Die historische Semantik am Beispiel des Laut- und Bedeutungswandels


Seminararbeit, 2002

18 Seiten


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

I. DIE ANFÄNGE DER HISTORISCHEN SEMANTIK

II. DER LAUTWANDEL

III. DER BEDEUTUNGSWANDEL
III.I. DIE FAKTOREN
III.II. DIE URSACHEN
III.III. DAS WESEN
III.IV. DIE FOLGEN

IV. BIBIOGRAPHIE

I. Die Anfänge der historischen Semantik

Im Folgenden soll die Entwicklung der Semantik im Laufe der letzten drei Jahrhunderte verdeutlicht werden. Im Besonderen wird hier der Laut- und Bedeutungswandel im Vordergrund stehen. Wie und warum kam es zu einem Wandel in der Sprache? Wie äußerte sich dieser? Was sind die Folgen und Konsequenzen?

Während des 18. Jahrhunderts fand ein Epochenübergang von der Klassik zur Romantik statt. Dieser solle im weiteren Verlauf wegweisend für die Entwicklung der Sprachwissenschaft sein. Die Klassik, die durch das Nachahmungsprinzip der Antike geprägt ist, wird verdrängt von der Romantik, welche dagegen eher subjektiv und dynamisch an die Erfassung historischer Phänomene herangeht. Sie versucht sich von alten Schemata zu lösen und Fortschritte zu erreichen - neue Begebenheiten zu erforschen und bereits bekanntes mit neuen Methoden näher zu erforschen. So kam dann unter anderem auch die Frage nach dem Ursprung der Sprache auf. Was ist Sprache? Woher kommt sie? Und wie hat sie sich bis zum Zeitpunkt der Untersuchungen entwickelt? Letzteren Aspekt kann man auch als Untersuchung des Sprachwandels bezeichnen.

Den Untersuchungen nach wird die Sprache als eine Art Organismus gesehen. Vom biologischen Standpunkt aus gesehen, sind Organismen der Evolution, also der Entwicklung, unterworfen, was also auch eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Sprache bedeutet. Dies ist eine Theorie, die die Wissenschaftler zu der Zeit aufgestellt haben und durch welche im weiteren Verlauf der Begriff der „Sprachwissenschaft“ entstanden ist.

Der Höhepunkt der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft gründet darin, dass während der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts die Schule der Junggrammatiker in Leipzig gegründet wurde. Dies ist eine Gruppe von Linguisten, die die These aufstellen „Der Lautwandel ist bedingt durch unabänderliche Naturgesetze“. Dies belegt nochmals die Nähe von Sprachwissenschaft und Naturwissenschaft. Mit der genaueren Untersuchung und Belegung dieser These, entwickelt sich nach und nach die artikulatorische Phonetik.

Michel Bréal war einer der Ersten, die sich mit der historisch- vergleichenden Sprachwissenschaft auseinandergesetzt hat und prägte im Jahre 1883 mit seinem „Essai de Sémantique“ den Begriff der Semantik mit ihrer uns noch heute bekannten Bedeutung. Seine Untersuchungen gelten heute als eine Reaktion auf die für das 19. Jahrhundert typische Dominanz der historischen Phonetik. Neben ihr besteht nun auch noch der Begriff der Semantik.

II. Der Lautwandel

Was ist eigentlich Lautwandel? Unter Lautwandel versteht man eine Veränderung im Lautsystem einer Sprache unter vor allem historischen Gesichtspunkten.1 Dies kommt vor allem durch den Wandel der Motivierung zustande. Drei Arten von Motivierung unterscheidet man dabei. Die phonetische, die morphologische und die semantische. Hierbei kommt der Lautwandel wie folgt zu tragen:

Bei der phonetischen Motivierung können Onomatopoetika ihre Qualität verlieren, können aber auch durch eine ausdrucksstärkere Neubildung ersetzt werden. So wird zum Beispiel aus dem ursprünglichen französischen ‚cocu’ ‚coucou’, da das lautmalerischer ist und dem eigentlichen Geräusch des Kuckucks am nächsten kommt.2 Aber auch bei den anderen beiden Arten der Motivierung, spielt der Lautwandel eine bedeutende Rolle. So können zum Beispiel Komposita verschmelzen, wie im Englischen die Bedeutung des heutigen ‚Lord’. Ursprünglich hieß dieser nämlich ‚hlafweard’. Zusammengesetzt aus ‚hlaf’ → ‚Laib’ und ‚weard’ → ‚Wart’. Genauso können aber auch ein Stammwort, zum Beispiel das lateinische ‚directus’ und seine Ableitungen voneinander getrennt werden. Im Französischen wurde dann daraus ‚droit’, aber aus dem dazugehörigen Verb ‚directiare’ wurde ‚dresser’. Beide Wörter existieren im heutigen Französisch nur noch unabhängig voneinander und haben keine Zusammengehörigkeit mehr.3

Was die semantische Motivierung betrifft, so kann man deutlich einen Lautwandel vom /p/ zum /v/ feststellen. Das Wort ‚pavillion’ stammt nämlich von dem lateinischen ‚papilio’/ ‚papilionem’. Aus ‚papilionem’ ist der ‚Schmetterling’ ‚papilion’ geworden und ‚papilio’ bleibt bei seiner Bedeutung ‚Zelt’, nur dass man das /p/ gegen ein /v/ ersetzt hat.4

III. Der Bedeutungswandel

Im Folgenden wird nun der Bedeutungswandel in der französischen Sprache untersucht. Was versteht Ullmann unter diesem Begriff, wie geht er dabei mit der Erklärung des Begriffs um und wie unterteilt er ihn?

Laut Ullmann unterscheidet man den Wandel eines Lexems in seiner Bedeutung zwischen den Faktoren, die den Wandel zulassen, die Ursachen, weshalb es überhaupt erst soweit kommen kann, dem Wesen und den Folgen dieses sprachlichen Wandels. Ob seine Untersuchungen aber auch ohne Einschränkung zu manifestieren sind, ist eine weitere Frage, die man zum Schluss dieses Kapitels aufwerfen sollte. Um nun aber an die Untersuchungen gehen zu können, sollte erst mal geklärt werden, was man unter Bedeutungswandel eigentlich versteht: “ [...] semantic change will occur whenever a new name becomes attached to a sense and/ or a new sense to a name.” (Ullmann 1957, 171). Dies ist nun die Definition von welcher ausgehend dieses Kapitel behandelt werden soll.

III. I. Die Faktoren

Faktoren sind die „universellen sprachlichen Grundlagen, aufgrund derer sich Sprache konstituiert und die ‚conditions’ (Ullmann 1957, 187) für Sprachwandel - und hier speziell: Bedeutungswandel – sind (1964, 193-196).“5

Solche Faktoren können zum einen sein, dass die Sprache als generationsabhängig betrachtet werden muss und sich so von Generation zu Generation eine neue Sprache entwickelt, die neu erlernt werden muss. Heutzutage klafft die Lücke zwischen den Großeltern und Enkeln zum Beispiel schon so weit auseinander, dass es zwangsweise zu einer Art Fehlinterpretation in der Kommunikation kommen muss. Die Kindersprache ist also ein Ausgangspunkt und Faktor des generationsbedingten Bedeutungswandels. Dieser Faktor wird von Ullmann aufgenommen, übernimmt ihn aber von Meillet und belegt ihn an folgendem Beispiel:

„ [...] z. B. sei fr. so û l ‚satt’ beständig und ausschließlich als Euphenismus6 für ‚betrunken’ verwendet worden, [...] “7.

Ein weiterer Faktor, der den Bedeutungswandel begünstigt, ist, dass klargesetzte Grenzen zwischen Wortbedeutungen fehlen können. Dies nennt man als Fachterminus auch Vagheit. Ein Beispiel ist an dieser Stelle leider nicht anführbar. Der dritte Faktor ist der Verlust der etymologischen8 und somit der lexikalischen Motivation eines Wortes. Besonders beim Lautwandel, der bereits im ersten Kapitel erläutert wurde, ist dies der Fall. Man betrachte dabei das dort angeführte Beispiel ‚lord’ für ‚hlafwaerd’ nochmals unter dem hier neuaufkommenden Faktor. Hier liegt ein typischer Fall für eine etymologische Betrachtung vor, denn man erkennt deutlich die Entwicklung des Wortes ‚hlafwaerd’ und kann im heutigen Wort ‚lord’ die Verwandtschaft und den Ursprung noch erahnen.

Das die Polysemie als ein normales Faktum der Sprache angesehen wird, ist der vierte Faktor. Die Polysemie ist ebenfalls, wie der Begriff der Semantik, auf Michel Bréal zurückzuführen und meint in der einfachen Übersetzung soviel wie Mehrdeutigkeit eines Wortes und wird nicht nur als „normal“ für die Sprache an sich, sondern auch als „normaler“ Faktor für den Bedeutungswandel angesehen.

Die Ambiguität verschiedener Kontexte, ist der fünfte Faktor, der den Bedeutungswandel begünstigt. Als Beispiel hierfür führt Ullmann den Wandel des englischen Wortes bead ‚Gebet’ > ‚Kügelchen’ an.9 „Der ambige Kontext war die Wendung to count one ’ s beads ‚die Gebete zählen’ > ‚die Kugeln des Rosenkranzes zählen’.“10 Als letzter und wichtigster Faktor wird abschließend eine lockere Struktur des Lexikons11 genannt. Dazu ist weiter nichts zu sagen, da es sich, wie der Ausdruck schon anklingen lässt, um einen sehr lockeren Umgang mit dem Wandel der Sprache handelt.

Dies sind jedoch alles nur Faktoren, die das Entstehen von Bedeutungswandel begünstigen und auslösen können, damit es aber zu einem eindeutigen Fall desselben kommen kann, muss erst eine konkrete Ursache dafür gegeben sein.

III. II. Die Ursachen

Ursachen für den Bedeutungswandel können zum Beispiel sprachlich, historisch oder soziologisch bedingt sein. Dies ist jedenfalls die Auffassung, die Meillet vertritt. Zieht man nun noch die Untersuchungen Ullmanns heran, ergänzen sich diese Bedingungen um den psychologischen, den fremdsprachlichen Aspekt und den Aspekt der Namengebung.

Sprachlich bedingt sind assoziativ gebrauchte Wörter. Der Begriff „Conditions linguistiques“, wurde aber, wie bereits erwähnt, von Antoine Meillet aufgeworfen und dieser deutet den Begriff als eine Entwicklung eines Wortes, das immer wieder im selben Kontext verwendet wird und somit die Kontextbedeutung zur Wortbedeutung wird. So zum Beispiel die französischen Wörter pas ‚Schritt’, rien ‚etwas’ oder personne ‚jemand’, die sich im heutigen Sprachgebrauch als Negationspartikel, genauer gesagt, als negationsverstärkendes Adverb, etabliert haben.12

Ein Beispiel für den historisch bedingten Bedeutungswandel, ist das englische Wort car. Es ist von dem lateinische Wort ‚carrus’ abzuleiten, welches selber aber keltischen Ursprungs ist.13 An einen Karren im Sinne Cäsars ist heute dabei nicht mehr zu denken. So ein Beispiel ist ein Beleg dafür, dass Wörter im Laufe ihrer Entwicklung eine andere Bedeutung annehmen müssen, da sich die kulturellen, sozialen oder auch technischen Gegebenheiten eben ändern und weiterentwickeln. Das, was man früher unter einem Karren verstand, war eher ein altes, marodes Fuhrwerk, wobei wir heute von einem technisch sehr weit entwickelten, sicheren Fahrzeug, wie dem Auto, sprechen können. Die nächste Ursache, die soziologisch bedingte, bedeutet den Übergang von der Umgangssprache in die Fachsprache. Hier liegt meist eine sogenannte Bedeutungsverengung14 vor. So kommt es unter anderem vom lateinischen cubare ‚ruhen, liegen’ zum französischen couver ‚brüten’. Begriffe, die früher meist alltäglich gebraucht wurden, werden heute oft nur noch in speziellen Fällen angewandt. Zwar kann man couver auch noch mit seinem ursprünglichen Sinn benutzen, jedoch beschränkt sich die Bedeutung des Wortes meist doch nur noch auf einen Fachterminus.

Der vierte Fall lässt dem Individuum seine spontanen Assoziierungen zu, was dazu führt, dass das ‚Seepferdchen’ im Englischen zu horse-fish wird. Auch Metaphern wie ‚ einem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul’, sind davon betroffen (to look a gift horse in the mouth). Der Sprecher handelt hier im Affekt und versucht dabei auf den Hörer einzugehen. In diesem Zusammenhang zeigt Ullmann laut Blank den Zusammenhang zwischen Tabu und Euphenismus auf.

Viele Bedeutungsveränderungen gehen auch auf den Einfluss eines fremdsprachlichen Vorbildes zurück. Ein Beispiel dafür ist der ‚Bär’ im Sinne der beiden Sternbilder (Großer Bär und Kleiner Bär). Sowohl der französische ourse als auch der italienische orsa und der spanische osa, sind nicht als spontane Metaphern entstanden, sondern sind auf das lateinische Wort ursa ‚Bär als Sternbild’ zurückzuführen.

In der Wissenschaft ist der Bedeutungswandel wohl nicht mehr wegzudenken. Man überlege, wie viele Wortneuschöpfungen es gibt, mit Worten, die im Lexikon einer Sprache bereits vorhanden sind, jedoch noch nie in diesen speziellen Kontexten vorher gebraucht wurden. Namengebungen können sogar soweit führen, dass Sachen ihre ursprüngliche Bedeutung ganz verlieren. Zum Beispiel die ‚Untertasse’, oder die ‚Maus’. Spricht man heute von einer fliegenden Untertasse, verbindet man damit keinesfalls einen kleinen Teller, auf den man normalerweise eine Tasse stellt und den man durch die Gegend wirft, sondern vielmehr eine Entdeckung der Wissenschaft, die man auch als unbekanntes Flugobjekt bezeichnen kann. Eine Maus ändert ihre Bedeutung darin, dass sie zu einem nicht mehr wegzudenkenden Teil des Computers geworden ist. Dies hat in keiner Weise etwas mit dem käsefressenden Tier zu tun, allenfalls ähneln sie sich im Aussehen. Die Form und das Kabel können durchaus an eine Maus mit ihrem Schwanz erinnern.

III. III. Das Wesen

Nachdem sich die Untersuchungen nun mit Faktoren und Ursachen beschäftigt haben, kommt an dieser Stelle die Rolle des Wesens in den Vordergrund der Betrachtungen.

Das Wesen des Bedeutungswandels beinhaltet die „assoziationspsychologischen Grundlagen von semantischen Veränderungen“15. Bei den Grundlagen wird zwischen Kontiguität und Similarität unterschieden, welche man jedoch auch nochmals zwischen dem Inhalt und dem Ausdruck unterscheiden kann. Das Schema, dass sich daraus aufstellen lässt, sieht demnach folgender Maßen aus:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.: Blank, Andreas S. 41

Die Metapher spielt in diesem Schema die wohl wichtigste Rolle. Sie ist am bezeichnensten für den Bedeutungswandel.16 Die Rolle der Volksetymologie und der Ellipse, müssen später noch einzeln und ausführlicher untersucht werden, da es dort doch einige grundlegende Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Sprachwissenschaftlern, gibt.

Doch was macht nun die Metapher aus?

Sie ist in der Lage, neue Beziehungen zwischen den Wörtern zu entdecken. So beispielsweise das lateinische Wort musculus ‚Mäuschen’, das zur Metapher ‚Muskel’ wird und aus dem sich zwei Interpretationsmöglichkeiten ableiten lassen. „Zum einen die formale Ähnlichkeit des angespannten Muskels mit einer Maus; zum anderen die Ähnlichkeit der Muskelarbeit beim Laufen und Heben mit den raschen, huschenden Bewegungen einer Maus.“17 Das uns hier vorliegende Phänomen eines Bedeutungswandels, nennt Blank eine „metaphorische Innovation“18.

Die Metonymie hingegen, ist von nicht so großer Relevanz, wie die Metapher. „Sie umfasst Bedeutungswandel aufgrund räumlicher Relationen [...], zeitlicher Berührung [...], sowie Relationen [...].“19 Sie erleichtert es, eine Intuition der Dinge zu bekommen und den Sinn näher zu bringen. Als ein Beispiel für räumliche Relationen, führt Ullmann räumlich aneinandergrenzende Lexeme, wie das lateinische coxa ‚Hüfte’ an, welches an das französische ‚cuisse’ ‚Schenkel’ angrenzt. Auch das Pars pro toto, erwähnt er an dieser Stelle als einen nützlichen Typen der Metonymie. Demnach ist der Begriff la blouse als ‚Schwarzhemd’ zu übersetzen, da die Arbeiterklasse in Frankreich auch ‚blouson noir’ genannt wird. Die Farbe schwarz steht hierbei als Zeichen für harte Arbeit, die die Arbeiter zu leisten haben und da es meistens oder immer Hemden sind, die die Arbeiter tragen, kommt man zu so einem Pars pro toto wie dem ‚blouson noir’. Dies ist ein markanter Begriff, der diese Gruppe Mensch ausmacht und somit spricht nichts dagegen, sie auch danach zu benennen, was kennzeichnend für sie ist.

Interessant an der Metonymie ist auch, dass sie im Unterschied zur Metapher Abstrakta gerne konkretisiert. Die Bezeichnung einer Tätigkeit steht für ihr Produkt, die einer Eigenschaft für Mensch oder Ding, an dem sie in Erscheinung tritt. Bréal nennt dies ‚Bedeutungsverdichtung’.

Témoin, das vom lateinischen ‚testimonio’ ‚Zeugnis’ kommt, bedeutet heute fast ausschließlich ‚Zeuge’.

Doch nun kommt es zu einem eher schwierigeren Fall des Wesens. Die Volksetymologie20. Der Prozess des Bedeutungswandels steckt hier in der lautlichen Ähnlichkeit zweier Worte → Volksetymologie = Namenähnlichkeit. Und warum heißt es eigentlich „Volks“etymologie? Im eigentlichen Sinne handelt es sich hierbei um ein Wesen, das die Gebildeten betrifft und mit dem Volk an sich, hat dieser Terminus nicht all zu viel zu tun - daher scheint es besser zu sein, von dem Begriff der „assoziativen“ Etymologie zu sprechen.21 Forscher, wie zum Beispiel Gilliéron, haben herausgefunden, dass sie doch weiter verbreitet ist in der Sprache, als man eigentlich annimmt. Trotzdem fällt sie aus dem Rahmen dieses auf Seite 11 eingebundenen Schemas, da sie im Vergleich zu den anderen drei Wesensarten kein rhetorisches Mittel ist. Die Volksetymologie lässt sich außerdem noch mal in zwei Gruppen unterteilen. Zum einen in die Gruppe, die aus Worten besteht, bei denen man sich zuerst sehr gut absichern muss und viele Forschungen anstellen muss, um behaupten zu können, dass es sich hierbei um eine Volksetymologie handelt, da es sich eventuell auch „spontan aus dem alten hätte entwickeln können“22 und zum anderen stehen dem die Worte gegenüber, die verschiedene Bedeutungen haben und „völlig zusammenhanglos wirken.“23 Ein Beispiel für die Lautähnlichkeit mit unterschiedlicher Bedeutung ist die sinvluot ‚allumfassende Flut’. Im heutigen Sinne verstehen wir unter Sintflut eine zwar ähnliche Bedeutung des ursprünglichen Wortes, jedoch wird es negativ konotiert. Hier existiert ein Einfluss auf diese Wort durch den Begriff der Sünde. Was vorher also noch der Begriff für eine allgemeine, „normale“ Flut war, ist heute nur noch unter dem Aspekt des Innbegriffs der Sünde zu verstehen.24

Zu der zweiten Gruppe gehört zum Beispiel das französische Wort gazouiller. Auf der einen Seite trägt es die Bedeutung ‚zwitschern, piepsen, plätschern’, auf der anderen aber, kann es auch als Argot benutzt werden und bedeutet dann soviel wie ‚stinken’.25

Den Unterschied zwischen dem Terminus der Etymologie zum einen und dem der Volksetymologie zum anderen, beschreibt J. Orr so: „[...] sie (die Volksetymologie) unterscheidet sich nicht grundsätzlich von ihrer gelehrten Schwester, der Etymologie der Philologen. Lebendiger, ‚operativer’ als diese, schafft sie instinktiv, intuitiv und auf Anhieb das, was diese vorsätzlich und mit einem großen Aufwand an Wälzern und Karteikarten zuwege bringt.“26

Der letzte Aspekt, der an dieser Stelle, als Wesen des Bedeutungswandels behandelt werden muss, ist die Ellipse. Das bedeutet, dass man ein Wort aus einem bestehenden Zusammenhang, einer Redewendung, etc. entfernt, ausgespart und seine Bedeutung überträgt sich damit automatisch auf den verbleibenden Ausdruck. Beispielsweise sagt man ‚un première Lyon’, was vollständig soviel heißen soll, wie ‚un billet de première classe’. Dabei entfällt sowohl das ‚billet de’, als auch die ‚classe’, aber man versteht trotzdem, was der Gegenüber wünscht.27

Nachdem in diesem Kapitel das Wesen des Bedeutungswandels behandelt wurde, folgt hieran nun das Kapitel zu den Folgen. Bis jetzt wurde die Entwicklung des Bedeutungswandels von möglichen, auslösenden Faktoren über die Ursachen desselben hinweg betrachtet. Ist es erst zum Wandel gekommen, kann man diesen auch auf vier verschiedene Arten charakterisieren und das Wesen bestimmen. Aber wie wirkt sich so ein Wandel eigentlich auf die Umwelt und den weiteren Sprachgebrauch aus?

III. IV. Die Folgen

Bedeutungswandel kann unter anderem Bedeutungserweiterung oder -verengung nach sich ziehen oder auch eine Bedeutungsverschlechterung sowie -verbesserung.28 Auch hierzu gibt Blank ein Schema an, dass von Ullmann entwickelt wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.: Blank, Andreas S. 43

Eine Bedeutungsverengung hat man zum Beispiel beim englischen und französischen Wort voyage vorliegen. Die ursprüngliche Bedeutung war ‚Reise’ und reduzierte sich im Laufe der Zeit vor allem in seiner englischen Bedeutung, nur noch auf eine ‚Schiffsreise’. Bedeutungsverengung bedeutet also einen kleinen Anwendungsbereich zu haben, aber der Informationsgehalt der Bedeutung wird ein größerer, als der des Ursprunglexems.29 Aber auch durch Euphenismen, kann es zur Verengung kommen. So ist poison ‚Gift’ auf das Englische potion ‚Trank’ zurückzuführen, wobei der Bedeutung - dem Lexem - nicht anzusehen ist, dass es sich hierbei um einen ‚Giftrtrank’ handelt.30

Bei der Bedeutungserweiterung handelt es sich nun um den umgekehrten Fall. Das Lexem gewinnt an Extension und bekommt einen größeren Anwendungsbereich, jedoch geht der Informationsgehalt verloren. Das französische panier ‚Korb’, kommt vom lateinischen panarium ‚Brotkorb’, das von panis ‚Brot’ abgeleitet ist.31 Das ursprüngliche Wort panarium war noch ein Gegenstand zur speziellen Anwendung. Wie der Name sagt, war es ein Korb, der dafür gedacht war, das Brot hineinzulegen, aber heutzutage ist der vom panarium abstammende panier nur noch ein einfacher Korb, zur Aufbewahrung verschiedenster Sachen und nicht mehr nur von Brot. Das heißt also, dass der Anwendungsbereich sich vergrößert hat, allerdings auch der Informationsgehalt gesunken ist, da man ihn nicht mehr nur auf ‚Brot’ anwenden kann.

Neben der Bedeutungsverengung und -erweiterung, gibt es auch noch die Aspekte der -verschlechterung und -verbesserung. Euphenismen und bestimmte Assoziationen wirken unter anderem auf eine Verschlechterung genauso, wie Vorurteile. Für letzteres ist das ‚Ross’ ein gutes Beispiel.32 In Frankreich existiert das Vorurteil, dass die Übersetzung zu ‚Ross’ rosse, ein ‚alter Klepper’ oder eine ‚Schindmähre’ ist, während man eigentlich ein Pferd ohne besondere Wertung damit meint.

Bedeutungsverbesserungen gibt es erstaunlicher Weise eher selten. Der eigentliche Sinn eines Wortes wird abgemildert und verliert seine Anstößigkeit. Ennuyer, abstammend vom lateinischen in odio esse ‚verhasst sein’33, bedeutet heute nur noch im schlimmsten Fall ‚auf die Nerven gehen ,lästig sein’. Abschließend muss man nun noch bemerken, dass auch dieses System nicht lückenlos anwendbar ist. Blank stellt dabei fest, dass die angegebenen Beispiele für Bedeutungserweiterung und –verengung nicht auf die Wesensmerkmale des Bedeutungswandels zurückzuführen und anwendbar sind. Was für ein Wesen hätte demnach panarium oder voyage ? Man kann diese Begriffe weder mit einer Metapher, noch mit einem Metonym, etc. erklären. Außerdem ist alleine der Begriff Bedeutungsverengung, bzw. -erweiterung eher sehr ungenau. Hier sollte man nach der Auffassung Blanks eher von einer Bezeichnungs verengung, bzw. -erweiterung sprechen, da es in beiden Fällen am meisten den Bezeichnungsrahmen und das -vermögen geht. Genauere Untersuchungen und Argumente, warum man von Bezeichnung anstatt Bedeutung sprechen sollte und worin das Missverständliche und Falsche dieser Begriffe genau steckt, behandelt Blank in einem extra Kapitel, worauf hier jedoch jetzt nicht weiter eingegangen werden soll.34

Insgesamt gesehen ist es doch recht schwer, diese von Ullmann angestellten Untersuchungen so anzunehmen, denn wie man an dieser Arbeit feststellen kann, bleiben fast überall doch Lücken oder sind Überlappungen festzustellen. Abschließend bleibt also nur noch festzustellen, dass Ullamanns Untersuchungen zwar im Ansatz richtig sind, aber jedoch nicht ausgereift und vollständig unter Betrachtung jeglicher Ausnahmen. Leider bringen aber auch andere Sprachwissenschaftler wie Blank oder Klein, keinen Lösungsvorschlag, wie man Ullmanns Forschungen zur Semantik umformulieren könnte. Also bleibt die Frage nach der Genauigkeit und Zuverlässigkeit des Bedeutungswandels und seiner gesamten Aspekte wohl weiterhin offen.

IV. Bibliographie

Forschung:

B l a n k, Andreas: Prinzipien des lexikalischen Bedeutungswandels am Beispiel der romanischen Sprachen. Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. Band 285. Tübingen 1997.

B ußm a n n, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. 2., völlig neubearb. Aufl. Stuttgart 1990

G a u d i n o F a l l e g g e r, Livia: Grundkurs Sprachwissenschaft Französisch. Stuttgart; Düsseldorf; Leipzig 1998

U l l m a n n, Stephen: Semantik. Eine Einführung in die Bedeutungslehre. Frankfurt/M. 1973

[...]


1 Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. 2., völlig neu bearbeitete Aufl. Stuttgart 1990. - Artikel zum Lautwandel

2 Ullmann, Stephen: Semantik. Einführung in die Bedeutungslehre. Frankfurt/M. 1973. S. 121

3 Ebd. S. 122

4 Ebd. S. 124

5 Blank, Andreas: Prinzipien des lexikalischen Bedeutungswandels am Beispiel der romanischen Sprachen. Beiheft zur Zeitschrift für romanische Philologie. Band 285. Tübingen 1997.

6 Euphenismus nach Hadumod Bußmann: [...] beschönigender Ersatz für ein tabuisiertes Wort mit pejorativer Konnotation, z. B. einschlafen, heimgehen für „sterben“ [...]

7 vgl. Blank, Andreas: S. 38

8 Etymologie nach Hadumod Bußmann: „[...] Wissenschaft von der Herkunft, Grundbedeutung und Entwicklung einzelner Wörter sowie von ihrer Verwandtschaft mit Wörtern gleichen Ursprungs in anderen Sprachen. [...]“

9 vgl. Blank, Andreas: S. 39

10 Ebd.

11 Ebd.

12 Ullmann, Stephen: Semantik. Eine Einführung in die Bedeutungslehre. Frankfurt/M. 1973

13 Ebd. S. 250

14 Ebd.

15 vgl. Blank, Andreas S. 40

16 Ebd. S. 41

17 Ebd. S. 163

18 Ebd. S. 165

19 Ebd. S. 42

20 Volksetymologie nach Hadumod Bußman: „Wortbildungsprozeß, der auf einer inhaltlichen Umdeutung und formalen Umformung eines archaistischen, fremdsprachlichen Wortes nach dem Vorbild eines ähnlich klingenden vertrauten Wortes mit ähnlicher Bedeutung beruht. [...]“

21 vgl. Ullmann S. 129

22 Ebd. S. 278

23 Ebd.

24 Ebd. S. 130

25 Ebd. S. 278

26 Ebd. S. 132

27 Ebd. S. 279

28 vgl. Blank S. 43

29 vgl. Ullmann S. 286

30 Ebd. S. 287

31 Ebd. S. 289

32 Ebd. S. 292

33 Ebd. S. 293

34 vgl. Blank S. 193ff

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die historische Semantik am Beispiel des Laut- und Bedeutungswandels
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Die lexikalische Semantik des Französischen
Autor
Jahr
2002
Seiten
18
Katalognummer
V106709
ISBN (eBook)
9783640049844
Dateigröße
445 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Semantik, Beispiel, Laut-, Bedeutungswandels, Semantik, Französischen
Arbeit zitieren
Adrienne Nußbaum (Autor:in), 2002, Die historische Semantik am Beispiel des Laut- und Bedeutungswandels, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106709

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