Der Entwicklungsroman


Referat / Aufsatz (Schule), 2002

13 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Entwicklungsroman

A. Entwicklungs- Bildungsroman allgemein:

- Beschreibt mehrere Stadien der Entwicklung einer Hauptperson über einen gewissen Zeitraum
- Auseinandersetzung der Hauptperson mit geistigen Einflüssen seiner Umwelt
- Endstadium meist Bildungsideal des Dichters (Epoche) → nimmt Platz in Gesellschaft ein

B. Buchbeispiele aus unterschiedlichen Epochen

1. Parzival, Wolfram von Eschenbach (~1200)
2. Simplicissimus, Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen (1669)
3. Wilhelm Meisters Lehrjahre, Johann Wolfgang Goethe (1796)
4. Heinrich von Ofterdingen, Novalis (1800)
5. Der grüne Heinrich, Gottfried Keller (1855)
6. Die Blechtrommel, Günter Grass (1947)
7. Die Entdeckung der Langsamkeit, Sten Nadolny (1983)
8. Schöne Tage, Franz Innerhofer (1974)

1. Parzival:

Inhalt:

- Parzival ist Sohn eines auf den Kreuzzügen verstorbenen Ritters
- wächst bei Mutter im Wald vollkommen abgeschlossen zur restlichen Gesellschaft auf; wird in den wichtigsten Dingen (nur elementar Menschliches) unterrichtet; sie lehrt ihm den Gottesglauben (nur religiös, nicht kirchlich!)
- Schon herangewachsen, Treffen mit Ritter im Wald (kindliche Neugier)
- Ausritt zum Hof des Artus → muss sich mit menschlicher Gesellschaft auseinandersetzten → Reibungen aufgrund von Unerfahrenheit; immer wieder fehlt er aus Unreife
- Erst Lehren des Gurnemanz (alter Ritter) machen stetem Versagen ein Ende: lehrt P. Sitten und Gebräuche des gesellschaftlichen Lebens im Mittelalter und wie sich ein Ritter verhalten muss (er solle nicht so viel fragen); doch nur äußerer Schliff → inneren Ausgleich mit Lehren muss P. selbst erreichen → schwerer Kampf mit sich selbst
- Erster Anfang des inneren Reifeprozesses nach Liebeserlebnis
- Kommt auf Gralsburg → sieht Gralskönig und fehlt wegen einer Frage → noch nicht reif genug; später erneut zur Burg, fehlt wieder wegen einer Frage ➔ Gral wird zum Lebensziel für ihn
- 5-jährige Suche nach der Gralsburg; bringt in dieser Zeit alle weltlichen Angelegenheiten ins Reine (löscht Spuren seiner früheren Torheiten, wird mit höchster Ehre als Ritter in den Kreis der Tafelrunde empfangen) ➔ Bis hierher Einfinden in Gesellschaft!
- Doch durch Gesetze der Gesellschaft fühlt er sich gebunden, er steht noch nicht über ihnen → Frage nach Sinn der Welt!
- Erkennt, dass Regeln die er bisher gelernt nicht vollständig sind; er muss selbst einen Weg finden! → Religiöser Seelenkampf (stellt jedoch niemals Gottes Existenz in Frage!)
- Droht Zuversicht und Sicherheit zu verlieren! Doch erst jetzt erlangt er den Willen sein Ziel zu erreichen
- Kampf gegen Gott, weil keine Zeit wegen Gralssuche
- Durch Treffen mit Einsiedler erlangt P. seine letzte Erkenntnis → Gott nichts abzwingen, Gral kann nicht erzwungen werden ➔ gibt Widerstand gegen Gott auf, vertraut wieder auf ihn

- Wird Gralskönig! Gleichzeitig Vater→ volle Manneswürde erreicht Interpretation:

Parzival ist Werdender und Erwählter zugleich (man kann Krone auf seinem Haupt ahnen); er will den Gral mit aller Kraft doch erlangt er ihn nur weil er erwählt ist; seiner Gemahlin treu; über äußerlich Erlerntes und Verhaltensregeln zu oberster Erkenntnisstufe gelangt: ist eins mit der Welt, seelisches Gleichgewicht

Allgemeines:

Versroman, 25000 Verse; sehr beliebt, bis zu 75 Handschriften davon

2. Simplicissimus:

Inhalt:

- Simplicissimus lebt von Welt isoliert und ungebildet im Spessart (mitten im 30-jährigen Krieg)
- Soldaten plündern Bauernhof → S. flieht in den Wald

- Trifft auf Einsiedler, nimmt ihn auf und unterrichtet ihn in christlicher Religion → drei Dinge solle S. immer beachten:

- sich selbst erkennen
- böse Gesellschaft meiden · beständig bleiben

- Doch S. hört anfangs nicht auf diese Worte; nach Tod des „Lehrers“ zieht S. in die Welt
- Zuerst nach Hanau (protestantische Lager), wird ausgelacht → passt sich an (übernimmt weltliche Klugheiten); benutzt Narrenkleid als bewusste Tarnung; Anprangerung der Sittenlosigkeit der anderen
- Wechselfälle des Krieges verschlagen ihn an viele Orte, schließlich wird er kaiserlicher Dragoner (gefürchtete Jäger v. Soest!);
- Gefangennahme von schwedischen Truppen
- Wird zur Ehe gezwungen
- Will in Köln sein deponiertes Geld abholen will → betrogen worden
- Schließt sich zwei Kavalieren an
- Zieht mit ihnen nach Paris wo sich schöne Damen um ihn reißen
- Auf dem Heimweg → krank
- Schlägt sich als Quacksalber durch
- Tut sich in Baden mit altem Kumpan zu Raubzügen zusammen
- Zieht sich schließlich in Schwarzwald zurück (Kur) → will Kriegshandwerk vergessen; doch bald folgt er Angebot nach Russland
- Enttäuscht und betrogen kehrt er zurück ➔ entsagt der Welt und wird Einsiedler (wie sein Vater). ENDE DES 5.BUCHES!
- Fromme Absicht hält nicht lange → wechselt Kleid des „Waldbruders“ mit „Wallbruders“
- Kommt auf seiner Reise in ägyptische Gefangenschaft
- Europäische Kaufleute wollen ihn nach Hause bringen; Schiff geht unter, rettet sich auf eine Insel ➔ will sein Leben in Ruhe beenden

- Übergibt holländischem Kapitän seinen Lebensbericht Interpretation:

Simplicissimus stammt aus einfachsten Verhältnissen; wird in christlicher Religion belehrt, was er zunächst nicht achtet; lernt sich Welt anzupassen; kommt nach zahlreichen Erfahrungen zur Erkenntnis, dass weltliche Angelegenheiten falsch sind;

Allgemeines:

Roman wurde 1669 verfasst (30-jähriger Krieg); 5 Bücher, Ich-Erzähler (richtet sich anfangs direkt an den Leser), Präteritum, Bildungsroman des Barock, Rezeption: S. äußerte sich über Gesellschaftsordnung dieser wirren Zeit, sprach das aus, was sich alle wünschten → Grimmelshausen wurde dafür nicht bestraft, weil er dies einen Verrückten sagen ließ. Wurde viel gelesen → Grimmelshausen 6. Buch schrieb.

3. Wilhelm Meisters Lehrjahre:

Inhalt:

- Wilhelm ist Sohn eines reichen Kaufmanns
- bereits als Kind Kontakt mit Theater (Puppenspiels) → bannt ihn stark
- lernt Rollen auswendig, beginnt Theater nachzuspielen
- lässt ihn von da an nicht mehr los
- Jahre Später verliebt in Schauspielerin Mariane (schon versprochen!)
- Wilhelm verlässt sie
- Geschäftsreise (Ablenkung) für Vater und um in Geschäft hineinzufinden (soll es später übernehmen)
- Kauft in Gasthaus einer Seiltänzergruppe ein Mädchen (Mignon) ab, weil sie dort misshandelt wurde→ und schließt sich, trotz dringender Geschäfte, Schauspielertruppe an (unterstützt sie auch finanziell)
- Bekanntschaft mit blindem Harfenspieler
- Erster Auftritt auf Schloss eines Grafen (will sein selbstgeschriebenes Stück uraufgeführt sehen)
- Werden Opfer eines Raubüberfalls → Wilhelm schwer verletzt
- Wird von einer ihm unbekannten, anmutigen Frau versorgt → will sie wieder finden
- Nach Genesung andere Theatertruppe unter Direktor Serlo (bereits Mariane bei ihm gespielt) → Hamlet-Inszenierung nach Wilhelms Vorschlägen aufgeführt
- Wilhelm wieder auf Reisen, um Lothario aufzusuchen (ehemaliger Geliebter der Schwester von Serlo)
- Erfährt, dass er schon länger von Lothario beobachtet wird und sein Schicksal von ihm durch scheinbare Zufälle gelenkt worden ist (Freimaurer)
- Erfährt, dass er einen Sohn namens Felix hat, nach dessen Geburt Mariane gestorben ist → nimmt diesen bei sich auf
- Auf Lotharios Schloss erhält Wilhelm seinen „Gesellenbrief des Lebens“ (durch viele gesammelte Erfahrungen errungen)
- Nach Mignons plötzlichem Tode, stellt sich heraus, dass der Harfenspieler ihr Vater ist (Inzests!) → dieser nimmt sich deshalb das Leben
- Wilhelm findet in Lotharios Schwester die schöne Retterin nach dem Raubüberfall → heiratet sie →Reise nach Italien

Interpretation:

Wilhelm will nur materiell ausgerichtetem Leben entfliehen, hält ihm Kunst (Theater entgegen); er wehrt sich gegen System in dem nur Besitz zählt (auch gegen „Fachidioten“); will an Seele gebildet werden, Theater bildet Seele und erreicht Öffentlichkeit (sonst nur Adel gebildet und öffentlich); von Adel und Theater enttäuscht → Freimaurer (liberale Gedankengemeinschaft mit Ansehen und Macht, ähnlich Studentenverbindungen);

Erkenntnis:

- er ist nur einer unter vielen und damit nichts besonderes
- bis zu gewissem Maß Bildung vorteilhaft, dann jedoch Gesellschaft dienen
- umfassende Allgemeinbildung erreicht Gesellschaft
- Einzelne sagt Bildungsanspruch ab
- nicht mehr um streben, sondern um tätig zu sein
- durch Entsagung und Selbstbeschränkung kommt er zum Ziel

- Leben oft Irren, man komm aber trotzdem ans Ziel

Allgemeines:

Auktoriales Erzählverhalten; Ursprünglich 8 Bücher: „Wilhelm Meisters theatralische Sendung“ → traditionell klassisch; 10 Jahre von Wilhelms Leben;

Bildungsroman der Klassik:

- beschreibt Erwachsenwerden im Umgang mit Gesellschaft
- Wilhelm immer bestrebt, sich zu bilden
- Humanität! (Schlagwörter wie Individualität, Selbstbestimmung und Toleranz)
- antike Beschreibung wird kurz verwendet (Saal, Achtes Buch)
- lyrische Verse und Lieder werden gebraucht (Lieder des Harfenspielers und Mignons)

4. Heinrich von Ofterdingen

Inhalt:

- 1. Teil: Traum von blauer Blume

- Mit Mutter nach Augsburg zu Großvater, schließen sich Kaufleuten an; Heinrich froh, sieht Traum von Ferne sich erfüllen; doch Abschied von Heimat schwer
- H. unterhält sich mit Kaufleuten über Wissenschaft und Kunst → völlig andere Lebenseinstellung als Kaufleute
- Zeigt Interesse an Dichtkunst → Kaufleute erzählen ihm zwei Geschichten über Magie der Poesie
- Reise mehrere Etappen: durch Begegnungen, Erzählungen und Gespräche → Sinn seines Lebens
- Kommen an Schloss vorbei: Ritter singen Kreuzzugslieder → Hass gegenüber Nichtchristen→ H. von Atmosphäre und vom Leben des Ritters begeistert
- Trifft Jüdin (wegen Krieg aus Heimat vertrieben), macht Christen für ihr Schicksal verantwortlich
- H. Mitleid → Kriegsbegeisterung erloschen (gleichzeitig Freude und Leid)
- Am Tag darauf Rast in Wirtshaus, alter Bergarbeiter erzählt Lebensgeschichte (blickt gerne auf seine Vergangenheit zurück) → Bergarbeiter besonderer Beruf, weil in Einsamkeit viel an Familie denken und von „Tumult des Tages“ abgeschirmt, muss geduldig sein und befasst sich nicht mit unnützen Gedanken, muss immer aufmerksam sein ➔ Leute neugierig → mit ihnen in Höhle
- In Höhle Graf (lebt dort in Einsamkeit)
- H. sieht seltsames Buch, sieht sich selbst → zeigt seine Entwicklung bis in Zukunft, aber unvollendet
- Ankunft in Augsburg → Fest (H. zum ersten Mal ein richtiges Fest); Großvater erfreut
- Lernt Dichter Klingsohr kennen, durch ihn begegnet ihm die Poesie
- In Klingsohrs Märchen hat alles eine bestimmte Idee und Bedeutung
- H. wird mit Liebe vertraut gemacht (Mathilde, Tochter Klingsohrs) → legt Schüchternheit ab
- Klingsohr nimmt H. unter seine Fittiche, zeigt H. Bücher und führt Gespräche über Poesie mit ihm
- H. und Mathilde schwören sich ewige Liebe

- 2. Teil: H. sucht verstorbene Geliebte (von Einsamkeit, Kummer und Schmerz getrieben)

- Geliebte erscheint ihm ➔ Handlung verliert Bezug zu Irdischem und erweitert sich in Unendlichkeit
- Zustand der Entzückung → alle Bekümmernisse scheinen verflogen
- Mädchen nimmt ihn mit nach Hause und zu einem Arzt

- Ende: Gespräch zwischen Heinrich und Arzt über Natur, H.´s Vater und Heinrichs gute Erziehung

Interpretation:

- Einzelnes Individuum nicht mehr wichtig sondern nur Zusammenspiel aller Charaktere und deren Wesenszüge, auch Zusammenspiel mit Natur ➔ Ziel;
- Traum am Anfang: blaue Blume = Vorausdeutung des Ziels von Heinrichs Entwicklung, Heinrich sieht Träume als Erholung von Realität und ernsthaften Leben
- Erstmaliges Erleben eines Festes = Sinnbild für Höhepunkt seiner Entwicklung
- 1. auf 2. Teil Verwandlung von Realität in Märchen der Phantasie (eigentlich schon Klingsohr mit Märchen angedeutet)

Allgemeines:

Novalis (Pseudonym: „Friedrich von Hardenberg“) wollte Gegenstück zu Goethes „Wilhelm Meister“ schaffen: anfangs von diesem Werk begeistert (Vorbild), dann jedoch überzeugt, dass Besseres möglich sei, will ihn übertreffen

Bildungsroman der Romantik:

- Arbeiten an diesem Werk beginnen 1799 enden aber schon 1800 wegen Krankheit; werden nie beendet, weil Tot Novalis’ 1801 → Fragment!
- Auch im Werk selbst fragmentarische Träume und Erzählungen → Interpretation, Ausgang dem Leser überlassen ➔ Beflügelung von Ideenreichtum und Phantasie
- Handlung im Mittelalter (Heinrich Minnesänger)
- Naturverbundenheit → Sinnbild für geheimnisvolle Empfindungen der Charaktere
- Heinrich lebt gegen Ende des Buches vollkommen in seiner eigenen dichterischen Welt
- Universalpoesie: soll gesamtes Leben erreichen

5. Der grüne Heinrich

Inhalt:

- 1. Teil: Jugendgeschichte

- Ich-Erzähler schildert: Kind eines früh verstorbenen Handwerkermeisters, einfache Verhältnisse, von Mutter aufgezogen
- Wegen Schülerstreich („An-der-Spitze-Marschieren“ bei Aufstand) von Schule verwiesen → Landschaftsmaler
- Wichtig sind für ihn Aufenthalte bei Verwandten auf dem Lande → Jugendliebe mit zarten Kusine Anna, gleichzeitig reife und lebensvolle Judith → Sinnlichkeit
- Annas früher Tod → gelobt ihr lebenslange Treue und entsagt Judith

- 2. Teil:

- In München hofft er Malerausbildung zu vollenden und Existenz als Künstler aufzubauen, lebt auf Kosten der Mutter
- H.´s vergebliche Bemühungen Talent aus seinem träumerischen, phantastischen Stil als Maler herauszuentwickeln, sich an der Wirklichkeit und am Lebendigen zu orientierten
- Kann sich nicht materiell auf eigene Füße stellen
- Beendet Künstlerleben und nimmt Gelegenheitsarbeiten an
- Ihn umkreisen philosophische und religiöse Gedanken und Fragen des menschlichen Zusammenlebens und der politisch- gesellschaftlichen Ordnung
- anatomische Studien und Beschäftigung mit Literatur
- Ihm gelingt nicht, finanziell unabhängig zu sein → verlässt München (verarmt und heruntergekommen) → kehrt zu seiner Mutter zurück (schon lange nicht mehr in der Lage für Schulden des Sohnes aufzukommen)
- Aus Scham über sein Versagen, auch brieflichen Kontakt verloren
- Unterbricht Heimreise, als er Schloss eines bekannten Grafen erreicht → rettet ihn aus seiner materiellen Not und stellt H.’s künstlerisches Selbstbewusstsein wieder her
- Verliebt sich in Pflegetochter des Grafen → wagt nicht Liebe zu zeigen
- Heimkehr → Tod der Mutter aus Armut und Sorge um verloren geglaubten Sohn
- H. bleibt trostlosen inneren Leere überlassen → stirbt bald Interpretation:
- Doppelliebe in der Jugend = Phantasie und Wirklichkeit → Anna steht für die Phantasie, Judith für die Wirklichkeit
- Als Anna stirbt reißt er sich von der Wirklichkeit (Judith) los und zieht sich in eine Phantasiewelt (schwört Anna die Treue) zurück
- Zweiter Teil handlungsärmer, dafür mehr weltanschauliche Reflexionen
- „Grüner“ Heinrich, weil er ständig ein grünes Wams trägt

Allgemeines:

Stark autobiografischer Entwicklungsroman,

Wurde 1880 neu überarbeitet; Schluss gemildert:

- Findet selbstgenügsame und dem öffentlichen Wohl gewidmete Existenz als Oberamtmann

- Begegnet der aus Amerika heimgekehrten Judith wieder → bleibt 20 Jahre (bis zu ihrem Tod) seine Lebensgefährtin, ohne äußere Bindung

Überarbeitung in Richtung Realismus; 1.Teil immer Ich-Form; aber 1.Fassung → 2.Teil in Er-Form, die 2.Fassung → Ich-Form ➔ authentischer Charakter,

„Negativer“ Entwicklungsroman, weil nicht Verwirklichung eines Persönlichkeitsideals, sondern Lebensgang eines am Ende gescheiterten und gebrochenen Helden.

6. Die Blechtrommel

Inhalt:

- Oskar Matzerath, Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, erzählt sein Leben von Geburt an
- Beginnt mit kurzer Beschreibung seiner Zelle und seiner Pfleger
- Beginnt mit Beschreibung seiner Großmutter Anna Bronski, die Joseph Koljaiczek vor der Polizei, die ihn verfolgt, versteckt, ihn später heiratet und dann seine Mutter Agnes zur Welt bringt
- Joseph verschwindet wieder und ertrinkt wahrscheinlich
- Agnes verliebt sich in Cousin Jan Bronski, heiratet aber anderen, Alfred Matzerath
- Schwer enttäuschte Jan heiratet auch eine andere → sie kommen aber beide nicht mehr voneinander los ➔ Oskar bezweifelt, dass Alfred sein wirklicher Vater ist
- Oskar versteht schon nach Geburt alles, was um ihn herum geschieht
- An seinem 3.Geburtstag bekommt er Blechtrommel geschenkt → trennt sich nie mehr von ihr
- Beschließt nicht mehr zu wachsen → Erklärung für andere: stürzt er sich die Kellertreppe hinab
- Lernt Trommeln und Glas zersingen
- Einschulungsversuch schlägt fehl → lernt trotzdem viel
- O. trifft Bebra (ebenfalls entschlossen, nicht mehr zu wachsen) → Bebra sagt, dass Leute wie O. oder er niemals vor sondern auf Tribünen stehen sollten
- O. wohnt Nazi-Veranstaltung bei → erinnert sich an Bebras Ermahnung → nimmt auf Tribüne Platz und bringt Veranstaltung durch Trommeln durcheinander → verwandelt sie in Tanzfest
- Spielwarenhändler (Trommelgeschäft) wird getötet, weil Jude; auch Laden verwüstet → keine neuen Trommeln mehr
- O. lockt Jan in dieses Gebäude (hofft, dass Hausmeister ihm Trommel repariert); Kämpfe → Jan wird von der Heimwehr erschossen
- O. versteckt sich und kann sich retten → fühlt sich schuldig für Jans Tod und den seiner Mutter
- O.´s erste Liebe, Maria, liebt jedoch bald einen anderen
- Maria bekommt Sohn, Kurt → unklar wer Vater
- Bebra taucht wieder auf (mit ihm Roswitha, auch sehr klein)
- Veranstalten Fronttheater
- O. verliebt sich in Roswitha →sie stirbt
- Stadt erobert; Freund stirbt → bei Beerdigung entschließt sich O. für alles Verantwortung zu übernehmen → wirft Blechtrommel in Grab
- Übersiedelt nach Düsseldorf → O. wächst einige Zentimeter
- O. wird Steinmetz, dann Aktmodell, dann Jazzmusiker
- Maria lehnt seinen Heiratsantrag ab
- Trifft wieder auf Bebra, der ihm alle seine schlechten Taten vor Augen führt
- Nach Tod Bebras, findet O. Ringfinger → konserviert und betet ihn auf groteske Weise an
- Wird des Mordes angeklagt, weil er Besitzerin des Fingers einmal liebte
- O. wird in psychiatrische Klinik eingewiesen
- Mit 30 droht Oskar die Entlassung → erkennt viele Möglichkeiten sein weiteres Leben zu führen

Interpretation:

Zeit des Zweiten Weltkrieges wird aus Sicht eines Normalbürgers beschrieben; keine politischen Zusammenhänge → dadurch wird Leid dieser Zeit besonders eindringlich vermittelt; Oskar beschließt genau am Kriegsende wieder zu wachsen und Verantwortung zu übernehmen

Allgemeines:

Rahmenerzählung, Beobachter in Ich-Form; wechselt Perspektive des Beobachters; musikalische Fluss der Sprache erinnert an Trommeln.

8.Die Entdeckung der Langsamkeit

Inhalt:

- John Franklin träumt schon als Kind davon, zur See zu fahren, obwohl dafür scheinbar ungeeignet (langsam im Sprechen und Denken, in Reaktionen, misst Zeit nach eigenen Maßstäben)
- Schon als Junge in Heimatort Dummerchen, vom Vater und Spielkameraden missverstanden
- J.’s einziges Ziel als 10-jähriger → schneller als jeder andere zu sein
- Reißt von zu Hause aus, um auf Schiff anzuheuern
- Wird gefasst → erkrankt, und gesundet erst, als ihm Seemann Flinders verspricht, nach Schulabschluss auf Schiff mitzunehmen
- Auch in Schule wird John erst nicht respektiert (Mitschüler können seine Langsamkeit schwer akzeptieren)
- Besondere Fähigkeit, wenn etwas richtig verstanden → vergisst es nicht mehr (immer auf Wissen zurückgreifen)
- Entdeckt Liebe zum Geschriebenen → eignet sich einiges Wissen der Navigation an
- Schulmeister ermöglicht J. Seefahrt als Passagier nach Lissabon
- Wieder zurück hat J’s Vater seine Meinung geändert → J. mit 14 zur Kriegsmarine
- Erlebt Schlacht von Kopenhagen, erlebt Krieg und Sterben
- Tief erschüttert will er, zurück in England, fast Seemannskarriere aufgeben → bekommt die Möglichkeit mit Flinders auf Forschungsexpedition nach Australien zu reisen
- J. erlernt praktische Navigation; Verlauf der Australischen Südküste wird kartographisiert
- Treffen auf Eingeborene → John studiert diese eingehend und stellt fest, dass Häuptling der langsamste und ruhigste → damit würdigste ist
- Zurück in England → wieder in Kriegsmarine und nimmt an großen Seeschlacht von Trafalgar teil
- J. wird am Kopf und an Beinen verletzt (Kopfschuss) → trotz hohen Blutsverlust überlebt er
- Wieder nach England zurück → Ziel Kapitän zu werden und an Nordpol zu reisen, weil dort noch niemand war
- Er träumt von friedlicher Entdeckung, will legendäre Nordwestpassage finden
- Drei Expeditionen führen J. in Arktis → heiratet nach ersten, wird Vater, aber bald darauf stirbt seine junge Frau
- Bei zweiten Expedition (inzwischen alleiniger Befehlshaber)→ Die Expedition endet in Katastrophe ➔ viele seiner Männer verhungert, letzten Überlebenden werden noch rechtzeitig gerettet
- J. sehr enttäuscht von seinem Misserfolg → gibt sich selbst Schuld dafür
- Spott und Tadel in London
- Er veröffentlicht Buch über seine Expedition und gelangt zu Ruhm und Ansehen
- Heiratet zweites mal
- Vom König zum Ritter geschlagen
- Nach 10 Jahren sehnt er sich nach Veränderung und nimmt Posten des Gouverneurs der Strafkolonie Tasmanien an
- Sir John Franklin versucht sozialen und politischen Missstände auf Insel zu beseitigen → gelingt ihm zunächst, verliert aber durch Intrigen Posten
- Bricht als alter Mann zum letzten Mal zum Polarkreis auf → doch keiner seiner Mannschaft kehrt je zurück
- J. stirbt an zwei aufeinander folgenden Schlaganfällen (Spätfolgen des Kopfschusses), die Mannschaft stirbt nach vergeblichem Kampf im Packeis

Interpretation:

- John als Repräsentant einer Idee (stark idealisiert)
- Edle Charakter Johns ist Summe vieler Überlegungen und seiner langsamen Veranlagung
- Positivbewertung des Autors: Held erscheint interessiert, liebevoll, intelligent, kritisch und sensibel
- Nebenpersonen stellen sich aufgrund ihres Zwanges zur Geschwindigkeit als Unterlegene heraus.
- Schnelligkeit als Grundlage für Egoismus, Aggressivität, Rücksichtslosigkeit, Gewinnsucht und Brutalität Allgemeines:
- Durchgehend im Präteritum geschrieben;
- Erzählweise: Wechsel auktorial und personal;
- Erzählperspektive: Wechsel Innen- und Außensicht;
- Durch Innensicht → Leser Nähe und Sympathie zur Figur John Franklin;
- Johns verlangsamte Wahrnehmung wird nachvollziehbar → Prinzip Langsamkeit erscheint vernünftig;
- Leser sieht Welt aus Sicht des Protagonisten, also aus einer ihm bisher nicht bekannten Sichtweise;
- Erzählhaltung: ironisch (wohlwollende Ironie, kritische Kommentare zum zwanghaft-schnellen Verhalten seiner Zeitgenossen) → Funktion: Das Unaufrichtige, Falsche, Bedrohliche soll hinter bestimmten Haltungen, Situationen und Geschehnisabläufen entlarvt werden;
- Erzählstil: nüchtern, knapp, präzise, detailliert; keine Metaphern, schneller Wechsel von Stil- und Tempovariationen;
- Stil: den psychischen und physischen Verfassungen des Protagonisten angepasst.

8. Schöne Tage

Inhalt:

- Holl wird mit 6 von Mutter auf Hof des Vaters gebracht (sie kann ihn nicht mehr durchbringen) → schlecht behandelt, muss hart arbeiten (11 Jahre lang)
- Von Vater immer geschlagen → wird zum Bettnässer ➔ hat Schuldgefühle
- Von Kindern und Halbgeschwister als Knecht gedemütigt
- Von Knechten als Bauernsohn verachtet
- Wenn er nicht essen will → wird gezwungen
- Vor lauter Demütigung und Geschlagen-Werden spürt er nichts mehr und hat keine Gefühle mehr → denkt an Selbstmord
- Schuleintritt ändert nicht viel an seinem Alltag, sieht sie nicht als Erholung sondern als Strafe Gottes → Gott schuld an seinem Schicksal
- Ist sich nicht klar was er eigentlich ist, Mensch oder Maschine (wegen Arbeit)
- Macht sich mit neuen Maschinen auf Hof vertraut → einzige der damit umgehen kann → verschafft ihm kleinen Vorteil
- Durch Magd Helga wird ihm bewusst, dass auch er ein Mensch ist (Grundrechte des Menschen: Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung)
- Ist sich klar, dass auch er etwas zählt → entflieht bisherigem Milieu ➔ beginnt Schmiedelehre

Interpretation:

- Im Buch ist es normal, dass Kinder von Erwachsenen geschlagen und unterdrückt werden → Ältere nichts anderes gewöhnt, erging es selbst so
- Kirche verdammte uneheliche Kinder in dieser Zeit (Holl ist eines), wer nicht jeden Sonntag zur Kirche ging wurde ausgestoßen → Holl ging nicht immer
- Holl sprachlos (keinen Vornamen!), wehrt sich nicht bzw. nicht fähig sich zu wehren → Bettnässer
- Sprache Instrument des Bauern Holl zu züchtigen (Schreien, Schimpfen) Wert des Einzelnen bestimmt seine Arbeitskraft ➔ Erarbeitet sich seine Identität → Arbeit ist Gesichtsmaske und Rückendeckung zugleich für ihn
- Vertreter des Dorfes (Pfarrer, Schuldirektor) → Trinker Ländliches Milieu, patriarchalisch bäuerliche Welt: Beschränktheit, Sprachlosigkeit,
- Leicht veränderter Entwicklungsroman: wichtige Erfahrungen zur Entwicklung nicht im ethischen Bereich, sondern durch Schreckenswelt; Identitätsentwicklung durch Bewusstwerdungsvorgang → findet schließlich zu seinem Ich

- Allgemeines:

- Aus Sicht eines personalen Erzählers, teilweise aber auch in Ich-Form
- Rückblenden (durch bestimmte Orte und Gegenstände ausgelöst) → Erinnerungen an Kindheit: zerhackte Sätze, episodenhaft
- Innerhofer war Neorealist aus den 70ern, sehr autobiografischer Roman → Innerhofer selbst auf Bauernhof aufgewachsen, gleiche Problematik wie Holl; Selbstmordpläne, dann „Holl-Trilogie“ geschrieben, dann Selbstmord
- Entwarf neue Art des Heimatromans → zerstören und kontrastieren der Auffassung ländlicher Idylle (Anti-Heimatroman) ➔ Heimat wird zur Fremde, trotzdem Grundthema: Suche nach Heimat

1. Teil von 3 (behandeln verschiedene Entwicklungsstadien von Holl):

- „Schöne Tage“
- „Schattseite“: gänzlich in Ich-Form; Schmiedelehre, Berufsschule, Anstellung in Fabrik, erfährt erneut Unterschiede zwischen oben und unten; Arbeit = selbstentfremdendes Zwangs- und Herrschaftsinstrument; lernt aber auch kritisch zu denken, Fragen zu stellen und Literatur zu lesen
- „Die großen Wörter“: taucht in „Welt des Redens“ ein, Matura als Abendschüler, Student → enttäuscht, weil Lehrer sich nur hinter „großen Worten“ verschanzen die nichts bedeuten

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Der Entwicklungsroman
Veranstaltung
Mündliche Reifeprüfung
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
13
Katalognummer
V106950
ISBN (eBook)
9783640052257
Dateigröße
440 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit hat mich viel Schweiß gekostet! Aber ich finde sie nicht so schlecht!
Schlagworte
Entwicklungsroman, Mündliche, Reifeprüfung
Arbeit zitieren
David Pitschmann (Autor:in), 2002, Der Entwicklungsroman, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106950

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