Hermann Bausinger - Die Tübinger Schulgründung


Hausarbeit, 1998

23 Seiten, Note: 1


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. ZUR WISSENSCHAFTSGESCHICHTE

VON DEN KINDERSCHUHEN BIS ZUR WISSENSCHAFT DER VOLKSKUNDE
Humanismus
Aufklärung
Romantik
Mythologismus vs. Positivismus
Volkskunde = nationale Verwaltungswissenschaft?
Volkskunde im Dienste des Nationalsozialismus

3. DER ANSATZ DER TÜBINGER SCHULE

KRITIK AM ALTEN

DAS NEUE IN DER EKW
Volkskwelt & technische Welt - keine Gegensätze?
Technisch natürlich - natürlich technisch
Durch Technik seinen Horizont erweitern

4. SCHLUßBEMERKUNG

5. LITERATURVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

„ Rock ’ n ‘ Roll und Volkstanz, Schlager und Volks- lied gehören zur heutigen Volkskunde. “ (BAUSIN- GER 1961, S. 102)

Werüber den Verfall der schönen alten Mundar- ten klagt, m üß te im Grunde auch in die Klageü- ber das Ende des Analphabetismus einstimmen. “ (Ebd. S.169)

WOLFGANG KASCHUBA stellt sich in seinem Buch „ Volkskultur zwischen feudaler und bürgerli- cher Gesellschaft1 anfangs die Frage, welches wissenschaftliche Fach für das Thema „Volkskultur“ zuständig sei. Er kommt zu dem Schluß, daß die meisten sozial- und ge- schichtswissenschaftlichen Sachkenner vor einigen Jahren dafür wohl noch die Volkskunde als zuständig gehalten hätten. Nun sei jedoch eine andere Situation eingetroffen. Zum einen verstehe man nun unter dem Thema „Volkskultur“ nicht mehr „aus Sitte-, Brauch-, Volks- tracht- und Volksfestmotiven bunte Bilderbögen assoziieren“. Volkskultur stehe nun für eine umfassende Sicht der Kultur und Lebensweise nichtprivilegierter Bevölkerungsgruppen in der Geschichte. Zum anderen hat sich auch das Profil des Faches Volkskunde geändert, so KASCHUBA. Und dies sei nicht nur an der verschiedenen Nomenklatur des Faches (Europäi- sche Ethnologie, Empirische Kulturwissenschaft...) festzustellen. Das Fach sei jetzt schärfer konturiert im Sinne einer deutlich sozialwissenschaftlich orientierten Ausrichtung in Methodik und Theorie.

In dieser Hausarbeit soll herausgearbeitet werden, welchen Anteil HERMANN BAUSINGER zu diesem „Wandel“ in Begriff und Bedeutung beigetragen hat. Dazu wird im ersten Teil die Wissenschaftsgeschichte dargestellt, so wie sie BAUSINGER sieht. Im zweiten Teil wird auf das eingegangen, was BAUSINGER am „Alten“ kritisiert und wo seine Ansätze liegen, „gegenwärtige Volkskultur“ anders zu betrachten als bisher.

2. ZUR WISSENSCHAFTSGESCHICHTE

Von den Kinderschuhen bis zur Wissenschaft der Volkskunde

Der Begriff Volkskunde fiel das erste Mal erst im 18. Jahrhundert. Nach bisheriger Kenntnis geht das Wort auf den Prager Professor für deutsche Reichsgeschichte JOSEF MADER (1754- 1815) zurück, der sich 1787 mit der Staats- und Volkskunde Böhmens beschäftigte. Volks- kunde bezeichnete damals einen Teil der Landesstatistik. Mit diesem Teil der Statistik wurde versucht die eigene Nation nach Sitten und Kulturen bzw. nach sittlichen und kulturellen Gü- tern zu erfassen.2

Daß aber schon weit vor dem 18. Jahrhundert in volkskundlicher Art gedacht und geforscht wurde, läßt sich leicht nachweisen. Schon weitaus früher gab es Interesse nach der eigenen Kultur, nach fremder Kultur, bzw. nach dem Verhältnis zwischen eigener und fremder Kultur.

Humanismus

Die deutschen Humanisten standen in der Tradition von CORNELIUS P. TACITUS (um 55- nach 115), der schon 1500 Jahre zuvor in seinem Werk „ Germania “ systematisch nach Institutionen der eigenen und der fremden Tradition forschte. In diesem Werk findet das deutsche Nationalbewußtsein seinen Ursprung. Und genau dieser Umstand ist der Nährboden für das, was sich später in Deutschland als Volkskunde bezeichnet.

Deutschland als „verspätete Nation“ sucht nach einem nationalen Bewußtsein, nach einer identitätsschaffenden Tradition. In kleine Fürstentümer zersplittert muß der Ursprung für die- se gemeinsame Tradition, die doch alle miteinander verbinden soll, in einem sehr frühen Ur- sprung gesucht werden. Zwar gibt es auch zu dieser Zeit schon Interesse für kleinere, lokale- re Identitäten, doch ist die Aufmerksamkeit auf das Nationale stärker. Im Ausland wurde die „ Germania “ u.a. von PAPST PIUS II (1405-1464). rezipiert, und so gerieten die deutschen Hu- manisten in Zugzwang. Im deutschsprachigen Raum wurde die „ Germania “ um 1500 ge- druckt und somit verbreitet, KONRAD CELTIS (1459-1508) hielt Vorlesungen an der Universi- tät, neben JAKOB WIMPFELING (?), FRANCIUS IRENICUS (1495-1559 ODER 1565) und BEATUS RHENANUS (1485-1547), die historisch-landeskundliche Beschreibungen in der „ rerum Ger- manicarum “ sammelten.

Dieses überwiegende Interesse an der eigenen Kultur wurde durch Ausnahmen wie SEBASTIAN FRANCK (1499-1542) gebrochen. In seinem „Weltbuch“ wird das Exotische, das Fremde, das Kuriose im eigenen Land hervorgehoben.

Aufklärung

Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert findet ein Bruch statt in den zentralen volkskundli- chen Werken. Aus verschiedenen Gründen entsteht dieser Bruch. Zum einen sind es die großen Kriege, die das wissenschaftliche Arbeiten zum Erliegen bringen. Dann, viel wichti- ger, ist die Tatsache, daß uns wissenschaftliche und halbwissenschaftliche Arbeiten aus dem 17. Jahrhundert viel weniger vertraut sind als die der vorausgehenden Epoche. Dies mag daran liegen, daß sie weder die wissenschaftliche Aufbruchstimmung der Humanisten beinhalten, noch derart spezifische wissenschaftliche Prinzipien herausbilden wie das der Fall im 18. Jahrhundert war.3 Die Werke dieser Epoche beschäftigen sich mit der rationalen Erkenntnis, der religiösen Überzeugung und dem Aberglauben. Es wird versucht diese Beg- riffe zu definieren und zu trennen. Daher ist es wenig verwunderlich, wenn gerade in dieser Zeit viele Werke entstehen, die aus heutiger Sicht diese 3 doch verschiedenen Gebiete mi- schen. Was im 18. Jahrhundert zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen vorsichtigem Verstehen und behutsamer Kritik wurde, war hier oftmals noch das abergläubische Phäno- men, welches ohne kritische Auseinandersetzung in einem wissenschaftlichen Sinne erklärt wird.4

Was aus heutiger Sicht als völlig indiskutabel für eine Wissenschaft gilt, gehört aber trotz- dem zu ihrer Entwicklung dazu. Auf der anderen Seite muß es dann aber auch Elemente in der Volkskunde geben, die schon früher erkennbar sind. Aus der Aufklärung haben sich in der konservativen Volkskunde die folgenden 3 Elemente erhalten: zum einen die Entdeckung des Eigentümlichen, die bei GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ (1646-1716) seinen Ursprung fand. Ganz im Gegenteil zu diesem Element stand das zweite, das normative Prinzip, verantwort- lich dafür, daß die Dynamik der Aufklärung abgebremst und ans Herkömmliche angebunden wurde. Das dritte konservative Element hängt mit dem Verständnis von Natur zusammen. Es handelt sich hierbei um den Naturbegriff JEAN-JACQUES ROUSSEAUs (1712-1778). Natur wird hier als Gegenbegriff zu Kultur gesehen. Je jünger der Mensch ist, oder je entfernter er von der Stadt, von der Zivilisation ist, desto unverdorbener ist er von der Kultur, desto natürlicher ist er. JUSTUS MÖSER (1720-1794) soll hier nur als ein Vertreter der konservativen5 Aufklärung genannt werden, der die alte traditionelle Kultur gegenüber der modernen wie sie VOLTAIRE (1694-1778) vertrat, verteidigte.6 Das Alte wird hier aber nicht nur verteidigt, sondern es wird hier schon nach Funktion und Sinn gefragt. Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt, welcher das Alte kritisch hinterfragt - ein Umschwung kündigt sich an.

Die Reiseliteratur als eine neue Sparte der Literatur, die Vergleiche anstellt, ist hier der nächste Schritt, so z.B. die „Volksergötzlichkeit“ von FRIEDRICH NICOLAI (1733-1811). Wie schon oben erwähnt findet in dieser Epoche das Wort Volkskunde in der Statistik unter JO- SEF MADER 1787 seinen Ursprung. Die Fragestellung hier ist später noch ähnlich in der Völ- kerkunde zu finden.7

Romantik

Einer der wichtigsten Vertreter der Romantik in Deutschland war sicherlich JOHANN GOTT- FRIED HERDER (1744-1803). Er schöpfte von GIAMBATTISTA VICO (1688-1744) und CHARLES MONTESQIUE (1689-1755), die bei Völkern eigentümliche Individualitäten, Entfaltungen des Allgemeingeistes sahen. Bei ihm steht der Begriff der Volksseele stark im Vordergrund. Volk wird hier zum Mittel einer „nationalen Verjüngungskur“. Für ihn ist das Volk nicht die niedere Schicht, denn „mit dem Pöbel auf den Gassen jedenfalls hat Volk nichts zu tun: der singt und dichtet niemals, sondert schreit und verstümmelt“.8 Volk ist hier also nicht die soziale Reali- tät, sondern vielmehr wirkende, schöpferische Kraft, die durch den Begriff der Volkspoesie erfaßt wird.

Das volkskundliche Bemühen dieser Epoche besteht im philologischen Sammeleifer. Jedoch HERDER mit seiner Sammlung „ Stimmen der Völker “, wie auch ACHIM VON ARNIM (1781- 1831) und CLEMENS BRENTANO (1778-1842) mit ihrem Werk „ Des Knaben Wunderhorn “ sammeln zwar eifrig zeitgenössische Modeliedchen und Volkslieder, doch werden die Quellen oft nur flüchtig und oft auch gar nicht angegeben.

Wohl den größten Sammeleifer in der Romantik bewiesen die Brüder JACOB (1785-1863) und WILHELM (1786-1859) GRIMM. In zahlreichen Sammelbänden und Werken9 versuchten sie „ das Alte “ detailgetreu festzuhalten. Die Treue zum Alten sah vor allem JACOB GRIMM als oberste Pflicht bei der Betrachtung des Historischen und vertrat somit die Gegenposition zu anderen Zeitgenossen, die mehr Wert auf den Inhalt als auf die historische Genauigkeit leg- ten. Es entwickelte sich ein Konflikt zwischen ihm und ARNIM. Die unterschiedliche Sichtwei- se für das Alte drückte sich auch im Sinn der Sammlungen aus. Bei GRIMM war das pädago- gische Moment entscheidend. Für die „Heidelberger Romantiker“ war neben dem Gedanken der Pflege auch die Erneuerung und Erhaltung des Ursprünglichen wichtig. JOSEPH GÖRRES (1776-1848) hingegen sah sich als „Bienenvater“, der „den letzten Bienenstock“, der „eben wegschwärmen“ wollte, mit Mühe gesammelt hätte.10 Die Formulierung von ARNIM („Fixierte Märchen würden endlich der Tod der gesamten Märchenwelt sein“) drückt eigentlich ein rela- tiv modernes Denken gegenüber der Fixierung von Sagen aus. Es ist aber sicherlich eher in die Auseinandersetzung mit JACOB GRIMM in Bezug zu setzen. GRIMM forderte von ihm die detailgetreue Aufzeichnung von gehörten Sagen und ARNIM konterte mit diesem Argument eben, daß eine wortgetreue Fixierung schlicht nicht möglich sei.

Doch woher kam das Bedürfnis nach Sammlungen des Alten? BAUSINGER findet zwei Gründe: zum einen drückt sich in dem Stichwort Volkspoesie viele der Überlieferungen der bürgerlichen Schichten aus. Und unter der Spätaufklärung entwickelte eben diese Schicht einen enormen „Lese- und Bildungshunger“. Der andere Grund dürfte aber viel gewichtiger sein. Durch die verspätete Herausbildung eines Nationalstaates wuchs nun eben das nationale Bewußtsein. Und durch diese Sammlungen kam das, was „Turnvater“ FRIEDRICH LUDWIG JAHN (1778-1852) als Volkstum bezeichnete, zum Ausdruck.11

Die größte Leistung für die Volkskunde erbrachte in der Romantik dennoch JACOB GRIMM. Er schuf durch seine Vielseitigkeit die Erzählforschung, und die religiöse Volkskundeforschung. Auch ging er mit den Prinzipien und Methoden der Historischen Schule an die Geschichte der Volkspoesie heran.

Mythologismus vs. Positivismus

JACOB GRIMMs Hauptwerk unterscheidet sich zu anderen zeitgenössischen Werken dadurch, daß es ihm nicht mehr um Qualität und Sinn der Mythen geht, sondern um das Sammeln des deutschen Mythos. Im Historischen sah er den Sinn, der Bereich des Ursprungs mußte lokalisiert werden. So waren bei ihm nicht nur schriftliche Quellen anzufinden, sondern vor allem ungeschriebene Traditionen, er zeichnete Traditionen also auf.

Für GRIMM war im Ursprung des Mythos ein religiöser Keim. Für LUDWIG UHLAND (1787- 1862), der nach GRIMM Sammlungen über deutsche Volkskultur und Volkspoesie erstellte („ Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder “), war es eher ein poetischer Keim.

Mit einem weiteren Sammler zeigt sich eine deutliche Wende: Weg vom Mythologismus und hin zum Positivismus. ANTON BIRLINGER (1834-1891) verzichtete auf Erklärungen, verzichtete auf Ordnung in seiner Sammlung. Für ihn war die rein empirische Erfassung der Wirklichkeit oberstes Kriterium:

„ Wir haben nirgendwo weder etwas hinzugethan, noch davon genommen, und uns eben daßhalb jeglicher Deutung enthalten. Wir hoffen, daßman uns aus diesem Grunde die Unterlassung einer streng systematischen Eintheilung des Stoffes verge- ben werde, weil wird den Fehler zu vermeiden glaubten, den wir an Andern so gerne tadeln ,daßsie nämlich in der vieldeutigsten Sage oder Märe sofort eine bestimmte Göttergestalt zu erkennen glauben und nun durch kühne Erklärungsversuche weit ab vom Ziele schießen. “ 12

Es begann eine Zeit des Sammelns vor allem von Bräuchen, Sagen und Märchen. Durch WILHELM MANNHARDT (1831-1880) kam zum Mythologismus der Gedanke des „Elementaren“ hinzu. Sein zweibändiges Hauptwerk „ Wald- und Feldkulte “ (1875-1878) ist die Auswertung seiner eigens angelegten Umfrage bei über 100 000 Gewährsleuten. Der Gedanke des Elementaren bezieht sich zum einen auf Naturelemente, „... zu denen die Sagen und Märchen in direkte Beziehung gesetzt wurden: die wilde Jagd war demnach nichts anderes als eine Deutung des Sturms; Sonne, Mond und Sterne sah man in den verschiedensten Erzählmotiven verborgen. Zum andern aber hielt man solche Naturdeutungen für einen Ausdruck elementarer psychischer Qualitäten, von denen man annahm, daßsie auch noch in der Gegenwart und hier vor al lem in den Erlbenisformen des „ Volkes “ wirkten “ .13

So kann dann die historische Brücke geschlagen werden, daß die Ähnlichkeit der griechi- schen Sage mit den „heutigen“ Erntebräuchen den Schluß zuläßt, daß die damals vorherr- schenden Vorstellungen gleich waren wie heute bzw. auch die gleichen Bräuche ausgeübt wurden wie heute.14

Volkskunde = nationale Verwaltungswissenschaft?

1847 veröffentlicht EDUARD DULLER (1809-1853) das Buch „ Das deutsche Volk in seinen Mundarten, Sitten, Gebräuchen, Festen und Trachten “. In diesem Buch ist nach LEOPOLD SCHMIDT deutlich eine politische Tendenz zu erkennen: gerade in der Zeit, als Deutschland noch aus 36 Kleinstaaten besteht, ist die Rede vom deutschen Volk in seiner Gesamtheit. Bei „Turnvater“ JAHN gab es auch schon eine gesamtdeutsche Betrachtung („ deutsches Volksthum “), doch hier ist es anders: hier werden die regionalen Beschreibungen zu einer nationalen, umfassenderen „Volkskunde Deutschlands“ zusammengefügt, im Vergleich zu JAHN, bei dem es nur einen nationalen Gedanken gab.

WILHELM HEINRICH RIEHL (1823-1897), Professor für Statistik, Verwaltungswissenschaft und Kulturgeschichte knüpft die Volkskunde an die Verwaltungswissenschaft an.

„ Diese Studienüber oft kindische und widersinnige Sitten und Bräuche,über Haus und Hof, Rock und Kamisol und Küche und Keller sind in der That für sich allein eitler Plunder... sie erhalten erst ihre wissenschaftliche wie ihre poetische Weihe durch ihre Beziehung auf den wunderbaren Organismus einer ganzen Volkspersönlichkeit,,, und von diesem Begriff der Nation gilt dann allerdings im vollsten Umfang der Satz, daßunter allen Dingen der Welt der Mensch des Menschen würdigstes Studium sey. “ ( RIEHL, WILHELM HEINRICH: Die Volkskunde als Wissenschaft [ 1858]. In: Kulturstudien aus drei Jahrhunderten. Stuttgart/Berlin 1903, S.215).

RIEHL kehrt der positivistischen Sammelwut endgültig den Rücken zu und gibt sich seiner „Idee der Nation“ hin. Die kulturelle Vielfalt der Regionen wird ledigilich registriert, aber es wird weder nach Funktion, noch nach Wert gefragt, da sie als Zeugnis der Volksseele gesehen werden und somit als nationaler Wert verstanden werden.

„ Die organische Gesamtpersönlichkeit des Volkes wäre zuerst zu bestimmen nach ihren natürlichen ethnographischen Grundzügen - Land und Leute, wie sie sich ge- genseitig bedingen. Dann kämen jene durch die Bande der Natur und des häuslichen Lebens zusammengehaltenen kleinen Gruppen und solche, welche den Staat noch nicht notwendig voraussetzen - die Lehre von der Familie. Dann jene umfassende- ren organischen Glieder der Volkspersönlichkeit, jene Gruppen, die durch Sitte, Beruf und Lebensweise sich voneinander abheben, die natürlichen Stände - die Lehre von der Gesellschaft. “ (RIEHL, WILHELM HEINRICH: Land und Leute. 1853, in der Einlei- tung.)

Was RIEHL aber zu Gute gehalten werden muß, ist, daß er 1858 die „ Volkskunde als Wis senschaft “ thematisierte. Jedoch muß man auch beachten, daß er die Wissenschaft im Dienste der Polizei, bzw. der Verwaltung sah.15

Volkskunde im Dienste des Nationalsozialismus

Unter dem Nationalsozialismus wurde in vor allem in und wahrscheinlich auch vor allem durch die Volkskunde das „ Organische Prinzip “ hervorgehoben. Eigentlich entstammt das Prinzip RIEHL, der in München eine Professur für Kameralistik und Staatswissenschaft inne hatte, was präziser formuliert als „ organsiche Gesellschaftslehre “ gelten sollte. 1932 ver- suchten die Nationalsozialisten ADOLF HITLER (1889-1945) eine außerordentliche Professur für „ organsiche Gesellschaftslehre “ einzurichten. Dies allerdings nur, damit HITLER auf diese Weise die deutsche Staatsbürgerschaft und damit die Basis für eine Kanidatur bei der Reichspräsidentenwahl erhalten könnte.

ALFRED ROSENBERG (1891-1946) schrieb 1930 „ Der Mythos des 20. Jahrhunderts “ . Wie schon HITLER, der an den Begriff der organischen Gesellschaftslehre von RIEHL anknüpfte, versuchte auch ROSENBERG an den Begriff des Mythos anzuknüpfen wie er bei GRIMM stand. Doch war dieses Anknüpfen eher ein Zerrbild.16 ROSENBERG wies 1938 den Weg: das 19. Jahrhundert sei das Jahrhundert des Sammelns gewesen, und das 20. Jahrhundert sei eben das Jahrhundert des Wertens. Die volkskundliche Forschung solle eine volkstümliche, politische Wissenschaft sein, die auch Kraft und Mut zur Wertung habe.17

Was aber waren die wesentlichen Elemente der Volksideologie, die sich deutlich in der Volkskunde abzeichneten?18 Sicherlich an erster Stelle ist der nationale Akzent zu nennen. Dieser war zwar schon wie oben in früheren Epochen zu sehen. Er zog sich praktisch quer durch die ganze neuere Geschichte, und damit auch quer durch die Forschungsgeschichte der Volkskunde. Im Nationalsozialismus diente der nationale Akzent überwiegend als Ab- grenzung zum Bolschewismus, „... dessen Ziel man in der völligen Vernichtung jeder völki- schen Eigenart “ 19 sah.

Das zweite Element der völkischen Ideologie ist die Betonung des Rassischen. Auch dies war zu diesem Zeitpunkt in der Volkskunde nichts Neues. Der Führungsanspruch der nordi- schen Rasse wurde hier ohne empirische Untersuchung, aber dafür mit massiv - ideologischer Prägung ungefragt und naiv übernommen.

Ein weiteres Element dieser ideologischen Reihe war, daß sich die damalige Gegenwarts- volkskunde nur das deutsche Bauerntum als soziales Untersuchungsfeld sah. Obwohl die Gesellschaft sich im Laufe der Industrialisierung stark differenziert hat, wird jede andere so- ziale Klasse ausgeblendet. Diese Betrachtungsweise führt zum nächsten ideologischen Ele- ment, dem organsichen Gesellschaftsprinzip. Wie oben schon erwähnt, wird unter dieser Betrachng die Änderung des Gesellschaftsbilds durch die industrielle Revolution einfach nicht wahrgenommen. Es erfolgt ein statisches Bild einer Gesellschaft, in der das Bauerntum immer noch die breite Basis bildet.

Eine quasi religiöse Bestrebung der Nationalsozialisten wäre auch noch ein ideologisches Element. „ Das Hakenkreuz ist wie ein Stern, der uns den Weg weist. “ 20 Deutlich wird in die- sem Zitat die Verbindung zwischen der christlichen Überzeugung der Kirche und dem Natio- nalsozialismus. Nach BAUSINGER ist dennoch die Vokskunde nicht nur von den Nationalsozi- alisten instrumentalisiert, sondern es geht eindeutig nationales, rassistisches und organi- sches Denken aus ihr selbst hervor. In diesen Tendenzen wurde die Volkskunde unter den Nationalsozialisten verstärkt.21

Aber wie kommt es dazu, daß eine Wissenschaft praktisch nahtlos zu einer politischen Rassenkunde wird? Für BAUSINGER liegt es daran, daß tragende Gedanken und leitende Fragen aus den vorausgegangenen Jahrzenten in den Wissenschaftsbetrieb des Dritten Reiches übernommen wurden. Dies ist scheinbar auch die wichtigste Voraussetzung dafür, daß nach dem Krieg kein durchgängiger Selbstreinigungsprozeß stattgefunden hat. Die Wis- senschaftler waren sich keiner Schuld bewußt, da sie sich ja schon vor dem Nationalsozia- lismus auf Schienen bewegten, die etwa nach der germanischen Kontinuität suchten oder die noramtive Orientierung am Bauerntum hatten. Die Kritik22 wurde beiseite geschoben und das Maxim lautete leider nach wie vor Material festzuhalten und auszubreiten.23

3. DER ANSATZ DER TÜBINGER SCHULE

Mit seiner 1961 erschienenen Habilitationsschrift „ Volkskultur in der technischen Welt “ eröff- nete BAUSINGER der Volkskunde einen neuen Ansatz. Einen Ansatz, der sich mit der Kom- munikationsforschung beschäftigt, mit Fragen der Massenkommunikation, im Speziellen mit Trivialliteratur und dem mechanisierten Kunstgewerbe.24 Viele der alten Normen der volks- kundlichen Forschung werden hier aus einem anderen Blickwinkel neu belichtet und somit anders wahrgenommen. BAUSINGER ist der Meinung, daß die Volkskunde mehr sozialwis- senschaftlich orientiert sein soll.25 Die Fragestellung sei die Beziehung zwischen Gesamtkul- tur und Subkultur, sie gäbe die Chancen über Veränderung der Gesellschaft.26

Im vorigen Kapitel wurde versucht, die Wissenschaftsgeschichte in einigen knappen Schritten so nachzuvollziehen, wie sie BAUSINGER darstellt. Dies im Hinterkopf zu behalten, ist wichtig, um vor allem die Kritik BAUSINGERs zu verstehen. In diesem Kapitel sollen nun die Unterschiede zwischen der „alten“ Volkskunde und der „neuen“, wie sie BAUSINGER sieht, deutlich werden. Dazu werden zum Einen die Kritikpunkte an dem Alten hervorgehoben und zum Anderen die Konzepte des Neuen, der empirischen Kulturwissenschaft, vorgestellt. das Verhalten in ihr binden, nicht kritische hinterfragt. Bei der Volkskunde ist es wohl anders. Die Distanz zur Gesellschaft fehlt ihm, so daß eine kritische Betrachtung nicht möglich ist bzw. war.

Kritik am Alten

Entgegen dem stillschweigendem Konzept der Enthistorisierung wird zunehmend versucht, historisch zu forschen; also nicht fortzufahren, wie in der nationalsozialistischen Ära, in der „germanische Schöpferkraft“ und ähnliches ohne Rück- Keine festen Zeiten für Peitschenschläge INGOLSTADT (dpa). Ein junger „Goaßlschnalzer“ hat vor dem Ingolstäd- ter Amtsgericht lautstark für das bayeri- sche Faschingsbrauchtum gekämpft und eine Einigung abgelehnt: Regelmäßig übt der 17jährige Lehrling vor dem Anwesen einer 40jährigen Frau mit der „Goaßl“ - einer Peitsche - und verursacht damit erheblichen Lärm. Auf ausdrückliche Anordnung des Richters brachte er am Dienstag seine meterlange Peitsche mit und gab zur Freude der Zuhörer vor dem Gerichtsgebäude und auf der Straße Kostproben seines Könnens. „Jetzt konn- ten wir uns alle davon überzeugen, daß das Schnalzen laut ist“, meinte der Amts- richter. Auf den Vorschlag des Amtsrich- ters zur Güte, sich beim Schnalzen künftig auf feste Zeiten zu einigen, ließ sich der angehende Tischler nicht ein. Er stelle selber „Goaßln“ her und bevor er sie verkaufe, müsse er sie ausprobieren. Das „Goaßlschnalzen“ hat im Altmühltal Tradition. Quellen aus dem 18. Jahrhun- dert berichten, daß schon damals die Männer meterlange Stricke laut schnal- zend durch die Luft wirbeln ließen. Das Urteil wird am 4. Februar verkündet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Aus der BADISCHEN ZEITUNG vom 27. Januar 1999, S.23.

sicht auf die historische Entwicklung von zwei Jahrtau- senden als etwas voll und ganz Lebendiges und Gegen- wärtiges postuliert wurde.27 Die Worte „Ursprung“ und „uralt“ wären heute aus dem Wortschatz der wissen- schaftlichen Volkskunde schon verbannt, doch drücke sich ihr Denken noch in dem Begriff der Kontinuität aus, so BAUSINGER.28 Dieser Begriff sei nur dann gerechtfer- tigt, wenn über einen weitausholenden Zeitraum unun- terbrochen Überlieferungen nachzuweisen seien. Die Münchner Schule unter HANS MOSER und KARL- SIGISMUND KRAMER leisteten auf diesem Gebiet Pionier- arbeit. Hier wurde den ungedeckten Kontinuitätsbehaup- tungen der Kampf angesagt und der historischen Volks- kunde die Richtung gewiesen. Doch auch mit diesem im Hinterkopf sei heutzutage immer noch das alte Kontinui- tätspostulat in volkskundlicher Literatur zu finden. Jetzt unter dem Deckmantel des Traditionsbegriff. Doch auch hier muß grundsätzlich unterschieden werden. Natürlich hat Tradition etwas mit der Vergangenheit zu tun, doch kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß Traditionen starr sind. Sie sind veränderlich. Nur eine tote Tradition ist eine starre Tradition.29

Ein weiterer Angriffspunkt an der Volkskunde der Nachkriegszeit ist die Tatsache, daß Volkskultur nun nicht mehr als bäuerlich geprägte Ensemble kultureller Formen und Inhalte gesehen wird, sondern als kulturelle Äußerung und Spiegelung der unteren Schichten in ih- rer ganzen gesellschaftlichen Vielfalt, im Besonderen wird auf die Kultur der Arbeiter abge- zielt; so entsteht aus der Bauernforschung ein neues Untersuchungsfeld, die Arbeiterfor- schung, hier im Besonderen durch INA-MARIA GREVERUS. Dies trägt nachhaltende Verände- rungen mit sich: der Untersuchungsgegenstand der Volkskunde wird maßgeblich durch den Begriff Volk geprägt. Das neue Untersuchungsfeld der Arbeiter hängt automatisch auch mit einem geänderten Volksbegriff zusammen. Es kann sich dabei nicht mehr um eine altertüm- liche Begriffsdefinition wie etwa zu Zeiten eines FRIEDRICH LUDWIG JAHN handeln, bei dem es ein einheitliches, homogenes Volks mit ausschließlich einem Volksthum gab. Auch kann es genauso wenig der Volksbegriff sein, der in der nationalsozialistischen Ära das rassische und vor allem das organische Prinzip unterstützt hat. Der Bauer ist eben nun nicht mehr das „ Fundament der gesamten Nation “. Die Einheitsgesellschaft gibt es nicht mehr. Sie besteht nun aus verschiedenen Schichten, und jede Schicht hat ihre eigene Kultur. Worauf BAUSIN- GER Wert legt ist die Tatsache, daß die Industrialisierung die gesellschaftliche Bevölkerungs- pyramide drastisch verändert hat.30

Ein weiterer Kritikpunkt BAUSINGERs, der auch mit dem Mißachten der Folgen der Industria- lisierung zu tun hat, ist der Kulturbegriff überhaupt. Volkskultur in der technischen Welt an- statt konservativem Kulturbegriff. Es geht um das Verhältnis der Gegenwartskultur zur tradi- tionellen Kultur. „ Dominierende Formen der gegenwäritgen Kultur dürfen nicht ausgeblendet werden mit dem Ziel, das Konstrukt traditioneller Volkskultur unbeschädigt zu halten “;31 viel- mehr geht es um die Veränderung, hauptsächlich hervorgerufen durch den Tourismus und die Medienkultur.

Desweiteren fordert BAUSINGER: weg von der philologisch-ästhetischen Isolierung und hin zu funktionalen, lebensgeschichtlichen Zusammenhängen. Volkskunde soll nun nicht mehr eine Wissenschaft sein, die lediglich zur ästhetischen Garnierung beiträgt, sondern die mit anderen Sozialwissenschaften an realen Problemen arbeitet, die immer auch eine kulturale Seite haben. Die Analyse eben dieser kulturalen Seite gesellschaftlichen Lebens ist die Auf- gabe der Volkskunde.32

Schließlich ist auch ein „In-Frage-Stellen der herkömmlichen Sparteneinteilung“ zu beo- bachten (Märchenforschung, Volksliedforschung, Wandschmuckforschung). Tatsächlich hat BAUSINGER dafür gesorgt, daß ein neues Denken in die Volkskunde bzw. in die Empirische Kulturwissenschaft einzog, so GOTTFRIED KORFF. Dies äußere sich in neuen Begriffen wie Horizonterweiterung, Kulissenheimat, Ironisierung des Sentimentalen, Funktionsäquivalenz,

Pygmalion-Effekt, Fließgleichgewicht, oder in neuen Untersuchungsfeldern wie z.B. Kultur in der Großstadt, Alltag der Industriegesellschaft, neue Medien, Trivialliteratur.33

Das Neue in der EKW

Warum ist die Volkskunde nach dem Nationalsozialsimus nicht mehr aktuell? Was hat sich in der Gesellschaft geändert? Was muß sich in der Auffassung der Wissenschaft ändern, um die kulturelle Änderung wahrzunehmen, die eben durch die gesellschaftlichen Veränderungen hervorgerufen wurden? Auf diese Fragen soll nun im folgenden eingegangen werden. Die Habilitationsschrift „ Volkskultur in der technischen Welt “ von HERMANN BAUSINGERs steht hierbei im Mittelpunkt der Betrachtung.

Das, worum es BAUSINGER geht, ist die veraltete Auffassung des Begriffs Volkskultur, die besagt, daß der traditionelle Teil der Gesamtkultur von Impulsen der Modernisierung noch nicht erreicht ist. Dieser konservativen Sichtweise stellt BAUSINGER seine Hypothese gegenüber: er versucht zu zeigen, wie sich die Modernisierung in die Volkskultur hineingeschoben hat. Mit der Gegenüberstellung von Volkskultur und Moderne - von irrationaler und rationaler Welt - läßt sich seiner Meinung nach nicht mehr operieren.

Volkskwelt & technische Welt - keine Gegensätze?

Der Übergang von vorindustrieller bäuerlicher Kultur zur Volkskultur in der technischen Welt wurde von der Volkskunde kaum wahrgenommen. Mit den alten Sichtweisen konnten neue Werte in der Gegenwartsvolkskunde nicht mehr richtig betrachtet werden. Die Reliktgebiete des „Volkes“ sind nicht mehr nur Dörfer, sondern auch Großstadtviertel, an denen der wirt- schaftliche Aufstieg vorbeigegangen zu sein scheint. BAUSINGER ist der Auffassung, daß die neue Entwicklung des Faches nicht darin bestehen kann, daß neue Gegenstände an den alten Begriffen gemessen werden.34

Somit sind auch schon die 2 Hauptthesen angeschnitten, gegen die BAUSINGER vorgeht: zum einen soll sich Volkskunde nicht mehr auf das Bauerntum und das Landvolk als Unter- suchungsobjekt reduzieren, und zum anderen fordert er eine Gegenwartsvolkskunde.35

Doch wie stellt sich BAUSINGER den Übergang von der vorindustriellen zur technischen Welt vor? Oder anders formuliert: wie hat sich die Gesellschaft geändert, so daß nun für die Volkskunde nun nicht mehr allein die Gesellschaftsschicht der Bauern bzw. ihre Kultur im Mittelpunkt der Betrachtung steht? Um diese Frage zu beantworten, versucht BAUSINGER zuerst einmal die gängigen Vorstellungen der Gegenüberstellung - traditionelle, irrationale Volkskultur und rationale, moderne technische Welt - zu entkräften. Er findet auf beiden Sei- ten Elemente der anderen Seite: schon in dem 1937 erschienen Buch „ Volkswelt und ge- schichtliche Welt “ 36 von JOSEPH DÜNNIGER wird die Volkswelt als unhistorisch, statisch be- schrieben und die technische Welt als historisch, dynamisch beschrieben. Doch im selben Buch wird auch das Gegenteil behauptet: es ist davon die Rede, „ daßdie volkskundlichen Erscheinungen ihre Geschichte haben “ , und daß das Wesentliche „ die Berührung und fruchtbare Auseinandersetzung “ von Volkswelt und geschichtlicher Welt sei.

Auch daß die technische Welt nur historisch ist, muß eingeschränkt werden. Sind es ja nicht gerade die Naturwissenschaften - die sich mit der industriellen Revolution ja gerade gegenseitig beeinflussen -, die nach den dauernd gültigen, unveränderbaren, damit also ungeschichtlichen Prozessen forschen?

Nach der Ansicht BAUSINGERs muß der bloße Gegensatz zwischen Volkswelt und techni- scher Welt aufgelöst werden. Er sieht, woher dieser Gegensatz kommt: die Romantiker wa- ren entschiedene Gegner der technischen Welt. Darum fordert BAUSINGER auch, daß sich die Volkskunde von ihrer philologischen Seite trennt und endlich sozialwissenschaftlich und funktional argumentiert.

Bei der Sicht auf Technik ist es wichtig, daß unterschieden wird zwischen der Technik mit ihrer rationalen Struktur und der technischen Welt, in der die Rationalität mitunter in gefährlichen Maße zurücktritt.37 Technik ist also nicht nur rational. Die Volkswelt:

Wo der Melker mit neuen Arbeitsmethoden und besserem, sauberem Gerät sich dem Milch- und Buttergeschäft fachmännisch exakt erfolgreich unterzieht, da hat die Hex keinen Anlaßmehr, das Butterwerk heimtückisch und unhold zu stören. “ 38

Auf der anderen Seite aber auch genauso die technische Welt mit irrationalen Elemente. So z.B. das Maskottchen im Auto, welches sicher nicht nur die Funktion von Schmuck erfüllt. Es den“ für den Bestand des Volkstums wieder so lebendig ins Bewußtsein rufen, so daß der Zustrom zur Großstadt in ein Abströmen umgewandelt wird. (Siehe KLAPPER, JOSEPH: Volkskunde der Großstadt. In: Peßler, Wilhelm: Handbuch der Deutschen Volkskunde. Potsdam 1934, 1. Bd., S.103-119.) ist etwas Irrationales in der rationalen Welt. Das Element des Mythischen ist offensichltich sowohl in der Volkswelt wie auch in technischen Welt enthalten.

Aber wie kommt es dazu? Wie kann etwas aus der „natürlichen Volkskultur“ in der techni- schen Welt plötzlich auftauchen - oder anders gefragt: hat sich die technische Welt so ver- ändert, daß wir sie als etwas Natürliches sehen und sie somit auch als etwas Natürliches behandeln?

Technisch natürlich - natürlich technisch

Wie wird das Technische natürlich? BAUSINGER erkennt die technische Welt in der Volkswelt: in der Aufzeichnung eines Weihnachtsspiels von 1417, wird deutlich hervorgehoben, daß der Stern, der den Königen den Weg wies, durch eine Maschine bewegt wurde: eine Maschine in der Welt des Theaters.39 Auf der anderen Seite existiert auch die Volkswelt in der techni- schen Welt: der Theologe PHILLIP ADAM ULRICH (1692-1748), der sich sehr für den landwirt- schaftlichen Fortschritt durch Technik einsetzte, konstruierte eine Pflug- und Dreschmaschi- ne. Sein Biograph FRANZ OBERTHÜR berichtet, von einer Sage, die sich um diese Erfindung bildete.40 Die Maschine soll bei der Arbeit eine große Menge von Steinen mit großer Wucht auf die Arbeiter geschleudert haben. Was hier deutlich werden soll ist die Tatsache, daß ei- ner technischen Maschine etwas „Übertechnisches“ angedichtet wird. Anfangs hatte die Ma- schine etwas Magisches, teils weiße Magie, teils schwarze Magie. Doch nach und nach hat man sich an den Zauber der Technik gewöhnt. Die Technik ist heutzutage in die natürliche Umwelt eingeflochten. So soll z.B. die Osterkerze am Karsamstag in manchen Regionen nur auf natürliche Art entzündet werden, mit einem Streichholz. In anderen Regionen kann sie mit dem Feuerzeug angezündet werden. In diesen Regionen ist aber kein Brauch fallen- gelassen worden, sondern die Sicht für das „Natürliche“ hat sich so sehr geändert, daß nun eben auch das Feuerzeug als natürlich gilt.41

Der Einzug des Technischen in die Volkswelt läßt sich aber auch deutlich in der Sprache erkennen. Das Technische in „eine lange Leitung haben“ oder „ein alter Mann ist doch kein D-Zug“ sehen konservative Kulturkritiker nur als nebensächliche Objekte und nicht als Sub- jekt. BAUSINGER ist der Ansicht, daß diese Auffassung überholt ist. Auf diese Weise würden technische Formen der „Massenkultur“ oder der Volkskultur ausgeblendet. Die Volkskultur schrumpft hier auf die Reliktforschung der bäuerlichen Kultur zusammen. BAUSINGER sieht jedoch nicht das Ende der Volkskultur, sondern eine Veränderung durch die Technik. Ge- nauso anerkennt er aber auch, daß die Technik ein Auslöser für Regressionen sein kann. Dort, wo die Technik versagt, findet sie keine Freunde. Doch darf diese Regression nicht als Zustand, sondern als ein Prozeß in der Entwicklung gesehen werden, die die Technik als natürlich erscheinen läßt.

Diejenigen Schichten und Gruppen, die am spätesten mit der Technik in Berührung gekommen sind, müssen am schnellsten nachziehen - in erster Linie gilt dies für große Teile des Bauerntums. Die Regressionen sind Verwirrungen und Pausen bei diesem Vorgang. “ 42

Durch Technik seinen Horizont erweitern

Es sieht so aus, als ob durch die Einführung der Maschine sich der gültige Horizont verschoben bzw. erweitert hätte. Wenn man diese Verschiebung beobachtet, kommt man auf die Spur der heutigen Volkskultur. Dieser Weg wird abscließend im folgenden in 3 verschiedenen Richtungen verfolgt: der räumliche, der zeitliche und der soziale Horizont.

a) Der räumliche Horizont: die Einheit des Ortes war nie absolut. Immer gab es doch Kon- takt nach Außen: die Magd, die den Markt im nächsten Dorf besucht oder der Knecht, der das Pferd zum Hufschmied im Nachbardorf bringt. Dennoch läßt sich eine Begrenzung durch die Sprache, durch regionale Dialekte, aber vielmehr noch durch regionale Redensarten be- weisen.43 Gleichwohl besteht die Einheit des Ortes nur zu einem Zeitpunkt und nicht über eine lange Zeitspanne. Der Horizont ist nicht undurchtrennbar, er löst sich auf bzw. ver- schiebt sich: Phantasien und Vorstellungen vom Fremden werden durch Reiseberichte „ent- täuscht“. Der räumliche begrenzte Horizont wird aber auch durch Gesangvereine und Sport- vereine durchschritten. Die Kommunikation, die im Dorf nur intern stattfindet, wird sowohl durch Gesangvereine - die auf der einen Seite zu ihrem heimischen Liedgut vermehrt frem- des Liedgut übernehmen - wie auch durch Sportvereine - die durch Wettkämpfe überregio- nalen Kontakt zu anderen Sportvereinen haben. Zu dem Reisebericht, dem Gesangverein und dem Sportverein treten aber auch noch der Tourismus und auch die Massenmedien zu einer Horizonterweiterung hinzu: der Tourist, der im Urlaub seine heimatlichen Werte mit in den fernen Urlaubsort nimmt, wo er ja wiederum mit für ihn fremden Werten konfontiert wird und auf der anderen Seite die Massenmedien wie Radio, Werbung, Zeitung und Fernsehen, die moderne kulturelle Werte bis in die entlegensten Winkel transportieren.

Ein weiterer Grund für den Zerfall des räumlichen Horizonts dürfte die Wirkung Exotischem sein. Im wissenschaftlich-technischen Zeitalter ist entweder das Alltägliche oder das Fremde von Bedeutung. Ebenso ist auch eine Mischung von beiden Elementen zu beobachten (siehe Abbildung 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Ein Beipackzettel von einem Überraschungsei. An der Zusammensetzung von Vor- und Nachnamen der Figuren (v.a. Max Mallorca) ist die Kombination von Heimat (Vorname, z.B. Xaver, Sepp) und der Fremde, bzw. dem Urlaub zu erkennen. Aus dem Text der Rückseite: „ Davon haben die Top Ten Teddies das ganze Jahr geträumt: ein Trau murlaub unter Palmen ... “ Tourismus prägt die Volkskultur.

Bei der Fasnacht ist z.B. schon um die Jahrhundertwende bei Umzügen festzustellen, daß sowohl „Dschungelgeheimnisse“ wie auch „Eine Nacht in Venendig „ das Motto sein kann. Aber wie ist denn eine solche Vermischung mit dem Exotischem möglich? Ist denn Volks- kultur nicht immer Heimatkultur verbunden und grenzt sich diese nicht nach Außen hin ab? BAUSINGER erkennt, daß der Begriff Heimat relativ neu ist - um das 19. Jahrhundert - also erst mit dem Zerfall des Horizontes auftaucht. Dieser Trend bestätigt sich, wenn man sich Heimatvertriebene oder Flüchtlinge anschaut: je mehr der Horizont zerstört ist, desto stärker ist der Heimatbegriff. Das Heimatbewußtsein tritt somit sehr stark dem „Gesetz der Fremde“ gegenüber, wird aber zum Großteil auch erst dadurch hervorgerufen. So z.B. Heimatfest, die eigentlich dem Fremdenverkehr dienen.

Der Begriff Heimat ist also zweischneidig: einmal schafft er Identität, auf der anderen Seite ist er Kulisse für Tourismus, ist also etwas Gestelltes.44 Diese beiden Positionen lassen sich z.B. am Heimatlied und am Heimatschlager zeigen. Beim Schlager schwingt oft das Exotische mit, das dann von einem Fernweh plötzlich in ein Heimweh umschlägt. Heimat- & Naturgefühl stehen dann oft sehr eng beieinander.

b) Der zeitliche Horizont: Dieser Horizont unterscheidet sich vom vorigen dadurch, daß es sich hier um einen historischen Horizont handelt. Das heißt: viele volkstümliche Güter wer- den eher über die Zeit als über den Raum vermittelt. Mit diesem Horizont treten dann Begrif- fe wie Akzeleration und Flüchtigkeit auf. Akzeleration bedeutet hier im weiteren Sinne die Beschleunigung der Erlebniszeit, wie etwa von Großstadtmenschen, die durch den raschen Wechsel von Eindrücken in der Großstadt einen entsprechend raschen Wechsel von Kultur- gütern haben. Der rasche Wechsel von Kulturgütern heißt auf der einen Seite eine steigende Anzahl von Kulturgütern, auf der anderen Seite aber auch einen sinkenden Nachdruck, eine schwächere Wirkung von ihnen. Der Großstädter muß also mehr selektieren, er hat das grö- ßere Angebot, muß sich also für einige wenige entscheiden, da er sonst zwar immer mehr Kulturgüter wahrnehmen würde, diese aber ein immer abgeschwächteres Bild bei ihm als Eindruck hinterlassen würden. Die Flüchtigkeit ist also ein Schutzmechanismus.

In der modernen Volkskultur scheint eine Enthistorisierung stattgefunden zu haben, eine eingeschränkte aber: Mode bedient sich oft an dem Vergangenem, vor allem bei der Klei- dermode und auch bei der (Pop-) Musik. Somit bezieht sich die Verfügbarkeit der Güter nicht nur auf weite Räume, sondern auch auf lange Zeiten. Wo das Neue gesucht wird (in der Mode), ist das Denken bereits historisiert; das Heutige wird dem Vergangenem bewußt entgegengestellt. Dieses Bild wird in der Volkskunde fälschlicherweise mit dem Gegensatz Mode und Sitte bezeichnet. Was aber bei dieser Betrachtung fehlt, so BAUSINGER, ist die Funktion der Tradition, denn hier ist Tradition kein Ausgraben des Vergangenen, sondern ein kontinuierliches Weitergeben und Überliefern. So ist alles Neue zuerst Mode, und wird dann im Laufe der Zeit - wenn es „aus der Mode gerät“ - einmal Sitte, jedoch mit einer anderen Funktion.

Anfang des 20. Jahrhundert wurde versucht, dem Niedergang der Volkspoesie Einhalt zu gewähren. Es sollte festgehalten werden, was schon ewig da war.45 Dieses Vorgehen beruht auf einem Irrtum, so BAUSINGER. Das, was schon ewig da war, war nicht ewig da. Die Ju- gendbewegung versucht eine historischen Rückgriff im historischen Sinne, will revolutionär sein, steht damit aber in einer langen, konservativen Tradition. Auffällig ist hier auch wieder die Rolle der Wissenschaft. Die Volkskultur (hier die Volkslieder) soll hier akademisch erfaßt werden, um sie dann wieder dem Volk zurückzugeben. Dies wurde schon damals von JUSTI- NUS KERNER als unecht interpretiert:

Wie das Bier schlechter geworden sei, seit gelehrte Chemiker sich der Bereitung desselben annehmen, so verliere durch das schulmeisterliche Eindrillen der Lieder und dasängsltiche Sortieren und Hinaufschrauben der Stimmen der Volksgesang sein Ursprüngliches, man merkeüberall den Taktstock heraus... “ 46

In diesem Sinne stehen auch die Gesangvereine, die als Gegenmaßnahme zum „geschmacklosen“ Volkslied geplant sind.47 Sie hatten also wie die angewandte Volkskunde Pflege und Erneuerung der untergehenden Volkskultur - Der Liedermacher Reinhard Mey ist empört über seine Nominierung für den Echo Pop 1999 in der Sparte Schlager. Er empfinde diese als Beleidigung, schrieb er der Deutschen Phono- Akademie. Er habe stets nach Auswe- gen aus dem Elend des deutschen Schlagers gescuht, der im Ausland mit Spott bemerkt werde. dpa

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Ausschnitt aus der BA- DISCHEN ZEITUNG vom 26.1.1999, S.22.

zur Aufgabe.

Sängerfeste, Turnfeste und Schützenfeste standen eigenlich in der Tradition die Fortführung des Alten zu betreiben. Doch sie hätten sich eher zur Aufgabe ma- chen sollen, diese zu pflegen und zu erneuern. Zwar sind selbst heute solche Feste noch aktiv, aber ein Fort- leben der „eigentlichen“ Volkskultur kann man hier nicht finden. Sei es nun eine wissenschaftliche Insititution oder eine andere, sobald das Pflegerische bei einem aussterbenden Brauch oder einer Tradition in’s Spiel kommt, besteht immer auch eine Gefahr: Es wird versucht das Kontinuitätsproblem zu lösen. Alte „Kamellen“ werden wissenschaftlich ausgegraben und künstlich am Leben erhalten. Bei dem Betrachter solcher Feste kommt es dann unweigerlich zu einem Miß- verständnis: er hält die Darbietungen für kontinuierliche Tradition, die sie ja nicht mehr ist.

„ Wo Tradition nicht an die unmittelbare Vergangenheit anknüpft, sondern weit zu- rückgreift, schlägt das Historische leicht ins Zeitlose um: was in Wirklichkeit ge- schichtlich und gesellschaftlich geprägt war, erscheint dann als dauernd Gültige, als Natur. “ 48

Bei einer „lebendigen“ Tradition ist dies anders: Teile der Gegenwart werden in sie miteinge- arbeitet. Anders bei der „toten“ Tradition. Bei aufgeschriebenen Märchen wie bei denen der GEBRÜDER GRIMM ist eine Requisitenerstarrung anstatt einer Requisitenverschiebung festzu- stellen.

c) Der soziale Horizont: vor der industriellen Revolution - in der ständischen Gesellschaft - war es jedem Stand eigen, seine Kultur zu entwickeln. Das „Volk“, hier meist nur der dritte oder der vierte Stand differenzierte sich von den anderen durch Geld, Besitz, Macht, Recht, Geschäft, Würde, etc. . Diese differenzierte Gesellschaft gibt es heute nicht mehr und so entsteht also eine Tendenz zur „ Einheitskultur “.49 Diese Tendenz zur Einheitskultur hängt für BAUSINGER stark mit dem unbegrenzten Angebot an Wissen und Bildung zusammen.

Der Unterschied zwischen Nieder- und Hochkultur kann heute nicht mehr so scharf gezogen werden wie früher. Dieses Rangbewußtsein führte früher zu der Bewegung, die HANS NAU- MANN als „ absinkendes Kulturgut “ bezeichnet.50 Aber durch das Absinken wurde die Volks- kultur nicht nur geprägt, sondern wurde dadurch auch umgeformt. Durch die Aufhebung der ständischen Gesellschaft radikalisierte sich die Spannung zwischen Hoch und Tief. Im 19. Jahrhundert wurde zwar versucht die Volkskultur gegenüber der höheren Kultur aufzuwerten, doch praktisch erfolgte ein Niedergang. Volkskultur wurde stärker von der hohen Kultur ko- piert, meist kritiklos und nicht aktiv. So entsteht eine Kulturform, die etwas nachahmt; der „ Kitsch “. Es ist etwas, das ohne Kraft der Umformung nachgeahmt wurde und einen Attrap- pencharakter besitzt. Dieses „ Sentimentale “, die Überladung mit Gefühlsklischees, prägt heute weitgehend die Volkskultur. Wie REINHARD MEY (siehe Abbildung 3) wehrt sich auch ein Teil der Kulturwissenschaft gegen den Schlager, das Schnulzige, das Sentimentale.51 Hingegen ist BAUSINGER der Auffassung, daß auch das Element des Sentimentalen als Teil der gegenwärtigen Volkskultur anerkannt werden muß. Wirkende Kräfte sind nun eben mehr Massenmedien und Tourismus und nicht mehr Absinkendes Kulturgut. Die Effekte „ Ironisie- rung des Sentimentalen “ und „ Pygmalionproblem “ sind nicht wie fälschlicherweise ange- nommen Erscheinungen, die erst mit der „ modernen “ Volkskultur auftraten. Sie sind schon vor der Einführung der Technik ein Mechanismus, der Volkskultur prägt und formt. Doch erst in der Moderne treten diese Effekte stärker in den Vordergrund.

Wenn einerseits ein einfacher Mann ein Fremdwort falsch formuliert, und wenn an- dererseits in gebildeten Unterhaltungen das gleiche Fremdwort absichtliche verdreht wird, so entsteht nicht nur zufällig undäußerlich das gleiche Ergebnis; vielmehr hat der so verschiedene Vorgang eine gemeinsame Ursache im Zerfall der Horizonte. “ 52

4. SCHLUßBEMERKUNG

Abschließen möchte ich diese Hausarbeit mit einem fiktiven Dialog zwischen HERMANN BAUSINGER und RICHARD WEIß, bei dem nochmal deutlich wird, welche Position BAUSINGER gegenüber der Volkskunde einnimmt.

BAUSINGER: „ Die Beziehung zwischen Subkultur und der Gesamtkultur, zwischen Teilsystem und Gesamtsystem der Gesellschaft gehört zu den zentralen Fragestellungen des Faches, da die Antwort auf diese Frage entscheidetüber die Chancen der Veränderung der Gesell- schaft.“53

WEIß: „ Sicher werden volkskundliche Leser dieses Buch fragen: Ist das noch Volkskunde? Und manche werden sagen: Nein, worauf man ihnen nur antworten kann: Um so schlimmer für eure Volkskunde. 54

5. LITERATURVERZEICHNIS

HARTMANN, ANDREAS: Die Anfänge der Volkskunde. In: Brednich, Rolf W. (Hg): Grundriß der Volkskunde. Einführung in Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie. Berlin 19881994, S.9-30.

BAUSINGER, HERMANN: Volkskunde im Wandel. In: ders. u.a. (Hg): Grundzüge der Volkskun- de. Darmstadt19781989, S. 1-15.

BAUSINGER, HERMANN: Volksideologie und Volksforschung. Zur nationalistischen Volkskun- de. In: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, 61/1965, S. 177-204.

BAUSINGER, HERMANN: Formen der Volkspoesie. Berlin19681980.

BAUSINGER, HERMANN: Konzepte der Gegenwartsvolkskunde. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 87/1984, S.89-106.

BAUSINGER, HERMANN: Volkskultur in der technischen Welt. Frankfurt19611986.

BAUSINGER, HERMANN: Volkskunde. Von der Altertumsforschung zur Kulturanalyse. Darm- stadt19711979.

HORKHEIMER, MAX/ ADORNO, THEODOR W.: Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug. In: dies. : Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/M.19441980, S. 108-150.

JEGGLE, UTZ: Volkskunde im 20. Jahrhundert. In.: Brednich, Rolf W. (Hg): Grundriß der Volkskunde. Einführung in Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie. Berlin 19881994, S.51-72.

JEGGLE, UTZ (u.a.): Vom Aufbruch der Volkskunde. Ein Gespräch. In: ders. (Hg): Volkskultur in der Moderne. Probleme und Perspektiven empirischer Kulturforschung. Tübingen 1986, S.9-20.

Studienplan für das Fach Empirische Kulturwissenschaft (Universität Tübingen). Tübingen 1973, S.2.

[...]


1 Frankfurt/M. 1988, S.15.

2 Vgl. BAUSINGER 1979, S. 29f.

3 Ebd. S.17ff.

4 So ist z.B. schon der Titel der Schrift von JOHANN JAKOB BRÄUNER charakteristisch für den Aberglauben im wissenschaftlichem Schafspelz: „ Physikalisch und historisch erörterte Curiositäten oder entlarvter teufli- scher Aberglaube von Wechselbälgen, Werwölfen, Galgenmännlein, Hexentanz, Festmachung, Nestelknüp- fen “. Was hier als wissenschaftlich empirisch erörtert gilt und zur Aufklärung beitragen soll, kann auch allzu leicht als Verbreitung von Aberglauben dienen. Ebd. S. 21f.

5 BAUSINGERS Einschätzung zu JUSTUS MÖSER: Man tue gut daran, Möser danach zu beurteilen, „was er in Handlung gebracht hat, und das heißt mit dem Blick sein literartisches Werk, ihn nicht in eine abstrakte Wertskala einzuordnen, sondern in und aus einer konkreten geschichtlichen und gesellschaftlichen Situation zu begreifen [...]. Er sieht sich als Vermittler zwischen Landesregierung und Verfassung einerseits und Be- völkerung andererseits.“ BAUSINGER, HERMANN: Konservative Aufklärung - Justus Möser vom Blickpunkt der Gegenwart. In: Zeitschrift für Volkskunde 68 /1972, S. 161-178.

6 Ein Reizpunkt, der wohl vor allem in den 60ger Jahren für Unruhe sorgte: auf der einen Seite die konservati- ven Kulturtheoretiker (z.B. ADORNO und HORKHEIMER), die eben ROUSSEAUS Kulturbild vertraten, und auf der anderen Seite die Position, die im erweiteren Kulturbegriff eben diesen Widerspruch zwischen Kultur und Natur nicht mehr sah (z.B. BAUSINGER).

7 Vor allem in der Ethnographie, wo Kulturgüter beschrieben werden und z.B. nach ihrer Verbreitung oder nach ihrer Ähnlichkeit hin untersucht werden. So dann auch die deutsche Kulturkreislehre, am Ende des 19. Jahrhundert entstanden u.a. durch BERNHARD ANKERMANN, FRITZ GRAEBNER, PATER WILHELM SCHMIDT und die WIENER SCHULE. Näheres dazu siehe HABERLAND, EIKE: Historische Ethnologie. In: FISCHER, HANS (Hg): Ethnologie. Einführung und Überblick. Berlin19831992, S. 311-335.

8 Vgl. BAUSINGER 1979, S.32.

9 So z.B. Kinder- und Hausmärchen (1812-1815), Deutsche Sagen (1816-1818), Deutsche Grammatik (1819), Deutsche Mythologie (1835), Geschichte der deutschen Sprache (1848).

10 Vgl. GÖRRES, JOSEPH: Die Teutschen Volksbücher. Heidelberg 1807 1925, S. 25.

11 Vgl. JAHN, FRIEDRICH LUDWIG : Deutsches Volksthum. 1810.

12 Vgl. Bausinger 1971, S.45.

13 Ebd. S.48.

14 Auf diesen Gedanken bauten weitere wissenschaftliche Paradigmen auf, so z.B. die Kulturanthropologie durch ADOLF BASTIAN, oder die Völkerpsychologie durch MORITZ LAZARUS. Auf den Elementargedanken baute auch der Begriff der Folklore - von WILLIAM JOHN THOMS konstruiert - auf, der schließlich wieder ei- ne bedeutende Rolle in der Volkskunde spielte. Auf den Begriff der Folklore hin entwickelte sich die histo risch-geographische Vergleichsmethode.

15 „ Darum halte ich es in der That für einen höchst bedeutsamen Beruf der Volkskunde, Systematik in die Anar- chie der Polizeiwissenschaft zu bringen, und nicht minder der Logik in die polizeilichen Praxis.“ (siehe BAU- SINGER 1971, S.57)

16So könnte man mit gutem Recht einwenden, daßdie hier gezogenen Verbindungslinien Kurzschlüsse herstel- len, und daßdie nationalsozialistischen Ideen nicht etwa Abbilder von G RIMMS und R IEHLS Entwürfen dar- stellen, sondern Zerrbilder. “ (BAUSINGER 1971, S.63)

17 So der Volkskundler HANS STROBEL im Vorwort seines Buches „ Bauernbrauch im Jahreslauf “ .

18 BAUSINGER ist der Meinung, daß man es sich als Volkskundler nicht zu leicht machen sollte, indem man die ganze Schuld auf die Nationalsozialisten abkehrt. Man muß die Geschichte immer in ihrem Zusammenhang setzen, man darf keine Elemente isuliert sehen. So auch hier: „ Indessen erwecken diese Zitate möglicherwei- se den falschen Eindruck, daßideologische Verdrehung und wissenschaftliche Sauberkeit in der Forschungs- literatur aus dem Dritten Reich spielend zu trennen und leicht auseinanderzuhalten sei. “ (BAUSINGER 1965, S.200)

19 REISCHLE, HERMANN: Volkstum als Erbe. In: Nationalsozialistische Monatshefte. 7/1936, S.694.

20 Das Hakenkreuz. In: Zeitschrift für Volkskunde, 8/1934, S.38.

21 Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet: „ Noch einmal zur Vorgeschichte: Keine Bewegung beginnt bei Null; es wird auf Vorläufer zurückgegriffen, die Vorgeschichte fortgeführt. Es wäre töricht zu leugnen, daßauch der Nationalsozialismus solche Vorgänger hatte, man braucht nur die unsäglichen Mixturen der Chef- theoretiker anzuschauen, H ITLERS `Mein Kampf´ oder R OSENBERGS ´Mythos des 20. Jahrhunderts´, um einen Eindruck von der kompilatorischen Hemmungslosigkeit der Autoren zu erhalten. “ (JEGGLE, UTZ: Volkskunde im 20. Jahrhundert. In: BREDNICH, ROLF W. (Hg): Grundriss der Volkskunde. Einführung in die Forschungs- felder der Europäischen Ethnologie. Frankfurt/M. 1988, S. 59)

22 Vgl. MAUS, HEINZ: Zur Situation der deutschen Volkskunde. In: Die Umschau 1. 1946, S.349-359.

23 Gerade die Volkskunde tat sich sehr schwer mit dem „Nazierbe“. Zu den Unterschieden zwischen der Volks- kunde und der Soziologie während des Naziregimes wäre RALF DAHRENDORFs Meinung hinzuzuziehen: es sei nur dann möglich Soziologie zu betreiben, wenn man die Gesellschaft, in der man lebt, die Normen, die

24 Vgl. BAUSINGER 1979, S.269.

25 Dies behauptete er zumindest noch 1979 (BAUSINGER 1979, S.272). Die neuere Wissenschaftsgeschichte zeigt aber auch Tendenzen zur Abkehr von der Sozialwissenschaft und einen Trend hin zur Kulturwissen- schaft. Vgl. hierzu SCHARFE, MARTIN: Volkskunde in den Neunzigern. In: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung. 28/1992, S.65-76). Auf ähnliche Weise ist wohl auch das Buch „ Die drei Kulturen Sozioli- ogie zwischen Literatur und Wissenschaft “ (München/Wien 1985) von WOLF LEPENIES zu verstehen. LEPE- NIES sieht im Deutschland des 19. Jahrhundert in der Sozialwissenschaft noch stark literarische Tendenzen, die die Realität verschleiern. Demnach kommt eine Figur wie RIEHL gerade richtig, der versucht, die Realität durch Zahlen und Formeln zu packen. Auf der anderen Seite wird aber auch der gegenwärtige Trend erklärt: der Sozialwissenschaft fehlt das Werkzeug zum Erfassen der „Gefühlskultur“. (siehe S.239ff.)

26 Oder wie es UTZ JEGGLE formulierte: „ Wer sich stets mit Gruppengeistigkeit und Gemeinschaft beschäftigte, der sollte sich jetzt den Leiden der Außenseiter zuwenden, dem Evangelischen, der nicht Fasnacht feiert, dem Dorfdepp, der ausgelacht wird, der alten Jungfer, die keinen Mann hat und für den Spott nicht zu sorgen braucht, den Straffälligen, deren Angehörige diskriminiert werden; der Bauernhausforscher könnte zeigen, daßdie Alten auf dem Lande im Fachwerk-Ausgedinge vielfach wie die Hunde leben, und sichüberlegen, daßdas zu bessern wäre. “ Vgl. JEGGLE, UTZ: Wertbedingung der Volkskunde. In: Abschied vom Volksleben (=Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Bd. 27). Tübingen 1970, S.11-36.

27 Vgl. BAUSINGER 1989, S.4.

28 Vgl. BAUSINGER 1979, S.83.

29 Siehe dazu auch GIDDENS, ANTHONY: Leben in einer posttraditionalen Gesellschaft. In: U.Beck / A.Giddens / S.Lash: Reflexive Moderne. Frankfurt / M. 1996, S.113-194. Daß diese Auffassung von Tradition sehr stark in akademisches Denken eingebunden ist und im alltäglichen Denken dafür die Tradition immer noch als ein starrer Holzklotz angesehen wird, läßt sich z.B. am Zeitungsausschnitt in Abbildung 1 erkennen: sobald et- was eine alte Tradition genannt wird, ist es gerechtfertigt, es genauso fortzuführen, wie eh und je.

30 Ergänzend muß aber hier darauf hingewiesen werden, daß Stimmen der neueren Volkskunde sich auch von dem Industrie- bzw. Fabrikarbeiterdenken distanzieren wollen. So z.B. MARTIN SCHARFE, der sieht, daß der moderne Lebensstil nicht mehr in Kategorien wie Bauer oder Fabrikarbeiter zu fassen ist. (Vgl. SCHARFE, MARTIN: Volkskunde in den Neunzigern. In: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung. 28/1992, S.65-76)

31 Vgl. BAUSINGER 1986, S.225.

32 Vgl. BAUSINGER 1989, S.12.

33 Vgl. JEGGLE 1986, S.14f.

34 Vgl. BAUSINGER 1961, S.14ff.

35 Eine Forderung der Gegenwartsvolkskunde ist nichts Neues. BAUSINGER findet schon 1934 bei JOSEPH KLAPPER diesen Gedanken, doch mit einer ganz anderen Funktion als BAUSINGER sie sieht. Für KLAPPER soll die Gegenwartsvolkskunde dem Menschen der Großstadt die entscheidende Bedeutung von „Blut und Bo-

36 Berlin - Leipzig - Essen 1937. Siehe vor allem S.21-31.

37 An dieser Stelle verweist BAUSINGER auf das Beispiel eines Zugführers, der praktisch den Zug gar nicht steuert, sondern nur die Instrumente. (Vgl. BAUSINGER 1961, S.21.)

38 Aus: RUMPF, MAX: Vergangenheits- und Gegenwartsvolkskunde - Volkskunde und Soziologie. In: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie, 9/1930-31, S.407-429; siehe S.417.

39 Vgl. WEIß, OTTO: Josef Anton Harz und das oberschwäbische Singspiel. Diss. Tübingen 1927, S.6.

40 Vgl. OBERTHÜR, FRANZ: Philip Adam Ulrichs, ehemaligenöffentlichen Lehrers der Bürgerlichen Rechte an der Hohen Schule zu Würzburg, Lebensgeschichte. 2.Aufl. Sulzbach 1824, S.110-112.

41 Vgl. BAUSINGER 1961, S.33f.

42 Ebd. S.45.

43 So berichtet BAUSINGER z.B. von regionalen Mundart: das Wort „Sterben“ wurde sehr oft in Zusammenhang mit dem örtlichen Friedhof gebracht. So ging es in Augsburg zum „Hennadone“, anscheinend zu einem viele Hühner haltenden Friedhofsküster namens Anton, während es in Tübingen zum „Krummschenkel“ hinab- ging, oder in München zum „St. Steffej“. (Vgl. ebd., S.56f.)

44 Nahe liegt hier die Verbindung zu dem Folklore-Folklorismus-Gegensatz. Näheres dazu siehe MOSER, HANS: Vom Folklorismus in unserer Zeit. In: Zeitschrift für Volkskunde 58/1962, S.177-209.

45 Der gleiche Gedanke wie bei dem oben erwähnten JOSEPH GÖRRES (1776-1848), der sich selbst als „ Bienen- vater “ bezeichnet. Vgl. Fußnote 9.

46 Aus: KERNER, THEOBALD: Das Kernerhaus und seine Gäste. 1. und 2. Teil. Weinsberg 1913, S.122.

47 Vgl. dazu Abbildung 3.

48 Vgl. BAUSINGER 1961, S.108.

49 So hat auch schon HANS MOSER einen Rückgang an Mundarten festgestellt, was auf eine einheitliche „ Mas- senkultur “ hindeutet. (MOSER, HANS: Sprachgrenzen und ihre Ursachen. In: Zeitschrift für Mundartfor- schung. 22/1954, S.87-111.)

50 Vgl. NAUMANN, HANS: Studienüber den Bänkelgesang. In: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. 30,31/1921, S.1-21.

51 In diesem Zusammenhang muß natürlich die Kampfschrift der konservativen Kulturtheoretiker genannt wer- den: HORKHEIMER, MAX/ ADORNO, THEODOR. W.: Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug. In: dies: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/M.19441980, S.108-150.

52 Vgl. BAUSINGER 1961, S.172. Daß absichtliches Wortverdrehen ein gegenwärtiger Aspekt der Volkskultur ist, zeigt sich auch an folgendem: Ein Artikel der BADISCHEN ZEITUNG (27.1.1999, S.12) berichtet von einer Kultur, die „ die Sprache der Straße spricht “ , „ Ausländerslang “ nachahmt. Der Titel: „ Ey Alter, ich mach disch krankenhaus! Multikulti-Slang im Aufwind - Warum plötzlich alle Spaßdaran haben, absichtlich fal- sches Deutsch zu sprechen. “

53 Vgl. BAUSINGER 1961 1986, S.102.

54 Vgl. ebd., Buchumschlag.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Hermann Bausinger - Die Tübinger Schulgründung
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltung
Wissenschaftsgeschichte der Volkskunde seit 1945
Note
1
Autor
Jahr
1998
Seiten
23
Katalognummer
V105304
ISBN (eBook)
9783640036004
Dateigröße
739 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ansatz der Wissenschaftsgeschichte und Ansatz der Tübinger Schule
Schlagworte
Hermann, Bausinger, Tübinger, Schulgründung, Wissenschaftsgeschichte, Volkskunde
Arbeit zitieren
Andreas Tacke (Autor:in), 1998, Hermann Bausinger - Die Tübinger Schulgründung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105304

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