Koeppen, Wolfgang - Tauben im Gras


Referat / Aufsatz (Schule), 2002

7 Seiten


Leseprobe


Wolfgang Koeppen Tauben im Gras

Wie Tauben im Gras, betrachten gewisse Zivilisationsgesellschaften die Menschen, indem sie sich bemühten, das Sinnlose und scheinbar Zufällige der menschlichen Existenz bloßzustellen, den Menschen frei von Gott zu schildern, um ihn dann frei im Nichts flattern zu lassen, sinnlos, wertlos, frei und von Schlingen bedroht, dem Metzger freigegeben, aber stolz auf die eingebildete, zu nichts als Elend führende Freiheit von Gott und göttlicher Herkunft. Und dabei, sagte Edwin, kenne doch schon jede Taube ihren Schlag und sei jeder Vogel in Gottes Hand.

Die erste kritische Bestandsaufnahme der sich formierenden Bundesrepublik

Schriftstellerische Biografie von Wolfgang Koeppen

Jeder Schriftsteller ist gewissen Umwelteinflüssen ausgesetzt. Dies sind zum einen die gesellschaftlichen, politischen, kulturpolitischen Verhältnisse in dem Land, in dem er wirkt. Andererseits übt die unmittelbare Reaktion auf das Werk - sei dies durch Kritiker, Rezessionen, Leser - einen sichtbaren oder auch nicht sichtbaren Einfluss auf sein Werk aus. Und hierbei klingt nichts für den Autor schriller, alarmierender als das Schweigen. Kein Echo ist hier also auch ein gewaltiges Echo. Publikumserfolg kann aber auch auf außerliterarische Umstände zurückgeführt werden. Wer schreibt will ein Echo hören.

Ein gutes Beispiel für einen Schriftsteller, den beide Einflussfaktoren beeinflusst haben, ist Wolfgang Koeppen. Er wurde 1906 geboren, und war (1961) Verfasser von fünf Romanen, die sich in zwei Zeitabschnitte von insgesamt nur sechs Jahren einteilen lassen können. Der erste Zeitabschnitt umfasst die ersten Jahre des nationalsozialistischen Regimes. Daraufhin folgte, wie für alle Schriftsteller, die Entscheidung: Rückzug, Anpassung oder ein Kompromiss zwischen beidem. Koeppen entschied sich für den Rückzug. Die zweite Zeitperiode seines Schreibens fällt auf die Jahre 1951-1954. In dieser Zeit schrieb er seine Romantrilogie: Tauben im Gras - Das Treibhaus - Tod in Rom . Anstatt wie viele seiner Kollegen, die sich Hemingway als Vorbild wählten, griff er auf Joyce und Faulkner zurück.

In Tauben im Gras attackiert Koeppen die bundesrepublikanische Welt, entdeckt in ihr Kennzeichen, die erst später deutlicher werden. Die Kritiker nahmen den Roman zwar mit Anerkennung auf, aber er befremdete sie auch. Vieles an ihm war ungewöhnlich: die Technik, seine sprachliche Kraft sowie die Aggressivität der gesellschaftlichen Anklage. „Koeppen hat die Düsternis unserer Zeit zum einzigen Ausgangspunkt gewählt“, verlautete ein Kritiker. Auch die Frage: „ Herr Koeppen, wo bleibt das Positive ?“ wurde an ihn gestellt. Aber Koeppen kann eben daher, weil er kühn die Düsternis zum Ausgangspunkt wählte, scharfsinnig die Zeitatmosphäre nachzeichnen.

Alle drei Romane sind getragen vom Willen einer unerbitterlichen Zeitanalyse, einer moralischen Leidenschaft, einer elegischen Tonart, dem Verantwortungsgefühl sowie von bitterem Ernst. Hierbei sollte die künstlerische Leistung nicht ungenannt bleiben, die unkonventionell bleibt.

Auf die ablehnende und - schlimmer noch- schweigende Kritik musste Koeppen sich wieder entscheiden. Diesmal wählte er den Kompromiss. Er schrieb nun Reiseberichte, die hoch gelobt wurde. Hierbei wird man das Gefühl nicht los, dass er eben auch für das, was er nicht schrieb, so hohes Lob empfing.

Koeppen wird also somit von seiner eigentlichen Aufgabe weggedrängt- Der Seitensprung erweist sich für ihn als Seitenpfad. 1961

Zusammenfassung zu Tauben im Gras

In seinem Prosawerk nutzt Koeppen die Möglichkeit der Montagetechnik² von Döblin, den inneren Monolog von Joyce mit einer virtuosen Selbstverständlichkeit. Die Bestandsaufnahme eines Tagesgeschehens im München der Nachkriegszeit in einer mosaikartigen Szenenabfolge. Die Figuren des Romans sind wie die „Tauben im Gras“ gefährdet und Opfer des Zufalls, sie sich zwar frei, aber doch in sich gefangen, in der Gegenwart, in Erinnerungen. Alle sind auf ihre Art verurteilt, auf der Flucht vor einem Dasein, dass ihnen unheimlich erscheint. Knappe, exemplarische Szenen lassen - kaleidoskopartig ineinander geführt sowie assoziativ verbunden- ein sinnlich fülliges Bild der Großstadt und ihrer Gesellschaft entstehen. Die Handlung gewinnt an Gefälle, verdichtet sich auf zwei Schwerpunkte: auf den Vortrag des berühmten Modedichters Edwin sowie auf die biederdeutsche Fröhlichkeit des Brauhauses. Um Mitternacht ist wieder ein Tag, wie viele vergangen, mit Schicksalen wie viele, Menschen, die trotz der Begegnungen einander fremd bleiben. Kennzeichnend ist für den Roman nicht Anklage, sondern Klage. Eine Diagnose und der Versuch von Ortsbestimmung eines Schriftstellers.

Personen

Es gibt hier - im eigentlichem Sinne- keinen einzelnen Helden. Mehr als 30 Personen treten im Roman auf, von denen allerdings nur wenige tief entwickelte Charaktere sind. Nebenpersonen ( wie die Lehrerinnen oder die Lebensmittelverkäuferin) dienen dazu, Beziehungen und Übergänge zwischen den Handlungssträngen herzustellen, sie kommen mit den Hauptfiguren in Beziehung. Koeppen gibt aber nun in manche Figuren Einsicht in ihre Gedanken und Motivationen, so dass sie auch dem Leser näherkommen können.

Philipp

Philipp tritt zum ersten Mal auf, als er aus dem Hotelzimmer kommt, in dem er die Nacht verbracht hat. In seinem Zuhause, dem Haus seiner Ehefrau Emilia, fühlt er sich absolut unwohl. Zudem sind die drastischen Auseinandersetzungen mit ihr der Grund dafür, dass er die Nacht nicht mit ihr verbringt. Philipp ist ein frustrierter Schriftsteller, der nicht mehr in der Lage ist, zu schreiben. ( S. 57 ff.) Man schlägt ihm vor, nicht von dem Geld seiner Frau Emilia abhängig zu bleiben. Doch ist er „zu feige, um Kleister zu verkaufen, zu erhaben um einen Film für Alexander nach dem Geschmack der Leute zu schreiben“. Und den Geschmack der Leute zu ändern, traut er sich nicht zu. Hierbei fühlt er sich in seiner Fähigkeit zum Schreiben stagniert, er fühlt sich als Opfer des Schicksals ( „wenn er den Mund aufmache, ein Zauberwort ausspräche, würden sie losklappern, willige Diener. Doch er wusste das Zauberwort nicht “(S. 59)). Als er Messalinia auf der Treppe antwortet, „es gibt überhaupt keine Hoffnung mehr“, spricht er genau das aus, was für ihn wahr ist, und was ihn quält. Er fühlt sich überflüssig, unfähig und feige ( S. 60).Er ist isoliert, hält sich selbst isoliert von der Gesellschaft ( lässt sich beispielsweise nicht von Messalina einladen). Er ist ein intellektueller Außenseiter.

Nicht nur seine Fähigkeit zum schreiben ist „zugefroren“, sondern auch sein Gefühlsleben(S.236) sowie seine Sinnesempfindung für die Gegenwart ( S.20-22). Und doch scheint er sie zu durchschauen, sieht das Spannungsfeld, welches im Prolog und Epilog dargestellt wird (S. 108) . Es sollte nicht ungenannt bleiben, dass viele Kritiker in Philipp ein Selbstbildnis Koeppens sahen.

Philipp kann beinahe nicht mehr handeln, auch hier wird der Stillstand deutlich: er vermag es einfach nicht, zu schreiben, zu verkaufen, mit Emilia einen neuen, hoffnungsvollen Anfang zu wagen. Mit Emilia lebt er in einer verstörten Ehe, die Doktor Behude sowie auch Messalina als unmöglich ansehen ( S. 48 und S 56). Er sieht seine Liebe und sein Leben zu und mit Emilia als einen Irrweg an, den er nun aber akzeptieren muss „ich habe mich verlaufen“..

Emilia

Emilia ist vor dem Krieg eine reiche Erbin gewesen. Das Haus, was sie und Philipp bewohnen, gehört ihr. Von Philipp erwartet sie einerseits, dass er Wunder vollbringt ( in Form von Ruhm, Reichtum und Sicherheit). Andererseits fürchtet sie den Erfolg, weil sie intuitiv fühlt, dass ihre finanzielle Macht Philipp an sie bindet ( S. 153). Doch nicht nur hier drückt sich Emilias ambivalente Beziehung zu Philipp aus. Einerseits scheint sie ihn zu lieben ( S.38), andererseits hasst sie ihn dafür, dass sie nicht mehr das Leben führen kann, welches sie gerne hätte. Sie fühlt sich „aus der glücklichen Kindheit vertrieben“ ( S.35). Wie ihr Verhältnis zu Philipp ist auch ihre Persönlichkeit gespalten. Gegenüber Menschen ist sie die „böse Emilia“ ( als Mr. Hyde), gegenüber Tieren stellt sie die „gute“ Emilia dar ( Mr. Jekyll). Das böse, wütende Verhalten zeigt sich bei Emilia meist unter Alkoholeinfluss. ( „ber Emilia war ja nicht da, sie war wohl Zuhause und schuf sich aus Schnaps und Wein den fürchterlichen Mr. Hyde“). Ihr widersprüchliches Wesen kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass sie sich einerseits gegen Messalina und ihre Partys sträubt, diese aber am Abend doch besucht (S.234).

Kay

Kay ist eine junge amerikanische Lehrerin, die mit einem Reisebus die Stadt besichtigt. Zudem wird sie am Abend zu dem Vortrag von Edwin gehen, den sie sehr schätzt und verehrt. Sie möchte etwas in der Stadt erleben, und löst sich deshalb von der Gruppe ( S. 55 „ ich müsste unserer Reisegesellschaft entfliehen..“) Sie ist sehr hübsch, was besonders ihre grünen Augen verdeutlichen, die von verschiedenen Personen immer wieder genannt und bewundert werden. Sie möchte möglichst viel erleben, ist lebensdurstig, und strahlt eine jugendhafte Frische aus. Dies lockt besonders Philipp und Emilia an. Kay strahlt eine Freiheit aus, die beide verloren zu haben scheinen: „Kay war frei, sie war ein freier Mensch, unbewusster als Emilia, vielleicht umso selbstverständlicher frei,(S.167). Dies bewegt Emilia dazu, ihr den Schmuck zu schenken.

Kay möchte unbedingt einen deutschen Dichter kennen lernen, für die sie mit aufrichtigem Gefühl schwärmt. Sie wird sowohl von Edwin ( „ Edwin wollte mich nicht verführen[...], aber Edwins Vortrag war langweilig), S.231) wie auch von Philipp enttäuscht.

Odysseus

Odysseus ist ein schwarzer Amerikaner, der die Stadt besichtigt. Sein Name trägt ein Programm in sich. Wie Odysseus irrt er in der Stadt umher ( Odysseus hatte sich auf dem Weg nach Hause von Troja verirrt), auch er erlebt Abenteuer ( die Begegnung mit Susanne, mit Josef). Und doch lässt er den Scharfsinn und die Klugheit von Odysseus missen. Beispielsweise merkt er nicht, als Susanne ihn bestiehlt.( S. 169). Odysseus könnte als Gegenbild für Philipp gelten, er bewegt sich, ist aktiv, er handelt. Die Ereignisse spielen sich um ihn herum ab ( wie der Tod von Josef (S.171)). Die Musik, die aus dem Kofferradio kommt, begleitet ihn ständig. Dies nutzt Koeppen, um assoziative Verbindungen herzustellen ( wie ( S. 63). Zudem dient es als Erinnerung daran, dass Odysseus aus einer fremden Welt kommt, die nun in München eindringt.

Josef

Josef ist der Gepäckträger vom Bahnhof, der eben den Musikkoffer für Odysseus trägt. Er ist ihm gegenüber loyal und pflichtbewusst, obwohl er sich zeitweise vor ihm fürchtet(S.120). Bei dem Baseballspiel ahnt er seinen Tod voraus ( (S.141), der dann auch eintritt ( S. 171). Für den Leser sind Odysseus und Josef wesentlich, da sie immer wieder von den unter dem Krieg bzw. den gegenwärtigen Umständen leidenden Figuren wegführen, und eine Art „ Stadtführung“ steuern.

Frau Behrend

Frau Behrend wirkt in Koeppens Roman von vorneherein unsympathisch. Sie hängt der Vergangenheit nach, in der sie hoch angesehen und (glücklich) verheiratet war. Sie hält klischeehafte Romane und Gerüchte für lebenswirklicher als die Realität, die ihr nur Trauriges, „Abscheuliches“ bietet ( wie dass ihr Mann sie verließ und Carla von einem Schwarzen ein Kind erwartet). Hierin zeigt sich, wie einfach sie gestrickt ist. Sie prüft nicht die Meinung, die sie sich bildet, sondern vertritt diese heftig, auch zum Schaden ihrer eigenen Tochter.(S.125)

Carla

Carla tritt zum ersten Mal auf, als sie auf dem Weg zum Arzt ist, der ihr das ungeborene Kind nehmen soll. ( S. 49). Bevor sie sich mit Washington zusammentat, befand sie sich in einer äußerst schwierigen Situation, da sie sich und ihren Sohn ernähren musste. Mit Washington veränderte sich dies, und sie begann, durch die amerikanischen Magazine angeregt, von einem bequemeren, annehmlicheren Leben zu träumen. Das Kind kam ihr hier in den Weg. Es wird deutlich, dass Carla nicht fähig dazu scheint, Washington zu lieben. Vielmehr bleibt sie ihm treu aus Pflichtgefühl und sieht ihn als „Mittel zum Zweck“, um ihre Tagträume zu verwirklichen.

Washington

Washington ist ein schwarzer amerikanischer Soldat, der in München stationiert ist. Man könnte durchaus sagen, dass er den einzig positiven Charakter des Romans verkörpert. Dies liegt darin begründet, dass er trotz der Schwierigkeiten, die an ihn herantreten, nicht zu hoffen und zu träumen aufhört. Hierbei zeigt er eine große Fürsorge für Carla, die er aufrichtig zu lieben scheint ( S. 173). Obwohl er die Situation durchschaut, die eine Beziehung zwischen Schwarzen und Weißen nahezu unmöglich macht, stellt er mit seinem Traum von einem Restaurant mit der Aufschrift „ Niemand ist unerwünscht“ einen Strahl der Hoffnung in Koeppens Roman dar. Auch hier enthält der Name Verknüpfungen mit Washington, dem ersten Präsidenten der USA. Dieser formulierte die Menschenrechte, in denen jeder Mensch als frei und gleich angesehen wird.

Edwin

Edwin ist ein philosophischer Dichter, der in der Stadt eine Rede halten soll. Für ihn bedeutet die Rede eine intellektuelle Begebenheit, für die meisten seiner Zuschauer stellt sie aber ein gesellschaftliches Fest dar. ( S.196 ff.) Edwin ist hier abhängig von der Technik, weiß sich ohne das Mikrofon nicht zu helfen. Dies könnte darauf hindeuten, dass er den direkten, unmittelbaren Kontakt mit seinem Publikum fürchtet, da er intuitiv fühlt, dass er eigentlich mit leeren Händen dasteht. Als er nachts seinen homosexuellen Neigungen nachgeht, wird er von einer Jungenbande angegriffen.

Weitere Figuren

- Richard ( ein junger Amerikaner, verwandt mit Frau Behrend)
- Doktor Behude ( Psychiater von Philipp, angetan von Emilia)
- Alexander und Messalina ( Ehepaar, er ist ein gefeierter Schauspier, sie sein „lustwütiges Weib“ - beide stehen einer Leere, einem Nichts gegenüber und gehen damit auf verschiedene Weise um. Alexander versucht diese durch Schlafen zu verdrängen, Messalina führt ein exzessives Partyleben)
- Susanne ( Sirene ( Sirenen locken Schiffsfahrer, um sie zu töten ~Susanne lockt Odysseus, um ihn zu berauben)), eine Prostituierte
- Christopher mit Ezra ~ Heinz ( Carlas Sohn), beide streiten um den Hund
- Emmi und Hillegonda ( Emmi ist das Kindermädchen von der Tochter von Messalina und Alexander, sie ist gottesfürchtig und möchte Hillegonda „ zu Gott bringen“)

Handlung

Die Figuren wirken in Koeppens Prosawerk wie Schauspieler, die ohne Drehbuch spielen. Koeppen berichtet hier von Vorgängen an einem bestimmten Tag in einer bestimmte Stadt, ende Februar 1951. Das, was geschieht, ist nicht unbedingt Vergangenheitsbewältigung. Vielmehr versuchen die Figuren, die Gegenwart zu bezwingen. Die Menschen kommen mit der heutigen Welt nicht zurecht ( aus verschiedenen Gründen, bei Frau Behrend ist das beispielsweise die Wut auf Carla und ihren Mann). Sie suchen zum Teil Zuflucht in alternative Weltsphären. Dies wird besonders an der Onanie-Szene von Emilia deutlich. Die Träume, Erinnerungen und Wunschgedanken spielen eine große Rolle. Dabei sind sie wohl eher fataler Realitätsersatz als aufbauender Trost. ( Frau Behrend sieht die Wirklichkeit etwa in Romanen, im Kino usw.). Der Erzähler hat im Roman am ehesten die Funktion einer Kamera, die aber nicht an der Oberfläche haften bleibt, sondern auch in das Privat- und Innenleben der Protagonisten Einblick gewährt. Die Montagetechnik, die aus frühen filmen stammt, bleibt bei Koeppen fixiert, beleuchtet also beispielsweise eine Straßenecke, von der aus einer Figur aber nicht lange folgt. Zu Ende des Romans verdichtet sich die Atmosphäre, es kommt zu drei Angriffen :

1. Der Angriff auf Josef, der ( mit großer Wahrscheinlichkeit) unter den Steinschlägen von Odysseus stirbt
2. Der Angriff auf Edwin in der Nacht, mit dem der Roman auch schließt
3. Der Angriff auf den Negerclub, wo die Menge Steine auf Carla, Washington und schließlich Heinz wirft.

Themen

Zum einen ist dies das Bild des Chaos, das von Koeppen entworfen wird. Die Menschen verlieren die Kontrolle über die Welt selbst. Die Gesellschaft, die im Roman dargestellt wird, ist chaotisch: zusammenhanglos, haltlos ( wie Richard das ausdrückt) leben sie nebeneinander her. Die Menschen treffen sich zwar noch, doch ihre Beziehung hat an Tiefe, an Grund verloren, ist fast absurd geworden ( wie bei Carla und ihrer Mutter).

Auch das Städtebild ist chaotisch und halbzerstört. Diese Unordnung spiegelt das wider, was im Innenleben der Personen durcheinander geraten ist, nicht mehr beherrscht wird: es ist der Verlust an Sicherheit ( Spannungsfeld, siehe Prolog, Epilog) und Perspektive. „ Was Koeppen wirklich fokusiert, ist das psychische Desaster..“.

Diese Verwirrung tut sich auch dem Leser auf, der nicht immer den Zeitabläufen folgen kann. Die Figuren befinden sich in einer Wendezeit, die Vergangenheit ist noch nah, noch verletzt sie, die Zukunft scheint fern. In dieser Übergangsperiode versuchen viele Personen, dieser Zeit zu entfliehen, sei es durch Sex ( Susanne, Messalina, auch Emilia mit Onanie), durch Alkohol ( Doktor Behude, Emilia), Drogen, Schlaf ( Alexander). Und doch bleiben sie der Gegenwart verbunden und verzweifeln fast daran. Es spricht für viele der Figuren, wenn über Carla gesagt wird: „ Sie lebt ihr Leben nicht, sie leidet es nur.“

Der Faschismus stellt ein weiteres Thema im Roman dar. Einige Bemerkungen über das 3. Reich und Hitler wirken beunruhigend, da sie sehr ehrlich und direkt sind ( Doktor Behude: Si haben wieder Oberwasser. Was auch geschieht, es treibt sie immer wieder nach oben.“) Für Koeppen bleibt der Faschismus wegen der antidemokratischen Haltung vieler Deutscher immer eine Gefahr. Der Faschismus führt zur Angst, zu Verfremdung und schließlich auch zu Gewalt ( als Beispiel für die Tendenz: die Gruppe vor dem Negerclub, die bereit ist, Gewalt gegen die Andersartigen anzuwenden). Der Rassismus erscheint im Roman aber auch in Beziehung zu den schwarzen Soldaten. Somit stellt er ein internationales, und auch rein menschliches „Phänomen“ dar. Washingtons Wunsch, ein Restaurant zu gründen mit der Schrift „ Niemand ist unerwünscht“ zeigt, von welcher umfassenden Natur der Rassismus ist, vielleicht auch als ein unüberwindbares Problem.

Eine weitere Thematik, die in Tauben im Gras behandelt wird, ist die Lieblosigkeit der Figuren. Fast alle scheinen unter einem Mangel an Liebe zu leiden. Auch Philipp und Emilia, die sich recht gerne haben und sich sehr gut kennen, scheinen sich nicht in der Tat zu lieben. Carla sieht das Kind nicht als ein Geschöpf der Leibe, sondern des Nicht-Alleinsein-Wollens an. Emilia äußert sich dazu, indem sie jede Beziehung als blöd erklärt. Ein Satz, den fast jede Figur des Romans sprechen könnte. Washington bildet hier eine Ausnahme. Er liebt Carla, und auch das Ungeborene - trotz aller Schwierigkeiten, die ihnen im Weg stehen. Er bringt, wie oben schon erwähnt, ein wenig Hoffnung in die sonst so trostlose Welt. „ Mit den und anderen Charakteren scheint Koeppen zu zeigen, dass Liebe unmöglich ist. Mit Washington zeigt er, dass Liebe schwer, ja fast aussichtslos ist, aber nicht unmöglich“.

Auch die Religion kommt in dem Roman zum Ausdruck. Diese wird in einem höchst negativem Licht dargestellt, was Hillegonda und Emmi betrifft. Der Christentum ( bzw. die Kirche) lehren das Mädchen, sich zu hassen. Sie verstören ängstigen das Mädchen.

Die Stilistik

Der Roman besteht aus einer bemerkenswert komplexen Struktur ( es liegen 105 Abschnitte vor). Die verschiedenen Erzähltechniken führen dazu, dass sich der Ansichtpunkt des Erzählers immer wieder verändert.

Die wechselnden Ansichtspunkte stellen eine Verbindung zwischen der Form und dem Inhalt her. Der Leser muss sich immer wieder aufs Neue zurechtfinden. Eine bemerkenswerte Art von Koeppen, um den Leser das spüren zu lassen , was seine Figuren empfinden: Genau so hin- und hergezogen zwischen Verbindung von Spannung und Isolation beim Lesen fühlen sich die Personen in der Gesellschaft. Mal herrscht eine enger Bezug zu einem der Charaktere, dass ist man wieder isoliert, verirrt sich, es kommt zu keinem Bezug zu der geschaffenen Welt.

Die Montagetechnik wird- wie schon oben genannt- zu einem wesentlichen Stilmittel des Romans. Immer wieder kehren die Figuren innerhalb des Tages zu den selben Orten zurück ( wie bei Philipp: er wacht im Hotel auf, trifft später Edwin im Hotel, und führt Kay in ein Hotelzimmer). Die Sprach selbst, die Koeppen benützt, verbindet die Menschen und ihre Erfahrungen. ( zum Beispiel die grüne Ampel). Mit den Widerholungen kann der Leser feststellen, wie und wo sich die Figuren befinden. Mit den Wiederholungen werden auch einzelne Szenen miteinander verbunden, und Abschnitte, die durchtrennt sind, werden durch diese sprachlichen Erinnerungen zusammengeschlossen.

Auch verschiedene Orte und Gegenstände werden als Verbindungen eingesetzt. Hierbei wählt Koeppen Orte, wo zwar viel Menschen aufeinander treffen, sich aber nicht sehen ( zum Beispiel Ampel, Brauhaus oder Vortrag).Der Erzähler nutzt dies als Überleitung. Auch der Schmuck beispielsweise dient als Übergangs- und Verknüpfungspunkt.

Koeppen hat aber noch eine weitere Art der Verbindung gefunden: innerhalb der Szenen liegt eine Ringstruktur vor, das heißt, dass die Anfangsbeschreibung mit dem Bild am Ende der Sequenz verglichen oder verknüpft wird. ( Stehausschank. Zu Anfang, Wahl des Stehausschanks, zu Ende Reue über den falschen Stehausschank ~ Dr. Behude, s. 186). Dieser Zusammenhang führt zum Gefühl der Gleichheit. Das Geschehen des Augenblicks, das erlebte Jetzt beherrscht die Einleitung und den Schluss. Dazwischen liegen die Träume, Erinnerungen und Hoffnungen der Figuren. Somit wird entscheidendes nicht ausgesprochen, es passiert auch nicht in allen Fällen, es wird einfach nur genannt ( Philipps Begegnung mit Edwin). Dies gilt auch für den Prolog und Epilog des Romans, die mit einander zu vergleichen sind und somit einen Rahmen herstellen, der den Tag umschließt.

Das Ende des Romans bringt also keine Veränderungen, weder für die meisten der Figuren noch für Deutschland an sich. Das geschilderte Bild wird aber schärfer eingestellt, was den Leser durch die Wiederholung umso mehr beeindruckt. Dies sind auch die einzigen Abschnitte, die keine Figur durchkreuzt.

In seinem Prosawerk benutzt Koeppen viele verschiedenen Sprachebenen, die ganz natürlich auftauchen, da sie zu den jeweiligen Personen passen ( Edwin und Philipp ~ gebildete, intellektuelle Menschen auf einem Niveau)- ( Odysseus und Susanne eher umgangssprachliches, derbes Deutsch). Die Schlagzeilen bilden eine weitere Sprachebene, die „ wie Blitzlichter das Geschehen erhellen, und auf die geschichtliche Stunde zurückweisen.“

Um einen Einblick in seine Figuren zu erlauben, setzt Koeppen folgende Stilmittel ein

1. Bewusstseinsstrom, der alle möglichen Gedanken ohne Kohärenz in Reihenfolge und Grammatik enthält, Schilderung der Mentalität der Person
2. erlebte Rede: Koeppen drückt das in geschriebene Worte aus, was direkt in den Köpfen der Figur vor sich geht
3. innerer Dialog: manchmal sagen die Figuren nichts, es wird aber doch etwas vermittelt, von dem der eine zu wissen scheint, was in dem anderen vorgeht.( Carla, ihre Mutter in dem Domkaffee)

Weitere Stilmittel wären: Häufung von Wörtern, die eine Sequenz fülliger, dichter, atmosphärischer gestalten, Trias, antithetische Zweiheit, die den Leser zum Mitdenken, entscheiden auffordern. Das gleiche gilt für die unbeantworteten Fragen, welche sie die Protagonisten oft stellen. Ellipsen, welche eine dynamische Wirkung haben.

Eigener Standpunkt

Bevor ich wusste, wie die damalige Kritik auf den Roman reagierte, fand ich ihn zwar interessant, aber nicht beeindruckend. Das änderte sich, umso mehr ich mich mit ihm und seiner Problematik auseinander setzte. Mir ist nun bewusst, dass Koeppen zu der Zeit, wo der Roman veröffentlicht wurde, vorausschauend und mutig gehandelt hat. Die unüberhörbare Kritik seines Romans, auch an das „Wirtschaftswunder“, an den aufkommenden Glauben an bessere Zeiten, welche die Vergangenheit bezwingen, imponierte mir. Der Roman ist einfach eine Bestandsaufnahme, keine Interpretation der damaligen Zeit. Sicherlich hat Koeppen den Enthusiasmus bewusst ausgeklammert, sogar offen kritisiert ( die echten falschen Gefühle des Kinos, das verdammte Schlachtfeld, das niemand sehen will). Und doch bleibt der Roman nicht hoffnungslos. Ich fand es sehr wesentlich, dass Washington als Schwarzer die positiven Eigenschaften zugeordnet wurden, ohne gegenteilig alle Schwarzen als „gut“ darzustellen ( schließlich bringt Odysseus Josef um). Es war eine gute Entscheidung, den Roman als Sternchenthema des diesjährigen Abiturs zu wählen. Bleibt uns doch die damalige Situation oft verschlossen. Auch die heutige Situation, die Spannungen auf der Welt, die unter anderem eine kritische Auseinandersetzung mit der USA erfordern, lässt den Roman als sinnvoll erscheinen. Nicht, weil er aufbauende Lösungsvorschläge bietet, sondern als Grundlage für eigene Überlegungen zum Weltgeschehen. Hierbei kann auch die Bedeutung des Intellekts hinterfragt werden. Washington als nicht-intellektueller erscheint doch lebendiger, glücklicher als Philipp, der in sich selbst stecken zu bleiben scheint

Ende der Leseprobe aus 7 Seiten

Details

Titel
Koeppen, Wolfgang - Tauben im Gras
Autor
Jahr
2002
Seiten
7
Katalognummer
V106253
ISBN (eBook)
9783640045327
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ich würde mich über positive wie auch negative Kritik sehr freuen! Danke!
Schlagworte
Koeppen, Abitur, Thema Tauben im Gras
Arbeit zitieren
Eva Berger (Autor:in), 2002, Koeppen, Wolfgang - Tauben im Gras, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106253

Kommentare

  • Horst Falk am 30.11.2010

    danke!

  • Gast am 21.2.2010

    sehr präzise und wortgewaltig analysiert , 15 Punkte

  • Gast am 13.11.2008

    klasse.

    schön geworden, danke ;-)

Blick ins Buch
Titel: Koeppen, Wolfgang - Tauben im Gras



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