Das deutsche Uranprojekt im Zweiten Weltkrieg


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

51 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Voraussetzungen
1.2 Entdeckung der Kernspaltung
1.3 Die internationale Ausgangslage zu Beginn des Zweiten Weltkrieges

2. Die Entwicklung des deutschen Uranprojekts
2.1 ’Deutsche Physik’ contra theoretische Physik
2.2 Die Phase des ’Blitzkrieges’
2.3 Das Heereswaffenamt gibt das Projekt ab
2.4 Alsos-Mission und Farm-Hall

3. Die Gründe für das Scheitern des deutschen Uranprojekts
3.1 Der Vergleich mit dem ’Manhattan-District-Project’ der Amerikaner

4. Der Mythos über die deutsche Atombombe
4.1 Rechtfertigung der Wissenschaftler nach dem deutschen Zusammenbruch
4.2 Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik

5. Literaturverzeichnis

Einleitung

Bereits unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg haben sich Forscher weltweit unabhängig voneinander bemüht, die 1938 entdeckte Kernenergie auf ihre militärische Anwendbarkeit zu prüfen. Damit einher ging die Idee von der Entwicklung einer völlig neuartigen Waffe. Dieser Auffassung ist jedenfalls Mark Walker, dessen 1989 erschienenes Buch „die Uranmaschine“[1] den Verfassern dieser Arbeit als Hauptquelle gilt. Walker relativiert in seinem Werk den in seinen Augen von den deutschen Forschern um Heisenberg und von Weizsäcker selbst eingesetzten Nachkriegsmythos, die Deutschen hätten während des Krieges lediglich an der ’friedlichen’ Nutzung der Kernenergie jenseits ihrer militärischen Anwendungsmöglichkeiten geforscht. Darüber hinaus wendet er sich entschieden gegen die von deutschen Forschern nach dem Krieg aufgestellte Schutzbehauptung, sie hätten sogar aufgrund von persönlichen moralischen Bedenken die mögliche Konstruktion einer Atombombe verhindert, beziehungsweise deren Entwicklung bewusst verschleppt.

Dem amerikanischen Historiker Walker waren dazu erstmals auch die von den Siegermächten beschlagnahmten und lange unter Verschluss gehaltenen Akten der NS - Zeit zugänglich, in denen die enge Korrespondenz von am Kernenergieprojekt beteiligten Wissenschaftlern mit dem Heereswaffenamt deutlich zutage tritt. Bezeichnenderweise ist die Richtigstellung der deutschen Nachkriegsapologie in diesem Punkt einem Amerikaner überlassen worden, der das deutsche Uranprojekt mit einigem Verständnis für deutsche Wis-senschaftler unter dem Regime der Nationalsozialisten beschreibt, aber auch dezidiert das Hand-in-Hand-Arbeiten von Wissenschaft und Politik und die wahren Gründe für das Scheitern des Kernenergieprojektes offenlegt. Vielleicht bedurfte es dazu des ’Blickes von außen’, wobei der Einwand von Zeitzeugen Walker gegenüber, die “Bedrohungen und Erpressungen einer übermächtigen und brutalen Staatsmacht”[2] nicht am eigenen Leib erlebt zu haben und damit auch nicht in der Lage zu sein, sie ganz zu begreifen, von ihnen benutzt wird, um sich dem nachträglichen Urteil Walkers zu entziehen.

Als weitere Orientierungshilfe, besonders hinsichtlich der wissenschaftspolitischen Konflikte zwischen Vertretern der “deutschen Physik” und der theoretischen Physik im National-sozialismus ist das Buch von Gabriele Metzler: “Internationale Wissenschaft und nationale Kultur[3] anzusehen, das sich vor allem mit der Physikerschaft im Kräftespiel zwischen Nationalismus und Internationalismus beschäftigt und einige richtungsweisende Beiträge zur zentralen Fragestellung dieser Arbeit nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Politik im allgemeinen, aber im besonderen am Beispiel des Nationalsozialismus liefert. Zu diesem Themenschwerpunkt ist auch das schon 1980 erschienene Buch von Herbert Mehrtens und Steffen Richter (Hg.): “Naturwissenschaft, Technik und NS-Ideologie“[4] zu nennen, in dem grundsätzlich dem Terminus der “unpolitischen Wissenschaft” widersprochen und die Wissenschaft der 30'er und 40'er Jahre in eine deutliche Wechselbeziehung mit der NS-Ideologie gesetzt wird.

Die historische Aufarbeitung der Wissenschafts- und Technikgeschichte im Nationalsozialismus steckt insgesamt noch in den Kinderschuhen und wurde oft durch die Kontinuitätslinien über 1945 hinaus - was die innerdeutsche Diskussion betrifft - überschattet bzw. erschwert. Ein wesentliches Ziel dieser Arbeit ist es daher, einerseits den Entwicklungsverlauf und das Scheitern des deutschen Uranprojektes darzustellen. Ferner sollen die Gründe für sein Scheitern beschrieben werden, um andererseits einige Aussagen über das wechselseitige Verhältnis von Wissenschaft und nationalsozialistischer Politik treffen zu können.

Es scheint uns dafür auch unerlässlich, zum Teil auf die Forscherpersönlichkeiten selbst einzugehen[5], die dem ehrgeizigen Projekt, begünstigt durch ihre kleine und überschaubare Zahl eine persönliche Prägung aufdrückten. Natürlich dürfen sie deswegen aber nicht losgelöst von ihrem gesellschafts-politischen Umfeld und der eigenen politischen Überzeugung betrachtet werden. Dazu könnte es sehr ertragreich sein, in strittigen Punkten, wie zum Beispiel dem sog. Kopenhagener Gespräch zwischen Werner Heisenberg und Niels Bohr, biographische Beiträge[6] kontrapunktisch mit autobiographischer Darstellung[7] zu vergleichen. Ferner ist es für ein besseres Verständnis des naturwissenschaftlichen Kontextes hilfreich, einleitend einige physikalisch-technische Details zu erläutern, da im Laufe dieser Arbeit immer wieder auf entsprechende Fachtermini zurückgegriffen wird, ohne die es schwer fallen dürfte, die im kerntechnischen Bereich existierenden Möglichkeiten und damit einhergehenden Schwierigkeiten nachzuvollziehen. Deshalb folgt zunächst ein bewusst kurz gehaltener Abschnitt rein technisch-naturwissenschaftlicher Art.

1. Voraussetzungen

1.1. Die Entdeckung der Kernspaltung

Im Jahre 1938 führten am Kaiser Wilhelm Institut für Chemie in Berlin-Dahlem Fritz Straßmann, Lise Meitner und Otto Hahn eine chemische Versuchsreihe durch, in welcher sie natürlich vorkommendes Uran mit Neutronen beschossen. Trifft ein Neutronengeschoß auf einen Atomkern der beschossenen Substanz, wird es entweder von selbigem absorbiert und damit die Protonenzahl geändert oder aber das Geschoss ’schlägt’ ein Stück aus dem Atomkern heraus. Beide Vorgänge haben die Entstehung eines neuen Stoffes zur Folge. Demnach hofften die drei Wissenschaftler, das mit Neutronen beschossene Uran zu Radium ’umzuwandeln’. Nach Ende dieser Versuchsreihe im Herbst 1938 kam man aber zu völlig überraschenden Ergebnissen, welche durch die bis dahin bekannten chemischen und physikalischen Gesetze nicht zu erklären waren. Denn statt des erwarteten Radiums fanden Hahn und seine Mitarbeiter das Element Barium in der Prüflösung, welches lediglich die halbe Masse des Urans besitzt. Diesem eindeutigen Prüfungsergebnis nach zu urteilen, hatte es den Anschein, als wäre der Atomkern des Urans selbst geteilt worden, ein bis zu diesem Zeitpunkt für unmöglich erachteter Sachverhalt.[8] Da Otto Hahn keine stichhaltige und befriedigende Erklärung für das Ergebnis dieser Versuchsreihe finden konnte, bat er in einem Brief an seine ehemalige Kollegin Lise Meitner, die zu dieser Zeit bereits ins dänische Exil geflüchtet war[9], um Hilfe bei der Lösung des Problems. Meitner war aufgrund der ihr von Hahn beschriebenen Ergebnisse in der Lage, die bis dahin schlüssigste Theorie für diese so unerklärlichen Phänomene zu liefern. Die Physikerin ging hierfür von einer Zerspaltung des Atomkernes aus und bediente sich zur Veranschaulichung und Erklärung dieses Vor-ganges des sogenannten ’Tröpfchenmodells’[10], welches Niels Bohr entwickelt hatte. Da sich die Endprodukte des Spaltvorganges in ihrer Massensumme erheblich von der Gesamtmasse des Ausgangsstoffes Uran unterschieden, nahm man an, dass der in der Massegleichung fehlende Faktor beim Spaltprozess in Energie umgewandelt worden sei. Ein entsprechender Bericht von Hahn und Straßmann wurde am 6.1.1939 in der Zeitschrift „Die Naturwissenschaften“ veröffentlicht. Niels Bohr selbst gab seine „Tröpfchentheorie“ der Kernspaltung am 26. Januar 1939 auf der fünften Washingtoner Konferenz über theoretische Physik der internationalen Fachwelt bekannt. Rose konstatiert: „Mit einem vom 16. Januar 1939 datierten Bericht an die Zeitschrift Nature (die ihn am 11. Februar veröffentlichte), stellten Frisch und Meitner sicher, daß sich die neue Erkenntnis wie ein Lauffeuer in der internationalen Wissenschaftsgemeinde verbreitete.“[11] In der Folge widmeten sich Forscherteams weltweit unabhängig voneinander dieser Problematik und konnten die Berliner Ergebnisse bis zum März 1939 bestätigen. Hahn und Straßmann erkannten während ihrer Auswertung über ihre Versuchsergebnisse, dass nicht nur der Kern des Uranatoms in zwei oder drei Teile gespalten wird, sondern, dass dieser offensichtliche Spaltvorgang selbst auch noch Neutronen freisetzt. Sie machten dieses Ergebnis ebenfalls Ende Januar 1939 publik. In der Folge wurden bis Ende Mai 1939 elf Aufsätze aus Frankreich, den USA und Deutschland veröffentlicht, welche sich mit dem ’Sekundärneutronen’–Phänomen beschäftigten, das Mark Walker wie folgt darstellt: “Aus einem Urankern wurden durch den Zusammenstoß eines primären Neutrons mit diesem Kern Neutronen freigesetzt.“ Denn, wenn „ein Urankern in zwei Teilchen gespalten wurde, dann mussten Masse und Ladung des“ -gespaltenen- „Urankerns zwischen den beiden leichteren Kernen aufgeteilt sein.“[12] Da aber die beiden Spaltprodukte zusammengerechnet erheblich mehr Neutronen enthalten würden als die schwersten stabilen Isotope[13] dieser Art, mussten die überschüssigen Neutronen auf irgendeine Weise freigesetzt worden sein. Da die austretenden Neutronen sehr schnell sind, eignen sie sich gut für weitere Kernspaltungen, was bedeutet, dass dadurch eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion, ähnlich eines Schneeballsystems – zumindest theoretisch - entstehen kann! In der Folge erkannte Bohr, dass Uran nicht nur als Uran 238 (99,3%) existiert, sondern auch als Isotop 235 (0,7%). Während U 238 relativ schnelle Neutronen absorbiert, wird das Isotop U 235 (leicht) gespalten. Das bedeutet, dass für eine Spaltung von Uran 238 mehrere langsame Neutronen nötig sind, um die Kettenreaktion aufrecht zu erhalten, während dem instabileren Isotop Uran 235 pro Atomkern lediglich ein Neutron ausreichen würde. Mit .anderen Worten: Ein möglicher ’Kernsprengstoff’ war nur denkbar, wenn er aus dem seltenen U 235 bestehen würde.

1.3 Die internationale Ausgangslage zu Beginn des 2. Weltkriegs

Bereits sechs Monate nach der Entdeckung und den ersten Veröffentlichungen über die Uranspaltung, publizierte der theoretische Physiker Siegfried Flügge im Juni 1939 einen Aufsatz in den „Naturwissenschaften“, in welchem er erstmals über die technische Nutzung des neu entdeckten Phänomens resümierte. In diesem Bericht prägte Flügge erstmals den Be-griff der „Uranmaschine“, welche unter zu Hilfenahme eines Moderators bzw. einer Bremssubstanz in der Lage sein sollte, Energie in bisher unvorstellbaren Mengen zu liefern. Die Bremssubstanz hat hierbei die Aufgabe, die Neutronen abzubremsen, um die gesamte Reaktion zu verlangsamen und zu kontrollieren. Nichts anderes passiert heute in jedem Atomkraftwerk. Flügges Resümee zufolge ließen sich mit einer solchen Maschine phantastische Mengen an Energie produzieren: „Wenn alle in 1 m3 Uranoxid U3O8 vorhandenen Uranatome restlos gespalten werden könnten, schrieb Flügge, würde dadurch ein Energiebetrag freigesetzt, der 1 km3 Wasser 27 km hoch in die Luft heben könnte. Wenn sämtliche in 4t Uranoxid vorhandenen Uranatome in einer Uranmaschine gespalten werden könnten, entspräche dies der Gesamtleistung aller deutschen Kohlekraftwerke für die Dauer von elf Jahren.“[14]

Nicht zuletzt diese außerordentlich phantastisch anmutenden Überlegungen führten im Deutschen Reich bereits am 29.4.1939 zur Gründung des sogenannten „Uranvereins“. Interessant aus heutiger Sichtweise erscheint die Tatsache, dass im Deutschen Reich (und in den anderen Staaten denen sich Wissenschaftler mit der Atomtechnik beschäftigten) gar nicht erst der Versuch unternommen wurde, diese Entdeckungen geheim zu halten. Dies hat drei wesentliche Gründe:

Erstens waren die technischen Möglichkeiten und Potenziale der Kernenergie zwar von wissenschaftlicher Seite – zumindest theoretisch - bereits erkannt worden, einen praktischen Beweis für ihre Thesen blieben die Wissenschaftler bis zum 16.7.1945[15] aber schuldig.[16]. Daher sahen sich Regierungen - nicht nur in Deutschland - zunächst noch nicht zu einer Geheimhaltungspolitik die Kernspaltung betreffend, veranlasst.

Zweitens lag Forschen unter Ausschluss der Öffentlichkeit aber auch ganz und gar nicht im Interesse der Physiker, denn die Veröffentlichung von neu entdeckten Sachverhalten in der Wissenschaft war (und ist) auch eine nicht zu unterschätzende Prestigeangelegenheit für den jeweils publizierenden Forscher und hat neben dem idealistischen Moment der Anerkennung auch eine materielle Intention. „Der Wissenschaftshistoriker Spencer R. Weart hat diesen Aspekt der Sache sehr treffend beschrieben: ’Entscheidend in der Wissenschaft ist, etwas zu entdecken; etwas als zweiter zu entdecken, ist ziemlich irrelevant. Eine weltweit unter Wissenschaftlern gültige Vereinbarung besagt, daß derjenige, der als erster publiziert, als der erste und oft der eigentliche Entdecker anerkannt wird, so daß auf einem sich rasch wandelnden Gebiet sehr viel von einer schnellstmöglichen Veröffentlichung abhängt.’“[17] Gerade im Bereich der noch sehr jungen Nuklearforschung wurden mehrmals im Jahr Fachzeitschriften zu diesem Thema herausgegeben, so dass die Wissenschaftler durch dieses Forum ihren Forderungen nach mehr Forschungsgeldern sowie mehr institutioneller Macht Nachdruck verleihen konnten.

Den dritten und damit letzten wesentlichen Grund stellt der rege internationale Austausch durch Veröffentlichung von neuen (in diesem Fall physikalischen) Erkenntnissen und den im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess notwendigen und durchaus üblichen Weg der Beschreibung und Erörterung neuer Forschungsergebnisse dar. Nur auf diese Weise können neu aufgestellte Theorien und Thesen vor einer internationalen Wissenschaftler - Gemeinde nachvollzogen, verifiziert und auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft werden. Die 1930er Jahre stellen diesbezüglich keine Ausnahme dar.

Paul Lawrence Rose behauptet in seinem Buch „Heisenberg und das Atombombenprojekt der Nazis“ sogar, Paul Rosebaud, der als Alliierter Agent den britischen Geheimdienst während des gesamten Krieges über die kernphysikalischen Forschungen der Deutschen informierte, hätte 1939 „auf Hahn eingewirkt, die Neuigkeit von der Uranspaltung in seiner Zeitschrift Die Naturwissenschaften zu veröffentlichen, um so zu verhindern, dass dieses Wissen zum deutschen Monopol wurde.“[18] Rosebaud arbeitete als Wissenschaftsredakteur bei den ’Naturwissenschaften’ und war ein Freund Samuel Goudsmiths[19], dennoch wird sein Einfluß auf Hahn, u.a. aufgrund der beiden oben angeführten Gründe, von Rose hier wohl möglicherweise überschätzt.

So gab es bis Oktober 1939 so etwas wie eine internationale wissenschaftliche Fachgemeinde, zu der u.a. auch zwangs-emigrierte Wissenschaftler wie Lise Meitner und der italienische Nobelpreisträger Enrico Fermi[20] gehörten. Auf diesen Wegen der internationalen Zusammenarbeit, Veröffentlichung und Diskussion der Ergebnisse sowohl in einschlägigen Fachzeitschriften, als auch auf Tagungen zu dieser Thematik war bis Februar 1939 in Frankreich, den USA und Deutschland sowie Dänemark der Vorgang der Kernspaltung eingehend dargestellt und erörtert worden. Somit waren im Sommer 1939 die Forschungen über die theoretischen Grundlagen für die Nutzbarmachung der Kernenergie geschaffen und weltweit diskutiert worden. Jedoch trat mit jeder neuen Veröffentlichung den Regierungen der jeweiligen Staaten, -insbesondere nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939, die Brisanz der Entdeckungen vor Augen. Infolgedessen erklärten Deutschland und kurze Zeit später auch die USA und England die Atomforschung zum Staatsgeheimnis. Aufgrund der bis dahin offenen wissenschaftlichen Diskussion waren die Grundlagen der Kernenergieforschung aber bereits weitgehend international bekannt. Der amerikanische Physiker Louis Turner fasste sie nach eingehender Beschäftigung mit bis zu diesem Zeitpunkt allen erschienenen Abhandlungen über die Kernspaltung in fünf Punkten zusammen:

„1. Durch Kernspaltung werden riesige Energiemengen freigesetzt.
2. Die Kernspaltung bewirkt eine Emission sehr schneller Neutronen.
3. Die Spaltung durch thermische Neutronen erfolgt vermutlich in dem seltenen Uran

235, wogegen das Uran 238 eine Resonanzabsorption aufweist.

4. Da pro Spaltung offenbar mehr als zwei Neutronen freigesetzt werden, besteht die

Möglichkeit einer “katastrophalen” Kettenreaktion, die in kurzer Zeit riesige

Energiemengen freisetzen würde.

5. Derartige Kettenreaktionen könnten in einer “Uranmaschine”, die aus Uran und einer

Bremssubstanz besteht, unter Kontrolle gehalten werden.“[21]

Die Punkte eins bis drei fassten den theoretischen Kenntnisstand zusammen, wohingegen die Punkte vier und fünf schon die praktischen Forschungsziele der folgenden Jahre umrissen. Die ’katastrophale’ Kettenreaktion bedeutet hierbei nichts anderes als die militärische Anwendbarkeit der Kernspaltung in Form einer Atombombe, die kontrollierte Kettenreaktion in einer “Uranmaschine” meint die Energieerzeugung durch einen große Wärmemengen abgebenden Kernreaktor. Es ging also für alle Nationen, die versuchten, die Kernenergie zu nutzen - und das betraf nicht nur die USA und Deutschland, sondern auch Frankreich, und in sehr eingeschränktem Maße ebenfalls die Sowjetunion und Japan - darum, eine Uranmaschine zu konstruieren, in der sich eine kontrollierte Kettenreaktion selbständig erhält. Mit dem Bau einer solchen Maschine, hätte man auch die Problematiken, die die Isotopentrennung aufwarf, umgangen, denn im im laufenden Betrieb eines Atomreaktors würde als Abfallprodukt zwangsläufig ein Transuran[22] gebildet, das ebenfalls als Sprengstoff dienen konnte. Auf diese Weise hätte man die technisch sehr aufwendige und noch nicht befriedigend gelungene Isolierung des “Kernsprengstoffs” Uran 235 vom schwereren, natürlichen Uran 238 vermieden: Denn Transurane sind um vieles leichter vom Ausgangsstoff Uran 238 zu trennen, da der entstehende Stoff sich chemisch vom Ausgangsprodukt unterscheidet, im Gegensatz zum Isotop 235.

Doch im nationalsozialistischen Deutschland war es nach der ’Machtergreifung’ Hitlers mit eklatanten Schwierigkeiten verbunden im Bereich dieser moderner Physik zu forschen. Im Nationalsozialismus hatte sich doch im physikalischen Wissenschaftsbetrieb eine Gruppe alternder Forscher gefunden, deren Hauptaugenmerk der klassischen deterministischen Physik galt und die mit der modernen Physik, deren Grundstock Albert Einstein legte, nicht Schritt halten konnten.

2. Die Entwicklung des deutschen Uranprojektes

2.1 ’Deutsche Physik’ contra theoretische Physik

Während der ersten Jahre des ’Dritten Reiches’ gab es in der Physik, wie in anderen Wissenschaftsbereichen auch, den Versuch, die Disziplin zu ’arisieren’. „Wie alle anderen Zweige der Naturwissenschaft sollte auch die Physik eine rassisch bedingte Erscheinung sein. Nur der arische Mensch war fähig, wirkliche Physik zu betreiben, nur er sollte die Anlagen zu schöpferischer Tätigkeit besitzen.“[23] Das Eindringen der NS-Ideologie in die physikalische Theorie in den 30er Jahren ist ein interessantes Beispiel für die Wechselbeziehung von Wissenschaft und Politik und soll hier kurz dargestellt werden.

Die ’Deutsche Physik’ war eine kurzlebige, aber dennoch einflussreiche politische Bewegung, die vor allem auf zwei Protagonisten zurückgeht: Die Nobelpreisträger Phillip Lenard und Johannes Stark, wobei letzterer „einer der wenigen Wissenschaftler“ war, „die schon Jahre vor der ’Machergreifung’ zur NSDAP gestoßen waren.“[24] Beide konservativen Experimentalphysiker lehnten die einsteinsche Relativitätstheorie und die sich daraus ableitende Quantenphysik kategorisch ab und propagierten eine ’Deutsche Physik’, die sich in ihrem Selbstverständnis vor allem ideologischer Mittel bediente. „Die ‚Deutsche’ oder ‚arische’ Wissenschaft wurde von einer Minderheit der Naturwissenschaftler entwickelt und propagiert, gepaart zumeist mit dem Versuch, in der Organisation ihrer Fächer Machtpositionen zu erlangen.“[25] Tatsächlich waren Lenards und Starks eigene wissenschaftlichen Karrieren zum Ende der Weimarer Republik, nicht zuletzt aus Altersgründen, hin ins Stocken geraten. Lenard, Jahrgang 1862, hatte bereits für seine frühen Leistungen 1905 den Nobelpreis für Physik erhalten. Die Kehrtwende, die sich in den folgenden Jahren ausgelöst durch Albert Einsteins Relativitätstheorie in der klassischen Physik hin zur modernen, theoretischen Physik vollzog, und die sich vor allem gegen die deterministischen Kausalitätskonstrukte, auf die sich gesamte bekannte Physik seit Newton stützte, wandte, konnte oder wollte er nicht akzeptieren.

Aber Lenards Einwände gegen die Relativitätstheorie blieben weitgehend ungehört und Stark, Nobelpreisträger von 1919, konnte keine neue Professur zu Beginn der 1930er erlangen.[26] Ein Umstand, der sie zum Kampf gegen die sogenannte ’jüdische Physik’ und zum Schulterschluss mit der nationalsozialistischen Politik auf den Plan rief. Sehr gelegen kam Ihnen dabei die Tatsache, dass Einstein jüdischer Abstammung war und in der wissenschaftlichen Praxis unter den Nationalsozialisten weder zitiert noch genannt werden durfte. Seine Ergebnisse mussten nicht wissenschaftlich in Frage gestellt bzw. empirisch wiederlegt werden, sondern brauchten lediglich politisch als ’Judenbetrug’ diffamiert zu werden. Werner Heisenberg als prominentester - ’arischer’ - Vertreter der modernen theoretischen Physik wurde 1936 im ‘Völkischen Beobachter’, sowie in der Ausgabe des ’Schwarzen Korps’[27] vom 15. Juli 1937 von Stark als ’weißer Jude’ und ’jüdisch im Geiste’ beschimpft. Diese Vorwürfe hatten trotz ihrer ’Unwissenschaftlichkeit’ weitreichende Konsequenzen; Werner Heisenberg, Universitätsprofessor und wissenschaftlicher Berater am Kaiser Wilhelm Institut (KWI) für Physik und Nobelpreisträger des Jahres 1933 für seine Arbeiten zur Quantenmechanik, konnte dem Ruf der Münchener Universität nicht folgen. Sein öffentliches Ansehen war trotz der Haltlosigkeit der Vorwürfe stark in Misskredit gebracht worden. Dieser Vorfall zeigt, wie das politische Klima auf das Selbstverständnis der Wissenschaftler Einfluss nahm: Unpolitisch war in der Wissenschaft seit der Kaiserzeit - und nach 1918 wurde diese Haltung noch einmal verstärkt - gleichzusetzen mit patriotisch. Denn die Wissenschaft hatte dem Vaterland zu dienen, von dem sie auch gefördert wurde.

Der Heisenberg - Biograph David Cassidy bedient sich im Hinblick auf die Deutung der Motive, die hinter Heisenbergs Mitarbeit am deutschen Uranprojekt standen der Interpretation von Sir Rudolf Peierls und Sir Nevill Mott, die beide während des Krieges in der britischen Kernforschung tätig waren: „Man kann sicher sagen, dass Heisenberg Deutschland den Sieg wünschte. Er missbilligte das Nazi-Regime aus vielen Gründen, aber er war Patriot.(...)In den meisten Ländern entziehen sich die meisten Bürger nicht dem Einsatz, wenn sie dazu aufgefordert werden, und die wenigen, die sich verweigern, brauchen ungewöhnlich viel Mut und Überzeugung.“[28] Unpolitisch zu sein bedeutete aber auch für die Mehrheit der Wissenschaftler nationalistisch und antidemokratisch zu sein, was seine Wurzeln in der gutbürgerlichen oder adligen Tradition hatte, der die meisten Wissenschaftler entstammten. Politisch handelte daher nur derjenige Wissenschaftler, der sich diesen Traditionen entgegenstellte oder schlicht in dem Ruf stand, ein guter Demokrat zu sein. So schrieb der Wissenschaftler Max von Laue im Mai 1933, kurz bevor auch er emigrieren musste an seinen Freund Einstein zu dessen Emigration: „Aber warum mußtest Du auch politisch hervortreten! Ich bin weit davon entfernt, Dir aus Deinen Anschauungen einen Vorwurf zu machen. Nur, finde ich, soll der Gelehrte damit zurückhalten. Der politische Kampf fordert andere Methoden und andere Naturen, als die wissenschaftliche Forschung. Der Gelehrte kommt ihm in der Regel unter die Räder.”[29]

[...]


[1] Walker, Mark; Die Uranmaschine. Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atombombe, Cambridge 1989.

[2] Zit. n. Robert Jungk aus dem Vorwort zu: Walker, Mark; Die Uranmaschine. Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atombombe, Cambridge 1989, S. 7. Jungk trug nach eigener Auffassung maßgeblich zur Entstehung des Nachkriegsmythos’ über den vermeintlichen passiven Widerstand der deutschen Atomphysiker in Bezug auf die Konstruktion einer Atombombe durch sein 1956 erschienenes Buch “Heller als tausend Sonnen” bei.

[3] Metzler, Gabriele; Internationale Wisenschaft und nationale Kultur. Deutsche Physiker in der internationalen Community 1900-1960, Frankfurt a. M. 2000.

[4] Mehrtens, Herbert und Richter, Steffen; Naturwissenschaft, Technik und NS-Ideologie. Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte des Dritten Reiches, München 1980.

[5] Wobei Werner Heisenberg exemplarisch in Vordergrund stehen wird.

[6] In diesem Fall. Cassidy David C; Werner Heisenberg. Leben und Werk, Heidelberg; Berlin ; Oxford 1995. Vgl. auch neuere Beiträge von Cattaneo, Marco; Werner Heisenberg. Von der Quantentheorie zur Weltformel, in: Spektrum der Wissenschaft. Biographischer Sonderband, 2/2001.

[7] Werner Heisenberg; Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik, München 1969.

[8] „Atom (griech. átomos >unteilbar<; >unteilbarer Urstoff<)“ Brockhaus – Die Enzyklopädie, Leipzig-Mannheim, 1996.

[9] Meitner war österreichische Jüdin und mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 12/13. März 1938, wie alle österreich- ischen Bürger deutsche Staatsbürgerin geworden. Jetzt war auch sie, wie bereits zahllose KollegInnen vor ihr vom Gesetz „zur Wieder- herstellung des Berufsbeamtentums“ und des implizierten „Arierparagraphen“ vom 7. 4. 1933 betroffen: Da sie ihre Arbeitsstelle am Kaiser Wilhelm Institut verlor und damit auch ihre Existenzgrundlage als Wissenschaftlerin im Deutschen Reich, emigrierte sie nach Dänemark an das Kopenhagener Institut von Niels Bohr, wo sie sich weiterhin und vor allem ungestört ihren Forschungsprojekte widmen konnte.

[10] Dieses besagt, dass jeder Atomkern eine Art Oberflächenspannung besitzt, welche sich ähnlich der des Wassers verhält. Ferner nahm Bohr an, dass in großen Kernen auf Grund der hohen Kernladungszahl die Oberflächenspannung niedriger ist, als bei kleinen Kernen. Demnach hat Helium, welches die Kernladungszahl 2 besitzt eine große Oberflächenspannung und ist somit nicht teilbar, während Uran mit der Kernladungszahl 92 eine geringe Spannung besitzt, damit auch instabil ist und Neutronen diese Hülle leicht durchschlagen können.

[11] Rose, Paul Lawrence; Heisenberg und das Atombombenprojekt der Nazis, Zürich 2001, S. 114.

[12] Walker, a.a.O., S. 27.

[13] „Isotope: (...) Atomarten ein und desselben Elements mit versch. Massenzahl (gleiche Protonenzahl bei versch. Neutronenzahlen) (...) sind chemisch nicht zu unterscheiden“, zit. nach: dtv Lexikon, Mannheim/München 1997.

[14] Walker, a.a.O., S. 29.

[15] Erster erfolgreicher Test einer Plutoniumbombe („Trinity“) bei Alamogordo, in der Wüste von Neu Mexiko.

[16] Genaugenommen gilt für die technische Nutzbarkeit der Kernenergie ein anderes Datum: der 7.12..1942, an dem Enrico Fermi den ersten

Atomreaktor der Geschichte als selbstständig arbeitenden Neutronenvervielfacher „zum laufen“ brachte.

[17] Easlea, Brian; Väter der Vernichtung; Männlichkeit, Naturwissenschaftler und der nukleare Rüstungswettlauf; Hamburg 1986; S. 87.

[18] Rose,P.aul Lawrence., a.a.O., S.49.

[19] Vgl. Punkt 2.4.

[20] Fermi emigrierte 1938 aus Furcht vor antisemitischen Ausschreitungen der italienischen Faschisten mit seiner jüdischen Frau in die USA.

[21] Walker, a.a.O., S. 29.

[22] Diesem neuen künstlich erschaffenen Element gab man später den Namen Plutonium.

[23] Tirala, L.G.; Nordische Rasse und Naturwissenschaft, in: Becker, A.; Naturforschung im Aufbruch, München 1936, S. 30, zit. n. : Richter, Steffen; Die „deutsche Physik“, in: ders./Mehrtens, Herbert; a.a.O., S. 118.

[24] Grüttner, Michael; Wissenschaft, in: Benz, Wolfgang; Graml, Hermann und Weiß, Hermann (Hrsg.) „Enzyklopädie des Nationalsozialismus“, 4. Auflage, München 2001, S. 137.

[25] Lindner, Helmut; „Deutsche“ und „gegentypische“ Mathematik. Zur Begründung einer „arteigenen“ Mathematik im „Dritten Reich“ durch Ludwig Bieberbach, in: Mehrtens/ Richter (Hg), a.a.O., S. 48.

[26] Vgl. Cattaneo, Marco; Werner Heisenberg. Von der Quantentheorie zur Weltformel, a.a.O., S. 57ff: Stark konnte allerdings zwischen 1933 und 1936 als Präsident der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft einigen Einfluss gegen Heisenberg und die theoretische Physik geltend machen, besonders als Heisenberg sich weigerte, an der von ihm organisierten „Wahlkundgebung der deutschen Wissenschaft“ am 11. November 1933 in Leipzig, einer Propagandaveranstaltung nach dem Motto: „Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler“ teilzunehmen. Im November 1936 erzwang das Reichserziehungsministerium Starks Rücktritt, nachdem dieser Mittel der Notgemeinschaft für dubiose Projekte verschwendet hatte. Er verschwand danach in der wissenschaftlichen Bedeutungslosigkeit.

[27] Hetzerisches Kampfblatt der SS.

[28] Nevill Mott and Rudolf Peierls; Werner Heisenberg, 5. December 1901 – 1. Februar 1976. Biographical memoirs of fellows of the Royal Society (1977), S. 232, zit. n. Cassidy, a.a. O., S. 520.

[29] Hermann, Armin; Einstein. Der Weltweise und sein Jahrhundert. Eine Biographie, München/Zürich 1994, S. 405; zit. n. Metzler, Gabriele; a.a.O., S. 183.

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Details

Titel
Das deutsche Uranprojekt im Zweiten Weltkrieg
Hochschule
Universität Bremen  (Geschichte)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
51
Katalognummer
V10418
ISBN (eBook)
9783638168465
Dateigröße
752 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Uranprojekt, Zweiten, Weltkrieg
Arbeit zitieren
Nico Sutter (Autor:in), 2001, Das deutsche Uranprojekt im Zweiten Weltkrieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10418

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