Vernachlässigung im Kindesalter


Facharbeit (Schule), 2002

9 Seiten


Leseprobe


Vernachlässigung im Kindesalter

Wenn man von Verwahrlosung oder von Vernachlässigung spricht, muss man bedenken, dass sie immer historischen, gesellschaftlichen, schichtspezifischen, beruflichen und persönlichen Bewertungen unterliegt. Sie ist in erster Linie ein gesellschaftliches und soziales Problem. Denn arme Familien haben oft aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen und ihrer aktuellen Lebensbedingungen nicht die Möglichkeit, ihren Kindern angemessene Entwicklungsbedingungen und Entwicklungschancen zu geben. In dieser Perspektive gesehen sind diese Probleme oft keine individuell zu lösenden, da sie eher schicksalhaft erscheinen und die Familien an ihrer sozialen und materiellen Lage wenig ändern können. Doch Verwahrlosung tritt nicht nur in finanziell benachteiligten Familien auf, auch in der Mittel- und Oberschicht kommt sie vor, wobei sie sich aber in anderen Verhaltensweisen ausdrückt, wie z.B. Überschütten mit Spielzeug oder materiellen Angeboten bei gleichzeitig fehlender emotionaler Bindung und persönlichem Interesse.

Es gibt verschiedene Formen von Vernachlässigung: vorübergehende, chronische, leichte und schwere Formen. Je nach Lebensalter nimmt die Vernachlässigung bei Kindern unterschiedliche Erscheinungsformen an.

Doch erst mal möchte ich die Kindesvernachlässigung definieren. Sie ist in erster Linie kein objektivierbarer Mangel der körperlichen Versorgung und Pflege, sondern Ausdruck bzw. Symptom stark beeinträchtigter Beziehungen in Familien. Insbesondere instabiler, unsicherer, brüchiger, manchmal sehr schwacher, meist äußerst widersprüchlicher Beziehung zwischen Mutter bzw. Vater und Kind. Sozusagen die Unfähigkeit, dem Kind angemessene körperliche Pflege und psychische Betreuung zu gewährleisten.

D.W. Winnicott, ein bedeutender Kinderpsychoanalytiker, beschreibt die Vernachlässigung mit dem Fehlen der „ausreichend guten Mutter“, also die Mutter, die versucht das Bestes für ihr Kind zu tun, aber trotzdem auf ihre eigenen Bedürfnisse nicht vergisst. Es geht also nicht um die „perfekte Mutter“.

Man spricht von Vernachlässigung, wenn Eltern

- das Kind nicht angemessen ernähren, pflegen und versorgen, was besonders bei Säuglingen am häufigsten vorkommt;
- die Bedürfnisse des Kindes nach Zuwendung, Nähe und Schutz in deutlicher Weise missachten bzw. sie mit ihrem Kind sehr gleichgültig und emotionslos umgehen;
- dem Kind nicht genügenden oder unangemessene Entwicklungsanreize geben;
- an das Kind völlig altersunangemessene Erwartungen richten;
- mit ihrem Kind sehr ablehnend, restriktiv oder strafend umgehen;
- kein Familienkonzept besitzen, um mit der durch die Geburt entstandenen Situation angemessen umzugehen.

Besonders gefährlich ist die Vernachlässigung in der Hinsicht, als sie neben körperlicher und psychischer Misshandlung oder sexuellem Missbrauch als eine Form von passiver körperlicher oder seelischer Verletzung (maltreament) gilt. In der Praxis lassen sich weder die unterschiedlichen Formen der Vernachlässigung unterscheiden, noch lässt sie sich von anderen Formen der oben genannten Misshandlungen abgrenzen. Außerdem tritt sie noch in unterschiedlichen Schweregraden auf.

Jedoch deuten jüngste Forschungsergebnisse darauf hin, dass sich die psychische Vernachlässigung letztlich schwerwiegender auf die Entwicklung des Kindes auswirkt als die körperliche. Hinzu kommt noch, dass die psychische oft von körperlicher Beeinträchtigung begleitet wird und dadurch nicht auf den ersten Blick eindeutig zu erkennen ist.

Ein mögliches Merkmal von Vernachlässigung im Säuglingsalter kann Ess- und Schlafstörung sein. Auch in seiner äußeren Erscheinung scheinen deutliche Zeichen von Vernachlässigung oder Misshandlung auf. Weitere Faktoren wären extremes Schreien und extreme Unruhe. Außerdem erkrankt das Kind häufig oder wird sehr häufig ohne spezifischen Grund in Kinderkliniken eingeliefert und zeigt erhebliche Gedeihstörungen und Entwicklungsverzögerungen.

Aufgrund der schweren Nachweisbarkeit gibt es auch keine sichere Zahlen über die soziale Verteilung und die Häufigkeit von Kindesvernachlässigung. In Deutschland geht man, allgemein gesprochen, jedoch davon aus, dass mehr als die Hälfte der in Institutionen bekannt gewordenen Fälle von Kindesmisshandlungen Vernachlässigungsfälle sind. Auch in mindestens der Hälfte der Fremdunterbringungsentscheidungen und gerichtlichen Sorgerechtsentzügen bildet Vernachlässigung den Hintergrund.

Häufigkeit und Schweregrad sind im wesentlichen vom sozialen Kontext, sozialer Deklassierung, sozialer Isolation und Ausgrenzung bestimmt.

Ebenso muss man bedenken, dass ca. 90% der Vernachlässigungsfamilien von Armut betroffen sind, d.h. sie leben von der Sozialhilfe, unqualifizierten Gelegenheitsarbeiten oder schlecht bezahlten ungesicherten Teilzeitbeschäftigungen. 10% der Kinder in Deutschland sind durch Armut, soziale Ungleichheit und Deklassierung in ihren Lebens- und Entwicklungschancen ernsthaft gefährdet.

Nachdem in den letzten 10 bis 15 Jahren soziale Sicherungssysteme immer mehr abgebaut wurden und massenhafte Dauer-Arbeitslosigkeit zum Normalzustand zu werden droht, nimmt die Zahl der vernachlässigten Kinder ständig zu.

Doch nicht nur in „armen Familien“ besteht die Gefahr der Vernachlässigung, auch „Wohlstandsvernachlässigung“ kommt immer wieder vor, das ist wenn Kinder von materiellen Dingen geradezu überschüttet werden. Außerdem kommt noch hinzu, dass in diesen Familien vielleicht verschiedenen Betreuungspersonen, wie z.B. Kindermädchen häufiger wechseln und das Kind zu wenig Liebe erfährt, vor allem, wenn sie dabei im emotionalen und sozialen Bereich zu kurz kommen.

Dennoch spielt diese in der Quantität und Qualität der Gefährdung vor allem sehr junger Kinder keine vergleichbar wichtige Rolle. Das meinen zumindest Kürner und Nafroth in ihren Aufsätzen zu diesem Thema, wobei ich schon denke, dass sehr wohl bei jungen Kindern die „Wohlstandsvernachlässigung“ vor kommen kann.

Risikofaktoren:

Es gibt verschiedene Arten von Risikofaktoren. Dazu gehören auch die Faktoren auf Seiten der Eltern, also der biographische Hintergrund der Eltern und die eigene Beziehungs- und Bindungserfahrung. Es ist häufig so, dass Erwachsene, die selbst eine solche oder ähnliche Situation in ihrer Kindheit durchmachten, gleichermaßen auf das eigene Kind reagieren, ohne es aber zu wollen, sie können gar nicht anders, da sie ihr damals noch nicht verstandenes und bis jetzt nicht verarbeitetes Leiden endlich zum Ausdruck bringen müssen. Das Kind wird also Opfer einer generationsübergreifenden Wiederholung.

Genauso spielt das Temperament eine Rolle und die Dynamik und Qualität der Paarbeziehung. Ist diese jedoch instabil, emotional sehr widersprüchlich und zerbricht des öfteren, hat das wiederum Auswirkungen auf das Kind, jedoch keine positiven. Die Familiengründungsphase verläuft häufig überstürzt und chaotisch, schnelle Trennungen und Neuzusammensetzungen gehören zum Alltag und die Beziehung des Paares schwankt zwischen umklammernder Nähe und großer Distanz und gegenseitiger Abwehr.

Natürlich hängt auch viel von der Einstellung zu und Fantasien über das Kind ab. Wenn schon im Vorfeld das Kind als störend empfunden wird, besteht kaum eine Möglichkeit auf eine normale Erziehung, die dem Kind Halt und Sicherheit bietet. Dazu gehören auch die Erziehungsvorstellungen, -einstellungen und das Erziehungsverhalten, das auch ausschlaggebend über das Risiko einer Vernachlässigung ist.

Oft wird von den Kindern zu viel erwartet, auch von den ganz jungen, dass sie eine Lösung für all ihre Probleme bringen, die Eltern emotional versorgen und ihre Wünsche nach Sicherheit und Geborgenheit spüren und erfüllen. Sie empfinden dann auch alles, was das Baby macht als gegen sie gerichtet und denken, ihr Kind liebt sie nicht, weil es schreit oder sich abwendet. Damit gelangen sie natürlich in einen Teufelskreis, aus dem man nicht mehr so schnell herauskommt.

Auch vom Wissen bzw. von der Kompetenz bezüglich Versorgung, Pflege und Erziehung sowie dem Familienkonzept ist die Vernachlässigung abhängig.

Sehr frühe Elternschaft und/oder sehr dichte Geburtenfolge, die zu einer Überlastung der Eltern führt, kann sich negativ auf das Kind auswirken. Doch auch andere Überlastungen der Eltern, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, Überschuldung, wenig kindgerechte Wohnverhältnisse oder berufliche Überforderung und Anstrengung zur Statussicherung kann man dazu zählen.

Wenn die Eltern oder auch nur ein Elternteil schwere psychische Schäden, insbesondere Suchtkrankheiten hat oder eine mangelnde kognitive und psychosoziale Bewältigungsfähigkeit vorherrscht, kann es zu solchen Situationen kommen. Vor allem, wenn die Eltern schon mit der Bewältigung des Alltags überfordert sind und das Gefühl haben nichts zu haben, nichts zu können und vor allem nichts zum Positiven verändern zu können.

Auch die soziale Integration ist sehr wichtig für Eltern. Wenn ein Mangel an dieser, fehlende Unterstützung durch soziale Netzwerke oder mangelnde Abgrenzung gegenüber der Herkunftsfamilie besteht, ist das Risiko einer Vernachlässigung des Kindes größer.

Nun bestehen nicht nur Risikofaktoren auf Seiten der Eltern, sondern auch auf Seiten des Kindes, wie zum Beispiel vorgeburtliche bzw. geburtliche Risikofaktoren, die die vielleicht ohnehin schon emotional instabilen Eltern aus der Bahn werfen oder eine ungewollte Schwangerschaft. Genauso zählen auch gesundheitliche Beeinträchtigungen in diese Kategorie, die natürlich für alle Eltern zuerst einmal Schock hervorrufen.

Auch das Geschlecht, so irr es auch klingen mag, kann ausschlaggebend sein, wenn das Kind also nicht das gewünschte Geschlecht hat.

Die äußere Erscheinung und das Temperament des Kindes können vorbelastete Eltern auch zu negativen Handlungen verleiten.

Hintergründe und Zusammenhänge von Kindesvernachlässigung:

Hier gibt es auch wieder verschiedene Faktoren, die zu einer solchen führen.

Im gesellschaftlichen Kontext spielen der Umbau des Sozialstaats, die Globalisierung, die Veränderung der Arbeit und Armut eine Rollen.

Vernachlässigung ist aber ebenso ein Interaktionsmuster zwischen Eltern und Kind.

Überwiegt also die negative Rückkoppelung, verstärkt sich das Gefühl des „Nicht-geliebt- Werdens“, egal auf welcher Seite.

Auf der Elternebene gibt es wiederum verschiedene Auslöser bzw. Hintergründe für Kindesvernachlässigung, so auch ein hohes Krisenpotential, also das, was wir typische Alltagskrisen in Multiproblemfamilien nennen, und auch einschneidende Erlebnisse. Chronische Deprivation bezüglich Einschränkungen, Verzicht, Knappheit, Enge, Armut, Abhängigkeit, zu wenig Zuwendung / Nähe / Anerkennung oder flüchtige, unsichere Beziehungen können auch ein Hintergrund sein.

Genauso wie mangelnde Kompetenzen, also unzureichende Erziehungskompetenz, unzureichende Alltagskompetenz und dysfunktionale Problemlösungsstategien dazu gehören. Und zu guter Letzt spielt auch ein negatives Selbstbild eine große Rolle. So können andauerndes Scheitern und Abhängigkeit sowie das ständige Ausbleiben von Bestätigung zu einer Vernachlässigung führen oder sie verstärken.

Nun zwei Fallbeispiele zu Kindesvernachlässigung und zur Rolle des Vaters, der, selbst wenn er physisch kaum anwesend ist, dennoch eine wichtige Rolle in der Triade Mutter-Vater-Kind spielt.

Fall 1: Eine ca. 30jährige Frau ist mit ihrem fast sechs Monate alten Sohn im Kinderzimmer. Der Junge liegt auf einem Lammfell, verschiedenes, altersgerechtes Spielzeug ist um ihn herum verteilt. Die Mutter sitzt auf dem Fußboden 1 ½ Meter von ihm entfernt, hält einen Hampelmann in der Hand.

Mutter und Kind schauen in verschiedene Richtungen. Der Junge liegt relativ erstarrt, mit glasigem, abwesenden Blick ruhig da, bis auf kurze aufgeregte Momente, in denen er versucht, seine Faust in den Mund zu stecken. Die Mutter schaut ab und zu zu ihrem Kind, wendet sich, ohne etwas zu sagen oder zu tun, aber gleich wieder ab und schaukelt bisweilen den Hampelmann in ihrer Hand. Sie wirkt bedrückt und verloren. Das geht so eine halbe Stunde lang.

Als der Ehemann und Vater, ein erfolgreicher Computerfachmann, wie üblich relativ spät und angestrengt von der Arbeit kommt, begrüßt ihn seine Frau, klagt über dauerhafte Kopfschmerzen, sagt ihm, er möge sich um den Sohn kümmern und geht in die Küche, um Essen zu machen. Der Vater nimmt den Sohn etwas widerwillig und gereizt hoch, versucht zehn Minuten verschiedenste Dinge mit ihm zu spielen und seinen Aufmerksamkeit durch immer neue Reize zu gewinnen. Nach kurzem Interesse wendet sich der Junge immer wieder vom Vater ab, wird zunehmend unruhig und beginnt zu weinen. Der Vater legt ihn ins Bett, ruft seiner Frau zu, das Kind sei wohl müde, auch er müsse erst mal abspannen und lege sich kurz hin.

Bei diesem Fall zeigt das Kind, obwohl es genügend Reize in Form von Spielsachen vor sich hat, kein Interesse an irgendwelcher Aktivität. Genauso die Mutter. Sie sieht die meiste Zeit nicht einmal zu ihrem Kind hin, sondern beschäftigt sich lieber mit einem Spielzeug und weiß scheinbar nichts mit ihrem Sohn anzufangen. Auch beim Vater des Kindes scheint das anfängliche Interesse nicht von langer Dauer zu sein, bis dieser den Kontakt abbricht.

Hier kommt hervor, dass nicht nur äußere Faktoren, sondern auch innerfamiliere Beziehungen eine große Rolle spielen, auch das Bindungsmuster, auf das ich später näher eingehen werde.

Im zweiten Beispiel kommt eine etwa 20jährige Frau zum Wohnungsamt. Sie braucht eine Wohnung und Unterstützung bei der Beantragung von Sozialhilfe etc. Im Buggy, den sie schiebt, sitzt ein sechs Monate altes Mädchen, auf dem Arm trägt sie einen 1 ¾ Jahr alten Jungen. Beide Kinder sind sehr blass, wirken mager, sind zwar ordentlich, aber viel zu dünn angezogen.

Als der Junge nach einiger Zeit krabbelnd den Raum zu erkunden beginnt und dabei fast den Papierkorb umstößt, schreit die Mutter ihn an, er müsse gleich alleine vor die Tür. Das Mädchen beginnt nach einer Weile zu quengeln. Die Mutter steckt ihr ohne Worte einen Schnuller in den Mund und schiebt den Wagen ein Stück von sich weg. Währenddessen erzählt sie, dass ihre Wohnung, die sowieso „nur ein dunkles Loch“ war, wegen Mietschulden gekündigt wurde, ihr derzeitiger Partner, der Vater des Mädchens, seit einem Jahr arbeitslos sei und immer häufiger trinke, sie ihn deshalb auch lieber loswerden wolle, der Vater des Jungen unbekannt sei und sie mit ihren Kindern notgedrungen zu ihrer Mutter ziehen müsse, die sie, als sie selbst acht Jahre alt war, in eine Heim geschickt habe. Ihren beiden eigenen Kindern ginge es gut, sie bekämen alles was sie brauchten, nur der Junge werden immer aufsässiger und aggressiver und das Mädchen lehne sie manchmal richtig ab und höre nicht auf zu schreien.

Dies ist ein klassischer Fall von zwanghafter Wiederholung der eigenen Erziehung, die die jetzige Mutter damals erlebt hat, und obwohl sie vielleicht der eigenen Mutter aus dem Weg gehen möchte, sie aus finanziellen Gründen zu ihr ziehen müsse. Auch die Erziehungsmittel, die sie verwendet, sprechen nicht unbedingt für eine sichere Bindung. Die Mutter wundert sich sogar darüber, dass Kind immer öfter verschiedenstes Fehlverhalten zeigt.

Wie weiter oben schon kurz angedeutet, spielt auch das Bindungsmuster bei der Vernachlässigung eine große Rolle. Das Bindungssystem, das sich im Verlauf des ersten Lebensjahres bildet, soll das Überleben des Säuglings sichern und ihm Schutz bieten.. Das eigene Selbstwertgefühl, also, ob sich das Kind aufgrund des Verhaltens seiner Bindungsperson als liebenswert und kompetent oder als zurückweisen erlebt, ist mit der Art des Bindungssystems verknüpft. Diese innere Vorstellung wirkt sich nicht nur auf die Haltung zur Bindungsperson und den Umgang mit ihr aus, sondern beeinflusst auch zunehmend den Umgang mit anderen Menschen. Die Kinder verhalten sich also entsprechend ihren Erwartungen und die anderen reagieren dementsprechend darauf.

Demnach ist die Gefahr der Vernachlässigung bei ambivalenten, vermeidenden oder desorganisierten / desorientierten Bindungsmustern um einiges höher als bei sicher gebundenen Kindern.

Im vermeidenden Bindungsmuster reagieren die Eltern dieser Kinder zu selten auf die Bedürfnisäußerungen ihres Kindes und initiieren von sich aus kaum Spiele oder Aktivitäten mit ihm. Doch sie kümmern sich um die körperlichen Bedürfnisse ihres Kindes, allerdings dann, wenn es ihnen gerade passt und nicht, wenn es das Kind signalisiert. Dafür sind sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt oder zu sehr an externen Vorschriften orientiert.

Wie schon das Wort beschreibt, versuchen Mütter, die ein vermeidendes Bindungssystem aufbauen, ihr Kind zu „meiden“ bzw. sich von ihm abzuwenden. Sie hilft dem Kind weder seine Bedürfnisse und Gefühle zu erkennen und voneinander zu unterscheiden, noch seine gegenständliche Umwelt zu erfahren und zu erkunden.

Untersuchungen zeigen, dass vernachlässigte Kinder sowohl sehr passiv als auch in ihrer kognitiven Entwicklung verzögert waren. Mit dem Beginn des Laufens beginnen sie sich aktiv über die Bewegung einen Teil der Anregung zu verschaffen, an der es ihnen bisher mangelte. Da sie aber von ihrer Bezugsperson in der Regel nicht unterstützt werden, schaffen sie es auch nicht, dass sie so ausgiebig und ausdauert daran teilnehmen, sondern sich eher unruhig und unkontrolliert hin und her bewegen und sich schnell ablenken lassen. Etwa ab dem zweiten Lebensjahr wird sich das Kind der eigenen Wirkung auf andere Menschen bewusst und versucht daher mit Schüchternheit die Zuwendung der Mutter zu erlangen. Es wird auch beginnen, sprachlich oder nonverbal, Gefühle vorzugeben, die sie gar nicht empfindet um so eine vermeidende Strategie aufzubauen. Die Kinder wollen sich nun um emotional weniger zugängliche Bezugspersonen bemühen, indem sie mit Albereien ihre Aufmerksamkeit suchen oder sich liebevoll um sie kümmern und so immer mehr in einen mütterliche Rolle hineinversetzt werden.

Neben dem vermeidenden Bindungsmuster gibt es auch noch das ambivalente, auf das ich näher eingehen möchte. An das Kind bzw. folglich auch wieder an die Mutter werden abwechselnd verschiedene, meist gegensätzliche Interaktionsanforderungen gestellt, wie z.B. einmal Zuneigung, dann wieder völlige Abneigung oder Ignoranz.

Im Erwachsenenalter bemühen sich diese Menschen dann ständig die Bedürfnisse anderer zu erkennen und zu erfüllen, um deren Anerkennung zu gewinnen. Sie leben dann entweder sozial isoliert oder eher überangepasst.

Im Kindesalter „beschränken“ sich die Verhaltensprobleme auf die emotionale Isolierung oder geringe soziale Ansprechbarkeit.

Als Jugendliche können sie sich dann in fehlendes Vertrauen und fehlenden Zugang zu den eigenen Gefühlen dann in der Vermeidung intimer Beziehungen, Promiskuität, Depression oder antisozialen Verhalten äußern.

Prävention von Kindesvernachlässigung:

Bei diesem Thema kann man nicht eine allgemein gültige Prognose stellen, sondern muss sich auf die konkreten Lebensbedingungen der Familie beziehen.

Das heißt man muss zuerst Fragen klären nach:

- Vorhandensein und Bereitstellen von lebensweltnahen, qualitativ guten und ausreichend verfügbaren Einrichtungen für Familien;
- Versorgungsstrukturen und Sicherungssystemen, die für Mütter, Väter und Kinder leicht zugänglich und nicht diskriminierend sind;
- Möglichkeiten und Bedingungen für nachbarschaftliche, gemeindenahe Unterstützungs-, Hilfe- und Beziehungsnetzwerke;
- bezahlbaren Wohnungen, Ausbildungsmöglichkeiten und sinnvoller Arbeit.

Nur auf dieser Ebene kann primäre Prävention stattfinden, das ja die Vernachlässigung oft nicht nur eine emotionales Beziehungsproblem ist, sondern auch andere Faktoren mitspielen. Dennoch sollte man sich Gedanken über die Hintergründe, die Struktur und Dynamik von Vernachlässigungsgefährdung in einzelnen Familien machen und Hilfe und Unterstützungsmöglichkeiten für einzelne Kinder und ihre Eltern bieten.

Didaktischer Aspekt:

Um überhaupt etwas Positives ausrichten zu können, müssen wir uns von unserem üblichen Denken etwas lösen, um die Stärken, Möglichkeiten, Entwicklungspotentiale und „Ressourcen“ auch und besonders in sehr schwierigen Familiensituationen konkret zu erkennen und herauszufinden. Dabei müssen wir aber auch bedenken, dass wir in unserem Tun immer etwas eingeschränkt sind, da wir uns erst auf die Situation einlassen müssen. Es sind einfach Gefühlsmischungen vorhanden, die sich nicht so schnell wieder auflösen lassen. So identifizieren wir uns, je jünger die Kinder sind, desto mehr mit ihnen und reagieren mit Mitleid, Unverständnis, Wut und Hilflosigkeit. Eine Lösung soll möglichst schnell kommen, man soll schnell handeln, massiv eingreifen, wobei dann wieder eine Ratlosigkeit über Möglichkeiten der Hilfe entsteht oder einfach über den Kopf der Eltern hinweg entschieden wird.

Demnach müssen wir uns eben selbst bewusst werden, wie anspruchsvoll eine solche Beratung sein kann und wie sehr sie uns selbst betrifft.

Diese vernachlässigte Beziehung entwickelt sich meist über konkretes und sehr banales alltägliches Handeln, darum müssten wir versuchen, auf diese konkreten banalen Handlungen und Interaktionen positiv verändernden Einfluss zu nehmen.

Dazu ein Beispiel: Ein Säugling schreit. Die Mutter kann nicht wissen, was das Kind will und probiert es mit dem Schnuller, dann mit „auf den Arm nehmen und Ablenken“. Doch das Kind schreit immer weiter und wendet sich energisch ab. Dieses Abwenden interpretiert die Mutter als Ablehnung: „Mein Kind liebt mich nicht!“. Sie legt das Kind ins Bett und sagt: „Dann schrei doch!“ und verlässt den Raum. Zunächst hört das Kind damit auf, beginnt nach kurzer Zeit aber umso lauter zu schreien. Nach einiger Zeit kommt die Mutter sehr gereizt ins Zimmer zurück, nimmt das Kind hoch, rüttelt es und sagt erregt: „Hör jetzt endlich auf, sonst...“. Das Kind hört auf zu schreien, ist erstarrt und schaut weg.

Diese „negativen Interaktionsschleifen“, egal, ob sie bei der gestressten, überforderten Mutter oder bei einem unzufriedenen Säugling beginnen, haben die Tendenz zur fast automatischen Selbstverstärkung, damit auch zu chronischer Verfestigung und immer wieder krisenhafter Zuspitzung.

Darum sollten wir in diesem Fall versuchen die Eltern darin zu unterstützen:

- ihr Kind zu beobachten und erst einmal wahrzunehmen, was ihm eventuell fehlt;
- Ideen zu entwickeln, was sie tun können, um Bedürfnisse zu befriedigen oder auf der anderen Seite auch hilfreiche Grenzen zu setzen;
- Ideen zu entwickeln, wie die Eltern sich selbst Entlastung verschaffen können usw., dann können positive Interaktionsschleifen entstehen, die ebenfalls die Tendenz zur Selbstverstärkung und Verfestigung haben.

Somit wird das Verhalten „zurückgespiegelt“ und z.B. durch Lächeln oder freundliches Glucksen bestätigt, was wiederum auch der Mutter ermöglicht, ihr Kind als liebenswertes Wesen zu sehen und entsprechend positiv auf es einzugehen.

Man kann davon ausgehen, dass Familien selbstdefinierte, erreichbare, kontrollierbare und konkrete, sozial positiv bewertete und akzeptierte Ziele eigener Veränderung brauchen, um Sinnstrukturen und Zukunftsperspektiven in ihrem Leben zu entwickeln.

Natürlich denkt man sich, dass bei der Vernachlässigung eine Therapie viel sinnvoller ist, doch auch diese hat nur begrenzte Einflussmöglichkeiten, da Vernachlässigung eine Milieuschädigung ist. Sie kann nur versuchen zu verhindern, dass sich Missverständnisse oder Fehlwarnungen der Signale und Verhaltensweisen des Babys verfestigen und zu einer unsicheren Beziehung führen. Das bedeutet zum großen Teil Hilfe für die Mutter, Vertrauen in sich selbst und in die Beziehung zum Kind aufzubauen, und andere Beziehungserfahrungen zu machen, als die von Zurückweisung aus ihrer eigenen Kindheit.

In erster Linie muss frühe seelische, körperliche und entwicklungsmäßige Beeinträchtigung nicht nur der betroffenen Kinder, sondern auch der vernachlässigten Eltern berücksichtigt werden, wenn diese, wie schon vielfach erwähnt, als Kind ebenfalls vernachlässigt wurden.

Die Hilfe ist natürlich für die jeweiligen Eltern nicht immer ein gefühlsmäßiges Zuvorkommen, sie fühlen sich häufig in ihrer Person angegriffen und drücken sich in Abwehrmechanismen aus, die von Helfern als belastend erlebt werden und unterschiedliche seelische Funktionen haben. Sie helfen den Eltern, als Kind passiv Erlittenes aktiv gegen ihre Kinder und gegen die Berater zu wenden, haben aber auch eine Schutz- und Entlastungsfunktion. Auch Neid, Eifersucht, Konkurrenz und Überforderungsgefühle gegenüber den Helfern spielen bei Eltern, die selbst vernachlässigt wurden, eine große Rolle. Grundsätzlich haben Familien ein ambivaltentes Verhältnis zur Hilfe: einerseits wünschen sie sie und fordern sie ein, andererseits erleben sie aber auch die damit verbundene Abhängigkeit und den Veränderungsdruck, den die Helfer machen. Darum ist es besser, dass sie die Erfahrung machen, kleine Aufgaben befriedigend gelöst zu haben, da sie das familiäre Selbstwertgefühl stärkt und Eigeninitiative fordert.

Es soll wenn möglich auch eine Balance zwischen den Stärken und Defiziten der Eltern bestehen, die aber durch Berater hergestellt werden muss, da sie es nicht von alleine schaffen. Damit stärkt er die Selbstachtung der Eltern und erleichtert ihnen damit auch den Blick auf die eigenen Schwächen.

Ich habe jetzt eigentlich hauptsächlich über die Beeinflussung der Eltern gesprochen und die Kinder eher außer Acht gelassen, jedoch muss man bedenken, dass gerade die Vernachlässigung von der Umwelt aus geht, die rund um die Familie besteht und es einfach darum geht den Teufelskreis, in dem sich die Familie befindet, zu durchbrechen und ihnen wieder die Möglichkeit zu geben ihr Kind als liebenswert zu betrachten. Und da kann man in diesem Alter eigentlich nur bei den Eltern ansetzen, wobei es dabei egal ist, ob die Problemsituation vom Kind oder vom Erwachsenen ausgeht.

Am besten ist es in der Krabbelstube das Thema vorsichtig anzugehen. Zuerst gilt es wirklich alle Symptome bezüglich Körperpflege, Wach- und Schlafplatz, Ernährung, Behandlung von Krankheiten, Zärtlichkeit, Anerkennung, Bestätigung, Geborgenheit, Individualität und Selbstbestimmung, Ansprache und verlässlicher Betreuung genau zu beobachten und zu notieren und sich dann von Kolleginnen eine zweite Beobachtung zu holen, um wirklich sicher gehen zu können.

Dann gilt es mit den Eltern ein Gespräch anzufangen und die eigenen Beobachtungen zu schildern. Eine Möglichkeit ist der direkte Zugang auf die Situation, die andere wäre eine Elternabend mit einem Referenten/einer Referentin zu diversen Themen wie oben erwähnt. Als Erzieherin sollte man auch nicht zu stolz sein um Helfer, wie z.B. die mobile Sonderkindergärtnerin einzuschalten, da sie meistens besser helfen kann, zumal sie ja eine geeignetere Ausbildung für dieses Thema hat.

Grundsätzlich gilt jedoch, dass alles zum Wohle des Kindes geschehen soll!

Quellen:

- Kinderschutzzentrum Berlin e.V.: „ Risiken und Ressourcen - Vernachl ä ssigungsfamilien, kindliche Entwicklung und pr ä ventive Hilfen “

Artikelverfasser: Claus-Peter Rosemeier, Dr. Ute Ziegenhain, Pieter Hutz

- Mit Informationen vom Kinderschutzzentrum Linz und der DSA Fr. Stranzinger

- Internet

Ende der Leseprobe aus 9 Seiten

Details

Titel
Vernachlässigung im Kindesalter
Veranstaltung
Matura
Autor
Jahr
2002
Seiten
9
Katalognummer
V106859
ISBN (eBook)
9783640051342
Dateigröße
418 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vernachlässigung, Kindesalter, Matura
Arbeit zitieren
daniela kettner (Autor:in), 2002, Vernachlässigung im Kindesalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106859

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