Der Rheinisch Westfälische Textilgürtel


Seminararbeit, 2002

19 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Ursprünge und Ursachen für die Entwicklung des Textilgewerbes im "Euregio" Gebiet
2.1 Organisation in Verlagsgeschäfte
2.2 Schutzzölle und staatliche Reglementierung
2.3 Industrialisierung
2.4 Erster und Zweiter Weltkrieg

3 Die Textilindustrie Nordrhein-Westfalen in der Gegenwart
3.1 Internationale Ebene
3.1.1 Internationale Handelsabkommen
3.1.2 Förderungen auf europäischer Ebene
3.2 Perspektiven
3.2.1 Auswirkungen der Globalisierung - Eintritt Chinas in die WTO
3.2.2 Strategien der Textilindustrie in Nordrhein-Westfalen
3.2.3 Die Zukunftsinitiative Textil NRW (ZiTex)

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Verteilung der Betriebe und Beschäftigten nach Bundesländern

Abbildung 2: Unternehmen und Beschäftigte im Textilsektor

Abbildung 3: Die größten Handelsländer auf dem Welttextilmarkt

Abbildung 4: Größenstruktur der deutschen Textilindustrie

1 Einleitung

Die Textilindustrie in Nordrhein-Westfalen ist ein Wirtschaftszweig, dem im Vergleich zu der Kohle- und Stahlindustrie eine relativ geringe Bedeutung beigemessen wird. Für die Gesamtwirtschaft des Landes ist er jedoch ebenso von großer Wichtigkeit: Die mittelständisch strukturierte Textil- und Bekleidungsindustrie ist nach dem Ernährungsgewerbe die größte Konsumgüterbranche in Deutschland. Trotz eines tiefgreifenden Strukturwandels während der letzten 30 Jahre, belegte Deutschland 1999 im internationalen Vergleich hinter China, Hongkong und Italien den vierten Platz innerhalb der textilexportierenden Staaten1. In einer raumwirtschaftlichen Betrachtung ist in Nordrhein-Westfalen eine besondere Agglomeration textilindustrieller Produktionsstandorte festzustellen2:

Gemessen an Gesamtumsätzen, Anzahl der Betriebe und Beschäftigten befindet sich nahezu ein Drittel der bundesdeutschen Textilproduktion in Nordrhein-Westfalen3. 1999 konnte die nordrhein-westfälische Textilindustrie einen Gesamtumsatz von 8,8 Mrd DM erwirtschaften, was 33% Produktionswertanteil an den gesamtendeutschen Umsätzen aus der Textilindustrie darstellt.. Dabei waren vorrangige Produktgruppen Gewebe, konfektionierte Textilwaren, Textilveredelung und die Herstellung von Spinnstoffen. Über den privaten Verbrauch hinaus sind Automobil- und Möbelindustrie wichtige Kunden.

Regionale Branchenschwerpunkte liegen in Ostwestfalen, dem Westmünsterland, dem Bergischen Land sowie im westlichen Rheinland das umschriebene Gebiet wird auch als der rheinisch-westfälischee Textilgürtel bezeichnet. Im Gebiet diesseits und jenseits der deutsch-niederländischen Grenze in seinen Teilgebieten Münsterland, Gelderscher Achterhoek, Twente und der Grafschaft Bentheim hat die Textilherstellung die längste Tradition. Hier gab es wirtschaftlich - technische, kulturelle, politische und ökologische Voraussetzungen, die eine Entwicklung der Textilherstellung bereits in der vorindustriellen Zeit begünstigten.

Abbildung 1: Verteilung der Betriebe und Beschäftigten nach Bundesländern

Verteilung der Betriebe (1.230) & Beschäftigte (123.888) der gesamtdeutschen Textilindustrie nach Bundesländern (Stand 1999, Angaben für Betriebe von Unternehmen mit 20 und mehr Beschäftigten, Quelle: Statistisches Bundesamt)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Da die beschriebene regionale Konzentration des Textilgewerbes vor allem vor dem Hintergrund historischer Zusammenhänge erklärbar wird, soll im folgenden zunächst ein kurzer Blick auf die Entstehungsgeschichte geworfen werden.

2 Ursprünge und Ursachen für die Entwicklung des Textilgewerbes

In "De origine et situ Germanorum" schreibt der römische Geschichtsschreiber Tacitus bereits 98 nach Christus "Nur hüllten sich die Frauen ziemlich häufig auch noch in bunt verziertes, feines Leinen", was vermuten läßt, dass den Germanen bereits zu dieser Zeit der Anbau von Flachs und das Spinnen und Weben bekannt war4. Archäologische Funde bestätigen dies5. Seit der germanischen Zeit sind außerdem schriftliche Berichte über den Flachsanbau und die Herstellung von Geweben überliefert. Klöster und weltliche Grundherrschaften führen in ihren Einkünfteverzeichnissen regelmäßig

Leinen als Abgaben der hörigen Bauern, was beweist, dass seit dem 9. Jahrhundert die Textilherstellung in Nordwestdeutschland schon weit verbreitet war.

Der deutsch-niederländische Grenzraum bildete Jahrhunderte lang eine politisch- ökonomische Randzone im Einflußbereich von Deventer im Westen und Münster im Osten. Durch die Randlage, die durch das Fehlen natürlicher Verkehrswege (Flüsse) zum Rhein verstärkt wurde, hielten sich bis ins 19. Jahrhundert Elemente der sächsischen Agrarstruktur gegenüber römischen und fränkischen Einflüssen: rückständige Einfelderwirtschaft, Streusiedlungen und Anerbenrecht (geschlossene Vererbung der Höfe). Während des 17. Und 18. Jahrhunderts waren die landwirtschaftlichen Besitzgrößen aufgrund Erbteilung und Bevölkerungsverdichtung sehr klein geworden, so dass Angehörige der Unterschichten auf Nebenerwerbseinkünfte aus Handwerk oder Heimgewerbe angewiesen waren.

Weiterhin war dieses Gebiet durch geringe landwirtschaftliche Produktivität aufgrund von überwiegend sandigen Böden gekennzeichnet. Flachs, eine auch auf ärmeren Böden gut gedeihende Pflanze, bot jedoch für die Landbevölkerung die Möglichkeit durch Spinnen und Weben einen Nebenerwerb zu erlangen. Der auch auf ärmeren Böden gut gedeihende Flachs, die relativ einfache Technik des Fasergewinnung und Gewebeherstellung erklären die weite Verbreitung des Leinengewerbes auch in breiteren unteren Sozialschichten6.

Bei den Wollgewerben waren dagegen anfangs nur schwere gewalkte Stoffe bekannt, die erst im 16. Jahrhundert von leichteren Wollstoffen ergänzt wurden. Diese Produktion blieb daher lange kostspielig und daher auf städtische Zunfthandwerker beschränkt. Erst viel später breitete sich die Technik der einfachen Wolltuchherstellung aus, die aber dann in anderen Regionen (Schwaben, Oberfranken) ihre Hauptzentren fand, nördlich des Mains vor allem in Nordwestdeutschland, lediglich vereinzelt in Städten wie Köln, Bocholt, Coesfeld, Münster, Warendorf.

Vor allem in Münster bildete sich in der frühen Neuzeit ein textiles Handels- und Gewerbezentrum. Es besaß seit dem 14. Jahrhundert eine Wollweberzunft, seit dem 15. Jahrhundert eine "Legge" (Schauanstalt zur Überprüfung der Leinenqualität, siehe unten) und seit dem 17. Jahrhundert Bombasinenwebereien, die ein LeinenBaumwollmischgewebe herstellten.

Im Bereich der Leinenspinnerei und -weberei stiegen Orte wie Minden, Osnabrück, Tecklenburg, der Westen des Fürstbistums Münster, das Fürstentum Lippe und Paderborn zu maßgebenden Standorten auf. Vor allem während des Herbstes und der Wintermonate wurde Flachs als alternative zur Landwirtschaft Einkommensquelle während des 17. Und 18. Jahrhunderts versponnen und gewebt. Während der hochwertige Flachsanbau in Ostwestfalen die Herstellung von feinem Garn und besseren Leinwänden ermöglichte, wurden in den übrigen Gegenden die grobe Leinwand (sogenannte Löwendlinnen) produziert. Städte wie Bocholt, Warendorf, Gronau und Münster mischten das Leinen mit der Baumwolle städtischer Heimwerker.

2.1 Organisation in Verlagsgeschäfte

Während die Leinenherstellung bei größeren Bauern dem eigenen Bedarf diente, übergaben die Kleinbauern ihre in der Form des Hauswerkes gefertigten gesponnen Garne einem Hausweber, der das rohe Material verkaufte oder das Gespinst auftragsgemäß herstellte. Aus dem ursprünglichen "Hausfleiß" wurde ein unzünftiges Gewerbe, viele Landwirte wurden hauptberufliche Weber. Vielfach wurden Leinen und Garne zum Bleichen ins Ausland verkauft. Dabei verfügten die Holländer über den Zugang zu den technisch und chemisch fortgeschrittenen Bleichen in Haarlem, sowie über bessere Erfahrungen im Überseehandel. Zwischen Produzenten und Abnehmer schoben sich sogenannte Verleger (in den Niederlanden auch als Reder oder Fabrikeur bezeichnet), die Veredelungsprozesses und Weiterverkauf übernahmen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden in den Kernzonen der Leinenproduktion 60 Leinenwebstühle auf 1.000 Einwohner gezählt, das Leinengewerbe überragte alle anderen Handwerke, auch in den Städten7.

2.2 Schutzzölle und staatliche Reglementierung

Die zur Zeit der brandenburgisch-preußischen Monarchie vorherrschende merkantilistische Sichtweise der Wirtschaftspolitik führte zu Ausfuhrverboten für Halbfertigprodukten (Flachs, Leinengarn, Löwendlinnen). Die Bevölkerung der sozialen Unterschichten wurden von der brandenburgisch-preußischen Monarchie verstärkt zum Spinnen und Weben angehalten, staatliche Kleiderreglements förderten das Tragen heimischer Produkte, Textileinfuhren wurden mit Zolleinfuhrgebühren von 20% belastet. Die Güte der Leinen wurden zunehmend in Schauanstalten (sogenannten "Leggen") überprüft, Leggermeister kontrollierten Fadenzahl und Größe der gewebten Stücke und vergaben Gütemarken. Die Niederlande erhob seit 1648 ihrerseits hohe Zollbarrieren, die westfälischen Leinenregionen wurden von ihren traditionellen Absatzgebieten abgeschnitten. Durch die Kontinentalsperre Napoleons 1803 erlag schließlich der gesamte deutsche Leinenexport.

2.3 Industrialisierung

Die größte Krise der westfälischen Textilindustrie begann mit dem Vordringen der mechanisierten Flachsspinnerei seit 1840, die in England, Irland und Belgien Einzug hielt. Durch den Preisverfall waren viele vorher selbständige Weber gezwungen, in die ersten Textilfabriken einzutreten. Während sich auf der westfälischen Seite die Entwicklung hin zur mechanisierten Produktion langsam vollzog, förderte die niederländische Regierung mit der staatlichen Außenhandelsgesellschaft "Nederlansche Handelsmaatschappij" (NHM) die Regionen der Twente in der Entwicklung zu einem neuen Zentrum exportorientierter Baumwollindustrie. Allmählich gründeten niederländische Baumwollfabrikanten Betriebe auf deutschem Boden. Die Grafschaften Bentheim und Bocholt entwickelten sich Mitte des 19. Jahrhunderts zu Zentren der Baumwollindustrie, 1845 machte die erste Mechanische Dampfspinnerei die westmüsterländischen Webereien von importiertem Baumwollgarn unabhängig. Andere kleinere westfälische Orte wie Borken, Arhaus, Steinfurt und Coesfeld erlebten zwischen 1861 und 1907 durch die neue Baumwollindustrie einen neuen Aufschwung. Auch in Ostwestfalen entstand im Bielefelder Raum ein Zentrum der Textilindustrie: 1852 wurde in Brackwede-Gadderbaum die Mechanische Flachsmaschinenspinnerei "Vorwärts" gegründet, zwei Jahre später die Ravensberger Spinnerei AG, die mit

20.000 Spindeln die als die größte des deutschen Zollvereins galt. Bis zum Ersten Weltkrieg entstanden weitere Baumwollfabriken, die nun auch die Zurichtung der Gewebe wie Bleicherei, Färberei, Appretur und Druckerei sowie die Produktion spezieller Textilartikel wie Jute oder Watte beinhalteten. Im Übergang zur Mechanisierung in den fünfziger Jahren übertraf Westfalen im Textilsektor sogar das sonst führende Sachsen. Zwischen 1882 und 1907 stiegen die Beschäftigtenzahlen der westfälischen Textilindustrie von rund 1.800 auf rund 16.8008. Das Jahrhunderte alte ländliche Leinengewerbe wurde durch die fabrikatorische Baumwollindustrie ersetzt.

2.4 Erster und Zweiter Weltkrieg

Für die Geschichte der Textilindustrie war der Erste Weltkrieg ein politisches Ereignis von verhältnismäßig geringer Tragweite. Die Betriebe nahmen gleich nach Friedensschluß die Produktion in gleicher Weise wieder auf. Auch die einsetzende Inflation der deutschen Währung hatte keine große Bedeutung, da Garne und Gewebe in Dollar verrechnet wurden. Gegen Ende der 20er Jahre bekam die Textilindustrie jedoch die neue Konkurrenz aus Japan zu spüren, dessen Prozeß der Industrialisierung mittlerweile ebenfalls vollzogen war. Twente beispielsweise verlor in diesem Zuge mehr als 80% seines traditionellen Exportmarktes. Während des Zweiten Weltkriegs kam die Textilindustrie größtenteils zum Erliegen, dienstverpflichtete Arbeitskräfte aus den Niederlanden wurden im Münsterland eingesetzt. Die textilen Unternehmen in Twente, die vormals in jüdischem Besitz waren, wurden von deutschen Verwaltern geleitet, die erst am "dollen dinsdag" am 5. September 1944 die Niederlande verließen, als die alliierten Streitkräfte in die Niederlande vorrückten.

Nach dem zweiten Weltkrieg setzte ein allgemeiner Nachholbedarf an Konsumgütern ein, welcher sich auch und besonders in der Textilindustrie niederschlug. Nach der Währungsreform 1948 kam es zu einem raschen Wiederaufbau alter Textilproduktionsstätten. Dieser war jedoch verstärkt durch Erweiterungsinvestitionen und weniger durch Erhöhung der Arbeitsproduktivität geprägt, da Arbeitskräfte ausreichend vorhanden waren. Die Gründung einstufiger Webereien war mit geringem Finanzaufwand verbunden, wodurch eine Vielzahl von Kleinstbetriebsgründungen erfolgte. (Auch heute ist noch eine mittelständische Struktur der Branche festzustellen9) Der Boom der Neugründungen gipfelte 1957 mit einer Marktsättigung, viele der meist alteingesessenen kleinen Familienbetriebe mußte aufgeben.

Die beiden Krisen der Nachkriegszeit waren 1972 bedingt durch die Ölkrise, geringe Zuwachsraten der Endnachfrage sowie zunehmende Importe. Die zweite Krise folgte zu Beginn der 80er Jahre. Obgleich sich die niederrheinische Textilindustrie durch hohe Modernität auszeichnet, hatte sie sehr durch die Ersatzstoffkleidungsproduktion im Ersten und Zweiten Weltkrieg an Ruf verloren10.

3 Die Textilindustrie Nordrhein-Westfalen in der Gegenwart

Der Globalisierung, die erstmals während der 20er Jahre durch die wachsende Konkurrenz aus Japan zu spüren war, musste sich die Textil- und Bekleidungsindustrie im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen schon früh anpassen. Seit etwa 30 Jahren erfährt die Textilindustrie einen Strukturwandlungsprozess. Während dieser Zeit verlor die Branche rund 50% ihrer Betriebe und rund 75% ihrer Beschäftigten11. Im Zeitraum 1980 - 1998 verlor die Textilindustrie in NordrheinWestfalen 10% des Inlandsumsatzes und die Hälfte ihres Personals.12Dabei waren größtenteils Frauenarbeitsplätze betroffen.

Dennoch gelang es der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie, die Exportquote von 13% (1970) auf 64% (2000) zu erhöhen,13in Nordrhein-Westfalen stieg der Auslandsumsatz zwischen 1980 - 1988 um 55% auf 3,4 Mrd. DM.

Die Ursachen für den Strukturwandel sind einerseits die notwendige Anpassung der Kapazitäten und Betriebsgrößen an die Bedingungen des internationalen Absatzmarktes. Andererseits sieht sich die Textilindustrie in Deutschland nun im direkten Vergleich mit ausländischer Ware einem Produktionsnachteil bezüglich des Lohnniveaus gegenüber: Im internationalen Lohnkostenvergleich (der Textilindustrie) liegt Deutschland heute nach Dänemark mit durchschnittlich 18,- € an der Spitze. Um die wirtschaftliche Lage der Textilbranche in Nordrhein-Westfalen zu beurteilen, bedarf es einer Betrachtung der internationalen Ebene, da sich die Textilindustrie zu einem Exportzweig entwickelt, der wesentlich von internationalen Märkten abhängig ist.

Abbildung 2: Unternehmen und Beschäftigte im Textilsektor

3.1 Internationale Ebene

3.1.1 Internationale Handelsabkommen

Der Handel mit Textilien und Bekleidung war über lange Jahre neben der Agrarwirtschaft eine der auf internationaler Ebene am stärksten reglementierten Wirtschaftssektoren. Die Ursachen für diesen Reglementierungsbedarf lagen in den oft krisenhaften Entwicklungen dieser Wirtschaftsbereiche in altindustrialisierten Ländern einerseits und der sprunghaften Entwicklung dieser Wirtschaftsbereiche in den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer, die wesentlich auf der geringen Kapitalintensität der Branche und den dort deutlich niedrigeren Lohnkosten basierte14. Um einen Zusammenbruch der heimischen Industrie zu verhindern, wurde die Textilbranche Europas durch internationale Vereinbarungen weitgehend abgeschottet. Die wichtigsten Elemente der Handelspolitik sind in diesem Kontext das Multifaserabkommen (MFA) bis Ende 1994, beziehungsweise seit dem 1. Januar 1995 das Welttextilabkommen (Agreement on Textile and Clothing - ATC) zwischen der EU und WTO-Mitgliedern. Wichtigster Bestandteil dieser Vereinbarungen sind Einfuhrquoten sowie Bestimmungen zu deren Vergabe, Kontrolle und fortlaufenden Modifikation.

Mit dem ATC verpflichten sich alle WTO-Mitglieder bis 2005 alle Quoten abzubauen und den Textil- und Bekleidungshandel vollständig dem GATT-Regelwerk zu unterstellen. Der bisherige Fortschritt der Umsetzung des ATC seitens der Europäischen Union ist sehr umstritten und wird oft von Vertretern der Entwicklungsländer als unzureichend kritisiert, vor allem da abgebaute Einfuhrquotenregelungen durch andere protektionistische Maßnahmen (Antidumping- und Subventionsvorwurf, langwierige Zollverfahren, Safeguard-Klausel15) substituiert werden, um sich weiterhin vor günstiger produzierten Waren zu schützen.

Andereseits könnte die (reziproke) Marktöffnung anderer WTO-Mitglieder neue bisher hoch verzollte Absatzmärkte für europäische Textilexporteure bedeuten. Weiterhin wird erwartet, dass durch die wachsende Bedeutung des Schutzes geistiger Eigentumsrechte (Agreement on trade-related aspects of intellectual property rights, TRIPS) der Schaden durch Imitationen und Raubkopien eingeschränkt wird.

Insgesamt ist also die fortschreitende Liberalisierung der Weltmärkte ambivalent zu beurteilen. Nachteile werden vor allem die deutschen erfahren, die in direkter Preiskonkurrenz mit ausländischer Ware stehen.16

Der jüngst vereinbarte Eintritt Chinas in die WTO ist für die europäische Textilindustrie von höchster Bedeutung. Die Volksrepublik China exportiert im Vergleich zu Deutschland mit 43.121 Mio US-Dollar p.a. rund das Doppelte an textilen Produkten, ist jedoch gleichzeitig acht-größter Importeur mit rund 11.079 Mio US-Dollar p.a.

3.1.2 Förderungen auf europäischer Ebene

Über die meist harmonisierenden bzw. präventiven Maßnahmen im Kontext internationaler Vereinbarungen hinaus, verfolgen die Institutionen der Europäischen Union weitere Initiativen zur unmittelbaren Unterstützung der Textil- und Bekleidungsbranche in Europa. So gibt es seit 1991 das Exportförderungsprogramm (EXPROM) auch für die Textil- und Bekleidungsindustrie mit einer Fördersumme von jährlich 1,2 Mio €.17Bei zunehmendem Wettbewerb durch Importe und im Hinblick auf die Verbesserungen Marktzuganges, insbesondere in Ländern mit großen und schnell wachsenden Märkten, ist es wichtig, die Bemühungen der europäischen Industrie um die Entwicklung ihrer Exporte in diese außerhalb der Gemeinschaft liegenden Märkte zu unterstützen. Eine weitere Maßnahme der Europäischen Union zur Unterstützung der Textil- und Bekleidungsindustrie und deren Umstrukturierungsprozesse sind Beihilfen. Sie werden zu Gunsten von Unternehmen auf Grund von Programmen gewährt, die den Leitlinien der Kommission entsprechen und von ihr genehmigt sind. Solche Programme müssen regionalpolitischen Zwecken, der Förderung von Forschung und Entwicklung, dem Umweltschutz oder der Unterstützung der kleinen und mittelständischen Unternehmen dienen.

Abbildung 3: Die größten Handelsländer auf dem Welttextilmarkt

3.2 Perspektiven

3.2.1 Auswirkungen der Globalisierung - Eintritt Chinas in die WTO

Fehlende internationale Präsenz und Erfahrung bedeutet bei zunehmender Globalisierung für die mittelständischen Textilunternehmen in Nordrhein-Westfalen ein Risiko. Es drohen Verlust der Qualitätsführerschaft, Auflösung der Marktnische und globale Konkurrenz (siehe Abbildung 3). Jedoch ist die Globalisierung ebenso verbunden mit Chancen wie der Erschließung neuer Märkte, Erschließung von Synergien durch Bildung globaler Marktsegmente und höhere Effizienz durch Nutzung internationaler Standortvorteile18. In einem Gutachten der Universität Dortmund werden so z.B. die Markteintrittschancen der nordrhein-westfälischen Textilindustrie in China durchaus positiv eingeschätzt, soweit sich die mittelständischen Betriebe auf die globalen Anforderungen einstellen. Vor allem China wird in Zukunft neben Hongkong und den osteuropäischen Staaten die Textilindustrie in NRW kraft erheblicher Lohnkostenvorteile massiv bedrohen können. Dies betrifft jedoch meist diejenigen Waren, die sich in den unteren Preissegmenten befinden und deren Qualität keine große Spannweite zuläßt. Auf qualitativ hochwertige Bekleidungsprodukte mit Markenprestige trifft dies jedoch weniger zu. Bei Vorprodukten ist die zunehmende chinesische Konkurrenz indessen ernster zu nehmen, sofern sie den Ansprüchen der Hersteller genügen kann. Ein wesentlicher Vorteil der deutschen Textilindustrie ist der vorhandene Vorsprung an Innovationskraft, Know-how und produktionstechnischen Möglichkeiten19.

3.2.2 Strategien der Textilindustrie in Nordrhein-Westfalen

Die deutsche Textilindustrie versucht daher den direkten Preiswettbewerb zu meiden und sich durch Innovationen, bessere Qualität und erhöhte Flexibilität zu behaupten20. Dabei wird auch eine engere Kooperation mit der heimischen Bekleidungsindustrie eine Rolle spielen: Bisher bezieht die deutsche Bekleidungsindustrie die Stoffe für ihre Kollektionen überwiegend aus dem Ausland. Vor allem Stoffe aus Italien gelten bisher im Vergleich zu deutschen Produkten als modischer und von besserer Qualität.21Viele italienische Anbieter sind auch willens und in der Lage, auf Nachfrage ebenso kleinere Mengen zu produzieren und zu liefern. Die erkennbaren Unternehmensstrategien der nordrhein-westfälischen Unternehmen sind bisher vor allem Konzentration und Spezialisierung22:

a) Konzentration

Unter Konzentration versteht man dabei den Versuch, durch Unternehmensfusionen den oben beschriebenen Strukturwandel zu überbrücken. Weiterhin zeigt sich eine zunehmende überbetriebliche Zusammenarbeit kleinere Betriebe. Im Raum Bocholt kam es bereits Mitte der 70er Jahre zu solchen Kooperationen. Als schwer erweist sich jedoch der Abbau gegenseitigen Misstrauens und der Überwindung des Unabhängigkeitsgedankens alteingesessener Familienbetriebe.

b) Spezialisierung

Weiterhin spezialisiert sich die nordrhein-westfälische Textilindustrie auf neue Artikelmärkte, die von der Nachfrageschwäche im privaten Bereich (Bekleidung) unabhängig sind, so etwa auf technische Textilien, die überwiegend an die Entwicklung von Investitionsgütern geknüpft sind. So werden Bekleidungs- Haus und Heimtextilien ebenso Textilien mit speziellen Eigenschaften nachgefragt, z.B. im Flug- und Fahrzeugbau, Hoch- und Tiefbau, in der Landwirtschaft und Medizin sowie im Umwelt, Objekt- und Personenschutz. Innovative Produkte wie klimatisierende Bekleidung, schmutzabweisender sich selbst reinigender Teppichboden, textilbewehrter Beton oder Wundheilung ohne Narben bieten auch auf internationaler Ebene Nischenmärkte.

3.2.3 Die Zukunftsinitiative Textil NRW (ZiTex)

Die Zukunftsinitiative Textil NRW (ZiTex) wurde im Herbst 1996 auf Initiative des damaligen Wirtschaftsministers Wolfgang Clement gegründet. Anlaß war die notwendige Anpassung der Einstellungen, Verhaltensweisen und des unternehmerischen Handelns der mittelständischen Textilindustrien an die neuen Wettbewerbsbedingungen als Folge der Globalisierung. Die Initiative wird von einem Beirat begleitet, der sich aus Vertretern von Unternehmen, Verbänden, Gewerkschaften, Banken, Industrie- und Handelskammer und der Landesverwaltung zusammensetzt. Die Laufzeit der ZiTex war ursprünglich bis 1999 vereinbart, wurde jedoch um weitere drei Jahre erweitert. Die Kernziele der ZiTex sind:

- Eine deutliche Verbesserung der Kommunikation sowohl unter den Akteuren selbst als auch in den relevanten Zielgruppen und der breiten Öffentlichkeit

- Aufgreifen von Innovationen auf den Gebieten neue Produkte, effiziente Verfahren, Managementprozesse, Internationalisierung und Qualifizierung

- Anstoßen von Projekten, die besser im Verbund als einzeln gelöst und für die auch Fördermittel des Landes einbezogen werden können

In ihrer Tätigkeit als Landesinitiative versucht die ZiTex eine Kooperation der "textilen Kette" zu schaffen ( so beispielsweise eine engere Kooperation mit der heimischen Bekleidungsindustrie, siehe oben). Weiterhin versucht sie einen Technologietransfer zwischen Forschung und Wirtschaft zu fördern, hilft bei der Erschließung neuer Märkte etwa durch Marktuntersuchungen oder gemeinsame Messen und versucht die Qualifikation der Arbeiter sowie die einzelbetrieblichen Befähigungen der Unternehmen zu verbessern Die Erfolge der ZiTex werden unterschiedlich beurteilt. Einerseits wird der Ansatz der Wirtschaftspolitik NRW, eine enge Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlicher Forschung und Unternehmenspolitik als Fehlschlag gesehen, da das Angebot öffentlicher Einrichtungen aus dem Bereich Forschung (Technologiezentren, Wissenschaftsinfrastruktur, Weiterbildungszentren) seitens der Unternehmen kaum genutzt wurde, andererseits die Forschungseinrichtungen selbst auch wenig Engagement für eine Verstärkung der Zusammenarbeit mit textilindustriellen Unternehmen zeigten23. Während des ersten "Branchengespräches Textil" in Münster hob Justus M. Schmitz, Vorsitzender des Textilverbandes Nord-West jedoch hervor, dass trotz rückläufiger Inlandsnachfrage der nordrhein-westfälischen Textilindustrie gelungen sei, ihre Position dank der tatkräftigen Unterstützung der ZiTex auf dem Weltmarkt weiterhin auszubauen. 80% der befragten Unternehmen sprachen sich letztes Jahr bei eine Befragung innerhalb der Branche für eine Fortführung der Initiative aus24.

Abbildung 4: Größenstruktur der deutschen Textilindustrie

4 Fazit

Die Entstehung des rheinisch-westfälischen Textilgürtels basiert ursprünglich auf der Notwendigkeit von Nebenerwerbsquellen der Landwirte. War diese zur damaligen Zeit hauptsächlich durch Heimarbeit geprägt wurde sie durch die Entstehung von Verlagen und arbeitsteiligen Prozessen in der Zeit der Industrialisierung zu einer Haupteinnahmequelle. Die mittelständische Struktur, die durch den raschen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg konserviert wurde, hat sich bis heute erhalten25. Gerade Betriebe mit langjähriger Tradition haben es schwer ihre Souveränität zugunsten einer Kooperation mit anderen Unternehmen aufzugeben. Jedoch werden angesichts der aktuellen Entwicklungen der internationalen Handelspolitik, besonders durch den Eintritt Chinas in die WTO, grundlegende Strukturwandlungsprozesse notwendig.

Bietet die Textilindustrie in Nordrhein-Westfalen 38.000 Arbeitsplätze, trägt sie laut Landeswirtschaftsminister Harald Schartau "landesweit zur Sicherung und zum Erhalt von insgesamt 68.000 Stellen bei."26Jedoch ist fraglich, ob das Arbeitsplatzargument geeignet ist, einen Strukturwandel der Textilindustrie zu untermauern, der mit höherer Produktivität und Arbeitseffizienz zwangsläufig einen Stellenabbau zu Folge haben wird.

Die bedrohten Segmente der Branche treten in absehbarer Zeit in einen stärkeren Preiswettkampf mit ausländischen Importeuren, wodurch durch die offenbar mangelnde Kooperation mit der heimischen Bekleidungsindustrie die Inlandsnachfrage weiter zurückgehen wird. Folgerichtig konzentriert sich die Textilindustrie in Nordrhein- Westfalen zunehmend auf Produktion, die nicht vom privaten Verbrauch abhängig ist. Dabei ist jedoch ein fortschreitender Zusammenschluss kleinerer Firmen, eine stärke Kooperation mit der Textilforschung sowie eine Rationalisierung innerhalb der Betriebe notwendig, um auf internationalen Märkten bestehen zu können. ("Einen Kahlschlag wird es in unserer Branche [...] nicht geben. Aber sicherlich werden einige Betriebe ihre Belegschaften den neuen Rahmenbedingungen anpassen. ", Josef-Albert Beckmann in AKTIV, 22. Dezember 2001)

5 Literaturverzeichnis

- Albers, Helene und Ulrich27 Pfister (2001) , Industrie in Münster 1870 - 1970, Dortmund

- Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2001): Branchenfocus Textil & Bekleidung Internetverweis: http://www.bmwi.de/Homepage/Politikfelder/branchenfocus/

- Ditt, Karl, Münster und die Textilindustrialisierung im Münsterland während des 19. und 20 Jahrhunderts in: Helene Albers (2001) Industrie in Münster 1870-1970, Dortmund,

S. 314 - 337

- Fashion Transfer System (FITS) Modewirtschaftsbericht NRW 2001, Internetverweis: www.fits.de

- Gesamttextil (2001) Zahlen zur Textilindustrie

- Gesamttextil , Jahrbuch der Textilindustrie (2000)

- Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik (1999): Statistisches Jahrbuch Nordrhein-Westfalen 1999

- Matrix GmbH (1998), Marktchancen für deutsche Textilunternehmen in China,

Dokumentation im Auftrag der Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr NRW und ZiTex, Düsseldorf

- Schüren, Rheinhard, Heimgewerbliche Bevölkerung und Textilarbeiterschaft im

deutsch-niederländischen Grenzraum (Westmünsterland/Twente) vor 1860 in: Karl Ditt (1992), Von der Heimarbeit in die Fabrik, Paderborn, S. 430 - 448

- Straatman, Frauke: Projekt (1999) "Virtuelle Einführung in die Landesgeschichte Nordrhein-Westfalens" Internetverweis: http://www.fb1.uni-siegen.de/uvm/index.html

- Welge, Martin K. (2000): Globalisierung: Chancen für mittelständische Textilunternehmungen, Vortrag im Auftrag von ZiTex an den Lehrstuhl für Unternehmensführung, Universität Dortmund

- ZiTex (2001), ZiTex informiert, Aktuelles aus der Arbeit der Zukunftsinitiative Textil NRW, Ausgabe Januar und Februar 2001, Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie, Düsseldorf

[...]


1Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2001)

2siehe dazu Abbildung 1: Verteilung der Betriebe und Beschäftigten nach Bundesländern

3NRW-Lexikon Textilindustrie, Statistisches Jahres NRW (1999) S. 325, siehe dazu auch Abbildung 1

4Albers und Pfister (2001) S. 2 ff

5so beispielsweise 1972 bei Denekamp gefundene Spinnwirtel und Webgewichte, die auf das dritte Jahrhundert n. Chr. datiert wurden.

6Hans Jürgen Teuteberg in: Industrie in Münster 1870 - 1970 S. 1

7Vgl. Clemens Wischermann in: zur Methodik von Wirtschaftskarten des 19. Jahrhundert, Hannover 1969, S. 165 - 189

8Albers und Pfister (2001 ) S. 7 ff

9dazu Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2001) und Abbildung 4

10Straatman (1999)

11Gesamttextil (2001): siehe dazu Abbildung 2: Unternehmen und Beschäftigte im Textilsektor

12NRW-Lexikon Textilindustrie (ständig aktualisiert, Stand Dezember 2001)

13Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2001)

14FITS, Modenwirtschaftsbericht (2001)

15Silvia M. Jungbauer in: Jahrbuch der Textilindustrie 2000, S. 29f Der Welttextilhandel auf dem Weg ins GATT

16Silvia M. Jungbauer in: Jahrbuch der Textilindustrie 2000, S. 32, Chinas Beitritt in die WTO, siehe dazu Abbildung 3: Die größten Handelsländer auf dem Welttextilmarkt

17FITS, Modenwirtschaftsbericht 2001

18Welge (2000)

19Silvia M. Jungbauer in: Jahrbuch der Textilindustrie 2000, S. 29f

20NRW-Lexikon (ständig aktualisiert, Stand Dezember 2001)

21fits - Modewirtschaftsbericht NRW

22Straatman (1999)

23Straatman (1999)

24Zitex informiert 1/01

25siehe dazu Abbildung 4: Größenstruktur der deutschen Textilindustrie

26dabei sind Bekleidungshersteller und Textilmaschinenbau berücksichtigt

27Seitenangaben bei Internetquellen im HTML-Format nicht möglich

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Details

Titel
Der Rheinisch Westfälische Textilgürtel
Autor
Jahr
2002
Seiten
19
Katalognummer
V105848
ISBN (eBook)
9783640041299
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rheinisch, Westfälische, Textilgürtel
Arbeit zitieren
Christian Conein (Autor:in), 2002, Der Rheinisch Westfälische Textilgürtel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105848

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