Der kompetente Säugling


Ausarbeitung, 2001

7 Seiten


Leseprobe


Gliederung:

1. Einführung
1.1. Das frühere Bild eines Säuglings
1.2. Das neue Bild: Der kompetente Säugling

2. Die Bedeutung von primär sozialen Beziehungen
2.1. Die Aufnahme sozialer Beziehungen
2.2. Das primäre Bezugssystem
2.3. Das Bindungsverhalten
2.4. Das soziale Unterstützungssystem
2.5. Die Bewältigungskompetenz

3. Trennung als besondere Belastungssituation in früher Kindheit
3.1. Kurze Trennung
3.2. Mütterliches Verhalten als längerfristig wirksamer Einfluß
3.3. Langfristige Trennung
3.4. Schlafverhalten als besonders relevanter Bewältigungsmechanismus

4. Ableitung für das Verhalten von Erwachsenen

1. Einführung:

1.1. Das frühere Bild eines Säuglings:

Früher galt der Säugling als ein Wesen mit äußerst geringen Fähigkeiten. Ihm wurden jegliche Fähigkeiten abgesprochen sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen.

Daraus leitete sich die pädagogische Haltung ab, die den Säugling von jeglicher Anforderung schützen will. Im Jahre 1975 galten noch folgende Pflegegrundsätze für Säuglinge: Ruhe, Licht, Luft und richtige Wärmehaltung.

Man glaubte sogar, dass Säuglinge weder hören noch sehen könnten.

Der Säugling galt als hilfloses Wesen, das nur durch seine Reflexe beherrscht wird und über keinerlei Möglichkeiten verfügt am sozialen Geschehen teilzuhaben bzw. auftretende Anforderungen zu bewältigen.

1.2. Das neue Bild : Der kompetente Säugling:

Die neuere Forschung hat jetzt ein ganz anderes Bild des Säuglings hervorgebracht. Man weiß heute, dass Neugeborene von Geburt an (bzw. schon im Mutterleib) akustische und visuelle Reize aufnehmen und verarbeiten.

Dabei hat das Neugeborene deutliche Vorlieben:

- neuartige Reizmuster werden gegenüber vertrauten bevorzugt

- von verschiedenen Mustern wird das menschliche Gesicht bevorzugt.

In der neuere Entwicklungspsychologie ist der Säugling sozial kompetent und nimmt seine Umwelt aktiv wahr. Dazu stehen ihm von Anfang an Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen zur Verfügung die es ihm ermöglichen verändert auf die Umwelt zu reagieren bzw. sich den notwendigen Erfordernissen anzupassen. Also kann er Belastungen und Anforderungen bewältigen.

2. Bedeutung von primär sozialen Beziehungen:

2.1. Die Aufnahme sozialer Beziehungen:

Die unvollkommenen und entwicklungsbedürftigen Fähigkeiten des Säuglings sind in dem für die Aufnahme von sozialen Beziehungen wichtigen Bereich gut entwickelt.

Beispiel 1.:

Da die Linse noch nicht akkommodationsfähig (anpassungsfähig) ist, können Objekte in unterschiedlicher Entfernung nur unscharf gesehen werden, Die Linse ist jedoch eingestellt auf eine Entfernung von ca. 20 cm. Dies ist genau der Abstand zwischen dem Gesicht des Kindes und dem der Mutter in der Situation des Stillens. ð So ist genau in dieser zentralen Situation die Aufnahme von Blickkontakt am besten möglich.

Beispiel 2.:

Der Bereich des besten Hörens eines Säuglings liegt zwischen 40 und 55 db, also im Bereich der menschlichen Sprache.

Daraus folgt:

Säuglinge sind von ihrer biologischen Ausstattung besonders gut vorbereitet sich den Anforderungen des sozialen Lebens zu stellen und seine eigene Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen.

Nicht nur die Reizaufnahme, sondern auch die eigene Äußerung von

Verhaltensweisen ermöglicht dem Säugling am Aufbau einer sozialen Beziehung aktiv mitzuwirken.

2.2. Das primäre Bezugssystem:

Interaktionsstudien (Interaktion= agierend aufeinader reagierend, wechselseitig in seinem Verhalten beeinflussend) haben gezeigt, dass das primäre Bezugssystem des Kindes als Lernfeld für den Erwerb elementarer Fähigkeiten zur Bewältigung von Anforderungen und Konfliktsituationen gilt.

Beispiel 1:

Kommt es zu KEINEM funktionierenden, interaktiven Zusammenwirken zwischen dem Säugling und der Bezugsperson weil die Mutter z.B. die Signale des Kindes übersieht oder falsch interpretiert reagiert der Säugling mit Rückzug und Vermeidung. Die Interaktionssequenzen verkürzen sich und die Phase in denen sich das Kind aus der Interaktion zurückzieht werden wesentlich länger. Hier liegt somit eine frühe Form des vermeidenden Verhaltens vor.

Beispiel 2:

Steht dem Kind jedoch eine Bezugsperson gegenüber, die in der Lage ist wie ein Spiegel auf die seine Verhaltensäußerungen zu reagieren so verlängern sich die Interaktionssequenzen und es kommt zu einem intensiven und harmonischen, kommunikativen Austausch, der einem Walzer gleicht.

An diesem Zusammenspiel wirkt das Kind aktiv mit und erhält somit die Möglichkeit, erste Kontroll- und Kompetenzerfahrungen zu machen welches die wesentlichen Bedingungen für die Entwicklung der Bewältigungsfähigkeiten sind.

2.3. Das Bindungsverhalten:

Unter Bindungsverhalten versteht man die Einforderung von Interaktionen durch beispielsweise Schreien, Lächeln, Kriechen und Gehen. Mit diesem Verhalten wird versucht die Nähre zur Bezugsperson herzustellen.

Eine besondere Klasse von Situationen, in denen dieses Verhalten aktiviert wird, sind Situationen der Gefahr oder der Ungewißheit.

Erst die Zuwendung der Bezugsperson führt zu einer Reduktion von emotionaler Spannung und Unsicherheit. Die Bewältigung von Gefahr und Ungewißheit ist somit ganz auf ein zugewandtes Unterstützungssystem angewiesen.

2.4. Das soziale Unterstützungssystem:

Steht dem Kind ein soziales, seinen Bedürfnissen entsprechendes Bezugssystem zur Verfügung (sensitives d.h.: überempfindliches und responsives d.h.: reaktives, verantwortliches Verhalten) trägt dies zur Entwicklung einer sicheren Bindung des Kindes an seine Eltern bei. Diese Bindung ist die Basis für die Entfaltung des Explorationsverhaltens. D.h.: Dieses Verhalten führt das Kind hinaus in seine zunächst engere, dann weitere Umgebung in der es neuen Anforderungen begegnet. ð In dieser Auseinandersetzung kann es individuelle Bewältigungsfähigkeiten erproben und weiterentwickeln. Die Eltern sind dabei die sichere Basis zu der das Kind zurückkehren kann.

2.5. Die Bewältigungskompetenz:

Die Bewältigungskompetenz entwickelt sich auf der Basis einer sicheren Bindung besser als auf der Grundlage einer unsicheren Bindung.

Beispiel 1.:

Gebundene Kinder zeigen bei Problembewältigungssituationen eine größere Begeisterung und ein größeres Durchhaltevermögen. Bei gesteigertem Schwierigkeitsgrad blieben die sicher gebundenen Kinder engagiert und suchten mehr Unterstützung und nahmen bereitwilliger die Vorschläge der Mutter auf. Unsicher gebundene Kinder zeigten sich frustrierter, zorniger und lustloser.

3. Trennung als besondere Belastungssituation in früher Kindheit:

Wenn das Bezugssystem, das insbesondere die Beziehungen zu Mutter und Vater umfaßt, nicht zur Verfügung steht bzw. von dem Kind getrennt wird entsteht eine besondere Belastung für das Kind.

3.1. Kurzfristige Trennungen:

Das Kind versucht die Trennung von der Mutter durch vermehrtes Schreien, Reduktion des Spielverhaltens und Nachfolgen zu verhindern bzw. zu bewältigen.

Das Auftreten dieser Verhaltensweisen (Protestverhalten zeigt sich erstmalig mit ca 8 Monaten) wird als Indiz dafür gesehen, dass sich eine Bindung an die Mutter entwickelt hat und das Kind sein Verhalten nun gezielt auf diese richten kann. Mit ca. 1,5 Jahren erreicht das Ausmaß der Belastung durch die Abwesenheit der Mutter einen Höhepunkt, danach sinkt die Streßhaftigkeit des Ereignisses wieder ab und ist mit ca. drei Jahren nur noch in geringstem Ausmaß zu beobachten.

3.2. Mütterliches Verhalten als längerfristig, wirksamer Einfluß:

Das sicher gebundene Kind hat eine Erwartungshaltung aufgebaut, nach der die Mutter, auch wenn sie abwesend ist, prinzipiell erreichbar bleibt. Diese Erwartungshaltung ist getragen von dem Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens, das so stabil ist, dass es auch die Zeit der Abwesenheit der Mutter überdauert.

3.3. Langfristige Trennung:

Eine langfristige Trennung von der Mutter stellt eine außergewöhnliche Belastung dar, die für fast alle davon betroffenen Kinder nachhaltige Folgen hat. Es lassen sich drei Phasen der Bewältigung der Trennung von der Mutter unterscheiden:

Anfänglich reagiert das Kind auf die Trennung mit lautem Protestverhalten (durch Schreien). Die meisten Kinder lehnen in dieser Phase auch Ersatzfiguren ab.

Dann folgt die Phase der Verzweiflung. In dieser Phase beschäftigt sich das Kind weiterhin mit der vermißten Mutter, es wird dabei jedoch zunehmend hoffnungsloser. Das Kind befindet sich in einer Phase der tiefen Trauer.

In der darauffolgenden Phase der Ablösung lehnt das Kind andere Personen nicht mehr ab, es wird wieder geselliger.

Daraus folgt:

Einer Phase der Agitation (aggressiven Tätigkeit) folgt eine Phase der Depression das heißt: Einer Phase aktiver folgt eine solche passiver Bewältigung.

Beispiel:

Field und Reite untersuchten Kinder, deren Mütter wegen der Geburt eines Geschwisters im Krankenhaus waren.

Zunächst war eine Phase mit gesteigerten Aktivitätsniveau, häufigerem nächtlichen Erwachen und Schreien als aktives Bewältigen zu beobachten. Nach der Rückkehr der Mutter folgte eine depressive Phase in der ein Abfall in den genannten Variablen festgestellt wurde.

3.4. Schlafverhalten als besonders relevanter Bewältigungsmechanismus:

Die Verlängerung der Tiefschlafphasen bzw. eine Abnahme der REM - Schlafphasen (Zitat aus dem Duden, das Fremdwörterbuch: “rapid eye movements, während des Schlafs mehrmals auftretende Traumphase, die an den schnellen Augenbewegungen des Schläfers erkennbar ist“ )als Merkmal passiver Bewältigung wird interpretiert als Rückzugsverhalten , das dazu dient, einen inneren Gleichgewichtszustand durch Ausblendung von Stimulation (Anregungen, Anreizen) wiederhe rzustellen.

Dies ist ein Verhalten, das bereits unmittelbar nach der Geburt auftritt.

4. Daraus läßt sich folgendes Verhalten von Erwachsenen ableiten:

Bindungsverhalten, das dem Ziel dient, Nähe zur Bezugspersonen herzustellen, kann dann als ontogenetische (Zitat aus dem Duden, das Fremdwörterbuch: “die Entwicklung des Individuums betreffend“) Frühform des Bewältigungsverhaltens betrachtet werden, das schließlich bei Erwachsenen in viel differenzierterer Weise dazu dient, Konflikte zu bewältigen und soziale Beziehungen zu regulieren.

Die Bewältigung von Trennungen folgt offensichtlich einem immer wiederkehrenden Muster, das sich auch in ähnlicher Form in der Trauerarbeit bei Erwachsenen wiederfinden läßt.

Ende der Leseprobe aus 7 Seiten

Details

Titel
Der kompetente Säugling
Hochschule
Evangelische Hochschule Ludwigsburg (ehem. Evangelische Fachhochschule Reutlingen-Ludwigsburg; Standort Ludwigsburg)
Veranstaltung
Psychologische Erklärungsansätze zur Beschreibung menschlichen Handelns und Verhaltens
Autor
Jahr
2001
Seiten
7
Katalognummer
V104021
ISBN (eBook)
9783640023967
Dateigröße
345 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Säugling, Psychologische, Erklärungsansätze, Beschreibung, Handelns, Verhaltens
Arbeit zitieren
Silke Gebhardt (Autor:in), 2001, Der kompetente Säugling, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104021

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