Vor-Reformation


Facharbeit (Schule), 2001

14 Seiten


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG
1.1 ZITAT
1.2 „ICH“
1.3 VORWORT III

AUSGEHENDES MITTELALTER (14./15.JAHRHUNDERT)
1.4 GEISTIGES LEBEN
1.5 CHRISTENTUM
1.6 ZUSAMMENFASSUNG
1.5 JAHRHUNDERT
1.7 GEWERBE UND HANDEL
1.8 DAS STAATLICHE GEFÜGE
1.9 ZUSAMMENFASSUNG

LUTHER
1.10 KINDHEIT BIS „JUNGER ERWACHSENER“
1.11 DIE 95THESEN

CALVIN
1.12 JUGEND CALVINS

LITERATURVERZEICHNIS

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EINLEITUNG

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1.1 Zitat

„Der menschliche Verstand vermag den Zusammenhang der Ursachen aller Erscheinungen nicht zu begreifen, aber der Trieb, diese Ursachen zu erforschen, schlummert in des Menschen Seele. Und da er in die vielen kunstvoll verworrenen Grundbedingungen aller Erscheinungen nicht eindringen kann, von denen jede einzelne als Ursache gelten könnte, greift er nach der ersten besten, die ihm am verständlichsten ist und am nächsten liegt, und behauptet: Das ist die Ursache.

Bei geschichtlichen Ereignissen, wo die Kämpfe der Mensehen untereinander den Gegenstand der Beobachtung bilden, ist das, worauf der Mensch zuerst verfällt und was ihm am nächsten liegt, der Wille Gottes und dann die Willensäußerungen aller der Personen, die auf dem sichtbarsten Platz bei den Ereignissen stehen: der Helden der Weltgeschichte. Aber man braucht nur in das Wesen jedes geschichtlichen Ereignisses einzudringen, das heißt in die Tätigkeit der gesamten Masse der Menschen, die an den betreffenden Ereignissen teilgenommen haben, um überzeugt zu sein, daß der Wille eines Helden der Weltgeschichte nicht etwa die Handlungen der Massen lenkt, sondern ständig selber von ihnen geleitet wird. [...]

Für ein historisches Ereignis gibt es keine Ursache und kann es keine geben außer der einzigen Ursache aller Ursachen. Aber es gibt Gesetze, die die Ereignisse lenken. Zum Teil sind sie uns unbekannt, zum Teil können wir sie fühlen. Ein Erkennen dieser Gesetze ist aber erst dann möglich, wenn wir uns abgewöhnt haben, die Ursache geschichtlicher Ereignisse im Willen eines einzelnen Menschen zu suchen, ebenso wie das Erkennen der Planetenbewegungen erst dann möglich wurde, als sich die Menschen von der Vorstellung losgemacht hatten, daß die Erde feststehe“ (Tolstoi 1993, 1340f)

1.2 „Ich“

Was unsere menschliche Sprache von der tierischen unterscheidet, ist ihre Unbedeutung dem existentiellen Leben gegenüber. Diejenige der Tiere – ohne näher darauf eingehen zu wollen - ist der Artund Lebenserhaltung untergeordnet. Unsere heutige Sprache hat den Überlebenscharakter weitgehend verloren, ist zum Ausdruck unserer eigenen Befindlichkeit geworden. - Die Sprache als Ausdruck unseres Denkens / eigenen Denkens / meines Denkens. Mit dem ersten gesprochenen Menschenwort begann ein Wesen zu existieren, das sich als Individuum fühlte, als Ich. (Verschiedene Theorien der Schöpfungsgeschichte sollen hier nicht zum Inhalt gemacht werden: Ob der Mensch vom Affen oder Adam abstammt ist für die weiteren Betrachtungen nicht von Belang.) Dieses Ich, erst einmal „angeknipst“, wuchs vom kleinen, schwach flackernden Flämmlein zu einem lodernden Feuer und mit ihm sein Bewusstsein von der Welt. Was ich damit sagen will: Dass der Mensch „von Innen nach Aussen“ wächst und seine Willensäusserungen (=Geschichte) blosser Ausdruck des Verhältnisses dieses sich verändernden Ichs zur Umwelt sind, die Beziehung zu Geistigem/Gott miteingeschlossen. So ist gelehrte Geschichte, die sich in Daten und Fakten äussert, reine Symptomatik, nicht unähnlich einem Krankheitsverlauf. Ihr Wesen werden wir mit Daten nicht erfassen. Was sich im Humanismus/Reformation darstellt, ist lediglich ein Stadium dieser Entwicklung, oder, um die Terminologie beizubehalten: eine Art Kinderkrankheit. Nichts Neues kann entstehen, ohne im Entstehen Altes abzuschütteln (oder zu transformieren), und was sich uns in den Wirren jener Zeit darlegt, ist das Ringen des Ich um einen neuen Standpunkt: Ein kurzes Aufwälzen eines mächtigen Stromes (in dem die erste Menschentat noch mitschwimmen muss und aus dem sich unser Jetzt gebildet hat). Wir sind einerseits Ergebnis der Geschichte, und doch selbst mittendrin in diesen Wogen.

Aus dem „woher komme ich“ liesse sich vielleicht auch ein „wohin gehe ich“ schöpfen...

1.3 Vorwort III

In der folgenden Arbeit geht es mir weniger darum, Wissen zu vermitteln oder Überzeugungen breitzuschlagen, als vielmehr einen eigenen Prozess auszulösen. So laufe ich bewusst in die Gefahr, die Arbeit nie richtig zu Ende zu bringen, was ja auf der einen Seite erwünscht sei, auf der anderen jedoch als recht hoffnungslos erscheint. So will ich versuchen, dem Phänomen „Reformation“ auf die Spur zu kommen. (Den Betrachtungswinkel habe ich weiter oben bereits dargelegt.) Ich komme also nicht umhin, dem „Vorfeld“ der Reformation grössere Beachtung zu schenken als dem zündenden Funken selbst. Ich mich auf die nördlichen Breitengrade beschränken (grob: das deutschsprechende Europa). Einige wichtige Aspekte werden ganz weggelassen, so der Humanismus, wo mir eine Kurzfassung schwerfiele, und auch die Renaissance. Doch, wie ich hoffe, sind beide Themen hinlänglich bekannt.

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Ausgehendes Mittelalter (14./15.Jahrhundert)

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1.4 Geistiges Leben

„Von Hungersnöten, Epidemien und Kriegen gepeinigt, in das Chaos von romfernen und sich gegenseitig verfluchenden Päpsten gestürzt, forschten die Menschen nach okkulten Kräften, aus denen das unerklärliche Elend der Menschheit zu erklären sei; es musste, wie sie allenthalben glaubten, magische Kräfte geben, mit deren Hilfe das Geschehen zu beherrschen und irgendein mystischer Ausweg aus der Welt der harten Tatsachen zu finden sei. So führte die Vernunft ein höchst prekäres Dasein in einer Umwelt, worin die Unvernunft herrschte, wo Zahlenmystik, Weissagung, Omen, Traumdeutung, Astrologie, Wunderheilungen, göttliche und teuflische Eingebung, Alchimie und die okkulten Kräfte der Tier-, Pflanzenund Mineralwelt Gefühl und Denken regierten“ (Durant 1959, 241). Der Mystizismus bestimmte zum grossen Teil das Denken und Handeln des damaligen Menschen. Hexenund Dämonenglaube wie auch Heiligenkult begegnen durch alle Stände hindurch. Selbst Könige machten Schlachtzüge (und auch intimere Ereignisse) von Horoskopen abhängig und Astrologen waren an den Höfen ebenso beliebt wie angesehene Berater. Von der Kirche wurde dieser (Aber-)glaube zwar bekämpft, dessen Wirkung aber in keinster Weise bezweifelt (Maleus maleficarum), in den Ablasshändeln beispielsweise sogar „ausgenutzt“.

Die Wissenschaft des Mittelalters ist geprägt durch die Scholastik; ein Versuch, Vernunft und Glauben in Übereinstimmung zu bringen. (Grundsätzliche Annahme der Scholastik: Das christliche Dogma sei durch Vernunft zu beweisen.(Durant))

Mit dem Aufschwung von Gewerbe und Handel stieg der Wert der Bildung, insbesondere für den Bürger, also die Mittelschicht. (Für eine Agrarwirtschaft bedeutet die Kunst des Lesens und Schreibens Luxus, für eine verstädterte, merkantile Wirtschaft jedoch Notwendigkeit.) So vermehrten sich die Volksschulen, in denen nicht nur mehr Geistliche unterrichteten, sondern vermehrt auch „Laien“ lehrten. Im vierzehnten Jahrhundert erblühte in Europa das Universitätswesen unter Karl IV., König und Kaiser Karl IV. in Prag. Die finanziellen Mittel wurden hauptsächlich von der Kirche, aber auch von Fürsten, Hochadel und Handelsherren getragen. So waren die Universitäten dementsprechend ausgerichtet. Den Naturwissenschaften stand der Akademiker von dazumals fremd gegenüber, die griechischen, naturwissenschaftlichen Schriften wurden ignoriert, nicht zuletzt wohl wegen ihrer „heidnischen“ Herkunft. (So es auch den Hindu-arabischen Zahlen ergangen war, die man als religiös verdächtig eingestuft hatte. (Durant)) Dennoch beginnt im vierzehnten Jahrhundert an einigen Orten / in einigen Köpfen das leise Erwachen des Ratio, eine Verselbständigung der Vernunft, oder: die Loslösung von der Scholastik, dem kirchlichen Dogma. - Wissenschaft ihrer Eigenheit Willen, doch aber aus der Scholastik heraus. Ein Zitat aus einem Brief Johann Müllers an einen Freund scheint mir dieses „neue (-alte) Denken“ treffend auszudrücken:

„Aber ich weiss nicht, wohin die Feder entweichen wird; sie wird das ganze Papier verbrauchen, wenn ich sie nicht zurückhalte. Eine Frage nach der andern fällt mir ein, und so viele schöne Fragen kommen mir in den Sinn, dass ich ungewiss bin, welche ich vorbringen soll.“ (Fragen ihrer Schönheit Willen zu stellen war bestimmt keine Haupteigenschaft des Mittelalters.) Diesem Erwachen aber folgt auch der sich anbahnende unweigerliche Konflikt mit religiösen Ansichten, der in der Reformation mündet, eigentlich aber bis heute anhält (Ethik).

Ein weiterer wichtiger Faktor für die „Verbreitung des Wissens“ war die Buchdruckerkunst, die jedoch ihre eigentliche Blüte erst im Humanismus und vor allem der Reformation erlebte. Im Entstehen „beschränkte“ sie sich auf vorwiegend religiöse Schriften, die zudem noch sehr teuer waren, also den Zugang zu den „unteren Schichten“ nur sehr schwer fanden.

1.5 Christentum

„Während des hier untersuchten Zeitabschnitts (14.Jh.-d.V.) bildete die Religion nicht nur eine Weltanschauung von Moralisten oder einen Ausdruck der Kultur wie die moderne Kunst oder die Musik von heute. Die Religion stellte auch nicht in erster Linie ein System von Anschauungen und Dogmen dar. Viel schwerer wog, daß die christlichen Grundsätze nunmehr eine Gesellschaft durchgeformt hatten, die aus ihnen ihre Rechtfertigung und ihre Rechtmäßigkeit ableitete. Die hierarchische Struktur der weltlichen Gewalt, oder vielmehr ihrer einzelnen Spielarten, stützte sich auf das für jeden Christen wesentliche Postulat, daß ihre Autorität von Gott kommt und man sich ihr daher nicht widersetzen darf. Ebenso wesentlich war die grundlegende Bestätigung, die die Religion der Einteilung der Gesellschaft in Klassen zuteil werden ließ. Die mächtigste, im Betonen ihrer Vorrechte arroganteste und zu deren Durchsetzung am besten organisierte Klasse war gerade der Klerus. Er hatte auch das größte Interesse an der Unverrückbarkeit der bestehenden Ordnung. Kurz, das Christentum war zu dieser Zeit weniger geistlicher Sauerteig oder Verkündigung transzendenter Werte als vielmehr beherrschendes Kultursystem und irdische Leistung, tatsächliche Herrschaft über gewaltige materielle Güter und Ausübung einer zwar zum Himmel gewandten, aber vorwiegend auf irdische Befriedigung bedachten Autorität“ (Fischer Weltgeschichte 1984, 84f).

„Die geistliche und die weltliche Gewalt liegen beide in den Händen der Kirche; die erste steht ihr allein zu, die zweite muss sie zu ihrem Vorteil anwenden. Die erste wird von den Priestern, die zweite von den Königen ausgeübt, aber nur soweit es der Priester will und zulässt. Die weltliche Autorität muss sich also der geistlichen unterordnen. Die göttliche Weisheit verleiht dieser die Aufgabe, die weltliche Macht zu schaffen und, wenn nötig, zu verurteilen. Und somit erklären und beschliessen wir, dass alle Menschen sich dem Papst von Rom unterwerfen müssen, wenn sie das ewige Heil erlangen wollen.“ (Päpstliche Bulle „Unam Sanctam“, 1302)

1.6 Zusammenfassung

Das vierzehnte Jahrhundert steht unter dem Zeichen weltlicher Gelüste einer (anfangs des Jahrhunderts) verarmten Kirche die, in sich zerstritten, Avignon als Exil wählte. (Diese Zeit von 1309 bis 1377 nannte man bezeichnenderweise auch die „Babylonische Gefangenschaft“.) In Avignon frönt der Papst dem Mammon und wie er 1377 nach Rom zurückkehrt, ist er „saniert“. Dennoch wird Avignon weiterhin Päpste beherrbergen: Gegenpäpste.

Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ vermittelt uns einen lebendigen Eindruck in die religiösen Einund Ansichten, wie auch die geistigen Richtungen jener Zeit des päpstlichen Exils. Wir erinnern uns an lange, scharfsinnige Dispute um das Besitztum (bzw. „Nutzniesstum“ (U.Eco)). Jesu, andererseits auch an die apokalyptischen Ängste (Mystizismus) der Bruderschaft. William von Baskerville, ein Franziskanermönch, gerät mit seiner konsequent logischen Art zu denken (Aristotelisch) zum wiederholten Male in Gefahr, der Häresie beschuldigt zu werden. (Eine (radikalere) Gruppe Franziskaner (Fraticelli) wird ein Jahr nach den Geschehnissen in der besagten Abtei einen Gegenpapst stellen. - Dass William von Baskerville zu ihnen zählte ist jedoch nicht anzunehmen.) In „Der Name der Rose“ wird ein geschichtliches Umfeld gezeichnet, in dem Ludwig der Bayer, König und späterer Kaiser, entschieden gegen den Papst vorgeht. Immer mehr wird die Stellung weltlicher Mächte zur Kirche (bzw. den verschiedenen Päpsten) auch weltlichen Beweggründen zu Füssen gelegt und umgekehrt. Aus dem Mittelalter schälte sich langsam die Vernunft (mit all ihren Attributen) heraus, die Antike wurde wiederentdeckt. Einen Niederschlag findet William von Baskerville in einer historisch belegte Gestalt derselben Zeit, nämlich Wilhelm von Ockham nicht als einziger (Wiclif, Marsalis, ...) mit schon fast neuzeitlichem Gedankengut, insbesondere der Betonung auf die Vernunft, die reine Logik. Ockham: „Nichts kann zum Objekt der inneren Wahrnehmung werden, ohne eine Objekt der äusseren (Sinnes-)Wahrnehmung gewesen zu sein.“ Oder: „Alles ausserhalb des Denkens ist singular, ist zahlenmässig eins.“ Aus diesen Grundüberlegungen heraus waren für Ockhams Nominalismus auch die Argumente für die Existenz eines Gottes nicht zwingend, was wir ja bei Descartes im 17.Jahrhundert weiterdenkend wieder antreffen. Dennoch unterwarf Ockham sich seiner Zeit: Obschon unbeweisbar, sei es doch wahrscheinlich, dass Gott existiert und jedem Menschen eine unsterbliche Seele eingehaucht hat. - Er wurde trotzdem mit dem Kirchenbann belegt und suchte Schutz am Hofe Ludwig des Bayern, an dem auch Marsalis wirkte.

Es muss aber betont werden, dass einzelnen Denker wie Ockham (u.s.w.) zwar Einfluss auf geistige Strömungen (Universitäten) hatten, noch aber abgelöst und unverstanden von der breiten Masse waren.

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15.Jahrhundert

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In den letzten fünfzig Jahren vor der Reformation ging es fast allen Ständen gut. Lediglich im Verhältnis zwischen dem grundbesitzenden Adel und der von ihm abhängigen Bauernschaft gab es Schwierigkeiten. Neben einer verhältnismässig kleinen Zahl von Leibeigenen und den eigenen Boden bewirtschaftenden Freisassen gab es die grosse Schicht der Pächter, die an die Grundherren Naturalien oder Geld abführen und ihnen Frondienste leisten musste. Im fünfzehnten Jahrhundert steigerte sich diese Unzufriedenheit bis zu sporadischen Revolten (Bundschuh), die sich aber fast ausschliesslich gegen Abgaben, Zinsen und Leibeigentum richteten, selten aber die Religion selbst.

1.7 Gewerbe und Handel

Bezeichnend war die Entwicklung zu Privatmonopolen: Familienunternehmen wie die der Fugger, Hochstetter oder Walser zählen zu den „Gründern“ der kapitalistischen Ära im deutsch sprechenden Europa. Kleinbetriebe gerieten immer mehr in die Hand von ebensolchen Grossunternehmern. Augsburg war Finanzkapitale des damaligen Mitteleuropas, nicht zuletzt wegen dem Handel mit italienischen Städten. Auch der Bergbau entwickelte sich mit grosser Schnelligkeit: Silber, Kupfer und Gold brachten grosse Gewinne. Im Allgemeinen war die Mittel– und Oberschicht als sehr wohlhabend bis reich zu bezeichnen. Mit der Entdeckung neuer Seewege (Indien), nicht zuletzt aber jener der Neuen Welt, vorangetrieben durch den Krieg mit Venedig und der Fremdherrschaft (Türken) über das Ägäische Meer, die die alten Seewege (Mittelmeer) unbefahrbar machte oder aber mit hohen Zöllen belegte, verschob sich die wirtschaftliche Monopolstellung gegen Norden (Hansestädte, Holland (Antwepen)). Der Handel mit Italien war aus dem Gleichgewicht geraten, sodass sich die Einund Ausfuhr von Waren an die grossen, in die Nordund Ostsee mündenden Flüsse verlagerte. Ebenso stieg der Export, insbesondere durch die Bevölkerung der „Novo mundi“, und damit die Nachfrage nach industriell hergestellten Gütern. Diese Nordwanderung des Geldes und Handels machte den deutschen Norden von Italien unabhängig und so stark, dass er Luther dereinnst vor Kaiser und Papst Schutz gewähren konnte.

1.8 Das staatliche Gefüge

„Wie waren in diesem kritischen Pubertätsstadium Deutschlands die inneren Machtverhältnisse beschaffen?

Die Ritter, die in früheren Zeiten als Vasallen ihrer Landesherren im Bereich ihrer Burgrechte für Ruhe und Ordnung gesorgt hatten, verloren je länger desto mehr an militärischer, wirtschaftlicher und politischer Bedeutung. Die von den Fürsten und Städten besoldeten, mit Feuerwaffen und Geschützen ausgerüsteten Landsknechte mähten die Ritter und deren Knechte samt ihren veralteten Schwertern und Lanzen unbarmherzig nieder; und der kommerzielle Wohlstand trieb Preise und Kosten so in die Höhe, daß der Landbesitz als Machtquelle ins Hintertreffen geriet. Die Städte hingegen errangen den Status der Reichsunmittelbarkeit, und die Fürsten zentralisierten Staatsverwaltung und Justiz. Die Ritterschaft nahm etwelche Rache, indem sie von ihren Burgen aus die reisenden Kaufleute überfiel und ausraubte, und wenn Kaufleute und Städte protestierten, pochte sie auf das althergebrachte Recht zur ritterlichen Fehde. Commynes beschrieb das Deutschland jener Epoche als von Burgen starrend, aus denen jeden Moment ein «Raubritter» mit seinen Knechten herausbrechen und Kaufleute, Reisende und Bauern ausplündern konnte. [...]

Die weltlichen und geistlichen Fürsten verstärkten das Chaos durch ihre schrankenlose Begehrlichkeit, die Uneinheitlichkeit der Münzen und Zölle, die undurchsichtige Rivalität um Macht und Reichtum, den Mißbrauch des römischen Rechts, durch das sie sich auf Kosten der unteren Stände, des Kleinadels und des Kaisers zu unumschränkten Herrschern zu machen suchten. Die großen Geschlechter wie die Hohenzollern in Brandenburg, die Wettiner in Sachsen, die Wittelsbacher in der Pfalz, die Herzöge von Württemberg, von den österreichischen Habsburgern gar nicht zu reden, verhielten sich nicht wie Glieder des Reichs, sondern wie unabhängige Fürsten(Durant 1959, 241).

1.9 Zusammenfassung

Wir sehen das bis anhin trotz allem noch funktionierende mittelalterliche Gefüge am Wanken: Die Machtverhältnisse begannen sich zu verschieben, eine breite Mittelschicht rückte immer weiter vor und stetig im Wachsen begriffene Städte verselbständigen sich zusehends. Blutsverhältnisse waren nicht mehr ausschliesslich ausschlaggebend: Adelstitel konnten auch gekauft werden. (Wie auch die Wahl des Kaisers von beträchtlichen Geldmitteln abhing, die wiederum von wohlhabenden Geschäftsleuten (Fugger) gestellt wurden.) Die Kirche hatte sich von ihrer eigentlichen Berufung entfernt, um immer mehr in die Wirkenskreise der „reellen Welt“ zu geraten und somit an (innerer) Bedeutung zu verlieren. Ablassgelder gehörten zu ihren Haupteinnahmen. Seitens der Bauern wuchs die Verunsicherung (Das Christentum bildete als Gesellschaftssystem einen Schutz. Dessen Aufbrechen / Zersplitterung bedeutete nicht nur einen inneren Wandel im Denken des Menschen, sondern das Zerbrechen einer ganzen sozialen Ordnung. (Siehe: 3.2) „Der verlorene Sohn“ von Jheronimus Bosch mag die Verlorenheit des Gläubigen verbildlichen.) - und der Wille, sich zu wehren. Wie sich der Horizont des gemeinen Volkes erweiterte (nicht zuletzt auch durch überseeische Entdeckungen), bot sich durch eine gewisse Bildung und die gedruckte Schrift die Möglichkeit zu eigener Gedankenarbeit. („Das stille Lesen hatte zur Folge, dass mancher sich sein eigenes Bild von der Welt machen und empirische Kenntnisse erwerben konnte, [...]. Es erlaubte die einsame Reflexion, die sonst nur dem frommen Mann im Kloster oder in der Einsiedelei möglich war, an Orten also, die zum Alleinsein bestimmt waren“ (Philippe Ariès und Georges Duby 1991, 10).)

So wuchs eine allgemeine „Versachlichung“ (Verweltlichung). Materielle Werte und Güter begannen immer mehr die „mystischen“ Glaubensinhalte zu verdrängen (-wenn auch nicht ganz, wie bei den Hexenverfolgungen des 16.Jahrhunderts zu verfolgen ist), bzw. sie klarer abzugrenzen von den „sichtbaren“ Dingen: Der Mensch wurde sich selber immer mehr bewusst. (Um auf die Einleitung (2.2) zurückzukommen.)

So konnte sich die Gestalt des Papstes mehr und mehr von der „göttlichen Vorstellung“ lösen und sich ein „kollektives Gefühl, ausgebeutet zu werden“(Boockmann 1990, 124) entwickeln. (Boockmann legt grossen Wert auf letztere Aussage in Bezug auf den Erfolg der Reformation.)

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LUTHER

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1.10 Kindheit bis „Junger Erwachsener“

Martin Luther wurde am 10.Novermber 1483 geboren. Sein Vater war erst Bauer, dann wohlhabender Bergmann, was dem Sohne die Möglichkeiten verschaffte, die Universität zu besuchen. Die elterliche Erziehung war der Zeit gemäss an die Weidenrute gebunden. Später sollte er dazu (ironisch) bemerken: „Ihr Ernst gestreng Leben, das sie mit mir führeten, das verursachte mich, dass ich darnach in ein Kloster lief und ein Mönch wurde.“ Beide Eltern glaubten an Hexen, Elfen, Engel und Dämonen von vielerlei Spielart, und ein grosser teil dieser phantastischen Vorstellungen haftete Martin lebenslang an. Mit 22 Jahren beschloss Luther, Mönch zu werden, was er auch tat. Er wählte das wegen seiner strengen Befolgung der Regel bekannte Kloster der Augustinereremiten und stürzte sich mit Eifer in die klösterliche Erziehung. 1508 versetzte man ihn ins Augustinerkloster zu Wittenberg und übertrug ihm an der dortigen Universität das Lektorat für Physik und Logik und den Lehrstuhl für Theologie. Später, nach einem Rombesuch, beförderte man ihn zum Generalvikar der Ordensprovinz. Daneben predigte er in der Pfarrkirche, legte die Bibel aus und erfüllte alle Amtspflichten mit Eifer und Hingabe (Durant).

Sein geistiger Wandel geschah aber schon vor dem Jahre 1517 indem er Ablasskrämern vorwarf, die Einfalt der Armen auszunutzen und in Briefen den Papst mit dem Antichristen identifizierte.

1.11 Die 95Thesen

Diese an dem Wittenberger Schlosskirchenportal angeschlagenen Thesen richteten sich vornehmlich gegen den Ablass. Eine Grundaussage, die sich im Verlaufe der Lutherischen Reformation noch ausformen sollte, war jene, dass wahrer Glaube seelig mache und nicht allein Taten. (Dass also eine gute Tat durch den Glauben beseelt sein solle und dies für den Ablass nicht gelten könne.) Es ist bezeichnend, dass die Reformation gerade durch einen Mann ausgelöst wurde, der zuallerletzt die bestehende Kirche aus den Angeln heben wollte und der das Wort „Reformation“ erst zwei Jahre später in den Mund (Feder) nehmen sollte. Oftmals wäre er auch unter vielerlei kleinen Bedingungen zum Wiederruf seiner „häretischen Aussagen“ bereit gewesen.

Luthers „Waffe“ war das Wort, das Geschriebene und Gesprochene. Unter der Reformation erlebte die Buchdruckerei ihre erste grosse Blüte. Bücher, Briefe und Flugblätter wurden in immensen Mengen gedruckt und auch gelesen. Die Reformation stützte sich auf Propaganda im heutigen Sinn. Hinzu kam, dass Luther sich der deutschen Schreib-Sprache bemühte, war die damals übliche doch Latein und hob somit die Leserschaft in die gebildeteren Stände. Luther selbst: „Man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll Teutsch reden, wie die Esel tun; sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markte darum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dollmetschen, so verstehen sie es dann und merken, dass man Teutsch zu ihnen redet.“

Die folgenden Jahre in Luthers Biografie knüpfen sich an die überlieferte Geschichte der Reformation bis zum Reichstag zu Worms (1522). Nach dieser „Aussprache“ mit Karl V. und päpstlichen Gesandten versteckte er sich (im Nachhinein unbegründet) für ein Jahr auf der Wartburg. Die Reformation nahm derzeit ihre eigenen Auswüchse an: radikaler Natur und vermehrt unter Einsatz von Gewalt.

Im Jahre 1523 kehrte Junker Georg, wie er sich in dem Exil der Burg hatte nennen lassen, wieder nach Wittenberg zurück, wo er auch seine Posten als Martin Luther wieder einkleidete.

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CALVIN

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1.12 Jugend Calvins

„Calvin wurde am 10.Juni 1509 in Noyon geboren, einem französischen Bischofssitz, darin Dom und Bischof dominierten; so erlebte er von Anfang an das Musterbeispiel einer Theokratie, das heißt eines von Männern der Kirche im Namen Gottes ausgeübten Regiments. Sein Vater, Gérard Cauvin, war bischöflicher Sekretär, Fiskalprokurator der Grafschaft und Apostolischer Notar am Domkapitel. [...]

An die Pariser Universität gesandt, immatrikulierte sich der neue Studiosus im Collège de la Marche als Johannes Calvinus. Nachdem er sich dort einen ausgezeichneten lateinischen Stil angeeignet hatte, übersiedelte er ins Collège de Montaigu, wo man sicherlich noch von dessen berühmt gewordenem Zögling Erasmus gesprochen hat. I528, im selben Jahr, da sein katholischer Gegenspieler, Ignatius Loyola, in dieses College eintrat, trat Calvin aus. [...] 1528 erteilte ihm der Vater überraschend die Weisung, nach Orléans zu gehen und dort Jurisprudenz zu studieren; nach einer Äußerung Jeans weil er «sah, daß die Rechtswissenschaft größere Aussichten bot». Calvin wandte sich dem neuen Studium bereitwillig zu. [...]

Seine Studien in Orleans schloß er als Lizentiat der Rechte ab (1531), kehrte anschließend nach Paris zurück, warf sich mit verzehrendem Feuereifer auf die klassische Literatur und veröffentlichte im Wunsch, sich gedruckt zu sehen, einen lateinischen Essay über Senecas De clementia; der rigoroseste aller religiösen Gesetzgeber leitete sein öffentliches Wirken mit einem Tribut an die Barmherzigkeit ein“ (Durant 1959, 472f).

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LITERATURVERZEICHNIS

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- Blankertz Herwig: Die Geschichte der Pädagogik. Wetzlar: Verlag Büchse der Pandora 1982
- Boockmann Hartmut, Schilling Heinz, Schulze Hagen, Stürmer Michael: Mitten in Europa. Berlin: Goldmann Verlag 1990, 1.Aufl..
- Breysig Kurt: Das neue Geschichtsbild. Berlin: Walter de Gruyter 1944.
- Durant Will: Das Zeitalter der Reformation. Bern: A.Francke AG 1959.
- Eco Umberto: Der Name der Rose. München: Carl Hanser Verlag 1986, 42. Auflage
- Fischer Weltgeschichte: Die Grundlegung der modernen Welt. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag GmbH 1984, 91.-97.Tausend.
- Hammes Manfred: Hexenwahn und Hexenprozesse. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag GmbH 1979, 3.Auflage
- Roberts J.M.: Der Triumph des Abendlandes. Herrsching: Manfred Pawlak Verlags- Gesellschaft mbH. 1989
- Sprenger Jakob / Institutoris Heinrich: Der Hexenhammer. München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG 1983, 3.Auflage
- Stickelberger Rudolf: Sichtbare Kirche. Zürich: Zwingli-Verlag 1942.
- Tolstoi, Leo N.: Krieg und Frieden. München: Artemis & Winkler Verlag 1993, 14.Aufl..

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Details

Titel
Vor-Reformation
Autor
Jahr
2001
Seiten
14
Katalognummer
V105664
ISBN (eBook)
9783640039500
Dateigröße
1004 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Luther, Calvin, Zwingli, tolk
Arbeit zitieren
Claude Sturzenegger (Autor:in), 2001, Vor-Reformation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105664

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