Themenzentrierte Interaktion nach Ruth C. Cohn


Seminararbeit, 2001

28 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Biographie

3 Grundlagen der Themenzentrierten Interaktion
3.1 Allgemeines
3.2 Das Strukturmodell der Themenzentrierten Interaktion: Das Dreieck in der Kugel
3.2.1 Das „ICH“
3.2.2 Das „WIR“
3.2.3 Das „Es“
3.2.4 Der „Globe“
3.2.5 Die Gleichgewichtshypothese
3.2.6 Das Eisbergmodell
3.3 Die Axiome
3.4 Die Postulate
3.5 Die Hilfsregeln
3.6 Das TZI - Haus

4 Kritik

5 Persönliche Reflexion

LITERATURLISTE:

1 Einleitung (Tanja/Martina)

Thema dieser Seminararbeit im Rahmen der Lehrveranstaltung: “Gesprächsführung“ ist die Themenzentrierte Interaktion. Meist nur kurz TZI genannt, ist sie ein ganzheitliches Modell und als solches nicht nur auf den Prozess der Kommunikation zu beschränken.

Die TZI ist nun schon viele Jahrzehnte alt. Sie wurde ursprünglich von der Psychoanalytikerin Ruth Cohn entwickelt. Die Themenzentrierte Interaktion ist eine Lehr- und Lernmethode für Gruppen, die gewährleisten soll, dass ein sogenanntes ‚lebendiges Lernen’ realisiert wird. Die Themenzentrierte Interaktion stellt eine Richtung innerhalb der Humanistischen Psychologie dar. Diese wiederum ist der „dritte Part“ neben Psychoanalyse und Behaviorismus. Sie ist nicht als einheitliche Theorie, sondern als offenes System zu verstehen, dem unterschiedliche theoretische Konzepte angehören. Grundlage der Anwendung der TZI ist das Dreieck, bestehend aus Ich, Wir und dem Thema der Gruppe. Umgeben werden diese vom sogenannten Globe. Es ergibt sich ein Dreieck in der Kugel. Unterstützt wird dieses Dreieck von den Postulaten, den Axiomen und den sogenannten Hilfsregeln. Durch das sehr einfache Modell können die in jeder Gruppensituation wirkenden Faktoren veranschaulicht werden. Was man hierunter und unter dem ganzen Konzept der TZI genau versteht, wollen wir in unseren folgenden Ausführungen zeigen.

Die Themenzentrierte Interaktion wurde stark von ihrer Begründerin Ruth Cohn geprägt. Sie ist eine Frau mit einer sehr starken und sehr beeindruckenden Persönlichkeit, und besitzt großes Feingefühl, aber auch viel Liebe für ihre Mitmenschen. In der Auseinandersetzung mit ihrer Biographie fragten wir uns, ob nicht ein großer Teil ihres individuellen Erfolgs mit der TZI in ihrer Person und ihrem Umgang mit Menschen begründet liegt. Dies würde eine direkte Nachahmung ihres Modells unmöglich machen, andererseits würde dieses Wissen gleichzeitig jedem Wege eröffnen, eine eigene Form der TZI zu suchen und zu finden. Auf Grund dieser Zentralität, die Ruth Cohn in der von ihr selbst erarbeiteten Lehr- und Lernmethode unbestreitbar besitzt, beginnen wir in unserer Seminararbeit mit ihrer Biographie. Diese ist sicherlich nicht nur deshalb so eindrucksvoll, weil sie von einer solch bemerkenswerten Persönlichkeit berichtet:

Wenn man Ruth Cohn auf ihrem Lebensweg begleitet, begegnet man auch immer wieder wichtigen Stationen der deutschen und internationalen Geschichte. 1912 kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs in der deutschen Hauptstadt geboren, emigriert sie aufgrund ihrer jüdischen Abstammung schon 1933 nach Zürich und später bereits während des zweiten Weltkriegs nach Amerika. In den siebziger Jahren kehrt sie in die Schweiz zurück.

Im deutschsprachigen Raum findet ihr Konzept der TZI viele begeisterte Anhänger. An die Biographie schließt sich eine Darstellung der oben bereits angesprochenen Grundlagen der TZI an. Abschließen möchten wir unsere Arbeit mit Kritik an dieser Methode.

2 Biographie (Martina)

Ruth Charlotte Hirschfeld wird am 27.08.1912 in Berlin als Tochter des Bankiers Arthur Hirschfeld und der Pianistin Elisabeth Hirschfeld geboren. Beide Elternteile stammen aus alteingesessenen deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilien. Diese Abstammung wird den Lebenslauf Ruth C. Cohns stark prägen. Von 1918 an besucht sie die neusprachliche Oberschule und legt 1931 ihr Abitur ab. Bis zu diesem Zeitpunkt macht sie keine antisemitischen Erfahrungen. Ihre Offenheit für die Sorgen und Probleme anderer Menschen zeigen sich schon in der Kindheit und werden auch an ihrer späteren Wahl der Studienfächer deutlich:

„Ruth Cohn [war] von Kindheit an offen für die Sorgen und Not anderer und half beispielsweise in den Ferien in der ‚Zentralstelle für private Fürsorge’, wo sie das Elend der Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit und Armut miterlebte.“1

Nach dem Tod des Vaters am 4.1.1930 studiert sie zunächst bis 1933 in Berlin Nationalökonomie und Psychologie, emigriert dann nach Zürich. Hier studierte sie in den folgenden Jahren Psychologie im Hauptfach, vorklinische Medizin und Psychiatrie im Nebenfach; auch Pädagogik, Theologie, Literatur und Philosophie belegt sie. Ruth C. Cohn lässt sich in der Internationalen Gesellschaft für Psychoanalyse zur Psychoanalytikerin ausbilden. Die gesamte Studienzeit ist überschattet von den Auswirkungen des Nationalsozialismus in Deutschland. Erfahrungen und Erlebnisse dieser Zeit werden die TZI später mit ihrer humanistischen Ausrichtung prägen. 1938 heiratet sie Hans-Helmut Cohn, ebenfalls deutsch-jüdischer Abstammung und Student der Medizin. 1939/ 40 arbeitet sie als Psychologin im „Asyl“ Littenheim, sieht sich aber nach einem Jahr zur Auswanderung in die USA gezwungen. Dort macht sie 1941/42 in New York City eine Ausbildung in Early Childhood Progressive Education an der Bankstreet School, da ihr als Psychoanalytikerin das in den USA für therapeutische Arbeit erforderliche Medizinstudium fehlt. Von 1941 bis 1944 setzt sie ihre psychotherapeutische Studien fort und absolviert als Diplom-Psychologin. Nach der Scheidung 1946 von Hans-Helmut Cohn steht die Betreuung der Kinder für einige Jahre im Mittelpunkt: „Es war für sie auf Grund von Krankheit, psychischem Schmerz, finanziellen Schwierigkeiten und Überbelastung durch das Alleinerzieherinnen - Dasein eine harte Zeit, in der sie nicht durch Studium, sondern wie sie sagt, ‚vom Leben’ lernte“2. In den Jahren zwischen 1946 und1973 ist das Leben Ruth C. Cohns von unterschiedlichen Aspekten geprägt.

So hat sie von 1946 bis 1972 eine eigene psychotherapeutische Praxis in New York City. Während dieser Zeit beginnt sie trotz Widerstand, Fortbildungen für Psychologen anzubieten. Diese befassen sich mit den Gefühlen und Vorstellungen, den Übertragungen der Psychoanalytiker gegenüber ihren Patienten. Mit dem Thema der Gegenübertragung greift Ruth C. Cohn ein unter Psychoanalytikern bestehendes Tabuthema auf. In wöchentlichen Sitzungen trägt je ein Gruppenmitglied ein Problem aus seiner Praxis vor. Die anderen steuern Bemerkungen und Interpretationen bei. Diese Gespräche führen zu der Erkenntnis, dass die Anteilnahme am Leben des Anderen einer der zentralen Aspekte der Therapie ist. Diese neue Erkenntnis modifiziert sie für den pädagogischen und den politischen Bereich, indem sie Supervisionen für Leitungsteams anbietet. Die Methodik des Workshops wird zum Ausgangspunkt für Beiträge zur Entwicklung der Erlebnistherapie und der Themenzentrierten Interaktion. Während dieser Zeit entfremdet sie sich mehr und mehr von der klassischen Psychologie. Statt dessen wendet sie sich mit wachsendem Interesse der Erlebnistherapie zu. Hier findet sie vor allem an den Ideen von Elsa Gindler Gefallen. Diese vertritt einen neuen, ganzheitlichen Stil: „Körperbewußtsein in allen Situationen und bei allen Bewegungen wurde zur Grundlage und zur Methode der Gindler-Schule.“3

Zwischen 1949-1973 hilft sie beim Aufbau der NPAP (National Psychological Association for Psychoanalysis), die eine Gegenbewegung zum Psychoanalytischen Institut darstellt, in dem nur Mediziner zugelassen sind. Als sie 1951 ihre Ausbildung in Gruppentherapie nach drei Jahren beendet, gründet sie 1955 oben genannten Workshop zum Thema „Gegenübertragung“. Seit 1962 gehört sie zu den aktiven Mitgliedern der American Academy of Psychotherapy.

1965/66 rundet sie ihr Wissen mit einer Zusatzausbildung in Gestalttherapie bei Fritz Perls ab. 1966 findet die Gründung des „Workshop Institutes for Living-Learning“ (WILL) New York statt. Dies ist ein Institut für Ausbildung, Forschung und Praxis von TZI.

„Die TZI soll ihrem Verständnis nach eine Form von Gesellschaftstherapie sein, die gegen die Verdrängung ankämpft. [...] Immer wieder betont sie, dass wir Werte brauchen, die über den Einzelnen, über die Nation hinausgreifen, weil wir BewohnerInnen einer Welt und voneinander abhängig sind.“4 Zu dieser Erkenntnis gelangte sie durch die schmerzvollen Jahre der Angst und Entbehrung während des Krieges:

„Ich habe versucht, die jüdisch-christliche Botschaft von Versöhnung und Liebe als humanistische Wertvorstellungen in meiner Weise für unser Jahrhundert auszudrücken, und wünsche mir, daß TZI und anderes, was weiterführt, sie ins 21. Jahrhundert hineintragen wird.“5 Ruth C. Cohn lehrt TZI auf vielen Kongressen nun auch in Europa. Dies führt 1972 auf Grund von Zeitmangel zur Schließung der Privatpraxis in New York. Nach ihrer Rückkehr 1974 nach Europa, wird sie an der Ecole de l’ Humanité in der Schweiz angestellt, einem internationalen Internat für Kinder und Jugendliche. Ruth C. Cohn ist hier als Beraterin tätig und führt TZI ein. Sie verbreitet TZI in Deutschland und entwickelt es weiter. Zusätzlich finden Ausbildungs- und Fortbildungskurse in WILL statt. Ruth C. Cohn eröffnet eine private Praxis in Gestalt- und Erlebnistherapie und bietet auch Beratung und Supervision an. Für all diese Arbeiten werden ihr 1979 die Ehrendoktorwürde (Dr. Phil. h. c.) der Psychologischen Fakultät der Universität Hamburg und 1994 die des Institutes für Psychologie der philosophisch-historischen Fakultät Bern verliehen. 1986 wird durch Zusammenführung regionaler und nationaler WILL- Vereine WILL- International gegründet. Ruth C. Cohn erhält 1992 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.

In letzter Zeit hat sich Ruth Cohn, die auch heute noch in der Schweiz lebt, sehr bewusst und auch öffentlich mit der Angst vor dem Altwerden auseinandergesetzt. Die Art, wie sie auch mit diesem schwierigen Thema umgeht, ist charakteristisch für ihr Leben, das sie der Lehre von Authentizität gewidmet hat. So sagt sie in einem Interview:

„Man spricht immer von Wachsen, man spricht nie vom Verwelken. Das ist sehr schwer, vor allem wenn man merkt, daß es gut ist. Ich weiß, daß ich verschiedenes (sic!) nicht mehr kann. Was tue ich damit? Wie lebe ich damit? Was es auch immer sein mag: weniger hören, weniger sehen, weniger Freunde haben, weniger nützlich sein. Und den Sinn gerade im ‚weniger haben’ sehen.“6 Ruth C. Cohn, die ursprünglich einmal Lyrikerin werden wollte, hat zu diesem Thema ein weiteres Gedicht verfasst.

Mit diesem möchten wir die Biographie einer bedeutenden Pädagogin und Psychotherapeutin mit dem starken Gespür für das Fühlen und Denken der Menschen abschließen:

Windgeweihte alte Seele Frühlingsumweht

Verblasst sie, verglüht.

3 Grundlagen der Themenzentrierten Interaktion

3.1 Allgemeines (Tanja)

Ein Buch, das sich mit der Themenzentrierten Interaktion auseinandersetzt, stammt von Barbara Langmaack und nennt sich: „Themenzentrierte Interaktion, Einführende Texte rund ums Dreieck“7. Prägnanter läßt sich die wirkliche Grundlage der Themenzentrierten Interaktion nicht auf einen Punkt bringen, dies wird sich im Laufe unserer Ausführungen zeigen. Doch bevor wir uns mit den Grundlagen dieser Methode beschäftigen, soll erst die Frage geklärt werden, was Themenzentrierte Interaktion überhaupt ist.

Themenzentrierte Interaktion ist eine sehr praxisorientierte Methode, die dazu dienen soll, Themen und Aufgaben ins Zentrum der beteiligten Personen zu stellen, um sie dann gemeinsam zu bearbeiten. Bei diesem Konzept werden individuelle, zwischenmenschliche und sachliche Aspekte zu einer pädagogischen Einheit verbunden.8 Entwickelt hat sich die TZI aus der gruppentherapeutischen Methode. Dazu sagt Ruth Cohn:

“Ich war als Therapeutin seit vielen Jahren an der Ausübung und am Vergleich dieser Therapien interessiert und beteiligt, hatte aber immer den Wunsch, Methoden zu finden, um das, was wir vom Menschen in der Gruppentherapie gelernt hatten, über die Patienten hinaus weiteren Kreisen zugute kommen zu lassen - besonders dem Erziehungswesen.“9 Und weiter: “TZI war für mich von Anfang an der Ausdruck einer Idee, dass es doch so etwas geben müsse, was wir mitten im Grauen der Welt tun könnten - ihm etwas entgegenzusetzen, kleine Schritte, kleine winzige Richtungsänderungen “10

Themenzentrierte Interaktion ist ein Konzept des lebendigen Lernens, in der davon ausgegangen wird, dass Erleben und Begrifflichkeit eine Einheit bilden - Emotion und Intellekt sind beide Teile des Menschen und müssen gerade in einem gemeinsamen Lernprozess gelebt werden, sonst ist dieser nicht von Erfolg gekrönt. Dies impliziert auch, dass Lernen immer ganzheitliches Lernen sein muss. Lebendiges Lernen muss auch Hemmnisse und Störungen mit einbeziehen. Wie man diese erkennt und mit ihnen umzugehen lernt, ist auch Teil des lebendigen Lernens und somit auch der Themenzentrierten Interaktion.

TZI ist somit keine Tiefen- sondern eine Breitentherapie, sie will wachstumsfördernd und heilend auf den einzelnen, aber auch auf Gruppen und die ganze Gesellschaft wirken. Sie dient also nicht zur Behandlung von grundlegenden psychischen Störungen. Wie bereits erwähnt steht im Mittelpunkt der Themenzentrierten Interaktion ganzheitliches Lernen. Dies bedeutet in der Praxis, dass es kein spezielles Anwendungsgebiet gibt. Das Leben an sich, mit all seinen speziellen Gegebenheiten, in seiner ganzen Vielfalt und besonders mit all seinen „Störungen“ und Widernissen, ist das Anwendungsgebiet der TZI. Nach Ruth Cohn muß das soziale und kreative Potential des einzelnen und der ganzen Gesellschaft gestärkt werden, Zentral innerhalb des TZI-Konzept ist ebenfalls der Kompass eines humaneren Lebens. Dies zeigt die Richtung an, in der sich Themenzentrierte Interaktion verstanden wissen will und weist gleichzeitig auf den Ursprung der Methode hin: die humanistische Psychologie.11 In den letzten zwanzig Jahren12 erlebte die TZI in ihrer Anwendung einen wahren Boom im deutschsprachigen Raum und nahm innerhalb der Gruppenarbeitsverfahren auf dem Gebiet der Humanistischen Psychologie einen bedeutenden Rang ein. Das zentrale Anliegen der TZI sowohl gesellschaftspolitisch, als auch gesellschaftstherapeutisch wirksam zu sein, unterscheidet diese Methode von allen anderen Verfahren der Humanistischen Psychologie und Pädagogik.

Hier liegt die große Chance der TZI. Ihre Praxisnähe und Weltzugewandtheit implizieren große Möglichkeiten, verändernd in einen gesellschaftlichen Prozess einzugreifen, der von rein materialistischen und zerstörerischen Kräften beherrscht wird.13

3.2 Das Strukturmodell der Themenzentrierten Interaktion: Das Dreieck in der Kugel (Tanja)

Wer sich in seinem Leben irgendwann einmal beruflich oder privat mit TZI auseinandersetzt, dem wird in jedem Fall eines in Erinnerung bleiben: Das Dreieck. Es gilt als Kernstück der Themenzentrierten Interaktion. An den Eckpunkten des Dreieckes stehen:

- das Ich
- das Wir
- das Thema

Umgeben wird das Dreieck (der Gruppe und ihrem Thema) von der Umwelt, dem Globe.14 Ruth Cohn erzählt, wie sie im Traum ihrem Dreieck begegnet:

„Eines Nachts träumte ich von einer gleichseitigen Pyramide. Im Aufwachen wurde mir klar, dass ich die Grundlage meiner Arbeit erträumt hatte. Die gleichseitige Traumpyramide bedeutete mir: Vier Punkte bestimmen meine Gruppenarbeit.“15 Da sich eine Pyramide nicht so leicht zeichnerisch darstellen lässt, wandelte Ruth Cohn diese in ein Dreieck mit einem es umgebenden Kreis um. Was die vier Faktoren im einzelnen sind und in welchem Zusammenhang sie miteinander stehen, soll im Folgendem geklärt werden.

3.2.1 Das „ICH“

Wenn ich anderen Menschen begegnet wäre, dann wäre ich ein anderer geworden. Hätte ich andere Bücher gelesen, würde ich anders denken. (...) Wäre ich auf andere Fragen gestoßen, würde ich andere Antworten geben.

Von welchen Voraussetzungen bin ich abhängig? Welche Fäden halten mich am Leben? (...)16 Niemand kann so denken, so fühlen, so empfinden, wie ich selbst. Nur ich selbst habe ein Bewusstsein für die Vorgänge in mir. Je mehr ich lerne, mit mir und meiner inneren Welt zu leben und dadurch meine Einzigartigkeit und Eigenständigkeit, aber auch meine Abhängigkeit von meinen Mitmenschen und den Geschehnissen in der Welt, erkenne, desto leichter wird es mir fallen, mich nach außen zu richten und den anderen ebenso als Individuum anzuerkennen. So werde ich eine Ahnung von der Vielfalt der inneren Strömungen und Motivationen bekommen.17 „Wir sind wie Inseln, verwurzelt im Grunde des Ozeans, uns treffend in der Weite des Himmels. Ich bin nur ich, weil ich auch Wir-Anteil bin: Wir-Anteil meiner Eltern, meiner Nächsten, Wir-Anteil des Universums (...)“18

Allerdings bleibt hier noch anzumerken, dass die Ich-Identität keine feste Konstante ist, die man irgendwann einmal erlangt. Das Ich befindet sich immer in einem Entwicklungsprozess, oft wird eine solche Entwicklung durch äußere Einflüsse ausgelöst.19 Harmonisch ist diese Ich-Identität immer dann, wenn Werte, Handlungen und Ziele einer Person miteinander in Einklang stehen, zur Individuation derselben beitragen, und somit zu einer positiven bzw. angepassten Sicht von sich selbst (dem Selbstkonzept) führen.20 Zudem müssen aber die freien Entwicklungsmöglichkeiten des Ich eingeschränkt werden. Der berühmte Satz von Rousseau „Jeder Mensch ist ein Original“ wird von Barbara Langmaack umgewandelt in: “Jeder Mensch hat grundsätzlich die Möglichkeit, originale Identität zu entwickeln, aus dem, was er auf den Schultern seiner Vorfahren und im Verbund mit seinen Schwestern und Brüdern aus sich werden lässt.“21 Hieraus wird ersichtlich, dass sich nicht nur innerhalb des Dreiecks Abhängigkeiten ergeben, sondern, dass auch die Faktoren in sich selbst Abhängigkeiten beinhalten können.

Zusammengefasst setzt sich Ich-Sein zusammen aus:

- dem ICH
- der ICH-Identität
- der Individuation
- dem Selbstkonzept22

3.2.2 Das „WIR“

Jeder Mensch ist untrennbar verbunden mit der Logik des menschlichen Zusammenlebens.23

Das Wir entsteht durch eine Gruppe von Ichs, die miteinander in Interaktion treten. Die dabei entstehende Gestalt ist mehr als die Summe seiner Teile. Das Wir ist eine bestimmte Anzahl von Personen, die sich zur gleichen Zeit am gleichen Ort befinden und sich mit dem gleichen Thema beschäftigen. Durch dieses gemeinsame Thema kann das Wir auch über Zeit und Raum hinaus Bestand haben. Zentral für die Gruppe ist, dass sich der Einzelne durch seine Individualität in den Prozess einbringt. Damit bleibt die Verantwortung bei den Individuen selbst, dazu kommt eine partielle Verantwortung für die Gruppe.24

Der Mensch ist immer in sozialen Beziehungen, auch wenn er gerade allein ist oder sich einsam fühlt. Diese Zugehörigkeit zu einem Wir (bzw. zu vielen Wirs) kann sogar als Voraussetzung für all unser Denken und Handeln betrachtet werden. Hier noch einmal zusammenfassend: Wie profitiert das Ich nun im speziellen von der Existenz des Wir?

- Motivation zu Tätigkeit und Produktivität
- Zugehörigkeitsgefühl, soziale Sicherheit
- Möglichkeit zu Mitbestimmung und Mitverantwortung
- Diskurs25

3.2.3 Das „Es“

Das Thema der Gruppe wird von Ruth Cohn als Es umschrieben. Für den Erfolg der Gruppenarbeit ist es ideal, wenn das Es von allen getragen wird, wenn es zentrale Bedeutung für alle Teilnehmer, ja oben schon beschrieben besitzt. Hiermit ist allerdings noch keinerlei Bestimmung über die Lebensförderlichkeit des Themas, über seine humanistische Bedeutung getroffen worden. Dies muss26 “durch Realitäts- und Wertbestimmung beurteilt werden.“27 Fällt diese Bestimmung negativ aus, kann selbst bei optimaler Arbeitssituation die gemeinsame Bearbeitung des Es lebensschädliche Folgen haben und somit dem angestrebten Ziel der TZI widersprechen.28

3.2.4 Der „Globe“

Alles was sich außerhalb von Ich, Wir und Es, also außerhalb der Gruppe und ihres Themas bewegt, wird innerhalb der TZI als Globe umschrieben. Obwohl sich dieser Globe außerhalb der Gruppe befindet, ist er doch aktiv wirksam und umgibt die Dreiecksbeziehung der Faktoren Ich, Wir, Es wie ein Kreis. Dieser Kreis umfasst alle Menschen und Ereignisse, die nicht direkt der Gruppe angehören, beziehungsweise die nicht von der Gruppe als Thema gewählt wurden. Im weiteren Sinn gehört zum Globe die ganze Welt mit all ihren geschichtlichen Prozessen und real existierenden oder bereits verstorbenen Bewohnern.29 “Der Globe weitet sich zum Kosmos aus; denn alles hängt mit allem zusammen, wann und wo es auch geschah, geschieht und geschehen wird.(...) Wir müssen uns mit den Einwirkungen des Globe beschäftigen. (..) Wer den Globe nicht kennt, den frisst er.“30

3.2.5 Die Gleichgewichtshypothese

Die Gleichgewichtshypothese besagt, dass die Faktoren des Dreiecks Ich, Wir, Es und auch dem Globe in einem dynamischen Gleichgewicht zueinander stehen sollten. Eine besondere Betonung liegt hier auf dynamisch. Es ist eine Balance anzustreben, dennoch wird je nach Situation eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung erfolgen. Statisches Gleichgewicht würde den Prinzipien des humanistischen Denkens widersprechen und so im Kontrast zu einer ganzheitlichen und lebensförderlichen Methode stehen.

Somit ist das Ich so wichtig wie das Wir, das Wir ist so wichtig wie das Es und das Es ist so wichtig, wie die uns umgebende Umwelt, der Globe. Somit hängt alles mit allem zusammen und allem gebührt die gleiche Aufmerksamkeit. Allerdings ergeben sich hierbei auch je nach aktueller Situation Verschiebungen, die aber ganz im Sinne der TZI sind.31 Ruth Cohn sagt hierzu: “Je mehr wir unsere menschlichen und sachlichen Abhängigkeiten voneinander, unsere Interdependenzen verstehen und zugleich unsere eigenständigen Möglichkeiten und unsere Verantwortung im Zusammenleben bejahen, umso realitätsgerechter und befriedigender sind persönliches und gesellschaftliches Leben.“32

3.2.6 Das Eisbergmodell

Im Eisbergmodell wird die Bedeutung des Dreiecks und seiner Gleichgewichtsfunktion besonders anschaulich dargestellt. Wie allgemein bekannt ist, ist von der Gesamtmasse des Eisbergs nur ein Siebtel zu sehen, alles andere liegt in den Tiefen des Eismeeres verborgen und entzieht sich unserer direkten Sicht. Dennoch, das Wissen um die Existenz dieser großen Menge Eis unter dem Wasser ist uns gegeben, wir müssen uns dies aber immer wieder vergegenwärtigen. Hier finden sich deutliche Parallelen zu menschlichen Beziehungen. Diese spielen sich immer auf mehreren Ebenen gleichzeitig ab. Die erste Ebene ist die Ebene der sachlogischen Zusammenhänge, wie beispielsweise gemeinsame Themen, Interessenbereiche, die Erledigung eines Arbeitsauftrags oder organisatorische Dinge. Kennzeichnend für alle Zusammenhänge auf dieser Ebene ist, dass sie sich ohne Probleme in Worte fassen lassen. Sie ist die sichtbare Ebene. Um wieder auf den Vergleich zurückzugreifen, das obere Siebtel des Eisbergs. Unter dieser Ebene der Sachlogik siedelt sich die psychosoziale Ebene an, mit all ihren psychologischen und psychosozialen

Zusammenhängen. Diese lassen sich zu einem kleinen Teil auch recht gut versprachlichen, meist ist dies aber mit großen Schwierigkeiten verbunden, wenn nicht sogar für das Individuum unmöglich.

Was befindet sich nun aber unter der Wasseroberfläche? Aus welchen Elementen bestehen die 6/7 des Eisbergs? Hier geht es um Freude oder Ärger, um Sympathie oder Antipathie, um Wunsch nach Lob, um den Status, Tabus, Ängste und Wünsche finden sich hier, Misstrauen und Zuversicht. Auf dieser unsichtbaren, emotionalen, aber doch umso wirksameren und anteilmäßig auch wesentlich stärkeren Ebene baut die Ebene der Sachlogik auf. Es besteht eine starke Beziehung zwischen diesen beiden Ebenen. Die Psychosoziale Ebene drängt auf ständige Beachtung. Vernachlässigt man diese, kann die auf der Sachebene gestellte Aufgabe meist nur unzureichend bearbeitet werden.

Dies hat seine Ursache in einer hohen Konzentration an Energien, die sich in der zweiten Ebene finden. Nutzt man diese positiv, das heißt, geben wir ihr den ihr zustehenden Raum, werden die Energien frei, die man zur Bewältigung der Aufgabe nutzen kann. Werden negative Gefühle (Eifersucht, Antipathie...) einfach ignoriert, bedeutet dies nicht, das sie nicht weiterhin in unserem Gefühlsleben, aber auch in unseren Handlungen auf der Sachebene eine zentrale Rolle spielen. Im Gegenteil, durch das mehr oder weniger bewusste Ignorieren („nun bleiben Sie doch bei der Sache“), wurde diesem Gefühl eine noch weit zentralere Rolle gegeben, als dies bei einer Beachtung der psychosozialen Ebene der Fall gewesen wäre (weitere Ausführungen zu dieser Problematik finden sich unter dem ersten Postulat von Ruth Cohn: „Störungen haben Vorrang „).Übertragen auf das Dreieck bedeutet dies folgendes:

Das obere Siebtel stellt das Thema dar. Die beiden unteren Ecken, der Hauptteil des Dreiecks mit den beiden Faktoren Ich und Wir, liegen im Wasser. Sie gehören nach Ruth Cohn also zur psychosozialen Ebene. Hier finden die Beziehungen und alle dazu gehörigen Emotionen zwischen dem Individuum und der Gruppe statt. Der Globe ist das Wasser, in dem das Dreieck beziehungsweise der Eisberg schwimmt. Es ermöglicht erst die Existenz derselben und nährt sie.33

3.3 Die Axiome (Tanja)

Ruth Cohn formuliert niemals explizit eine systematische Anthropologie, doch wer ihre Wurzeln in der humanistischen Psychologie kennt, ihr „Dreieck“ entsprechend zu deuten weiss und insbesondere die nun folgenden methodischen Überlegungen in Form von Axiomen und Postulaten kennt, der dürfte keine großen Mühen haben, ein solches zu formulieren. Beginnen möchten wir mit der Vorstellung der Axiome, die nach Ruth Cohn der Boden sind, auf dem die TZI-Methode verstanden werden kann.34 Ihrer Ansicht nach sind diese „die unabdingbare Voraussetzung für ein Konzept humanen, therapeutischen und pädagogischen Handelns“35

1.Axiom: Das existentiell-anthropologische Axiom:

„Der Mensch ist eine psycho-biologische Einheit und ein Teil des Universums. Er ist darum gleicherweise autonom und interdependent. Die Autonomie des Einzelnen ist umso größer, je mehr er sich seiner Interdependenz mit allen und allem bewusst wird.“36

Zudem gibt das Folgende als Ergänzung dieses Axioms:

„Menschliche Erfahrung, Verhalten und Kommunikation unterliegen interaktionellen und universellen Gesetzen. Geschehnisse sind keine isolierten Begebenheiten, sondern bedingen einander in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“37

In diesem ersten Axiom werden die Grundelemente der Anthropologie Ruth Cohns deutlich. Die zentrale existentielle Frage des Menschen: „Was ist der Mensch, wer bin ich?“ führt das Individuum von der Suche nach sich und dem Sinn des Lebens, über seine nähere Umgebung und Mitmenschen zu dem großen Ganzen. Um in der Terminologie von Cohn zu bleiben: das Ich geht von sich aus, fragt weiter und findet die Antwort im Globe. Denn er kann nicht sinnvoll nach sich fragen, ohne alle Aspekte des Dreiecks und den es umgebenden Globe mit einzubeziehen. Hiermit wäre der erste Abschnitt des Axioms: “der Mensch ist eine psychobiologische Einheit und ein Teil des Universums“, besprochen. Der Satz: “Er ist darum gleicherweise autonom und interdependent“ und daraus sich ableitend: „Die Autonomie des Einzelnen ist umso größer, je mehr er sich seiner Interdependenz mit allen und allem bewusst wird“ kann auch wieder nur auf der Basis des Dreiecks und seinen wechselseitig verknüpften Abhängigkeiten verstanden werden. Der Mensch ist ein Individuum, unverwechselbar und einzigartig und dennoch untrennbar verbunden mit seiner näheren und weiteren Umwelt. Die Konsequenz, die im letzten Abschnitt dieses Axioms formuliert wird, ist nur die natürliche Weiterentwicklung beziehungsweise eine Entsprechung dessen, was wir bereits unter der Überschrift 3.2.1. das „ICH“, diskutiert haben.

Die Forderung dieses Axioms, sich der Abhängigkeiten bewusst zu werden, die er mit allen und allem hat, um damit seine Autonomie zu stärken, erscheint zunächst paradox.. Bei weiterer Betrachtung erschließt sich allerdings ein ganz neuer Horizont.38 Von Ruth Cohn und Paul Matzdorf wird dieses „Paradoxon“ folgendermaßen beschrieben: “Interdependenz bedeutet also sowohl ein äußeres soziales und universales Eingebundensein als auch ein konstitutives Moment des Bewusstseins unserer Selbst, der Subjektivität. Darin liegt der tiefere Grund für die mit diesem Axiom ausgesprochene These, dass im Erweitern des Bewusstwerdens der Interdependenz ein Zuwachs an Autonomie ermöglicht wird und wir im Bewusstwerden unserer Autonomie unsere personale und soziale Lebensgestaltung erweitern können.“39

Des weiteren sind diese Abhängigkeiten auch nicht nur auf die Gegenwart zu beziehen, sondern haben eine überzeitliche Dimension und bedingen einander in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Mit der Aussage „Ich bin“ kann ich mir auch immer wieder darüber bewusst werden, wer ich gewesen bin und wer ich einmal sein könnte oder möchte. Ruth Cohn setzt sich ganz energisch gegen eine Zentralstellung des Hier-und-Jetzt ein. Auch Maslow setzt sich für die Einbeziehung aller Zeitdimensionen ein, da der Mensch seiner Meinung nach nur auf das Konkrete in der Gegenwart reduziert und verwiesen wird. Diese ist von Hoffnungslosigkeit und Leere geprägt und hat nichts von einem Leben voller Idealen, Hoffnungen, unrealisierten Möglichkeiten , wie es ein Leben mit der Vergegenwärtigung von Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit verspricht.40

2.Axiom: das philosophisch-ethische Axiom:

„Ehrfurcht gebührt allem Lebendigen und seinem Wachstum. Respekt vor dem Wachstum bedingt bewertende Entscheidungen. Das Humane ist wertvoll; Inhumanes ist wertbedrohend“41

Dieses Axiom bedarf keiner ausführlichen Erläuterungen. Dies nimmt ihm allerdings nichts von seiner wichtigen Bedeutung innerhalb der Themenzentrierten Interaktion. Der Wert des Lebens wird an allererste Stelle gesetzt, ein Vergleich mit den Menschenrechten drängt sich fast auf. Allerdings stellt sich die Frage, was Ruth Cohn unter „Gut“ und „Böse“, beziehungsweise unter „Human“ und „Inhuman“ versteht. Die Begründerin der TZI geht von einer Art Wertesinn aus, der angeboren und organisch ist. Dieser kann, wie alle anderen Sinne auch, gefördert werden und wachsen, aber auch verkümmern. Bei positiver Stimulierung kann sich dieser Sinn in der Interaktion mit der Umwelt ausbilden und somit auch das Gewissen mit Energien füllen. Wichtig für das Wachstum dieses Sinns ist wiederum eines der Grundelemente der TZI: die Ganzheitlichkeit. Eine rein sprachliche Vermittlung kann ethische Grundsätze nicht im Individuum verankern.42

3.Axiom: das pragmatisch-politische Axiom:

„Freie Entscheidung geschieht innerhalb bedingender innerer und äußerer Grenzen. Erweiterung dieser Grenzen ist möglich. Unser Maß an Freiheit ist, wenn wir gesund, intelligent, materiell gesichert und geistig gereift sind, größer, als wenn wir krank, beschränkt oder arm sind und unter Gewalt und mangelnder Reife leiden. Bewusstsein unserer universellen Interdependenz ist die Grundlage humaner Verantwortung.“43

In diesem letzten, dem dritten Axiom sind die pragmatisch-politischen, beziehungsweise die demokratisch-politischen Aspekte der TZI zusammengefasst. Auch hier werden wir wiederum an die Menschenrechte erinnert.

„Menschliche Existenz steht unter dem anthropologischen Paradox der „Freiheit in Bedingtheit“. In jeder existentiellen, konkreten und aktuellen Situation sind diese inneren und äußeren Grenzen wirksam, entscheidend ist, dass sie veränderbar sind.“44

In diesem Zitat von Ruth Cohn wird deutlich, in welche Richtung dieses Axiom zielt. Fühlt man sich beim ersten Lesen vielleicht nicht direkt angesprochen, da man sich in einem freien Land unter freien Bürgern, in gesicherten Verhältnissen und körperlich und geistig gesund wähnt, so tritt durch diese zusätzliche Erklärung ein ganz neuer Aspekt ins Bewusstsein des Individuums: Jeder Mensch steht unter diesem Paradox. „Freiheit in Bedingtheit“, jeder Mensch ist von inneren und äußeren Grenzen umgeben. Diese Grenzen unterliegen Wandlungen, durch Veränderungen im persönlichen oder auch im politischen Bereich. Ruth Cohn spricht aber nicht nur von Grenzen, sondern auch von Freiheit. Diese Freiheit ist dem Menschen gegeben und auch die damit verbundene Verantwortung. Dies ist eine Tatsache, mit der sich das Individuum auseinandersetzen muss, was einen Bewusstwerdungsprozess verlangt. Sieht der Mensch die oben genannten Grenzen als starr an, kommt es zu Störungen, dann empfindet sich der Mensch als Opfer des Schicksals, der Umstände und verfällt in Flucht oder Fatalismus. Die Grenzen und die Freiheit des Menschen, den Ausdruck gibt es nicht müssen immer wieder als Herausforderung und Chance begriffen werden. Die menschliche Entscheidungsfähigkeit kann immer weiter ausgeweitet werden und somit auf die Gesellschaft wirken. Warum und wie wirkt sich die Ausweitung auf die Gesellschaft aus?

Nur dieser Bewusstwerdungsprozess kann eine Veränderung der Grenzen, seien sie innerlich oder äußerlich, zur Folge haben und Resignation oder Flucht verhindern. Dabei muss zunächst im Kleinen gedacht werden, aber in vielen kleinen Schritten kann vieles erreicht werden, was zunächst unmöglich erscheint. Hierbei darf nie die Perspektive des übergeordneten Ganzen aus den Augen verloren werden. Dennoch, die Grenzen sollen weiter gesteckt und nicht aufgelöst werden. Die Wirklichkeit darf nicht ignoriert werden. und dem Individuum sind nicht unendliche Einflussmöglichkeiten gegeben. Dies gilt für den Einsatz der TZI im Unterricht oder in der Gruppenarbeit genauso wie beispielsweise im politischen Bereich. Kleine Schritte, den Mut zur Möglichkeit behalten und nicht resignieren ist letztlich eine Devise des Axioms.45

3.4 Die Postulate (Tanja)

Das erste von Ruth Cohn formulierte Postulat lautet:

„Sei dein eigener Chairman/deine eigene Chairwoman, sei die Chairperson deiner selbst.“

Dies bedeutet:

„Sei dir deiner inneren Gegebenheiten und deiner Umwelt bewusst. Nimm jede Situation als Angebot für deine Entscheidungen. Nimm und gib, wie du es verantwortlich für dich und andere willst“46

Dieses Postulat stellt wiederum die Wahrnehmung des Ich in all seiner Vielfalt, mit all seinen Emotionen, körperlichen Empfindungen, mit seinen bunten Phantasien und anderem mehr, was seine Identität und Einzigartigkeit auszeichnet, in den Vordergrund. Aber - es wäre kein Teil der TZI, wenn nicht wiederum die Interdependenz mit den anderen Faktoren des Dreiecks und des Globe zu entdecken wäre. Auf der einen Seite wird hier das Individuum dazu aufgefordert, sich selbst zu akzeptieren und in vollem Bewusstsein Entscheidungen zu treffen und mit der daraus resultierenden Verantwortung zu leben. Auf der anderen Seite sind das Du und das Wir impliziert. Wenn ich mich selbst leite, gebe ich meinen Mitmenschen die 70 70Möglichkeit, sich selbst zu leiten. Mit diesem Postulat wird der Mensch in seinem ganzen Sein, in seiner Ganzheitlichkeit anerkannt und bestärkt. Es wird aber auch die Basis für Gemeinschaft geschaffen, auf der die Individuen in einen echten Dialog miteinander treten können. Nach Ruth Cohn impliziert diese Gemeinschaftlichkeit die politische Basis, auf der persönliche und gesellschaftliche Therapie stattfinden kann.47

Das zweite Postulat formuliert sie folgendermaßen:

„Beachte Hindernisse auf deinem Weg, deine eigenen und die von anderen. Störungen und Betroffenheiten haben Vorrang; ohne ihre Lösung wird Wachstum verhindert oder erschwert“

Dieses Postulat ruft heftige Diskussionen hervor. Scheint es doch selbst eine Störung zu sein und die Autorität des Gruppenleiters/Lehrers zu untergraben und damit Chaos zu fördern. Ruth Cohn geht davon aus, dass lebendiges Lernen nur dann geschehen kann, wenn es nicht durch innere und äußere Widerstände behindert wird. Aus diesem Grund müssen Störungen so bald sie auftreten Beachtung finden, bearbeitet werden, auf dass dann wieder Lernen möglich wird. Unter Störungen können in der TZI beispielsweise alle inneren emotionalen Vorgänge (Schmerz, Trauer, Freude, Frustration...), aber auch ganz banale äußere Gegebenheiten, wie zum Beispiel drückende Hitze im Raum oder laute Musik, sein. Störungen verweisen auf die Realität, zeigen die Bedürfnisse des einzelnen, aber auch der Gruppe. Eine Gruppe ist auch immer ein Spiegel der Gesellschaft, wobei sich wieder die Interdependenzen von Ich, Wir, Es und dem Globe zeigen. Dieses zweite Postulat soll das gefangene Potential des Einzelnen und der Gruppe freisetzen und somit über einen Bewusstwerdungsprozess (Aufdeckung der Hemmnisse) lebendiges Lernen wieder ermöglichen.48

3.5 Die Hilfsregeln (Tanja)

Die praktische Umsetzung der TZI wird durch die sogenannten Hilfsregeln unterstützt. Sie sind nützlich, dürfen aber nicht absolut gesetzt werden. Dies wäre ein Missbrauch und würde dem Geist der TZI widersprechen.

1. Vertritt dich selbst in deinen Aussagen; sprich per „Ich“ und nicht per „Wir“ oder per „Man“.

Begründung: Mit allgemeinen Wendungen übernimmt der Sprechende nicht die volle Verantwortung für das von ihm Gesagte, für den Inhalt seiner Aussage. Mit dieser Hilfsregel kann das Ich lernen, verantwortlich für sich zu sprechen, Projektionen zu vermeiden und sich somit nicht hinter einer meist fiktiven öffentlichen Meinung zu verstecken.

2. Wenn Du eine Frage stellst, sage, warum du fragst und was deine Frage für dich bedeutet. Sage dich selbst aus und vermeide das Interview. Begründung: Eine echte Frage entsteht aus dem Wunsch nach mehr Verständnis, oder zur Weiterführung eines Prozess. Ist dies nicht der Fall handelt es sich um eine unechte Frage. Ist dem Befragten nicht bewusst, dass es sich um eine unechte Frage handelt, wird diese mit einer Ernsthaftigkeit beantwortet, die dieser in keinem Fall angemessen ist. Somit werden Energien abgezogen, die weitaus konstruktiver für die Antwort auf echte Fragen hätte Verwendung finden können. Ist dies dem Befragten allerdings bewusst, so folgt auf eine unechte Frage eine unechte Antwort und so entsteht statt einem Dialog ein Interview, der keine hilfreiche Form des Gesprächs darstellt.

3. Sei authentisch und selektiv in deinen Kommunikationen. Mache dir bewusst, was du denkst und fühlst, und wähle, was du sagst und tust. Begründung: Persönliche Aussagen oder Handlungen sollten nicht auf Grund eines allgemeinen „du sollst“ geschehen, sondern in Folge von Reflektion und auf der Basis von Überzeugungen. Sonst übernimmt das Individuum keinerlei Verantwortung für sein eigenes Tun, lässt sich instrumentalisieren wie eine Marionette. Persönliche Aussagen sollten allerdings auch nicht rein impulsiv und ungefiltert geschehen. Dies ermöglicht Verständnis und Vertrauen des anderen, gibt die Chance für Wachstum um so zu einer „Kommunikation ohne Filter“ zu gelangen, die von Kooperation und Produktivität geprägt ist.

4. Halte dich mit Interpretationen von anderen so lange wie möglich zurück. Sprich statt dessen deine persönlichen Reaktionen aus.

Begründung: Interpretationen des anderen zur falschen Zeit lösen Abwehr aus und wirken dem Prozess entgegen. Persönliche Reaktionen, die den anderen nicht interpretieren, „sein Verhalten nicht zementieren, können hingegen zu spontaner Interaktion führen („ich würde auch gern etwas dazu sagen“ statt „du lässt mich nie zu Wort kommen“).

5. Sei zurückhaltend in Verallgemeinerungen

Begründung: Verallgemeinerungen wirken sich negativ auf den Gruppenprozess aus. Deshalb sollten sie vermieden werden.

6. Wenn du etwas über das Benehmen oder die Charakteristik eines anderen Teilnehmers aussagst, sage auch, was es dir bedeutet, dass er so ist, wie er ist (d.h. wie du ihn siehst)

Begründung: Wie ich eine andere Person wahrnehme, ist meine subjektive Ansicht. Ich kann dies dem anderen mitteilen, allerdings kann ich auf Grund dieser Subjektivität diese meine Ansicht nicht als allgemein gültige Wahrheit darstellen. Wenn ich hinzufüge, worauf meine Wahrnehmung gründet und was dies für mich bedeutet, so ist die Basis für eine echte Kommunikation geschaffen. („Ich bin der Meinung, du kannst sehr schnell arbeiten, das gefällt mir, da es die Kooperation mit dir sehr angenehm macht“ statt „du arbeitest immer so schnell“).

7. Seitengespräche haben Vorrang. Sie stören und sind meist wichtig. Sie würden nicht geschehen, wenn sie nicht wichtig wären („Vielleicht wollt ihr uns erzählen, was ihr miteinander sprecht?“).

Begründung: Wenn ein Gesprächsteilnehmer sich innerhalb des Gruppenprozesses leise Worte an seinen Nachbarn richtet, trifft er hier meist eine wichtige Aussage, die sich positiv auf den Prozess auswirken könnte. Er traut sich oft aber nicht, dies öffentlich zu tun, hier kann ihm eine Aufforderung, die persönliche Beachtung dazu verhelfen, seinen Beitrag vor der Gruppe vorzutragen. Ein weiterer möglicher Grund für Seitengespräche ist die Bitte um Hilfe, da das Individuum beispielsweise einen Zusammenhang nicht verstanden hat. Auch hier kann sich eine Frage vor der Gruppe positiv auswirken, da andere Teilnehmer oft auch dankbar für eine weitere Erklärung sind. Wichtig ist, dass diese Regel immer nur als Aufforderung, niemals als Zwang aufgefasst wird.

8. Nur einer zur gleichen Zeit bitte.

Begründung: Nur eine Aussage kann zur gleichen Zeit wirklich effektiv aufgenommen werden, deshalb müssen die Aussagen nacheinander und dürfen nicht gleichzeitig erfolgen.

9. Wenn mehr als einer gleichzeitig sprechen will, verständigt euch in Stichworten, über was ihr zu sprechen beabsichtigt.

Begründung: Ein kurzer Vorabtausch darüber, welche Anliegen im Raum stehen, fördert die Konzentration der Gruppe und somit die Effektivität des Gruppenprozesses. Nach dem Abtausch kann darüber diskutiert werden, in welcher Reihenfolge über die unterschiedlichen Anliegen gesprochen werden soll. Der Vorteil dieser Regel liegt in ihrem demokratischen Moment. Jeder findet mit seinem Gesprächsbeitrag Beachtung, es herrscht keine einseitige Bevorteilung der dominanteren Personen in der Gruppe. Grundsätzlich erhalten alle Teilnehmer einen Überblick über die Vielfalt der Gesprächsfäden. Es gilt, diese in die Kommunikation einzuflechten.49

3.6 Das TZI - Haus (Martina)

4 Kritik (Martina)

Um der Themenzentrierten Interaktion gerecht zu werden, ist es wichtig, auch eine kritische Auseinandersetzung zuzulassen. Denn zu leicht lassen sich Menschen von den zunächst offensichtlichen Vorteilen blenden und vergessen dabei, sich ihre Objektivität zu bewahren. Hartmut Raguse, der zunächst von den Ideen der TZI begeistert war und der in der kritischen Literatur oft zitiert wird, geht in seinem Beitrag „Kritische Bestandsaufnahme“ auf mehrere Problembereiche ein. In seinem Beitrag betont er drei Kritikpunkte:

„Erstens das verbreitete Vorurteil gegenüber der ‚verkopften’ Psychoanalyse - ich hatte während meiner Analyse erfahren, daß das Unsinn ist. Zweitens der Unwille, den ich und andere hervorriefen, wenn wir auf einer abstrakten Ebene verstehen wollten, was in der Gruppe geschah - ‚Das kann man nicht sagen, das muß man erleben, bleib mal bei deinen Gefühlen.’ [...] Und schließlich hatte ich Mühe mit der Weise, wie die TZI - Weltanschauung die Themen infizierte. Alles musste anschaulich und erlebbar sein, auch wenn ich der Überzeugung war, daß manchmal vor allem die ‚Nichterlebbarkeit’ erlebt werden müsste, z. B. bei Gott. TZI ließ in meinen Augen der Eigengesetzlichkeit der Themen nicht genügend Raum.“50

Gerade mit dem Vorwurf, TZI lasse kein abstraktes Verstehen zu, legt Raguse ein Problem dar, dass sicherlich viele Menschen mit TZI haben. Sicherlich findet in unserer Gesellschaft eine Überbetonung des Verstandes statt, aber die Kritik der TZI daran sollte sicherlich nicht zu einer entgegengesetzten Überbetonung des Gefühls münden. Raguse stellt hier seine Vorstellung einer Synthese der beiden Ansätze - einerseits abstraktes Verstehen mit dem Verstand, andererseits emotionales Verstehen mit den Gefühlen - dar, die er als ‚Intelligenz der Gefühle’ bezeichnet. Hier hat er „die Hoffnung, Texte einerseits wissenschaftsgerecht, in einer mitteilbaren Weise zu verstehen und andererseits alle Gefühle, Assoziationen und Einfälle daraufhin zu befragen, was sie über die Textbedeutung aussagen.51 Seine Kritik fasst er in acht Punkten zusammen.

Die Ächtung der Rivalität

In Zusammenhang mit ihren Aussagen über das Schulsystem in Deutschland und Amerika formuliert Ruth Cohn folgendes Ergebnis: „Beide arbeiten mit dem Rivalitätsprinzip, das ich für eine destruktive Grundlage halte.“ Für Raguse ist aber die Möglichkeit zu Rivalität ein „Zeichen von Erwachsensein und Reife“52 Seiner Meinung nach ist die Vorstellung, sich in Konkurrenzsituationen nie durchsetzen zu können und deshalb den Gegner vernichten zu müssen, destruktiv. Dieses zerstörerische Element sei aber Folge der Vermeidung der Rivalität. „Die Tabuisierung der Rivalität in TZI - Gruppen hilft nicht, die in der Tat mit Rivalität verbundenen Konflikte zu verarbeiten, und fördert insofern Destruktion.“53

Ich - Aussagen

Durch die zwanghafte Vermeidung des „man“ werden zwei verschieden Verhaltensweisen provoziert. Es kommt entweder zur Anpassung, oder zum Trotz. Beides ist für den Gruppenprozess hinderlich und nach Meinung Raguses nicht im Sinne Ruth C. Cohns. Dieser Kritikpunkt ist keiner an ihrer Lehre, sondern an der Art und Weise, wie mit dieser Regel in Gruppen umgegangen wird. Denn er schreibt hier auch: „Die Regel, mit ‚Ich’ zu sprechen, wenn ich etwas meine, und ‚man’ dann zu vermeiden, wenn die Generalisierung unüberprüfbar und vereinnahmend ist, kann äußerst hilfreich sein. Wenn sie als eine Erlaubnis erfahren wird, dann hilft sie, auf dem Weg über die Autorität des Leiters oder der Leiterin, vor allem gehemmten Teilnehmenden, sich persönlicher zu äußern. Ich denke, daß dies der Ansatz von Ruth Cohn war und ist.“54

Balance

„Anita, gegen das Grauen gibt es vielleicht nur ein Mittel: die Balance zu erfahren, daß es auch Positives gibt, Schönheit, Freude, so daß wir nicht selbst im Elend versinken; schon darum ist das Übermaß an Grauen in der Tagesschau anti-therapeutisch: es ermutigt nicht, es belastet nur, es ist kein balanciertes Abbild der Realität.“55 Raguse plädiert für eine realistischere Auseinandersetzung mit dem Thema, da seiner Meinung nach Frustrationen nicht zu verhindern sind und es deshalb sinnvoller ist zu lernen, mit ihnen umzugehen. „Das Balance-Prinzip ist eine Illusion. Das gilt für mich auch für die Balance zwischen Ich, Wir und Thema. Ich habe zwar nichts gegen einen gewissen Ausgleich, halte es aber für sinnvoller zu lernen, unumgängliche Frustration mit Gelassenheit hinzunehmen. [...] Die ‚Balance’ - wenn man sie retten will - bedarf der Balance durch die Nicht-Balance.“56

Raguse warnt hier vor einem naiven Blick auf das Schöne und Gute in der Welt und stellt die Notwendigkeit der klaren Wahrnehmung von ungerechten und unterdrückerischen Zuständen heraus.

Distanznahme und Verstehen

Raguse sieht in der TZI eine Chance des ‚lebendigen Lernens’, meint aber, dass dieses durch das Tabu, individuelle Reaktionen und Prozesse in der Gruppe klärend und deutend zu verstehen, verhindert wird. Dieses hinderliche Tabu sei in TZI - Gruppen entstanden aus der vernünftigen Regel, Interpretationen eher zu vermeiden.

Tote Metaphern

Die Begriffe „Störung“, „Balance“, und „Globe“ sind nach Meinung Raguses durch Theoriediskussionen ‚totgeredet’ worden. Er meint:

„Alle diese Metaphern bedürfen der Reflexion, der Dekonstruktion und der Erneuerung.“57

Kopf und Bauch

Raguse stört sich daran, dass in der TZI eine Trennung von ‚Kopf ‚und ‚Bauch’ geschieht, obwohl sie damit ihrer eigenen Lehre widerspricht. „Mir scheint, daß schon allein die Aufspaltung in die Metaphern (oder eher Metonymien) ‚Bauch’ und ‚Kopf’ ein Verrat am holistischen Ansatz der Humanistischen Psychologie ist. Der ganzheitliche Begriff des ‚Erlebens’ schließt beide Dimensionen zu einer Einheit zusammen.“58 Auch die von ihm vertretene Reflexion in den Gruppen verteidigt er gegen die Vorwürfe, er zerstöre damit die Einheit :

„Auch die von mir so oft geforderte Reflexion zerstört diese Einheit nicht, denn so wie (sic!) sie verstehe, geschieht sie keineswegs nur im ‚Kopf’, sondern ist ein ebenso ganzheitlicher Prozeß der Selbstwahrnehmung wie die bewusste Beachtung von Körperempfindungen.“59

Die weltanschauliche Überlastung der TZI

Raguse wendet sich hier gegen die Überladung des TZI-Begriffs mit Themen aus allen Bereichen: Feminismus, Religion und Esoterik ebenso wie Friedenspolitik und Ökologie. Er vertritt die Meinung, mehr über das Konzept selbst nachzudenken, „anstatt es mit so vielen weltanschaulichen Systemen anzureichern, daß es kaum mehr erkennbar ist, oder gar ins Gegenteil verkehrt wird.“60

Die Mystifizierung von TZI

Der Satz „TZI kann durch Schriften allein nicht transparent werden“, wird von Raguse angeführt. Er entnimmt ihn den Seminarverzeichnissen von WILL - International. Raguse verdeutlicht, dass dieser Satz für alle Bereiche, in denen es um die Anwendung von Wissen geht, Gültigkeit besitzt. Nicht nur für die TZI, auch für alle Wissenschaften ebenso wie die Künste. Er wirft der TZI vor, sich selbst als etwas besonderes darzustellen und so einer Mystifizierung Vorschub zu leisten. Er stellt hierzu zwei Behauptungen auf, die seine Meinung verdeutlichen: „Erstens glaube ich, daß TZI sich viel genauer, differenzierter und informativer darstellen ließe, als es in den meisten Aufsätzen bisher geschehen ist, und zweitens bin ich der Überzeugung, daß der Geist und leider auch der ‚Ungeist’ von TZI in vielen Schriften transparenter wird, als die zitierte Aussage erwarten läßt.“61

Dass sich Raguse zwar kritisch mit TZI auseinandersetzt, ihr aber keineswegs ablehnend gegenübersteht, verdeutlicht folgendes Zitat: „Die Hauptgefahr, die ich für die TZI sehe, ist, daß sie durch Trivialisierung im Konzept, durch eine nicht genügend differenzierte Anwendung und weltanschauliche Überfrachtung in jenem Teil der Konsumgesellschaft verschwindet, den man als Gruppenszene bezeichnen könnte. Dort wäre sie zwar vielleicht gut untergebracht und ‚geborgen’, aber tot.“62

5 Persönliche Reflexion (Tanja/Martina)

In der Auseinandersetzung mit der Themenzentrierten Interaktion im Rahmen der Referatsvorbereitung stießen wir neben der bereits erwähnten faszinierenden Biographie auf ein Modell, das uns immer wieder zu Diskussionen anregte. Es erschien uns einerseits so klar und einleuchtend: Die Ganzheitlichkeit, in welcher der Mensch in den Lehr- und Lernprozess miteinbezogen wird, fand unsere uneingeschränkte Begeisterung. Die Einbeziehung des Globe, worunter Ruth Cohn alle(!) Geschehnisse, Menschen etc., die außerhalb unserer Gruppe und des Themas liegen, versteht, empfanden wir als neuen und sehr interessanten Aspekt. Andererseits diskutierten wir heftig vor allem über das zweite Postulat: Störungen haben Vorrang. Im Laufe der Zeit stellten sich uns folgende Fragen:

Kann das wirklich konsequent durchgehalten werden? Wie reagiert eine Gruppe tatsächlich auf die Einführung einer solchen Regel? Findet sie Anerkennung, oder wird sie als Anlass für dauernde Störungen genommen, um so jede Auseinandersetzung mit dem Thema der Gruppe zu vermeiden? Auch in der Diskussion im Seminar kamen diese Fragen auf. Die Realisation war für die Teilnehmer oft schwer vorstellbar. Ein weiteres Problem lag in dem Missverständnis, die TZI als gezielte Tiefentherapie zu verstehen. Dies ist nicht ihr Anliegen. Die TZI ist eine Breitentherapie, die vorbeugend und heilend sowohl auf den Gruppenprozess, als auch auf die Gesellschaft wirken soll.

Letztlich würden wir uns sehr wünschen einmal eine Gruppe (beispielsweise eine Schulklasse oder eine Umweltschutzorganisation) erleben zu dürfen, die nach den Prinzipien der TZI geführt wird.

LITERATURLISTE:

Adler, Alfred: Menschenkenntnis. Frankfurt. 1966 (Original 1927) In: Langmaack, Barbara: Themenzentrierte Interaktion, Einführende Texte rund ums Dreieck. Weinheim. 1991.

Betz, Felicitas und Otto: Tastende Gebete, Texte zur Ortsbestimmung. In: Langmaack, Barbara: Themenzentrierte Interaktion, Einführende Texte rund ums Dreieck. Weinheim. 1991.

Cohn, Ruth C. Es geht ums Anteilnehmen ... Perspektiven der Persönlichkeitsentfaltung in der Gesellschaft der Jahrtausendwende.

Freiburg/Basel/ Wien. 1989

Cohn, Ruth C. Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Von der Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für alle. Stuttgart. 1975.

Cohn, Ruth C.: Zur Humanisierung der Schulen: Vom Rivalitätsprinzip zum Kooperationsmodell mit Hilfe der Themenzentrierten Interaktion (TZI). In: Cohn, Ruth C.: Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion. Stuttgart. 1975.

Farau, A./Cohn Ruth: Gelebte Geschichte in der Psychotherapie. Stuttgart. 1984.

Hagleiter, Silvia: Mit Lust an der Welt - in Sorge um sie: feministisch- politische Bildungsarbeit nach Paulo Freire und Ruth C. Cohn. Mainz. 1996.

Herrmann, Helga: Ruth C. Cohn - Ein Portrait. In: Löhmer, Cornelia/ Standhardt, Rüdiger (Hg.): TZI. Pädagogisch-therapeutische Gruppenarbeit nach Ruth C. Cohn. Stuttgart. 1992.

Langmaack, Barbara: Themenzentrierte Interaktion, Einführende Texte rund ums Dreieck. Weinheim. 1991.

Löhmer, Cornelia/ Standhardt, Rüdiger (Hg.): TZI. Pädagogischtherapeutische Gruppenarbeit nach Ruth C. Cohn. Stuttgart. 1992.

Matzdorf, Paul/Cohn, Ruth: Konzept der TZI. In: Löhmer, Cornelia/ Standhardt, Rüdiger (Hg.): TZI. Pädagogisch-therapeutische Gruppenarbeit nach Ruth C. Cohn. Stuttgart. 1992.

Ockel, Anita/Cohn, Ruth C.: Das Konzept des Widerstands in der Themenzentrierten-Interaktion. Vom psychoanalytischen Konzept der Störung zum Ansatz einer Gesellschaftstherapie. In: Löhmer, Cornelia/ Standhardt, Rüdiger (Hg.): TZI. Pädagogisch-therapeutische Gruppenarbeit nach Ruth C. Cohn. Stuttgart. 1992.

Raguse, Hartmut: Kritische Bestandsaufnahme der TZI. In: . In: Löhmer, Cornelia/ Standhardt, Rüdiger (Hg.): TZI. Pädagogisch-therapeutische Gruppenarbeit nach Ruth C. Cohn. Stuttgart. 1992.

Zundel, Edith: Ruth Cohn. Themenzentrierte Interaktion, in: Zundel, Edith und Rolf: Leitfiguren der Psychotherapie Leben und Werk. München. 1987.

[...]


1 Zundel. 1987. S.67.

2 Cohn. 1989. S.58.

3 Cohn. 1975. S.12.

4 Hagleiter. 1996. S.121.

5 Herrmann. 1992. S.34.

6 Cohn. 1989. S.61.

7 Weinheim. 1991.

8 Langmaack. 1991. S.1.

9 Cohn. 1975. S.111.

10 Ockel. 1981. S.225-282. hier S.256.

11 Löhmer/Standhardt. 1992. S.39-42.

12 Stand: 1992

13 Löhmer/Standhardt. 1992. S.13.

14 Langmaack. 1991. S.15.

15 ebenda. S.16.

16 Betz.. In: Langmaack. 1991. S.50.

17 Löhmer/Standhardt. 1992. S.71.

18 ebenda. S.71.

19 Langmaack. 1991. S.38.

20 ebenda. S.37.

21 ebenda. S.41.

22 ebenda. S.37.

23 Alfred Adler. 1927. In: Langmaack. 1991. S. 50.

24 Löhmer/Standhardt. 1992. S.71-72.

25 Langmaack. 1991. S.51-52.

26 Löhmer. 1992. S.72.

27 ebenda. S.72.

28 ebenda. S.72.

29 Löhmer/Standhardt. 1992. S.72.

30 ebenda. S.72/73.

31 ebenda. S.74-75.

32 Farau/Cohn. 1984. S.352.

33 Langmaack. 1991. S.18-22.

34 Hagleitner. 1996, S.124.

35 Matzdorf/Cohn. 1992. S.39-92. hier S.54.

36 Farau/Cohn. 1984. S.356.

37 Cohn. 1975, S.120.

38 Löhmer/Standhardt. 1992. S.55.

39 ebenda. S.55.

40 ebenda. S.55-59.

41 Farau/Cohn. 1984. S.357.

42 Hagleitner. 1996. S.126.

43 Farau/Cohn. 1984. S.358.

44 Löhmer/Standhardt. 1992. S.63.

45 ebenda. S.63-65.

46 Farau/Cohn. 1984. S.358 f.

47 Hagleitner. 1996. S.128-129.

48 ebenda. S.129-130.

49 Cohn. 1975. S.123-128.

50 Raguse. 1992. S.265.

51 ebenda.

52 ebenda. S.269.

53 ebenda. S.270.

54 ebenda.

55 Ockel. 1992. S.265.

56 Raguse. 1992. S.271.

57 ebenda. S.273.

58 ebenda. S.274.

59 ebenda.

60 ebenda. S.275.

61 ebenda.

62 ebenda. S.277.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Themenzentrierte Interaktion nach Ruth C. Cohn
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Gesprächsführung
Autor
Jahr
2001
Seiten
28
Katalognummer
V104228
ISBN (eBook)
9783640025831
Dateigröße
415 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das TZI-Haus fehlt hier, da ich es per Hand eingefügt habe.
Schlagworte
Themenzentrierte, Interaktion, Ruth, Cohn, Gesprächsführung
Arbeit zitieren
Martina Töpfer (Autor:in), 2001, Themenzentrierte Interaktion nach Ruth C. Cohn, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104228

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