Das Private in der Politik - am Beispiel der Berliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2001


Ausarbeitung, 2001

11 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Porträts der Spitzenkandidaten

3. KAMPAS

4. Anti-Terror- Plakate

5. Plakatvandalismus

6. Internet- Auftritte

7. Strategien der Politikdarstellung

8. Glossar

1.Einleitung

„Der Politiker, der in den Medien nicht vorkommt, existiert kaum. Deshalb lässt er sich so gern befragen“, hat Wolfgang Thierse vor einiger Zeit in der Frankfurter Rundschau festgestellt1.

„Wichtige Debatten“, schreibt Thierse, „finden im Fernsehen, in Talkshows statt, lange, bevor sich Politiker im Parlament äußern.“ Der Bundestagspräsident gesteht jedem Politiker seinen Wunsch nach medialer Präsenz zu, ist sie doch für die politische Karriere lebensnotwendig.

„Wichtig ist für ihn nicht nur die Zustimmung in der eigenen Fraktion oder Partei, wichtig ist die Zustimmung der Öffentlichkeit.“ Es gebe also einen Zwang, sich und seine Ideen für die Medien zu inszenieren. Die Politiker erscheinen Thierse als die Getriebenen in diesem Wettlauf der Medien um die neueste Nachricht. Der Politiker, ein Getriebener? Es erscheint mehr als zweifelhaft, dass die Spitzenkandidaten der PDS, SPD und CDU in Berlin in die Talkshows der nationalen Fernseh-programme getrieben werden mussten. Eher sah es nach dem Regierungswechsel am 16. Juni nach einem Wettrennen um den besten Platz in der Sendung mit dem besten Sendeplatz und dem größten Publikum aus. Für Klaus Wowereit (SPD), Gregor Gysi (PDS) und Frank Steffel (CDU) ließsich seit dem Regierungswechsel feststellen: Der SPD-Mann war am schnellsten im Bildschirm platziert, Gysi ist ohnehin regelmäßig Gast, Steffel holte auf.

Hanno Harnisch, der Pressesprecher der PDS, behauptet,2 Gregor Gysi müsse man nicht pushen.

Gysi habe mehr Einladungen, als er annehmen könne. „Meinungsbildung“, erklärt Harnisch, „erfolgt durch millionenfach reproduzierte Fernsehbilder und die dabei gemachten Aussagen“. Ein wichtiger Effekt sei, „dass der Politiker seine Argumente auf Tauglichkeit überprüfen kann“. Was dann in der Talkshow funktioniere, funktioniere eben auch anderswo. Den PDS-Pressesprecher ärgert, dass die politischen Gegner Gysi auf die Labels „Talkstar, Medien-Liebling“ reduzieren wollen. „worum andere ringen, das wird ihm vorgeworfen.“ Doch profitieren nicht nur die Gäste von ihren Auftritten, sondern auch die Sender. Klaus Wowereit trieb die Quote bei „Friedmann“ in die Höhe. Der SPD-Kandidat bescherte dem Talk ein breites Kritiker-Echo und mit 1,55 Millionen Zuschauern die drittbeste Quote seit Januar.

Auch die CDU schätzt die Werbewirkung von Talkshows. Gerade ein relativer Neuling wie der CDU- Spitzenkandidat Frank Steffel konnte so rasch an Bekanntheit gewinnen. Dass solche Auftritte nicht immer von Erfolg gekrönt sind, hat Herr Steffel bei „Friedmann“ schmerzhaft erfahren müssen. Der TV- Talker konterte Steffel gnadenlos aus.

Erstaunlicherweise ist der angekündigte Lagerwahlkampf um die Hauptstadt ausgeblieben. Nach dem Bruch der großen Koalition im Juni hatte die Union gegen die vermeintliche Wiederauferstehung des Kommunismus gerufen, für einen Kampf von „nationaler, ja internationaler Dimension“3 mobilisiert, bei der sich das Schicksal Deutschlands entscheide. Weil CDU-Chefin Angela Merkel die Berliner Wahl zur „Richtungsentscheidung“ hochstilisierte, hatte die Bundes- CDU zunächst ihren früheren Vorsitzenden Wolfgang Schäuble zum Spitzenkandidaten ausrufen wollen. Doch sie scheiterte damit am Klüngel des Landesverbandes, der einen Bewerber mit Stallgeruch, Frank Steffel, 35, vorzog.

Fast im Alleingang und ohne großes Getöse hat Wowereit in den vergangenen Monaten die Stadt übernommen. Der Grund dafür ist simpel: Die Union, durch Bankenskandal und zehn Jahre große Koalition ausgelaugt, ist seit dem Fall Diepgens heillos zerstritten.

Kandidat Steffel taugt zwar zum Chef eines Raumaustatterunternehmens, aber nicht zum Anführer des bürgerlichen Lagers. Der Totalausfall des angeblichen „Kennedy von der Spree“ machte die anfängliche Aussicht auf ein spektakuläres Kopf- an- Kopf- Rennen zwischen ihm, dem SPD-Spitzenmann Wowereit und dem PDS-Vorturner Gysi zunichte. Steffel, munkelten CDU- Kreise, ließangeblich schon vor der Wahlniederlage sondieren, ob ihn die Partei nicht mit einem Bundestagsmandat für die Mühen der Spitzenkandidatur entschädigen könnte.

Gysis Charisma verblasste nach einem klassischen Frühstart mit PDS- Umfragewerten von über 20 Prozent in den Niederungen der Berliner Lokalpolitik - erst seit dem Kriegsbeginn in Afghanistan ging es wieder aufwärts.

Bundespolitische Bedeutung hatte die Wahl am 21.Oktober dennoch- freilich in einem anderen Sinne, als von der CDU erhofft. Der Demontage der Lokalgröße Steffel könnte die der Bundesgröße Merkel folgen. Deren parteiinterne Gegner wollen die Vorsitzende für das Berlin- Desaster verantwortlich machen und die Kür des Kanzlerkandidaten der Union dann vorziehen.

Den Wahlerfolg hat Wowereit nicht einer aggressiven eigenen Kampagne zu verdanken, sondern eher einem dauerhaften Ausweichmanöver. Die Weichspüler aus der SPD- Kampa, Profis der Bundespartei, haben der Konkurrenz jede Angriffsfläche für einen Lager- Wahlkampf genommen. Je mehr die Union schimpfte, je lauter Merkel, Steffel, der abservierte Diepgen und der nur kurz in den Wahlkampf eingreifende Helmut Kohl den „Pakt mit den Kommunisten“ attackierten, desto sanfter reagierte der „Kuschellinke“ (Wowereit über Wowereit)

Auf den Podien lehnte sich der Bürgermeister leicht angewidert zurück, wenn Steffel Sprüche klopfte oder nach Zuschauerfragen so weit ausholend klatschte, als wolle er im Saal für Frischluft sorgen. Und in den wenigen wirklich heiklen Situationen, etwa als die Union die Sozialdemokraten am 13.August, dem Gedenktag des Mauerbaus, als Vaterlandsverräter brandmarken wollte, konnte sich Wowereit hinter dem breiten Rücken seines Förderers Gerhard Schröder verstecken.

Wowereit hat Steffel mit Diepgens Mitteln geschlagen - mit gnadenlosem Dauerlächeln und präsidialer Präsenz. Die Bilanz seines rot- grünen Übergangssenats indes ist äußerst mager. Mangels vorzeigbarer Ergebnisse präsentierte er nach 100 Tagen im Amt eine Liste, auf der als Erfolgsmeldung nur das regelmäßige Erscheinen der Senatsmitglieder am Arbeitsplatz fehlte. Wowereit saßdie dramatische Finanzkrise Berlins bis zum Wahltag aus. Alle Negativbotschaften über notwendige Einsparungen hatte er schon vor Diepgens Sturz ausgesprochen, im Wahlkampf musste er sie deshalb nicht wiederholen.

Dass in Wowereits Schlepptau diverse SPD- Altkader wie Parlamentsvizepräsident Walter Momper ihre Posten retten wollten, wurde durch die Charme - Offensive („Berlin bewegen“) glänzend überdeckt. Erfolgreich erweckten die Genossen auch den Eindruck, sie hätten mit dem Berliner Filz der vergangenen Jahre nichts zu tun gehabt - was zwar falsch, aber für die Wahlen sehr hilfreich war.

Steffels Mannen hatten der SPD nichts entgegenzusetzen. Konzeptlos hangelte sich die CDU von Woche zu Woche. Berater um Berater präsentierte das so genannte Powerpoint- Team des Spitzenkandidaten- bis die Berliner sich fragten, was Steffel eigentlich selber könne.

Die Union hat ihre Erwartungen immer weiter nach unten korrigiert. Galt anfänglich die im Abgeordnetenhaus bei knapp über 33 Prozent liegende Sperrminorität gegen Verfassungsänderungen als Minimum, das Steffel erreichen müsste, wurde zuletzt die 30 Prozent Marke angepeilt. Doch egal, wie die Union auch abgeschnitten hätte, Wowereit will keine Koalition mit ihr. „Berlin muss sparen. Sparen wir uns erst mal die CDU“, hat er deshalb plakatieren lassen.

Bis zum Beginn der US- Angriffe auf Afghanistan deutete fast alles auf ein rot- rotes oder ein rot- rot- grünes Bündnis hin. Doch die harsche Kritik der PDS an den Vergeltungsschlägen belastete das Verhältnis von Sozialdemokraten und Postkommunisten, die sich seit Kriegsbeginn als die einzig wahre Friedenspartei sehen. Zwar steht Wowereit sowohl dem Bombardement als auch der harten Linie von Bundesinnenminister Otto Schily eher distanziert gegenüber. Doch an der SPD - Basis regt sich Unmut über die SED- Erben, die für die Verurteilung des Mauerbaus 40 Jahre brauchten, für die der US- Angriffe aber keine Viertelstunde.3

2. Porträts der Spitzenkandidaten

2.1. Klaus Wowereit, SPD

4 Wowereit als "Bürgermeister aller Berliner"

Berlins neuer Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit ist der Shooting- Star der Hauptstadt- SPD. Erst vor drei Monaten durch ein erfolgreiches Misstrauensvotum ins Amt gekommen, erfreut sich der 48 Jahre alte Jurist großer Beliebtheit in der Bevölkerung. Durch seine offene und unverkrampfte Art gibt sich Wowereit gern als "Bürgermeister zum Anfassen".

Bundesweit bekannt wurde der SPD-Politiker über Nacht durch sein Bekenntnis zu seiner Homosexualität, das er seiner Nominierung vorausschickte. Vom Nobody außerhalb Berlins stieg er so zum gefragten Talkshow-Gast auf. Schnell fand sich Wowereit in die Rolle des Regierungschefs. Den Amtsbonus nutzte er geschickt, sich parteiunabhängig als "Bürgermeister aller Berliner" zu präsentieren. Im Wahlkampf gab sich der Jurist denn auch gern staatstragend, während er den üblichen Parteienstreit seinen vier Herausforderern überließ.

2.2. Frank Steffel, CDU4

Steffel als "Anti-Typ" zum altgedienten Funktionär

Nach ihrer Parteispenden- und Bankenaffäre setzte die CDU mit Steffel bewusst auf ein neues Gesicht. Seine Unbekanntheit außerhalb Berlins sollte unter dem Slogan "Neue Kraft für Berlin" als Trumpfkarte im Wahlkampf ausgespielt werden. Zugleich verkörpert der "bekennende Jungunternehmer" den Anti-Typus zum altgedienten Politfunktionär. Die Tatsache, dass der CDU-Politiker ein Raumausstattungs-unternehmen mit 300 Mitarbeitern führt, wurde als Ausweis seiner wirtschaftlichen Kompetenz verkauft.

Erst Mitte Mai war Steffel an die Fraktionsspitze gewählt worden. Seine Union stürzte im Gefolge von Banken- und Parteispendenaffäre beispiellos ab, dümpelte in Umfragen nahe 26 Prozent gegenüber 40,8 Prozent bei der letzten Wahl.

Die Zusammenarbeit des neuen rot-grünen Senates mit der PDS verurteilte Steffel als "linken Putsch und historischen Sündenfall der SPD". Den Sturz Diepgens bezeichnete er "als schwärzesten Tag für Berlin seit dem Mauerbau". Obwohl er keinen Rote-Socken-Wahlkampf führen wollte, malte er immer wieder die Gefahren einer "kommunistischen Machtübernahme" in Berlin an die Wand. Er beschwor mit dunkler Stimme eine "Schicksalswahl" für Berlin.

Dem Hoffnungsträger der CDU wurden jedoch im Wahlkampf viele Fehler vorgeworfen. Bei Eierwürfen auf dem Alexanderplatz versteckte er sich hinter dem Rücken von CSU-Chef Edmund Stoiber. Bei einem Urlaub in Bayern vergrätzte er die Hauptstädter, indem er München als schönste Stadt Deutschlands pries. Kritik an ausgegrabenen ausländer- und behindertenfeindlichen Äußerungen aus seiner Jugendzeit begegnete er mit dem Hinweis, es sei in seiner Jugend "ganz normal" gewesen, Schwarze als "Neger" und Behinderte als "Mongos" zu bezeichnen. Steffel - zuvor unangefochten die Nummer eins in der Berliner CDU - beschädigte so auch parteiintern seine Stellung

2.3. Gregor Gysi4

Brückenbauer zwischen Ost und West

Dass er nach seinen Ämtern als PDS-Vorsitzender und Bundestags- Fraktionschef nun Regierender Bürgermeister von Berlin werden will, sei eine spannende Herausforderung- persönlich und politisch- sagt er. Anfangs standen die Chancen auch nicht schlecht. Über 50 Prozent der Berliner hätten Gysi noch kurz nach dem Bruch der alten CDU/SPD-Koalition bei einer Direktwahl als regierenden Bürgermeister gewählt - doch so eine Wahl sieht das Gesetz nicht vor. Bei den vielen Rededuellen der fünf Spitzenkandidaten konnte der glänzende Rhetoriker - berühmt für seine Schlagfertigkeit - zudem immer wieder punkten.

Zum Verhängnis wurde ihm jedoch immer wieder die von vielen empfundene Diskrepanz zwischen ihm und den Alt-Kadern der PDS. Die CDU wirft Gysi vor, ein gerissener Wendehals zu sein. Er habe nach der Wende als erster Parteichef bewusst auf die Auflösung der Staatspartei SED verzichtet, um sie - samt Parteivermögen - in die PDS überzuführen. Auch der Vorwurf, er sei Stasi-Spitzel gewesen, hängt dem ehemaligen Anwalt von DDR- Dissidenten bis heute an, obwohl er immer widersprochen und auch gerichtlich bis heute obsiegt hat.

2.4. Günther Rexrodt4

Magische 18 Prozent vor Augen

Ein erklärtes Ziel der FDP war es, eine Regierungsbeteiligung der PDS zu verhindern. Als einzige Partei neben der CDU machten die Freidemokraten dies zu einem zentralen Wahlkampfthema.

Nachdem die Freidemokraten 1995 mit 2,5 Prozent und 1999 mit 2,2 Prozent deutlich an der Fünf-Prozent- Hürde scheiterten, profitieren sie in diesem Jahr vom Bruch der großen Koalition und den Affären der CDU. Entsprechend selbstbewusst trat Spitzenkandidat Günter Rexrodt auf. In Anlehnung an das Wahlziel der Bundes-FDP bei der Bundestagswahl formulierte der 60-Jährige unermüdlich im Wahlkampf:

"18 ist eine gute Zahl". Zugleich ließRexrodt keinen Zweifel daran, dass die FDP in der Hauptstadt wieder mitregieren will. Die Partei macht deshalb bewusst keine Koalitionsaussage, um sich beide Optionen - an der Seite der SPD in einer rot-gelb-grünen Ampel oder an der Seite der CDU- offen zu halten.

2.5. Sibyll Klotz4

Sibyll Klotz für die Grünen im Rennen

Die promovierte Philosophin war von 1983 bis 1989 SED-Mitglied. Verheimlicht hat sie es nie. Ihr Bruch kam in der Wendezeit, heute distanziert sich Klotz von den Nostalgie-Strömungen in der PDS. Als "absolut menschenverachtend" bezeichnete sie rechtfertigende Äußerungen von PDS-Politikern zum Mauerbau. Trotzdem forderte sie schon im vergangenen Jahr eine Koalition aus SPD, PDS und Grünen.

Die 40 Jahre alte Grünen-Fraktionsvorsitzende Sibyll Klotz ist schon zum zweiten Mal Spitzenkandidatin ihrer Partei in Berlin. 1995 hatten die Grünen sie gänzlich unerwartet der später zur EU- Kommissarin aufgerückten Michaele Schreyer vorgezogen. Widerstand gab es allerdings von der Bundespartei. Klotz sei zu unbekannt und chancenlos gegen prominente Gegner wie den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und das PDS-Zugpferd Gregor Gysi, hießes.

Überhastet versuchten Mitglieder des Bundesvorstandes den Berlinern auswärtige Partei-Prominenz wie den türkischstämmigen Grünen-Realo Cem Özdemir schmackhaft zu machen.

Doch die traditionell als links eingestufte Berliner Basis rebellierte und Klotz setzte sich durch.

3. KAMPAS

Das Wort „Kampa“5 ist in Deutschland gewissermaßen zum Synonym für den modernen Wahlkampf geworden. Urheber des Begriffes sind sie Soziademokraten, die ihre Wahlkampfzentrale in der Bundestagswahl 1998 so bezeichneten. Für die Berliner Kampa haben sich die Genossen extra Räume in der Mauerstraße in Mitte gemietet. Am 21.Juni zogen sie ein, die Experten von der Werbeagentur, von der Internet- und Politikagentur. Man ließInstitute Profile für Zielgruppen erstellen, Neigungen erfassen. „Wir müssen die Stimmung in der Stadt aufnehmen und mit der Kampagne verstärken“, sagte Michael Donnermeyer, der Wahlkampfleiter der SPD. Man beschloss, die Kampagne auf den Spitzenkandidaten zuzuschneiden, und Klaus Wowereit zum wichtigsten Argument zu machen.

Tatsächlich schnitt Wowereit in Sachen Sympathie bei den Umfragen als Spitzenreiter ab- mit Abstand.

3.1. CDU

Die CDU thematisiert auf einem nahezu schwarzen Plakat das sich abzeichnende Bündnis von SPD und PDS und wirft den Sozialdemokraten „Verrat an der Vergangenheit“ vor. Die CDU-Botschaft lautet: Das rot-rote Bündnis und der damit verbundene erstmalige Einzug der PDS als Regierungspartei ins Rote Rathaus kann nur durch ein Votum für die CDU am 21. Oktober verhindert werden. Angemerkt sei hier, dass auch politische Werbung beim Menschen etwas auslösen sollte. Das Plakat löst nichts aus und liefert auch keine Argumente. Auch sollte man sich auch davor hüten, den Gegner schlecht zu machen, ohne gleichzeitig bessere Vorschläge anzubieten.

"Publicis"6 ist die Werbeagentur der CDU. Sie ist die fünftgrößte weltweit, sagt Axel Wallrabenstein, der Managing-Direktor. Vor zwei Jahren war alles viel einfacher für ihn. Da ließer Diepgen durch die Stadt laufen: "Diepgen rennt!" Und jetzt hat ihm die SPD auch noch die Bewegungs-Idee geklaut. "Berlin bewegen". Wallrabenstein sagt: „Steffel ist Unternehmer. Er steht für sich, verdient sein Geld nicht mit Politik. Er ist kein Teil des Filzes, kein Teil der Vergangenheit. Das mussten wir rüberbringen.“. Natürlich ist immer ein Risiko dabei, wenn jemand nur für sich steht. Er neigt dazu, auch so zu reden. War Wallrabenstein vielleicht an Frank Steffels verbalem Übermut mit schuld? Immerhin hatte er ihm aufgetragen, anfangs jeden Tag mindestens eine Schlagzeile zu produzieren. Das machte Steffel dann auch mit bemerkenswerter Konsequenz.

Dann das große Plakat mit Frank und Katja Steffel vor blühenden Landschaften.

Die CDU hielt das für eine wunderbare Idee, weil Wowereit doch keine Katja hat.

(23,7% gesamt, 1999: 40,8%, vgl. 1999: 17,1%)

3.2. SPD

Die SPD dagegen setzt auf ihren Hoffnungsträger, den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit. Die Plakate zeigen ihn freundlich -optimistisch inmitten von Passanten.

Die SPD präsentiert sich damit einen Tick moderner als die CDU. Es ist handwerklich solide gemacht, aber von Innovation keine Spur. Es ist sicher nicht verkehrt eine „menschelnde“ Kampagne zu fahren, aber der schmunzelnde Verweis darauf, dass Berlin und Wowereit anders sind, reicht als Legitimation für den Job des Regierenden Bürgermeisters eigentlich nicht aus.

Frank Stauss war der Berliner Ober-Wahlwerbemann der SPD. Seine Agentur "Butter" sitzt in Düsseldorf. "Butter" kümmert sich vor allem um Joghurt. Auch um Radeberger Pilsener oder Arag-Versicherungen. Und dann eben um Klaus Wowereit.

„Echtheit! absolute Echtheit“, fällt ihm zu Wowereit als erstes ein.

Auf den Plakaten kommt Wowereit als großer Junge rüber, sehr sympathisch und ein bisschen spitzbübisch. Er ist fotogen und regiert in Berlin seit dem 16. Juni. Er hat in dieser Zeit keinen einzigen schweren Fehler gemacht. Sein härtester Gegner, Frank Steffel von der CDU, ist weniger fotogen und macht einen Fehler nach dem anderen. Klaus Wowereit ist eben das genaue Gegenteil von Frank Steffel. Steffel ist unvorsichtig, impulsiv, ungeschützt, einer, der bedingungslos stürmen will und deshalb offen ist für Konter. Steffel hat nicht gelernt, sich zu verstellen. Wowereit dagegen gibt in der Öffentlichkeit nichts von sich preis außer einem lächelnden Pokerface. Ein Mann ohne Eigenschaften, scheint es, abgesehen von dieser einen Eigenschaft, der Outing-Eigenschaft.

(29,7% gesamt, 33,7 % west, vgl. 1999: + 7,3%)

3.3. FDP

Die Berliner Werbestrategen "Heymann&Schnell"6 haben schon ganz andere Typen beworben, etwa die Berliner Stadtreinigung. Knallgelbe Plakate bewerben Günter Rexrodt als "Mister Wirtschaft". Damit auch der letzte Wähler die Botschaft des FDP-Wahlplakates „Saubere Hände“ versteht, streckt Spitzenkandidat Rexrodt dem Bürger seine blitzeblanke Hand entgegen. Das Plakat bleibt freilich der einzige Augenschmaus im gelb-blauen Einerlei.

Auf die leichte Schulter nahmen weder Rexrodt noch seine Partei diese Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, die von Westerwelle und Co. als ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Wiedereroberung des angestammten Platzes als Juniorpartner in der Bundesregierung gesehen wird.

Der Kandidat arbeitete hart im Wahlkampf7 und auch die unernst wirkende Kampagne um die Zahl 18 ist wohlkalkuliert. Rexrodt wirkt wie einer, der auf sein Glück vertraut. Neben dem stets vorlaut wirkenden Frank Steffel personifiziert er plötzlich nicht mehr das Altenteil, sondern Erfahrung und Kompetenz. Bürgermeister Wowereit paktiert mit der PDS, erklärt aber, so richtig möchte er das gar nicht. Und liefert damit das zentrale FDP-Argument frei Haus: Wählt uns, um die dunkelroten rauszuhalten. Auch die deutsche Innenpolitik rotiert seit dem 11. September: Plötzlich sind die Friedenspartei PDS und die Nato-SPD wieder ganz fern von rot-rot und Rexrodt steht mit einem Bein in der Ampelkoalition.

Rexrodt steht seinem Glück nicht im Wege. Obwohl er der erfahrendste unter den Kandidaten ist, hat er nicht den Instinkt für die vermeintlich kleinen Gelegenheiten verloren. Etwa Ende Mai bei der Initiative für Neuwahlen. In diesem Augenblick musste die FDP dabei sein, um auch ohne Abgeordnete im Parlament als politische Kraft ernst genommen zu werden. Gregor Gysi nannte diesen Moment „einen der wenigen wirklich komischen in diesem Wahlkampf“, als sich Rexrodt, der Inhaber von acht Aufsichtsratsmandaten, im blauen Business-Anzug als außerparlamentarische Opposition zwischen Alternative und Ex-Kommunisten zwängte und Unterschriften zum Sturz des Senats sammelte. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten: Seitdem ist Rexrodt in jeder Talkrunde gleichberechtigt dabei, die Stadt hat vergessen, dass es die Partei noch vor Monaten in Berlin kaum gab. Ältere Journalisten berichten, dass Rexrodt Hochmut und Überheblichkeit keineswegs fremd gewesen seien. Heute dagegen wirkt er milde, nachsichtig, jovial. Er drückt ehrlich gemeintes Verständnis aus für Leute, die weder wohlhabend noch jung und leistungsfähig sind. Dass er ihre Interessen wahrnimmt, heißt das übrigens noch lange nicht. Die ersten Journalisten beginnen schon, Rexrodt nicht mehr nur nach dem Geheimnis des Aufschwungs der FDP zu fragen8, sondern nach der Substanz der Partei:

Was ist Fortschritt wirklich für eine Partei, die Mobilität in Metropolen mit Beton und Strassen schaffen will? Was ist Freiheit für eine Partei, deren größtes Problem mit der PDS deren Vorbehalte zum Eigentum sind? Was sind Bürgerrechte einer Partei wirklich wert, die in Hamburg Rechtspopulisten zu Innensenatoren macht? (9,9% gesamt, vgl.1999: +7,7%)

3.4. PDS

„Es ging nicht anders“, sagt PDS-Wahlkampfleiter André Brie9, „wir mussten was Inhaltliches machen. Dass Gysi witzig ist, wissen alle. Wir haben ihn also ernst gezeigt“. Es klingt ein wenig bedauernd.

Für einen Politiker, der gestern noch seinen Ausstieg zelebrierte, ist Gysi verdammt gut im Geschäft. Er ist ein Mann für die große Geste. Der ehemalige DDR-Rechtsanwalt und Facharbeiter für Rinderzucht, der letzte Vorsitzende der SED, der langjährige PDS-Fraktionschef im Deutschen Bundestag, spielt virtuos mit seinem Image als unkonventioneller Politiker.

1990 war er für Tausende Demonstranten noch eine Unperson, sie forderten:

"Lügen haben kurze Beine - Gysi, zeig uns deine." Und es ist Gysi, dem das Volk mit dem offenkundig kurzen Gedächtnis nun für baren Unsinn applaudiert: "Nur die CDU hat die staatliche Einheit hinbekommen können! Nur SPD und PDS können die innere Einheit vollenden!"

Identifikationsfigur für Ossis, Showman für Wessis.

Die meisten Leute wissen es längst und wollen es doch immer wieder wissen:

dass Gysi die Herstellung der inneren Einheit nur für möglich hält, wenn die PDS einbezogen wird; dass Gysi Unrecht in der DDR anprangert, aber sie nicht als Unrechtsstaat abqualifizieren will, weil dadurch zu viele Menschen verletzt würden; dass Gysi für sich in Anspruch nimmt, keine Mandanten an die Stasi verraten zu haben.

Die Namen seiner Konkurrenten von SPD und CDU nimmt er nicht oft in den Mund. Als wäre das nicht seine Liga. Stattdessen wünscht er sich, demonstrativ staatsmännisch, eine Kommission, die sich mit der Finanzierung von Berlins Hauptstadt- Aufgaben befassen soll. Tag für Tag argumentiert er in irgendeinem Forum und weißdoch, dass die Angst und der Widerwille gegen eine Machtübernahme der SED-Nachfolger bleiben. Er setzt dann ganz auf die persönliche Karte, Abteilung Beruhigung, und spricht nur noch in der Einzahl. "Wenn ich Regierender Bürgermeister oder Senator werde, geht die Welt nicht unter." Sollen der Wowereit und Steffel sich ruhig zanken wie die Kesselflicker. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Gysi. Was nach dem CDU/SPD-Pfusch passiert, hat seine eigene Logik. Gegen die PR des dritten Mannes sind beide chancenlos. Knapp zehn Fernsehauftritte in zwei Wochen bezeugen eine Gesellschaftsfähigkeit, die sich der Anwalt nie hätte träumen lassen.

(22,6% gesamt, mit 47,6% in den östlichen Bezirken stärkste Kraft, vgl. 1999: +4,9%)

3.5. Bündnisgrüne

Gysi brachte die Grünen in eine bedrohlich Situation10. Nicht nur ihre Beteiligung am künftigen Senat, sondern auch ihr bundespolitisches Gewicht hing vom Ausgang der Abgeordnetenhauswahlen ab.

Wo, wenn nicht in Berlin wäre der Ruf der Grünen als Metropolenpartei beschädigt- und das ein Jahr vor der Entscheidung im Bund. Schon bei der letzten Berliner Wahl im Herbst 1999 musste die Partei Verluste einfahren: Die Hoffnung, die PDS einzuholen, wurde bitter enttäuscht. Die Partei kam nur noch auf knapp 10 Prozent. Mehr als 60.000 Wähler, fast ein Viertel der Gesamtwählerschaft, gingen verloren. Blieben die Grünen im Westteil der Stadt mit annähernd 12 Prozent halbwegs auf dem Niveau früherer Wahlen, büßten sie im Osten fast die Hälfte der Wähler ein. Von der Misere der Bundespartei blieb die traditionelle Hochburg Berlin nicht verschont. (2001: 9,1% gesamt

Und dann kam auch noch Gregor Gysi, der Popstar der Berliner Republik- und drohte das grüne Reservoir im Osten noch weiter abzuschmelzen. Und auch im Westen, in den Grünen-Hochburgen Kreuzberg und Schöneberg, dürfte Gysi bei einem beachtlichen Teil des grünen Hauptstadtmilieus ankommen: irgendwie hip und irgendwie links.

Für ihre Spitzenkandidatin betreiben die Grünen keinen Imagewahlkampf,11 und das ist so gewollt. Ihre Parole ist: Auf den Inhalt kommt es an. Und Sibyll Klotz steht für Glaubwürdigkeit, für eine Politik gegen Filz und für das Zusammenwachsen der Stadt. Oder?

Das Sibyll-Team gehört, wie der Name schon sagt, zu Sibyll Klotz. Es ist eigentlich ein erweiterter Frauen- Frühstücks-Freundeskreis- Treffpunkt. Im Gegensatz zur Konkurrenz verfügt man über ein Wahlkampfbudget, von dem sich im Grunde nicht mal ein professioneller Plakatkleber bezahlen lässt. Darum begnügen die Grünen sich auch mit der Farbnachricht: Überall gehört Grün rein. Nehmt das Colorwaschmittel! Weil das Leben bunt ist, Elementarfarbe grün, und nicht schwarz-weiß. Auch nicht rot-rot. (9,1%, vgl.1999: -0,8%)

4. Anti- Terror- Plakate

Auch der Krieg in Afghanistan konnte kaum mehr politischen Zündstoff in den Berliner Wahlkampf bringen.12 CDU und SPD, Grüne und FPD sahen keine Notwendigkeit, so kurz vor dem Wahltag ihre Strategien und Webeslogans in Frage zu stellen. Nur die PDS wollte sich angesichts der Militärschläge gegen die Taliban als kompromisslose Friedenskraft profilieren.

800 Buswartehäuschen wurden mit Plakaten beklebt, die auf blauem Grund eine Friedenstaube und die Aufschrift zeigen: „Vernunft- das einzige was zählt“. Oder auch „War is not the Answer“ Der Grünen- Sprecher Matthias Tang sprach spöttisch von „populistischer Friedensrhetorik“.

Die Christdemokraten fühlten sich durch die jüngsten Ereignisse in ihrer Entscheidung bestätigt, die innere Sicherheit in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes zu stellen. „Wir stehen klar zu Polizei und Feuerwehr“, bekannte ihr Spitzenkandidat Frank Steffel, der dem Senat in der Sicherheitsfrage Hektik und Halbherzigkeit vorwirft. Dazu ein CDU- Großplakat: Ein blutroter Himmel über der Skyline von Berlin, in den ein fragiler Fernsehturm ragt. „Sicherheit für alle Berliner. Gegen Terrorismus und Extremismus“. Eine geschmacklose Werbung, war das einhellige der politischen Konkurrenz. Die Union wolle Ängste schüren und auf diese Weise Stimmen sammeln. Die Meinungsumfragen, geschweige denn das Wahlergebnis bestätigten der CDU aber nicht, dass sie von diesem Thema profitieren konnte.

SPD und Grüne bemühten sich unterdessen darum, als Regierungsparteien die Bürger durch entschlossenes Handeln zu beeindrucken. „Wir tun alles notwendige und sparen nicht bei der Sicherheit“, verlautete aus der SPD-Wahlkampfzentrale.

Bei den Grünen wurde die mühsam gefundene Balance zwischen „Freiheit und Sicherheit“ nicht aufgegeben. Mit einer Sicherheitskonferenz und einem neuen Plakat wollten die Grünen signalisieren, dass ihnen die Ängste der Bürger nicht schnuppe sind und gleichzeitig Besonnenheit anmahnen.

Auch die FDP legte großen Wert auf das Gleichgewicht zwischen Sicherheitsbedürfnissen und Bürgerrechten. Alles müsse getan werden, um in der Hauptstadt die Sicherheit zu gewährleisten, sagte Günter Rexrodt, „aber wir wenden uns entschieden gegen jeden Versuch, mit Blick auf den Wahltermin mit den Ängsten der Menschen Punkte machen zu wollen.“

5. Plakatvandalismus

Mal ist die Nase mit roter Nase verschmiert worden, mal verunzieren Vollbärte oder schwarze Farbkleckse sein Gesicht.13 Mal steht „Bimbo“ oder „Mongo“ neben seinem Bildnis, mal „Bin Teppich Laden“. Frank Steffel heißt der Mann, dem die verunglimpfenden Attacken gelten. Das Bild des CDU-Spitzenkandidaten ist begehrtestes Objekt eines vor Wahlen üblichen Rituals, dessen Vertreter sich als subversiv begreifen.

Es dürfte am traditionell linken Selbstverständnis dieser subkulturellen Spielart liegen, dass die mehr auf Personen, denn auf Inhalte bezogenen Schmähungen Vertreter des konservativen Lagers öfter treffen, als ihre Gegenspieler. Während Plakate, die für Gregor Gysi, Sibyl Klotz und den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit werben, die Vorwahlzeit weithin unbeschadet überdauerten, wird sich auch mit den Reproduktionen des Günther Rexrodt so mancher Scherz erlaubt. Etwa wenn der Slogan „Mister Wirtschaft statt Misswirtschaft“ auf einem in Rudow aufgestellten Plakat durch den Zusatz „Lieber 3 Promille als 18 Prozent“ ergänzt wird.

Unter anderem mit dem Appell „Mut zur Wahl“ will die NPD in Berlin Sympathisanten mobilisieren Den Wahlkämpfern der rechtsextremen Partei selbst scheint es indes an Mut zu gebrechen, stellt man in Rechnung, wie hoch sie ihre diffamierenden Dümmlichkeiten („Normal nicht schwul“) an den Laternenpfählen justieren. Doch mit Leitern ausgestattete NPD- Gegner haben nächtens ganze Straßenzüge mit Sprühfarbe heimgesucht. Ähnliches widerfährt den Republikanern.

Parteien und Bilderstürmern jedoch scheint eine Sorge gemein: jene vor dem Krieg.

Derweil die CDU ihre Plakate mit dem Nachtrag „Wir trauern mit unseren Freunden um die Opfer des Terrorismus“ versehen hat, fordert Vox populi auf etlichen Stellwänden „Pax“, „Gewaltverzicht“ und „Gebt uns endlich Frieden!“.

6. Internet- Auftritte

Broschüren an Infoständen verteilen, reicht heutzutage nicht mehr aus14. Ohne Internet- Auftritt geht es nicht. Eine Wahlkampf- Homepage muss somit her, alle großen Parteien, vor allem aber die Spitzenkandidaten waren im Netz vertreten und warben online für sich und ihre Programme.

Wie sieht es aus mit der viel beschworenen Multimedialität auf den Berliner Wahlkampfseiten? Einmal die Woche besuchte ein Politiker einen Internet- Dienst oder die Parteizentrale, setzt sich an den Computer, diktierte und beantwortete Userfragen der Kategorie „warum soll ich Frank Steffel wählen?“.

Der Erkenntniswert ist gering. Unliebsame Fragen können herausgefiltert werden. „Wir erreichen im Netz eine junge Altersgruppe, die man auf konventionellem Wege nicht bekommt, rund 2000 Besucher am Tag. PDS- Wähler werden das aber nicht unbedingt“15, sagt Martin Icke vom Gysi- Wahlquartier. Irgendwie hat man das Gefühl, dass die Parteien nicht recht wissen, wen und wie sie im Internet überhaupt ansprechen. Und warum.

6.1. SPD

SPD und CDU kämpfen mit Webradios um Berlin. Bei radio-wowereit.de läuft Depeche Mode, beim Herausforderer die Gruppe PUR und alle halbe Stunde die Stimme des Kandidaten.

Ein Sparprogramm. Für 2002 kündigt SPD- Sprecher Michael Donnermayer mehr Interaktivität an.

Unter www.und-das-ist-gut-so.de und www.klaus-wowereit.de gibt sich der Regierende Bürgermeister genauso wie bei seinen Auftritten draußen: abgeklärt, nüchtern, sachlich.

Immerhin Trommelrhythmen und animierte Bilder.

Privatleben? Nur Werdegang und Linkliste. Das ganze Angebot auch in Türkisch und Englisch, nur im Web allerdings, nicht draußen am Infostand. Wowereits Wahlkampf im Web hat den Charme des öffentlich rechtlichen Fernsehens: Bloßnichts falsch machen! Wahlplakate herunterladen, Vorstellung der SPD- Kandidatinnen im Überblick, das Wahlprogramm, das war’s. Man hat nicht das Gefühl, dass interessierte Bürger angesprochen werden sollen. Eine besonders bewegende Online-Strategie ist nicht zu erkennen.

6.2. CDU

Medienspiegel, Pressemitteilungen, Terminpläne und Chatboards sowie elektronische Postkarten und ein Foto- Album: Auf www.franksteffel.de wurde nichts ausgelassen, um den CDU- Kandidaten dem Wahlvolk näher zu bringen. Sein beruflicher Werdegang wird ebenso dokumentiert wie die politische Karriere von Frank Steffel, der immerhin Berlins jüngstes Mitglied im wiedervereinigten Stadtparlament war. Dazu jede Menge Privates. Seine sportlichen Aktivitäten und die Liebe zu Meer und Bergen, die er mit seiner Frau Katja teilt. Vorgestellt wird die Kampagne selbst, sein Acht- Punkte- Plan für Berlin und sein Standpunkt zur Integrationspolitik.

Frank Steffels Homepage ist so, wie sich der Kandidat in seinem Wahlkampf zeigt: Offen und geradeheraus. Auf keiner anderen Wahlkampfseite dürfte der Kandidat so oft mit hochgekrempelten Hemdsärmeln zu sehen sein wie auf franksteffel.de. Insgesamt: Höchste Professionalität, wie man sie selbst auf vielen E- Commerce- Seiten nicht findet. Die CDU erreicht mit der privaten Kandidatengattin die meisten Zugriffe. Jeden Mittwoch um 18 Uhr gibt es einen Katja- Steffel- Chat.

Besonders lohnenswert: Das Steffel- Video, in dem er unter anderem erklärt, warum er will, dass „jeder junge Mensch den Wunsch verspürt, einmal in Berlin zu leben“ oder warum ihm die Bedürfnisse „Jeder Künstlerin und jedes Künstlers“ am Herzen liegen.

Was immer es an offiziellem Material zu Steffel gibt, wurde in die Seite eingebaut.

6.3. PDS

Man hätte die Seite von Gregor Gysi ja auch www.take-the-PDS.de nennen können. Sie heißt aber www.take-it-gysi.de und Gysi bekommt man auch. Reichlich. Hier schreibt Gysi zu seinen Büchern, argumentiert, warum er sich das alles antut, menschelt mit Fotos als Kleinkind, Vater, Pilot, Torwart. Alles in allem: Gysi- Branding auf hohem Niveau.

Das PDS- Wahlprogramm ist herunterladbar, weitere Wahlkampfmaterialien- Fehlanzeige.

Bei Gysi kann man Gysi- Webseiten selber bauen und er hat einen Werbespot gedreht, der nur im Netz zu sehen ist. Der Inhalt: Gysi erfährt am Tag der Wahl in seiner Küche, dass ihn die CDU zum Bürgermeister gewählt hat. Wer sich am Kandidaten partout nicht satt sehen kann, dem winkt mit dem Klick auf die Bilder des Tages reichlicher Lohn: Gysi bei Streetworkern, bei der Hurenorganisation Hydra, bei Zahnärzten für Obdachlose.

Dass SPD, CDU, FDP und Bündnisgrüne auch Spitzenkandidaten haben, erfährt der Surfer übrigens auch. Aber nur bei der Grünen- Mitbewerberin werden auch die Hobbies genannt. Bei Steffel, Wowereit und Rexrodt dagegen staubt einen die schnöde Kamera- Biografie an. Subtext: Wählt bloßnicht die, wählt Gysi.

6.4. FDP

Weil die FDP geradezu versessen auf die Zahl 18 ist, findet man neben dem sorgsam bebilderten „Wahlkampf- Team 18“ zufällig auch genau 18 Gründe, FDP zu wählen. Die Seite ist beamtenhaft übersichtlich. Schnell lassen sich alle Wahlkampftermine inklusive weiterführender Links finden, keine überflüssigen Flashs, Videos und Gimmicks. Einziger Mitmachfaktor: Der Link „Spenden“.

Es dürfen sicher auch mehr als 18 Mark sein.

6.5. Bündnisgrüne

Hier tappert unverdrossen der Igel umher. Ganz oben. Hin und her. Eigentlich hätte man an solch prominenter Stelle die Spitzenkandidatin Sibyl Klotz erwartet. Sie hat jedoch keine eigene Webseite. Personalisierung wird im Kollektiv erst schön. Der Link Wahlprogramm führt zum Wahlprogramm. Wer das Wahlmobil anklickt, kann zusammen mit der mobilen Wahlkampfeinheit im Stau stehen. Mitmachen darf man aber auch: mitspenden, Mitglied werden, mitfragen. Hier wird Werbung in eigener Sache und für die eigene Klientel gemacht.

7. Strategien der Politikdarstellung

Die allseitige Beliebtheit von Talkshows- bei den Sendern , dem Publikum und den Politikern- hat ihren Teil dazu beigetragen, dass Privates öffentlich gemacht wird. Politiker nutzen mittlerweile auch die eher unpolitischen Sendungen für ihre Selbstdarstellung. Eine Analyse von Beckmann, der Johannes B. KernerShow und Boulevard Bio über den Zeitraum von einem Jahr hat gezeigt16, dass rund die Hälfte aller Themen, die von Politikern dort angesprochen werden, privater Natur sind.

Bei ihren Talkshow- Auftritten nähern sich Politiker mit der Bezugnahme auf Persönliches und Privates der Stars aus dem Showbusiness an und heben sich damit gegenüber anderen Experten, die stärker auf Fakten und Analysen Bezug nehmen, ab.

Dass Politiker Privates in die Öffentlichkeit tragen und den damit willkommenen Stoff liefern und umgekehrt die Medien die imaginäre Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem heute bereitwillig überschreiten, hat verschiedene Gründe.

Aus der Perspektive der Politiker erfüllt die Privatisierung der Politikdarstellung vier Funktionen:

1. Die Strategie der Vermenschlichung16

Vermenschlichung ist eine klassische Imagestrategie der Politik. Sie lässt den Politiker als Mensch wie du und ich erscheinen, macht ihn der Wählerschaft vertraut. Sie wird bevorzugt eingesetzt für die Arbeit am Image hölzern, arrogant oder kalt wirkender Politiker. Rudolph Scharping ist dafür ein wunderbares Beispiel.

2. Die Strategie der Vereinfachung und der Ablenkung16

Die Strategie der Vereinfachung und der Ablenkung durch Privatisierung ist die Antwort auf die Komplexität der Politik, die sich nur schwer vermitteln lässt. Politische Programme, Lösungen für politische Probleme werden daher bevorzugt an Personen geknüpft, durch Personen symbolisiert.

Der Politiker steht für die Sache. Mit Personalisierung vereinfacht das politische System die Politikdarstellung für sich, antwortet damit aber zugleich auch auf die Bedürfnisse der Medien, zumal des Fernsehens, das abstrakte Politik konkret mit Bildern präsentieren muss, und auf die Bedürfnisse des Publikums, dem die Orientierung an Personen allemal leichter fällt, als die Auseinandersetzung mit Sachfragen. Personalisierung eignet sich außerdem dort, wo die Diskussion von Themen besser vermieden wird, diese schwierig oder unpopulär sind.

3. Die Strategie der Emotionalisierung16

Als Strategie der Emotionalisierung dient die Privatisierung der Sympathiewerbung sowie der Schaffung emotionaler Bindungen. Diese ist eine Konsequenz aus der Schwächung klassischer Wählerbindungen an die Parteien. Da kurzfristige situative Faktoren für die Parteienneigung und Wahlentscheidung an Bedeutung gewonnen haben, versuchet die Politik emotionale Bindungen herzustellen, die über Sympathie (bzw. Antipathie gegenüber den Kontrahenten) und Wohlgefühle vermittelt werden. Die neue Politik bietet Lebensstil und Lebensgefühl. Die Rede von „Toscana- Fraktion“ und „Generation Guido“16verdeutlicht, wie Lebensgefühl und Politikerpersönlichkeit verschmelzen und zum politischen Angebot werden, das zur Identifikation einlädt.

4. Die Strategie des Prominenzgewinnes16

Schließlich setzen Politiker das Private ein zum Aufbau, zum Erhalt und zur Mehrung ihrer Prominenz. Für Politiker ist Prominenz notwendiges Kapital. Sie bedeutet massenhafte Bekanntheit, nicht unbedingt aufgrund positiver Eigenschaften oder Leistungen. Prominenz schafft die Aufmerksamkeit der Medien, sie dient ihnen als Selektionskriterium. Es sind aber auch die Medien, die Prominenz schaffen. Die dauerhafte Beachtung durch die Medien ist notwendig, um die Bekanntheit zu erhalten. Um sich also die Aufmerksamkeit der Medien und besonders des Fernsehens zu sichern, orientieren sich Politikerinnen und Politiker mit deren Selbstdarstellung an deren Aufmerksamkeitskriterien, d.h. sie müssen sich an ihrem Unterhaltungswert messen lassen.

Das betrifft die Themen der Politik, erst recht aber ihre Verpackung, und es betrifft auch die Kandidaten. Hier treffen sich unmittelbar die Interessen von Politikern und Medien und es wird klar, warum die Medien auch in der Politik immer mehr aufs Private setzen und die Politik in Zugzwang bringen, diese aber ihrerseits den Trend fördert.

Klatsch und das Alltäglich- Menschliche sind längst nicht mehr die Domänen der Boulevard- und Regenbogenpresse. Boulevardisierung ist ein Trend, der im Zuge einer allgemeinen Kommerzialisierung des Medienmarktes auch die seriöseren Medien erreicht hat. Das spiegelt sich im Selbstverständnis der deutschem Journalistinnen und Journalisten, die sich auch zu einer unterhaltenden Funktion bekennen. Die Medien, allen voran das kommerzielle Fernsehen, machen sich mit ihrem Interesse an der Privatsphäre der politischen Prominenz die gesamtgesellschaftlich zu beobachtende Verschiebung der Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem zunutze, arbeiten aber auch selbst daran mit. Das wirkt sich für die Politik insofern aus, als das, was im öffentlichem Interesse verstanden wird, mittlerweile weit in die ehemals als privat definierte Sphäre hineinreicht.

Die deutschen Medien scheinen sich indessen nicht alle sicher zu sein, dass der Weg in die Privatsphäre der Politik so ganz richtig ist. Dafür spricht, dass immer dann, wenn Privates in der Politik öffentlich gemacht wirdegal von wem- auch eine Diskussion darüber einsetzt, ob das Private politische Bedeutung und so die Veröffentlichung ihre Rechtfertigung hat.

Politiker, die das Private für ihre Selbstdarstellung einsetzen, geben- scheinbar- den Blick auf ihre Privatsphäre frei. Durch deren Inszenierung versuchen sie indessen, in der Hand zu behalten, was davon öffentlich wird. Es stellt sich die Frage, ob Politiker mit der von ihnen mit betriebenen Öffnung ihrer Privatsphäre nicht auch eine neue Qualität der politischen Auseinandersetzung riskieren. Welchen Anteil das Privatleben eines Politikers an dem Bild hat, das sich die Bevölkerung von ihm macht, und inwieweit es sich womöglich auf die Wahlentscheidung auswirkt, ist nicht so einfach zu ermitteln.

Befunde aus dem USA16, die dem Privaten durchaus einen Einfluss auf das Image eines Kandidaten und seine Wahlchancen zuweisen, können wir hier schlecht übertragen. Von den Wahlen zum Abgeordnetenhaus In Berlin kann man doch behaupten, dass Meinungen über das Privatleben und das damit verbundene Image der Kandidaten der großen Parteien durchaus in der Wählerschaft verbreitet waren und von ihnen auch ein Einfluss auf die Wahlentscheidung ausging.

Der Politiker, der im Interesse seines Images sein Privatleben öffnet, begibt sich auf eine schwierige Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz. Mit der Demonstration von Nähe zur Wählerschaft und der damit verbundenen Aufgabe der Distanz zeigt sich der Politiker zwar menschlich wie du und ich, aber: Die Distanzlosigkeit rein als solche, ist eine der Todsünden jedes Politikers. Wer sich allzu menschlich und gewöhnlich gibt, wird es schwer haben, sich als Führungspersönlichkeit zu empfehlen.

8. Glossar

[...]


1 Frankfurter Rundschau, 25.06.2001

2 Der Tagesspiegel, Ich talke, also wählt mich, 27. 07. 2001,

3 Der Spiegel, Kitas statt Kommunismus, 15.10.2001

4 Stern-online, http://www.stern.de/politik/spezial/berlin_wahlen.html

5 Der Tagesspiegel, Endspurt der Wahlwerber in die Woche der Wahrheit, 15.10.2001,

6 Der Tagesspiegel online http://www2.tagesspiegel.de/archiv/2001/10/27/ak-be-5510422.html

7 Der Spiegel online http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,163722,00.html

8 Die Tageszeitung, Günter im Glück, 13.10.2001,

9 Frankfurter Rundschau, Jetzt kleben sie wieder, 23. 08.2001

10 Die Tageszeitung, Der lange Schatten der PDS, 20.06.2001,

11 Der Tagesspiegel, Gysi, oder: Spaßan der Grenze, 06.10.2001

12 Der Tagesspiegel, Friedenstauben und Anti-Terrorplakate, 09.10.2001,

13 Die Welt, Plakate der Union besonders häufig beschmiert, 04.10.2001,

14 Der Tagesspiegel, Wenn der Wähler „Klick“ macht, 02.09.2001

15 Der Tagesspiegel, Das Bürgermeister- Manifest, 17.10.2001

16 SFB- Bericht: Aus Politik und Zeitgeschichte; Das Private in der Politik: Ein neuer Medientrend?, 05.10.2001

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Das Private in der Politik - am Beispiel der Berliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2001
Hochschule
Kunsthochschule Berlin-Weissensee Hochschule für Gestaltung
Veranstaltung
Seminar - Veröffentlichung des Privaten- Privatisierung des Öffentlichen
Autor
Jahr
2001
Seiten
11
Katalognummer
V105141
ISBN (eBook)
9783640034383
Dateigröße
373 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Strategien der Parteien im Wahlkampf, Plakate,Internetauftritte, Talkshows
Schlagworte
Private, Politik, Beispiel, Berliner, Wahlen, Abgeordnetenhaus, Seminar, Veröffentlichung, Privaten-, Privatisierung
Arbeit zitieren
Patricia Jaecklin (Autor:in), 2001, Das Private in der Politik - am Beispiel der Berliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2001, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105141

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