Identität zwischen sozialer Balance und Selbstkritik


Seminararbeit, 1996

23 Seiten


Leseprobe


Einleitung

Das Problem der subjektiven Identität ist auch nach seiner (zumindest vermeintli- chen) differenztheoretischen (oder auch „postmodernen“) Verwerfung ebenso aktuell - vgl. etwa Jörissen (2000) - wie zu Zeiten seiner Registrierung im Rousseauschen Entfremdungsgedanken oder auch wie zu Zeiten seiner Entstehung durch den Unter- gang der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung und ihres geschlossenen Weltbildes, das die Kraft hatte, jedem Individuum einen Platz anzuweisen bzw. jeden vorfindba- ren Platz, den ein Individuum einnahm, im Rahmen der theologischen Dogmatik zu erklären und zu rechtfertigen.

Klassischen philosophischen Identitätskonzeptionen, insbesondere in ihrer späten Ausprägung etwa bei Hegel schwebte vor, das Individuum im Zuge seiner Entäuße- rung ans gesellschaftlich Allgemeine als mit sich identisches Individuum zu gewinnen, das seine (gesellschaftlich bedingt) notwendige Selbstentfremdung produktiv über- wunden hätte.1

Abgesehen von der Tatsache, daß der emanzipative Elan derartiger Theoreme schnell zuungunsten des Individuums umschlug (wie etwa in der Hegelschen Rechts- philosophie, in der alles „bloß“ Individuelle, das sich nicht dem gesellschaftlich All- gemeinen als dem Absoluten einfügt, nicht auf der Seite des Wahren stehen kann2 ), muß angesichts der soziologischen Rollentheorien zugegeben werden, daß die Vor- stellung einer derart einheitlichen Identität heute gefahr läuft, bloß der ideologische Reflex idealistischen Identitätsdenkens zu sein.3 Dennoch wird auf den Begriff der Identität nicht verzichtet, ganz abgesehen davon, daß kaum behauptet werden könn- te, mit dem Verzicht auf dieses Konzept wäre sein Widerpart, das Problem der Selbstentfremdung des vergesellschafteten Individuums, ebenfalls überwunden.4

Zum Konzept der ausbalancierten Identität

Im Kapitel Der Begriff der subjektiven Identität 5 bietet Geulen eine Theorie des Subjekts, die „Ich-Identität als das in der Selbstreflexion gegebene Subjekt, so- weit dieses unvertretbar die Synthese der gegebenen Mannigfaltigkeit in der bio- graphischen Zeit (persönliche Identität) und im sozialen Raum (Rollen) leistet und da- her Einheit ist“6, bestimmt:

„In einer sozialen Interaktion bin ich mir dadurch als ›identischer‹ gegeben, daß ich die angesonnene soziale Identität zusammenbringe mit meiner biographisch bestimmten persönlichen Identität und mich gleichzeitig als das Subjekt weiß, in dem diese heterogenen Korrelate zusammenkommen. Erst hierdurch wird Identität in der Zeit möglich; erst das Subjekt, das sich als Subjekt einer solchen Synthese weiß, ist sich in Zeit und sozialem Raum auch ›identisches‹.“7

Die Elemente dieser Bestimmung leitet Geulen auf dem Wege der Kritik der The- orien von Durkheim, Simmel, G.H. Mead, Plessner, Goffman und Habermas ab8, wobei v.a. die Theorien von Goffman und Habermas von zentraler Bedeutung sind.

Goffmans Ansatz kann nach Geulen als konsequente Weiterentwicklung der Plessnerschen Sozialisationstheorie9 angesehen werden, insofern er der gegenüber Plessner verallgemeinerten Ansicht gelangt, daß die in einer Rollenhandlung realisierte Ich-Identität auf weiteren Rollen, damit also positiv auf der Sozialisiertheit des Men- schen, beruht - im Gegensatz zu früheren Theorieansätzen, in denen Individualität je- weils als privatistische Abhebung gegen öffentlich oder sozialisationsmäßig geprägte Rollen oder Funktionen gedeutet wurde. Darüber hinaus verbinde er „den von Mead gewonnenen Aspekt der über andere vermittelten Reflexivität mit den von Durkheim und Simmel gefundenen strukturellen Bedingungen“10. Goffmans Begriff der ›Rollen- distanz‹ bezeichnet die vom handelnden Individuum mittels diverser Signalisierungs- techniken erwirkte relative Zurückweisung der ihm aufgedrängten (Rollen-)Identität, wodurch die Adäquanz von Ego und der Sicht der anderen von Ego zugunsten des betroffenen Individuums vergrößert wird. „Ego“ ist für Goffman jedoch nicht eine Ich-Identität, die bereits vor der Prägung durch Rollen vorhanden gewesen wäre:

„Es ist die zentrale These Goffmans, daß die vom Individuum selber intendierte Identität sich nicht aus einem nichtsozialen, privaten Personenkern herleitet - daß also Rollendistanz etwa ein Rückzug aus der gesellschaftlichen Sphäre überhaupt wäre -, sondern diese Identität ist sozialen Ursprungs, und zwar beruht sie auf anderen Rollen, die das Individuum außerhalb der gerade aktuellen Rolle noch bekleidet. In der Rollendistanz wird also zum Ausdruck gebracht, daß der Betreffende noch andere Rollen einnimmt und welche diese sind.“11

In der Goffmanschen Konzeption geht also persönliche Identität, die bestimmt ist „durch die individuelle und einzigartige Biographie, die dem Individuum als ›seine‹ er- scheint und darin zu einer Einheit synthetisiert wird, der wiederum ein in der Mannig- faltigkeit der biographischen Daten identisches ›Ich‹ entspricht“12, ganz in der sozia- len Identität auf. Geulen bezweifelt, daß Goffmans Konzeption „der Ich-Identität auch in der subjektiven Dimension voll gerecht wird“13, weshalb er auf Habermas’ Uminterpretation der Goffmanschen Theorie rekurriert, die diese Insuffizienz zu be- seitigen scheint. Habermas interpretiert „Ich Identität [...] als die Balance zwischen der Aufrechterhaltung beider Identitäten, der persönlichen und der sozialen“14. Die Balance ist dabei dialektisch gefaßt:

„Wir müssen gleichzeitig unsere soziale Identität wahren und ausdrücken, ohne der Gefahr der ›Verdinglichung‹ zu erliegen; aber ebenso müssen wir unsere persönliche Identität zugleich wahren und ausdrücken, ohne ›stigmatisiert‹ zu werden.“15

Sowohl die soziale als auch die persönliche Identität muß also vertreten werden in der Weise, daß beide sowohl zur Geltung gebracht werden (als demonstrative I- dentität mit der Gruppe bzw. als ausdrückliche Nicht-Identität bzw. sozialer Ab- stand), jedoch die Distanz zu beiden ebenfalls signalisiert wird, indem die Identität mit der Gruppe als Scheinnormalität (phantom normalcy) bzw. der soziale Abstand als fiktive Einzigartigkeit (phantom uniqueness) sichtbar gemacht werden.16

Mittels der Annahme eines metakommunikativen ›reflexiven Sprachgebrauchs‹ in der Umgangssprache17 will Habermas die Dialektik von persönlicher und sozialer I- dentität im sprachlichen Interaktionsprozeß als „gleichzeitige differente Kommunika- tion auf verschiedenen Ebenen“18 statthaben lassen. Die Allgemeinheit der Bedeutun- gen der metakommunikativen Sprache läßt Habermas (nach Geulen) folgern, daß „Individuation als Gewinnung von Ich-Identität in umgangssprachlich vermittelten In- teraktionen [...] nur und gerade möglich [ist] im Medium eines Allgemeinen“19. Mit dem Habermasschen Ansatz sei „der Nachweis, daß Sozialisation notwendige Be- dingung für Individuation ist“20, erbracht.21 Die einzelnen Elemente dieses Identitäts- konzeptes bleiben jedoch einigermaßen abstrakt. Gerade mit sozial philosophischem Anspruch muß jedoch der Dialektik oder Eigendynamik der hier komponierten Momente ein genauerer Blick geschenkt werden.

Kritik der ‘ persönlichen Identität ’ (Identität der biographischen Zeit)

Da Krappmann (1969) ein ausführliches auf Habermas und Goffman basierendes Konzept der ausbalancierten Identität vorgelegt hat, können die bisherigen Charakte- risierungen der Balance-Identität präzisiert werden, ohne daß sie den Rahmen der Geulenschen Darstellung und Kritik sprengten. Insbesondere die Aufwertung der ‘persönlichen Identität’ seit Habermas erfordert doch eine eingehendere Betrachtung, da sie ja - quasi als Novum bzw. vernachlässigter Aspekt22 - gerade in dialektischer Verschränkung zu der weit besser bekannten „sozialen Identität“ (als Konglomerat von Rollenidentitäten) der theoretischen Wirkungsmacht, also begrifflicher Bestimmt- heit, keinesfalls entbehren kann.

Geulen definiert den Begriff der „persönlichen Identität“ mit Habermas und Goffman als „die individuelle und einzigartige Biographie, die dem Individuum als ›seine‹ erscheint und darin zu einer Einheit synthetisiert wird, der wiederum ein in der Mannigfaltigkeit der biographischen Daten identisches ›Ich‹ entspricht“23. Es könnte eingewendet werden, das Individuelle dieser Identität wäre bloß eine abhängige Variable einer allein sozial bestimmten Biographie, so daß auch eine synthetisierende Balance dieser beiden Identitäten allein sozial determiniert bliebe.

Eine ausführlichere Bestimmung der persönlichen Identität bietet Krappmann (1969), indem er Goffmans Definition des Individuums als „stance-taking entity“24 als Aktivität der subjektiven Interpretation der Interaktionssituation, die durch den so- gen der signifikanten Anderen, das heißt: es internalisiert sie und macht sie sich zu eigen. Durch seine Identifikation mit signifikanten Anderen wird es fähig, sich als sich selbst und mit sich selbst zu identifizieren. Mit anderen Worten ist das Selbst ein reflektiert-reflektierendes Gebilde, das die Einstellungen, die Andere ihm gegeüber haben und gehabt haben, spiegelt“ (ebd. S.142). In diesem Konzept fallen allerdings „soziale Identität“ und „Ich-Identität“ (in Meadscher Dialektik) zusammen.

zialen Prozeß hervorgebracht wird, interpretiert. Dabei handelt es sich insofern nicht ebenfalls um einen sozialen Determinismus, als das Individuum „ein Element zur Dis- kussion beisteuern [muß], das nicht nur übernommen ist, sondern die ihm allein eige- ne Interaktionssituation aufarbeitet. Die soziale Interaktion stimuliert Subjektivität, lie- fert sie aber dem Individuum nicht gleichsam ›vorgefertigt‹“25. Die „Interaktionssitua- tion“ ist mitbestimmt von der sozialen Biographie des Einzelnen.26 Der spezifische Standpunkt des Individuums, den die „Interaktionssituation“ repräsentiert, evoziert also insofern zwangsläufig ein subjektives Moment, als durch ihn die vom sozialen System bereitgestellten Interpretationen nicht ausreichen, „um den Interaktionsprozeß zu erhalten, weil die divergierenden Interaktionsbeteiligungen und die soziale Biogra- phie des Einzelnen nie voll in ihnen ausgedrückt werden können“27. Die „wider- sprüchlichen Elemente in jeder Interaktionssituation“ können so als „eine Widerspie- gelung der Divergenzen und Diskrepanzen zwischen den Normen, die an die ver- schiedenen Positionen des sozialen Systems geknüpft sind“28, aufgefaßt werden. Damit ist der Lebenslauf formal definiert durch „bestimmte Abfolgen kombinierter Positionen im Familien-, Berufs- und Herrschaftssystem“, also etwa als Position aus verschiedenen gesellschaftlichen „Aufgabenbereichen“, die in unterschiedlicher Weise den Zugang zu den im sozialen System produzierten und verteilten Gütern eröffnen, und die dazu führen können, daß „Normen, die für einen Positionsinhaber vorge- schrieben sind, für andere nicht gelten, [und] daß sogar oft das in einer Position ge- forderte Verhalten in einer anderen verboten ist“29. So kommt es durch widerspre- chende Normensysteme zu ständig wechselnden Erwartungen an die Selbstpräsenta- tionen des Individuums in der Interaktionssituation:

„Will der Einzelne dennoch Identität gegen den Erwartungsdruck aus den verschiedenen Interaktionssystemen behaupten, so muß er in der Lage sein, deutlich zu machen, daß er je nach Interaktion verschieden auftreten kann und daß seine Identität widersprüchliche, logisch oft nicht miteinander zu vereinbarende Elemente enthält. Diese Leistung, die die Struktur des Systems sozialer Beziehungen dem Individuum aufbürdet, bedeutet gleichzeitig die Chance, mit Hilfe der Diskrepanz zwischen An- forderungen und Selbstinterpretationen die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit seiner Identität zu manifestieren.“30

Angesichts des Problems, „mehr oder weniger unvereinbare Darstellungen seiner selbst gleichzeitig zu präsentieren“31, stellt das Individuum die nötige biographische Konsistenz und Kontinuität her, indem es Elemente und Phasen seines Lebenslaufes je nach Anforderung interpretiert, wodurch es ihm möglich ist, die Anerkennung sei- ner Partner zu erlangen.

„Ein vergangenes Ereignis wird einmal als Argument dafür benutzt, daß das Individuum tatsächlich nur so handeln kann, wie es jetzt auftritt; ein anderes Mal aber wird dasselbe Ereignis als unwesentlich abgetan, um die Interaktion mit dem Gegenüber zu sichern. Zwischen diesen Selbstinterpretationen eine Balance zu halten und dem Interaktionspart- ner verständlich zu machen, ist das schwierigste Problem des Indivi- duums [...]. Die Balance ist riskant, aber ein anderer Weg ist nicht mög- lich“32, denn:

„Die Mitwirkung in Interaktionen verlangt, daß Identität in dieser komplexen, innere Widersprüche tolerierenden Weise dargeboten wird. Ein Individuum, daß seine eigene Perspektive nicht in Interaktionen einbringen kann und sich nur an den Erwartungen der anderen orientiert, fällt als Partner für seine Gegenüber aus. [...] Das Individuum ist als Interaktionspartner [...] nicht attraktiv“33.

Fassen wir zusammen: Das Individuum hat eine persönliche Identität aufgrund des unverwechselbaren Standpunktes innerhalb der Interaktionssituation. Dieser Stand- punkt ist u.a. biographisch determiniert. Die Biographie läßt sich formal beschreiben als Abfolge von sozialen Positionen. Die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit des Individuums manifestiert sich in der Leistung der Identitätsdarstellung unter Bedin- gungen, die aufgrund unterschiedlicher Positionen divergierenden Normensystemen unterliegen, wozu das Individuum „interpretatorische Kraft“ benötigt, um eine bio- graphische Kontinuität darbieten zu können. Zu dieser Darbietung besteht Notwen- digkeit, weil das Individuum nur in dieser Balance eine Chance hat, Identität zu erlan- gen und v.a. auch zu erhalten.34 In diesem Sinne besteht die Biographie eines Indivi- duums „aus dem Erlernen immer neuer Klassifikationsregeln, die es erlauben, mit re- levanten Bezugsgruppen zu kommunizieren und deren Erwartungen zu antizipieren“35. Der Inhalt dieser Aussage wird deutlicher in Krappmanns Strauss-Zitat: die Entwick- lung der Klassifikationsregeln „involve, of course, changes in behavior“ sowie „shifts in perceiving, remembering and valuing - in short, radical changes of action and per- son36.

Krappmanns Argumentation erweist sich als zirkulär. Der unterdefinierte Terminus der „Interaktionssituation“ ermöglicht dabei die Vorspiegelung persönlicher Identität, indem er Biographie und raumzeitliche Situiertheit des Individuums kurzschließt. Während an letzterer sich nicht zweifeln läßt, erweist sich doch die Biographie - als positionsabhängiger Erwerb sozial vorgeprägter Klassifikationsregeln, wie ‘Weltbild’ und Persönlichkeit prägen - wiederum als sozial determiniert. Nachdem die Biogra- phie in Krappmanns Konzept somit von vornherein wesentlich unpersönlich ist, wird sie ein zweites Mal überformt in ihrer Anpassung an interaktionelle Notwendig- keiten. Wie Krappmann selbst sagt, stellt der einzelne Konsistenz und Kontinuität37 her, „indem er sich seine Handlungen in der verschiedensten Lebensbereichen und Lebensphasen zurechnet“38. Identität erlangt er jedoch erst in der Balance der ange- paßten Biographieinterpretation. Somit bleibt das Individuum zumindest seiner Bio- graphie entfremdet: identisch ist es, insofern es sich eine anerkannte „Interpretation“ gibt. Der Einwand wäre möglich, das Individuum könnte sich ohne Identität gar nicht erst entfremden - dann aber zeigt sich die viel tiefer gehende Konsequenz, daß das Individuum über keine Interpretation verfügt, die nicht am Maßstab des Interesses der Interaktionspartner - maximale Berechenbarkeit - entstanden wäre. Der Stand- punkt innerhalb einer „Interaktionssituation“ wäre offensichtlich seiner inhaltlichen Bestimmung als biographisch determiniert verlustig gegangen: außer der raumzeitli- chen Situiertheit wäre ein genuin personaler Anteil an der Interaktionssituation nicht nachweisbar. Raumzeitliche Situiertheit (und bestenfalls noch die nicht interpretativ und unter anderen, die sie anerkennen“ (ebd. S.35). „George J. McCall und J. L. Simmons beschreiben diese Vorgänge als einen ›Handel um Identität‹“ (ebd. S.34).

zusamengehaltene, also chaotische und bedeutungsleere Abfolge biographischer Er- innerungsfragmente) erweist sich als der einzige substanzielle Bestandteil des Krapp- mannschen Konzeptes der persönlichen Identität - wovon rückwirkend auch die stark weniger ausdifferenzierten Konzepte Geulens und Habermas’ betroffen sind. Krappmanns Interpretation der Goffmanschen „stance-taking—entity“39 als ‘echter’ subjektiver Interpretation der Interaktionssituation erweist sich - mangels genuiner Subjektivität - als nicht haltbar.

Das Konzept der persönlichen Identität ermangelt jedoch nicht nur der Substanz: zugleich ist es, wie oben dargestellt, nicht nur unverzichtbarer Ansatzpunkt, sondern argumentationslogische Voraussetzung und bestimmendes Moment zur Erlangung von „balancierter“ Identität. Die theoriestrategische Bedeutung der „persönlichen I- dentität“ in ihrer hier diskutierten Ausprägung wird nach der Diskussion der Rollen- konzeption deutlicher.

Zum Status der „ Rollenidentität “ (Identität des sozialen Raumes)

Der Begriff der Rolle scheint eine eigenartige Entwicklung innerhalb der Soziolo- gie genommen zu haben. War er zunächst die theoretische Entsprechung der sozialen Determinierung der Persönlichkeit (in der anthropologischen und funktionalistischen Rollentheorie), so mußte doch erfahren werden, daß von einer derart totalitären Er- fassung des Individuums nicht ausgegangen werden kann - außer in „totalen Instituti- onen“ (Goffman). Goffmans Begriff der Rollendistanz verweist darauf, daß der Kon- flikt zwischen verschiedenen Rollen eines Individuums zu gesellschaftlich anerkannten Distanzierungen von Handlungsnormen führt. Zudem sind gesellschaftliche Rollener- wartungen im allgemeinen interpretationsbedürftig und bieten daher einen individuel- len Spielraum. Möglicherweise wurde tatsächlich - wie die Dahrendorfsche Kritik am Rollenbegriff40 nahelegt - die ‘ältere’ Rollentheorie wegen ihres fehlenden Elementes ursprünglicher Subjektivität41 als inadäquat empfunden42. Dem scheint Geulens Schlußfolgerung zu entsprechen, daß „die aus der Rollentheorie angeleitete Vorstellung, soziale Orientie- rung sei vor allem Ausrichtung an bestehenden Werten und Normen bzw. Sozialisation eine motivstiftende Verinnerlichung dieser, sowohl empirisch wie auch im Hinblick auf unser Interesse unhaltbar ist. Eine normative Komponente in der Handlungsorientierung ist zwar nicht zu leugnen, doch ist sie mehr von der Art intersubjektiv geteilter und als solcher kognitiv repräsentierter Orientierungsdaten.“43 (Herv. v. mir, B.J.)

Hier ist zu bemerken, daß explizit ein theorieimmanentes Interesse daran besteht, die Rollentheorie in ihrer starken Variante nicht gelten zu lassen: dieses Interesse beruht auf der bereits erwähnten Argumentation, die Rollentheorie werde nicht „der Ich-Identität in der subjektiven Dimension voll gerecht“44 und dient letztlich der erklärtermaßen emanzipativen Absicht der Theorie Geulens.

An der Rollentheorie interaktionistischer Provenienz festhaltend, formuliert Krappmann (1969 und 1977) die Unzulänglichkeit der ‘konventionellen’ Rollentheo- rie (Parsons) im Hinblick auf deren Unfähigkeit, die in der Alltagsinteraktion ständig notwendige „Interpretationsfähigkeit und Flexibilität“45 zu erfassen. Das Parsonssche analytische Modell stelle

„einen Sonderfall der Interaktion in Rollen dar, nämlich den Fall höchster Repression, in dem das Individuum gezwungen wird, alle Be- mühungen um Balance aufzugeben und allein die vorgeschriebenen Normen in voller Konformität sich zu eigen zu machen. Verhältnisse die- ser Art beschreibt E. Goffman [...] unter dem Begriff ›total institutions‹, wozu er zum Beispiel Gefängnisse und Anstalten für Geisteskranke zählt.“46

Die funktional-strukturelle Theorie sehe „gerade in den Abweichungen von dem idealtypischen Modell des Rollenhandelns die Gründe für Devianz, Anomie und In- stabilität des sozialen Systems überhaupt“47, während, wie die Ergebnisse zahlreicher empirischer Studien nahelegten, „gerade die Faktoren, die in diesem Modell des Rol- lenhandelns als ›störend‹ bewertet werden, überhaupt erst erfolgreiches Handeln in Rollen und die Lösung von Rollenkonflikten möglich machen“.48 Auch in Krapp- manns Modell wird insofern das Individuum aus der totalen Umklammerung durch soziale Rollen befreit: an die Stelle der erzwungenen Konformität tritt das seine Rol- len per Ich-Funktion49 interpretierende Individuum. In diesem Modell ist der zwang- hafte Konformist jemand, der die „Rollen interpretiert, als ob sie vorgegeben seien. Tatsächlich enthält die Situation auch normative Elemente, aber letztlich gewinnen die Rollen erst durch die Interpretation eine konkrete Gestalt.“50 Diese Aussage liegt der am Kapitelanfang zitierten Schlußfolgerung Geulens sehr nahe. Ähnlich wie bei der von Geulen beschriebenen Balancierung „bringt das Individuum seine zu wahrende Identität in die Auseinandersetzungen um eine gemeinsame Orientierung des Han- delns ein, um den Fortgang der Interaktion zu sichern.“51 Im Zuge dieser Auseinan- dersetzungen erst kann ein Individuum subjektive Konsistenz erlangen: „Diese Kon- sistenz wird dadurch möglich, daß Rollen trotz vorgegebener Erwartungen erst durch subjektive Interpretation ihre Gestalt finden. Denn auf diese Weise kann sehr hetero- genes Verhalten mit dem Anspruch verbunden werden, den Erfordernissen derselben Rolle zu genügen.“52 Die qua Interpretation in die Rolle eingebrachte Ich-Identität ist sogar der zukünftigen Antizipation dienlich. Die Grenze der Interpretationbreite bildet allerdings die allgemeine Verständlichkeit: „Durch seine subjektive Interpretation gibt jeder der Interaktionspartner in das gemeinsame Symbolsystem seine Intentionen ein. Jedoch muß sich jeder hüten, das anerkannte Symbolsystem zu sprengen, weil sonst seine Intentionen nicht mehr übermittelbar sind.“53

Geulens und Krappmanns Ausführungen verfolgen beide das Ziel der theoreti- schen Einbeziehung von Subjektivität. Während jedoch Geulen die Rollentheorie bis auf einen unvermeidbaren Rest zugunsten intersubjektiv hergestellter bewußter Über- einkunft aufgibt, versucht Krappmann, den Rollenbegriff zu bewahren, indem er auf ebendiesem Fundament der intersubjektiven Abgestimmtheit die Schaffung der Rol- lennorm via Interpretation innerhalb des jeweiligen durch die verschiedenen IchIdentitäten geschaffenen Symbolraumes - notwendigerweise ebenfalls als kognitiv repräsentiert - postuliert. Dieses Postulat impliziert eine Freiheit innerhalb der Rolle, die nur von der Fähigkeit des Individuums bestimmt ist, seine Rolleninterpretation argumentativ zu rechtfertigen.54

Wenn Krappmann später folgende Charakterisierung der Rolle gibt:

„Rollen existieren als soziale Fakten, auch wenn sich kaum jemand an ihnen orientiert. Dennoch werden sie nach und nach hinfällig, wenn eine Mehrheit der als Träger einer Rolle angesprochenen Gesellschafts- mitglieder sich nicht mehr nach den Rollennormen richtet. Für das Ver- hältnis des Menschen zu einer Rolle bleiben verschiedene Möglichkeiten offen. Er kann sich voll mit ihr identifizieren; er kann ihren Verpflichtun- gen nachkommen, sich jedoch als Person distanzieren; er kann mit ihr frei umgehen, indem er sich auf den ›eigentlichen‹ Sinn der Rolle beruft; er kann sie mit Hinweis auf andere Rollen auf das unbedingt Geforderte reduzieren; er kann sie unter Ausnutzung von Unklarheit und schwin- dender Kontrolle neu zu bestimmen versuchen“55,

so wird deutlich, daß der Rollenbegriff als Instanz des Normativen innerhalb so- ziologischer Theorie geradezu verschwunden ist. Dieses Verschwinden ist geprägt von der durch Habermas initiierten Betonung des Konzeptes persönlich- biographischer Identität und muß im Lichte der Balance-Vorstellung, insbesondere angesichts ihrer differenzierten Ausarbeitung durch Krappmann als notwendige kom- pensatorische Maßnahme zur Instauration forcierter Subjektautonomie als primärer Handlungsmotivator beurteilt werden56. Nur in Rahmen dieser Umbewertung nor- mierter und autonomer Handlungsorientierung kann das Konzept der balancierten Identität plausibel erscheinen.

Konsequenzen aus der Kritik

Geulen verdächtigte bereits Habermas’ Begriff der Balance: „er verweist unmittel- bar auf das von der klassischen Ökonomie beschriebene Modell des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage“.57 Die Identität dieses ausbalancierten Subjektes sei „die Identität der gesellschaftlichen Position und des Konsensus über diese. Das Modell einer sprachlichen Kommunikation nun [...] ist nur eine sublimierte Reproduktion des realen Tauschverhältnisses selber, die sich von diesem losgelöst hat. Ihre typi- sche Gestalt in der bürgerlichen Kultur ist die gepflegt elaborierte Konversation zwi- schen zwei Persönlichkeiten im Salon“58.

Diese Kritik entspricht im Kern meiner Kritik an Krappmanns „persönlicher Iden- tität“. Da Habermas dieses Konzept nicht besonders differenziert, muß Geulens Kri- tik das Bild des bürgerlichen „Salons“ bemühen. An Krappmanns Ausführungen je- doch war zu sehen, daß die „Reproduktion des realen Tauschverhältnisses“ sich bei genauerem Hinsehen als kaum sublimiert, vielmehr offen in der Theorie auffindbar, erweist. Es wurde gezeigt, daß die Balance nicht nur aus den von Geulen vorgetrage- nen Gründen fragwürdig ist, sondern daß sie aus der Logik ihrer Momente heraus bereits keine Balance, sondern eher vorauseilende Affirmation ist. Natürlich mag un- ter Aufweis vieler Textstellen entgegnet werden, Krappmann zeige gerade, daß Indi- vidualität erwünscht und nötig sei. Krappmanns Einwände gegen die funktio- nalistische Rollentheorie mögen stimmen: dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß Individualität in seiner Konzeption nicht um ihrer selbst willen benötigt wird, sondern allein zur Aufrechterhaltung der Interaktion. Individualität tritt als die Sys- temvariable ein, die ein ohne sie nicht funktionables Gesellschaftsystem funktionieren läßt.59 Da Individualität so aber schon auf der Ebene der formalen Konstruktion der Theorie ausschließlich dieser Funktion dient, ist es nur konsequent, daß sie auf der inhaltlichen Ebene ebenfalls in diesen Dienst genommen wird. Die daraus resultieren- de Subjektivität gerät darob selber zur Rolle, und gewissermaßen zwar zur ‘ Haupt- Rolle ’, zum gesellschaftlichen Erfolgsrezept, zur selbsterhaltungsmäßig anscheinend grundlegend notwendigen Einstellung. Krappmann stellt indes nicht wirklich die Frage nach dem Interesse, das das Individuum an der Aufrechterhaltung der Interaktion in einer modernen Gesellschaft und innerhalb der konkreten Rahmenbedingungen dieser Gesellschaft hat - warum es also die ‘Haupt-Rolle’ einnimmt.

Erweist sich die Balance als maskiertes Anpassungskonzept,60 so steht doch nach wie vor der - nicht erfolgreich transformierten - Rollenkonzeption Goffmans Geulens Einwand gegenüber: „es ist fraglich, ob dieses Modell dem Phänomen der Ich- Identität auch in der subjektiven Dimension voll gerecht wird“61. Ein verändertes Konzept kann jedoch nicht mehr auf der Vorstellung einer Balance aufsetzen: diese ist echter Subjektivität in jeder Hinsicht abträglich. So wäre die Frage gestellt, wie ein revidiertes Modell aussehen könnte, das eine echte subjektive Dimension beinhal- tet. Eine denkbare, wenn auch wenig fortschrittliche, Variante wäre es, das Balance- Konzept auf seine Wurzeln zurückzuführen: die Hegelsche Dialektik.62 Jedoch unter- lag diese der Tendenz, das subjektive Moment dem objektiven zu subsumieren, und ist daher wenig geeignet, die Schablone eines wünschbaren Verhältnisses von Indivi- duum und Gesellschaft abzugeben.63 Eine Alternative bietet einzig Adornos kritische Revision Hegels, die Negative Dialektik.64 Hier bietet Adorno als Ausweg aus dem Dilemma, unter der Notwendigkeit der Begriffsverwendung stets die im Begriff selber angelegte subsumierende Negierung des Einzelnen zu reproduzieren, unter Rückgriff auf die konsequente Anwendung der bestimmten Negation i.S. Hegels eine „anti- systematische“ Methode, die unter dem Namen der Konstellation ein quasi mimeti- sches Begriffsverhalten und höchstmögliche Erschließung des begrifflich befaßten Einzelnen erzielen möchte. Konstellativ verfährt eine Dialektik, die den Begriff aufs äußerste anstrengt, um ihn nicht, wie Hegel, im nächst höheren aufgehen zu lassen, sondern um an diesem Punkt seine strukturelle Beschränkung zu gewahren und ihn - seine Unzulänglichkeit vor dem Einzelnen einsehend - dialektisch zu negieren. So wendet sie ihn dem Nichtidentischen zu. Das Nichtidentische ist in diesem Fall keine Metapher, sondern dasjenige am Bezeichneten, das im Begriff nicht aufgeht.65 In die- ser Wendung, so hofft Adorno, vermag Vernunft durch die Reflexion auf sich selbst das Moment des gewaltsam Ergreifenden überwinden, wodurch sie überhaupt erst Rationalität erlangen kann. Es handelt sich also um ein besonderes Verhältnis, das auf Allgemeinheit nicht verzichtet und zugleich das Einzelne bewahrt. Es versteht sich von selbst, daß dieses Modell schwerlich Gültigkeit hat für einen Wissenschaftsbegriff, dem alles nicht Identifizierbare Metaphysik zu sein dünkt. Es wäre also in Kauf zu nehmen, daß das Moment der subjektiven Identität innerhalb eines solchen Modells zwar eine starke Position einnimmt, dafür jedoch nicht vollkommen erfaßbar ist - die- sem metatheoretischen Umstand entspräche jedoch auch die Nichterfaßbarkeit des Subjekts von gesellschaftlicher Objektivität bei gleichzeitiger Partizipation, was, sta- tisch betrachtet, doch für eine recht gelungene Balance zu halten wäre.

Voraussetzungen eines alternativen Identitätskonzeptes

Von F. Haug (1972) wurde moniert, daß der Status der Rollentheorie unklar sei, was auch die hier vorgestellten Identitätskonzeptionen von Geulen, (Habermas) und Krappmann betrifft. Einerseits haben sie den Anspruch, existierende soziale Fakten zu beschreiben, andererseits haben sie - in Abhebung von der amerikanischen Sozio- logie und in Anschluß an das Projekt der Aufklärung - den Anspruch, das vergesell- schaftete Individuum nicht als einer bloß normierenden Objektivität gegenüberste- hend zu beschreiben, sondern seine Individualität und seine gesellschaftlichen

Einflußmöglichkeiten in der Theorie zu berücksichtigen.66 Gerade diese Vermischung von beschreibendem und emanzipativem Anspruch bedingt die Verzerrung beider Momente. Die Kritik dieses Umstands hingegen erlaubt nun aber - und fordert es ge- radezu -, die im Kritisierten enthaltenen Momente aufzunehmen, den substantiellen Gehalt Krappmanns Analyse.67 Ihre Kritik an der funktionalistischen und anthropolo- gischen Rollenkonzeption und ihre Betonung der individuellen Leistung entspricht dem allmählichen Verschwinden des autoritären, innengesteuerten Charakters. Es ist alleine unzulässig, die schwindende Innensteuerung als Autonomie zu interpretieren und die Relativierung der Über-Ich-Funktionen als Ich-Stärkung zu feiern, wenn da- bei nicht zugleich die Möglichkeit von Autonomie im konkret-gesellschaftlichen Zu- sammenhang und das Ich-Prinzip als einzige oder wahre Instanz von Subjektivität hinterfragt werden.68 Es ist zudem einigermaßen naiv, einem systemischen Funktions- zusammenhang humanistische ‘Nischen’ zu unterstellen. Vielmehr ist anzunehmen, daß der Bestand des gesellschaftlichen Funktionszusammenhanges gewahrt wird un- ter der nicht unbedingt krisenlosen Transformation seiner Funktionsmechanismen. Krappmanns Theorie beweist, daß eine starke Rollennormierung den neuen Funkti- onszusammenhang stört, denn dieser basiert auf der Selbststeuerung des Indivi- duums,69 die (das bleibt in dieser Arbeit Unterstellung) die Notwendigkeit der flexib- leren gesellschaftlichen Organisation zur Ursache hat - eine vielleicht gewagte Inter- pretation dieses Umstandes könnte annehmen, das Prinzip von Angebot und Nach- frage hätte die Sphäre des Handels verlassen und sich als Steuerungsmechanismus in den Individuen selber etabliert,70 wobei eben nicht die Innensteuerung einen Platz in- nerhalb fester Rollennormen zuweist, sondern eine in gewissem Sinne ‘tiefere’ Nor- mierung geschieht, die eben zu der vorauseilenden Selbstanpassung führt, die Krappmann beschrieben hat (diese Normierung hatte ich oben als grundlegende Rolle - ‘Haupt-Rolle’ - bezeichnet).

Außerhalb eines festen Institutionen/Rollensystems ist das Individuum alleine für seine Selbsterhaltung verantwortlich - diese Selbsterhaltung setzt in Krappmanns Modell unbedingt die Aufrechterhaltung der Interaktion voraus (die in anderen Ge- sellschaftsformen institutionell geregelt und abgesichert war). Keine Rolle braucht ei- nem Individuum also aufgedrängt zu werden - es wird jede notwendige Rolle von selbst ergreifen und versuchen, sie möglichst ‘gut’ (glaubwürdig), nicht bloß konform, zu spielen. Auf diese Weise flexibilisiert sich das soziale System, indem es sich erhal- ten kann, ohne die Konstanz seiner Institutionen wahren zu müssen: mit einiger Wahrscheinlichkeit wird das Individuum sich - innerhalb der noch bestehenden Gren- zen71 - seine Rollen auswählen oder auch aktualisierend austauschen. Das wäre eine Befreiung, wenn es nicht eine absolute Unterwerfung implizierte: denn das Individuum wählt nicht, da ß es Rollen wählen und aufrechterhalten muß. Vermittelt durch nichts (oder wenig) anderes als Selbsterhaltungsbestrebungen, geraten die Rollen zu Expo- nenten der Interessen, die die jeweiligen gesellschaftlichen Strategien und Angebote zur Selbsterhaltung repräsentieren. Internalisierung von Rollen ist nun nicht mehr not- wendige Bedingung ihrer Funktion: seine Interessen treiben das Individuum, die Rolle optimal auszuformen.72 Im Zuge der Sorge um das rechte Management der Anpas- sung aber ist zu vermuten, daß eine viel stärkere Identifikation des Individuums mit der individuell ausgestalteten Rolle stattfindet als dies mit einer starr vorgegebenen möglich wäre: das Ensemble der Rollen wird gerade ob seines individuellen Zu- schnitts zu einer zweiten Haut. Individualität geht so ganz in der Arbeit der Anpas- sung auf. Geulens Verdacht, die Balance-Identität sei in Wahrheit eine Tauschpart- neridentität, weist in diesem Zusammenhang der Rationalität des Tausches direkt auf einen Gedanken in der Dialektik der Aufklärung: 73 „Die Wohltat, daß der Markt nicht nach Geburt fragt, hat der Tauschende damit bezahlt, daß er seine von Geburt verliehenen Möglichkeiten von der Produktion der Waren, die man auf dem Markte kaufen kann, modellieren läßt. Den Menschen wurde ihr Selbst als ein je eigenes, von allen anderen verschiedenes geschenkt, damit es desto sicherer zum gleichen werde“74. Der Selbstverlust verdankt sich dem Versuch der Selbsterhaltung.

Ein alternatives Konzept zur ‘ Balance ’

Der Rationalitätskritik der Kritischen Theorie,75 insbesondere Adornos, erfuhr von verschiedener Seite den Vorwurf des Negativismus bzw. der Paradoxie.76 Letzterem wäre Adornos Diktum, der Widerspruch sei „das Nichtidentische unter dem Aspekt der Identität “ 77, entgegenzuhalten,78 wenn nicht dieser Vorwurf selbst voreilig wäre. Ist nach Adorno negative Dialektik positiver als der Positivismus,79 so bietet die Ne- gative Dialektik einen konzeptuellen Entwurf, der als Konsequenz aus der kriti- schen Diagnose der Dialektik der Aufklärung 80 durchaus Anspruch machen kann, das in ihr scheinbar enthaltene methodische Dilemma zu überwinden - ohne freilich von der Kritik abzurücken. Mit dem benjaminschen Namen der Konstellation be- zeichnet Adorno diejenige Haltung des Denkens, die mittels konsequent angewandter bestimmer Negation der eigenen, zuvor aufs äußerste angestrengten, Erkenntnisbeg- riffe jeweils den einzelnen Begriff quasi im Moment seines maximalen Erkenntnisge- haltes aufgibt durch die Einsicht in seine strukturelle Beschränktheit als notwendig i- dentifikatives Erkenntnisinstrument, wobei der Begriff nicht nach Hegels Muster von einem ‘höheren’, der das Negierte in seine Positivität aufhoben hätte, abgelöst wird, sondern der Gegenstands selbst in seiner Besonderheit den begrifflichen Fortgang stiftet.81 Raionalitätskritik bedeutet also nicht etwa, Vernunft als bloß zersetzend zu charakterisieren damit den Status der eigenen Aussagen infragezustellen.82 Es bedeu- tet vielmehr, daß Rationalität sich der Einsicht in ihr Wesen nicht versperrte, also im Vollzug des Denkens auf sich selbst reflektiert und durch genaue Identifikation ihrer Identifikationen zugleich die Grenzen ihrer selbst identifiziert, wodurch die Möglich- keit entsteht, das der Rationalität Inkommensurable als solches nichtbegriffliches Er- kenntnismoment bestehen zu lassen. Die Identität selber offenbart sich dabei als qua- litativ verändertes, nämlich nicht Monolithisches, sondern in sich Differentes.83

Dieser Exkurs soll helfen, folgende Frage zu formulieren: Was geschähe, wenn das Individuum der Rationalität seines Handelns (im oben explizierten Sinn) bewußt würde und im Zuge dieser notwendig kritischen Betrachtung einen Zu- stand erlangte, der ihm eine grundsätzliche Distanz zu seinen eigensten Identi- fikationen einzunehmen erlaubte? - Wenn sich also Subjektidentität am Modell der konstellativen Identität entfaltete? Goffmans Rollendistanz resultierte aus dem Konflikt unterschiedlicher Rollenidentität und basierte auf dem Rückzug aus einer Rolle durch Signalisierung der Zugehörigkeit zu anderen Rollen. Krappmann trans- formierte diese Idee gewissermaßen dahingehend, daß nicht ein alternatives ‘Rollen- bündel’, sondern eine persönliche Identität Ursache der Distanzierung war, so daß die Rollendistanz sich als stets vollzogene Rolleninterpretation erschien. Damit war zwar (zum Schein) die Subjektivität des Individuums berücksichtigt, jedoch das ne- gative Moment der Distanzierung in ein positives (und auch von ihrem interaktionellen Zweck her in jeder Hinsicht positives) verwandelt - mit dem Ziel der Darbietung ei- ner möglichst berechenbaren ‘Tauschpartner’-Identität. Diese Identität jedoch ist nicht die Identität des Subjekts, insofern es sich in antizipativ den herrschenden Kommunikationsrastern anpassen muß. Eine Identität, die wesentlich als die Starrheit des Sich-selbst-Gleichen erwartet wird, kann auch gar keine anderen Effekte erzie- len als Unterordnung des Besonderen unter allgemeine Schemata sowie Hemmung der spontanen Lebensäußerungen zugunsten der Selbstbeherrschung,84 was noch einmal die empirische Relevanz des Modells Krappmanns innerhalb einer hochgradig rationalisierten Gesellschaft bestätigen mag. Eine Identität als ein lebendiges Verhält- nis von Einzelnem und Allgemeinem, demnach eine Möglichkeit von Zivilisation, die die Subjektivität ihrer Mitglieder ermöglichte und sich entfalten ließe, wäre hingegen denkbar auf der Basis konstellativer Identität als Ausdruck einer simultan85 reflektier- ten Rationalität. Die Konstanz einer solchen Identität würde nicht von den Erforder- nissen äußerer Ordnung, sondern vom Zusammenhang der Erfahrungen (im emphatischen Sinn) des Individuums in einer Gesellschaft gestiftet.86 Objektive Widersprüche würden dadurch jedoch nicht mehr in das Subjekt hineinverlagert und qua Rationalisierung geschlichtet, sondern fänden adäquaten Ausdruck in der gesellschaftlichen Realität durch das sie nach außen tragende Individuum:

„Erfahrung verwehrt, was immer an Widersprechendem auftrete, in der Einheit des Bewußtseins zu schlichten. Ein Widerspruch wie etwa der zwischen der Bestimmung, die der Einzelne als seine eigene weiß, und der, welche die Gesellschaft ihm aufdrängt, wenn er sein Leben er- werben will, der ›Rolle‹, ist ohne Manipulation, ohne Zwischenschaltung armseliger Oberbegriffe, welche die wesentlichen Differenzen ver- schwinden machen [etwa der Begriff der industriellen Gesellschaft], un- ter keine Einheit zu bringen; ebensowenig, der, daß das Tauschprinzip, das in der bestehenden Gesellschaft die Produktivkräfte steigert, diese zugleich in wachsendem Grad mit Vernichtung bedroht.“87

Diese Aufrechterhaltung des Widerspruchs im Bewußtsein wäre mehr als eine Form der Rollendistanz, nämlich die Distanz von der ‘Haupt-Rolle’ als Form selbst- erhaltender Rationalität.88 Wenn es stimmt, daß „die Basis der gesellschaftlichen Pro- zesse das soziale Handeln prinzipiell vernunftgeleiteter Subjekte ist“89, so erscheint hier eine Vernunft, die so vernünftig wäre, auf das Erzielen einer Balance zu verzich- ten zugunsten einer echten Dialektik von Subjekt und Objektivität. Das Subjekt, das sich nicht einreden ließe, das Leben gegen eine Lebensversicherung einzutauschen,90 wäre die Basis einer Gesellschaft, die gelernt hätte, Rationalität von Rationalisierung zu unterscheiden.

Literaturnachweise

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Berger, P.L.; Luckmann, Th. (1969): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirk- lichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Ff/M. 1996 (Abdruck der Aufl. 51977)

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Haug, F. (1972): Kritik der Rollentheorie und ihrer Anwendung in der buergerlichen deutschen Soziologie. Ff/M. 1972

Hegel, G.W.F. (1986): Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Ff/M. 31993

Horkheimer, M.; Adorno, Th.W. (1947): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Ff/M. 1989

Jörissen, Benjamin (2000): Identität und Selbst. Systematische, begriffsgeschichtliche und kritische Aspekte. Berlin (Logos) 2000, (125 S., DM 22,80)

Krappmann, L. (1969): Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedin- gungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen. Stuttgart 51978

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Turner, R. (1977): Rollenübernahme: Prozeß versus Konformität. In: Auwärter, M.; Kirsch, E.; Schröter, K. (Hrsg.): Seminar: Kommunikation, Interaktion, I- dentität. Ff/M. 21977, S.115-139

Veith, H. (1996): Theorien der Sozialisation. Zur Rekonstruktion modernen sozia- lisationstheoretischen Denkens. Ff/M.; New York 1996

[...]


1 Buck 1984

2 Dies wirft Adorno Hegel vor im Kapitel „Weltgeist und Naturgeschichte“ der Negativen Di a- lektik. „Wäre Philosophie, als was die Hegelsche Phänomenologie sie proklamierte, die Wissenschaft von der Erfahrung des Bewußtseins, dann könnte sie nicht, wie Hegel in fortschreitendem Maß, die individuelle Erfahrung des sich durchsetzenden Allgemeinen als eines unversöhnt Schlechten souverän abfertigen und zum Apologeten der Macht auf angeblich höherer Warte sich hergeben“ (Adorno 1966, S.302).

3 So etwa Adorno: „Ich finde die normative Wendung des Rollenbegriffs abscheulich [...]. Aber phänomenologisch [...] ist etwas dran“ (Adorno 1971, S.141)

4 In dem Bemühen um ein tragfähiges Konzept subjektiver Identität führte Geulen (1989) eine systematische Diskussion sozialisationstheoretischer Ansätze. Angesichts der im Rahmen einer Seminararbeit notwendigen Beschränkungen stelle ich Geulens Diskussion gleich aus zwei Gründen dar: erstens zur (groben) Einordnung der Diskussion in ihren theoriegeschichtlichen Rahmen, dann aber v.a. der Geulenschen Kritik des Habermasschen Balancekonzeptes - das sich ähnlich auch (zumindest) bei Goffman und Krappmann findet - wegen.

5 Geulen 1989, S.126 ff. (Kap. 2.45)

6 Geulen 1989, S.133

7 Geulen 1989, S.127 f.

8 In Kap. 2.51 bis 2.53, S.108-126.

9 Nach Geulens Darstellung gelangt Plessner durch den Begriff der "exzentrischen Positionali- tät", also der menschlichen Fähigkeit der Distanzierung von der Zentralität seiner Existenz im 'Hier-Jetzt', zu einem Konzept der "Dualität von öffentlichen Rollen einerseits und der Privat- sphäre andererseits als Realisierung der exzentrischen Positionalität, das heißt als Bedingung für das Wesen des Menschen als eines sich selbst bewußten" (Geulen 1989, S.122).

10 Geulen 1989, S.124. Mead leitet Identität aus dem "Me" ab, das die vom "I" ausgehenden spontanen Aktionen anhand des internalisierten Maßstabes des "generalisierten Anderen" selbstreflexiv bewertet. Die Identität des Individuums ist in diesem Modell jedoch an die problematische Supposition der - widerspruchsfreien - Identität seiner Gruppe (bzw. seiner Gesellschaft) geknüpft (Geulen 1989, S.118 f). Durkheims strukturelle Bedingung der Identität ist die aufgrund der Arbeitsteilung in Großge- sellschaften erforderliche Spezialisierung (mit dem Zweck, der Konkurrenz standzuhalten), die ohne ein gewisses Maß an Autonomie nicht denkbar wäre, während Simmel die Individualität des Individuums an seiner multiplen Gruppenzugehörigkeit festmacht: "Die Gruppen, zu denen der Einzelne gehört, bilden gleichsam ein Koordinatensystem, derart, daß jede neu hinzukom- mende ihn genauer und unzweideutiger bestimmt" (Simmel zitiert nach Geulen 1989, S.113).

11 Geulen 1989, S.123 f.

12 Geulen 1989, S.125

13 Geulen 1989, S.125: „[...] zumindest die zentralen Momente der Einheit und der Unvertretbarkeit scheinen mit diesen Kategorien noch nicht angemessen erfaßt werden zu können“.

14 Habermas 1968, S.131

15 Habermas 1968, S.131

16 Habermas 1968, S.132

17 In Abhebung zum ‘analytischen’ Sprachgebrauch, der sprechakttheoretisch gefaßt den propositionalen Aussagegehalt repräsentiert.

18 Geulen 1989, S.126

19 Geulen 1989, S.126

20 Geulen 1989, S.126

21 Freilich haben Berger und Luckmann bereits 1966 ebendieses Postulat, ebenfalls im Hinblick auf sprachliche Allgemeinheit, vorgetragen: „In der Perspektive der institutionalen Ordnung er- scheinen die Rollen als institutionelle Repräsentationen und als mögliche Vermittler zwischen den verschiedenen institutionell objektivierten [sprachlich organisierten, B.J.] Wissensaggrega- ten. In der Perspektive der Rollen selbst hat jede einzelne Rolle ihr gesellschaftlich festgelegtes Wissenszubehör. Beide Perspektiven weisen auf das eine umfassende Phänomen hin: die fun- damentale Dialektik der Gesellschaft. Von der ersten Perspektive her wäre das Resumée: Gesell- schaft ist nur, wo der einzelne sich ihrer bewußt ist. Von der zweiten her wäre es: Das individuel- le Bewußtsein ist immer gesellschaftlich determiniert“ (Berger, Luckmann 1969, S.83). Bei Berger und Luckmann entwickelt sich also Individualität im Laufe der primären Sozialisation im Medium eines Allgemeinen, nämlich der subjektiven Aneignung institutionaler (insofern allgemeiner und verbal legitimierter und tradierter) Wirklichkeit: „Das Kind übernimmt die Rollen und Einstellun-

22 Krappmann berichtet, daß schon G.H. Meads „I“-Begriff bei vielen Interaktionisten und Rol- lentheoretikern wesentlich geringere Aufmerksamkeit erfahren hat als das „Me“ (Krappmann 1969, S.134).

23 Geulen 1989, S.125

24 Goffman zitiert nach Krappmann 1969, S.41

25 Krappmann 1969, S.42

26 Die Interaktionssituation ist also nicht lediglich raumzeitlich-situativ, objektivistisch gedacht.

27 Krappmann 1969, S.42

28 Krappmann 1969, S.46. Hervorhebung von mir, B.J.

29 Krappmann 1969, S.47

30 Krappmann 1969, S.48

31 Krappmann 1969, S.50 f.

32 Krappmann 1969, S.52

33 Krappmann 1969, S.57

34 „Die vom Individuum für die Beteiligung an Kommunikation und gemeinsamen Handeln zu erbringende Leistung soll hier mit der Kategorie der Identität bezeichnet werden“ (Krappmann 1969, S.8). „Wie schon ausgeführt, besitzt man Identität immer nur in bestimmten Situationen

35 Krappmann 1969, S.45

36 A. Strauss zitiert nach Krappmann 1969, S.45. Hervorhebung von mir, B.J.

37 (ohne die schwerlich von einer Biographie zu sprechen ist)

38 Krappmann 1969, S.51

39 Vgl. S.5 dieser Arbeit.

40 Dahrendorf, R.: Homo Soziologicus. Köln/Opladen 51965 (Bibliographiert nach Geulen 1989).

41 Wie man sie aus der philosophischen Tradition seit Rousseau - (bourgeoises) Subjekt als Gegensatz zur Gesellschaft - gewöhnt war.

42 Jedenfalls führt Veith (1996, S.32) die Reserviertheit der deutschen Soziologie gegenüber Parsons Rollentheorie darauf zurück, „daß die Sozialisationstheorie vor allem [angesichts der jüngsten Geschichte] auf sozial.historische Problem- und Gefühlslagen reagierte und weniger immanente Widersprüche zum Anlaß ihrer Weiterentwicklung nahm.“

43 Geulen 1989, S.496

44 Geulen 1989, S.125. Wie in Fußnote 13 zitiert, beruht Geulens Zweifel auf der nicht berücksichtigten Einheit sowie der Unvertretbarkeit des Subjekts. Während die Unvertretbarkeit als empirische Erfahrung wohl kaum angezweifelt werden kann, findet jedoch das Moment der Einheitlichkeit des Bewußtseins später noch kritische Aufmerksamkeit..

45 Krappmann 1977, S.314

46 Krappmann 1977, S.319

47 Krappmann 1969, S.101

48 Krappmann 1969, S.101

49 Krappmann rekurriert hierzu auf Levinson, D.J.: Role, Personality, and Social Structure in the Organizational Setting. In: Journal of Abnormal and Social Psychology (58) (1959), S.170-180 (verzeichnet nach Krappmann 1969).

50 Krappmann 1969, S.118

51 Krappmann 1969, S.119

52 Krappmann 1969, S.120

53 Krappmann 1969, S.121

54 Krappmann (1977, S.325) verweist auf den empirischen Beleg des Zusammenhangs zwischen ›role-taking‹ und sprachlicher Differenzierungsfähigkeit durch J. Flavell.

55 Krappmann 1995, S.1314

56 Wie die Kritik am Begriff der persönlichen Identität gezeigt hat, ist die Annahme einer wirklich subjektiven Interpretation von Interaktionssituationen nicht abgesichert. Damit ist jedoch auch die Fähigkeit zur (echten) subjektiven Interpretation der Rolle fragwürdig.

57 Geulen 1989, S.130. Besonders treffend ist dieser Verdacht angesichts der bereits zitierten Vorstellung des „Handels um Identität“ (vgl. FN 34).

58 Geulen 1989, S.131

59 Ganz ähnlich der nötigen Prise Chaos, ohne ‘lebendige’ Systeme anscheinend nicht bestehen können.

60 Die Benennung ‘Balance’ widerspricht bezeichnenderweise schon in ihren Konnotationen dem angeblich unter ihr befaßten ‘dialektischen Verhältnis’: denn eine Balance ist ja gerade das Nicht-Umschlagen; das Schwanken, dessen Ideal die Homöostase, nicht die Bewegung, ist. So kommt es auch nicht zu einem wirklichen jeweiligen Veräußern des Subjektiven ans Objektive und umgekehrt, sondern zu einem Einpendeln, das ein Weder-Noch ist: das Individuum trans- formiert sich nach den vorgegebenen Regeln, um seinerseits Objektivität zu ‘Aktionspartnern’ zu verdinglichen.

61 Geulen 1989, S.125

62 Der Bezug bei G.H.Mead ist eindeutig; bei Habermas zumindest jedenfalls in bezug auf den jungen Hegel (vgl. Habermas, J.: Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser ›Phi- losophie des Geistes‹. In: ders.: Technik und Wissenschaft als ›Ideologie‹. Ff/M 141989, S.9-47).

63 vgl Fn. 2.

64 Ich möchte davor warnen, daß die folgende Darstellung wegen ihrer kaum vertretbaren, dennoch notwendigen Kürze ihren Gegenstand arg zurichtet, darauf hoffend, daß die anschließende Diskussion ein weniges davon wiedergutmachen kann.

65 (was nur dann für eine Metapher - also etwas nicht Reales - gehalten werden kann, wenn allein begrifflich Bezeichenbares als real anerkannt wird)

66 Es ist sicherlich eine Simplifikation, jedoch drängt sich hier der Gedanke auf, dies mag an den nicht leicht zu vereinbarenden theoriegeschichtlichen Wurzeln liegen - ein Konflikt, der, wie Adorno (1967) beschreibt, schon in Durkheims Arbeiten selbst angelegt ist.

67 Das mag trivial sein; dennoch lege ich Wert auf die Feststellung, daß meine Kritik an Krappmann sich ja gerade am Gehalt seiner Texte entfalten kann.

68 Diese Forderung mag den ermüdenden Eindruck der zur Pose erstarrten Kritik erwecken. Sie ist indessen nicht auf Hinterfragungsrituale (die letztlich nur der Rechtfertigung dieser oder je- ner These dienen), sondern auf Wahrung des wissenschaftlichen Aussagestatus aus. Daß eini- ge Begriffe sich nichit positiv definieren lassen, eximiert nicht davon, sich an ihrer Negation zu versuchen - ein Rückfall in Metaphysik mit den Mitteln analytischer Wissenschaftssprache wä- re sonst kaum zu vermeiden.

69 Foucault (1977) zeigt unter großem empirischen Aufwand, daß die Steuerungsverlagerung in das Individuum hinein notwendig sein kann, um die Effektivität von Institutionen zu erhöhen.

70 (also endgültig die Reste älterer Gesellschaftordnungen, die eine ‘zentrale’ Plazierung der In- dividuen vorsahen - wie etwa die der ständischen und auch noch der Klassengesellschaft - ü- berwunden)

71 (die ja laut Krappmann (1995) allmählich verschwinden)

72 Das könnte als kritische Wendung des Turnerschen ›role-making‹ angesehen werden (vgl. etwa Turner 1977, S.117).

73 Überhaupt drängt sich der Gedanke auf, Krappmann hätte die Handlungsrationalität seines Individuums direkt der in diesem Buch beschriebenen nachgebildet - sogar das Moment der List (der berechnet darstellenden „Interpretation“ der Rolle, vgl. Krappmann 1969, S.51) ist in derselben Art Teil der Rationalität wie bei Horkheimer/Adorno.

74 Horkheimer/Adorno 1947, S.19. Voraussetzung dieses Akts der Anpassung ist rationales Handeln, deren Schema Horkheimer/Adorno wie folgt beschreiben: „Alle bürgerliche Aufklä- rung ist sich einig in der Forderung nach Nüchternheit, Tatsachensinn, der rechten Einschät- zung von Kräfteverhältnissen. [...] Das rührt daher, daß jegliche Macht in der Klassengesell- schaft ans nagende Bewußtsein von der eigenen Ohnmacht gegenüber der physischen Natur und deren gesellschaftlichen Nachfolgern, den Vielen, gebunden ist. Nur die bewußt gehand- habte Anpassung an die Natur [lies: ihrer gesellschaftlichen Nachfolger, den Vielen] bringt die- se unter die Gewalt des physisch Schwächeren. Die Ratio, welche die Mimesis verdrängt, ist nicht bloß deren Gegenteil. Sie ist selber Mimesis: die ans Tote. [...] Nachahmung tritt in den Dienst der Herrschaft [...]“ (ebd. S.64).

75 Diese Kapitel ist nur als ein Versuch und als Andeutung zu verstehen. Es geht vollends über den (schon in den vorigen Kapiteln z.T. strapazierten) begrifflich abgesteckten (und also innerhalb dieser Arbeit abgesicherten) Rahmen hinaus.

76 Vgl. etwa Habermas, J.: Die Versclingung von Mythos und Aufklärung: Horkheimer und A- dorno. In: ders., Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Ff/M. 1985, S.130-157. oder Bolz, N.: Das Selbst und sein Preis. In: van Reijen, Willem; Schmid Noerr, Gunze- lin (Hrsg.): Vierzig Jahre Flaschenpost. ›Dialektik der Aufklärung‹ 1947 bis 1987. Ff/M. 1987.

77 Adorno 1966, S.17 (Herv.v.mir).

78 (was auf eine Diskussion über die Unterstellung - Hypostasis - von Rationalität als etwas jeder erfahrbaren Realität Vorgängiges hinausliefe)

79 Adorno 1966, S.144

80 Es sei daran erinnert, daß die Forderung der Dialektik der Aufklärung nach dem „Eingeden- ken der Natur im Subjekt“ (Horkheimer/Adorno 1947, S.47) auch schon Rationalität als Medium der ‘Rettung’ dachte - während diese Formel gerne mit der Betonung auf ‘Natur’ gelesen wird (vgl. etwa G. Schmid Noerr: Das Eingedenken der Natur im Subjekt. Zur Dialektik von Vernunft und Natur in der kritischen Theorie Horkheimers, Adornos und Marcuses. Darmstadt 1990), so ist doch der Kern des merkwürdigen Gerundiums ‘Eingedenken’ das Denken selbst. - Daß wiederum Denken allein begrifflich (also mittels Identifizierung) sich vollziehen kann, steht für A- dorno außer Frage (vgl. Adorno 1966, S.17).

81 Es ist in dieser Arbeit wahrlich nicht der Platz, diese komplexe Theorie auch nur annähernd angemessen darzustellen. Ich muß mich also hier mit dieser Skizze zufriedengeben und die restliche (Erinnerungs-)Arbeit dem Rezipienten aufbürden.

82 (außer in der Perspektive eines Denkens, das nur allumfassend lückenlose und unwider- sprüchliche Aussagesysteme für gültig anerkennen möchte - d.h., eines Denkens, daß Unwider- sprüchlichkeit der Realität voraussetzt und im Begriff als deren Abbildung wiederzufinden er- wartet)

83 Der Gedanke existiert ja nicht erst seit der Negativen Dialektik, sondern ist bereits von Hegel gedacht worden: in der Wesenslogik wird Identität vom Unterschied her gedacht (Hegel 1986, S.38-45, insbes. S.40f. - von Adorno blieb dies nicht unkritisiert, vgl. Adorno 1966, S.312).

84 Als den Archetypus dieses Vorganges beschrieben Horkheimer/Adorno Odysseus, der sein ‘bellendes Herz’ züchtigt und zur Geduld anhält (Horkheimer/Adorno 1947, S.54 - Fußnote 5).

85 Ich benutze hier etwas unbeholfen das Wort ‘simultan’, um die hier vorgestellte Reflexivität, bei der sozusagen die Rationalität reflektierend bei sich ist, abzugrenzen von Reflexionen wie z.B. der wissenschaftstheoretischen, bei denen immer die theorieimmanente Rationalität von der beobachteten analytisch getrennt bleibt.

86 Unter den Erfordernissen der steten Berechenbarkeit freilich schiene diese Konstanz unberechenbar, weil das sie Bestimmende sich nicht berechnen läßt.

87 Adorno 1966, S.155

88 Dies möchte übrigens nicht suggerieren, daß das Bewußtsein jeweils in dem Maße geteilt sei wie der gesellschaftliche Zustand widersprüchlich ist; denn in einer weniger von Widersprüchen bestimmten Gesellschaft wäre auch das Primat der Einheitlichkeit gebrochen.

89 Geulen 1989, S. II. (Herv.v.mir, B.J.)

90 „[...] nur durch das Prinzip der individuellen Selbsterhaltung hindurch, mit all ihrer Engstirnigkeit, funktioniert das Ganze“ (Adorno 1966, S.306 f.).

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Identität zwischen sozialer Balance und Selbstkritik
Veranstaltung
Sozialisation und Identitätsbildung im 20. Jahrhundert
Autor
Jahr
1996
Seiten
23
Katalognummer
V103908
ISBN (eBook)
9783640022847
Dateigröße
397 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identität, Balance, Selbstkritik, Sozialisation, Identitätsbildung, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Benjamin Jörissen (Autor:in), 1996, Identität zwischen sozialer Balance und Selbstkritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103908

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