Wondratschek, Wolf - Haltestelle Sensengasse - Individuum und Gesellschaft in dem Gedicht


Referat / Aufsatz (Schule), 2001

12 Seiten, Note: 15 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Gedicht: Haltestelle Sensengasse

Hauptteil: Interpretation

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Anhang

Anmerkungen (Fußnoten)

Einleitung

Diese wissenschaftliche Arbeit über das Gedicht "Haltestelle

Sensengasse"1 von Wolf Wondratschek habe ich aufgrund des

Deutschunterrichts der Jahrgangsstufe 12 unter Leitung von Herrn Borges angefertigt. Jeder Schüler meines Kurses hatte die Aufgabe, ein Gedicht, das nicht älter als fünf Jahre ist, auf das Thema "Individuum und Gesellschaft" zu untersuchen. Dazu hatten wir vom 12. 02. bis 23. 03. 2001 Zeit. "Haltestelle Sensengasse" suchte ich mir aus der Sammlung "Gedichte" von Wolf Wondratschek aus. Es stammt aus der Reihe "Die Wiener Gedichte", die 1998 zum ersten Mal veröffentlicht wurden. Es hat mir wegen der letzten beiden Zeilen (Gedicht siehe nächste Seite) am besten gefallen, da diese für eine Überraschung bzw. Verwirrung sorgen.

Haltestelle Sensengasse

Niemand in der Stadt

ist berühmter als der Tod.

Am Nebentisch ist immer

ein Platz für ihn frei.

Er grüßt herüber.

Welchen Grund hätte man,

unhöflich zu sein?

Im Fahrstuhl drückt er

die gleiche Etage

und folgt dir vor die Tür.

Ohne weiter zu stören,

tritt er ein und bleibt

bis zum Einschlafen.

Keine Angst. Du gewöhnst

dich an seine Geduld.

Interpretation

In dem Gedicht "Haltestelle Sensengasse"2 von Wolf Wondratschek geht es um die Allgegenwärtigkeit des Todes.

Es besteht aus 15 Versen, die nicht zu einzelnen Strophen zusammengefasst sind, und ist im Hakenstil geschrieben. Es enthält keine Reime, und so wirkt es weder heiter noch melancholisch, sondern eher sachlich.

Wie von einer Selbstverständlichkeit (Vers 1 f: "Niemand ... ist berühmter als der Tod") erzählt das lyrische Ich vom Ende des Lebens. Dabei verwendet es für sich nicht das Wort "ich", sondern "man" (Vers 6) oder "du" (Vers 14), was einerseits Unpersönlichkeit zeigt, andererseits, dass der Text auf jeden bezogen sein kann. Ich sehe darin, dass es auch sich selbst meint. Das lyrische Ich beschreibt den Tod als eine Person, die "immer" (Vers 3) anwesend ist und es begleitet (Vers 10: "folgt dir"; Vers 12: "bleibt"). Dabei gibt es einige Wortfelder, die das Alltägliche beschreiben: den "Fahrstuhl" (Vers 8) müssen viele täglich benutzen und "einschlafen" (Vers 13) sowieso.

So wird der Mensch in seiner normalen Umgebung beschrieben, doch ohne Hinweis auf seine Mitmenschen. Er lebt in einer "Stadt" (Vers 1), was auf Anonymität unter vielen Menschen hinweist (Fahrstühle gibt es nur in großen Häusern mit vielen Bewohnern). Es wird zwar von einem "Nebentisch" (Vers 3) gesprochen, an dem Leute (und der Tod) sitzen, aber diese scheint das lyrische Ich nicht zu kennen. Es besteht eine Distanz zwischen ihnen.

Dagegen nimmt der Tod Kontakt auf (Vers 5: "Er grüßt herüber."). Das lyrische Ich hat ein persönlicheres Verhältnis zu ihm als zu den Anderen (Vers 6 f bedeutet, dass es den Tod "zurück grüßt"). Das zeigt sich auch darin, dass der Tod nicht stört (Vers 11: "ohne weiter zu stören"), sondern dass im Gegenteil seine Anwesenheit normal und geduldet ist.

Der Inhalt erinnert stark an das "Memento mori"3-Motiv des Barock. Doch wird in diesem Gedicht ganz anders darauf eingegangen. Statt "Carpe diem"4 steht am Ende "Keine Angst" (Vers 14).

Man braucht keine Angst vor dem Tod zu haben, denn je näher man ihm kommt, desto mehr hat man sich an ihn gewöhnt (Vers 14 f: "gewöhnst dich"). Auch wird gesagt, dass man noch Zeit hat, denn der Tod hat "Geduld" (Vers 15).

Der Ausdruck "keine Angst" (Vers 14) verdeutlicht noch einmal, dass das lyrische Ich mit "du" auch sich selbst meint, da es die genannten Erfahrungen gemacht hat. Dass es über die Geduld Bescheid weiß, ist seltsam, denn keiner weiß, wie lange jemand leben wird.

Wichtig ist auch, dass in diesem Gedicht der Tod nicht umschrieben, sondern direkt benannt wird (in Vers 2). Als Bild befindet er sich bereits in der Überschrift: "Sensengasse" klingt ähnlich wie "Sensenmann".

Ein weiteres Symbol in der Überschrift ist die Haltestelle. "Halt" steht zwar für Stehenbleiben, Ende und somit auch für den Tod; eine Haltestelle ist jedoch etwas, an dem ein ständiges Aus- und Einsteigen, Kommen und Gehen herrscht. Es steht für Wandel und Hoffnung auf Neues. Die "Gasse" ist dagegen wieder etwas beängstigendes, da sie eng und begrenzt ist.

Die Sensengasse gibt es wirklich. Sie liegt in Wien und in ihr werden seit 1804 die ungeklärten Todesfälle in der Gerichtsmedizin untersucht.5

Das Gedicht ist in der Reihe "Die Wiener Gedichte"6 erschienen und so kann mit der "Stadt" (Vers 1) gut Wien gemeint sein. Dazu kommt, dass den Wienern eine gewisse Depressivität nachgesagt wird.

Auch in anderen Gedichten dieser Reihe findet man den Tod als Motiv wieder. Zum Beispiel in "Die blauen Sommer sind vorbei"7 (Vers 7 ff: "durch den Traum geht ... der Tod") und in "Wien, Ringstraße"8 (Vers 4: "die Toten zu verscharren"). Ein anderes Motiv ist das Alleinsein. So steht vor allen Gedichten das Zitat "wenn man fast allein ist ist alles was es gibt fast allein"9 von Gertrude Stein. Dazu passt im vorliegenden Gedicht die fehlende Beziehung zu den Mitmenschen.

Zusammenfassung

In dem Gedicht "Haltestelle Sensengasse" hat das lyrische Ich bzw. das Individuum keine Beziehung zu seinen Mitmenschen. Es lebt anonym unter ihnen.

Da es stellvertretend für alle spricht, kann man auch die ganze Gesellschaft als anonym bezeichnen.

Nur der Tod (der ja individuell ist, und so auch als Individuum bzw. Person dargestellt wird), steht den Menschen nahe; einander sind sie sich fremd.

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Wolf Wondratschek, "Die Gedichte", München, 1998

Sekundärliteratur

ZDF Online, "Die Sensengasse",

http://www.zdf.de/wissen/wissenschaft/42428/index.html, 2000

Anhang

Folgender Text befindet sich auf der Internetseite

http://www.zdf.de/wissen/wissenschaft/42428/index.html (Stand: 14. 12. 2000)

Detektive mit dem Skalpell Wien, Sensengasse

In Wien kamen alle ungeklärten Todesfälle in die

Gerichtsmedizin in der Sensengasse, ob Gewalttat, Freitod oder Selbstmord.

Das Motiv für den Mord an Johann Werdertitsch, der 1897 erschlagen an der Donau aufgefunden wurde, konnte nie geklärt werden. Aber der Mörder, sein Vetter, wurde der Tat überführt. Maria Theresia hatte verfügt, dass alle Krankenhausleichen in der Pathologie seziert werden, um die Todesursachen genau zu erforschen. Zugleich wurden die Mediziner anatomisch an den Toten ausgebildet.

Die entstehenden Großstädte mit ihrem sozialen Elend waren "Brutstätten des Verbrechens". Die Gerichtsmediziner sahen, zu was Menschen fähig sind: Gewalttaten, aus Habsucht, Eifersucht und Hass.

Erstes gerichtsmedizinisches Institut Johann Peter Frank, Berater des Kaisers Joseph II., gründete 1804 in Wien ein eigenes gerichtsmedizinisches Institut. Damals gab es noch keine Kühlräume. In pestilenzartigem Gestank wurde seziert, mit bloßen Händen, aber in Frack und Zylinder. Auf Anordnung des Kaisers mussten alle Ärzte einen Kurs in der Gerichtsmedizin belegen.

In der Wiener Studiensammlung der Gerichtsmedizin sind Hunderte von Mordwerkzeugen zu sehen. Wie die Menschen umgebracht wurden, ist in den Leichenbüchern des 19. Jahrhunderts akribisch festgehalten. Die Obduktionsprotokolle sind Tagebücher Wiener Mord- und Gewalttaten, voller Schrecken und Grausamkeit. Die wissenschaftliche Studiensammlung der Wiener Gerichtsmedizin ist die älteste und bedeutendste der Welt. Es ist ein Archiv des gewaltsamen Todes. Ausgehend von Wien wurde im 19. Jahrhundert die Gerichtsmedizin zu einer systematischen und exakten Wissenschaft.

[...]


1 Wolf Wondratschek, "Die Gedichte", S. 527, München, 1998

2 ebenda

3 lat. "Bedenke, dass du sterben wirst"

4 lat. "Pflücke den Tag" oder auch "Nutze den Tag"

5 http://www.zdf.de/wissen/wissenschaft/42428/index.html, siehe Anhang

6 Wolf Wondratschek, "Die Gedichte", S. 521-539, München, 1998

7 ebenda, S.526

8 ebenda, S.533

9 ebenda, S.523

12

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Wondratschek, Wolf - Haltestelle Sensengasse - Individuum und Gesellschaft in dem Gedicht
Note
15 Punkte
Autor
Jahr
2001
Seiten
12
Katalognummer
V106892
ISBN (eBook)
9783640051670
Dateigröße
408 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Beurteilung meines Lehrers: Du interpretierst treffend knapp und beziehst jeder Zeit sinnvoll Zusatzinformationen ein.
Schlagworte
Wondratschek, Wolf, Haltestelle, Sensengasse, Individuum, Gesellschaft, Gedicht
Arbeit zitieren
Linda Luers (Autor:in), 2001, Wondratschek, Wolf - Haltestelle Sensengasse - Individuum und Gesellschaft in dem Gedicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106892

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