Kriminalität und Städtebau


Hausarbeit, 2002

25 Seiten, Note: 12


Leseprobe


Inhaltsübersicht

1. ALLGEMEINES / EINFÜHRUNG
1.1. BEGRIFF DER KRIMINALGEOGRAPHIE
1.2. ENTSTEHUNG / FORSCHUNG

2. STADTPLANUNG, BAUARCHITEKTUR IM ZUSAMMENHANG MIT KRIMINALGEOGRAPHIE
2.1. VERSTÄDTERUNG
2.2. LEBENSQUALITÄT, UMWELTVERSCHMUTZUNG
2.3. KRIMINALITÄT
2.3.1 Viktimisierung
2.4. RÄUMLICHE VERTEILUNG DER KRIMINALITÄTSBELASTUNG
2.4.1. Stadtteile / Stadtgebiete
2.4.2. Kriminalgeographie in Deutschland
2.4.3 Tatorte von Verbrechen in Geb ä uden unterschiedlicher Bauh ö he
2.4.4. Kriminalit ä tsverursachung durch Architektur, gef ä hrliche Objekte

3. ERKLÄRUNGSANSÄTZE
3.1. AGGRESSIONS - FRUSTRATIONS - THEORIE
3.2. „BROKEN - WINDOW“ - THEORIE

4. PRÄVENTION
4.1. KRIMINALITÄTSABWEHRENDE STADTPLANUNG UND BAUGESTALTUNG
4.2. NEW YORKER MODELL

5. FAZIT

QUELLENVERZEICHNIS:

1. Allgemeines / Einführung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich im Folgenden mit den Zusammenhängen von Krimi- nalität und Städtebau. Sie soll insbesondere die Probleme aufzeigen, die durch die Stadtplanung und Wohnraumarchitektur entstanden sind. In der Nachkriegszeit entstanden Ballungszentren, um möglichst viele Menschen auf wenig Grund kos- tengünstig unterzubringen (sogen. Trabenten- städte. Darzustellen ist, in wie weit sich moderne Wohnraumarchitektur auf die Neigung zur Delinquenz auswirkt bzw. förderlich für die Durchführung von Verbrechen ist.

Des Weiteren beschäftigt sie sich mit Erklärungsansätzen und Präventionsmöglichkeiten.

1.1. Begriff der Kriminalgeographie

Der Zusammenhang von Raumstruktur und Kriminalität wird in der Literatur als „Kri- minalgeographie“ bezeichnet. Über diesem Begriff gibt es mehrere Auffassungen; so wird sie als „die Wissenschaft von der regionalen Verteilung der Kriminalität und der Kriminalitätsfaktoren und von den regionalen Unterschieden in der Kriminalitätsbe- kämpfung“1 oder als die Wissenschaft, „effektive örtliche und zeitliche Belastung ei- nes Raumes durch raumbezogene Delikte und Täterwohnsitze sowie die Mobilität des Täters zwischen verschiedenen Räumen statistisch zu erfassen und kartogra- phisch darzustellen“2 bezeichnet. Diese beiden Denkansätze stellen jedoch mehr eine statistische Auswertung und Aufbereitung von Kriminalitätsbelastungen in einem be- stimmten Raum und in einer ebenfalls bestimmten Zeit dar. Weiter geht SCHWIND mit seinem Ansatz zur Ursachenforschung indem er auf die Wechselwirkung zwischen dem Verhalten des Einzelnen und sozialer Gruppen und ihrer physischen (baulichen), sozialen und kulturellen Umgebung eingeht. Er versteht Kriminalgeographie als den- jenigen „Zweig der kriminologisch-kriminalistischen Forschung, der kriminelles Verhal- ten in seiner raumzeitlichen Verteilung erfasst und durch spezifische raumzeitliche Verbreitungs- und Verknüpfungsmuster demographischer, wirtschaftlicher, sozialer, psychischer und kultureller Einflussgrößen zu erklären versucht, und zwar mit dem Ziel der (primär vorbeugenden) Verbrechensbekämpfung“3.

1.2. Entstehung / Forschung

Die kriminalgeographische Forschung hat ihren Ursprung im frühen 19. Jahrhundert. Als erste beschäftigten sich der Franzose G UERRY (1802- 1866) und der Belgier Q UETELET (1796 - 1874) mit der Kartographierung von Kriminalität (QUETELET, „Physique sociale“; 1835).

Weitere Forschungen auf diesem Gebiet wurden von B URGES (1926), S HAW (1929), S HAW und M C K AY (1942) in den USA betrieben.

In Deutschland (nach 1945) waren dies vor allem

ƒ- O PP (1968); räumliche Verteilung der Kinder und Jugendkriminalität in Köln,
ƒ- H EROLD, damaliger Polizeipräsident Nürnberg (1968ff.); Ermittlung und Unter- suchung der Beziehungen zwischen Raum und Kriminalität am Beispiel Nürn- berg,
ƒ- H ELLMER (1972); Kriminalitätsatlas der BRD und West-Berlin,
ƒ- H ELLD Ö RFER, damaliger Polizeipräsident Nürnberg (1974); Fortsetzung der Arbeit HEROLDS,
ƒ- W IEBE (1977); Analyse, Versuch der Untersuchung der räumlichen Verteilung von Kriminalität in einer Großstadt mit Hilfe verschiedener statistischer Anga- ben und Techniken,
ƒ- K RANZ (1978),
ƒ- S CHWIND /A HLBORN /W EI ß (1978, 1989),
ƒ- F REHSEE (1978); jugendliche und heranwachsende Straftäter aus einer Stadt- teilgruppe in Kiel,
ƒ- L EWKOWITZ ET AL. (1979),
ƒ- B EHDER (1979); Saison-(Urlaubs-)Kriminalität in Schleswig-Holstein 1972/73,
ƒ- L ANGER (1983); Kriminalität als Indikator sozialgeographischer Raumstruktu- ren,
ƒ- P LATE /S CHWINGES /W EI ß (1985); bauliche bzw. infrastrukturelle Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf Kriminalität.4

2. Stadtplanung, Bauarchitektur im Zusammenhang mit Kriminalgeographie

2.1. Verstädterung

Der soziale Entwicklungsprozess der Verst ä dterung findet in Großstädten, aber auch in Mittel- und Kleinstädten der Industriegesellschaften Europas, Nordamerikas und Asiens, sowie in den Millionenstädten der Dritte-Welt-Länder wie Brasilien („favelas“), Argentinien, Mexiko und Indien statt.

Verstädterung ist der soziale Anpassungsprozess an die besonderen Umstände und Gegebenheiten des Lebens in der vielschichtigen kulturellen, ethnischen, sozialen und (teils monotonen) physischen Umgebung in städtischen Gebieten. Dies führt zu mehr oder weniger dicht bebauten Gebieten mit entsprechend hoher Bevölkerungs- dichte.

Der Begriff Stadt umschreibt eine „geschlossene Siedlung mit zentraler Funktion in Gewerbe, Handel, Kultur, Verwaltung u. a. oft mit funktional differenzierten Stadtvier- teln“5.

2.2. Lebensqualität, Umweltverschmutzung

Problematisch ist die Lebensqualität in Trabanten- oder „Schlaf“-stadtteilen und die daraus folgende Kriminalitätsentwicklung.

Der Begriff „Schlafstadt“ rührt von der räumlichen Trennung von Arbeits- und Schlaf- stätte her, die durch teilweise erhebliche Entfernung getrennt sind. Die gesunde Mi- schung von Lebens-, Arbeits- und Schlafstätten, die sozialen Umgang erst ermögli- chen, ist in diesen Stadtteilen nicht gegeben. Beispielhaft sind hier die Berliner „Gro- piusstadt“, das „Märkische Viertel“ oder Osterholz-Tenever in der Nähe von Bremen zu nennen.

Oft sind in der Großstadt Luft und Wasser verschmutzt durch Abgase, Gestank und Kloake; Lärm beherrscht die Straßenfluchten und wirkt sich damit negativ auf die Be- wohner aus.

Die Bausubstanz lässt oftmals in Folge von Vernachlässigung zu wünschen übrig, wodurch der Eindruck des „Heruntergekommenen“ verstärkt und delinquentes Verhalten gefördert wird (zur „broken window“ - Theorie später).

Die mittelalterliche Stadt, über die sich ein Netz aus Solidarität spannte, erleichterte es Probleme des Überlebens in Gemeinschaft, Kooperation und Bruderschaft zu beund überstehen (Kriege, Hungersnöte, kalte Winter, Krankheiten). Demgegenüber ist dieses Gemeinschaftsgefühl in der modernen Großstadt nahezu ganz verschwunden; das Individuum geht in der Masse der Menschen unter.

Die Angst vor Gewalttaten hat zur Folge, dass die sozialen Kontakte verloren gehen. Freundschaft und Nachbarschaft können sich so weniger leicht aufbauen und entwi- ckeln. Man zieht sich in einer Art „Festungsmentalität“ in seine eigenen vier Wände zurück. Die Nachbarschaftskontrolle („neighbourhood watch“) geht in Gänze verloren. Man kennt sich untereinander nicht mehr. Nicht einsehbare Bebauung, wechselnde - oftmals defekte - Beleuchtung und Belegung des Straßenraumes mit Massenverkehr erzeugen ein Unsicherheitsgefühl, das die Bewohner veranlasst, nach Einbruch der Dunkelheit ihre Wohnung nicht zu verlassen. Der soziale Zusammenhalt, der soziale Kontrolle möglich macht, geht verloren.

2.3. Kriminalität

Kriminalität entsteht aus dem Unvermögen Einzelner, sich an den oben unter 2.1. beschriebenen Prozess der Verstädterung hinreichend anzupassen.

Aus der Vielschichtigkeit sozialer und kultureller Verhältnisse ergeben sich zwangläufig neue Konflikte, die sich durch autonome Gruppenkontrolle nicht mehr aufgefangen und unterbunden werden.

Kriminalität entwickelt sich in besonderem Maße aus der Anonymität der Lebenswei- se, hoher Wohndichte und sozialer Isolation, die in Großstädten vermehrt auftritt. Po- tentielle und tatsächliche Täter fühlen sich in ihrer Anonymität sicher vor Verfolgung und helfendem Einschreiten Dritter. Außerdem wird die Flucht wird durch die Bezie- hungslosigkeit und die Undurchdringlichkeit größerer städtischer Lebensstrukturen er- leichtert.

Ein weiterer, maßgeblicher Faktor für die hohe Kriminalitätsbelastung in hoch urbani- sierten Bereichen (Hochhaussiedlungen der Trabantenstädte) ist - entgegen früheren Erkenntnissen - nicht nur die misslungene , Isolation verursachende Baugestaltung, sondern auch die ungünstige Sozialstruktur. Billige Mieten haben zur Folge, dass die sich die Wohnungen oftmals in mangelhaftem Zustand befinden, die trotz Mangeln- den Wohnkomforts wiederum für einkommensschwache Bevölkerung attraktiv wer- den. Dies hat zur Folge, dass ein hoher Anteil von Arbeitslosen und jungen Men- schen ohne Ausbildung entsteht. Das führt in Verbindung mit der hohen Mobilität und Anonymität der Städter (s. 2.2.) dazu, dass überproportional viele Tatverdächtige in solchen Stadtteilen ansässig sind. „Die Kriminalität, die von Menschen mit niedrigem Einkommen begangen wird, ähnelt sehr stark den Berufen, die sie ausüben. Der Kri- minelle mit niedrigem Einkommen, der keine angemessene Berufsausbildung besitzt und dessen Verhalten auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung gerichtet ist, entwickelt im Gegensatz zum Berufsverbrecher und zum Wirtschaftskriminellen keine besonde- ren Verbrechenstechniken. Er wendet sich gegen seinen unmittelbaren Nachbarn, stützt sich auf brutale Gewalt und ergreift jede Gelegenheit, die sich ihm bietet. Diese Kriminalität kann indessen die schwerwiegendste und niederdrückendste Form des Verbrechens sein, weil sie eine direkte Bedrohung der Person und ihres Eigentums darstellt.“6

Weiteren Einfluss auf die Kriminalitätsbelastung hat der soziale Rückschritt, der in Ballungszentren alsbald einzusetzen pflegt. Die dort errichteten Gebäude erleichtern eine ständige Wertminderung durch technische und wirtschaftliche Abnutzung. Die technische Abnutzung beruht auf Verschleißerscheinungen, die im Laufe der Zeit durch Gebrauch entstehen; sie treten beschleunigt auf, wenn keine Erhaltungsmaß- nahmen lohnend erscheinen. Den Prozess des Wegziehens einkommensstärkerer Familien wegen steigender Qualitätsansprüche, bei gleichzeitigem Verbleiben der einkommensschwachen Mieter bezeichnet SCHWIND als „Filtering-down-Prozess“.7 Dieser sich kumulativ wiederholende Vorgang hat zur Folge, dass sich immer mehr sozial schwache Menschen in diesen Gebieten konzentrieren. Dadurch fnden beson- ders tatgeneigte Personen Zugang zu solchen Wohnungen. Vandalismus, Grafitti, he- rumliegender Unrat, Gestank nach Kloake und herumlungernde Jugendliche haben zur Folge, dass immer weniger Menschen der gehobenen Einkommensklassen zu- ziehen oder sich als Gewerbetreibende niederzulassen.

In stark mit Kriminalität belasteten Gebieten ist eine Häufung von Sozialproblemen wie Arbeitslosigkeit, Kindersterblichkeit, Alkoholismus, Schuleschwänzen, Krankhei- ten, Stadtstreicherei, aggressives Betteln, niedriges Einkommen, niedriger berufli- cher, familiärer und ökonomischer Status und überbelegte, verwahrloste Wohnungen festzustellen.

Wirksame Polizeieinsätze sind dort nur schwer möglich, denn die Polizei wird durch eine sozial ungesunde Gemeinschaft nicht unterstützt. Das Auftreten der staatlichen Ordnungshüter wird als Fremdbestimmung empfunden und deswegen abgelehnt. Unterstützung findet die Polizei deswegen kaum.

2.3.1 Viktimisierung

Das Risiko zur Viktimisierung (= Opferwerdung) wird nicht nur durch die Anzahl tat- sächlich verübter Verbrechen bestimmt, sondern auch durch das subjektive Empfin- den einer Verbrechensfurcht bei den Bewohnern. Diese Viktimisierungsfurcht entsteht durch

- Tatsächliche Opferwerdung,
- Opferwerdung von Bekannten oder Verwandten,
- Ein Unsicherheitsgefühl, das durch mangelnde Sozialkontrolle bewirkt wird,
- Berichte in Massenmedien.

Die Angst ist oftmals größer als das tatsächliche Risiko, Opfer eines Verbrechens zu werden. Das negative subjektive Befinden hat mitunter eine hohe Beeinträchtigung der Lebensqualität zur Folge (s. 2.2.). Das wiederum kann kriminalitätssteigernd wir- ken, weil die Einbettung in ein belastetes soziales Milieu Anpassungsprozesse aus- löst.

Dadurch dass die Strassen bei Dunkelheit wenig bis gar nicht frequentiert sind, werden denen, die sich trotzdem dort aufhalten, Gefühle der Angst vermittelt. Die Angstgefühle anderer wirken sich tatfördernd bei potentiellen Tätern aus, da die Tat ihnen weniger riskant erscheint.

2.4. Räumliche Verteilung der Kriminalitätsbelastung

2.4.1. Stadtteile / Stadtgebiete

- An erster Stelle hinsichtlich der Kriminalitätsbelastung steht der Bereich der In- nenstädte („city-centre“). Dies ist unter anderem dadurch zu erklären, dass hier tagsüber an Werktagen die höchste Dichte wirtschaftlicher, kultureller und admi- nistrativer Funktionen vereint ist, nachts jedoch die größte Bevölkerungsentlee- rung festzustellen ist. Die dadurch eintretende größere Anonymität wird von Kriminellen ausgenutzt.
- Sehr stark belastet sind auch Übergangsgebiete zwischen Industriebetrieben und Wohnvierteln innerhalb von Großstädten. Sie stehen an zweiter Stelle.
- An dritter und vierter Stelle stehen Handels- und Industriegebiete, die sich als Subzentren in der Peripherie von Großstädten oder in Vorstadtteilen entwickelt haben. Auch diese Gebiete sind auf Grund schlecht entwickelter Sozialkontrollen und hoher Bewohnermobilität mit Kriminalität stark belastet. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Prosperität viele Gelegenheiten zur Verbrechensbegehung bie- tet.
- Am geringsten mit Kriminalität belastet sind die Wohngebiete gehobener Klassen am Rande der Städte und in Vorstädten. Hier ist der soziale Zusammenhalt gut entwickelt. Das führt zu gegenseitiger Absicherung. Die Bewohner verfügen über eine gute Schulbildung und hohen beruflichen Status, so dass lokal verursachte Kriminalität kaum auftritt. Ein bewusstes Familienleben und die Integrität der Nachbarschaft sind weitere Eigenschaften, die zu niedrig belasteten Gebietenfüh- ren.

2.4.2. Kriminalgeographie in Deutschland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

8 „Beim Ländervergleich ist zu beachten, dass ein erheblicher Teil der Täter und auch der Opfer nicht zur Wohnbevölkerung des jeweiligen Tatortlandes gehört. Allein in Hessen wohnen ca. 10 % der Ar- beitnehmer in einem anderen Bundesland. Sehr hoch dürfte das Pendleraufkommen auch in den Stadtstaaten sein. Hinzu kommen Touristen, Wohnsitzlose und auch andere Gruppen, die nicht zur Wohnbevölkerung des Tatortlandes gehören, deren Taten jedoch diesem Land angelastet werden. Erkennbar wird bei der polizeilich registrierten Kriminalität insgesamt ein Nord-Süd- und, noch stärker ausgeprägt, ein Ost-West-Gefälle, das sich aber in den letzten Jahren verringert hat. Diese regionalen Unterschiede können nicht allein durch unterschiedliches Anzeigeverhalten erklärt werden. Vielmehr kommen Ursachen wie z.B. günstigere Tatgelegenheiten in Betracht. Empirisch gesicherte Beweise gibt es hierfür aber nicht.

Die Gesamtbevölkerung und die registrierten Straftaten verteilten sich 2000 auf die vier Gemeindegrößenklassen wie folgt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Tatorte wurden den vier Gemeindegrößenklassen ausschließlich nach der Einwohnerzahl der politischen Gemeinde, in der sich der jeweilige Fall ereignete, zugeordnet. Sozioökonomische Aspekte oder die geographische Lage des Tatortes blieben hierbei unberücksichtigt. So werden auch der Einwohnerzahl nach zwar kleine, aber urbanisierte Gemeinden aus industriellen Ballungsräumen oder aus dem Umkreis von Großstädten zur Gruppe der kleinsten Gemeinden geschlagen, obwohl sie ihrer Struktur nach zum großstädtischen Einzugsbereich gehören. Dennoch lässt bereits diese grobe Einordnung der Tatorte in den nachstehenden tabellarischen Aufstellungen deutliche Unterschiede der Kriminalitätsstruktur erkennen. Großstädte ab 500 000 Einwohner heben sich durch deutlich höhere, Gemeinden unter 20 000 durch relativ niedrige Häufigkeitszahlen ab.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

*) Die Auflistung ist nicht vollständig.

**) prozentualer Anteil dieser Gemeindegrößenklassen an der Wohnbevölkerung am 01.01.2000

In den kleinsten Gemeinden bis 20 000 Einwohner wurden überdurchschnittlich oft z.B. Brandstiftun- gen und Herbeiführen einer Brandgefahr, Straftaten gegen die Umwelt sowie Wettbewerbs-, Korrupti- ons- und Amtsdelikten registriert, relativ selten dagegen Raub. Der höchste Tatortanteil für Großstädte ab 500 000 Einwohner wurde unter den oben aufgeführten Straftaten(gruppen) insbesondere bei Straftaten gegen strafrechtliche Nebengesetze auf dem Wirtschaftssektor, bei Betrug, bei Raubdelik- ten und bei Widerstand gegen die Staatsgewalt und Straftaten gegen die öffentliche Ordnung ver- zeichnet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

*) Die Auflistung ist nicht vollständig.

Die Häufigkeit der registrierten Fälle - bezogen auf jeweils 100.000 Einwohner - wächst bei der Mehr- zahl der aufgeführten Straftaten mit der Einwohnerzahl der Gemeindegrößenklasse. Dies gilt zumal für Aggressions-, Diebstahls-, Vermögens- und Rauschgiftdelikte. Bei Brandstiftung und Herbeiführen einer Brandgefahr sowie bei Straftaten gegen die Umwelt sind dagegen auch kleinere Gemeinden relativ stark belastet.“

2.4.3 Tatorte von Verbrechen in Gebäuden unterschiedlicher Bauhöhe

9 Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 gibt eine Übersicht über die prozentuale Verteilung von Verbrechenstatorten nach Ge- bäudearten. Auffällig ist die überproportional hohe Belas- tung der Gebäude ab sechs Stockwerken.

In Abb. 2 werden einzelne Ge- bäudeteile und -flächen im Einzelnen aufgeschlüsselt dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2

2.4.4. Kriminalitätsverursachung durch Architektur, gefährliche Objekte

Als besonders gefährliche Gebäude sind die vielgeschossigen (sechs Stockwerke und mehr) Wohnhochhäuser anzusehen (siehe Abb. 310 ), die durch ihre unübersicht- lichen Treppenhäuser, Fahrstühle und meist offen zugänglichen oder leicht zu öff- nenden Eingänge tatgeneigte Bewohner geradezu dazu einladen, Verbrechen zu be- gehen. Hinzu tritt, dass diese Gebäude meist von sozial schwachen Menschen be- wohnt werden, die einerseits selbst anfällig für delinquentes Verhalten, anderseits leicht zu Objekten häufiger Viktimisie- rung werden. Aus solchen Familien kommen die meisten Tatverdächtigen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3

SCHWIND / AHLBORN / WEIß haben in ihren „Bochumer Untersuchungen“ gezeigt, dass die Tätermobilität bei der Tatbegehung oft gering ist. So hatten über 78 % der Tatver- dächtigen der bekannt gewordenen und untersuchten Straftaten ihren Wohnsitz in Bochum. In 70 % der Fälle entfernten sich die Täter keine 2.000 Meter von ihrer Wohnung, in 50 % lag die Entfernung sogar unter 1.000 Meter.11

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4

Die Gebäude in Hochhaussiedlungen (Abb. 412 ) sind oftmals auf großen Grundflächen willkürlich verteilt, die freien Grundflächen, die sie umge- ben, sind frei zugänglich und ermög- lichen ungehinderte Bewegungen zwischen ihnen.

Das Gebäudeinnere ist für jedermann frei zugänglich, sobald die Zugangssperren überwunden sind - was z. B. durch gleichzeitiges Betätigen von mehreren Klingeln leicht erreichbar ist. Begünstigt wird das, wenn die Eingänge nicht überwacht werden. Von den Bewohnern können sie regelmäßig nicht ohne weiteres überwacht werden, da der Einsatz von Videokameras den Anlagenbetreibern zu kostenaufwendig ist. Die Architektur dieser Wohntürme, in denen die Kriminalitätsbelastung um ein Vielfaches höher ist als in Mehrfamilienhäusern ( < 3 Stockwerke), fördern Verbrechen durch ein Gefühl der Anonymität, Unverantwortlichkeit, Isolation und fehlender Identität mit der (sozialen) Umwelt13.

Die Kombination anonymer, öffentlich zugänglicher Räume wie Aufzüge, Korridore, Flure, geringe Überschaubarkeit innerhalb der Gebäude führen dazu, dass dort die höchste Anfälligkeit für Verbrechen entsteht und dort tatsächlich die meisten Verbrechen begangen werden.

Die Öffentlichkeit der Strasse reicht prinzipiell bis in die Wohneinheiten, da keine halböffentlichen und halbprivaten Pufferzonen vorhanden sind, die nur für Freunde, Bekannte und Lieferanten zum Betreten gedacht sind. Gleiches gilt für die umgeben- den Grünanlagen und Freiflächen, die von der Öffentlichkeit der Strasse nicht abge- trennt sind.

3. Erklärungsansätze

Neben den bereits oben angesprochen Faktoren, die für das Entstehen und Verstärken von Kriminalität durch Stadtplanung und Baugestaltung entstehen sollen nachfolgend noch zwei weitere Erklärungsansätze beleuchtet werden. Durch sie ist u. a. auch der Schulterschluss zu Präventionsmöglichkeiten gegeben.

3.1. Aggressions - Frustrations - Theorie

Diese Theorie geht auf die amerikanischen Wissenschaftler DOLLARD, DOOB, MILLER, MOWRER & SEARS14 zurück, die 1939 eine Untersuchung veröffentlichten. In ihr wurde die These aufgestellt, dass

1. Aggression immer eine Folge von Frustration ist und
2. Frustration immer zu Aggressionen führt.

Dieser Denkansatz wurde empirisch bestätigt und in den nachfolgenden Jahren weiter erforscht und erweitert. Die o. a. Grundthese kann nach wie vor als wirklichkeitsgerecht angesehen werden.

Bezogen auf den hier behandelten Bereich der Kriminalitätentstehung bedeutet dies, dass die Bewohner von Gebäuden, die mit Kriminalität stark belastet sind, Frustrationen entwickeln. Diese verstärken sich in trister, perspektivenloser, nicht Bedürfnis befriedigender (sozialer) Umwelt. Die Frustrationen versuchen die Bewohner durch Aggressionen gegen Sachen (Vandalismus, Einbrüche) und Personen (Raubüberfälle, Vergewaltigungen, Körperverletzungen) zu kanalisieren.

Das hat zur Folge, dass die Bausubstanz immer mehr verkommt. Damit wird eine Ursa- chenkette in Gang gesetzt, die dazu führt, dass sich immer mehr Tatgeneigte in solchen Bereichen sammeln. In Folge dessen steigt die Kriminalität und die Furcht vor ihr unauf- hörlich.

Der Schlüsselreiz, der dem zu Grunde liegt, wird durch die Bauarchitektur ausgelöst. Sie war dazu gedacht, möglichst viele Menschen auf wenig Raum kostengünstig unterzu- bringen. Dabei wurde nicht bedacht, dass die soziokulturellen Bedürfnisse ihrer Bewoh- ner nicht befriedigt werden. Die Gebäude, die von den Bewohnern nicht akzeptiert wer- den, mit denen sie sich nicht identifizieren können, werden systematisch von innen und außen zerstört, was die bereits skizzierten Folgen nach sich zieht.

Zwar muss betont werden, dass nicht die Architektur als solche für die Kriminalität verantwortlich gemacht werden kann, sondern dies von einer Vielzahl anderer, bereits erwähnter Faktoren abhängt. Es kann aber nicht geleugnet werden, dass die Architektur eine (und keine geringe) Ursache dafür ist.

3.2.„broken - window“- Theorie

Diese Theorie geht auf die amerikanischen Sozialwissenschafteler WILSON und KELLY zurück, die zusammengefasst wie folgt dargestellt werden kann:

"Wenn eine Scheibe nicht schnell repariert wird, sind in dem betroffenen Haus bald alle Scheiben zerbrochen. Wenn in einer Stra ß e oder in einem Stadtteil nichts unternommen wird gegen Verfall und Unordnung, Vandalis- mus, Graffiti, aggressives Betteln, herumliegenden M ü ll, ö ffentliches Urinie- ren, dr ö hnende Musik, Prostitution, Penner, die ihren Rausch ausschlafen, Junkies, die sich Spritzen setzen, und dergleichen, wird das zum Zeichen da- f ü r, dass sich niemand um diese Stra ß e oder diesen Stadtteil k ü mmert, dass er au ß er Kontrolle geraten ist. “ 15

Dieser soziale Abstiegsprozess bezieht sich jedoch nicht nur auf Straftaten, sondern auch auf Ordnungswidrigkeiten und Verstöße die unter die Kategorie „öffentliche Ordnung“ fallen. Als Verstöße gegen die öffentliche Ordnung werden diejenigen un- geschriebenen Verhaltsweisen begriffen, die der Vorstellung einer Mehrheit in der Bevölkerung entsprechen und für ein gedeihliches Zusammenleben unerlässlich sind. fallen (z. B. Urinieren in der Öffentlichkeit, in Hausfluren, herumlungernde Betrunke- ne, Anpöbeln, Bettelei etc.). Die (polizeiliche) Tolerierung solcher Verstöße führt zu einer fortschreitenden Verwahrlosung des Viertels - „man schaut nicht mehr hin“. Die Identifikation der Bewohner mit „ihrem“ einstigen Viertel geht verloren. Der Anblick der Verwahrlosung verursacht eine Verbrechensfurcht beim Bürger. Die Folge ist so- zialer Rückzug aus der Öffentlichkeit aus Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden. Diese Zustände - auch dass immer mehr Bürger, die es sich leisten können und wol- len, in andere Stadtteile wegziehen - lassen diese Bezirke augenscheinlich außer Kontrolle geraten und locken Straftäter geradezu an. Für sie werden diese Gebiete auf Grund geringen Risikos bei der Tatbegehung attraktiv („attracting areas“). Hier können sie ohne Angst vor Verfolgung oder Störung bei der Tatausführung ihrem Unwesen nachgehen. Das führt zu einer immer weiter gehenden Verschlechterung der sozialen Umwelt. Der „Teufelskreis“ schließt sich.

4. Prävention

Präventionsmöglichkeiten ergeben bestehen in zweierlei Hinsicht:

- kriminalitätsabwehrende Stadtplanung und Baugestaltung,
- Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Repression durch die Polizei nach dem „New Yorker“ - Modell in einer für die BRD geeignet abgewandelter Form.

Sie sollen im folgenden Abschnitt erörtert werden.

4.1. Kriminalitätsabwehrende Stadtplanung und Baugestaltung

Bei diesem Ansatz geht es darum, mehr soziale Kontrolle zu ermöglichen und zwar bei einem gleichzeitigen Höchstmaß an Freiheit und Wahlmöglichkeiten durch Erhö- hung der Chancen für Gemeinschaftsbildung. Hiermit ist keine Großgemeinschaft, kein Kollektiv gemeint, sondern kleine Subgemeinschaften, Nachbarschaften und Freundschaften, in denen sich freiwillige, informelle Sozialkontrolle entwickeln kann. In kleinen Gruppen kann sich die individuelle Persönlichkeit entfalten. Die Gegensei- tigkeit führt zu einem Bedürfnisausgleich ohne das Gefühl fremdbestimmt beeinflusst zu werden.

Hierzu kann Stadtplanung und Baugestaltung einen wertvollen, wirkungsvollen Beitrag leisten.

Der bekannteste Vertreter dieses Konzeptes dürfte wohl OSCAR NEWMAN16 sein, der mit seiner Theorie des „defensible space“ (= verteidungsfähiger Raum) zeigt, wie Stadt- und Bauarchitektur zu einer Erhöhung der bewussten Selbstkontrolle der Um- welt führen und damit einen effektiven Beitrag zur Prävention leisten kann. NEWMAN stellte fest, dass in Hochhäusern in New York öfter Briefkästen, Lampen, Fenster und Türen zerstört, Treppenaufgänge und Fahrstuhlkabinen verschmiert wurden, so dass diese nach kurzer Zeit aussahen wie Slums. Weiter stellte er fest, dass die Kriminali- tätsbelastung in Häusern mit sechs und mehr Stockwerken um ein vielfaches höher ist als in Mehrfamilienhäusern mit weniger als drei Stockwerken. Als besonders ge- fährdete Orte innerhalb des Gebäudes erwiesen sich die Eingangsflure, Treppenhäu- ser, Fahrstühle und Flure (wobei die Fahrstühle auf Grund ihrer besonders hohen Be- lastung hervorzuheben sind).

Genau dort setzt NEWMAN mit seiner Theorie an. Indem man diese besonders für Viktimisierung prädestinierten Orte entschärft - sie für die Bewohner kontrollierbar, ver- teidigungsfähig macht (Abb. 5)17 - schreckt man Täter wegen des erhöhten Misserfolgrisikos ab. Dies kann durch eine optisch geschlossene und (video-)überwachte Wirkung der Wohnanlage be- wirkt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5

Newman schlägt hierzu folgende Maßnahmen vor:18

1. Verzicht auf Hochhausbau zugunsten von Mehr- familienhäusern mit wenigen Stockwerken,
2. kurze Korridore mit zwei bis vier Wohnungsein-gängen,
3. Umgrenzung der Grundstücke mit Zäunen, He-cken etc.,
4. Schaffung von Gemeinschaftseinrichtungen, die die „territoriale“ Haltung der Hausbe- wohner stärken: z. B. Spielplätze, Sitzbänke etc.,
5. Überwachung unübersichtlicher Stellen (z. B. Tiefgaragen) durch Videokameras und starke Beleuchtung,
6. gute visuelle Einsehbarkeit der Eingangsbereiche (und damit Überwachung) von außen durch Passanten (Abb. 6)19 und Bewohner (Gegensprechanlagen, Videokameras),
7. symbolische Barrieren zur optischen Abgrenzung von öffentlichem und halböffentlichem Raum (Abb. 7).19

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7

Auch ein Hochhaus, das seine Um- gebung mit einbezieht, ist denkbar (Abb. 8).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8

Sinn dieser Maßnahmen ist es, die Wohnanlage als privaten Bereich zu definieren und symbolisch zu do- kumentieren, dass ein Eindringen Unbefugter bemerkt werden wird, was Kriminelle abschreckt. Die halböffentlichen und halbprivaten Bereiche müssen sowohl symbo- lisch durch Sträucher, Hecken als auch faktisch durch geschlossene Tore, Türen, Mauern unterteilt werden. Der Zugangsraum muss durch entsprechende Ges- taltung der Fenster durch den Bewohner überwachbar gemacht werden. Gleiches gilt für sinnvoll angelegte Spiel- und Freizeitbereiche, die von den Wohnungen aus beobachtet wer- den können, statt zu abgelegenen Objekten des Vandalismus zu werden. Die führt zu einer zusätzlichen Überwachung des Kommens und Gehens Fremder. Durch die Begrenzung der Zahl der Familien, die in einem Gebäude wohnen - idealerweise sechs bis acht - kennen die Mieter sich untereinander. Fremde werden als solche erkannt. Dazu kommen Rückbaumaß- nahmen in Betracht, wie z. B. der Abriss von Wohnsilos, hin zu einer Baupolitik nach dem Grundsatz „Wohnen muss Spaß machen“ unter Einbeziehung des oben Gesagten.

Diesen Ansatz hat ROLINSKI 1980 in Deutschland am Beispiel München überprüft. Die Hypothese, die es zu bestätigen galt, lautete wie folgt:

„ In Hochh ä usern (zehn Geschosse und mehr), die durch das Baumerkmal ‚ defensible space nicht vorhanden ’ gekennzeichnet sind, ereignen sich wesentlich mehr Delikte als in Mehrfamilienh ä usern (f ü nf Geschosse und weniger), die sich durch das Bau merkmal ‚ defensible space vorhanden ’ auszeichnen. “ 20

ROLINSKI kam jedoch wider Erwarten zu dem Ergebnis, dass sich diese Hypothese in Deutschland nicht bestätigte. Dies führte er auf folgende Gründe zurück:21

- erstens gebe es bei uns den T ä tertyp (bisher) noch nicht, der - wie in den USA - als Fremder in H ä user eindringt, um Notzucht und Raub „ im Erscheinungsbild brutalen und rational r ü cksichtslosen Zugriffs auszuf ü hren “ (1980, 200);
- zweitens gebe es in der Bundesrepublik aus verschiedenen Gr ü nden „ eine ver- gleichsweise homogene Verteilung der ‚ demographischen Daten ’ , die in den USA fehlt und daher dort schichtspezifische Unterschiede in der Kriminalit ä tsbelastung deutlich hervortreten l ä sst “ (1980, 201);
- drittens seien "die spezifischen Merkmale der untersten Schichten in M ü nchen nicht so ausgepr ä gt wie die in New York" (1980, 202).

4.2. New Yorker Modell

Eine Konsequenz aus der „broken window“ -Theorie von WILSON und KELLY (s. 3.2.) ist das „New York“ - Modell: eine besondere Strategie der New Yorker Polizei zur Kriminalitätsbekämpfung („Null Toleranz - zero tolerance“).

1990 wurde WILLIAM BRATTON zum Transit-Police-Comissioner; das entspricht einem Polizeichef für die New Yorker U-Bahn ernannt. Die New Yorker U-Bahn war bis dahin ein berüchtigter Ort, eine Art „no-go-zone“. Das galt auch für die Polizei. Raub, Vergewaltigung, Vandalismus, aggressives Betteln durch herumlungernde Stadtstreicher waren an der Tagesordnung.

Zunächst wurden die verwahrlosten Räume zurückerobert, indem alle Obdachlosen und Bettler von einer eigens dazu gegründeten starken Polizeieinheit vertrieben worden. Anschließend wurde die Infrastruktur wieder hergerichtet. Ständige Polizeipräsenz in der Folgezeit stabilisierte die neue Ordnung.

Das Modell ist geprägt von der sogen. „zero tolerance“ - Strategie. Das unerbitterliche Einschreiten der Polizei auch gegen Bagatellkriminalität wie Schwarzfahren erzeugt einen ständigen, vehementen Verfolgungsdruck und gewinnt dadurch einen Abschreckungseffekt, der zu spektakulären Ergebnissen führt.

Durch die von BRATTON, der später Polizeichef von ganz New York wurde, angeordneten Maßnahmen führte dazu, dass auch die registrierte Schwerkriminalität bis 1997 auf das Niveau vom 1968 gesenkt werden konnte.

Es gibt jedoch auch Kritik an diesem Modell. So ist zu beanstanden, dass es zu rabia- ten Vertreibungsmethoden („Rollkommandos“), zu massiver Strafverfolgung auch bei Bagatelldelikten und zu einem Personalmangement nach dem Erfolgprinzip („hire and fire“) gekommen ist. Es ist daher zweifelhaft, ob das Modell auf Deutschland über- tragbar ist. Die Verpflichtung auf rechtsstaatliche Verfahren und Methoden führt dazu, dass die Rigorosität bei einer 1 : 1 Übernahme an die verfassungsmäßigen Grenzen unseres Staates stoßen würde.

SCHWIND sieht dennoch - durchaus berechtigt - einige Aspekte für übertragbar:22

- verstärkte Polizeipräsenz auf den Strassen (durch Fußstreifen); zu erg ä n- zen ist: Video ü berwachung,
- niedrige Einschreitschwelle bei Störungen, etwa ED - Behandlung auch bei Ordnungswidrigkeiten oder Belästigungen,
- situative Kriminalprävention („Wehret den Anfängen!“); Brennpunktorientie- rung, verdeckte Maßnahmen an einschlägigen Orten vor einer Eskalation der Kriminalität an dieser Stelle,
- Spezialprogramme; z. B. Anti - Graffiti - Aktionen, Verfolgung öffentlichen Urinierens und Alkoholtrinkens, Bettelns, Unratablagerns etc.,
- Enge Zusammenarbeit mit der Justiz; beschleunigte Verfahren,
- Bessere technische Ausrüstung der Polizei,
- Personelle Aufstockung der Polizei.
- Evaluierung von polizeilichen Maßnahmen.

Jüngste Maßnahme in Deutschland, die an diesem Punkt ansetzt, dürfte die für 2002 geplante neue Gefahrenabwehr-VO der Stadt Frankfurt am Main sein, in der u. a. das „Spucken auf den Boden“, Ausleeren von Aschenbechern der Autos auf die Strasse, öffentliches Urinieren, Hundekot, Kaugummi ausspucken, Wegwerfen von Fast Food Verpackungen sollen unter empfindliche Bußgelder gestellt werden.

Ähnlich sollen in Köln, wo mittlerweile an den Faschingstagen Ordnungshüter unterwegs sind, die „Pinkler“ abkassiert werden.

5. Fazit

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Zusammenhang zwischen Städtebau und Wohnhausarchitektur in Bezug auf Kriminalität durchaus gegeben ist und einen nicht geringen Ausschlag für die Kriminalitätsbelastung eines Stadtgebietes hat. Es darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Vielzahl weiterer Faktoren eine ebenfalls große Rolle für die Belastung mit Straftaten spielen.

In präventiver Hinsicht kann man hoffen, dass in Deutschland zu heutigen Zeiten, in Kenntnis dieser Fakten, keine Wohnsilos, wie einst die Plattenbausiedlungen ein der DDR, mehr erbaut werden. Die Rückbaumaßnahmen müssen allerdings weiter gehen, damit die Relikte vergangener Zeiten aus dem Landschaftsbild und der Kriminalitätsstatistik verschwinden. In so weit werden die Ansätze NEWMAN’S des ‚defensible space’ umgesetzt.

Es wäre wünschenswert, wenn das New Yorker Modell ansatzweise und angepasst an die Erfordernisse unseres Staates in den Großstädten Deutschlands zur Anwendung käme. An- sätze in diese Richtung sind zu erkennen und werden bei Erfolg hoffentlich weitergeführt.

Die Hausarbeit wurde von mir selbständig erstellt, alle verwendeten Quellen wurden angegeben, Zitate als solche gekennzeichnet. Dies wird hiermit versichert.

(von Zezschwitz), PK-A

Quellenverzeichnis:

- Elster / Lingemann / Sieverts / Schneider

Handwörterbuch der Kriminologie, 1979, Band IV

- Schwind, Hans-Dieter

Kriminologie, 1998, Kriminalistik Verlag Heidelberg

- Kaiser / Werner / Sack / Schellhoss (Hrsg.)

Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 1992

- www.bka.de

Polizeiliche Kriminalitätsstätistik für die BRD 2000

- Nolting

Psychologie lernen, rororo

[...]


1 Hellmer, 1972, S. 13

2 Herold, 1968 S. 205

3 Schwind, 1981, S. 249; 1998, S. 289

4 vgl. Schwind, 1998 S. 290f.

5 Das Neue Duden Lexikon, 1991, Band 9, S. 3598

6 vgl. Elster / Lingemann / Sieverts / Schneider, 1979, Band IV, S. 186

7 Schwind, 1998, S. 298

8 Abschnitt 2.4.2 zit. nach BKA: Polizeiliche Kriminalitätstatistik 2000, Nr. 2.1.3.

9 Daten aus: Newman, 1973, S. 33

10 Newman, 1973, S. 23

11 Schwind, 1998, S. 293

12 Newman, 1979, S. 131

13 vgl. Elster / Lingemann / Sieverts / Schneider, 1979, Band IV, S. 188

14 vgl. Nolting, Psychologie lernen, S. 59ff.

15 HESS in Schwind, 1998, S. 299, auch KrimJ 1996, S. 184

16 Newman, Defensible Space. Crime Prevention trough Urban design. London 1973

17 Newman, 1973, S. 10

18 vgl. Newman a. a. O.

19 U. S. Department of Housing and Urban design (Hrsg.): A design guide for improving residential security. Washington D. C. 1973, S. 10 in Elster / Lingemann / Sieverts / Schneider, 1979, Band IV, S. 192

20 Rolinski 1980, S. 47

21 Rolinski 1980, a. a. O.

22 vgl. Schwind, 1998, S. 302f.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Kriminalität und Städtebau
Hochschule
Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung; ehem. VFH Wiesbaden  (FB Polizei)
Note
12
Autor
Jahr
2002
Seiten
25
Katalognummer
V106841
ISBN (eBook)
9783640051168
Dateigröße
800 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kriminalität, Städtebau
Arbeit zitieren
Moritz von Zezschwitz (Autor:in), 2002, Kriminalität und Städtebau, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106841

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