Geschichte des Parlamentarismus in Großbritannien 1714-1832


Seminararbeit, 1999

11 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Entwicklung des Parlamentarismus unter den Hannoveranern
1.1. 1714 Beginn der Regierungszeit der Hannoveraner

2. Kontrolle der parlamentarischen Maschinerie
2.1. Das Wahlsystem von 1660
2.2. Versuch der Wiederherstellung des persönlichen Regiments der Krone ab 1742

3. Der Machtanstieg des Kabinetts von 1784-1832
3.1. Gründe für die Bedeutung der Wahl von 1784 und ihre Folgen
3.2. Der Weg zur Großen Reform 1832

4. Die Reform spaltet das Land

1. Entwicklung des Parlamentarismus unter den Hannove- ranern

Die Entwicklung des Parlamentarismus in Großbritannien erfuhr in der Zeit von 1714 bis 1832 unter den Hannoveranern eine unerwartete Stär- kung, die durch mehrere Faktoren und Zufälle beeinflusst wurde. Nicht zuletzt das Königshaus war mitverantwortlich für den Gewinn an Ein- fluss und Macht den das Parlament und vor allem das Kabinett verbu- chen konnte. Geprägt war die Zeit von 1714 bis 1832 vor allem durch Reformbestrebungen - nicht etwa, wie man durchaus vermuten könnte, durch Umstürze und gewaltsame Revolutionsversuche. Die Zeit des radikalen Umbruchs in Europa, der - ausgelöst durch die Revolution in Frankreich - die politischen Verhältnisse von oben nach unten umstülp- te, führte zwar auch zu einem Reformbedürfnis in Großbritannien, je- doch war von einem Zerschlagen der Strukturen nie die Rede. Die Be- mühungen konzentrierten sich auf eine Optimierung des bestehenden Systems. Man kann die Regierungszeit der Hannoveraner also als eine Zeit des behutsamen Wandels, der interessanterweise fast ausschließ- lich vom Parlament selber ausging, bezeichnen.

1.1 1714 Beginn der Regierungszeit der Hannoveraner

Zu Beginn der Regierungszeit der Hannoveraner war ein „echtes“ par- lamentarisches Regieren nicht möglich, die Regierung war ein Instru- ment der Krone und nicht des Parlaments. Die Minister der Regierung waren lediglich dem König verantwortlich und nicht dem Parlament. George I. nahm an den Sitzungen des Kabinetts nicht teil. Dies hatte mehrere Gründe und bemerkenswerte Auswirkungen. Zum einen be- herrschte George I. die Sprache nicht und war mit den englischen Ge- pflogenheiten, namentlich dem „Common-Law“ nicht vertraut. Zum First Lord of the Treasury ernannte er Sir Robert Walpole. Er war fak- tisch der erste Prime Minister Englands. Zur besseren Kontrolle saß er im Unterhaus, dabei behielt er aber die Gunst des Monarchen. Der Kö- nig ernannte und entließ die Minister des Kabinetts, suchte sich aber Männer seines Vertrauens. Diese mussten aber über genügend Einfluss im Unterhaus verfügen, um die Zustimmung des Parlaments zur Poli- tik des Königs zu sichern. „Davon, daß die Regierung den Commons verantwortlich gewesen wäre, war nicht im entferntesten die Rede“ (Loewenstein, K. „Der britische Parlamentarismus“, München 1964, S. 69). Die Loyalität der Minister galt allein der Krone, klar umrissene Fachministerien existierten noch nicht. Erst um das Jahr 1739 bildete sich ein „inneres Kabinett“ heraus, d.h. eine Kabinettsregierung unter Führung des Prime Minister. Aus der Loyalität der Minister gegenüber der Krone resultierte eine große Übereinstimmung zwischen dem Kö- nig und dem Parlament, es gab keine Kampfauflösungen wie dies in früheren Jahren der Fall gewesen war und die Parlamente waren dem- zufolge sechs bis sieben Jahre im Amt, was den Bestimmungen des „Septennial Act“ von 1715 entsprach.

2. Kontrolle der parlamentarischen Maschinerie

Die parlamentarische Maschinerie unterlag in ihren Abläufen etlichen Voraussetzungen, die eine eigentliche Demokratie nach heutigem Ver- ständnis unmöglich machten. Die Krone hatte einen starken Einfluss auf die Durchführung der Wahlen und auch die Parlamentsmitglieder waren während ihrer Mandatsdauer einer großen Beeinflussung ausge- setzt.

2.1 Das Wahlsystem von 1660

Durch das Wahlsystem, das in seinen wesentlichen Bestandteilen noch aus dem Jahr 1660 stammte, war eine eigentliche Abstimmung über die Vertretung im Parlament die Ausnahme. Es gab 558 Unterhaussitze, davon entfielen 432 auf die „boroughs“ (städtische Wahlbezirke) und nur 122 auf die ländlichen Bezirke der Grafschaften, die sogenannten „counties“. Zusätzlich entsandten die Universitäten vier Vertreter. Da- durch entstand ein grundsätzliches Missverhältnis, zumal ohnehin weniger Wahlberechtigte in den einzelnen boroughs vorhanden waren. Die Krone hatte direkten Einfluss auf den Zuschnitt der Wahlbezirke und die Vergabe der Kandidaten. Die Wahl war de facto überflüssig, da in den meisten Fällen nur ein Kandidat zur Verfügung stand, der au- ßerdem nur durch ein nicht unerhebliches Ausmaß an Korruption zu seinem Posten kommen konnte. Allein dreißig boroughs wurden direkt durch die Treasury vergeben, andere von Adelsfamilien und -cliquen. Es existierte ein regelrechter Handel mit Parlamentssitzen, sogar Pacht wurde bezahlt. Das Amt als „Member of Parliament“ war als Einstieg in die „ruling class“ sehr begehrt, es bildete sich ein „Elitenparlament“, da durch die Nominationstechniken „viele jüngere Talente kampflos ins Parlament“ gelangten, „und aus ihnen rekrutierte sich jene vielbewun- derte Führungsschicht der aristokratischen Erbweisheit, die die Parla- mente des 18. und selbst des 19. Jahrhunderts den Vergleich mit dem Senat der klassischen römischen Republik nicht scheuen läßt“ (Loe- wenstein 1964, S. 71). Das dieses „Elitenparlament“ so unbehelligt re- gieren konnte, lag sicherlich zum einen daran, dass nach den Wirren der vorherigen Jahrhunderte von einer gewissen politischen Erschöp- fung gesprochen werden kann, zum anderen war in jedem Fall das Feh- len einer organisierten, offiziellen Opposition ein weiterer Stabilitäts- faktor. Obwohl keine wirklichen Parteien vorhanden waren, da man weder von einem gemeinsamen politischen Programm noch von einem organisatorischen Zusammenhalt sprechen konnte, war das Unterhaus so gefestigt, dass missliebige Prime Minister abgesetzt werden konnten.

2.2 Versuch der Wiederherstellung des persönlichen Re- giments der Krone ab 1742

So wurde Walpole im Jahr 1742 gestürzt und die Parteimanager zwan- gen George II. Henry Pelham als Prime Minister auf. Im Jahr 1743 war der Monarch komplett auf das Parlament angewiesen, die öffentliche Meinung begann sich zu regen. Zwar waren Berichte aus dem Parla- ment weiterhin strafbar aber sie wurden mittlerweile geduldet, und so gewann die Popularität, die Parlamentarier auch bei den nicht Wahlbe- rechtigten hatten, mehr und mehr an Bedeutung. Popularität in der öf- fentlichen Meinung wurde gleichbedeutend mit erhöhtem Einfluss im Parlament. 1760 beendete George III. 50 Jahre Herrschaft der Whigs. Er versuchte zehn Jahre später die Wiederherstellung des persönlichen Regiments der Krone, sein Ziel war, die Monarchie wieder über die Par- teien zu stellen. Von 1770-1782 war Lord North Prime Minister, die Mehrheit im Parlament gehörte den Tories. Es etablierte sich eine neue, parteiübergreifende Gruppierung im Parlament, die „Freunde des Kö- nigs“. Lord North überstand in zwölf Jahren drei Parlamente, stürzte aber über den Verlust der Nordamerikakolonien. Er war der erste Pri- me Minister, der nach einem gescheiterten Misstrauensvotum auf Druck des Unterhauses zurücktrat. In der Zeit, in der die Tories die Un- terhausmehrheit innehatten, entwickelten sich die Whigs zu einer ech- ten Nationalpartei. Sie machten sich zum Sprachrohr demokratischer Forderungen.

3. Der Machtanstieg des Kabinetts von 1784-1832

So wie die Wahlen von 1784 als „Wendepunkt“ in der britischen Ver- fassungsentwicklung gelten müssen, ist es wesentlich zu bemerken, dass der „auf Kosten der Krone erfolgte Machtanstieg des Kabinetts [...]die entscheidende Tatsache der Zeit zwischen 1784 und der Großen Reform von 1832“ ist (Loewenstein 1964, S. 77). Die Wahl von 1784, die gemeinhin als erster Ausdruck „echten“ Volkswillens gilt, war das Er- gebnis einer Entwicklung, die besonders durch die demokratischen Forderungen der Whigs und einem gesteigerten Bedürfnis der Bevölke- rung nach einer grundlegenden Reform der Verfassung geprägt war.

3.1 Gründe für die Bedeutung der Wahl von 1784 und ih- rer Folgen

Ideologischer Befürworter des Parteienwesens und Vordenker in dieser Hinsicht war Edmund Burke. In seiner berühmten „Rede an die Bürger von Bristol“ erteilte er dem imperativen Mandat eine scharfe Absage: „Wohl wählt ihr allein einen Abgeordneten, aber wenn ihr ihn gewählt habt, ist er nicht mehr Vertreter von Bristol, sondern ein Mitglied des Parlaments.“ (v. d. Gablentz, O. H., „Die politischen Theorien seit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Politische Theorien Teil III, Opladen, 3. Auflage 1967, S. 49). Die Whigs machten sich unter Lord Rockingham zum Sprachrohr demokratischer Forderungen. Sie forder- ten eine Rückkehr zum Rückhalt in den Wurzeln der Wählerschaft („grass roots“), wie Burke forderten sie die freie Kandidatenwahl und den Abbau des Beeinflussungs- und Patronagewesens. Die Presse übte vermehrt Druck auf die Regierung und die Krone aus, maßgeblich wa- ren hier die „Junius-Briefe“ beteiligt. Der Unmut der Bevölkerung mündete in einer Volksbewegung mit dem Ziel, eine grundlegende Re- form der Verfassung einzuleiten. Das beste Beispiel für die undemokra- tischen Verhältnisse, die die demokratischen Forderungen mit hervor- riefen, war die dreimalige Wahl John Wilkes‘ in das Parlament, dessen Mandatsantritt dreimal durch die „Freunde des Königs“ verhindert wurde. Ein weiterer Faktor war das Bevölkerungswachstum, das durch die industrielle Revolution gefördert wurde. Allein zwischen 1782 und 1832 wuchs die Bevölkerung von 8 auf 13 Millionen an. Erstmals in der britischen Verfassungsgeschichte gab die Wählerschaft den Commons 1784 echte Legitimität. Es etablierte sich ein Zweiparteiensystem und eine Dreimachtkonstellation (Regierung-Parlament-Wählerschaft) bil- dete sich heraus. Die königliche Prärogative war zwar weiterhin theore- tisch unumstritten und der König versuchte bis zu seiner völligen geis- tigen Umnachtung seinen Einfluss zu behalten, jedoch ging die politi- sche Entscheidungsfällung unaufhaltsam auf das Kabinett über. Lang- sam konnte sich auch eine Gliederung in Fachministerien entwickeln. Naturgemäß ging die gesamte Tendenz des Machtanstiegs des Kabi- netts mit einer Schwächung der Krone einher.

3.2 Der Weg zur Großen Reform von 1832

Der Machtanstieg des Kabinetts wurde durch die grundsätzlich schwa- chen Monarchen dieser Zeit entscheidend erleichtert. Die Könige George III., der geisteskrank war, George IV. der als äußerst charakter- schwach galt und William IV. der als „minderwertig“ (Loewenstein 1964, S. 77) angesehen wurde, schadeten der Macht der Krone nachhal- tig. William Pitt der Jüngere, der bei Amtsantritt erst 24 Jahre alt war, organisierte das Kabinett neu. Während früher ehemalige Kabinetts- mitglieder und Vertraute des Königs an den Kabinettssitzungen teil- nahmen, durften fortan nur noch Amtsinhaber anwesend sein. Die Lei- tung lag in Händen des Prime Minister, für die restlichen Kabinettsmit- glieder galt eine untergeordnete Kabinettsverantwortlichkeit. Gesetz- geberische Reformen schränkten die königlichen Beeinflussungen wei- ter ein. Bereits im Rahmen des „Establishment Act“ von 1782 wurde die Zivilliste unter Parlamentskontrolle gestellt. Die königlichen Beste- chungsgelder wurden so abgeschafft. Anstelle der königlichen Stellen- vergabe, die Abhängigkeiten förderte, trat ein besoldetes Beamtentum, und die grundbesitzende Aristokratie verlor das Monopol der Lokal- verwaltung. Durch die Reform der Common-Law-Gerichte wurde die totale Kontrolle des öffentlichen Lebens durch das Kabinett vollendet. Zwar konnten durch den Krieg mit Frankreich weite Teile der Bevölke- rung einen gewissen Wohlstand verbuchen, jedoch führte die Nach- kriegszeit zu einer wirtschaftlichen Depression und zu einer politischen Stagnation. Nach dem Wiener Kongress entstand eine Wirtschaftskrise, die eine steigende Arbeitslosigkeit zur Folge hatte. Das daraus resultie- rende Massenelend führte zu schweren Ausschreitungen und Unruhen. Das Massaker von Peterloo (1819) und die Catostreet Verschwörung (1820) hatten massive Beeinträchtigungen der bürgerlichen Freiheits- rechte zur Folge. Vor allem die „Six Acts“ von 1819 führten zur Be- schränkung der Versammlungsfreiheit, Maßnahmen gegen paramilitä- rische Verbände und Beschränkungen der Pressefreiheit. Trotz gegen- sätzlicher Bemühungen reaktionärer Kräfte, führten die Reformbemü- hungen liberaler Tories und fortschrittlicher Whigs zur Aufhebung aller politischen Diskriminierung gegen Katholiken. Trotzdem wuchs der öffentliche Druck und das Bedürfnis nach weiterreichenden Reformen.

4. Die Reform spaltet das Land

Nach der Julirevolution in Paris stieg der öffentliche Druck auf die Re- gierung weiter. Mit Amtsantritt von William IV. wurden Neuwahlen anberaumt. Im Fokus des Wahlkampfs stand die Reform. Das Land und selbst die Parteien spalteten sich schnell in Befürworter und Gegner der Reform. Die Nonkonformisten, die neue bürgerliche Schicht aus Kauf- leuten und Fabrikanten, die handwerkliche Mittelschicht und die Whig- Aristokratie unter Führung von Earl Grey sprachen sich deutlich für die Reform aus, während die Krone, der Klerus, Juristen, Bankiers, Squires, selbständige Farmer und konservative Tories dezidiert gegen die Re- form agitierten. Die kontroversen Positionen führten dazu, dass die Re- form erst nach dem dritten Anlauf in die Tat umgesetzt werden konnte. Allerdings war sie in ihrer Auswirkung vor allem die Vollendung der bereits vorangegangenen gesetzgeberischen Reformen. „Ohne die sich damals vollziehenden Umwandlungen wäre die Wahlreform [ von 1832 - Anm. des Verfassers] nur Stückwerk geblieben“ (Loewenstein 1964, S. 79). Die wesentlichen Machtverschiebungen zugunsten des Parlamentarismus und des Kabinetts und die entscheidende Schwächung der Position der Krone geschahen bereits vor 1832.

Literaturverzeichnis

- Karl Loewenstein, Der britische Parlamentarismus, Hamburg, 1964
- J. H. Plumb, England in the Eighteenth Century, Harmondworth, 1963
- O. H. v. d. Gablentz, Die politischen Theorien seit der amerikani- schen Unabhängigkeitserklärung. Politische Theorien Teil III, Köln/Opladen 3. (erw.) Auflage 1967

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Geschichte des Parlamentarismus in Großbritannien 1714-1832
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
2
Autor
Jahr
1999
Seiten
11
Katalognummer
V105063
ISBN (eBook)
9783640033607
Dateigröße
353 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichte, Parlamentarismus, Großbritannien
Arbeit zitieren
Matthias Schmidt (Autor:in), 1999, Geschichte des Parlamentarismus in Großbritannien 1714-1832, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105063

Kommentare

  • Gast am 25.10.2008

    wichtige frage.,...

    ich wäre Ihnen Dankbar, wenn Sie sagen könntes wo ich was über der Wahlreform englands finden kann,,,
    muss eine seminararbeit schreiben,,und finde zu wenig literatur..

    vielen dank

Blick ins Buch
Titel: Geschichte des Parlamentarismus in Großbritannien 1714-1832



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