Die Beschäftigungspolitik der Niederlande (Länderstudie)


Seminararbeit, 2001

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Ausgangssituation: Die „niederländische Krankheit“

3. Das niederländische „Poldermodell“
3.1 Konsolidierung der öffentlichen Finanzen
3.2 Steuerreform und Förderung der Wirtschaft
3.3 Sozialreformen

4. Arbeitszeitverkürzung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes
4.1 Teilzeitarbeit
4.2 „Flexarbeit“ und subventionierte Arbeit

5. Lohnzurückhaltung

6. Gesellschaftliche Faktoren

7. Kritische Betrachtung des Modells

8. Lassen sich aus dem Modell Handlungsempfehlungen für andere Länder ableiten?

9. Fazit

1. Einleitung

Theorien und Ansätze zur Bewältigung von Arbeitslosigkeit gibt es viele, doch gibt es einen Königsweg? Verschiedene Länder haben unterschiedliche Ausgangssituationen und Rahmenbedingungen und dadurch unterschiedliche Möglichkeiten oder auch Schwierigkeiten diesem Problem zu begegnen.

Schaut man auf die wirtschaftspolitische Entwicklung der Niederlande während der letzten zwei Jahrzehnte, so sieht man Erstaunliches: Die Arbeitslosenquote wurde von rund 12% (1983) auf 4% (1998) gesenkt und das Bruttoinlandsprodukt der Niederlande erfuhr in den neunziger Jahren ein überdurchschnittliches Wachstum (verglichen mit dem der Europäischen Union) und die Stundenproduktivität befindet sich auf einem hohen Niveau.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Durchschnittliche jährliche Zuwachsraten des Bruttoinlandproduktes für zwei Zeiträume und ausgewählte Länder im Vergleich (Quelle: OECD Wirtschaftsbericht 1998)

Die Niederlande haben in den neunziger Jahren mit dem sog. „Poldermodell“ viel Aufsehen erregt, weil eine bestimmte dort entwickelte wirtschaftspolitische Strategie über Jahre hinweg verfolgt wurde und zu positiven Entwicklungen geführt hat.

Im Folgenden wird der Erfolg dieses Modells genauer untersucht sowie gezeigt, durch welche Faktoren es begünstigt wurde. Außerdem wird überlegt, ob das Modell nachahmungswürdig ist und ob es überhaupt kopiert werden kann.

2. Ausgangssituation: Die „niederländische Krankheit“

In den Jahren 1979-1982 stieg die Arbeitslosigkeit in den Niederlanden auf ca. 11% und die Steuer- und Sozialpolitik der Regierung drohte die Situation noch zu verschlimmern. Die Niederlande war ein nicht mehr finanzierbarer Wohlstandsstaat geworden und zwischen 1980 und 1983 gingen jährlich 100.000 Arbeitsplätze verloren. Die niederländische Sozialpolitik wurde von ausländischen Beobachtern als „realitätsfern und unrealistisch“ bezeichnet1, weil mehr als eine Million Menschen mit wohlfahrtsstaatlichen Leistungen unterstützt wurden. Diese kostspielige Sozialpolitik wurde „niederländische Krankheit“ genannt; ihre Entstehung wird wie folgt im Zusammenhang mit der Entdeckung und Förderung des Erdgas erklärt:

Ende der vierziger Jahre wurde das Erdgas entdeckt und Ende der fünfziger Jahre wurde bereits eine erhebliche Menge der Energiequelle gefördert. Nach weiteren zehn Jahren deckten die Niederlande die Hälfte ihres Energiebedarfs aus eigenem Vorkommen, und seit Mitte der siebziger Jahre sind sie von Energie -Importen unabhängig. Die in den siebziger Jahren wachsenden Strukturprobleme wurden zunächst dadurch verdeckt, dass die Erdgasvorkommen zu einem Zahlungsbilanzüberschuss und zu einem starken Gulden führte.

Das Erdgas brachte nicht nur eine zunehmende Verlagerung auf eine energieintensive Produktion, sondern auch einen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion mit sich. Dieser Zuwachs schlug sich über ein zentrales Lohnfestsetzungssystem in einer Steigerung der Arbeitseinkommen aller Branchen nieder. Die Löhne in den traditionellen, arbeitsintensiveren Industriezweigen stiegen rascher, als es deren Produktivität rechtfertigte, und diese Sektoren litten zugleich unter dem hohen Wechselkurs. Ihre Wettbewerbsposition und Ertragslage verschlechterten sich dadurch und ihre Möglichkeiten zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen verringerten sich. Die infolge der Ölkrise gestiegenen Ölpreise ließen auch das Erdgas teurer werden und die Regierung nutzte die höheren Einnahmen für zusätzliche Sozialausgaben: Behinderte und Arbeitslose, die keinen Arbeitsplatz in den traditionellen Industriezweigen finden konnten, erhielten zunehmend höhere Sozialleistungen. Gleichzeitig führte der starke Anstieg der öffentlichen Einnahmen zu einer Abwanderung von Arbeitskräften des privaten Sektors in den öffentlichen Sektor. Die unzureichende Schaffung von Arbeitsplätzen im privaten Sektor wurde dadurch teilweise ausgeglichen.2

Als beschlossen wurde, die Ergasproduktion zur Erhaltung der Energiequellen zu drosseln, traten unlösbare Probleme in den Bereichen Arbeitslosigkeit und öffentliche Finanzen auf. Die Niederlande befanden sich Anfang der achtziger Jahre in einer tiefen Rezession. Gewerkschaften und Arbeitgeber waren sich einig, dass Strukturreformen notwendig wären und dass jeder zu einem Kompromiss bereit sein musste, damit sich etwas ändere.

3. Das niederländische „Poldermodell“

Es bestand Konsens darüber, dass für eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik strukturelle sozialökonomische Rahmenbedingungen die Voraussetzung sind und dass Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht als primäre Zielsetzung dienen können. Im November 1982 setzten sich der Gewerkschaftschef Wim Kok und der Arbeitgeberführer Chris van Veen zusammen und schlossen den „Vertrag von Wassenaar“, der als Urstunde des niederländischen Modells gesehen wird. In diesem Abkommen versprach der Gewerkschaftsführer gemäßigte Lohnforderungen, um die Arbeitskosten zu verringern, und der Arbeitgeber versprach kürzere Arbeitszeiten. In der Diskussion über die Ursachen hoher Arbeitslosigkeit werden den Arbeitskosten eine wesentliche Bedeutung beigemessen3 und Arbeitszeitverkürzung ist ein plausibles Konzept, um die verfügbaren Stellen besser zu verteilen. Auf beide Konzepte wird an späterer Stelle ausführlicher eingegangen.

Das Poldermodell ist kein Modell im eigentlichen Sinne. Es kann verstanden werden als guter gemeinsamer Dialog und Kompromissbildung zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Regierung und stellt somit ein Puzzle aus zahlreichen politischen Einzelmaßnahmen dar.4 Diese Dreiteilung impliziert, dass das Poldermodell nicht auf einem Programm einer einzelnen Partei, Gewerkschaft oder des Arbeitgeberverbands beruht. Es ist hervorzuheben, dass die politischen Strategien, die das Poldermodell verlangt, seit Beginn von jeder Regierung weiterverfolgt wurden, obwohl diese sich auf unterschiedliche Koalitionen gründeten. Die einsetzenden Reformen hatten drei Hauptziele, die im Folgenden ausgeführt werden:

1. Konsolidierung der Staatsfinanzen
2. Förderung der Wirtschaft durch Steuer- und Abgabensenkung
3. Das Sozialsystem reformieren

3.1 Konsolidierung der öffentlichen Finanzen

Die Regierung unterstützte das Modell, indem sie einen Sparkurs einschlug: Sozialleistungen wurden von 80% auf 70% des letzten Lohnes reduziert, und Beamtenbezüge wurden um 3% gekürzt. Gleichzeitig wurden alle Sozialleistungen, der Mindestlohn und die Gehälter im öffentlichen Dienst für 10 Jahre auf Nominalhöhe eingefroren. Der Mindestlohn ist von hoher Bedeutung, weil an ihm der Mindestbetrag der Arbeitslosenunterstützung und das Niveau der Sozialhilfe gekoppelt sind.

Durch diese Maßnahmen wurde eine Steuersenkung ermöglicht, wodurch der Lohnabbau abgefangen und Sozialbeiträge wie Sozialversicherungsprämien verringert werden konnten. Hier liegt ein wesentlicher Aspekt des niederländischen Modells: Durch eine Abgabenerleichterung verbleibt dem Arbeitnehmer mehr von seinem Lohn, ohne dass die Arbeitskosten steigen.

3.2 Steuerreform und Förderung der Wirtschaft

Fast jährlich wurden Abgabenerleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen durchgeführt. Auf diese Weise wird die Wirtschaft gefördert und ein Beschäftigungswachstum angeregt. Exemplarisch sind folgende Änderungen zu nennen:

- In den achtziger Jahren wurde die Körperschaftssteuer entscheidend gesengt.
- 1990 wurden für die Einkommenssteuer drei Stufen eingeführt, die abhängig von fünf unterschiedlichen Tarifgruppen sind.
- Kurz darauf wurde die Mehrwertsteuer von 20% auf 17,5% gesenkt, wobei jedoch auch der europäische Kontext eine Rolle spielte.

Die Regierung förderte die Wirtschaft durch verschiedene Maßnahmen. So wurde z.B. die Gewerbeordnung vereinfacht, so dass Existenzgründer auf weniger Hindernisse stoßen mussten. Außerdem wurde das Ladenschlussgesetz stark liberalisiert und die Wettbewerbsgesetzgebung neu gestaltet und der europäischen Praxis angeglichen.

3.3 Sozialreformen

In den Niederlanden gilt ein umfassendes soziales Sicherheitssystem, das jeden Niederländer im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit oder im Alter zu Sozialleistungen berechtigt. Dabei sollen Leistungen nur Bedürftigen zukommen. Nach manchen Gesetzen richtet sich die Höhe der Leistung an früheren Einkünften und der Anzahl der Jahre, die der Berechtigte gearbeitet hat (z.B. das Arbeitslosengesetz). Andere sehen als Leistung höchstens den gesetzlichen Mindestlohn vor (z.B. das Allgemeine Sozialhilfegesetz).

Jede Person, die in den Niederlanden ihren Wohnsitz hat, ist in den niederländischen Volksversicherungen pflichtversichert. Auch Personen, die nicht in den Niederlanden wohnen, dort jedoch beruflich tätig sind und dadurch Lohnsteuern zahlen, sind pflichtversichert.

Neben der Lohnzurückhaltung und der Arbeitszeitverkürzung ist die Beschneidung des Sozialsystems ein wesentlicher Bestandteil der niederländischen Modells. Hierzu wurden die Kriterien für den Erhalt vieler Unterstützungsleistungen verschärft und Sozialversicherungen privatisiert.

Generell besteht auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik ein Zielkonflikt zwischen Effizienz (unbeschränkte Vertragsfreiheit) und sozialer Gerechtigkeit (umfassende Absicherung der Beschäftigten in Bezug auf Arbeitsbedingungen)5. Über das niederländische Modell sagt man, dass die sozialen Bedingungen nicht merklich unter der Verstärkung von Teilzeitarbeit und Arbeitsmarktflexibilisierung gelitten haben. Im Folgenden wird eine Übersicht über die wesentlichen Änderungen des sozialen Systems der Niederlanden gegeben:6

- Im Januar 1994 wurden aufgrund des neuen Arbeitsschutzgesetzes die betrieblichen Gesundheitsdienste privatisiert. Alle Betriebe sind dadurch verpflichtet, einem kommerziellen Arbeitsschutzdienst beizutreten.
- Die Bezugsperiode des Arbeitslosenversicherungsgesetzes wurde 1995 verschärft: Die Dauer der Leistung ist seitdem auch abhängig vom Lebensalter des Betroffenen. Die Leistung kann maximal 70% des Mindestlohnes betragen.
- Im Januar 1996 tritt ein neues Hinterbliebenengesetz in Kraft. Die Rente wird von 100% auf 90% (bzw. für Kinderlose auf 70%) des Mindestlohnes gesenkt. Diese Lücke lässt sich durch private Vorsorge schließen.
- Das Krankengeldversicherungsgesetz wurde im Januar 1996 völlig dem freien Markt überlassen und in seiner alten Form abgeschafft. Arbeitgeber sind seitdem verpflichtet dem Arbeitnehmer im ersten Krankheitsjahr mindestens 70% des Lohnes weiterzuzahlen. Gegen dieses Risiko können sie sich privat absichern.
- Das Allgemeine Altersgesetz ist die rechtliche Grundlage für den Anspruch auf eine Altersrente bei Vollendung des 65. Lebensjahres. Der Leistungs-Prozentsatz für die Altersrente wurde 1996 so geändert, dass verheiratete und unverheiratete Paare von 65 Jahren und älter eine individuelle Rente in Höhe von 50% des gesetzlichen Mindestlohnes pro Person erhalten. Die Rente für Alleinstehende beträgt 70% des Mindestlohnes.

1998 traten drei neue Gesetze in Kraft, die dazu beitragen sollen, dass verstärkt Arbeitsplätze vermittelt werden und zwar speziell auch an behinderte Erwerbspersonen:7

- Das Gesetzüber die Beschäftigung von Arbeitsuchenden soll Sozialhilfeempfänger aktivieren und den Übergang in eine reguläre Beschäftigung fördern.
- Das Gesetz zur geschützten Beschäftigung soll gewährleisten, dass Personen mit körperlicher, geistiger oder psychischer Behinderung unter speziell angepassten Bedingungen arbeiten.
- Das Gesetz zur beruflichen (Wieder)Eingliederung Arbeitsbehinderter soll die Möglichkeiten von Personen mit einer Arbeitsbehinderung, d.h. jeder Erwerbsperson, deren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt aufgrund von Krankheit oder Behinderung gemindert sind, erweitern und verbessern. Arbeitgeber sollen zur (Wieder)Einstellung von Personen mit einer Arbeitsbehinderung ein entsprechendes Budget zur Verfügung gestellt bekommen.

Insgesamt kann man von einer Verlagerung von der Ausgrenzung hin zur Integration sprechen. Im Rahmen der alten Konzeption wurde häufig versucht, das Arbeitslosenproblem durch einen Prozess der Ausgrenzung zu lösen, denn bestimmte Gruppen wurden nicht länger zur potentiellen Erwerbsbevölkerung gezählt. So wurden Beschäftigte mit gesundheitlichen Problemen als unfähig eingestuft und erhielten eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Auch viele Sozialhilfeempfänger galten als arbeitsunfähig, wie z.B. alleinerziehende Mütter. In den neunziger Jahren war im Zuge der Reformen der Versuch zur Integration zu erkennen. So wurde für die Bezieher einer Erwerbsunfähigkeitsrente ein strenges Verfahren zur Überprüfung der Leistungsansprüche eingeführt, was dazu führte, dass viele Betroffene als mehr oder minder arbeitsfähig befunden wurden und sich somit wieder zur aktiven Arbeitssuche verpflichten mussten. Ferner wurde das Kriterium der „zumutbaren Arbeit“ strenger definiert. Früher konnte ein Sozialhilfeempfänger eine angebotene Arbeit ablehnen, wenn die Tätigkeit oder der Lohn nicht dem Niveau seiner vorherigen Tätigkeit oder seinem Bildungsstand entsprach. Dies hatte keine negativen Auswirkungen auf die Leistungszahlungen. Heute kann ein Sozialhilfeempfänger nur schwerer eine angebotene Tätigkeit ablehnen. Dabei wirken sich Ablehnungen heute schneller und in stärkerem Ausmaßnegativ auf die Leistungszahlungen aus.8

4. Arbeitszeitverkürzung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes

4.1 Teilzeitarbeit

Ein Hauptmerkmal des niederländischen Arbeitsmarktes ist der hohe Anteil von Teilzeitarbeit. Mit rund 37% nehmen die Niederlande innerhalb der OECD eine Spitzenposition in der Teilzeit ein. Im Durchschnitt arbeiten die Niederländer nur noch rund 31 Stunden pro Woche (der EU-Durchschnitt liegt bei 37 Stunden).

Bereits seit Anfang der siebziger Jahre stieg die Teilzeitquote der Niederlande stark an und ist seit Anfang der achtziger Jahre neben dem Poldermodell als ein wesentlicher Faktor bei der Senkung der Arbeitslosenquoten zu berücksichtigen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Teilzeitquoten im Vergleich (aus Leviathan, 1997, Heft 2, Seite 311)

In vielen Ländern, so auch in den Niederlanden in den siebziger Jahren, war Teilzeitarbeit lange verpönt, weil sie als unqualifizierte Arbeit mit schlechten Erfolgsaussichten und geringfügiger Bezahlung galt. Dem haben die Niederlande versucht entgegenzuwirken, indem Arbeitern in einem Teilzeitarbeitsverhältnis zunehmend Rechte eingeräumt wurden, die denen eines Vollzeitangestellten gleichkommen.

Die Gewerkschaften waren der Meinung, dass man Teilzeit nur fördern sollte, wenn es keine Unterschiede zwischen den Arbeitsbedingungen bei Voll- und Teilzeit gibt. 1990 forderte der niederländische Gewerkschaftsbund FNV mehr Teilzeit bei Gleichstellung der Arbeitsbedingungen, was von der Regierung unterstützt wurde, weil sie ohnehin die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen fördern wollte. Für die Arbeitgeberverbände gab es keine andere Möglichkeit als auf die Forderung der Gewerkschaft einzugehen.

Es wurde ein völlig neues Bewusstsein gegenüber Teilzeitarbeit geschaffen: „Teilzeitarbeit entsteht nicht nur, weil es einen Bedarf für die Arbeitnehmer gibt, sondern auch weil sie ein wichtiges Instrument zur Optimalisierung der Bele gschaft darstellt.“9

Teilzeitbeschäftigungen werden von verschiedenen Bevölkerungsgruppen genutzt, weil sie den Arbeitszeitwünschen vieler Arbeiter gerecht werden. Sowohl gut als auch geringer qualifizierte Arbeiter gehen einer Teilzeitarbeit nach; vor allem sind Stellen dieser Art beliebt bei Frauen. Die Ausweitung der Teilzeit ging mit einem starken Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen und der Expansion des Dienstleistungssektors einher. Laut OECD war ein Zuwachs des Dienstleistungsbereichs von über 10% zu verzeichnen.

Arbeitszeitverkürzung ist ein Instrument der defensiven Arbeitsmarktpolitik und ein plausibles Konzept, um das verfügbare Arbeitsvolumen einer Gesellschaft umzuverteilen. Auf diese Weise kann zumindest eine Teilbeschäftigung der Arbeitswilligen erreicht werden, womit das Problem der Arbeitslosigkeit zwar nicht behoben, jedoch stark entschärft werden kann. Niederländische Regierungen haben stets Teilzeitarbeit gefördert, weil es sich im niederländischen Kontext als das bis heute effektivste Mittel zur Senkung der hohen Arbeitslosigkeit erwiesen hat.10

Doch birgt dieses Konzept auch Schwierigkeiten und Nebeneffekte in sich. So können verantwortungsvollere Stellen nicht unproblematisch auf zwei oder mehr Arbeitskräfte verteilt werden, weil gerade die kontinuierliche Anwesenheit dieser Kräfte für die notwendige Kenntnis und Kontrolle der unternehmenswichtigen Vorgänge entscheidend ist. Außerdem kann Teilzeit qualifizierte Arbeitskräfte rarer werden lassen, als sie ohnehin schon sind. Positiv anzumerken ist, dass Teilzeit in bestimmten Berufen eine Steigerung der (Stunden)Produktivität hervorruft, weil die Entstehung gewisser Ermüdungserscheinungen eher unterbunden wird als bei Vollzeitstellen.

4.2 „Flexarbeit“ und subventionierte Arbeit

Neben den Teilzeitbeschäftigten gibt es die Gruppe von flexiblen Arbeitnehmern („Flexarbeitern“). Darunter versteht man Aushilfs- und Abrufkräfte, die von Zeitarbeitsfirmen vermittelt werden. Im Verhältnis zur Bevölkerung haben die Niederlande eine der größten Zeitarbeitsbranchen der Welt. Zwischen 1987 und 1997 stieg die Zahl der flexiblen Arbeitnehmer um knapp 48%, wobei sich dies besonders stark auf den Dienstleistungssektor bezieht. 1999 arbeiteten fast 2 Millionen Niederländer in flexiblen Arbeitsverhältnissen. Je nach Definition können zwischen 9% und 13% aller Beschäftigten als reine Flexarbeiter bezeichnet werden. Auffällig ist der hohe Anteil jugendlicher Arbeitnehmer unter 24 Jahren, die einem flexiblen Arbeitsverhältnis nachgehen. Offenbar ist Flexarbeit eine unter Jugendlichen verbreitete Form, um Ausbildung und Arbeit zu verbinden und eine häufig gewählte Form des Eintritts in das Berufsleben.11

Zeitweise wurden fast genauso viele Stellen durch Zeitarbeitsfirmen vermittelt, wie durch die Arbeitsämter, doch wurde 1991 diesem Zustand gesetzlich entgegengewirkt. Seitdem sind Zeitarbeitbüros angehalten, ähnlich wie die Arbeitsämter, auch feste Arbeitsstellen zu vermitteln. Heute münden etwa ein Drittel aller Zeitarbeitsverhältnisse in ein festes Arbeitsverhältnis. Dies resultiert vor allem aus dem im Januar 1999 in Kraft getretenen Gesetz Flexibilität und Sicherheit („Flex-Gesetz“), dessen Ziel es ist, ein Gleichgewicht zwischen Flexibilität für die Unternehmen und Sicherheit für die Beschäftigten herzustellen. Nach dem Gesetz muss ein Arbeitnehmer in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis übernommen werden, wenn er drei Jahre für ein Unternehmen tätig war oder innerhalb von drei Jahren drei Mal für dasselbe Unternehmen tätig war (sog. Kettenstruktur). Man ging davon aus, dass die Einführung des Gesetzes viele Entlassungen mit sich ziehen würde, doch kam es unmittelbar nur zu etwa 1200 Kündigungen.12

Das Gesetz weist einige Unterschiede zum vorigen Tarifvertrag auf, welche die Rechtsposition von Arbeitnehmern stärken: So konnte ein Zeitarbeitnehmer nach der alten Regelung bei Krankheit oder Unfall seine Arbeit verlieren, was laut Flex-Gesetz nicht zulässig ist. Weiterhin konnten nach dem alten Tarifvertrag von einem Zeitarbeitnehmer mehrere Probezeiten abverlangt werden, während das Flex-Gesetz nur eine einmalige, auf höchstens zwei Monate begrenzte Probezeit gestattet.13

Im Zusammenhang mit flexiblen Arbeitsverhältnissen ist auch die subventionierte Arbeit zu erwähnen, da es sich bei beiden Lösungen um Niedriglohnjobs handelt. So werden z.B. die sog. Melkert-Jobs auf Stundenbasis mit höchstens 120% des Mindestlohnes vergütet. Bei Melkert-Jobs, benannt nach dem ehemaligen Minister für Arbeit und Soziales, handelt es sich um subventionierte Stellen, die in drei Kategorien eingeteilt werden, und die vor allem die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen fördern sollen:

- „Melkert-I-Jobs“ sind Niedriglohnjobs im öffentlichen Sektor. Werden diese Stellen von Langzeitarbeitslosen besetzt, so werden sämtliche Kosten vom Staat getragen.
- „Melkert-II-Jobs“ sind Stellen im privaten Sektor. Werden hier Langzeitarbeitslose eingestellt, erhält der Arbeitgeber für die Dauer eines halben (oder maximal eines) Jahres Lohnkostenzuschüsse.
- Bei „Melkert-III-Jobs“ handelt es sich um Formen der unbezahlten Arbeit, wie etwa gemeinnützige oder ehrenamtliche Tätigkeiten.14

5. Lohnzurückhaltung

Laut der zentralen Planungsbehörde der Niederlande (CPB, Centraal Planbureau) ist die Lohnzurückhaltung das wichtigste Erfolgsmittel der Niederlande im internationalen Wettbewerb gewesen. Als eine kleine offene Volkswirtschaft müssen die Niederländer einen beträchtlichen Teil ihres Wohlstandes im Ausland verdienen, und die Unternehmen können bei sinkenden Lohnkosten die Preise senken und somit ihre Position gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten verbessern.

Auf drei Weisen hat die Lohnzurückhaltung, die eine Handlungsempfehlung aus neoklassischer Sichtweise darstellt, ein Beschäftigungswachstum begünstigt: Erstens wurden durch die resultierende Steigerung der Unternehmensprofitabilität Investitionen ermutigt, was eine Bedingung für die Schaffung neuer Arbeitsplätze darstellt. Zweitens bewirkte die Lohnzurückhaltung eine Senkung des realen Wechselkurses und verbesserte die Wettbewerbsfähigkeit der hollä ndischen Unternehmen und Produkte. So wurde der Verkauf von Gütern und handelbaren Dienstleistungen auf ausländischen Märkten gefördert, wodurch die Nettoexporte und das Wachstum bestimmter Wirtschaftsbereiche erhöht wurde. Drittens wurden durch die Lohnzurückhaltung mehr Menschen in ihren Arbeitstellen gehalten, weil Arbeitskräfte günstiger geworden sind.15

Die Strategie der Lohnzurückhaltung muss auch im Zusammenhang mit der Umwandlung in eine Dienstleistungsgesellschaft gesehen werden, deren Produktivitätsraten immer unter denen der verarbeitenden Industrie lagen. Die Lohnzurückhaltung zog zwei politische Tauschgeschäfte zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und zwischen Arbeitnehmer und Regierung nach sich: Im ersten Tauschgeschäft wurde Lohnzurückhaltung gegen eine Verringerung der Wochen- und Jahresarbeitszeit getauscht und im zweiten wurde Lohnzurückhaltung durch niedrigere Steuern und Sozialabgaben kompensiert. Letzteres war möglich, weil es durch die eingesetzten Sozialreformen den öffentlichen Kassen immer besser ging und außerdem die neuen Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor das Steuervolumen erhöhte. Beides trug dazu bei, die Kaufkraft zu erhalten und die inländische Nachfrage, speziell nach Dienstleistungen, zu erhöhen.16

6. Gesellschaftliche Faktoren

Der Erfolg des niederländischen Modells beruht nicht nur auf politischen Maßnahmen. In den Niederlanden spielt die starke Ausprägung des Dienstleistungssektors eine große Rolle bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, denn die Zunahme von Teilzeitarbeit wird dadurch gefördert und der Eintritt von Frauen auf den Arbeitsmarkt erleichtert. Tatsächlich ist die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen eines der Hauptmerkmale der Entwicklung des niederländischen Arbeitsmarktes. Während Frauen überwiegend als Teilzeitkraft im Dienstleistungssektor tätig sind, wird der Industriesektor traditionell weiterhin durch Männer in Vollzeit besetzt. Ohne den Verzicht auf vollen Lohnausgleich bei Arbeitszeitverkürzungen, ohne den Verzicht auf Überstunden und ohne die Bereitschaft vor allem von Frauen zur Teilzeitarbeit und von Jugendlichen zur Flexarbeit, würden die ökonomischen Kennzahlen der Niederlande heute wohl nicht so gut aussehen. Eine wichtige Vorraussetzung für den Erfolg ist also die im niederländischen Volk offensichtlich vorhandene Bereitschaft, für die Reform des Sozialstaates und das Wohl der Gesellschaft Opfer zu bringen. Wenn keine so hohe Akzeptanz dafür gezeigt worden wäre, dass die Reform des Arbeitsmarktes Opfer verlangt, dann hätte es keine so positive Entwicklung gegeben. Hierin ist das eigentliche „holländische Wunder“ zu sehen.17

Bei der steigenden Erwerbstätigkeit von Frauen muss die international ungewöhnlich niedrige Ausgangsposition berücksichtigt werden: Ende der sechziger Jahre waren weniger als 30% der Frauen im berufsfähigen Alter auch berufstätig. Dies kann durch ein historisch entstandenes, sehr dominantes, kirchlich geprägtes Familienleitbild erklärt werden. Lange waren Frauen durch bescheidene Regelungen in Sachen Schwangerschaftsurlaub, Mutterschutz oder Erziehungsurlaub im Berufsleben benachteiligt. Doch längere und bessere Ausbildung, staatlich unterstützte Gleichberechtigung, der Wunsch nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit und nach Wiedereinstieg in den Beruf nach der Erziehung der Kinder führten dazu, dass verstärkt Frauen auf den Arbeitsmarkt drängten.18

7. Kritische Betrachtung des Modells

Das Poldermodell wird als guter Dialog zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Regierung gesehen. Dabei werden eine Reihe von wichtigen Tatsachen, die von Kritikern hervorgehoben werden, oft übersehen:19

- Seit der Einführung des Modells ist das Realeinkommen der Arbeitslosen um 20% gesunken
- Die Zahl der Familien, die unterhalb der Armutsgrenze leben, hat sich verdoppelt auf 800.000
- Der gesetzliche Mindestlohn ist von 65% auf 51% des Durchschnittslohnes gesunken.
- Die Zahl der befristeten Stellen hat sich verdoppelt, obwohl 2/3 der Menschen lieber einen festen Job hätten
- In den ersten sechs Jahren des Modells sind die Löhne durchschnittlich um 1% gestiegen, während die Profite um 200% gestiegen sind
- Viele Arbeitnehmer beklagen sich über mehr Stress und eine höhere psychische Belastung als vor der Reform
- Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten, die eine Vollzeitbeschäftigung wünschen, stieg von 5,1 (1993) auf 7,3% (1995)
- Der hohe Anteil geringfügiger Teilbeschäftigung stimmt bedenklich: 1995 arbeiteten 31,5% der niederländischen Teilzeitbeschäftigten (38,4% der Männer und 29,1% der Frauen) weniger als 10 Wochenstunden
- Laut einer Umfrage von 1999 würde jeder dritte Niederländer gern wieder länger arbeiten, um sein Einkommen aufzubessern20. Das Lohnniveau im selben Jahr lag 20% unter dem deutschen.

Die derzeitigen Arbeitslosenzahlen der Niederlande sehen gut aus, jedoch gibt es verschiedene Ansätze zur Ermittlung von Arbeitslosenzahlen und daher sollte man sich mit der Herkunft und Ermittlung der Daten befassen, bevor man sie interpretiert. Die vom Statistischen Zentralamt (CBS) zugrunde gelegte Definition von Arbeitslosigkeit berücksichtigt jene Bezieher von Arbeitslosenunterstützung, die arbeitslos oder bis zu 12 Stunden pro Woche beschäftigt sind und gerne mehr als 12 Stunden pro Woche arbeiten würden. Darüber hinaus müssen diese Personen dem Arbeitsmarkt kurzfristig zur Verfügung stehen und in den vorangegangenen vier Wochen aktiv nach Arbeit gesucht haben. Andere Einrichtungen verwenden andere Definitionen und kommen somit zu anderen Ergebnissen: Die zentrale Planungsbehörde (CPB) errechnet die Arbeitslosenquote einfach anhand der Anzahl der Empfänger von Arbeitslosenunterstützung, was z.B. für das Jahr 1998 eine Arbeitslosenquote von 8% ergibt, was deutlich über der Quote des CBS liegt. Würde man zusätzlich die Empfänger der Erwerbsunfähigkeitsrente berücksichtigen, so ergäbe sich eine Gesamtquote von 20%. Die Regierung bedient sich für externe Zwecke regelmäßig der Zahlen vom CBS, zur Festlegung der eigenen politischen Ziele orientiert sie sich jedoch an den Zahlen des CPB, weil es sich, so Insider, bei den CBS-Zahlen um eine administrative Konzeption handle, die nur wenig Aufschluss gibt (NRC Handelsblad vom 18. November 1999).

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Abb. 3: Breite Arbeitslosenquoten in den Niederlanden und in Deutschland in Prozent der Erwerbspersonen und als Vollzeitäquivalent (Quelle: G. Schmid, Leviathan, 1997, Heft 2, ursprünglich: OECD Labor Force Survey Netherlands)

Die registrierte Arbeitslosigkeit der Niederlande ist gering, doch die „stille Reserve“ ist auf einem hohen Niveau. Dazu zählen vor allem Frauen, die bisher nicht am Arbeitsprozess teilnehmen, ältere Menschen und auch viele Erwerbsunfähige, von denen ein großer Teil als „verdeckt arbeitslos“ betrachtet werden muss. Die OECD hat 1994 eine „breite Definition“ der niederländischen Arbeitslosigkeit erstellt, die auch Frührentner, Sozialhilfeempfänger, Erwerbsunfähige und subventioniert Beschäftigte beinhaltet, und kam zu einem Ergebnis von 27,1% der Erwerbspersonen (siehe Abb. 3). Aufgrund des hohen Anteils NichtErwerbstätiger, die aber nicht zu den Arbeitslosen zählen, darf der Erfolg der Niederlande nicht überbewertet werden.

In Abbildung 3 werden die sog. breiten Arbeitslosenquoten der Niederlande und Deutschlands dargestellt und zwar sind die Werte aus Gründen der Vergleichbarkeit als Vollzeitäquivalent angegeben, d.h. die Werte wurden errechnet auf Basis von durchschnittlich jährlichen Arbeitstunden, die tatsächlich von Arbeitern geleistet wurden. Es fällt auf, dass die Arbeitslosenquote weitaus höher ausfällt als in einem Modell, in dem man unberücksichtigt lässt, dass der Anteil von Teilzeit in den Niederlanden vergleichsweise hoch ist. Der Zuwachs an Arbeitsplätzen lässt sich hauptsächlich auf die Verkürzung der durchschnittlichen Arbeitszeit, bzw. die steigende Zahl der Teilzeitstellen zurückführen.21 Jedoch ist in den achtziger Jahren trotz steigender Beschäftigung das Arbeitsvolumen zurückgegangen, was durch die massive Arbeitsumverteilung erklärt werden kann.22

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich seit 1983 unwesentlich verändert und bewegt sich auf relativ hohem Niveau um 49%, was ein großer Makel des niederländischen Beschäftigungswunders ist. Scheinbar finden einmal arbeitslos gewordene nur schlecht in das Arbeitsleben zurück. Von den zwischen 1984 und 1990 neu geschaffenen 700.000 Arbeitsplätzen sind nur 100.000 an Arbeitslose vergeben worden. Die meisten neuen Stellen sind von jungen Neuzugängen und von Frauen besetzt worden, die (wieder) in die Erwerbstätigkeit einsteigen. Gründe für die Langzeitarbeitslosigkeit sind u.a. der Mangel an Umschulungen, fehlende Anreize den sozialen Schutz zu verlassen und die große Auswahl der Arbeitgeber unter den Bewerbern.23 Die Wahrscheinlichkeit, infolge des Arbeitsplatzverlustes in die Armut abzugleiten, ist höher als die Wahrscheinlichkeit, durch die Arbeitssuche aus der Armut heraus zu finden.24

Nach Günther Schmid (Leviathan, Seiten 310/311) ist positiv hervorzuheben, dass Teilzeitbeschäftigte in den Niederlanden sozial besser abgesichert sind als z.B. in Deutschland. Außerdem sind rund 17% der Männer teilzeitbeschäftigt, was auf eine ausgeprägte Gleichberechtigung in den Niederlanden hindeutet. Der EU-Durchschnitt liegt bei nur 5%.

8. Lassen sich aus dem Modell Handlungsempfehlungen für andere Länder ableiten?

In den neunziger Jahren wurde in Deutschland oft auf die Niederlande geschaut, denn die Situation, in der sich beide Länder befanden, schien gegensätzlich zu jener zu sein, in der sich beide Länder etwa fünfzehn Jahre zuvor befanden. Anfang der achtziger Jahre hatten die Niederlande weitaus mehr Arbeitslose als Deutschland, und in den neunziger Jahren hatte sich das Blatt gewendet: 1998 hatte Deutschland eine Arbeitslosenquote von Niederlande eine von 4,0% (Abb. 4).25

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Standardisierte Arbeitslosenquoten im Vergleich (nach OECD-Quellen)

In den neunziger Jahren gab es in den Niederlanden das größte BIP-Wachstum aller EU- Flächenstaaten (über 3,0%). In Deutschland entfachten Diskussionen darüber, ob man sich an dem niederländischen Modell orientieren oder das Modell gar auf Deutschland anwenden sollte.

Aufgrund seines tripartistischen Charakters ließe sich das niederländische Modell nicht ohne weiteres auf andere Länder übertragen, da es sich nicht um ein Programm einer einzelnen politischen Partei, Gewerkschaft oder eines Arbeitgeberverbandes handelt.26 Die Besonderheit des niederländischen Modells ist nämlich gerade, dass sich alle drei Instanzen durch eine große Kompromissbereitschaft auszeichnen. Alle ziehen gewissermaßen gemeinschaftlich an einem Strang, um die Beschäftigungsprobleme aus der Welt zu schaffen. Dies ist als besonders außergewöhnlich hervorzuheben.

Neben den rein politischen Aspekten des Modells sind also auch gesellschaftliche Aspekte zu berücksic htigen, die eine Übernahme des Modells in einem anderen Land zusätzlich erschweren würden; nicht jedes Volk zeigt so viel Akzeptanz und Bereitschaft für wirtschaftspolitische Reformen, wie das niederländische es getan hat.

Auch die Tatsache, dass sich der durchschnittliche niederländische Arbeiter mit einem verhältnismäßig niedrigeren Einkommen zufrieden gibt, als der durchschnittliche deutsche Arbeiter ist ein Beispiel für gesellschaftliche Differenzen, die unterschiedliche Rahmenbedingungen determinieren und somit die Anwendbarkeit des Modells auf Deutschland erschweren oder einschränken würden.

9. Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das niederländische Modell eine Mischung aus Lohneinbußen, weitgehender Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und Sozialreformen ist. Man hat eine Strategie zur Bekämpfung der negativen Entwicklung der späten siebziger und frühen achtziger Jahre entwickelt, welche tatkräftig von der jeweiligen Politik unterstützt wurde. Es sind Kompromisse auf allen Ebenen gefunden worden, die jede Partei akzeptieren konnte.

Rein statistisch gesehen kann sich der Ertrag des niederländischen Modells sehen lassen: Die Frauenerwerbsquote stieg von 35% auf 55%. Von 1994 bis 1998 wurden insgesamt über 450.000 Arbeitsplätze geschaffen, wobei es sich bei etwa einem Drittel um Teilzeitstellen handelt. Die Arbeitslosenquote sank 1997 erstmals unter die 5%-Marke und das Wirtschaftswachstum lag 1998 bei fast 4%. Jedoch täuschen derartige Zahlen nicht darüber hinweg, dass das Modell auch eine Reihe von negativen Entwicklungen herbeigeführt hat. Wie in der kritischen Betrachtung gezeigt wurde, ist der Erfolg des niederländischen Modells zu relativieren. Nach genauerer Betrachtung kommt man zu dem Schluss, dass der Erfolg auf dem niederländischen Arbeitsmarkt weniger aus einer neuartigen Strategie, sondern hauptsächlich aus dem bekannten Konzept der Teilzeit, bzw. der Arbeitszeitverkürzung resultiert. Die Interpretation von Arbeitslosenquoten ist mit Vorsicht zu genießen, denn je nach Definition von Arbeitslosigkeit fällt die Quote unterschiedlich aus.

Man hat gesehen, dass Arbeitsmarktpolitik kein isolierbarer Politikbereich ist. Vielmehr gibt es eine Reihe von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die tatsächlich einem anderen Politikbereich, wie z.B. dem fiskal- oder dem wettbewerbspolitischen Bereich entstammen, und es liegt auf der Hand, dass die Wirkung derartiger Maßnahmen sich nicht nur auf den Arbeitsmarkt beschränken, sondern gleichsam Effekte auf andere Politikbereiche haben und hier oft wieder Probleme anderer Art verursachen.

Theorien und Ansätze zur Bewältigung von Arbeitslosigkeit gibt es viele, einen Königsweg, ein allgemein anwendbares Schema jedoch kaum. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die, in einer bestimmten Kombination und Ausprägung angewandt, zu einem gewissen Erfolg führen. Eine Ökonomie muss versuchen aus bestimmten „Bausteinen“ einen für sich optimalen Weg zu generieren. Dazu muss sie die eigene soziale und ökonomische Struktur sehr gut analysiert haben, da das soziale und wirtschaftliche Umfeld, die Rahmenbedingungen einer Ökonomie, die Wirksamkeit von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen bestimmen.

Literaturverzeichnis:

- Goddar, Jeannette: „Jeder Job ist besser als keiner“ (Artikel), Den Haag, 1999
- Kleinfeld, Ralf: „Was können die Deutschen vom niederländischen Poldermodell lernen?“, URL: www.uni-tuebingen.de/uni/spi/kd99k.htm
- Naarmann, Hans-Georg: Arbeitskosten und Beschäftigung, Köln, Josef Eul Verlag, 1991
- Neumann, Helmut: Staatliche Regulierung betrieblicher Beschäftigungspolitik, Frankfurt/Main, Campus Verlag, 1991
- Schmid, Günther, Leviathan, 1997, Heft 2, Seiten 302-337
- Valkenburg, Ben/Coenen, Harry: „’Working Poor’ in den Niederlanden“, Artikel aus WSI Mitteilungen 8/2000, Seiten 552-561
- Visser, Jelle/ Hemerijk, Anton: „Ein holländische Wunder?“, Campus Verlag, 1998

Sonstige Quellen:

- OECD Wirtschaftberichte Niederlande 1983, 1986, 1989, 1994, 1998, 1999
- Brosdländische Botschaft, Januar 2001
- „Kein Export des Poldermodells!“, Artikel, URL: www.labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/polder.html

[...]


1 The Economist, 30. Januar 1982

2 vgl. OECD Wirtschaftbericht Niederlande 1983, Seiten 12/13

3 vgl. Hans Georg Naarmann, Seite 1

4 vgl. Ralf Kleinfeld

5 vgl. Helmut Neumann, Seite 11

6 vgl. „Kurze Übersicht über die soziale Sicherheit in den Niederlanden“

7 Niederländische Botschaft, Bonn, Juli 1999, „Arbeit und Soziales“

8 vgl. Ben Valkenburg und Harry Coenen, Seite 554

9 Ellen van Doorne, Sekretärin für Wirtschaft und Soziales der niederländischen Botschaft in Berlin in einem Vortrag im September 1999

10 vgl. Ralf Kleinfeld

11 vgl. Ralf Kleinfeld

12 vgl. Ben Valkenburg und Harry Coenen, Seite 555

13 nach der Informations-Broschure „Gesetz zur Flexibilität und Sicherheit“ der niederländischen Botschaft

14 vgl. Ben Valkenburg und Harry Coenen, Seite557

15 vgl. Jelle Visser/Anton Hemerijk, Seiten 44/45

16 vgl. Jelle Visser/Anton Hemerijk, Seiten 32/33

17 vgl. Ralf Kleinfeld

18 vgl. Ralf Kleinfeld

19 vgl. „Kein Export des Poldermodells!“

20 vgl. Jeannette Goddar, 1999

21 vgl. Ben Valkenburg und Harry Coenen, Seite 556

22 vgl. Günther Schmid, Seite 313

23 vgl. Jelle Visser/Anton Hemerijk, Seite 58

24 vgl. Ben Valkenburg und Harry Coenen, Seite 559

25 vgl. OECD 1999, Eurostat 1999

26 vgl. Ralf Kleinfeld

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Beschäftigungspolitik der Niederlande (Länderstudie)
Hochschule
Universität Bielefeld
Veranstaltung
Seminar: Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V105115
ISBN (eBook)
9783640034123
Dateigröße
494 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Beschäftigungspolitik, Niederlande, Seminar, Arbeitsmarkt-, Beschäftigungspolitik
Arbeit zitieren
Christian Kobusch (Autor:in), 2001, Die Beschäftigungspolitik der Niederlande (Länderstudie), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105115

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