Vom Patienten zum Klienten und Kunden - Gesellschaftliche Ansichten des Gesundheitswesens


Hausarbeit, 2002

25 Seiten

Anonym


Leseprobe


INHALT

1. EINLEITUNG

2. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
2.1. Der Kunde
2.2. Der Patient
2.2.1. Die Seite des Patienten
2.2.2. Die Seite des Pflegepersonals
2.3. Ein kurzer Rückblick

3. DIE SITUATION IN DER VERGANGENHEIT UND IN DER GEGENWART
3.1. Leistungsnehmer sozialer Arbeit
3.2. Ein ehemaliges Leitbild der Rolle von Patienten
3.3. Verschiedene bis heute anhaltende Entwicklungstrends
3.4. Weitere Ursachen der Umbenennung
3.5. Ein kurzer Rückblick

4. VERSCHIEDENE KRITIK AN DER UMBENENNUNG
4.1. Aus dem Bereich der Sozialen Arbeit
4.1.1. Dienstleistung ist nicht gleich Dienstleistung
4.1.2. Die Mitarbeit des Leistungsnehmers
4.1.3. Kompetenz der Leistungsnehmer
4.1.4. Abhängigkeit und Überforderung des Leistungsnehmers
4.1.5. Die Geburt des Begriffs ‚Kunde’ im Gesundheitswesen
4.2. Argumente gegen eine Beteiligung der Patienten
4.3. Kundenorientierte Aufbau- und Ablauforganisation?

5. LÖSUNGSANSÄTZE
5.1. Das Verhältnis zwischen Leistungsnehmer, Pflegekraft und Arzt
5.2. Das Leistungsnehmer-Verwaltungs-Verhältnis

6. KRITISCHE WÜRDIGUNG

LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

Fast unbemerkt schleicht sich im Gesundheitssektor neben vielen anderen ein Begriff ein, den wir sonst nur schon mal im Zusammenhang mit dem Begriff Marktwirtschaft gehört haben. Der Begriff ‚Kunde’ erscheint uns völlig fremd, und hat vom Gefühl her eher wenig mit dem Begriff ‚Patient’ zu tun, wie wir die Menschen eigentlich auch immer noch lieber nennen, die in unser Krankenhaus kommen und sich von Ärzte- und Pflegepersonal behandeln lassen. Aus eigener Erfahrung kann ich behaupten, dass sich Pflegepersonal und Patienten immer noch sehr schwer tun beim Umgang mit dem Begriff ‚Kunde’. So richtig ist es immer noch nicht zu verstehen, warum auf einmal das ganze Krankenhaus von hinten bis vorne umgekrempelt wird, und warum immer wieder neue Begriffe auftauchen, wie: ‚Qualitätssicherung’, ‚Beschwerdemanagement’, ‚Pflegemanagement’, und ‚ökonomisches Arbeiten’.

Außerdem ist kaum zu verstehen, weshalb auf einmal die Eingangshalle des Krankenhauses aussieht wie die eines Fünf-Sterne-Hotels, wo schon eine adrett gekleidete Hostess auf einen wartet, um den Weg zur Aufnahme zu zeigen und um die Koffer abzunehmen. Warum ist die alte Caféteria komplett umgebaut worden, hat einen richtigen Namen erhalten, wie zum Beispiel ‚Café Seeblick’, und besitzt zusätzlich einen eigenen Slogan wie zum Beispiel: „Das Auge isst mit.“? Unter dem Namen ‚Corporate Identity’1, einem weiteren neuen Begriff im Gesundheitssektor, erhält das gesamte Krankenhaus unter anderem eine einheitliche äußerliche Erscheinung, und alles wirkt auf den ersten Blick sehr viel runder und strahlender. In diesem Zusammenhang war schon häufiger der Kommentar seitens der Angestellten zu hören: „Wir sind doch kein Hotel!“

All diese Begriffe und plötzlichen Veränderungen kamen fast zeitgleich auf, als es darum ging, die Bezeichnung der Krankenhausgäste von ‚Patienten’ in ‚Kunden’ zu ändern - es müsste demnach ein Zusammenhang zwischen diesen Veränderungen bestehen. Diese Hausarbeit soll versuchen aufzuzeigen, wie es zu dieser Begriffsänderung kam, und von was für Umständen sie begleitet war, bzw. immer noch ist. Dabei werde ich selbst den Terminus ‚Patient’ zur Bezeichnung der

Leistungsnehmer eines Krankenhauses verwenden und sie vor allem im Zusammenhang mit der Sozialen Arbeit als ‚Leistungsnehmer’ bezeichnen. Ich möchte mich außerdem mit der Kritik an Begrifflichkeiten wie diesen befassen, und versuchen am Schluss der Arbeit einen Lösungsansatz zu geben, der versuchen soll einen Weg aufzuzeigen, wie der Begriff des ‚Kunden’ in unseren Krankenhausalltag aufzunehmen ist. Bevor ich in die Thematik einsteige, versuche ich zunächst zu erklären, was definitionsgemäß unter dem Begriff ‚Kunde’ und ‚Patient’ überhaupt zu verstehen ist, und wie diese Begriffe, ganz allgemein gesehen, verstanden werden.

2. Begriffsbestimmungen

Der folgende Abschnitt soll die Unterschiede zwischen den Begriffen ‚Klient’, ‚Kunde’ und ‚Patient’ verdeutlichen, bzw. Gemeinsamkeiten aufzeigen.

2.1. Der Kunde

Der Begriff ‚Kunde’ definiert sich im engeren Sinne wie folgt: „Customer: a person or organization who actually makes the decision to buy a certain product or service from source.“2. Frei übersetzt bedeutet das, dass ein Kunde eine Person oder eine Organisation ist, die die Entscheidung trifft, ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung von einer Quelle käuflich zu erwerben.

Ein Kunde im weiter gefassten Sinne definiert sich im Wesentlichen durch folgende Merkmale:3

- Ein Kunde ist eine Person, die sich auf einem Markt bewegen können muss, um zwischen den verschiedenen Angeboten wählen zu können.
- Außerdem fragt er nach Produkten oder Dienstleistungen, die er benötigt, und ist somit ein am Marktgeschehen interessierter Konsument.
- Über das, was der Kunde aus dem Angebot auswählt, übt er einen Einfluss auf Inhalt und Qualität des Angebots aus.
- Der Kunde muss für das Produkt oder für die Dienstleistung einen Preis entrichten.
- Der Kunde ist existentiell notwendig für den Anbieter einer Leistung oder eines

Produktes.

„Das Wort Kunde stammt aus dem althochdeutschen "kund" und bedeutet soviel wie "gewusst, bekannt" und "kundo" soviel wie "Bekannter, Einheimischer". Somit betont der Begriff des Kunden eine stärkere Autonomie und auch Mitwirkung: „Der Kunde weiß, was ihm fehlt, was er will und vor allem, was ihm hilft.“4

Definitionsgemäß kann der Leistungsnehmer, der sich in einem Krankenhaus aufhält, kein Kunde sein, da er keinen Preis entrichtet, aber auf jeden Fall tritt er als ein Konsument auf, deshalb möchte ich die Erklärung des Begriffes ‚Kunde’ mit der des Begriffes ‚Konsument’ ein wenig ergänzen:

Im Gesundheitswesen werden dem Konsumenten verschiedene Alternativen von Gesundheitsleistungen angeboten, zu denen er jeweils Informationen über Nutzen und Risiken erhält. Es sind Prioritäten und individuelle Werte des Konsumenten, die den Entscheidungs- und Auswahlprozess steuern, wobei der Konsument aktiv an diesem Prozess teilnimmt. Der Konsument im Gesundheitswesen ist dabei nicht nur auf die Entscheidungsgestaltung und -partizipation bei Diagnose und Therapie beschränkt, sondern er besitzt Wahlmöglichkeiten über Versicherungen oder Anbieter von Gesundheitsleistungen.

Der Begriff Konsument sagt aus, dass dieser eine aktive Rolle am Geschehen besitzt, was zwar bedeutet, dass er viele Rechte hat, aber auch, dass er eine große Verantwortung trägt. Er holt Informationen ein, muss Grundkompetenzen, also ein grundlegendes medizinisches Wissen besitzen, und er muss schließlich die Entscheidung treffen, welches Produkt er erwerben oder welche Dienstleistung er in Anspruch nehmen möchte.5

2.2. Der Patient

Das Wort stammt ursprünglich aus dem Lateinischen. In dieser Sprache bedeutete ‚patiens, patientis’ soviel wie ‚erduldend’ und ‚erleidend’. Ein Patient wird verstanden als ein Kranker in ärztlicher Behandlung, aber auch generell derjenige, der ärztliche Betreuung in Anspruch nimmt.6

Zur weiteren Erläuterung dieses Begriffes werde ich auf die Informationen zurückgreifen, die ich im Laufe der Jahre in meiner Funktion als Krankenpfleger gesammelt habe. Ich möchte versuchen darzustellen, wie Patienten sich wahrscheinlich selbst sehen, und wie sie vom Pflegepersonal manchmal gesehen werden, wobei ich meinen Blick hauptsächlich auf das Klientel richte, das 60 Jahre oder älter ist. Sicherlich würden sich meinen Erläuterungen nicht alle Patienten und alle Pflegekräfte anschließen, denn Unterschiede in den Ansichten der Patienten würden sich, wie bereits erwähnt, allein schon aus den verschiedenen Altersstufen ergeben, dennoch gibt der folgende Text meines Erachtens nach einen kleinen Einblick:

2.2.1. Die Seite des Patienten

So ist bis heute immer noch zu bemerken, dass Patienten nicht einfach nur ihre Krankheit ‚erdulden’ oder ‚erleiden’, sondern auch alles andere, was mit ihnen im Hinblick auf Diagnose, medizinische Therapie und pflegerische Tätigkeiten gemacht wird.

Patienten scheinen bislang immer eine sehr passive Rolle zu übernehmen, was ihnen auch nicht unbedingt unangenehm zu sein scheint, denn Ärzte- und Pflegepersonal müssen schließlich wissen, was gut für sie ist. Der Patient passt sich den gegebenen Umständen an, nicht umgekehrt, und er ergibt sich fast schicksalhaft allen Maßnahmen und Begebenheiten, und er will das Gefühl haben sich in Sicherheit begeben zu haben. Überspitzt könnte behauptet werden, der Patient nimmt alle seine Kompetenzen und Rechte, und legt sie in die Hände von ‚Fachpersonal’, die ab dem Eintreten in die Klinik die Geschicke des Patienten leiten. Hinzu kommt, dass der Patient ein hohes Hierarchiedenken zu besitzen scheint, was ihn häufig davon abhält, zum Beispiel in der Visite Fragen zu stellen. Er muss sich offenbar in dieser Hierarchie irgendwo weiter unten einstufen.

2.2.2. Die Seite des Pflegepersonals

Das Pflegepersonal hingegen betrachtet einen Patienten nicht immer als einen Menschen, der irgendwo seinen Wohnsitz und bislang ein ganz normales Leben mit seiner Familie geführt hat. Es kommt mir manchmal so vor, als ob es einigen Angestellten des Pflegepersonals lieber wäre, wenn sie für den Zeitraum des Aufenthalts des Patienten auch nur diesen zu Gesicht bekämen, und nicht noch zusätzlich die besuchende Verwandtschaft, die das Pflegepersonal häufig mit Fragen, oder allein durch ihre Anwesenheit in gewisser Weise ‚aufhält’ oder ‚behindert’.

Er ist eben jetzt ein Patient, der mehr oder weniger ein geduldeter Gast ist und als solcher gewisse Regeln einzuhalten hat, denn „als wichtigstes Ziel wird die Gestaltung eines reibungslosen Tagesablaufs gesehen.“7. Er ist in großen Teilen von uns abhängig und braucht je nach Schweregrad bei vielen Dingen unsere Hilfe. Ein Patient ist ebenfalls eine Person, bei der wir in kürzester Zeit in die intimsten Bereiche seines Lebens und seines Körpers vordringen dürfen. Für diese teilweise intimen, pflegerischen Verrichtungen, aber sowieso für alle pflegerischen Handlungen erwarten wir eine absolute Ergebenheit - er muss es ‚erdulden’.

Das Pflegepersonal besitzt aber auch das Privileg, oder auch die Last, in kurzer Zeit einen großen Einblick in die private Intimsphäre des Patienten zu erlangen. Der Patient nutzt nicht selten die Gelegenheit sich mit seinen Ängsten und seiner Traurigkeit mitzuteilen, um Trost für seine missliche Lage zu erhalten, und nicht selten wird der Patient mit seinen Nöten bis zu seinem Tod von Pflegekräften begleitet.

2.3. Ein kurzer Rückblick

Wie bereits erwähnt, meine Beschreibung des Begriffs ‚Patient’ ist sehr subjektiv und resultiert hauptsächlich aus eigenen Eindrücken und Erfahrungen, dennoch sind sie nicht abwegig. Zumindest lässt sich schon jetzt ganz deutlich erkennen, dass Begriffe wie: ‚Angebotsauswahl’, ‚Nachfrage nach Dienstleistungen’, ‚Bezahlung für Leistungen’, ‚Autonomer Kunde’, ‚Entscheidungspartizipation bei Diagnose und Therapie’, ‚aktive Rolle als Konsument’ und ‚Grundkompetenzbesitz’ zumindest im Bereich der Pflege kollidieren mit dem, wie wir als Pflegepersonal die Patienten wirklich erleben, und wie der Patient sich uns gegenüber tatsächlich verhält. Denn im Pflegebereich geht es um Begriffe wie: ‚erdulden’ und ‚erleiden’, ‚passive Rolle des

Patienten’, ‚freiwillige Kompetenzabgabe’, ‚schicksalhaftes Ergeben’,

‚Hierarchiedenken und Unterordnung’, ‚Hilfeabhängigkeit’, ‚Einblick in die

Intimsphäre’, ‚Ängste, Trauer und Trost’ und ‚Sterben’. Der doch sehr marktwirtschaftlich geprägte Begriff ‚Kunde’ scheint sich auf den ersten Blick kaum in irgendeiner Weise mit der Krankenpflege in Verbindung bringen zu lassen, denn Krankenpflege hat dafür zuviel mit den intimsten Angelegenheiten eines Menschen zu tun.

3. Die Situation in der Vergangenheit und in der Gegenwart

Der folgende Abschnitt wird das Thema behandeln, wie es überhaupt dazu kam, dass heute im Gesundheitssektor marktwirtschaftliche Begriffe, wie ‚Kunde’ auch einer ist, diskutiert werden. Dafür werde ich zwei Rückblicke in die Geschichte machen. Der

Erste soll sich allgemein auf die ‚Soziale Arbeit’ beziehen, der Zweite befasst sich mit einem alten Leitbild, das die einstige Arzt-Patienten-Beziehung besonders gut beschreibt, die als Hintergrund für die heutige Begriffsdiskussion von hoher Bedeutung ist. Außerdem versuche ich einen Einblick zu geben, was die gegenwärtigen Entwicklungstrends im Bereich ‚Kundenorientierung’ sind.

3.1. Leistungsnehmer sozialer Arbeit

In den 70er Jahren war es noch häufig so, dass die Leistungsnehmer sozialer Arbeit als ‚Betroffene’ tituliert wurden. Sie wurden gesehen, als Personen, die materiell und bildungsmäßig unterprivilegiert sind, und aus diesem Grunde an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Außerdem wurden sie als Opfer von Stigmatisierungen betrachtet.

Das Problem wurde zu dieser Zeit nicht bei den betroffenen Personen selbst, sondern in ihrem Umfeld gesucht. Schädigende gesellschaftliche Strukturen sollten geändert und die besondere subkulturelle Lebensweise der betroffenen Gruppen erhalten werden.8

Das sollte sich in den 80er Jahren ändern. Dies war die Zeit, als sozialarbeiterisches Handeln in den Vordergrund trat. Es wurde die Meinung vertreten, dass soziale Arbeit am besten wisse, was gut für die ‚Klienten’ sei. Sozialarbeiter wurden als

‚Experten’ bezeichnet, und auch Begriffe wie ‚Klient’ bzw. ‚Klienten’ wurden selbstverständlicher verwendet als früher. Das mag daran gelegen haben, dass ein Begriff wie ‚Klient’ ausdrückt, dass es sich um einen ‚Hilfebedürftigen’ oder ‚Schutzbefohlenen’ handelt, der beschützt werden muss. Autonome

Handlungskompetenz wurde den damaligen ‚Klienten’ abgesprochen, und somit waren sie an Entscheidungsprozessen auch nicht beteiligt, die sie selbst betrafen.9 Es darf also behauptet werden, dass die Dienstleistungen der damaligen Experten Systeme waren, die sich primär an sich selbst orientierten, und dass die Klienten entmündigt wurden. Die Diskussion, die damals geführt wurde, ob Experten ihre

Klienten entmündigen oder nicht, wurde vorwiegend von den Betroffenen selbst geführt, und so kam es auch dazu, dass Selbsthilfebewegungen entstanden, die extreme ‚Experten-Schelte’ betrieben und den Fachleuten und Institutionen Ignoranz und Schwerfälligkeit vorwarfen.10

Ende der 80er, bzw. Anfang der 90er Jahre änderte sich das Bild noch einmal. Zwar wurden die ‚Klienten’ immer noch als ‚Klienten’ bezeichnet, aber der Blick wurde auf die psychische Verursachung von sozialen Problemen gerichtet. Probleme hatten pathologische Ursachen, und die Soziale Arbeit bekam nun einen therapeutischen Charakter.

So kam es schließlich vor allem in den 90er Jahren dazu, dass Soziale Arbeit ökonomisiert wurde, was zur Folge hatte, dass die ‚Klienten’ nun zu ‚Kunden’ wurden.11 Veränderungen erleben aber auch ehemalige Bezeichnungen wie die ‚Hilfe’, die zur ‚Dienstleistung’ geworden ist, oder die ‚Einrichtung’, die nun ‚Betrieb’ genannt wird.

3.2. Ein ehemaliges Leitbild der Rolle von Patienten

Wie im Bereich der sozialen Arbeit kann man sich auch die Arzt-Patienten-Beziehung in noch früherer Zeit vorstellen. Es bestand damals keine Möglichkeit zur Artikulation oder gar Durchsetzung eigener Interessen. Ärztliche Untersuchungen und Impfungen waren gesetzlich vorgeschrieben und Verhaltensmaßregeln, die oft von Eltern, Lehrern, Pfarrern und vom öffentlichen Gesundheitsdienst auferlegt wurden, sollten keinen Anlass zur Diskussion bieten, sondern sollten befolgt werden. Den paternalistisch-autoritativen12 Verschreibungen eines Arztes galt es Folge zu leisten. Patienten wurde lediglich ein allgemeines Interesse an ihrer eigenen Gesundheit unterstellt, aber nur andere, nämlich die Fachleute wussten Wege und Mittel zu ihrer Erhaltung bzw. Wiederherstellung. Man hatte ein Recht auf Krankenversorgung, aber über Strukturen, Prozesse und Entscheidungen in der Krankenversorgung hatten Patienten nicht mitzubestimmen.13

3.3. Verschiedene bis heute anhaltende Entwicklungstrends

Im Wesentlichen gibt es vier verschiedene Punkte, die verantwortlich sind für die Auflösung der oben genannten alten Strukturen:14

- der ehemals obrigkeitliche und damit versagende Sozialstaat wird zu einer sozialen Demokratie. Die Möglichkeiten auswählen und partizipieren zu können, nehmen zu. Aus den entmündigten Menschen werden aktive Bürger. Artikulation und Durchsetzung von Verbraucherinteressen verbessern sich, und das auch im Gesundheitswesen. Dieser Prozess ist gerade in vollem Gange.

- Als zweiter Punkt ist die steigende Selbstverantwortung zu nennen. So steht im § 1,1 des Sozialgesetzbuches V: „Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mit verantwortlich…“. Mit Selbstverantwortung verbindet sich allerdings nicht nur Gutes, denn einem Einzelnen können unter diesem Begriff auch immer mehr Lasten und Kosten aufgebürdet werden, auch wenn er selbst gar nicht Verursacher war. In punkto Lasten und Kosten verringern sich dann wieder Einfluss und Handlungsmöglichkeiten.

- Zum einen wird mehr und mehr erkannt, dass durch primäre Prävention15 die Arbeits- und Lebensverhältnisse besser gestaltet werden können. Krankheitsverhütung und Gesundheitsförderung sind populär, und das hat eine Fülle von kommerziellen Angeboten zur Folge: Ernährung, Bewegung, Stressmanagement, Wellness, Esoterik usw. sind wichtiger als je zuvor, auch wenn ihre Wirkung oft wissenschaftlich gar nicht erwiesen ist. Ein

Konsumentenschutz ist hier dringend notwendig. Zum anderen setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass der Patient nicht länger nur Empfänger von Leistungen sein, sondern dass er ‚Mit- Produzent’ seiner eigenen Gesundheit werden soll. Es kommt zwischen Arzt und Patient zunehmend zu gemeinsamen Entscheidungen im Hinblick auf Handlungs- und Therapieoptionen. Wahrscheinlich wird es weiterhin so bleiben, dass der Arzt das meiste medizinische Verständnis besitzen wird, aber der Bedarf an für Patienten brauchbarem Informationsmaterial über

Krankheitsentstehung, -verlauf und -therapiemöglichkeiten steigt, ebenso wie der Wunsch sich mit Hilfe dieser Materialien selbst mitteilen und seine Interessen artikulieren zu können. Medizin und Pharmaunternehmen halten sich in diesem Punkt etwas bedeckt. Der Zugang zu qualitativ hochwertigen Informationsmaterialien wird den Patienten noch schwer gemacht. So ganz ist man noch immer nicht von der paternalistischen Sichtweise abgewichen, die von der Idee geprägt ist, der Patient könne nicht mit ‚schlechten Neuigkeiten’ umgehen und müsse unwissend gehalten werden.

- Ein weiterer Punkt, der verantwortlich für die Auflösung alter Strukturen ist, ist das Vordringen von Marktbeziehungen und ökonomisch motivierter Konkurrenz im Gesundheitswesen. Der Gesetzgeber ist dafür verantwortlich, dass die gesetzlichen Krankenkassen seit 1993 zu konkurrierenden Marktsubjekten geworden sind. Sicherlich hat das für die Versicherten Vorteile, denn nun müssen sich die Kassen durch stärkere Dienstleistungsorientierung um ihre Versicherten bemühen, aber ihre Bemühungen finden vorwiegend selektiv statt, denn interessiert sind sie natürlich nur an jüngeren, gut gebildeten und wohlhabenden Patienten, die für die Kasse nur ein geringes Risiko bedeuten. Ein Vorteil, der den Versicherten bleibt, ist aber die freie Kassenwahl, aber auch diese bringt keinen entscheidenden Vorteil, denn der Leistungskatalog der Krankenkassen ist aus sozialpolitisch zwingenden Gründen einheitlich, und ein kleiner meist vorübergehender Unterschied liegt höchstens in den Beitragssätzen.16

3.4. Weitere Ursachen der Umbenennung

Wie bereits angedeutet, liegt die Ursache dafür, dass Leistungsnehmer als Kunden bzw. Kundinnen verstanden und bezeichnet werden darin, dass zunehmend eine Ökonomisierung im Gesundheitswesen stattfindet. Hier liegt es nahe auch marktwirtschaftliche Bezeichnungen wie ‚Kunde’, und ‚Dienstleistung’ zu verwenden. Hinzu kommt, dass das Pflegeversicherungsgesetz vorschreibt, dass Anbieter von ambulanten und stationären Leistungen selbstständige wirtschaftliche Einrichtungen sein müssen, was nochmals die Tendenz zur Ökonomisierung in besonderer Weise betont.17

Solche neuen Begriffe und neuen Modelle implizieren aber auch eine gewisse Professionalität, denn ‚Kunden’ sollen nur hochwertige Produkte bzw. Dienstleistungen verkauft werden, und deshalb ist ein weiterer Begriff wie der der Qualitätssicherung von besonderer Bedeutung. Was nicht vergessen werden darf ist aber die Tatsache, dass es bei der ganzen Diskussion um Begrifflichkeiten selbstverständlich auch um Umsatzsteigerung geht, denn auch ‚Gewinn’ ist ein marktwirtschaftlicher Begriff, und auch wenn dies von Gesundheitseinrichtungen nicht gerne zugegeben wird, so wird nach dem Maximal-Prinzip durchaus versucht, mit dem Einsatz einer bestimmten Menge an Mitteln einen höchstmöglichen Gewinn zu erzielen.

3.5. Ein kurzer Rückblick

Insgesamt betrachtet kommt es im Gesundheitswesen schon zu einer Vermehrung der Chancen der Interessenartikulation und zu einer Stärkung der Rolle des Patienten. Es gibt aber, wie oben aufgezeigt, immer noch sehr viele Lücken, die geschlossen werden müssten, um ‚kundengerecht’ auftreten zu können. Wie bereits im Abschnitt 3.3 erwähnt, wäre es wichtig die vier aufgezählten Punkte in ihren Inhalten auszubauen, um begründen zu können, weshalb man einen Patienten nun als Kunden bezeichnen möchte; vorausgesetzt der Wille dazu besteht überhaupt.

4. Verschiedene Kritik an der Umbenennung

Im folgenden Abschnitt werde ich versuchen die verschiedene Kritik an der Umbenennung in ‚Kunde’ zusammenzufassen. Der Prozess der Ökonomisierung im Gesundheitswesen und die damit verbundenen neu auftauchenden Begriffe sind bei weitem nicht unumstritten.

4.1. Aus dem Bereich der Sozialen Arbeit

Marianne Künzel-Schön hat in ihrem Artikel „Vom ‚Klienten’ zum ‚Kunden’?“18 versucht Punkte zusammenzufassen, die gegen eine Umbenennung in ‚Kunde’ sprechen, und bezieht sich dabei auf die Soziale Arbeit. Durchaus lässt sich ihre Kritik auch auf das Gesundheitswesen beziehen, was ich im folgenden Text versuchen werde:

4.1.1. Dienstleistung ist nicht gleich Dienstleistung

Eine Dienstleistung im Gesundheitswesen ist nicht das Gleiche wie eine Dienstleistung, die in einem Hotel oder von einem Paketzusteller erbracht wird. Es geht im Gesundheitswesen um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Dabei rede ich auch durchaus von ganz existenziellen Bedürfnissen, wie zum Beispiel vom ureigenen Wunsch überleben zu wollen. Die Patienten kommen ins Krankenhaus um ‚bewacht’ zu werden, und hoffen mit Hilfe von ärztlicher und pflegerischer Therapie das Haus bald verlassen und wieder am normalen Leben teilnehmen zu können. Sie erhoffen sich durch unsere Hilfe, dass sie wieder in einen normalen, annehmbaren Zustand zurückversetzt werden, der es ihnen ermöglicht in der Gesellschaft existieren zu können.19

4.1.2. Die Mitarbeit des Leistungsnehmers

Was eine Dienstleistung im Gesundheitswesen außerdem von einer anderen Dienstleistung unterscheidet ist, dass eine Voraussetzung für den Erfolg und für das vollständige Erbringen einer Dienstleistung die Mitarbeit des Leistungsnehmers ist. Die Qualität hängt davon ab, und es kann auch vor Erbringung der Dienstleistung nicht gesagt werden, was für eine Qualität diese Leistung besitzt, weil nicht abgeschätzt werden kann, wie der Leistungsnehmer mitarbeiten wird. Das sagt nichts darüber aus, ob die Mitarbeit etwas mit Wollen zu tun hat, denn es kann auch durchaus sein, dass der Leistungsnehmer gar nicht in der Lage ist, an allen notwendigen therapeutischen Maßnahmen teilzunehmen, weil er zum Beispiel physisch dazu gar nicht in der Lage ist.20

4.1.3. Kompetenz der Leistungsnehmer

Ein wichtiger und unbedingt zu benennender Punkt ist die Frage, ob der Leistungsnehmer wirklich die Möglichkeit der freien Wahl unter verschiedenen Anbietern besitzt. Denn das würde voraussetzen, dass die Leistungsnehmer entsprechende Kompetenzen aufweisen, um als Kunde auftreten zu können. Wie in den Begriffsdefinitionen bereits erwähnt, bedeutet Kunde auch soviel wie: gewusst, bekannt. Er kennt sich demnach auf dem Gebiet, wenn auch nicht unbedingt professionell, umfassend aus. Der Kunde weiß auch, was ihm fehlt, was er will und was ihm hilft. Diese Eigenschaften treffen definitiv nicht auf alle Patienten zu. Wir haben es bei weitem nicht immer mit dem typischen Durchschnittsbürger zu tun:

Ein Kind wird zum Beispiel seine Bedürfnisse nicht in dem Stil artikulieren, wie es ein Dreißigjähriger tut, mal ganz davon abgesehen, dass ein Kind von sechs Jahren auch gar nicht das medizinisch-pflegerische Verständnis mitbringt, es ist demnach nicht, oder nur sehr wenig ‚kundig’.

Eine andere Gruppe ist die der älteren Menschen. Wer kann von einem dementen Menschen adäquate Antworten erwarten?

Ein Alzheimer-Patient ist nicht dazu in der Lage, seine Wünsche zu äußern, zwischen verschiedenen Angeboten auszuwählen, mitzubestimmen, oder in vollem Umfang an allen therapeutischen Maßnahmen teilzunehmen. Andere alte Menschen, die geistig völlig unauffällig sind, haben dafür andere Probleme, die sie daran hindern, aktiv an ihrer wieder herzustellenden ‚Gesundheit’ mitzuarbeiten, wie zum Beispiel physische. Bei älteren Menschen ist auch noch häufiger das bereits oben beschriebene Verhalten der Unterwürfigkeit vorhanden. Der Arzt im weißen Kittel scheint für sie unnahbar, eine Diskussion mit ihm könnten sich viele überhaupt nicht vorstellen. Begriffe wie ‚Zusammenarbeit’ und ‚Aushandeln’ oder ‚Auswählen’ würden sie nie in eine Arzt-Patienten-Beziehung einsortieren. Ihr Denken geht häufig von einer Hierarchie aus, die ganz oben beim Chefarzt anfängt, und evtl. gleich nach dem Patienten beim Zivildienstleistenden aufhört.

Weitere Gruppen, die ihre Rechte als ‚Kunden’ nicht in vollem Umfang wahrnehmen können, sind unter anderem: geistig-behinderte und psychisch-kranke Menschen, Suchtkranke, als Notfall eingelieferte Patienten oder ausländische Mitbürger, die mit

Verständigungsschwierigkeiten zu kämpfen haben. Kurz gesagt, werden alle eingeschränkt artikulationsfähigen Minderheiten ausgegrenzt.21

4.1.4. Abhängigkeit und Überforderung des Leistungsnehmers

Für einen Großteil der Patienten, die wir im Krankenhaus behandeln, scheint die Bezeichnung ‚Kunde’ unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Punkte schlichtweg ungeeignet, zumindest wenn man die Beziehung Arzt-Patient und Pflege- Patient ansieht. Die Gefahr die bei einer solchen Umbenennung ebenfalls besteht, ist die, dass die Abhängigkeit des Patienten vom Personal der Einrichtung verschleiert wird.

Der Patient ist in gewisser Weise von uns abhängig, denn er hofft durch unsere Hilfe wieder gesund werden zu können. Es geht hier um Begriffe wie: Hoffnung, Vertrauen, Ängste, Verzweiflung, Trauer und Freude. In seiner ganzen Gefühlswelt sind wir als Pflegekräfte Ansprechpartner und Hilfesteller in seiner Not. Er braucht unsere Hilfe und macht sich abhängig von uns. Ein Kunde im marktwirtschaftlichen Sinne ist nicht abhängig vom Anbieter - zumindest nicht in dem Maße, wie das in einem Krankenhaus der Fall ist, wo der Patient sich aufhalten muss, weil es um ihn und um seine Existenz, um sein weiteres Überleben geht.22

Ein weiterer Punkt ist die Überforderung des Leistungsnehmers. Wenn der Kunde all seine Rechte wahrnimmt, die er nun besitzt, und er nun die Möglichkeit hat:

- frei wählen zu können,
- sich informieren und für sich selbst entscheiden zu können,
- mit den Ärzten und den Pflegekräften zu diskutieren und zu handeln,
- Einfluss zu nehmen auf Diagnostik und Therapie, dann besteht die große Gefahr, dass er dieser Rolle nicht mehr gewachsen ist, und sich aus seiner Kundenrolle in die Patientenrolle zurückzieht.23

4.1.5. Die Geburt des Begriffs ‚Kunde’ im Gesundheitswesen

Ein wichtiger Kritikpunkt an der gesamten Diskussion solcher neu auftauchenden Begriffe ist, dass sie nicht aus einer Art neuem Verständnis der Arzt-Patient- oder Pflegekraft-Patientbeziehung erwachsen sind, demnach nicht fachlich debattiert wurden, sondern dass sie durch wirtschaftliche Veränderungen und durch damit verbundene, neue gesetzliche Regelungen entstanden sind. Sie stellen quasi nur ein Symptom der marktwirtschaftlich orientierten Ökonomisierung im Gesundheitswesen dar. Ein bisschen kommt auf diese Weise der Verdacht auf, es müsste nachträglich noch schnell eine fachlich begründete Rechtfertigung für eine Umbenennung geben, weil sie dem Gesundheitswesen ohne Diskussion vor einiger Zeit einfach aufgedrückt worden ist.

Neben dem Pflegepersonal und der Ärzteschaft sind die Patienten als wohl wichtigste Gruppe zu diesem Thema niemals befragt worden. Ihre Selbstdefinition als Leistungsnehmer im Gesundheitswesen findet nirgendwo seinen Niederschlag, dabei ist aber fest davon auszugehen, dass wohl jeder eine Vorstellung davon hat, was seine Rolle ausmacht. Hinzu kommt, dass vermutlich jeder eine ganz individuelle Vorstellung von seiner Rolle besitzt, und dass keine allgemeingültige, kollektive Vorstellung davon besteht, wie die Beziehung zum Gesundheitswesen begrifflich zu erfassen wäre.24

4.2. Argumente gegen eine Beteiligung der Patienten

Wie bereits weiter oben erwähnt, würde eine Umbenennung von ‚Patient’ in ‚Kunde’ gleichzeitig bedeuten, dass der Leistungsnehmer aktiv an der Definition der Qualität medizinischer Leistungen teilnehmen dürfte. Dass einige etwas gegen diese ‚Einmischung’ haben, sollen folgende Punkte verdeutlichen, die eine Argumentation gegen eine solche Beteiligung darstellen sollen:25

- So wird zum einen behauptet, dass Patienten nicht das wissenschaftliche Wissen hätten, um die Qualität von Gesundheitsleistungen angemessen beurteilen zu können.

- Außerdem könnten Patienten, wie oben bereits erwähnt, durch physische und psychische Erkrankungen daran gehindert sein, objektive Beurteilungen abzugeben.

- Die schnelle Abfolge von Ereignissen im Krankenhaus mache es dem Patienten schwer, einen umfassenden oder gar objektiven Eindruck von den Vorgängen um sie herum zu gewinnen.

- Ärzte und Patienten könnten in der Behandlung durchaus unterschiedliche Ziele verfolgen. So könnten die Wünsche der Patienten diesen nach medizinischen Kriterien schaden.

- Es sei schwierig, wenn nicht unmöglich, zu definieren, was Qualität für den Patienten bedeute. Die Patientendefinition von Versorgungsqualität sei abhängig vom kulturellen Hintergrund, unterscheide sich von Land zu Land und sei weiter abhängig von vielen individuellen Patientencharakteristika wie Alter, Geschlecht, Schulbildung oder dem sozioökonomischen Status. Außerdem verändere sich auch die Einschätzung des einzelnen Patienten, zum Beispiel je nachdem, ob er akut oder nach überstandener Erkrankung auf dem Weg der Besserung sei.

4.3. Kundenorientierte Aufbau- und Ablauforganisation?

Ob die Krankenhäuser darauf vorbereitet sind, kundenorientiert auftreten zu können, soll der folgende Abschnitt erläutern:26

- Planung und Organisation in einem Krankenhaus sind nahezu ausschließlich auf einzelne Arbeitsabläufe (z.B. pflegerische Grundversorgung, Laboratoriumsdiagnostik, Operationen, Medikamentenversorgung, Speisenversorgung, Transport- und Botendienst, Leistungserfassung) oder auf die Arbeitsgestaltung und die Geräteauslastung der einzelnen Leistungsstellen (OP-Abteilung, Laboratorium, Strahlendiagnostik/Strahlentherpaie, Küche, Wäscherei) ausgerichtet, nicht dagegen auf den patienten- bzw. kundenorientierten Versorgungsprozess.

- Es gibt eine verstärkte Arbeitsteilung (Arbeitszerlegung), verbunden mit zunehmender Spezialisierung der einzelnen Mitarbeiter. Diese erschwert die auf die Ganzheit der Person des Patienten ausgerichtete Versorgung, außerdem sieht sich der Patient durch die Arbeitsteilung einer immer stärker wachsenden Anzahl an versorgendem Personal gegenüberstehen. Das kann für Verwirrung sorgen, und kann es ihm erschweren sich zu orientieren.

- Nicht selten ist es so, dass sich der zeitliche Rhythmus der Krankenhausarbeit und die daraus abgeleiteten Betriebszeiten der einzelnen Leistungsbereiche und Leistungsstellen nach den Wünschen des Krankenhauspersonals im Hinblick auf Arbeitszeitregelung und Dienstplangestaltung richten und nicht so sehr nach den Wünschen des Patienten.

Sicherlich gäbe es noch unzählige Punkte, die man nennen könnte, um die Behauptung zu untermauern, die Krankenhäuser sind noch gar nicht darauf vorbereitet kundengerecht arbeiten zu können, doch würde das eindeutig nicht dem Rahmen dieser Arbeit entsprechen.

5. Lösungsansätze

Es bleibt bei der Formulierung meines Lösungsansatzes nicht aus, dass auch meine persönliche Meinung mit hineinspielt. Ich möchte versuchen dazustellen, wie ein

Begriff wie der des ‚Kunden’ seinen Einzug in das Gesundheitswesen finden könnte. Unterteilen würde ich meinen Lösungsansatz in zwei Bereiche: 1) das Verhältnis zwischen Leistungsnehmer, Pflegekraft und Arzt, 2) das LeistungsnehmerVerwaltungs-Verhältnis. Ein Ansatz kann nur in dieser Unterteilung zu finden sein, da jeder Bereich den Leistungsnehmer unterschiedlich betrachtet:

5.1. Das Verhältnis zwischen Leistungsnehmer, Pflegekraft und Arzt

Einen Leistungsnehmer hier als ‚Kunden’ zu bezeichnen, erscheint in diesem Verhältnis unpassend, es sollte vielleicht bei der alten Bezeichnung ‚Patient’ belassen werden, denn Begriffe der Marktwirtschaft passen nicht in ein Vertrauensverhältnis, wie man das Verhältnis zwischen Pflege und Patient, bzw. Arzt und Patient durchaus beschreiben könnte. Es handelt sich hier eindeutig nicht um eine Verkäufer-Kunden- Beziehung im herkömmlichen Sinne, allein schon aus dem Grunde, weil Leistungsnehmer in Krankenhäusern in den seltensten Fällen von der Definition her als Kunde, sondern eher als Konsument auftreten, denn für gewöhnlich wird für die Versorgung nicht an der krankenhauseigenen Kasse bezahlt - unsere Gäste konsumieren die Leistungen nur, und das Geld für die erbrachte Leistungen kommt in der Regel von der Krankenkasse. Die Leistungsnehmer mit denen wir es zu tun haben, kommen nicht in unser Haus, suchen sich etwas aus, indem sie zwischen unzählig verschieden Angeboten auswählen können, gehen an die Kasse, bezahlen und verlassen unser Haus wieder. Unser Verhältnis ist durchaus komplizierter und weitreichender. Wir als Pflegekräfte lernen den Leistungsnehmer als ganzen Menschen mit all seinen Sorgen und Nöten kennen. Wir sind auch für diese Sorgen und Nöte sein erster Ansprechpartner.

Hinzu kommt, dass unser Leistungsnehmer viele Dinge ganz einfach ‚erdulden’ muss. Er muss gewisse Dinge über sich ‚ergehen’ lassen, wenn er wieder gesund werden will. Er kann im Bereich der medizinischen Versorgung sicherlich mitbestimmen, er kann sagen, was ihm gefällt und nicht gefällt, das ändert aber nichts daran, dass er eventuell gewisse Dinge ertragen muss, weil er vom Fach einfach nicht soviel versteht, wie wir es tun. Außerdem kann er in der medizinischen Versorgung nicht zwischen unendlich verschiedenen Alternativen auswählen, wie er das in einem Kaufhaus tun könnte. Ich halte im Bereich der Krankenpflege eine ‚patientenorientierte Pflege’ für sinnvoll. Der Patient müsste aus seiner bisherigen

Rolle befreit werden, indem die Krankenpflege anfängt den Patienten vermehrt an seinem eigenen Gesundheitsprozess zu beteiligen. Das kann sie ganz einfach erreichen, indem sie ihm seine persönliche Pflegeplanung erklärt, in teilhaben lässt am Ganzen und ihn nicht unwissend lässt. Gleiches gilt selbstverständlich für das Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Erst wenn ein Mensch versteht, warum dies oder jenes so ist, wird er gewisse Prozeduren über sich ergehen lassen, und wird anfangen aktiv mitzuarbeiten. Während seines Aufenthaltes halte ich eine permanente Messung seiner Zufriedenheit für empfehlenswert.

Der Patient soll sich wohl fühlen, und das Gefühl haben, gut aufgehoben zu sein. Ob er so fühlt, können wir nur wissen, wenn wir ihn fragen. Zusammengefasst halte ich eine ‚patientenorientierte Versorgung’ für sinnvoll. Partizipation am Geschehen und Messungen zur Zufriedenheit sind wichtig, aber eine Umbenennung von ‚Patient’ in ‚Kunde’ halte ich für falsch.

5.2. Das Leistungsnehmer-Verwaltungs-Verhältnis

In diesem Bereich sieht es etwas anders aus. Ein wesentlicher Punkt der Verwaltungsangestellte von Pflegekräften und Ärzten unterscheidet, ist, dass sie in den seltensten Fällen in direkten Kontakt mit den Leistungsnehmern treten, abgesehen vom Tag der Aufnahme, wo der Leistungsnehmer seine persönlichen Daten angeben muss, bevor er auf die Station gehen kann. Doch während des Aufenthaltes besteht so gut wie kein Kontakt. Es wird keinerlei Beziehung aufgebaut. Das Einzige, was die Verwaltung mit dem Gast zu tun hat, hat mit Zahlen und Fakten zu tun.

Dass dieser Bereich den Begriff ‚Kunde’ verwendet, kann ich schon eher verstehen. Im Verwaltungsbereich hat man mehr mit marktwirtschaftlichen Begriffen zu tun, man hantiert mit Tabellenkalkulationen, Statistiken, redet von Einkauf, Absatz und Gewinn. Da liegt es nahe den Leistungsnehmer als ‚Kunden’ zu betrachten. Doch wenn man es genau nehmen würde, dann ist auch hier nicht der Leistungsnehmer der Kunde, sondern die Krankenkasse.

6. Kritische Würdigung

Ich denke, dass das Thema ‚Vom Patienten zum Klienten und Kunden’ ein sehr spannendes Thema ist. Spannend ist es aus dem Grund, weil es ein Thema ist, das immer noch sehr kontrovers diskutiert wird. In welche Richtung es bei dieser Diskussion gehen wird, bleibt unklar, genauso unklar wie die Richtung, die das Gesundheitswesen an sich zukünftig einschlagen wird, und ich denke, dass beide Punkte unmittelbar miteinander gekoppelt sind.

Dass es nicht ganz so einfach ist, einen Begriff gegen einen anderen auszutauschen, dürfte im Laufe meiner Arbeit klar zum Ausdruck gekommen sein. Vor allen Dingen hat diese Arbeit gezeigt, dass sehr klar getrennt werden muss zwischen den verschiedenen Bedeutungen der Begriffe - so hat sich zum Beispiel in dieser Arbeit herausgestellt, dass ein Patient zumindest definitionsgemäß gar nicht als Kunde bezeichnet werden kann, sondern höchstens als Konsument. Es war mir ebenfalls wichtig hervorzuheben, mit welchen neuen Rechten und Pflichten sich ein Patient in seiner neuen Rolle als ‚Kunde’ anfreunden müsste, um der Definition gerecht zu werden.

Die Erwartungen, die zu früheren Zeiten an den Patienten gestellt wurden, haben sich radikal verändert, und ein neues Rollenverhalten bringt neben positiven Effekten auch massive Probleme mit sich, die ich im Einzelnen versucht habe zu erläutern. Aber auch die Krankenhäuser müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie überhaupt schon in der Lage sind, kundenorientiert auftreten zu können. Diesen Punkt habe ich ebenfalls in Bezug auf Aufbau- und Ablauforganisation bearbeitet.

Schließlich wollte ich versuchen einen Lösungsansatz zu bieten, der einen Weg zeigen sollte, wie der Begriff ‚Kunde’ Einzug in das Gesundheitswesen halten könnte, und somit bildet der Lösungsansatz auch gleichzeitig einen Teil meiner kritischen Auseinandersetzung.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass ich bei der ganzen Diskussion das Gefühl habe, dass zwanghaft versucht wird, neue Begriffe wie den des ‚Kunden’ in den Krankenhausalltag zu bringen. Ich habe die Befürchtung, dass dies größtenteils unreflektiert geschieht, und noch viel schlimmer finde ich die Tatsache, dass solche Diskussionen häufig an den Betroffenen, wie Patienten, Pflegekräften und Ärzten vorbeigehen, und neue Ideen aus dem Managementbereich einfach auferlegt werden. Diese Arbeit dürfte gezeigt haben, wie fehlerhaft solche Umbenennungen sein können, und wie wenig Inhalt manchmal dahinter steckt. Meiner Meinung nach sind wir gut beraten, wenn wir Änderungen wie diese immer mit einem kritischen Auge betrachten, und uns äußern, wenn wir anderer Meinung sind.

Literaturverzeichnis

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1 die Unternehmensidentität, im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations, PR) eines Unternehmens angestrebtes einheitliches Firmenbild, in dem sich das Selbstverständnis hinsichtlich Leistungsangebot und Arbeitsweise widerspiegelt (© 1999 Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG)

2 Zit. Koschnik, W. J., 1995, S.135

3 Vgl. Künzel-Schön, M,aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.7

4 Vgl. Rabeneck, J., 2002, Internetseite

5 Vgl. von Reibnitz, C., 2001, S.266

6 Vgl. Meyers Großes Taschenlexikon, 1999, PC-Bibliothek Suchbegriff ‚Patient’

7 Zit. Frömming-Ohmke, R., 2000, S.93

8 Vgl. Künzel-Schön, M.,aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.6

9 Vgl. Künzel-Schön, M.,aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.6

10 Vgl. Rabeneck, J., 2002, Internetseite

11 Vgl. Künzel-Schön, M.,aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.6, 7

12 paternalistisch: das Bestreben andere zu bevormunden, autoritativ: auf Autorität, Ansehen beruhend (© 1999 Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG)

13 Vgl. Rosenbrock, R., aus: Der mündige Patient, 2001, S.25

14 Vgl. Rosenbrock, R., aus: Der mündige Patient, 2001, S.26-28

15 vorbeugende Maßnahmen in der Gesundheitspflege, Ausschaltung schädlicher Faktoren (© 1999 Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG)

16 Vgl. Rosenbrock, R., aus: Der mündige Patient, 2001, S.28

17 Vgl. Künzel-Schön, M., aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.6

18 Vgl. Künzel-Schön, M., aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.6-13

19 Vgl. Künzel-Schön, M., aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.7

20 Vgl. Künzel-Schön, M., aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.7

21 Vgl. Künzel-Schön, M., aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.10, 11

22 Vgl. Künzel-Schön, M., aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.12

23 Vgl. Künzel-Schön, M., aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.12

24 Vgl. Künzel-Schön, M., aus: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 11/96, S.13

25 Vgl. Straub C., aus: System Krankenhaus, 1993, S.379

26 Eichhorn, S., aus: System Krankenhaus, 1993, S.246

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Vom Patienten zum Klienten und Kunden - Gesellschaftliche Ansichten des Gesundheitswesens
Hochschule
Hochschule Bremen
Jahr
2002
Seiten
25
Katalognummer
V106998
ISBN (eBook)
9783640052738
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Patienten, Klienten, Kunden, Gesellschaftliche, Ansichten, Gesundheitswesens
Arbeit zitieren
Anonym, 2002, Vom Patienten zum Klienten und Kunden - Gesellschaftliche Ansichten des Gesundheitswesens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106998

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