Gesundheitszustand der ausländischen Bevölkerung im Vergleich zur deutschen Bevölkerung schlechter ist. Insbesondere ist bei der ausländischen Bevölkerung die Rate der Müttersterbefälle, Säuglingssterblichkeit, Arbeitsunfälle und Tuberkulose höher. Die subjektive Einschätzung des Gesundheitszustands der ausländischen Bevölkerung ist umstritten. Ältere Migranten leiden stärker als Deutsche unter psychischen Beeinträchtigungen. In NRW ist der Anteil der Behinderung bei der deutschen Bevölkerung höher als bei der ausländischen.

Mit den Daten konnte gezeigt werden, daß der Gesundheitszustand der Mi- granten/den Migrantinnen stark der sozialen Lage der Migrantinnen /den Migranten entspricht. Dies wurde mit Hilfe einiger Indikatoren der sozialen Schicht wie Bildung und Einkommen verdeutlicht, aber auch durch Indikatoren der Lebenslage, wie Arbeitsbelastungen, mit der familiären Situation und den sozialen Beziehungen. Bezüglich des Gesundheitszustandes weisen bei allen hier vorgestellten Indikatoren die Gruppen mit der schlechteren sozialen Lage höhere Werte auf als die Bessergestellten.

Aber auch der unterschiedliche Aufenthaltsstatus der ausländischen Wohnbevölkerung ist zu berücksichtigen, denn z.B bei Asylbewerbern und verschiedenen Kriegsflüchtlingen ist dieser mit Einschränkungen der Finanzierung von Behandlungsmöglichkeiten verknüpft. Im weiteren spielen Abschiebeängste, Bedrohung des Aufenthaltsstatus etc. bei Gesundheitsstörungen und Krankheitsverläufen von Migranten oft auch eine wesentliche Rolle.

5. Literaturverzeichnis

1. Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg.). (1997): Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
2. Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg.). (1998): Daten und Fakten zur Ausländersituation, Bonn
3. Beauftragte der Bundesregierung (Hrsg.). (1998): Gesundheit und Migration (Nr. 6), Bonn
4. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.). (1992): Zur Lebenssituation und spezifische Problemlage älterer Einwohner in der Bundesrepublik Deutschland (Forschungsbericht Nr. 225), Bonn
5. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.). (1995): Entwicklung von Konzepten du Handlungsstrategien für die Versorgung älterwerdender und älterer Ausländer (Forschungsbericht Nr. 253), Bonn
6. Gerd-Dieter Burchard (1998): Erkrankungen bei Immigranten, Stuttgart: Gustav Fischer
7. Mielck, A. & Elkeles, T. (1998): Soziale und gesundheitliche Ungleichheit
8. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (1994): Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen (Landessozialbericht Band 5), Neuss
9. Weber, Ingbert (1990). Dringliche Gesundheitsprobleme der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland, Daden- Baden: Nomos

[...]


1 Vgl. Barläsius, Eva (1997): Kommentar zum Hauptseminar: Gesundheit und soziale Ungleichheit, Düsseldorf

2 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (Hrsg.). (1998): Daten und Fakten zur Ausländersituation, Bonn, S.7-9

3 Vgl. Mielck, A (1993): „Gesundheitliche Ungleichheit“ als Thema von Forschung und Gesundheitspolitik, in: Krankheit und soziale Ungleichheit, Opladen: Leske + Budrich

4 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.).(1994): in Landessozialbericht, Band 6: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S. 166

5 Vgl. Weber, Ingbert (1990). Dringliche Gesundheitsprobleme der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland, Daden- Baden: Nomos

6 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.). (1994): in Landessozialbericht, Band 6: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S. 157-169

7 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.). (1994): in Landessozialbericht, Band 6: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S. 157-169

8 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.). (1994): in Landessozialbericht, Band 6: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S.168

9 Vgl Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.). (1994): Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein. - Westfalen, Düsseldorf, S.157-169

10 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.). (1994): Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S.157-169

11 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (Hrsg.). (1997): Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutsch- land, Bonn, S.69

12 Vgl. Gerd-Dieter Burchard (1998): Erkrankungen bei Immigranten, Stuttgart: Gustav Fischer, S. 17- 30

13 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (Hrsg.). (1997): Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, S.69

14 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (Hrsg.). (1997): Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutsch- land, Bonn, S.69

15 Vgl. Quelle: Sozio-ökonomisches Panel

16 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen. (Hrsg.). (1997): Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, S.69

17 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrg.) (1995): Entwicklung von Konzepten und Handlungsstrategien für die Versorgung älterwerdender und älterer Ausländer, Dortmund

18 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrg.) (1995): Entwicklung von Konzepten und Handlungsstrategien für die Versorgung älterwerdender und älterer Ausländer, Dortmun

19 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.).(1994): in Landessozialbericht, Band 6: Ausländerinnen und Ausländer in NordrheinWestfalen, Düsseldorf, S. 157169

20 Vgl. Ernest W. B. Hess-Lüttich (Hrsg.). (1986): Integration und Identität, Tübingen, S.7

21 Vgl. Gerd-Dieter Burchard (1998): Erkrankungen bei Immigranten, Stuttgart: Gustav Fischer, S. 91

22 Vgl. Weber, Ingbert (1990). Dringliche Gesundheitsprobleme der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland, Daden- Baden: Nomos

23 Vgl. Elkeles, Tomas & Mielck, Andreas (1998). Soziale und gesundheitliche Ungleichheit

24 Vgl. Gerd-Dieter Burchard (1998): Erkrankungen bei Immigranten, Stuttgart: Gustav Fischer, S. 17- 30

25 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.). (1994): in Landessozialbericht, Band 6: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S. 157-169

26 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.). (1994): in Landessozialbericht, Band 6: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S. 157-169

27 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.). (1994): in Landessozialbericht, Band 6: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S. 157-169

28 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.). (1994): in Landessozialbericht, Band 6: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S. 157-169

29 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (Hrsg.). (1998): Daten und Fakten zur Ausländersituation, Bonn, S.7-9

30 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.) (1994): in Landessozialbericht, Band 6: Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S. 157-

31 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.). (1994): Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S.157-169

32 Vgl. Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Ausländer. (1995): Gesundheit und Migration, Modellprojekte von Gesundheitsämtern, Bonn, S.8-9

33 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hrsg.). (1994): Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf, S. 157-169

34 Vgl. Gerd-Dieter Burchard (1998): Erkrankungen bei Immigranten, Gustav Fischer, Stuttgart, S. 17- 30

35 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (Hrsg.). 1997:Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, S.70

36 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (Hrsg.). (1997): Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutsch- land, Bonn, S.70

37 Vgl. Gerd-Dieter Burchard (1998): Erkrankungen bei Immigranten, Stuttgart: Gustav Fischer, S. 27

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Untersuchung des Zusammenhangs zwischen sozialer Ungleichheit und gesundheitlicher Ungleichheit am Beispiel von Migrantinnen und Migranten in Deutschland
Hochschule
Universität Bielefeld
Veranstaltung
Soziologische Grundlangen
Autor
Jahr
1998
Seiten
23
Katalognummer
V107045
ISBN (eBook)
9783640053209
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit zeigt die gesundheitliche Ungleichheit zwischen Migrantinnen und Migranten und Einheimliche.
Schlagworte
Untersuchung, Zusammenhangs, Ungleichheit, Beispiel, Migrantinnen, Migranten, Deutschland, Soziologische, Grundlangen
Arbeit zitieren
Lin Tai-An (Autor:in), 1998, Untersuchung des Zusammenhangs zwischen sozialer Ungleichheit und gesundheitlicher Ungleichheit am Beispiel von Migrantinnen und Migranten in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107045

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