Die Parlamentssouveränität des britischen Unterhauses


Seminararbeit, 2001

16 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Parlamentssouveränität im britischen Unterhaus
2.1 Ursprünge der Parlamentssouveränität
2.2 Auswirkungen der Parlamentssouveränität
2.3 Grenzen der Parlamentssouveränität

3. Die Parlamentssouveränität und ihre Vereinbarkeit mit der Lehre der Rechtsstaatlichkeit

4. Resümee

1. Einleitung

„Wenn es dem englischen Gesetzgeber einfiele, das Zigarettenrauchen unter Todesstrafe zu stellen [...] bestünde für den englischen Juristen kein Zweifel, dass dieses Gesetz verfassungsmässig wäre [...]“1

Dieses Zitat Dickes zu Beginn seines Aufsatzes verdeutlicht überspitzt die Wirklichkeit im politischen System Großbritanniens, das im Gegensatz zu seinen kontinentaleuropäischen Nachbarn über keine Verfassungsurkunde verfügt, die Grundrechte und die Einhaltung bestimmter Verfahrensregeln zwischen den politischen Institutionen des Landes im politischen Prozess verbindlich festlegen würde2. Politische Spielregeln finden sich im britischen System meist nur de facto, jedoch nicht de jure.

Die sogenannte Parlamentssouveränität des britischen Unterhauses ist eine solche Regel. Sie erst ermöglicht es der 1. Kammer im britischen Parlamentarismus dem oben zitierten Beispiel folgen zu können und mit einfacher Mehrheit jegliches Gesetz zu verabschieden, ohne durch ein anderes Organ in dieser Kompetenz eingeschränkt zu sein3.

Dieses wesentliche Merkmal der ungeschriebenen Verfassung Großbritanniens birgt jedoch die Gefahr des Missbrauchs, da keine Normenkontrolle das Parlament daran hindern könnte Gesetzte zum Nachteil der Bürger zu erlassen. Zudem könnte sich ein bestimmtes Unterhaus auf Dauer die Macht sichern, indem es völlig legal die Wahlen, die seine Zusammensetzung bestimmen, auf unbestimmte Zeit aussetzen würde.

Betrachtet man diesen Umstand in Zusammenhang mit der Lehre der Rechtsstaatlichkeit so stellt sich die Frage:

Kann das politische System Großbritanniens als ein rechtsstaatliches System bezeichnet werden kann, obwohl jegliche gesetzliche Beschränkungen, denen der Gesetzgeber unterliegt von selben nach seinem Ermessen wieder geändert werden können?

Die folgende Arbeit wird sich mit dieser Frage beschäftigen und dabei zunächst den Begriff der Parlamentssouveränität, ihre Entwicklung und ihre Bedeutung im politischen System Großbritanniens näher betrachten.

Im Anschluss wird untersucht, ob nicht dennoch Kräfte im politischen System Großbritanniens eine Rolle spielen, die es verhindern, dass das Unterhaus sein Privileg zum Schaden seiner Bürger missbraucht. Anhand dieser Betrachtungen wird schließlich gefolgert, ob der Begriff der Rechtsstaatlichkeit auf das politische System Großbritanniens Anwendung finden kann.

2. Die Parlamentssouveränität im britischen Unterhaus

Die Parlamentssouveränität befähigt das britische Unterhaus jegliches Gesetz zu verabschieden, dessen Notwendigkeit es als gegeben erachtet4. Sie ist als Doktrin der einzige Bestandteil der ungeschriebenen Verfassung Großbritanniens, der vom Parlament nicht per Gesetz aufgehoben oder geändert werden kann5.

2.1 Ursprünge der Parlamentssouveränität

Die Machtfülle, die das Prinzip der Parlamentssouveränität dem britischen Unterhaus verleiht, entsprang den Zeiten des absolutistischen Herrschers in Großbritannien in Gestalt des Monarchen6. Seine absoluten Befugnisse gingen mehr und mehr auf das Parlament über, wenngleich er noch heute formell der Träger aller Staatsgewalt ist7. Nichtsdestotrotz ist dieser Machtransfer insbesondere in der Auffassung King in Parliament begründet, die nicht die Anwesenheit des Monarchen im Unterhaus, sondern die Verkörperung der königlichen Gewalt durch das Parlament ausdrückt8.

Das Parlament in seinen Ursprüngen diente mit seinen Anfängen nach der Unterzeichnung der Magna Carta 1215 im wesentlichen der Kontrolle der Besteuerung durch die Krone. Der zwischen den aufständigen Baronen Englands und König John geschlossene Vertrag bestimmte den Grundsatz, dass keine Besteuerung ohne Vertretung erfolgen dürfe9.

Mit der Einberufung des Modellparlaments 1295 kann von einem wirklichen Beginn der britischen Parlamentsstradition gesprochen werden: Die in ihm versammelten Abgeordneten waren nicht weisungsgebunden und konnten frei nach ihrem Gewissen entscheiden10.

Das britische Parlament schaffte es, sich im Gegensatz zu seinen kontinentalen Ablegern auf Dauer als Institutionen zu etablieren. Dies hat es durch seine Neutralität gegenüber den oftmals verfeindeten Adelsdynastien erreicht, so dass es eine Vermittlerrolle zwischen diesen einnehmen konnte11.

Mit dem Privileg des Parlaments Ansprüche auf den Thron zu legalisieren, begann das Parlament auch gesetzgebende Funktionen in Form von Petitionen an den Monarchen wahrzunehmen, deren Annahme sich das Parlament durch Bewilligung durch die Krone geforderter Geldmittel sicherte12. Während der Tudor-Ära war das Parlament jedoch darum bemüht, sich den Weisungen der Monarchen unterzuordnen, was aber die Tolerierung und die Einbeziehung des Parlaments in allen wichtigen politischen Entscheidungen ermöglichte13.

Die den Tudors folgende schottische Dynastie der Stuarts führte zu Machtkämpfen zwischen dem Parlament und der Krone, in denen sich beide ihrer legalen Instrumente wie der Staatsanklage seitens des Parlaments („impeachment“) und der Entlassung unliebsamer Richter seitens des Monarchen bedienten14. Der Stuart König Charles I. war jedoch in der Lage, sich aufgrund einer „außenpolitischen Notstandssituation“, ausgelöst durch Kriege gegen Frankreich und Spanien15, gerichtlich für elf Jahre die alleinige Herrschaft ohne Parlament zu sichern16.

Die puritanische Revolution, als Konsequenz des schottischen Einfalls in England, hatte neben zwei Bürgerkriegen einen Entzug der Regierungsprivilegien für den Adel durch die Hinrichtung Charles I., der Abschaffung der Monarchie und des Oberhauses zur Folge17. Oliver Cromwell, einer der Anführer im ersten Bürgerkrieg, versuchte die Etablierung einer Republik mit einer zugehörigen geschriebenen Verfassung, die jedoch in einer Militärdiktatur endete und nach seinem Tod nicht aufrecht erhalten werden konnte18.

Um der verwirrenden Lage im Land Einhalt zu gebieten, wurde die Monarchie unter Charles II. reetabliert19. Charles verschaffte sich kontinuierlich Privilegien, die ihn letztendlich zu einer absolutistischen Herrschaft ohne Parlament befähigten20. Sein schwacher Nachfolger James II. provozierte durch sein Vorhaben den Katholizismus wiedereinzuführen. Es führte zu einer Opposition der maßgeblichen politischen Kräfte des Landes gegen James21. Mit dem Freispruch angesehener Geistlicher, die sich in Folge James’ Vorhaben weigerten von der Kanzel zu lesen und daher wegen Hochverrats angeklagt wurden, wurde die sogenannte „glorreiche Revolution“ eingeläutet, die zur Einsetzung Williams III. führte, der von einem Honorationenparlament berufen wurde22.

Dieser Wegfall der Bestellung des Monarchen durch Gottes Gnaden markierte das Ende des uneingeschränkten Herrschaft eines absolutistischen Monarchen und den Beginn einer parlamentarisch kontrollierten Monarchie.

[...]


1 Dicke, D. Chr.: Englisches Verfassungsverständnis und die Schwierigkeiten einer Verfassungskodifikation, in: Doeker, G.; Wirth, M.: Das politische System Großbritanniens. Berlin: Wissenschaftlicher Autoren-Verlag 1982. S. 110.

2 Vgl. Loewenstein, K.: Staatsrecht und Staatspraxis von Großbritannien. Band I. Berlin, Heidelberg, New York: Springer-Verlag 1967. S.43f.

3 Vgl. Loewenstein, a.a.O., S. 46f.

4 Vgl. Alexander, L.: Constitutional Law. London: Sweet & Maxwell Limited 1960.

5 Vgl. Hübner, E. ; Münch, U. : Das poltische System Großbritanniens. Eine Einführung. München: Beck 1998. S. 34.

6 Vgl. Dicke, a.a.O., S. 111.

7 Vgl. Dicke, ebd.

8 Vgl. Hübner; Münch ebd.

9 Vgl. Loewenstein, a.a.O., S. 5f.

10 Vgl. Loewenstein, a.a.O. S. 7.

11 Vgl. Loewenstein, a.a.O., S. 8.

12 Vgl. Loewenstein ebd.

13 Vgl. Loewenstein, a.a.O., S. 10f.

14 Vgl. Loewenstein, a.a.O., S. 11f.

15 Vgl. Sieper, R.: The Student’s Companion to Britain. Ismaning: Hueber 2000. S.40.

16 Vgl. Loewenstein, a.a.O., S. 12.

17 Vgl. Loewenstein, a.a.O., S. 12f.

18 Vgl. Loewenstein, a.a.O., S. 13.

19 Vgl. Loewenstein ebd.

20 Vgl. Loewenstein, a.a.O., S. 14.

21 Vgl. Loewenstein ebd.

22 Vgl. Loewenstein ebd.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Parlamentssouveränität des britischen Unterhauses
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Veranstaltung
Seminar im Grundstudium
Note
2,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V104860
ISBN (eBook)
9783640031641
Dateigröße
418 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parlamentssouveränität, Unterhauses, Seminar, Grundstudium
Arbeit zitieren
Jens Kirschner (Autor:in), 2001, Die Parlamentssouveränität des britischen Unterhauses, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104860

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