Kennzeichen und Typen der amerikanischen Filmfarce: Buster Keaton und W.C. Fields


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

34 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Die amerikanische Filmfarce
1.1. Geschichte
1.2. Die Farce im Film
1.3. Elemente und Stilmittel
1.4. Anarchie und Individuum
1.5. Die komische Katharsis

2. Typen der amerikanischen Filmfarce: Buster Keaton und W.C. Fields
2.1. Die Tücke des Objekts
2.2. Stummfilm – Tonfilm
2.3. Farce und Komödie
2.4. Identifikation und Distanz

3. Literatur

1. Die amerikanische Filmfarce

1.1. Geschichte

Das Wort Farce stammt vom lateinischen „farcire“ = „anfüllen“, „spicken“ und steht etymologisch im Zusammenhang mit „Sinnlichkeit“ und “Gaumenfreuden“. Erstmals nachgewiesen worden ist die Bezeichnung im Kontext mittelalterlicher Mysterienspiele. Die Farce bezeichnete damals komische Zwischenspiele im Rahmen erbaulicher religiöser Darbietungen.[1]

In der Renaissance, als die Rückbesinnung auf antike Traditionen einherging mit einer Modifikation des Verständnisses von Individualität, sind

Elemente und Stilmittel der heutigen Farce u.a. bei Shakespeare und im italienischen Volkstheater nachgewiesen. Vom 16.-18. Jahrhundert gipfelte die Neuentwicklung des Volkstheaters in der Blütezeit der Commedia dell’Arte, die das Verbale hinter dem Visuellen zurücktreten ließ und deren Darsteller eher gute Akrobaten sein mussten als gute Schauspieler.[2]

Die komischen Darsteller der Commedia, Nebenfiguren, die im Laufe der Zeit immer größere Bedeutung erlangten, trugen Halbmasken und waren stereotypisiert: Der lächerliche alte Kaufmann Pantalone, der immer ein Auge auf ein junges Mädchen geworfen hat, der aggressive, hinterhältige, wenn auch prinzipiell gutmütige Diener des Helden Arlecchino (in dessen Tradition später Chaplins früher Tramp gesehen wird[3]) oder Il Dottore, ein Akademiker als Verkörperung der inkompetenten, arroganten Obrigkeit, die häufig bloßgestellt wird. Solche Figuren finden sich später in der Stummfilmfarce Mack Sennets wieder, dessen Clowns die Handlungsvorgaben der Commedia immer wieder benutzten und variierten.[4]

Unmittelbare Vorläufer der Filmfarce waren der Zirkus, eine Erfindung des 18. Jahrhunderts, und die englische Music-Hall, eine Mischung aus Gastronomie, gesellschaftlicher Kommunikation und Entertainment in den urbanen Zentren, wo sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die variety show entwickelte. Zu Musik, Tanz und Gesang gesellten sich akrobatische und komische Darbietungen. Zu den Komikern der variety show gehörten um die Jahrhundertwende spätere Zentralfiguren der Filmfarce wie Charlie Chaplin und Stan Laurel.[5]

Erwähnenswert ist außerdem die Blüte der Farce im französischen Theater Ende des 19. Jahrhunderts, die sich durch das Aufgreifen und Ausspielen für ihre Zeit wagemutiger, meist anzüglicher Themen auszeichnete. Ein zentraler Handlungsstrang der Stücke waren der immer wieder intendierte, aber nie realisierte Ehebruch. Die Handlungen spielten durchgängig im Milieu der Bourgeoisie, die Handelnden wurden als Spießbürger entlarvt. Das Tempo der Stücke war hoch, es gab dauernd Auftritte und Abgänge: Die französische Farce der Jahrhundertwende ist das „Genre der vielen Türen“.[6]

Genauso wie in Europa fand die Farce in Amerika ihre Heimat zunächst im Zirkusring und auf der Bühne des Tingeltangels. In den städtischen Zentren entwickelten sich Ende des 19. Jahrhunderts, als amerikanisches Pendant zur englischen Music-Hall, die burlesque show und das Vaudeville. Die komischen Nummern fungierten als Füllsel zwischen artistischen Darbietungen und mehr oder weniger frivolen Tanz- und Gesangsnummern.

Zwischen der Entwicklung des Vaudeville und der Stummfilmfarce fand eine aufschlussreiche Wechselwirkung statt. Obgleich zahlreiche Vertreter der späteren Elite von Hollywood-Komikern zunächst im Vaudeville beschäftigt waren, wurden sie dort nie als Hauptattraktion präsentiert. Dies beförderte nicht nur deren Abwanderung zum Radio und zum Film, sondern trug umgekehrt, analog zur Music-Hall, wohl auch zum Untergang dieser Unterhaltungsform in den 20er Jahren bei.[7]

Das wiederum aus dieser Konstellation erwachsene „Nachwuchsproblem“ hinsichtlich artistisch geschulter Slapstick-Darsteller in der Filmfarce war für die Wandlung und Weiterentwicklung des Genres sekundär. Der „beispiellose Triumph des ‚seriösen’ komischen Charakterdarstellers über den grotesken Darsteller“[8] (s. dazu auch Abschnitt 2.3.) war auch und im wesentlichen einem veränderten gesellschaftlichen Bewusstsein und einem entsprechend veränderten Publikumsgeschmack geschuldet.

1.2. Die Farce im Film

Viele Filmaufnahmen vom Beginn der Filmgeschichte tragen Züge der Farce. Meist sind es kurze Szenen, Gags und Sketche: Ein Nickelodeon aus der Zeit des Guckkastenfilms zeigt einen Mann, der Grimassen schneidet, weil er niesen muss („Fred Ott’s Sneeze“, 1891). Später wird ein Mann mit Wasser bespritzt, weil ein Junge auf dem Gartenschlauch getreten ist, oder ein Känguru wird zum Partner beim Boxkampf.

Anfang des 20. Jahrhunderts werden erste Filme mit Akteuren gedreht, die eine Handlungsstruktur haben und zwischen zehn und 20 Minuten lang sind (one reelers und two reelers). Zu den wichtigsten Komikern dieser Epoche gehört, neben David Wark Griffith (1874-1948), der Komödien mit Slapstickelementen realisierte, Max Linder (1882-1926). Linder, den Chaplin als seinen „großen Lehrer“ bezeichnete, gilt als erster populärer Komiker der Filmfarce überhaupt. Ähnlich wie später W.C. Fields, verkörpert er einen Kleinbürger mit einem gestörten Verhältnis zur Arbeit und zu Frauen.[9]

1912 gründete Mack Sennet die Keystone-Filmgesellschaft. Sennets Motto lautete: fast and furious. In seinen “Knockabout -Farcen” kommen alle klassischen Slapstick-Elemente vor. Die Keystone Cops, die „verrückteste Polizeitruppe der Welt“ wird gegründet.

Auch die Tortenschlacht wird erfunden, das neben der Verfolgungsjagd filmspezifischste Element der Filmfarce. Eine dramaturgische Eskalation von Ereignissen, die eine Vielzahl der zentralen Elemente der Filmfarce kombiniert - hohes Tempo, physische Gewalt, Zweckentfremdung von Objekten, Würdeverlust der Agierenden – und in der Folgezeit genutzt wird, um immer neue Gipfel des Grotesken zu erklimmen: 1928 drehen Oliver & Hardy „The Battle of the Century“, den „Film der 4000 Sahnetorten“. Henry Miller kommentierte den Film wie folgt:

„...der größte Groteskfilm, der je gedreht wurde, da er die Tortenschlacht zur Apotheose erweiterte. Darin war nichts als Tortenschlacht, nichts als Torten, Tausende und Abertausende von Torten, und jeder wirft sie nach rechts und links.“[10]

1.3. Elemente und Stilmittel

In der Literatur wird die Farce heute meist als Untergenre des Komischen verstanden. Lesarten wie diejenige Nowaks (1991), die die Farce als ein „eigenständiges Genre mit eigenen Konventionen und Qualitäten“[11] sieht, bilden eher die Ausnahme. Nowak sieht „in der Komödie bzw. Farce dasjenige [Filmgenre], welches in Amerika am konstantesten zu beobachten ist.“ Selbst in der Geschichte des Westerns hätte es Brüche und Epochen gegeben, in welchen dieses höchstens zweitrangig gewesen sei. Komische Filme hingegen „gab und gibt es durchgehend seit nunmehr fast 100 Jahren“.[12]

Die Farce ist extrem, ihr ist nichts heilig, sie hat vor nichts Respekt. Sie ist brutal, gefährlich, mitleidslos, erbarmungslos, sie geht an die „Grenze des Erträglichen“[13], ist destruktiv, zynisch, illusionslos, blasphemisch und obszön. Nicht umsonst ist der Witz bei Freud, derjenige das entschieden größte Vergnügen bereitet, immer der „tendenziöse“, der Tabubrecher[14]. Man denke nur an Woddy Allens Auftritt als intellektuelles Spermatozoon in „Was sie schon immer über Sex wissen wollten“[15]. Einschränkend ist zu sagen, dass etwa Blasphemie und Obszönität (s. dazu auch 1.5.) bis zur Einführung des rating systems (1968) im amerikanischen Film durchaus das blieben, was sie gesellschaftlich waren: Tabus.

Die Farce ist visuell. Früher mehr als heute arbeitet sie mit Körperkomik, also Slapstick. Die Farce beruht laut Panofsky „auf sadistischen oder pornographischen Neigungen“ und „ähnelt in ihrer Destruktionslust dem Expressionismus und Dadaismus“. Sie ist ein „Surrealismus ohne Tränen“ genannt worden: Sie verlässt den Boden der Wirklichkeit, ist abnormal und phantastisch.[16]

Analog zur italienischen Commedia dell’ arte sind die Figuren der Filmfarce nicht differenziert, sondern stereotyp gezeichnet (z.B. Hanswurst). Sie stellen permanent das dar, was sie sind. Die Figuren erlauben nur begrenzte Identifikation, der Betrachter wird emotional auf Distanz gehalten. Oft sind die Figuren durch ein Handikap behindert. Durch ihre Hilflosigkeit werden sie zu den idealen Objekten für die Aggression der Farce.[17]

Ein zentrales Gestaltungsmittel der Farce ist die physische Gewalt, die in Tortenschlachten, Verfolgungsjagden, Prügeleien und tit for tat -Nummern (“Wie Du mir, so ich Dir!”) zum Tragen kommt. Wie im Comic hat die Gewalt fast nie fatale Folgen, die Figuren der Farce erscheinen als unzerstörbar. Häufig ist nicht Aggressivität das Motiv für Zerstörung, sondern Tollpatschigkeit, z.B. als Jerry Lewis in „Rock-a-bye-baby“ (1958) versucht, eine Antenne auf das Dach zu montieren und dabei den Schornstein und das Wohnzimmer zerstört und die Straße unter Wasser setzt[18].

[...]


[1] Nowak, S. 37

[2] ebenda, S. 39

[3] Madden; zitiert bei Nowak, S. 122

[4] Nowak, S. 39f.

[5] ebenda, S. 42

[6] Nowak, S. 43f.

[7] ebenda, S. 47

[8] Brandlmeier, S. 19

[9] Nowak, S. 62

[10] Brandlmeier, S. 94

[11] Nowak, S. 25

[12] ebenda, S. 9

[13] ebenda, S. 25

[14] ebenda, S. 18

[15] ebenda, S. 204

[16] Brandlmeier, S. 31f.

[17] Nowak, S. 25

[18] ebenda, S. 125

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Kennzeichen und Typen der amerikanischen Filmfarce: Buster Keaton und W.C. Fields
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Theaterwissenschaft und Kulturelle Kommunikation)
Veranstaltung
Modelle des Komischen (II) bei Henri Bergson, im französischen Vaudeville und in den Thrill comedies von Harold Lloyd
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
34
Katalognummer
V10383
ISBN (eBook)
9783638168243
ISBN (Buch)
9783638681612
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Komik, Lachen, Katharsis, Buster Keaton, W.C. Fields, Aristoteles, Stummfilm, Amerika, Tonfilm, Komödie, Anarchie, Individuum, Identifikation, Distanz
Arbeit zitieren
Clemens Grün (Autor:in), 2001, Kennzeichen und Typen der amerikanischen Filmfarce: Buster Keaton und W.C. Fields, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10383

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