Organisation der Luftfahrtforschung 1933 - 1945


Seminararbeit, 2001

20 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. R ü stungspolitische und administrative Rahmenbedingungen

3. Die Luftfahrtforschung nach der Machtergreifung

4. Mobilisierung der Forschung unter Friedensbedingungen 1933 - 1939

5. Mobilisierung der Forschung im Zweiten Weltkrieg

6. Zusammenfassung

Abk ü rzungen

Anlagen

Literaturverzeichnis

Erkl ä rung

Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anlagenverzeichnis

Blatt 1: Junkers Ju - 52Bf 109 E aus: Die berühmtesten Flugzeuge der Welt, S. 34.

Blatt 2: Die deutsche Flugzeugproduktion 1931 - 1944 aus: Trischler, H., Luft- und Raum- fahrtforschung in Deutschland, S. 176

Blatt 3: Organigramm der DVL 1937/38 , ebd. S. 207

Blatt 4: Position der Forschungsführung des RLM in der nationalen Wissenschafts- landschaft, ebd. S.

Blatt 5: Organigramm der Luftfahrtforschung im Dritten Reich, ebd. S. 276

Literaturverzeichnis

Braun, Hans-Joachim: Fertigungsprozesse im deutschen Flugzeugbau. Technikgeschichte Bd. 57, Nr. 2, 1990

Braun, Hans-Joachim: Flugzeugtechnik 1914 - 1935. Militärische und zivile Wechsel- wirkungen. Technikgeschichte Bd. 59, Nr. 4, 1992

König, W. (Hrsg.), Braun, H.-J. und Kaiser, Walter: Technikgeschichte. Propylenverlag, Berlin, 1992

Trischler, Helmut: Luft- und Raumfahrtforschung in Deutschland 1900 - 1970. Politische Geschichte einer Wissenschaft. Campus Verlag, Frankfurt a. M., New York, 1992

Bilderverzeichnis

Hrsg. Peter Alles- Fernandes: Die berühmtesten Flugzeuge der Welt. Verlag Bernard und Gräfe, Koblenz, 1986, S. 34,

1. Einleitung

Es ist interessant zu sehen, wie eine in den 1920er Jahren relativ unbedeutende Wissenschaft wie die Luftfahrtforschung schon ein Jahrzehnt später die Grundlage der deutschen Rüstungspolitik bildete und sich auch international zur Großforschung ausweitete. Die Entwicklung dieser Wissenschaft war besonders in der Zeit der NS-Herrschaft in den 1930er und 1940er Jahren herausragend, in der sie sehr stark politisch geprägt wurde.

Zum Anfang sollen in dieser Arbeit die Rahmenbedingungen der Zeit dargestellt werden. In der Politik stellte die Machtergreifung durch Hitler, und die damit einhergehenden Veränderungen, eine große Rolle für den Aufbau der großangelegten Luftfahrtforschung. Zunächst musste das Verbot des Versailler Vertrages, der Deutschland generell den Bau von Militärflugzeugen untersagte, durchbrochen werden. Für die geplanten Kriegszüge mussten neue Flugzeugtypen entwickelt und deren Flugverhalten ständig verbessert werden, was die große Bedeutung der Luftfahrtforschung zum Ausdruck bringt.

Die weitere Entwicklung dieser kriegswichtigen Wissenschaft soll nach 1933 genauer betrachtet werden. Zum einen erfolgte bis 1938 ein grundlegender Ausbau der Luftfahrtforschung zur Großforschung, die streng in den Dienst des Staates gestellt wurde. Die dafür von dem neuen Regime genutzten Methoden und Wege sollen im weiteren näher dargestellt werden. Bei Kriegsbeginn 1939 musste sich die Position der Luftfahrtforschung erneut verändern um die Wissenschaft an die neuen Gegebenheiten während des Krieges anzupassen. Personal- und Ressourcenmangel waren nur zwei der aufgetretenen Probleme. Wie diesen begegnet wurde, welche neuen Organisationen der Luftfahrtforschung gegründet wurden und wie diese untereinander verbunden waren, soll in dieser Arbeit beschrieben werden. Es soll aufgezeigt werden, wo die tatsächlichen Stärken und Schwächen der deutschen Luftfahrtforschung lagen und warum sie an dem großen Ziel, Deutschland zu einer unbezwingbaren Luftwaffe zu verhelfen, nicht den erwarteten Einfluss haben konnte.

In einer abschließenden Betrachtung wird die rüstungspolitische Effizienz der Luftfahrtforschung , sowie der tatsächliche Einfluss dieser Wissenschaft auf das Kriegsgeschehen und ein kurzer Überblick über die Entwicklung nach der NS- Zeit dargestellt werden.

2. Rüstungspolitische und administrative Weichenstellung

Um ein grundlegendes Verständnis für die Entwicklung der deutschen Luftfahrtforschung zu erhalten, ist es unerlässlich, sich zu Beginn mit den politischen Rahmenbedingungen nach der Machtergreifung Hitlers auseinander zu setzen. Eine mit der Geschichte dieser Wissenschaft eng im Zusammenhang stehende Person war Hermann Göring. Während der NS- Zeit stieg er zum „Wirtschaftsdiktator“ auf und traf so alle wichtigen, die Luftfahrtforschung betreffenden Entscheidungen.

Mit der Machtergreifung am 30. Januar 1933 wurde Göring zum Reichskommissar für den Luftverkehr ernannt und unterstand so offiziell dem Reichsverkehrsministerium. Da ihm diese Position zu bescheiden erschien, wurde auf sein Betreiben hin eine eigenständige oberste Reichsbehörde - das Reichskommissariat für die Luftfahrt - gegründet.

Vorläufig verzichtete man auf ein formelles Ministerium aus Furcht vor außenpolitischen Verwicklungen. Laut dem Versailler Vertrag von 1918 war es Deutschland nicht gestattet, Militärflugzeuge zu bauen. Dennoch ließ Hitler keinen Zweifel an der Aufgabe der Reichsbehörde. Sie sollte „dem deutschen Volk in getarnter Form zu einer Luftwaffe verhelfen“. Ein allzu forsches Vorgehen war auch innenpolitisch mit Problemen behaftet gewesen, denn die Widerstände von Heer und Marine gegen den Ausbau der Luftwaffe zur dritten Teilstreitmacht waren groß, da sie einen Einfluss- und Machtverlust befürchteten.

Am 5. Mai 1933 wurde Göring zum Reichsminister der Luftfahrt ernannt und, nach Absprache mit dem italienischen Luftfahrtminister Italo Balbo, das Reichsluftfahrtministerium (RLM) durch ein Machtwort Hitlers entgegen allen Widerstände gegründet.

Göring erhielt völlig freie Hand bei dem Aufbau einer schlagkräftigen Luftwaffe.

Er war, wie auch Hitler, ein begeisterter Anhänger der sogenannten Luftfahrtdoktrin. Diese Theorie , deren Inhalt sich grundsätzlich auf die Abhängigkeit einer Nation von ihrer Luftwaffe bezog, die in zukünftigen Kriegen über Sieg und Niederlage entscheiden würde, hatte der italienische General Giulio Douhet 1921 in seinem Buch „Die Luftherrschaft“ begründet.

Die strategische Planung des Aufbaus einer Luftwaffe sah sich einer doppelten Zielsetzung gegenübergestellt, die es zu berücksichtigen galt. Zum einen gab es eine taktische Funktion, die die Hauptaufgabe der Luftwaffe in der Gefechtsfeldunterstützung der Landstreitkräfte sah. Die Flugzeugverbände sollten den Angriffsaktionen des Heeres Deckung geben oder Angriffe auf rückwärtige Truppen und Nachschublinien des Gegners fliegen. Diese Ansicht vertraten die Mehrheit des Generalstabes der Heeresoffiziere.

Hitler und Göring sahen in der Luftwaffe vor allem die strategische Funktion, die für sie die primäre Bedeutung der Luftwaffe zum Ausdruck brachte: Die gezielte Vernichtung industrieller, administrativer und ziviler Ziele, um so den Gegner zur Kapitulation zu zwingen.

Dieses Doppelziel sollte von Anfang an den Aufbau der Luftwaffe erschweren.

Da der Angriffsgedanke von Anfang an in der Politik im Vordergrund stand, galt dies auch für die Rüstungsplaner. Es wurden vor allem Bomber geplant und konstruiert. Für den geplanten Blitzkrieg gegen Frankreich, Polen und die Tschechoslowakei wurden leichte bis schwere Schnellbomber benötigt, für den Angriff auf die Sowjetunion dagegen schwere Fernbomber.

Im Mai 1935 wurde Göring zum obersten Befehlshaber der bis dahin aufgebauten Luftwaffe ernannt. Er hatte damit einen alles umfassenden Einfluss in diesem Gebiet und konnte mit dem Ausbau der Luftfahrtforschung beginnen und darüber hinaus die Wirtschaft, die Industrie und die Technik auf den kommenden Rüstungsboom vorbereiten.

Die industriestrukturellen Voraussetzungen für einen Aufschwung der Rüstungsindustrie waren sehr ungünstig. Zum einen war seit dem Ende des Ersten Weltkrieges nach dem Versailler Vertrag Deutschland der Bau von Militärflugzeugen alle r Art untersagt worden. Obwohl dieser , wie auch der Bau anderer Rüstungsgüter, illegal im Ausland im Rahmen einer „verdeckten Rüstung“ fortgesetzt worden war, entstanden dennoch Lücken in der Entwicklung der Luftfahrtforschung, die sich zum Beispiel in einen großen Nachwuchsmangel ausdrückten. Darüber hinaus kam während der Weltwirtschaftskrise auch der legale Bau von zivilen Flugzeugen auf Grund der wirtschaftlichen Situation fast zum Erliegen. Das Bau- und Flugverbot betraf nicht den Segelflug und so war Deutschland in diesem Gebiet meist führend gewesen und konnte die hier gewonnenen Kenntnisse später in der Rüstung einsetzen.

Vor der Machtergreifung Hitlers hatte die Luftfahrtindustrie eine marginale Bedeutung in der gesamten Industrielandschaft mit nur 4000 Beschäftigten. Dennoch erhielt sie den größten Teil der staatlichen Subventionen. In den Jahren von 1926 bis 1932 waren dies 320 Millionen Reichsmark.1

Die technischen Voraussetzungen für einen Rüstungsboom waren positiver. Zwar waren die später so berühmten Flugzeugwerke wie Heinkels oder Dornier zu dieser Zeit noch kleine Privatunternehmen, die sehr auf ihre Unabhängigkeit vom Staat bedacht waren, aber die Unternehmensbesitzer waren gute Konstrukteure mit einem hohen Innovationsvermögen und bei entsprechender Auftragslage konnten die Erfinderunternehmen relativ schnell in Großbetriebe umgewandelt werden. Eine Ausnahmen bildeten die großen, schon früh verstaatlichten Junkers- Werke. Mit der Funktion des Staates als Hauptabnehmer von Flugzeugen würde sich ein Abhängigkeit der Flugzeugfirmen bei der Aufrüstung ergeben. Hitler musste mit seiner Politik also versuchen, diese Unternehmen staatlich zu lenken und zu beeinflussen.

Der Ausbau der Luftwaffe unter Göring gab dem deutschen Rüstungsprogramm sein spezifisches Gepräge und hatte großen Einfluss auf andere Industriebereiche, wie den Eisenbahnbau oder die Werftindustrie, da zum Beispiel auch für den Transport von Baumaterial und Rohstoffen gesorgt werden musste.

Unter dem ersten Fünfjahresplan von 1933 bis 1938 wurde die Rüstungsindustrie mit aller Macht vorangetrieben, so dass bis zu 2930002 Arbeitnehmer beschäftigt wurden. Die Rüstung war langfristig angelegt worden, die Blitzkriegstrategie in der Politik war kein Rüstungskonzept. Die Industrie bereitete sich auf eine gewaltige Expansion der Rüstung vor. Es wurden neue und moderne Flugzeugtypen, wie die Junkers Ju -52 Bf 109 E3, entwickelt und eingeführt. Die Luftwaffe stellte sich rüstungspolitisch auf einen totalen Krieg ein, den Göring 1938 vor Flugzeugindustriellen angekündigt hatte.

Im Herbst 1938 wurde ein neues Rüstungsprogramm beschlossen, in dessen Mittelpunkt die Luftwaffe stand. Göring sollte diese um das Fünffache vergrößern. Dem standen aber schon zu dieser Zeit ein Devisen - Rohstoff - und Facharbeitermangel entgegen, der sich während des Krieges noch vergrößerte und die Rüstungserfolge bremste. Es gab auch eine Reihe von politischen Problemen und organisatorischen Defiziten, die den anfangs geringen Ausstoß an Flugzeugen erklären konnten. Erst der Einsatz von Fremdarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ - Außenkommandos in der Rüstungsindustrie und die partielle Rationalisierung des Fertigungsprozesses im Flugzeugbau ermöglichten ein Wachstum der Produktion, was in einer Übersicht über die deutsche Flugzeugproduktion von 1931 - 1944 zu erkennen ist.4 Während der gesamten Zeit der NS - Herrschaft stiegen die Zahlen der produzierten Flugzeuge stetig an, trotz der ab 1939 bestehenden Kriegsbedingungen.

In der Fertigung ging man vom Reihenbau der 1920er Jahre durch Standardisierungen, Normierung der Bauteile und Rationalisierungen zur Serienfertigung auf Taktstraßen über und verwendete, nach dem Vorbild der Automobilindustrie, Fließbandsysteme und Fließfertigung. Die Produktionszeiten des Flugzeugbaus wurden geringer und es ergab sich die Möglichkeit, den Bau von Flugzeugen auszuweiten.

Durch die steigende Bedeutung der Luftwaffe im Rahmen einer Aufrüstung veränderte die Rahmenbedingungen für die Luftfahrtforschung grundlegend Seinen Aufstieg zum „Wirtschaftsdiktator“ nutzte Göring zur Ausweitung seiner Kompetenzen über das RLM hinaus auf die Wissenschaftspolitik des Reiches. Um eine optimale Kriegsvorbereitung zu gewährleisten, kontrollierte er vor allem die wirtschaftsnahe Forschung, die am ehesten kriegsrelevante Ergebnisse liefern konnte.

Ab 1942 dehnte Göring seinen Einflussbereich bis auf den Reichsforschungsrat aus. Diese Organisation war Anfang 1937 vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung eingerichtet wurden und hatte die Aufgabe, die wehrwissenschaftliche Forschung mit dem Vierjahresplan zu koordinieren. Diese Anstrengungen blieben zum Großteil erfolglos, da die Luftwaffe auf einer eigenen und unabhängigen Forschungsfortführung beharrte und so die geplante Kooperation zwischen Industrie, Wirtschaft und Forschung erschwerte.

Der Vierjahresplan war Anfang 1933 eine Propagandalosung Hitlers, als er das deutsche Volk aufforderte: “Gebt mir vier Jahre Zeit“. 1936 entstand der zweite Vierjahresplan als eine aufwendige und bürokratische Institution mit dem Rang einer obersten Reichsbehörde und mit der Aufgabe, die deutsche Wirtschaft in den nächsten vier Jahren kriegsbereit zu machen. Das Ziel dieser Politik war eine forcierte Erweiterung des rüstungswirtschaftlic hen Potentials und die Vorbereitungen für die Autarkiebestrebungen. Ab 1938 wurden die Aufrüstung und die chemische Industrie die Kernpunkte des Vierjahresplans.

Auch in dieser Institution war Göring einer der Hauptverantwortlichen und konnte seinen Einfluss auf Wissenschaft und Forschung weiter ausdehnen. Sein Stern sank erst während des Zweiten Weltkrieges, als die Schwächen der Luftwaffe durch die sich häufenden, weder voraussehbaren noch abwehrbaren Luftangriffe der Alliierten aufgedeckt wurden.

Görings steigender Einfluss auf die Wissenschaftswelt ist sehr kritisch zu bewerten, da man ihm auf diesem Gebiet völlige Inkompetenz nachweisen kann. Sein Denken war stark militärisch geprägt, da er selbst im Ersten Weltkrieg für Deutschland Flieger gewesen war. Für ihn waren die Forscher und Wissenschaftler im Vergleich zu den Soldaten niederrangig oder minderwertig. Der Sieg war eine Frage der Moral und nicht des Materials, einen eventuellen rüstungstechnischen Vorsprung der Gegner glaubte er durch die kämpferische Überlegenheit der deutschen Soldaten ausgleichen zu können. Sein Denken spiegelte sich auch im Inneren des RLM in der strikten Trennung zwischen militärischer und ziviler Luftfahrt wider, es kam immer wieder zu Machtkämpfen zwischen den Abteilungen. Das Militär erhob einen Überlegenheitsanspruch, um so mehr Geld für seine Zwecke zu erhalten. Diese internen Kämpfe und personelle Fehlbesetzungen durch Göring hielten die Luftfahrtforschung von Anfang an von optimalen Leistungen ab. Während der Aufbauphase der Luftwaffe war die deutliche Dominanz des Militärs im RLM zu spüren, meist durch eine völlige Indifferenz gegenüber den Problemen der Wissenschaft.

1938 übernahm Göring die Leitung des Technischen Amtes und des Luftwaffenpersonalamtes im RLM. Durch diese Ämterfülle in der Hand Görings waren die Fäden der Entscheidung verwirrt und alle wesentlichen Entscheidungen konnten nur noch von ihm kontrolliert werden, was zwangsläufig zu zeitlichen Verzögerungen und Fehlentscheidungen führen musste.

Er begann mit einer Reorganisation des Technischen Amtes, die vertikale Gliederung eines Staates im Staate wurde durch eine horizontale ersetzt. Es wurden die Weichen für den weiteren Kurs der Wissenschaftspolitik und der Luftfahrtforschung gestellt. Görings Geringschätzung der Wissenschaft sollte sich auch später zeigen, als 1941 die Forschung der Abteilung Entwicklung unterstellt wurde und damit kein eigenständiger Bereich der Luftrüstung mehr war.

All diese Entwicklungen nahmen 1933 ihren Anfang und stellten die Luftfahrtforschung vor die Aufgabe, ihre Position in dem neuen System zu finden und die gestellten Forderungen durch den Aufbau der Luftwaffe zu erfüllen.

3. Die Luftfahrtforschung nach der Machtergreifung

Nach der Machtergreifung wurde die Luftfahrtforschung in ihrer Existenz zur Diskussion gestellt. Die Frage war, ob ein durch Selbstverwaltung und wissenschaftliche Autonomie gekennzeichnete Teilbereich der Wissenschaft hin zu staatlichen Zielen programmiert werden konnte und ob Hitler überhaupt die Rüstung mit Hilfe der Wissenschaft vorantreiben wollte. Darüber hinaus gab es auch innerhalb der Wissenschaftswelt eine strikte Machtverteilung und Rivalitäten. Durch die mit der Machtergreifung im Zusammenhang stehende Eintrittswelle in die NSDAP und die politisch motivierten Entlassungen wurden etablierte Hierarchien zum Teil außer Kraft gesetzt. 1933 gab es noch keinerlei ns - wissenschafts- politischen Konzepte, nach denen die Forschung hätte arbeiten können.

Im ersten Schritt musste die Gleichschaltung der Wissenschaftler erfolgen. Hierfür bediente sich das neue Regime der anpassungsbereiten Elite des Vorgängerstaates. Durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren war der Tatendrang vieler Wissenschaftler durch die wirtschaftlic hen und finanziellen Probleme stark gebremst worden. Unter den neuen politischen Bedingungen, die durch die Favorisierung Hitlers und Görings für eine strategische Schlüsselfunktion des Luftstreitkräfte entstanden waren, erweiterte sich der Spielraum für eine geplante Ausweitung der Luftwaffe.

Beispielhaft für eine Karriere in dieser Zeit ist der Lebensweg von Adolf Baeumker, der nach 1933 zum Leiter der Forschungsabteilung des RLM aufstieg. Während des Ersten Weltkrieges war auch er Soldat der Fliegertruppe für Deutschland gewesen. In der Weimarer Republik arbeitete er im Reichswehrministerium.1926 und 1927 war er ein Delegierter des Reiches für Luftfahrtfragen auf einer Abrüstungskonferenz des Völkerbundes in Genf. Bis 1932 hatte er eine Tätigkeit im Reichsverkehrsministerium als Referent für technische Neuentwicklungen im Bereich der Verkehrsluftfahrt und der Luftfahrtforschung inne. Ab 1933 bis zum Ende des Krieges war er im RLM in leitender Position in der Forschung tätig. Wie viele seiner Kollegen ging er nach der Niederlage Deutschlands in die Vereinigten Staaten von Amerika und stellte dort seine Dienste zur Verfügung, wie später auch der Bonner Regierung.

Kennzeichnend für Menschen wie Baeumker , die wie er die NS - Regierung unterstützten, war eine hohe Anpassungsbereitschaft und persönlicher Ehrgeiz. Sie hofften, durch die neue politische Situation ihre Karrieren voranzutreiben.

Die Pläne Baeumkers bildeten das Grundgerüst für die Reformen in der Luftfahrtforschung nach 1933. Erstens sollte eine Brücke zwischen der schöpferischen Freiheit der Wissenschaftler und der planmäßigen Forschung im Sinne des Reiches geschlagen werden. Dafür waren flexiblere Organisationsformen und die Ausrichtung der Aufgaben der Forschung an den Bedürfnissen der Industrie notwendig. Das Problem der Koordination der Aufgaben zwischen der Wissenschaft und der Forschung und eine Kooperation wurde aber bis zum Ende der NS - Zeit nie gelöst und sollte eines der größten Hemmnisse der Luftfahrtforschung werden.

Baeumker konnte die Frage nach der Umsetzung der staatlichen Lenkung der Wissenschaft bei gleichzeitiger Wahrung deren Autonomie nicht beantworten.

Mit Blick auf die Wissenschaftspolitik des Auslandes und deren Fortschritte, stellte Baeumker auch die Forderung nach einer staatlichen Regelung der Grundlagenforschung, um so einen besseren Einfluss auf die Wahl der Forschungsgebiete zu haben.

Ein Grund für die wachsende Differenz zwischen dem Forschungsstand in Deutschland und dem des Auslandes lag auch an der Ausgestaltung des deutschen wissenschaftlichen Berichtswesens. Zum einen gab es nach dem Ersten Weltkrieg einen Boykott gegenüber deutschen Wissenschaftlern, so dass sie zum Teil von den neuesten Forschungsergebnissen abgeschnitten waren. Zum anderen waren besonders während der Weltwirtschaftskrise die Finanzmittel zu knapp, um ausländische Fachliteratur zu erwerben. Weiterhin gab es in Deutschland eine Vielzahl kleinerer Vereine, die sich mit den verschiedensten Themen der Luftfahrtforschung befassten und eigene Zeitschriften herausbrachten. Zwischen diesen Gruppen gab es kaum eine Kooperation. Baeumker schlug daher die Einrichtung eines Zentralorgans zur Koordination der Publikationen vor, um so die Effizienz des wissenschaftlichen Berichtswesens und der Kommunikation zu steigern.

Seine Vorschläge wurden schon im März 1933 mit der Gründung der „Zentrale für wissenschaftliches Berichtswesen über Luftfahrtforschung“ ( ZWB) in die Praxis umgesetzt.

Gleichzeitig wurde die Gründung der „Vereinigung für Luftfahrtforschung“ (VFL) beschlossen. Diese neue Organisation orientierte sich am Leitbild des us - amerikanischen National Advisory Committee for Aeronautics (NACA). Es sollte die Vernetzung aller mit der Luftfahrt beteiligten Gruppen erreichen, um die Umsetzung der Forschungsergebnisse in der Wirtschaft und der Industrie zu verbessern. Der Staat behielt sich einige Reserverechte vor. Die Aufgaben und die thematischen Schwerpunkte der Forschung wurden ebenso wie die personelle Besetzung wichtiger Stellen staatlich vorgegeben. Die Wissenschaftler erhielten die konkrete Anweisung, Bearbeitungswünsche von Beamten oder der Industrie bevorzugt zu behandeln. Damit veränderte sich im VFL das Verhältnis zwischen freier und gebundener Arbeit und alle in der Luftfahrtforschung Beschäftigten wurden enger an das Regime gebunden. Die Forscher wurden durch die Anordnung regelmäßiger Berichterstattung und die Auferlegung einer strengen Geheimhaltungspflicht stärker unter staatliche Kontrolle gebracht, denn von Anfang an wurden in der VFL Aufrüstungsziele verfolgt, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten..

Auch die studentischen Vereinigungen der Hochschule durchliefen, wie die gesamte Wissenschaftswelt, einen Gleichschaltungsprozess. Die Arbeitsgemeinschaften der Studenten wurden aufgelöst und ihr Vermögen beschlagnahmt. Wenig später lebten sie erneut unter nationalsozialistischer Flagge wieder auf. Unterstützend wirkte dabei die Tatsache, dass viele der Studenten sich schon vor 1933 sich dem Gedankengut der NSDAP zugewandt hatten.

Vorsichtiger als mit den Studentenverbindungen mussten die Nationalsozialisten mit traditionsreichen wissenschaftlichen Organisationen wie der „Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt“ umgehen, die nicht einfach aufgelöst werden konnten. Im genannten Beispiel wurde die Gleichschaltung mittels der Errichtung einer Ministerialbürokratie vollzogen. Mit der VFL war eine Konkurrenzorganisation gegründet worden, die ab dem Zeitpunkt ihrer Entstehung die Aufgabe der wissenschaftlichen Beratung und Koordination übernahm und demzufolge auch einen Großteil der öffentlichen Gelder für die Wissenschaft bekam. Die „Wissenschaftliche Gesellschaft“ hatte daraufhin mit großen finanziellen Verlusten zu kämpfen und musste ein Sinken der Mitgliederzahl in Kauf nehmen, was sie 1935 zur Auflösung zwang.

Bereits bestehenden Organisationen und Verbände der Luftfahrtforschung wurden in das neue politische System eingepasst. Die Deutsche Versuchsanstalt für Luft - und Raumfahrt (DVL) änderte nach der Machtergreifung durch Hitler selbsttätig die innere Struktur des Vereins entsprechend der neuen Staatsidee. Ranghohe Mitarbeiter wurden nun nur noch vom Staat eingesetzt. Das Führerprinzip wurde umgesetzt und alle Wege der kollegialen Entscheidungsfindung unterbrochen, es entstand eine vertikale Gliederung des Vereins.

Der Grundsatz des Führerprinzips besteht in der Autorität jedes Führers nach unten und der Verantwortung nach oben, wie es Hitler schon in „Mein Kampf“ darlegt hatte. Das parlamentarische Prinzip der Majoritäts- - und Massenbestimmung wurde abgeschafft. Hitler stand als oberster Führer an der Spitze dieser Hierarchie.

Die DVL änderte noch 1933 ihre Satzung und konnte mit diesem Schritt ihren Wissenschaftlern ein gewisses Maß an Autonomie erhalten, obwohl der Einfluss des RLM aufgrund von finanziellen Bindungen sehr hoch war.

Anders war die Situation der Aerodynamischen Versuchsanstalt Göttingen (AVA), die mit dem Kaiser - Wilhelm - Institut für Strömungsforschung verbunden war. Traditionell genoss die Kaiser - Wilhelm - Gesellschaft größere Freiheiten als andere Forschungseinrichtungen, da sie durch private Mittel finanziert wurde und so ein Selbstverwaltungsrecht besaß. Ein Zugriff des neuen Reiches nach dem Vorbild der DVL war hier nicht möglich und dies stand im Widerspruch mit den Plänen des RLM. Dennoch hatte der drohende Gleichschaltungsprozess einen Einfluss auf die AVA, da es auch interne nationalsozialistische Gruppen gab, die eine Umwandlung in ein Reichsinstitut forderten sowie die Entfernung politisch unzuverlässiger Elemente. Die große Bedeutung der AVA für die geplanten Rüstungsaktivitäten des Staates sicherten ihr den Schutz des RLM vor Aktionen der internen NS- Basis zu. Damit waren aber bestimmte Forderungen verbunden. Die AVA geriet so in eine Abhängigkeit vom RLM. Die staatlichen Kontrollen über die Verwaltung und die Finanzen wurden verstärkt; von nun an mussten Vierteljahresbilanzen und Verwendungsnachweise für finanzielle Mittel an das Ministerium gegeben werden und das Beschaffungswesen wurde reorganisiert. Trotz dieser Schritte war die AVA noch weit vom Vorbild der DVL entfernt und dies war für die Deutsche Forschungsgemeinschaft Grund genug, um sich aus der Finanzierung zurückzuziehen. Im Ergebnis wurde die AVA aus der Kaiser - Wilhelm - Gesellschaft ausgegliedert und der DVL unterstellt, da so die Geheimhaltungsvorschriften für die militärischen Aktivitäten besser durchzusetzen waren. 1936 wurde die AVA als eingetragener Verein selbständig, die Kooperation mit dem Kaiser- Wilhelm- Institut für Strömungsforschung wurde weiterhin aufrecht erhalten. Sowohl das RLM, die Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft als auch Vertreter von Industrie und Wirtschaft hatten so einen Einfluss auf diese wissenschaftliche Versuchsanstalt.

Nachdem das Regime auf diese Art und Weise seinen Einfluss auf die Luftfahrtforschung vergrößert und verstärkt hatte, konnte nun der weitere Ausbau nach den Plänen der Nationalsozialisten gezielt vorangetrieben werden und die Forschung für die Kriegsvorbereitungen genutzt werden.

4. Mobilisierung der Forschung unter Friedensbedingungen

Der Ausbau der Luftfahrtforschung kann in zwei Phasen unterteilt werden.

Die erste Phase vom März 1933 bis zum Februar 1935 war gekennzeichnet von der Gleichschaltung der Wissenschaftswelt, den Reformen des Publikationswesens, wie in Abschnittdrei beschrieben wurde. Die Vernetzung von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft sowie dem Ausbau der Forschungszentren nach den Plänen der 1920er Jahre sollte vorangetrieben werden. Ziel war es, bis 1938 auf dem Gebiet der Luftfahrtforschung den Stand der führenden ausländischen Nationen zu erreichen. Es war die Zeit der „Enttarnung“, d.h. es wurde offiziell die Existenz einer Luftwaffe und die Pläne der Militarisierung bekannt gegeben und die deutsche Lufthoheit verkündet. Damit waren für Deutschland die letzten Fesseln des Versailler Vertrages abgestreift.

In der zweiten Phase von 1935 bis zum Kriegsbeginn 1939 wurden die wissenschaftlichen Aktivitäten weiter ausgebaut. Die Rahmenbedingungen hierfür gab die Forschungsabteilung des RLM vor. Da Göring davon ausging, Hitler würde den Krieg erst 1942 beginnen, legte er die Luftfahrtforschung , die eine Überlegenheit der deutschen Luftwaffe im Krieg und den Sprung über den Atlantik gewährleisten sollte, langfristig an. Da der Krieg aber 1939 begann, mussten alle langfristig angelegten Forschungsarbeiten in kurzfristige umgewandelt werden, die ihre Aufgaben je nach wechselnder Kriegslage erhielten. Darüber hinaus war eine veränderte Organisationsstruktur nötig, um neue oder übernommene Forschungseinrichtungen in das System der deutschen Luftfahrtforschung einzugliedern. Während des Kriegsverlauf musste der geplante Ausbau der Forschung unvollendet bleiben (vgl. Abschnitt 4).

Die Luftfahrtforschung konnte sich unter der neuen Reichsregierung verselbständigen, da ihr eine wichtige Bedeutung beim Aufbau einer Luftwaffe zukam. Von vielen Wissenschaftlern wurde die Zeit nach 1933 auch als das Ende der „falschen Bescheidenheit“, zu der die Weltwirtschaftskrise geführt hatte, gesehen. In der AVA kam es zur Genehmigung einer Vielzahl von Neubauten. So wurde beispielsweise ein Windkanal genehmigt der so teuer war, wie die gesamten erhaltenen Gelder des letzten Jahrzehnts. Da Arbeitsgebiete mit bisher kleinen Umfang nun zu Schwerpunktthemen für die Luftfahrt geworden waren, wurden Kältekanäle und Windvereisungskanäle gebaut, die die für ein Flugzeug in großen Höhen herrschenden Bedingungen simulieren konnten. In der AVA entstand auch der weltweit erste Überdruck - und Unterdruckkanal. Diese großangelegten Bauten wurden zum Wahrzeichen der Stadt Göttingen an deren Rand die AVA gelegen war. In den neuen Einrichtungen wurde sowohl Grundlagenforschung als auch Industrieforschung betrieben.

Natürlich expandierten die Forschungsgebiete mit militärisch hoher Relevanz, wie etwa Untersuchungen zur Fluggeschwindigkeit, Ballistik, Vereisung der Flugzeuge und Aerodynamik besonders stark. Auffallend bei der wissenschaftlichen Arbeit war der Übergang von technisch relativ einfachen Modelluntersuchungen zur Bearbeitung von spezifischen Einzelfragen, die für die Herstellung von Modellen umfangreiche Konstruktions- - und Werkstattarbeiten erforderten. Die AVA glich in der Zeit vor dem Krieg einer großen Baustelle , die Zahl der Mitarbeiter hatte sich von 80 im Jahr 1930auf 700 im Jahr 1939 erhöht5, aber die Qualifikationen der neuen Mitarbeiter entsprachen nicht immer den Anforderungen der Forschung. Es herrschte ein akuter Nachwuchsmangel, der behoben werden musste.

Aus dem kleinen Verein AVA wurde im Laufe der Zeit ein wissenschaftlicher Großbetrieb mit Versuchsanlagen, Versuchsflugzeugen und eigener Geräte- entwicklung, in dem im Dreischichtsystem gearbeitet wurde, um alle Aufgaben zu erfüllen, die zum Großteil aus der Industrie und der Wirtschaft kamen. Auch die innere Struktur des Vereins musste sich an die neuen Gegebenheiten anpassen. Aufgrund der ansteigenden Größe war eine zentrale Steuerung aber bald nicht mehr möglich und das System wurde unüberschaubar. 1939 wurde die AVA deshalb in verschiedene Institute unterteilt.

Die eigentliche wissenschaftliche Arbeit kam unter diesen großindustriellen Bedingungen meist zu kurz.

Die DVL, die bereits vor der Machtergreifung ein großes Forschungszentrum gewesen war, verfügte über eine große Grundausstattung an Laboratorien und Geräten. Die bestehenden Anlagen wurden modernisiert, erweitert und an die neuen technischen Anforderungen angepasst. Für diesen Prozess stand der DVL ein großes, vom RLM genehmigtes, Finanzvolumen zur Verfügung. Es entstand eines der hochmodernsten Luftfahrtforschungszentren der damaligen Zeit.

Auch in der DVL stieg die Anzahl der Mitarbeiter in der Vorkriegszeit stark an. Um eine gute Organisation gewährleisten zu können, wurde die übernommene Binnenstruktur geändert, d.h. sowohl die vertikale und als auch die horizontale Gliederung wurde weiter ausgebaut. Die Forschungsabteilungen wurden in Institute umgewandelt, die Zentrumsleitung und der Senat eingeführt und Direktoren zwischen die Institutsleiter und die Geschäftsleitung gestellt.6 Der DVL war der Sprung zur Großforschung gelungen.

Die Presse des NS - Staates nutzte diese Entwicklungen für Propagandazwecke aus und lobte die „Schönheit der Technik“ und „stählerne Romantik“, die Luftfahrtforschung wurde zum Idealtypus der nationalsozialistischen Technikromanik und der Produktionsästhetik erhoben. Fachleute schätzten im Gegenzug die technischen Neuerungen der Anlagen.

Neben dem Ausbau der Forschungszentren gab es 1935 und1936 auch ein umfassendes Reformenkonzept, das sich stark an der us - amerikanischen Organisation NACA orientierte, welch als politisch einflussreiches Gremium die Aufgabe hatte, die Luftfahrtforschungsaktivitäten zu koordinieren. Die USA hatten in diesen Jahren einen Vorsprung auf dem Gebiet der angewandten Technik erlangt, da es ihnen gelungen war, eine Synthese zwischen der Grundlagenforschung und dem technischen Know How herzustellen.

1935 wurden in Deutschland die ersten Rüstungspläne überprüft und Görings Ehrgeiz wurde durch den Vorsprung der USA angestachelt. Er verlangte für sein Land mindestens die gleichen Voraussetzungen wie sie in den USA herrschten.. Dieser Wille stellte für alle, die am Aufbau der deutschen Luftwaffe und der Aufrüstung mitarbeiteten, eine Blankovollmacht dar, mit der sich fast alle Forderungen durchsetzen ließen.

Das Problem der deutschen Luftfahrtforschung war schon in der Anfangszeit der Aufrüstung klar zu erkennen: Mangelnde Kooperation und Koordination aufgrund von Geheimhaltungsbestimmungen, ressorttüchtiges Verhalten und Geheimnistuerei.

Im Februar 1936 wurde das neue Programm des RLM vorgestellt und mit den Leitern der Forschungs - und Entwicklungsabteilungen besprochen. Gleichzeitig wurde das Scheitern der VFL eingestanden. Reagiert wurde auf diese Tatsache in einer für das Reich typischen Weise: Die Organisation wurde in die „Lilienthal - Gesellschaft für Luftfahrtforschung“ umbenannt und übernahm die Aufgaben der VLF und die repräsentativen Pflichten der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft, als sie am 12 Juni 1936 eröffnet wurde. Es sollte die Verschmelzung bester deutscher Wissenschaftstradition mit moderner technischer Forschung erreicht werden. An die Spitze der neuen Gesellschaft wurde aus Prestigegründen eine eigene Akademie gestellt, was historisch eine einmalige Gründung einer ingenieurwissenschaftlichen Akademie darstellt. Dieses war nur mittels der Rückendeckung durch Göring möglich, welche über seine Eitelkeit erreicht wurde. Man bot ihm an, das Amt des Präsidenten der neuen Akademie zu übernehmen. Das setzte ihn in die Tradition der Kurfürsten, die früher Schirmherren von Bildungseinrichtungen gewesen waren. Als Göring dem zustimmte, konnte es keine Gegenpositionen zu der Akademie mehr geben und das Ansehen der Luftfahrtforschung in Deutschland stieg stark an.

Als am 24. Juli 1936 die Akademie für die Luftfahrt mit dem üblichen Pomp eröffnet wurde, stand die Luftfahrtforschung fast an der Spitze des nationalen Wissenschaftslebens. Es entstanden durch eine disziplinenübergreifende Gemeinschaftsarbeit, die durch konkrete Forschungsförderung statt nur durch Vorträge und deren Diskussionen gekennzeichnet war, erhebliche Erkenntnisfortschritte auf bisher unberücksichtigten Gebieten.

Auch in der Akademie wurde das Führerprinzip als Organisationsform eingesetzt, obwohl der Widerspruch zwischen diesem und der wissenschaftlichen Autonomie offensichtlich war. Anfangs wurde noch eine Zusammenarbeit mit internationalen Koryphäen angestrebt, die aber niemals die Industriewerke und Forschungsanlagen besichtigten durften. Militärische Fragen wurden zu dieser Zeit aus dem Programm ausgeklammert, um die Zusammenarbeit mit dem westlichen Ausland nicht zu gefährden. Eine Veränderung dieser heuchlerischen Zustände trat schon 1937 ein, als nur noch Wissenschaftler der Achsenmächte, denen eine freundschaftliche Gesinnung unterstellt wurde, an der Akademie gern gesehen waren. Als Achsenmächte werden diejenigen Länder bezeichnet, die im Zweiten Weltkrieg mit dem deutschen Reich verbündet waren. Die Mächtigsten davon waren Italien, Japan und Deutschland selbst. Noch 1938 betont Göring die Wichtigkeit der internationalen Zusammenarbeit, gleichzeitig legt er aber die vorrangige Aufgabe der Luftfahrtforschung in der nationalen Verteidigung fest.

Als Reaktion auf diese Rede kündigten viele westliche Wissenschaftler ihre Mitgliedschaft in der Akademie. Darüber hinaus wuchs auch intern der politische Druck, nicht- deutsche Mitglieder zu entlassen, was bis 1939 im Rahmen von großen Entlassungswellen umgesetzt worden war.

Die Wissenschaftler konnten sich weder der Lilienthal - Gesellschaft noch der Akademie für die Luftfahrtforschung entziehen, wenn sie weiterhin in ihren Arbeitsgebieten tätig sein wollten. Obwohl beide Einrichtungen das Ziel der integralen Verknüpfung von Forschung und Industrie nicht erreichten und von internen Streitereien belastet waren, genossen sie einen guten Ruf und große wissenschaftliche Bedeutung, denn trotz dieser Probleme bildete beide eine wichtige Grundlage für die wissenschaftspolitische Aufwertung der Luftfahrtforschung im Dritten Reich. Die hier stattfindenden fachlichen Fortschritte waren von hohem Wert für die Wissenschaftswelt. Die grundlegenden Strukturprobleme der deutschen Luftfahrt , die durch die strengen Geheimhaltungsbestimmungen und daraus resultierender mangelnder Kooperation entstanden waren, konnten sie aber weder beheben oder verdecken.

Um den Ausbau der Luftfahrtforschung noch voranzutreiben, wurden neue Forschungseinrichtungen ins Leben gerufen. Die dadurch entstandene räumliche Dezentralisierung kann als ein wichtiges Charakteristikum der deutschen Luftfahrtforschung verstanden werden. In vielen verschiedenen Orten des Reiches gab es mehr oder weniger große Forschungszentren, die aufgrund ihrer Distanz Probleme beim Aufbau einer effizienten Zusammenarbeit hatten.

Zur Dezentralisierung kam es zum Einen durch die Neugründung von Forschungseinrichtungen, was einen großen Anteil der vorhandenen Ressourcen verbrauchte, die bei einer Konzentration der Zentren effektiver hätte eingesetzt werden können. Das Problem lag aber darin, dass sowohl die AVA als auch die DVL an ihre räumlichen Grenzen gestoßen waren. Darüber hinaus bot ihre Lage am Rande von Großstädten ( die AVA lag am Rande von Göttingen, die DVL am Rande von Berlin) keine guten Tarn- und Schutzmöglichkeiten bei einem eventuellen Angriff. Aus diesem Grund entschlossen sich die Luftfahrtforschungsverantwortlichen, eine „gesunde Dezentralisierung“ über das ganze Reichsgebiet anzustreben und so auch eine Kooperation mit der regionalen Industrie zu schaffen.

Ein Beispiel für diesen Weg ist die Gründung der Deutschen Forschungsanstalt für Luft - und Raumfahrt (DFL) bei Braunschweig nach dem Vorbild der DVL. Ein Vorteil war hier die mögliche Zusammenarbeit mit der Universität der Stadt sowie eine Unterstützung der regionalen Strukturpolitik mit dem Aufbau eines neuen Forschungszentrums. Es wurden die wichtigsten Gebiet im Bereich der Luftfahrtforschung bearbeitet.

Das RLM verfuhr bei allen Neugründungen dieser Art nach dem selben Muster. Bereits bei der Auswahl des Standortes und beim Bau der Zentren wurde auf eine gute Tarnung und die bestmögliche Geheimhaltung geachtet. Wissenschaftlich wurde die Grundlagenforschung forciert, der Staat zog sich sonst auf die Regelung der Rahmenbedingungen zurück Die DLF verfügte über ein hohes Maß an Autonomie, wurde aber dennoch strikt an die Rüstungsziele des Reiches angepasst und die Wissenschaftler mussten sich den vorgegebenen Regeln beugen.

Die Dezentralisierung konnte auch durch den Ausbau bereits vorhandener Strukturen entstehen. Schon seit den 1920er Jahren wurden private Organisationen für die Luft - und Raumfahrt gegründet. Nach der Machtergreifung wurden diese Vereine, unter Aufgabe ihrer Unabhängigkeit, in militärische Bahnen gezogen. Meist diente die bestehende Forschergruppe als Kern, um den dann ein ganze Forschungsanstalt entstand. Auch betsehende Institute an Universitäten, die sich mit der Luftfahrt befassten, wurden in staatlich organisierte Forschungszentren umgewandelt. Beispielhaft hierfür ist die Gründung der Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug (DFS) bei Darmstadt gewesen. Wie bereits erwähnt, war der Segelflug nicht durch den Versailler Vertrag untersagt worden und war daher gut als Tarnung für den Aufbau der Luftwaffe geeignet. Alle Organisationen, die sich vor 1933 mit dem Segelflug befasst hatten, wurden nun entweder aufgelöst oder gleichgeschaltet und in der DFS zusammengefasst. Rund um die alten Fliegerkasernen aus dem Ersten Weltkrieg entstand ein diversifiziertes Forschungszentrum, das schnell expandierte. Es enthielt Institute auf dem Gebiet des Segelfluges, der Flugmechanik und der Aerologie. Segelflugzeuge wurden während des Krieges vor allem als militärische Segeltransportmaschinen eingesetzt. 1938 wurde in Deutschland das weltweit erste Flugzeug gebaut, das die Geschwindigkeit von 1000 km pro Stunde überschritt, eine Messerschmidt Me 163. Diese Maschine beruhte auf den Erkenntnissen aus dem Segelflug.

Mit Ausblick auf Kapitel 4, der Mobilisierung der Forschung im Zweiten Weltkrieg, kann man sagen, dass nach 1939 die Dezentralisierung durch die Aufnahme eroberter und annektierter Forschungsanstalten in das deutsche Wissenschaftssystem weiter ausgebaut wurde.

Während der gesamten Expansionsphase der Luftfahrtforschung trat immer wieder das Problem des mangelnden Nachwuchses auf, eine „Not am geistigen Arbeiter“, während der gesamten Zeit des Dritten Reiches die Entwicklung der Wissenschaft bremsen sollte. Die Gründe für das Fehlen von qualifiziertem Nachfolgern waren vor allem durch die Verbote im Versailler Vertrag entstanden, als Deutschland sich nicht mit der Luftfahrt befassen durfte und so für die Jugend wenig Anreiz bestand, sich auf diesem Gebiet ausbilden zu lassen.

Bereits in der ersten Phase der Expansion der Luftfahrtforschung (1933 - 1935) wurde in der DVL eine Abteilung für den Ingenieurnachwuchs gegründet, deren Aufgabe darin bestand, eine langfristige Bedarfsplanung zu erstellen und Maßnahmen der Nachwuchsförderung zu ergreifen. Eine weitere Schwierigkeit war durch den zunehmenden Konkurrenzkampf zwischen der Forschung und der Industrie um die qualifiziertesten Mitarbeiter begründet. Letztere gewann meistens, da sie mit höheren Einstiegslöhnen und besseren Karriereaussichten für sich werben konnte. Es kam zu einer hohen Anzahl an Abwerbungen von Wissenschaftlern durch die Industrie.

Nach der Enttarnung der Luftwaffe 1935 begann das RLM Einfluss auf die technischen Hochschulen zu nehmen. Hochschullehrer erhielten jetzt die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Tätigkeit in den neuen Forschungszentren und außeruniversitären Wissenschaftlern wurde der Zugriff auf den Ingenieurnachwuchs ermöglicht. Weiterhin wurde der Ausbau der Universitäten von Berlin (DVL) und Braunschweig (DFL) zu Luftfahrtlehrzentren bis 1941 geplant. Als Ideal sollten technisch - wissenschaftliche Führerschulen entstehen und die zukünftigen Leiter der Wissenschaft in den Grundbegabungen des Forschens, Planens und Gestaltens ausbilden. Grundlage dieser Idee war das Bild des deutschen Technikers als Führer mit gesamtgesellschaftlicher Vorbildfunktion. Der Hochschulausbau stand aber immer hinter den anderen Projekten des Reiches, wie dem Bau neuer Forschungszentren, zurück und so wurden die gestellten Ziele nicht erreicht.

In der zweiten Expansionsphase nahmen die Abwerbungen von Wissenschaftlern durch die Industrie weiter zu, so dass es Probleme bei der Besetzung von wissenschaftlichen Spitzenpositionen gab. Als Antwort auf diese Situation wurden Forschungsprofessuren gegründet, um neue finanzielle Anreize für eine Arbeit im Dienste der Wissenschaft zu schaffen. Diese Institution ermöglichte es den leitenden Wissenschaftlern der staatlich finanzierten Forschungszentren wie der AVA, DFL und DVL in den Professorenstatus erhoben zu werden. Als außerordentliche Professoren erhielten sie das Grundgehalt, eine Kolleggeldgarantie, die Möglichkeit zur Tätigkeit als Gutachter und das Emeritierungsrecht. Im Dezember 1937 gab es die ersten Berufungen, auf Vorschlag Görings, durch Hitler persönlich .

Die Wissenschaftswelt reagierte auf diese „neuen“ Professoren eher ablehnend, eine Anerkennung konnte nicht erzwungen werden. Besonders groß waren die Vorbehalte und der Neid von Seiten des Heeres, wo man nach wie vor erst durch eine Habilitation und eine mehrjährige Dozententätigkeit zum Professor ernannt werden konnte.

Mit dem Ausbau der Luftfahrtforschung, den Reformenkonzepten , der Gründung neuer Forschungszentren und der Schaffung von Forschungsprofessuren war die Mobilisierung der Forschung unter Friedensbedingungen weitgehend abgeschlossen und die Wissenschaftswelt noch enger an das Regime gebunden. Die Verantwortlichten hofften, so gut wie möglich auf den kommenden Krieg vorbereitet zu sei.

5. Mobilisierung der Luftfahrtforschung im Zweiten Weltkrieg

Beim Ausbruch des Krieges 1939 gab es noch keine konkreten Pläne für einen , die Frontkämpfer unterstützenden, Einsatz der Forschung. Wie schon oft davor wurde auch hier das fehlende Verständnis des Militärs für die Bedeutung der Wissenschaft in einem technologischen Krieg offenkundig. Nach dem Erkennen dieses Fehlers wurde zuerst versucht, die Forschung politisch zu steuern. Das führte dazu, dass sich die Wissenschaft einer Vielzahl von staatlichen Institutionen ausgeliefert sah, die eine Beeinflussung der Forschung versuchten. Statt im Kriegsfall mehr Personal zu erhalten, wie es ursprünglich geplant war, musste die Luftfahrtforschung fast die Hälfte ihrer Mitarbeiter abgeben, die ohne ein erkennbares Ziel zur Armee eingezogen oder in den Fertigungsprozess eingliedert wurden.

Die Mobilisierungspolitik des RLM zielte auf eine Umschichtung von Mensch und Material ab, um die Luftrüstung auf einige Schwerpunkte zu konzentrieren. Teilweise Erfolge dieser Politik resultierten in der erhöhten Flugzeugproduktion während des Krieges7. Am Anfang des Krieges wurde der Versuch der Koordination und die Verringerung der zahlreichen Entwicklungsvorhaben unternommen, um Überschneidungen der Projekte vermeiden zu können. Dieser Schritt hätte aber , um optimale Ergebnisse zu erzielen, schon viel früher geschehen müssen.

In der militärischen Forschung wurde ein Stoppbefehl für alle langfristigen Vorhaben gegeben. Nur Projekte mit großer Bedeutung für die Gegenwart oder die nahe Zukunft durften weiter bearbeitet werden. Darüber hinaus gab es ein große Anzahl von Sonderaufgaben, die eine unmittelbare Bedeutung für die Front hatten und deshalb sofort gelöst werden mussten. Dieser Entwicklungsstopp ist ein Synonym für die verfehlte Rüstungspolitik des Regimes.

Die militärische Strategie im Krieg verlangte von der Forschung eine Umstellung und zog sie noch mehr unter die Kontrolle des Staates. Wie schon früher wurde dies über den Weg der Finanzen erreicht. Neben den Vierteljahresberichten mussten nun auch die finanziellen Überschüsse aus Industrieaufträgen abgeführt werden und es gab ein Verbot von Betriebsmittelrücklagen, da eine allgemeine Rohstoffknappheit herrschte. Der Staat hatte auch das Recht, bestimmte Forschungsaufgaben abzusetzen und neue zu bestimmen. Die Geheimhaltungsbestimmungen wurden weiter verschärft, alle Kontakte mit ausländischen Wissenschaftlern mussten abgebrochen werden.

Zu Beginn des Krieges war die Wissenschaft extrem fremdbestimmt.

Die leitenden Wissenschaftler waren, nicht zuletzt durch die Propaganda, davon überzeugt, dass Hitler den Krieg aufgezwungen bekommen hatte. Deshalb wollten sie, trotz ihrer Kritik an den wissenschaftspolitischen Maßnahmen des Regimes, ihren Teil zum Endsieg beitragen. Je lä nger der Krieg aber dauerte, umso größer wurde die Missstimmung sowohl über die Eingriffe der Bürokraten und des Militärs in die Wissenschaft als auch über die strengen Regeln der Geheimhaltung, die zu einem Abbruch des fachlich wichtigen Kontaktes zwischen Fachleuten geführt hatte. Der mit der Fremdbestimmung einhergehende Machtverlust der Luftfahrtforschung wurde durch die Unfähigkeit zur Rettung ihres „Humankapitals“ vor der Einberufung, wie es zum Beispiel die Industrie seit 1942 im Hinblick auf eine absehbare Nachkriegszeit tat, deutlich. Die Luftfahrtforschung war zwar das umfangreichste und modernste Forschungsgebiet in Deutschland, hatte aber eine schlechte wissenschaftspolitische Position und war bei Entscheidungen bezüglich der Gesamtforschung unterrepräsentiert.

Der Zeitpunkt für die Kritik der Wissenschaftler war günstig gewählt, denn der Kriegseintritt der USA, das Ende der Blitzkriegszeit und die Probleme vor Stalingrad machten deutlich, wie notwendig Veränderungen waren. Es wurde ein neues Zentralorgan angestrebt, in dem ein Wissenschaftler anstatt eines Bürokraten die Leitung der Forschung übernehmen sollte. Das war ein Eingeständnis, dass die politisch- bürokratische Steuerung versagt hätte. Man wollte wieder zurück zum Modell der Selbststeuerung der Wissenschaft, das in den 1920ern gut funktioniert und der Wissenschaft den notwendigen Freiraum gegeben hatte. Spitzenpositionen sollten wieder nach der Qualifikation statt der politischen Loyalität besetzt werden.

Bis 1942 wurde auch erkannt, das eine planmäßige Systematik und Ausrichtung der Forschung fehlte und Reformen notwendig waren.

Im Juni 1942 wurde als Reaktion auf die Kritik die „Forschungsführung des Reichsministers der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftfahrt“ gegründet. Es war eine Kompromisslösung, denn die Wissenschaftler erhielten das Recht auf Selbststeuerung nur in ihrem eigenen Arbeitsbereich, die Forschung blieb der Entwicklung weiterhin unterstellt und staatlich gesteuert. Obwohl sie nur einen Teilerfolg erreicht hatten, dankten die Wissenschaftler dem Regime mit der Mobilisierung aller Energien für die Ziele des Staates. Die Forschungsführung stand nahe der Spitze des RLM.8 Sie hatte die Befugnis, die Dringlichkeit bestimmter Aufgaben festzulegen und war zu einer unabhängigen Mittelbewirtschaftung berechtigt. Sie sollte die immer deutlicher werdende Krise in der Luftfahrtforschung beheben. Wie so oft in der NS- Zeit wurde also eine neue Organisation gegründet, um bestehende Probleme zu lösen. Statt dessen trug die Vielzahl der Institutionen, die mit der Luftfahrtforschung verbunden waren, zur Verhinderung von Effizienz und Koordination bei. Trotz allem zeichnete sich eine gewisse Rückkehr zur wissenschaftlichen Autonomie sowie eine vermehrte Orientierung der Forschung an der Kriegswirtschaft ab. Doch das war nur die Spitze des Eisberges. Viele Schwierigkeiten blieben bestehen; weitere notwendige Reformenkonzepte scheiterten meist an den fehlenden Absprachen zwischen den parallel arbeitenden, kriegswichtigen Stellen.

Im Umgang mit den Forschungszentren, die während des Krieges im Ausland erobert wurden und eine weitere Ursache der Dezentralisierung der deutschen Luftfahrtforschung darstellten, verdeutlichte sich das Grundmuster der deutschen Besatzungspolitik: Im Osten wurden die Einrichtungen annektiert, in das deutsche Wissenschaftssystem eingepasst und verloren jegliches Recht der Selbstbestimmung. Sie wurden für die Ziele des Reiches entweder durch ihre Eigenen oder durch deutsche Wissenschaftler, die die neuen Zentren „besuchten“, genutzt. Im westlichen Ausland hingegen, wie etwa bei der Universität in Paris, wurden die Forschungsergebnisse zwar von den Deutschen mitgenommen, den dortigen Wissenschaftler wurde aber ein selbständiges Handeln ermöglicht. Diese „Zusammenarbeit“ mit dem Ausland verschaffte der deutschen Luftfahrtforschung trotz des herrschenden Chaos des Krieges noch einmal neue Denkanstöße.

Die deutsche Wissenschaft war bis 1944 in der Lage gewesen, bemerkenswerte Erfolge auf dem Gebiet der Luftfahrtforschung zu erzielen. Mit einer Beschäftigtenzahl von 10.000 Mitarbeitern stand sie an der Spitze der nationalen Forschungslandschaft.

Der Führererlass vom 22. April 1944, der die Einstellung aller nicht für die Kriegsführung entscheidenden Forschungs- und Entwicklungsvorhaben befahl, beendete die Geschichte der deutsche Luftfahrtforschung auf abrupte Weise, da ein geordnetes Wissenschaftsleben nicht mehr möglich und die Forschungsarbeit an neuen Themen untersagt worden war.

6. Zusammenfassung

Im Laufe der gesamten NS - Zeit (1933 - 1945) hatte sich eine Vielzahl von Organisationen und Institutionen gebildet, die mit der Luftfahrtforschung im Zusammenhang standen. In einem Organigramm9 wird das Netz der entstandenen Forschungszentren noch einmal im Überblick dargestellt. Obwohl einige der Einrichtungen nie vollendet wurden, ist und bleibt die Anzahl dennoch beeindruckend. Viele waren die Überreste der Expansionsprogramme von 1935, die aufgrund des Mangels an Eisen, Beton und Arbeitskräften während des Krieges nicht erfüllt werden konnten und als Ruinen oder Rohbauten ein Zeichen der Selbstüberschätzung Deutschlands waren. Der von Hitler und Göring herbeigesehnte wissenschaftlich- technische Vorsprung zu den USA war nicht erreicht worden, die geplanten Projekte waren zu gigantisch und daher in so kurzer Zeit und unter Kriegsbedingungen nicht zu erreichen. Schon vor 1939 war der „Planungsrausch“ des RLM auf Skepsis aufgrund der Verschwendung materieller und personeller Ressourcen gestoßen, aber Widerstände erschienen kaum sinnvoll und möglich wenn es darum ging, den Willen des Führers zu erfüllen.

Die Idee, die Forschung zu stärken, ohne dabei die Industrie zu schwächen - vor allem auf im Bezug auf die Arbeitskräfte - sollte durch die Verzahnung von universitärer und industrieller Forschung erfüllt werden. Die Hochschulen, auch die eroberten, wurden in dieses Konzept eingebunden. Nach 1939 trat jedoch immer mehr ein Grundsatzkonflikt des RLM in den Vordergrund: Während des Krieges konnte das Ministerium keine „Exotenfächer“, wie zum Beispiel Luftrecht oder Sprachforschung, mehr finanzieren und geriet dadurch in Streitereien mit den Universitäten, die sich auf ihre wissenschaftliche Autonomie bei der Auswahl der Fächer beriefen. Aus diesem Grund kam eine optimale Kooperation zwischen Industrie und Wissenschaft nie zustande.

Nach der Niederlage Deutschlands bescheinigten die Alliierten der Luftfahrtforschung ausgezeichnete Leistungen, besonders im Hinblick auf die widersprüchliche und wechselhafte Wissenschaftspolitik des Dritten Reiches. Sie nutzten die Ergebnisse für sich selbst aus. Die Elite der Forschung ging in die USA, die anderen in die Sowjetunion, um dort ihre jeweiligen Arbeiten fortzusetzen. Beide Großmächte schienen keine Probleme mit der politischen Vergangenheit der Wissenschaftler zu haben.

Bei Betrachtung aller aufgeführten Gesichtspunkte im Zusammenhang mit der Entwicklung der Luftfahrtforschung stellt sich schließlich die Frage nach ihrer tatsächlichen Bedeutung für die Kriegsführung und der rüstungspolitischen Effizienz.

Die auftretenden Doppelarbeiten und Überschneidungen der Projekte sowie die Zersplitterung der Kräfte durch die Vielzahl der vorhandenen Institutionen hinderten an einer optimalen Leistungsfähigkeit. Da am Anfang der 1930er Jahre die Grundlagenforschung im Vordergrund der Wissenschaft stand und man sich erst zu Kriegsbeginn im Bereich der Luftfahrtforschung auf relevante Schwerpunkte zu konzentrieren begann, war ihre militärische Bedeutung eher gering. Unterstützend war hierfür auch die Randstellung dieser wissenschaftlichen Disziplin im nationalen Bereich. Ein weiteres Problem stellten die mangelnden Kontakte der Forschung zur Industrie und dem Militär dar, die zum Teil durch die hohe Geheimhaltungsbedingungen begründet waren.

Die Liste der Schwierigkeiten lässt sich mit fehlender Koordination und entstandener Konfusion durch die Institutionenvielfalt weiter fortsetzen, die seit dem Aufbau der Luftfahrtforschung regelmäßige Begleiterscheinungen dieser Wissenschaft waren.

Die Ursachen der Missstände liegen in der politischen Führung des Systems sowie dem mangelnden Wissenschafts- und Technikverständnis begründet, die ein funktionierendes Beziehungsgefüge zwischen Forschung, Militär und Industrie nicht entstehen ließen. Die Luftfahrtforschung entwickelte sich im Zeitraum von 1933 bis 1945 weltweit zur Großforschung mit einem hohen apparativen Aufwand, der zur Inflexibilität vor allem während des Krieges führte. Deutschland war aber nicht in der Lage gewesen, Verknüpfungen zwischen allen kriegswichtigen Bereichen herzustellen um so den Erfolg der Wissenschaft zu maximieren, obwohl die personellen Voraussetzungen durchaus gegeben waren. Obwohl nach der Machtergreifung einige namenhafte Wissenschaftler das Land verließen, verfügte das Dritte Reich über eine gute und qualifizierte Forschungselite, die sich meist schon seit dem Ersten Weltkrieg dem Thema der Luftfahrtforschung gewidmet hatte.

Die Schwachstellen der deutschen Luftfahrtforschung, die letztendlich zum Scheitern aller Pläne führen mussten, lagen zum Großteil in Unklarheiten der Wissenschaft über irreversible technisch- historische Veränderungsprozesse und in einer Fehleinschätzung bzw. einer Unkenntnis des industriellen Fertigungsprozesses begründet. Es war kein geschlossenes und funktionierendes System der Forschung und Entwicklung entstanden; die Kommunikation zwischen der Wehrmacht, der Industrie, der NSDAP und der Bürokratie war meist nur über die Person Hitlers möglich, der trotz guter Gedächtnisleistungen am Ende überfordert war. Die einzelnen Schritte der Aufrüstung konnten nicht zu einem Ganzen zusammengefügt werden und jeder Teilbereich, ob Heer, Marine oder Luftwaffe, dachte von sich, den Krieg allein für Deutschland gewinnen zu können. Hinderlich für die Leistungsfähigkeit der Luftfahrtforschung waren auch die ungeklärten Führungsprobleme in den Einrichtungen sowie interne Machtkämpfe um Spitzenpositionen und den größten Einfluss. Das Misstrauen des Militärs gegenüber neuen Techniken in der Luftfahrt, und die daraus resultierende Ablehnung ihres Einsatzes, bremste die Umsetzung neuer Entwicklungen in die Praxis und ist auch ein Grund dafür, dass der tatsächliche Beitrag der Luftfahrtforschung zum Kriegsverlauf, entgegen der Annahmen in den 1930er Jahren, eher gering war.

Die Rezeption der wissenschaftlichen Erkenntnisse blieb während der NS - Zeit zurück und die Luftfahrtforschung scheiterte an den Aufgabenstellungen der Moderne. Sie konnte die Erwartungen, die ab 1933 im Hinblick auf eine kommenden Krieg in sie gesetzt wurden, unter den herrschenden politischen und institutionellen Bedingungen nicht erfüllen.

[...]


1 Quelle: Trischler, Helmut: Luft - und Raumfahrtforschung in Deutschland 1900 - 1970, S.177

2 ebd.

3 Siehe Anlagen Blatt 1

4 Siehe Anlagen Blatt 2

5 Quelle: Trischler, Helmuth, Luft - und Raumfahrtforschung in Deutschland 1990 - 1970, S.202

6 siehe Anlagen Blatt 3

7 vgl. Anlagen Blatt 2

8 Siehe Anhang Blatt 4

9 Siehe Anhang Seite 5

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Organisation der Luftfahrtforschung 1933 - 1945
Autor
Jahr
2001
Seiten
20
Katalognummer
V105199
ISBN (eBook)
9783640034963
Dateigröße
387 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Organisation, Luftfahrtforschung
Arbeit zitieren
Daniela Walther (Autor:in), 2001, Organisation der Luftfahrtforschung 1933 - 1945, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105199

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