Der Expressionismus Aufbruch und Zusammenbruch einer Illusion


Referat / Aufsatz (Schule), 2001

6 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Der Expressionismus - Aufbruch und Zusammenbruch

einer Illusion

„Der Expressionismus selbst ist keine einheitliche, sondern eine höchst widerspruchsvolle Bewegung.“

„Der E. ist eine Revolution (...) Im Impressionismus hatten sich Welt und Ich, Innen und Außen, zu einem Gleichklang verbunden. Im E. überflutet das Ich die Welt. So gibt es kein Außen mehr: Der Expressionist verwirklicht die Kunst auf eine bisher unerwartete Weise.“ (P. Hatvani, „ Versuchüber den Expressionismus.“ In: Die Aktion 7, 1917)

Der Begriff des E. wurde 1911 von Kurt Hiller geprägt. Dieser umfasst die innovativen Literaturströmungen zwischen 1910 und 1925. Die Epoche in der Zeit bis 1914 ist der Frühexpressionismus. Ein Merkmal, was die für die neuen Strömungen kennzeichnend war, ist der Versuch, sich von der Wirklichkeitsspiegelung des Naturalismus`, der Seelenanalyse des Impressionismus`, dem Ästhetizismus des Jugendstiles und der Neuromantik abzugrenzen. Philosophische Wegbereiter der Epoche waren v. a. F. Nietzsche, Sigmund Freud (Traumdeutung um 1900) und A. Einstein mit seiner aufgestellten Relativitätstheorie.

Als Wegbereiter des literarischen E. gelten besonders Alfred Mombert und Theodor Däubler, die den Menschen wieder als Urgeschöpf, die Welt nicht mehr als Geschichte, sondern als und im Dichter den Gestalter einer neuen Welt sahen.

Im Mittelpunkt der expressionistischen Lyrik stand die Auseinandersetzung mit dem Zustand der bürgerlichen Gesellschaft und dem eigenen Dasein.

So lassen viele Schriftsteller das lyrische „Ich“, das im E. oftmals in ein lyrisches „Wir“ übergeht, eine direkte und schroffe Zivilisationskritik üben, in dem beispielsweise die negativen Auswirkungen der Industrialisierung kritisierten. V. a. aber thematisierten den Identitätsverlust des Individuums, die IchZerrissenheit, das Problem von Machtmechanismen (Vater-Sohn-Konflikt, sex. Besessenheit) und hauptsächlich die Monotonie des Einzelnen im zerrissenen Großstadtleben.

Diese „Großstadt“ war nicht mehr wie zu Th. Storms Zeiten „eine kleine Stadt am Meer“, sondern neu und tobend, anziehend und abstoßend zugleich.

Epochengedanke\ Weltbild an einigen Beispielen:

Die expressionistische Lyrik ist jedoch recht widersprüchlich in ihrer Anschauung des Zukünftigen und seiner Grundstimmung. Sie ist nicht nur erfüllt von „Aufbruchstimmung“, vom Ruf nach dem „kommenden Menschen“. Nicht weniger stark ist der Ton unüberwindlicher Schwermut und Todesangst. ( Die Vorausahnung des nahenden Untergangs entgegen der Hoffnung auf Erneuerung.)

Dabei lässt sich auf Georg Heym und Georg Trakl verweisen, die zu den bedeutendsten Vertretern dieser Zeit gehören. Die Bildsprache beider Gedichtwerke hat einen deutlichen apokalyptischen Unterton. > G. Heym:„Der Gott der Stadt“

Denken und Gefühl dieser Dichter wird überschattet von kommender Bedrohung und williger Hingabe an den Tod.

Dichter, die mehr oder weniger von der Welt weg streben und in die Innenwelt des Menschen flüchten, sind beispielsweise Franz Werfel („Und es stirbt, womit wir uns verbinden.“), Kurt Heynicke und Else Lasker-Schüler, die die Thematik mit den Worten „den Wirrwarr“ endend, „meinwärts“ zu entfliehen, formuliert.

Ihre Suche ist bestimmt von einem an- und abklingenden Glauben an die soziale Gesellschaftsordnung und ihr Ziel ist dabei, einen neuen Gott zu finden.

Allgemein ist der Grundton der meisten expressionistischen Dichter humanistisch und menschenfreundlich.

Die berühmte Ausnahme bildet hier der Dichter Gottfried Benn, auch als „Außenseiter“ des E.

bekannt. Anstelle von hymnisch lebensbejahenden oder todverfallenen Versen tritt in seinem Frühwerk der kalte Zynismus. So schrieb er: „Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch.“>

G. Benn:„Kleine Aster“

Was bei anderen Dichtern die weltanschauliche Ausweglosigkeit, ist bei Benn pure Menschenverachtung. Der Mensch erscheint in seiner Dichtung oft erst im Stadium der Verwesung seiner physischen Substanz.

Kurzer biographischer Einblick:

(1886-1956)

Während Dichter wie Trakl und Kafka ihre Einsamkeit still ertrugen, entwickelte der Pastorssohn und Berliner Arzt eine äußerst polemische Vortragsweise seiner Egozentrik, die zu dem ziemlich radikal und makaber war.

Bevor Benn als Militärarzt in beiden Weltkriegen eingesetzt wurde, war er Fachmediziner für Hautund Geschlechtskrankheiten.

Nicht umsonst fragt man sich, wie ein Mensch solche gedanklichen Bilder von toten oder dahinvegetierenden Menschen entwickeln kann.

Der Krieg verstärkte diesen Ekel vor der animalischen Natur des Menschen nur noch mehr. > S. 370

Für die Expressionisten waren die drückenden Verhältnisse zum einen ein sozialtechnisch lösbares Problem. Zum anderen sahen sie in der Demütigung des Einzelmenschen die Verkümmerung von Geist und Seele des Individuums schlechthin.

So weist der Dichter Paul Zech auf den allmählichen Verfall des Menschlichen hin. Es fehle der Lebenshauch. > “bleiche Mädchen“, in einer Fabrik arbeitend, „schon zu reif für Traum und Träne (...) an den Schwielen Wucherung verschollener Pläne (...)“;>“blasser Krüppel“

Trotzdem die meisten jungen Dichter wie Johannes R. Becher selbst bürgerlicher Herkunft waren, fühlten sie sich als Ausgestoßene der Gesellschaft.

„Ich nasser Docht, der niemals Feuer fängt“

Auf die prestige- und machtsüchtige Bürgerwelt antwortend, schrieben Dichter wie Albert Ehrenstein:

„Und ob die großen Automobile sausen

Aeroplane im Aether sausen

Es fehlt dem Menschen die stete,

welterschütternde Kraft.

Er ist wie Schleim, gespuckt auf eine Schiene.“

Mit Versen wie diesen ernteten die Expressionisten natürlichen nichts als maßlose Entrüstungen in Reihen der bürgerlichen Gesellschaft. Entgegen den Dichtern visionierte das naive Publikum von der mühelosen Karriere, der andauernden Gesundheit und dem schmerzlosen Schönen.

Trotz der vielen Widersprüche und der Gegensätzlichkeit in den Gedankengängen und Werken der expressionistischen Schriftsteller, verband sie jedoch alle ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl, das gemeinsamen sozialen und ideologischen Voraussetzungen zugrunde lag.

Die Vertreter:

- G. Benn, G, Trakl, G, Heym, P. Zech, E. L.-Schüler, E. Stadler, Alfred Lichtenstein, A.

Wolfenstein, Karl Otten, F. Werfel, J. R. Becher...

-Kafka von einigen auch dazu; übte jedoch selbst Kritik an Bewegung d. E.

Die pol. Haltung der zahlreichen Dichter war schon zur Entstehungszeit der Gedichte nicht einheitlich. So verlaufen sich ihre Entwicklungen in den späteren Jahrzehnten in verschiedene, ja beinahe gegensätzliche Richtungen.

Ein Teil lässt sich in der Zeit nach 1912 von pol. utopischen Vorstellungen tolstoischer Prägung leiten, so v. a.: Walter Hasenclever, Ludwig Rubiner, Réne Schickele und Karl Otten. Ihr zentrales Motiv war „der aktivistische Mensch, der sich den Weg ins Reich der Gewaltlosigkeit bahnt.“

Die gleiche Tendenz, jedoch von anderen Gedankengängen durchzogen, spürt man auch im Frühwerk von J. R. Becher und Rudolf Leonhard. Diese schließen sich später der revolutionären Arbeiterklasse an und werden zu den bedeutendsten Repräsentanten der sozial. Literatur.

Die expressionistische Dichtung und Gott:

Nach dem ersten Weltkrieg wandten sich viele expr. Künstler religiösen Themen zu.

Neben exzentrischen Holzschnitten vom Abbild Jesu, suchte auch der literarische Geist, die Dichter des E., sich in sehnsuchtsvollen Versen mit der Thematik auseinander zusetzen. >E. L.-Schüler:“An Gott“ S.210

Ihre „Hebräischen Balladen“ zählen zu den bedeutendsten Dokumenten religiöser Dichtung. Ihre Aussagen liegen in der Rückbesinnung auf den ererbten jüdischen Glauben. Auch der Jude Iwan Goll kleidet seinen Existenzschmerz in appellierende Worte an Gott: „(...) keine Heimat: durch Schicksal Jude, durch Zufall in Frankreich geboren, durch ein Stempelpapier als Deutscher bezeichnet(...)“

O Herr, dass du mich ausbrennst

Wie lebenden Kalk brütenden Staub

Dass du mich adelst zur Nessel

Und meinen Schmerz versteinerst im Fels.

Hier gab es jedoch auch unterschiedliche Haltungen zu dem Glauben an einen Gott.

So ist Gott bspw. für das zerrissene Ich, wie G. Benn es darstellt, wörtlich tot. In der Zeit des Trümmerhaufens Weltgeschichte und sämtlicher lexikalischer Reste und Wortfetzen, ist das Ich der einsame Gott, der sich jeglicher Kommunikation entledigt.

Sprache:

Zu den Auffälligkeiten der expressiven Sprachgestaltung ist auf jeden Fall die Rückkehr zur Bildlichkeit zu nennen. Diese wirkt noch von den frz. Symbolisten und den Impressionisten nach und ist durch die donnernde, expressive Wortwahl noch viel intensiverer Wirkung. So werden Sinnbilder je nach Gedankengang des Autors nicht mehr nach traditionellen Mustern umschrieben, sondern erscheinen oftmals in verzerrter apokalyptischer Darstellung. Diese sind meist nicht ausschweifend, sondern in enorm gestrafften Ellipsen formuliert, das die Wirkung dessen verstärkt. Das ist besonders bei G. Trakl zu beobachten.

Von den Formulierungen der Gefühlslyrik abgewandt, war nun eine extreme, provozierende Wortwahl das Werkzeug der Schriftsteller. An die Stelle von euphemistischen Umschreibungen alter, traditioneller Motive tritt das direkte, düstere Wort. So betitelte G. Heym den guten, stillen Mond höhnisch als einen „Henker, vor der Wolken Block“, den nach Blut hungere. Alfred Lichtenstein entfremdete das idyllische Landschaftsbild mit den Worten: „zerlumpte Bäume strolchen in der Ferne, betrunkene Wiesen drehen sich im Kreise.“ Diese Verfahrensweise wird als „die expressive Deformation“ der Sprache bezeichnet.

Ein weiteres Merkmal ist auch die auffallende Unverbundenheit der Metaphern, die dem Gegenüberstehen der Farben im E. und der Instrumente in der Musik entsprach. > Dies war ein Ausdruck versagter Kommunikation, wie sie die Expressionisten damals sahen.

So folgen in einem von Trakls Herbstgedichten auf den Versteil „Sonne, herbstlich dünn und zag (...)“ plötzlich die Worte „Sterbeklänge von Metall\ und ein weißes Tier bricht nieder (...)“.

Die Wirkung war grell, ausdrucksstark, explosiv und rauschhaft.

Mit ihren Assoziationen, Bildern, Fantasien und Träumen zerstörten sie die gewohnte realistische und impressionistische Vorstellung von Raum und Zeit.

Mit ihrer zerrissenen Syntax, mit der sie konsequent einen Weg suchten, sich von alten Konventionen abzuwenden, und der ausdrucksstarken Wortwahl verübten sie eine völlig neue Art der Offenheit, in dem sie den Blick auf die verborgensten, menschlichen Fantasien lenkten.

Mit einer bisher ungewohnten Schroffheit und Absolutheit in der bürgerlichen Literatur betrachteten die Schriftsteller die bürgerliche Gesellschaft in einer Krise als instabil und bedroht. Gängige poetische Verfahrensweisen waren die Allegorie, die Bildverdichtung und die Typisierung, Komposita, Nominalverbindungen...>S. 72\73

- das Emblem: einmal definiertes Versatzstück, das dann in einen beliebigen Bildbezug hineingestellt, sich seinen Kontext selbst schafft;
- bei Heym: Stadt-, Tod- und Kriegschiffren
- bei Trakl: Nacht, Dunkel, Abend, Sterne
- Reihungstechnik bei Hoddis
- Überschreiten grammatischer Regulitäten
- Fehlen des lyr. Ich: schafft Distanz in der Darstellung
- Übermächtige, mythisierte Personifikation der zu erfassenden Umwelt
- Einzelne, klare Gestalten verschwimmen in Namen- und Konturlosigkeit

(redukte Neologismen)

Ereignisse in Wirtschaft und Gesellschaft:

- Das Wilhelminische Kaiserreich gewann zunehmend an wirtschaftlicher Stärke und daraus resultierte in den Jahren nach 1910 eine unverkennbare Strategie der Aufrüstung und der militärischen Machtdemonstration.

- Zudem erlebte die Waffen produzierende Schwerindustrie eine Hochkonjunktur.

- Die Menschen, das Volk, empfanden Stolz beim Gedanken daran, Untertan zu sein und der Obrigkeit Folge leisten zu dürfen. Diese ergriff sobald alle Teile des privaten und öffentlichen Lebens.

- Industrie und Technik entwickelten sich in der Zeit rasant:

- Erfindung des Kinematographen, die zu einer Frühform des Films führte.

Diese Entwicklung hatte einen immensen Einfluss auf Kunst und Kultur, aber auch auf das Leben in der Stadt.

- Zu dem Zeitpunkt fanden auch in der Bevölkerung strukturelle Veränderungen statt, was auf die wachsende Mobilität zurückzuführen ist.

- Trotz der Euphorie über die neue Technologie und den Fortschritt war die Atmosphäre erfüllt von existenzieller Unsicherheit

- Ein Naturereignis, das die ohnehin beunruhigten Menschen aufhorchen ließ (besonders die, die abergläubisch waren), war das Auftauchen des Halleyschen Kometen, der als warnendes Himmelszeichen verstanden wurde. Immerhin bestand ja die Ahnung eines möglichen Krieges und so machte sich allmählich die Angst vor einer drohenden Katastrophe breit.
- Das mit bekannteste Unglück dieser Zeit war der Untergang der Titanic um 1912. Die Menschen verloren kurzzeitig das Vertrauen und den Glauben an die technische Vollkommenheit und den Ausdruck menschlicher Schaffenskraft.

Reaktionen:

Im Hinblick auf die heftigen Reaktionen zur damaligen Zeit der Veröffentlichungen, hat sich die Wirkungsweise auf den Leser stark verändert.

Mittel, wie der Traditionsbruch, die Satzbauzertrümmerung und die Entfesselung der Metapher schockieren heute kaum noch jemanden.

Die heutige Lesergeneration von heute hat meiner Meinung nach auch eine völlig andere Haltung zu dem damaligen Verlangen nach Freiheit und Auflehnung gegen festgefahrene Gesellschaftssysteme. Dagegen berührt die Lyrik nach wie vor mit der tiefen Sehnsucht nach einer besseren Welt, nach einem neuen besseren Menschen.

„Niemals in der Weltdichtung Scholl so laut, zerreißend und aufrüttelnd Schrei, Sturz und Sehnsucht einer Zeit, wie aus dem wilden Zug dieser Vorläufer und Märtyrer (des Friedens), deren Herz nicht von den romantischen Pfeilern des Amor oder Eros, sondern von den Peinigungen verdammter Jugendjahre, verhasster Gesellschaft, aufgezwungener Mordjahre durchbohrt wurde. Aus irdischer Qual griffen ihre Hände in den Himmel (...)“

Kurt Pinthus,“Menschheitsdämmerung“, 1919

Quellen:

„Grundlagen\ Stile\ Gestalten der deutschen Literatur“; Cornelsen

„1000 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen“, Insel-Verlag

„Geschichte der Deutschen Literatur“, Band 9

„Menschheitsdämmerung - Ein Dokument des Expressionismus“, Reclam

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Der Expressionismus Aufbruch und Zusammenbruch einer Illusion
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
6
Katalognummer
V105952
ISBN (eBook)
9783640042319
Dateigröße
428 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Expressionismus, Aufbruch, Zusammenbruch, Illusion
Arbeit zitieren
Anne Ahrens (Autor:in), 2001, Der Expressionismus Aufbruch und Zusammenbruch einer Illusion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105952

Kommentare

  • Gast am 10.2.2003

    Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch.

    Das von Dir verwandte Zitat stammt nicht aus Kleine Aster, sondern aus Der Arzt.

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Titel: Der Expressionismus  Aufbruch und Zusammenbruch einer Illusion



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