Exegese von Matthäus 21,33-46


Seminararbeit, 2000

23 Seiten, Note: 1-2


Leseprobe


1. Bibeltext

1.1. Übersetzung nach Luther

Matthäus 21,33-46 Von den bösen Weingärtnern

33Hört ein anderes Gleichnis: Es war ein Hausherr, der pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter darin und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.

34Als nun die Zeit der Früchte herbeikam, sandte er seine Knechte zu den Weingärtnern, damit sie seine Früchte holten.

35Da nahmen die Weingärtner seine Knechte: den einen schlugen sie, den zweiten töteten sie, den dritten steinigten sie.

36Abermals sandte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; und sie taten mit ihnen dasselbe.

37Zuletzt aber sandte er seinen Sohn zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.

38Als aber die Weingärtner den Sohn sahen, sprachen sie zueinander: Das ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten und sein Erbgut an uns bringen!

39Und sie nahmen ihn und stießen ihn zum Weinberg hinaus und töteten ihn.

40Wenn nun der Herr des Weinberges kommen wird, was wird er mit diesen Weingärtnern tun?

41Sie antworteten ihm: Er wird den Bösen ein böses Ende bereiten und seinen Weinberg anderen Weingärtnern verpachten, die ihm die Früchte zur rechten Zeit geben.

42Jesus sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen in der Schrift: "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen, und es ist ein Wunder vor unseren Augen"?

43Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volk gegeben werden, das seine Früchte bringt.

44Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen aber er fällt, den wird er zermalmen.

45Und als die Hohenpriester und Pharisäer seine Gleichnisse hörten, erkannten sie, daß er von ihnen redete.

46Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen; aber sie fürchteten sich vor dem Volk, denn es hielt ihn für einen Propheten.1

1.2. Übersetzungsvergleich ( Jörg Zink )

33Laßt euch eine andere Geschichte erzählen: Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an. Er grenzte ihn mit einem Zaun ab, hob eine Kelter aus und baute einen Turm hinein. Dann beauftragte er einige Arbeiter, den Weinberg zu bebauen, und begab sich auf eine Reise.

34Als die Erntezeit kam, sandte er seine Verwalter zu den Arbeitern. Sie sollten den Ertrag abholen.

35Die Arbeiter aber packten die Verwalter, peitschten den ersten aus, schlugen den zweiten tot und warfen den dritten mit Steinen.

36Da sandte der Besitzer andere von seinen Dienern, eine größere Zahl, und die Arbeiter taten mit ihnen dasselbe.

37Zuletzt überlegte er sich: Meinen Sohn werden sie nicht antasten, und schickte seinen Sohn.

38Als die Arbeiter den Sohn sahen, sagten sie: Das ist der Erbe! Wenn wir den töten, gehört der Besitz uns!

39Sie griffen ihn, stießen ihn aus dem Weinberg und brachten ihn um.

40Was meint ihr? Was wird der Besitzer mit den Arbeitern tun, wenn er kommt? 41Er wird die Verbrecher auf eine schlimme Art umbringen, meinten die Zuhörer. Er wird den Weinberg an andere verpachten, die den Ertrag abliefern, wenn es Zeit ist. Da fragte Jesus:

42Habt ihr nie in der heiligen Schrift gelesen: „Der Stein, den die Bauleute weggeworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Das ist nach Gottes Willen geschehen und ist ein Wunder für unser Verständnis?“

43Ich sage euch: Gott hat euch beauftragt, mit ihm zusammen zu wirken. Er wird seinen Auftrag zurückziehen und einem Volk geben, das Früchte bringt. 44Was aber das Wort vom Stein betrifft: Wer auf diesen Stein fällt, wird auf ihm zerschmettern, auf wen aber der Stein stürzt, den wird er zermalmen. 45Die Oberpriester und die Pharisäer, die seine Geschichten hörten, merkten, daß er von ihnen sprach.

46Sie hätten ihn gerne festgenommen, aber sie fürchteten sich vor dem Volk, denn das Volk hielt ihn für einen Propheten.2

Das Ziel Jörg Zinks ist es, uns biblische Texte in heutigem und besser verständlichem Deutsch näher zu bringen. Im Wesentlichen gleichen sich die Übersetzungen von Luther und Zink, bei Zink sind es Arbeiter und keine Pächter und Verwalter statt Knechte, die Funktion dieser Personen ist aber dieselbe. Vers 43 baut Zink deutlicher aus: Er erklärt, was mit den Früchten gemeint ist. Israel sollte mit Gott zusammen wirken, das war der Auftrag an sein Volk. Da es dies aber nicht getan hat, wird der Auftrag „zurückgezogen“ und damit auch sämtliche Privilegien Israels. Gott erwählt eine neue Kirche, die Früchte bringen wird. Dieser „Ausbau“ des Verses ist legitim, da so der Text auch für Nichttheologen verständlich wird, was ja Zinks Ziel ist.

2. Einleitungswissenschaftliche Fragen

2.1. Milieu und Ort

Joachim Gnilka setzt ein hellenistisch-jüdisches Milieu voraus. Zum einen ist das Evangelium in guter griechischer Sprache verfaßt, zum anderen ist der Autor des Matthäus-Evangeliums mit den griechischen Lebensverhältnissen vertraut. Der jüdische Aspekt ist sehr stark, da eine explizite Auseinandersetzung mit der Thora stattfindet ( z.B. Bergpredigt, speziell die Antithesen Mt 5,21-48 ). Generell wird das Alte Testament zur theologischen Aufarbeitung der Jesustradition ( Reflexionszitate ) benutzt. Außerdem nimmt der Evangelist Rücksicht auf innerjüdische Diskussionen, geht auf Gepflogenheiten und Gebräuche des Judentums ein und verwendet Begriffe, die charakteristisch für jüdisches Denken sind ( wie z.B. Himmelsherrschaft, Gerechtigkeit, Vollkommenheit ).

Roloff bringt das Evangelium auch in die Nähe einer jüdischen Umwelt. Seines Erachtens ist die Ablösung der Gemeinde vom Judentum noch nicht lange her, der Kontakt zu jüdischen Synagogengemeinden besteht immer noch. Außerdem rechnet Roloff Matthäus dem Entstehungsmilieu der Logienquelle Q zu, das durch galiläisch-syrischen Wanderradikalismus geprägt ist.

Gnilka favorisiert Syrien, speziell die Hauptstadt Antiochia, als Entstehungsort des Evangeliums. Beweise sieht er in Mt 4, 24 ( „Und die Kunde von ihm erscholl durch ganz Syrien...“) und Mt 17, 24-27, aufgrund der Währungsidentität. Dazu kommt die besondere Bedeutung des Petrus, der für das frühe antiochenische Christentum eine wichtige Autorität war.3

Auch für Roloff ist der syrische Raum als Entstehungsort am Wahrscheinlichsten. Er belegt seine Behauptung, indem er auf die Bezeugung durch Ignatius von Antiochia und die aus Syrien stammende Didache verweist. Für ihn spielen aber auch die geographischen Hinweise des Evangelisten eine große Rolle, die den Bereich des östlichen Syriens und des nordöstlichen Palästinas als Entstehungsort belegen. Im Gegensatz zu Gnilka sieht er die Hauptstadt Antiochia nicht als Entstehungsort, da Matthäus Paulus weder kennt, noch von der paulinischen Tradition berührt ist.4

2.2. Verfasser und Zeit

Gnilkas erste These ist die eines anonymen Judenchristen, der in Zusammenhang mit einer Schule steht. Diese Vermutung begründet er mit der schnellen und breiten Durchsetzung des Evangeliums, sowie mit dem Umgang mit der Schrift ( Reflexionszitate ) und der Gestaltung einer christlichen Halachot mit christlichen Lebens- und Gemeinderegeln, die einem Katechismus ähneln. Da Petrus für das Evangelium bürgt, ist eine explizite Nennung eines Autors nicht notwendig.

Die zweite These gestaltet sich weit aus schwieriger. Sie stützt sich auf die sogenannte Papias-Notiz. Bischof Papias von Hierapolis in Phrygien hatte 130n. Chr. ein fünfbändiges Werk verfasst, von dem nur Bruchstücke erhalten blieben. Das herkömmliche Verständnis dieser Notiz sieht einen Matthäus, der die aramäische Grundschrift verfasste und einen griechischen Matthäus, der einer der Übersetzer dieser Schrift war. Gnilka bleibt daher bei seiner ersten These.5

Die später hinzugefügte Überschrift „Evangelium nach Matthäus“, die den dem vorösterlichen Zwölferkreis angehörigen Matthäus voraussetzt, kann Roloff nicht davon überzeugen, dass es sich tatsächlich um diesen Matthäus als Verfasser des Evangeliums handelt. Da jede explizite namentliche Erwähnung fehlt und der Verfasser sich maßgeblich auf das Markus-Evangelium als Quelle bezieht, kommt für Roloff dieser Matthäus nicht in Frage. Warum sollte ein Augenzeuge sich auf das Werk eines Nicht-Augenzeugen ( also Markus ) stützen? Roloff plädiert daher für einen anonymen Verfasser.6

Als Entstehungszeit nimmt Gnilka die Jahre um 80n. Chr. an, da einige Textstellen auf die Zerstörung Jerusalems verweisen und sowohl die Didache ( entstand Anfang des 2.Jh. ) als auch 1.Petr. ( entstand 70-100n. Chr. ) das Matthäus-Evangelium kennen.7

Roloff datiert die Entstehungszeit ebenfalls um 80n.Chr..Die Zerstörung Jerusalems ist Matthäus bekannt gewesen, das Evangelium ist unter diesem Eindruck entstanden8

2.3. Komposition, Sprache und Quellen

Nach Meinung von Gnilka ist der Aufbau des Matthäus-Evangeliums im

wesentlichen der gleiche wie bei Markus. Hauptquellen von Matthäus sind das

Markus-Evangelium und die Logienquelle Q. Hervorstechend sind aber die ersten zwölf Kapitel des Matthäus, welche die Kindheit Jesu, die Bergpredigt und die Aussendung der Jünger beinhalten; diese kommen bei Markus nicht vor. Daneben sind die matthäischen Redekompositionen auffällig, das Markus-Evangelium enthält kaum Redegut.

Gnilka gliedert das Matthäus-Evangelium folgendermaßen:

- Vorgeschichte: 1,1-4,16 Jesus wirkt noch nicht öffentlich
- 1.Hauptteil: 4,17-16,20 Jesus verkündet die Herrschaft des Himmels
- 2.Hauptteil: 16,21-25,46 Jesus geht den Weg zur Passion
- Passion und Ostern: 26,1-28,20

Die matthäische Sprache lebt von der Antithese, häufig wird durch sie die Haltung der Pharisäer kritisiert. Zudem ist der griechische Wortschatz des Matthäus reicher als der des Markus. Gnilka spricht von einem „Synagogengriechisch“.9

Roloff bezeichnet Matthäus als den Systematiker unter den Evangelisten. „Er hat sein Buch mit strenger Sorgfalt durchkomponiert. Er rechnete mit Lesern, die bereit sind, in mehrmaliger Lektüre den Zusammenhängen nachzudenken.(...) Gleichartige Stoffe werden häufig zusammengestellt. So stehen in Kap.8 und 9 zehn Wundergeschichten; in 21,28-22,14 finden sich drei Gleichnisse zum Thema ‘Israel’ “10

2.4. Gattung

Der Begriff „Evangelium“ bezeichnete ursprünglich die missionarische Verkündigung und Predigt. Seit Markus ist er zum Gattungsbegriff geworden und man spricht von den vier Evangelien.

Verschiedene Autoren versuchten einen spezifischeren Begriff für das MatthäusEvangelium zu finden, Gnilka führt sie auf: Kirchenbuch, Katechismus, antijüdische Kampfschrift, Perikopenbuch, antike Biographie, kerygmatische Geschichtsreflexion...

Den verschiedenen Gesichtspunkten gerecht werdend, fasst Gnilka sie in einem Satz zusammen: „Matthäus schreibt die Geschichte Jesu Christi als Geschichte des Gottesvolkes“11

Zusammenfassend läßt sich also sagen, dass der Evangelist wahrscheinlich ein anonymer Judenchrist war, der in einer jüdisch geprägten Tradition lebte, über gute griechische Sprachkenntnisse verfügte und das Evangelium um 80n.Chr. in Syrien verfasste.

3. Textanalyse

In diesem Kapitel soll die Struktur des Gleichnisses „Von den bösen Weingärtnern“ ( Mt 21, 33-46 ) untersucht werden.

3.1. Abgrenzung

Da die Kapitelzählung aus dem 13.Jahrhundert, die Verszählung aus dem 16.Jahrhundert stammt und teilweise heutigen Erkenntnissen nicht mehr entspricht, muss überprüft werden, ob die getroffene Abgrenzung sinnvoll ist.

Die hier getroffene Abgrenzung macht Sinn. Vers 32 schließt das Gleichnis „Von den ungleichen Söhnen“ ab, die Parabel wird mit den Worten: „Hört ein anderes Gleichnis...“ ( Mt 21, 33a ) eingeleitet; eine neue Gleichniserzählung beginnt also. Zudem wird das Gleichnis „Von den ungleichen Söhnen“ ( Mt 21, 28-32 ) dem matthäischen Sondergut zugerechnet, kann also nicht mit hier besprochenen Gleichnis, das seinen Ursprung im Markus-Evangelium hat, verbunden werden. Vers 46 erzählt von den Überlegungen der Hohenpriester und Pharisäer, Jesus zu ergreifen. Sie fürchten sich aber vor dem Volk. So kann Jesus ein weiteres Gleichnis ( „Die königliche Hochzeit“ ) erzählen, das in Kap.22,1 beginnt. Würde man das Gleichnis nach Vers 41 enden lassen wollen ( nachdem die Zuhörer ihr eigenes Urteil gesprochen haben ), so fehlte der ( traditionelle ) Bezug zum Alten Testament ( Vers 42 und 44 ) und die Reaktion der Hohenpriester und Pharisäer ( Vers 45-46 ). Durch diesen Zusatz aber wird die Interpretation der Worte Jesu sowohl für den damaligen Zuhörer als auch für den heutigen Leser des Gleichnisses einfacher.

3.2. Kontext

Folgt man der Gliederung Gnilkas (vgl. 2.3.), so findet sich das Gleichnis im 2.Hauptteil des Evangeliums, Jesus ist in Jerusalem. Das Gleichnis „Von den bösen Weingärtnern“ ist umrahmt von zwei Gleichnissen, welche die gleiche Struktur aufweisen ( das Gleichnis „Von den zwei ungleichen Söhnen“ Mt 21, 28- 32 und das Gleichnis „Die königliche Hochzeit“ Mt 22, 1-14 ). Thematisch gemeinsam ist ihnen die heilsgeschichtliche Ablösung Israels durch „neue Gläubige“, die Früchte bringen werden, sowie der Hinweis auf Gottes Gericht an Israel.

3.3. Aufbau

Die Handlung beginnt ohne große einleitenden Worte zu Ort und Umfeld, in dem sich Jesus befindet. Es kann angenommen werden, dass Jesus sich in Jerusalem befindet und zum Volk, besonders aber auch zu den Hohenpriestern und Pharisäer, spricht. Dies ergibt sich aus dem Kontext des Gleichnisses und der Stellung im gesamten Evangelium. Das Gleichnis wird in der Vergangenheitsform erzählt. Die erzählte Zeit erstreckt sich über einen ganzen Erntezyklus (der Hausherr erwirbt den Weinberg und verpachtet ihn, zur Erntezeit kehrt er zurück und verlangt seinen Anteil, den ihm die Pächter verweigern). „Nach einer kurzen Ankündigung ( V 33a ) folgt die Parabel ( V 33b-44 ). Die beiden einleitenden Temporalsätze ( V 34a und V 40a ) gliedern sie in zwei Teile, die eigentliche Erzählung ( V 34-39 ) und den abschließenden Dialog ( V 40-44 ).“12

3.4. Einheitlichkeit

Die Analyse des Textaufbaus zeigt, dass Mt 21,33-46 als literarische Einheit gesehen werden kann. Das Gleichnis ist in sich geschlossen. Kriterien, die gegen eine Einheitlichkeit des Textes sprechen, wie z.B. störende Wiederholungen, gegensätzliche Angaben, Risse und Brüche im Satzbau und im Handlungsablauf, können nicht gefunden werden.

Allerdings wird in der Literatur ( vgl. Einheitsübersetzung ) desöfteren darauf hingewiesen, dass Vers 43 hinter Vers 44 gehöre. Ich kann diese These nicht unbedingt unterstützen, da diese Zitate ( Vers 42 und Vers 44 ) aus dem Alten Testament dort an verschiedenen Stellen stehen, also nicht ursprünglich zusammen gehörten.

4. Quellenkritik ( synoptischer Vergleich )

Aufgabe der Quellenkritik ist die Einordnung eines Textes in einen übergreifenden schriftlich-literarischen Zusammenhang. In Bezug auf das Matthäusevangelium ist dies die „synoptische Frage“, d.h., es wird geklärt, ob und wie die Evangelien von Markus, Matthäus und Lukas literarisch voneinander abhängig sind. Untersucht werden eventuelle Parallelen, Unterschiede und welche Bedeutung dies für die jeweilige Textstelle, hier das Gleichnis „Von den bösen Weingärtnern“ ( Mt 21,33-46 ), hat. Gestützt auf die These der Zweiquellen- theorie, soll durch den Vergleich herausgefunden werden, ob Matthäus diese Textstelle aus dem Markus-Evangelium, der Logienquelle Q oder dem matthäischen Sondergut bezieht. Nach der Zweiquellentheorie ist das Markus- Evangelium das älteste und wurde von Matthäus und Lukas in einer vermutlich etwas veränderten Form, dem sogenannten Deuteromarkus, als Quelle benutzt. Darüber hinaus bearbeiteten die beiden jüngeren Evangelisten unabhängig voneinander eine zweite Quelle, die fast ausschließlich Worte Jesu beinhaltete und ihnen wahrscheinlich in griechischer Sprache vorlag, die Spruch- oder Logienquelle Q. Diese ist selbst nicht mehr vorhanden, läßt sich aber aus den beiden Evangelien weitgehend rekonstruieren. Als dritte Quelle verwandten Matthäus und Lukas ihr jeweiliges Sondergut, das überwiegend aus der mündlichen Jesusüberlieferung stammte und immer nur einem von ihnen zur Verfügung stand.

Markus 12,1-12 Von den bösen Weingärtnern

1Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.

2Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.

3Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.

4Abermals sandte er zu ihnen einen anderen Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.

5Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die anderen töteten sie.

6Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn, den sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.

7Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!

8Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.

9Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.

10Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen: "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.

11Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen"?

12Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, daß er auf sie hin dies Gleichnis geredet hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon. Lukas 20,9-19 Von den bösen Weingärtnern

9Er fing aber an, dem Volk dies Gleichnis zu sagen: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes für eine lange Zeit.

10Und als die Zeit kam, sandte er einen Knecht zu den Weingärtnern, damit sie ihm seinen Anteil gäben an der Frucht des Weinberges. Aber die Weingärtner schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.

11Und er sandte noch einen zweiten Knecht; sie aber schlugen den auch und verhöhnten ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.

12Und er sandte noch einen dritten; sie aber schlugen auch den blutig und stießen ihn hinaus.

13Da sprach der Herr des Weinberges: Was soll ich tun? Ich will meinen lieben Sohn senden; vor dem werden sie sich doch scheuen.

14Als aber die Weingärtner den Sohn sahen, dachten sie bei sich selbst und sprachen: Das ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten, damit das Erbe unser sei!

15Und sie stießen ihn hinaus vor den Weinberg und töteten ihn. Was wird nun der Herr des Weinbergs mit ihnen tun?

16Er wird kommen und diese Weingärtner umbringen und seinen Weinberg andern geben. Als sie das hörten, sprachen sie: Nur das nicht!

17Er aber sah sie an und sprach: Was bedeutet dann das, was geschrieben steht: "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden"?

18Wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen er aber fällt, den wird er zermalmen.

19Und die Schriftgelehrten und Hohenpriester trachteten danach, Hand an ihn legen noch in derselben Stunde; und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie hatten verstanden, daß er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte.13

Der synoptische Vergleich zeigt die literarische Abhängigkeit des Gleichnisses von Markus. Überfliegt man die drei Textstellen, fallen dem Leser zunächst keine großen Unterschiede auf. Die Abweichungen zwischen Markus und den beiden anderen Evangelisten sind teilweise auf redaktionelle Tätigkeiten von Lukas und Matthäus zurückzuführen, könnten aber auch Hinweise auf eine weitere Vorlage (DeuteroMarkus) sein.

Lukas nimmt kaum Veränderungen gegenüber des Markus-Evangeliums vor; es fehlt allerdings die genaue Beschreibung des Weinbergs ( Turm, Zaun..) und er läßt den Verpächter drei Knechte in drei Schritten schicken statt, wie bei Markus, einer ungenauen Anzahl.

Matthäus verändert das Gleichnis schon im ersten Vers: Es ist ein Hausherr, der den Weinberg pflanzt. Das Auffälligste ist aber die demonstrative Einbeziehung der Zuhörer ( V.40 ). Während Jesus bei Markus und Lukas selbst das Urteil über die Pächter fällt, richten die Hörer des Gleichnisses die Pächter und damit sich selber ( V.41 ). Noch deutlicher wird dies durch den Einschub von Vers 43: „Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volk gegeben werden, das seine Früchte bringt.“ Die Verwerfung des Ecksteins hat zur Folge, dass Israel das Gottesreich weggenommen wird. Im Gegensatz zu Lukas und Markus fordert der Hausherr bei Matthäus alle Früchte, nicht nur einen Anteil.

Bemerkenswert ist die Neuordnung der zwei Verben „töten“ und „hinauswerfen“ gegenüber des Mk-Texts Vers 8 ( vgl. Mt 21,39 und Lk 20,15 ) und die Erweiterung des Reflexionszitats Jesu ( Psalm 118, 22.23 ) um einen weiteren Vers ( Mt 21,44 und Lk 20,18: vgl. Daniel 2,34.35 ). In diesen Punkten stimmen Matthäus und Lukas überein ( minor agreements ). Gnilka erklärt dieses Phänomen folgendermaßen: „Im ersten Fall ist deutlich, daß beide die Umstellung der zwei Verben am Mk-Text vornahmen. Das kann durchaus unabhängig voneinander geschehen sein und seine Veranlassung im Wissen um das historische Geschehnis des Todes Jesu draußen vor der Stadt oder im Wissen darum haben, daß Ähnliches schon im AT ( Lv 24,14.23; 16,27; Nm 15,36; Dt 22,24 ) vorgesehen ist ( vgl. Hebr 13,12; Apg 7,58 ).

Die Übereinstimmungen zwischen V 44 und Lk 20,18 sind zwar nicht vollständig, aber doch so weitgehend, daß eine gemeinsame Abhängigkeit anzunehmen ist. Christologisch relevante atl Stellen, die das Bild vom Stein aufgreifen ( Ps 118,22f.; Is 8,14; 28,16 ), sind im NT wiederholt verwendet worden, auch in ihrer Kombination ( 1.Petr 2,4ff; Röm 9,32f; Eph 2,20; Apg 4,11 ). Vermutlich gebrauchte man Florilegien von Schriftstellen, denen man besondere Bedeutung zumaß. Die Schule des Mt kann sich dieser Praxis bedient haben. Für V 44 im Anschluß an Ps 118,22f möchten wir darum die Abhängigkeit von einem Florilegium vermuten.“14

5. Formgeschichte

5.1. Trennung von Redaktion und Tradition

Wie schon in der Quellenkritik aufgeführt, orientiert sich Matthäus an der Fassung des Gleichnisses wie es im Markus-Evangelium zu finden ist. Nach Mk 12,1-12 versagt nicht Israel, der Weinberg Israel bringt vielmehr seine Frucht. Es sind die religiösen Führer des Volkes, welche sich Gottes Anspruch widersetzen und seine Boten misshandeln und töten. Gott greift ein und beseitigt die religiösen Führer, Israel soll andere religiöse Führer bekommen und der verworfene Sohn eine einmalige Stellung gewinnen. In der Fassung des Matthäus hat das Gleichnis von den bösen Winzern demgegenüber eine grundlegende Umwandlung erfahren, die sich besonders in V43 zeigt. V43 ist eindeutig eine redaktionelle Änderung von Matthäus.

5.2. Bestimmung der Form ( Pointe )

5.2.1. traditionsgeschichtliche Rückfrage

Luz wirft die Frage auf, ob die Fassung des Gleichnisses, wie es im Thomas- Evangelium steht, die ursprünglichste ist. Er hält diese These für möglich, findet aber weder klare Gründe, die dafür oder dagegen sprechen. Die Frage bleibt also offen.

In seinen weiteren Ausführungen bezieht er sich auf das Markus-Evangelium und die darin enthaltene Fassung des Gleichnisses. Er verweist auf Jülicher, der die Sendung und Ermordung des Sohnes für ein „vaticinium ex eventu“ [ ‚Prophezeiung über den Ausgang‘ ] hält. Das heißt, dass an dieser Stelle nicht Jesus, sondern das Urchristentum zu Wort kommt, das natürlich über den Tod Jesu Bescheid weiß. Daher nimmt Luz an, dass Mk 12,1-9a als Grundschicht auf Jesus zurückgeht, der Rest später hinzugefügt wurde.15

5.2.2. Bestimmung der Untergattung der Erzählung

„Unter den verschiedenen Gattungen, welche in die Evangelienüberlieferung Eingang gefunden haben, nehmen die Gleichnisse einen besonderen Platz ein, da sie sowohl für die Verkündigung Jesu als auch für Situation und Selbstverständnis der urchristlichen Gemeinden in Anspruch genommen werden können. Grundlegend bleibt A. Jülichers zweibändiges Werk, in dem der allegorisierenden Gleichnisinterpretation eine begründete Absage erteilt und die Begrifflichkeit ( Gleichnis, Parabel, Beispielerzählung, Bild- und Sachhälfte, tertium comparationis ) maßgebend erklärt worden ist.“6

Mt 21,33-46 ist eine Parabel, genauer genommen eine Gerichtsparabel ( vgl. Gnilka ). Es wird ein ungewöhnlicher Einzelfall erzählt, der dennoch den Verstehenshorizont der damaligen Zuhörer miteinbezieht. Der Erzähltempus ist die Vergangenheit. Die Parabel fordert einen zweistufigen Verstehensprozeß. Zunächst veranlaßt sie die Zuhörer zu einer Stellungnahme ( hier das Urteil über die Pächter ) und im zweiten Schritt den Transfer auf die eigene Situation (das dies gelingt, zeigt die Reaktion der Hohenpriester und Pharisäer ). Die Parabel ist stark von Allegorisierungen ( Weinberg, Knechte, Pächter, Sohn...) durchsetzt.

5.3. Der „Sitz im Leben“

„Bereits in den Überlegungen zur mündlichen Überlieferung der synoptischen Tradition war die Erkenntnis eingeflossen, daß die verschiedenen Formen der Überlieferung in eine spezifische theologische und soziologische Situation gehören, die man ‚Sitz im Leben‘ nennt. (...) Beispielerzählungen und Gleichnisse sind in der Unterweisung und Predigt verankert, Wundergeschichten darüber hinaus in der Propaganda urchristlicher Missionare. Die Frage nach dem ‚Sitz im Leben‘ ist also primär eine soziologische, die dazu dient, die Formung der Überlieferung besser zu verstehen. Indem man nach der ursprünglichen Bestimmung und praktischen Verwendung ( M.Dibelius ) einer Überlieferung fragt, die kulturellen Bedingungen und Gegebenheiten bedenkt, denen eine Perikope ihre Entstehung und Funktion verdankt, hofft man zu einem besseren Verständnis zu gelangen.“17 Wie schon in den einleitungswissenschaftlichen Fragen angedeutet, ist das Milieu, indem sich Matthäus bewegt, hellenistisch-jüdisch. Die Gemeinde des Matthäus, aus deren Überlieferungen er schöpfte und für die er zunächst das Evangelium konzipierte, befindet sich in einer Stadt in Syrien. Rückschlüsse auf die Situation der Gemeinde sind nur über die Prägung, die der Stoff durch Tradition und Redaktion erfahren hat, möglich. Gnilka vermutet, dass die Mehrheit der Gemeinde hellenistische Judenchristen waren, der Rest setzte sich aus palästinensischen Judenchristen und Heidenchristen zusammen. Das Leben der Gemeinde war in besonderer Weise durch Jesusüberlieferungen geprägt. In welchem inneren Zustand sich die Gemeinde befand, läßt sich leider nicht genau bestimmen; auch wie sie zur Synagoge stand, ist mehr oder weniger ungewiß. Die Gemeinde, die ihren Ursprung im Judentum hatte, strebte aus der Synagoge heraus, doch war die Verbindung zu ihr noch nicht vollständig abgerissen.18

Aus diesen Überlegungen heraus ist es verständlich, dass Matthäus dieses Gleichnis in seinem Evangelium unterbringt. Er platziert es so, dass auf der einen Seite Jesus diese Parabel vor seinem Leidensweg erzählt ( er als Sohn des Weinbergbesitzers wird getötet ) und auf der anderen Seite, durch den thematischen Kontext mit den umrahmenden Gleichnissen, eine geballte Botschaft an das „ungehorsame“ Israel ergeht.

6. Begriffs- und Motivgeschichte

Die wichtigen Begriffe und Motive der Parabel Mt 21,33-46 sollen hier genauer betrachtet werden:

Weinberg:

Das Motiv des Weinbergs wird häufig gleichgesetzt mit dem Volk Israels, was, bezogen auf Jesaja 5, sicherlich richtig ist. Zu bedenken bleibt aber, dass Gott in der Parabel den Pächtern ( also Israels Führern ) den Weinberg wegnimmt und ihn einem neuen Volk gibt. Im Zusammenhang mit unserer Parabel muss der Weinberg eher als das Gottesreich und seine damit verbundenen Privilegien, aber auch Pflichten, angesehen werden. Der besondere Schutz Gottes wird Israel als Nation weggenommen und an die Kirche, die Früchte bringen soll, weitergegeben.

Hausherr: Unschwer ist in der Parabel Gott als der Weinbergbesitzer zu erkennen. Liebevoll errichtet er diesen Weinberg und gibt ihn zur Bebauung frei. Als er aber den erwarteten Dank ( die Früchte ) trotz mehrmaliger Sendung von Knechten und seinem Sohn nicht erhält, nimmt er den Pächtern den Weinberg wieder weg. „Schon der atl Text bedient sich einer Symbolsprache, deren Elemente in der Liebeslyrik anzutreffen sind ( vgl. Hl 8,11 ). Dem Begründer des Weinbergs geht es nicht um einen gewöhnlichen Weinberg, sondern um eine Musteranlage. Im Mt-Text weist noch der Turm darauf hin. Normalerweise genügte eine Hütte“19

Sohn: Der Sohn des Hausherrn ist Jesus, der Messias. Er wird von seinem Vater geschickt, um die Pächter an ihre Pflicht zu erinnern. Er wird getötet. Dieser Vorgang erinnert stark an das Schicksal Jesu. Durch seine herausragende Beziehung zum Hausherrn gewinnt er gegenüber den zuvor ausgesandten Knechten (Propheten) eine Sonderstellung.

Pächter: Mit den Weinbergpächtern sind die Führer des Volkes; Hohenpriester und Pharisäer, angesprochen und damit auch indirekt das ganze Volk Israel. Sie wurden damit beauftragt, dem Weinbergbesitzer Früchte zu bringen. Dies verweigern sie. Sie gehen sogar soweit und töten den Sohn des Hausherrn. Jesus Verhältnis zu den Pharisäern gestaltete sich ambivalent: Er teilte religiöse Grundüberzeugungen wie Synergismus von Gott und Mensch u.a., kollidierte jedoch mit ihrer Gesetzesauslegung. Er kritisierte die auf rituellen Geboten basierende Abgrenzungsstrategie der Pharisäer gegen alles Fremde. Zweifelsohne ist der Konflikt zwischen Jesus und den Pharisäern vor allem im Matthäus- Evangelium durch die Überlieferung noch gesteigert und schematisiert worden. Neben den Kontroversen gibt es vor allem im Lukas-Evangelium auch Hinweise auf ein freundschaftliches Verhältnis (Lk 13,31ff., 7,36ff.).

Knechte: Mit den Knechten sind hier die Propheten gemeint. Sie sind im wörtlichen Sinn Knechte des Hausherrn und werden im übertragenen Sinn die Knechte Gottes. Schon im Alten Testament wurden die Propheten häufig Knechte genannt, z.B. Jeremia 7,25. Zudem kam es auch vor, dass sie getötet wurden (2.Chr.24,19ff ; Jer. 26,20ff.)

Stein: In Vers 42 wird der Psalm 118,22-23 zitiert. Der Stein, der verworfen wird, könnte Jesus sein. Es handelt sich hierbei um eine christologische Interpretation, da Jesus zum Eckstein der neuen Kirche wurde, nachdem er getötet wurde und auferstand. Die Bauleute wären demnach die Führer Israels. Ob Jesus dieses Zitat selbst verwendete (als Vorausschau) oder aber ob es sich um eine redaktionelle Veränderung der Urkirche handelt, kann nicht eindeutig geklärt werden.

7. Religionsgeschichtlicher Vergleich

„Die Geschichte baut auf den ökonomischen Verhältnissen Palästinas im 1.Jh.n.Chr. auf, wo große Latifundien im Besitz ausländischer Großagrarier waren, die ihre Ländereien verpachteten, auch an Pächterkollektive. Nach der verbreiteten Pachtform mußte ein bestimmter Teil des Ernteertrags an den Grundherrn abgeführt werden, der die Wahrung seiner Rechte durch die Entsendung von Boten sicherstellen mußte. Die Stimmung der galiläischen Bauern gegen die landfremden Herren war gedrückt, gelegentlich aufsässig. Doch überträgt der Erzähler die Geschichte schon in ihrem Ursprung auf eine höhere Verstehensebene. Mit Hilfe der Allegorisierung wird sie zum Abriß der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Mt hat diese Tendenz weiter ausgebaut. Hinter „dem Menschen, dem Hausherrn“, ist sofort Gott zu erkennen. Der Weinberg ist Israel“20

Thematisch wiederfinden läßt sich das Gleichnis in Jesaja 5, 1-7. Hier ist der Weinberg eindeutig Israel, das nur schlechte Früchte bringt. Der Besitzer beschließt daraufhin, den Weinberg verkommen zu lassen.

Peter Dschulnigg verweist in seinem Buch auf das Gleichnis der hochgeliebten Königstochter (PesK 1,3). Er sieht vor allem einen Vergleichspunkt in der Dreigliedrigkeit beider Gleichnisse (dreifache Sendung). Das Gleichnis vom Wein des Königs (PesK 16,9) hat bedeutende Motivgemeinsamkeiten. Auch hier verweist der Weinbergbesitzer auf Gott, der Weinberg auf Israel, der Pächter auf die Führer Israels. Es geht in beiden Gleichnissen um Israel als Gottes Volk. Allerdings ist im PesK-Gleichnis Mose der Pächter, der darauf verweist, dass Israel, ob bewährt oder sündig, Gottes Weinberg, also sein Volk und Erbe ist und bleibt.21

8. Redaktionskritik

Die bedeutendste Veränderung, die Matthäus an dem Gleichnis vornahm, war der Einschub von V43. Conzelmann erklärt dies folgendermaßen: „Vor allem ist die Situation, in der Matthäus denkt und schreibt, zu berücksichtigen: Seine Gemeinde steht in aktueller Auseinandersetzung mit dem Judentum- offenbar im Zusammenhang mit dem jüdischen Krieg und der danach einsetzenden jüdischen Restaurationsbewegung, in der sich das pharisäische Rabbinat behauptet und innerhalb des Judentums durchsetzt. Die Schärfe der Auseinandersetzung zeigt sich an dem heilsgeschichtlichen Grundgedanken des Matthäus: Die Kirche ist das wahre Israel. Das empirische Israel hat seinen Auftrag, Licht für die Völker zu sein, verkannt und daher seine Erwählung verloren ( im Bilde: Der Weinberg ist einem anderen Volk übergeben worden )“22 Israel ist nicht mehr das Volk des Reiches Gottes, an Israels Stelle ist die Kirche aus Juden und Heiden getreten, welche sich der Botschaft Jesu geöffnet hat. Sie muss nach seinen Weisungen leben und so die Früchte des Volkes Gottes erbringen. Das Gleichnis ist somit auch ein Appell von Matthäus an die Gemeindemitglieder, sie müssen sich als neues Volk Gottes würdig erweisen (also die Früchte erbringen), ansonsten droht auch ihnen die Wegnahme des Gottesreichs.

9. Zusammenfassung

Die wichtigsten Ergebnisse der Exegese von Mt 21,33-46 möchte ich an dieser Stelle noch einmal stichwortartig zusammenfassen:

- Es liegt kein textkritisches Problem vor, die Übersetzungen des Matthäustexts stimmen im Wesentlichen überein
- Das Gleichnis ist von zwei thematisch gleichen Gleichnissen umrahmt, die zudem eine ähnliche Struktur aufweisen
- Das Gleichnis kann als literarische Einheit betrachtet werden - Die Quelle des Gleichnisses ist das Markus-Evangelium
- Die redaktionelle Veränderung des Matthäus durch V43 bewirkt eine Akzentverschiebung gegenüber Markus
- Das Gleichnis ist nach der Begrifflichkeit Jülichers eine Gerichtsparabel
- Einige der Motive und Erzählstränge lassen sich in der jüdischen Tradition wiederfinden

Als Abschluß meiner Arbeit möchte ich Gnilka zitieren, da das Gleichnis öfters für antijüdische Zwecke missbraucht wurde:

„Der heilsgeschichtliche Abriß, den die Parabel bietet, wendet den Blick in die Vergangenheit. Uns steht es weniger an, Israel zu verdammen. Die Aktualisierung des Textes besteht darin, daß die Gefahr, die Früchte zu verweigern, auch für die Kirche und die einzelnen Christen besteht. V43 ist konditional und nicht im Sinn der Gewißheit zu verstehen. Kirche bleibt dann das neue Gottesvolk, wenn sie die erwarteten Früchte bringt.“23

Literaturverzeichnis

Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 1985 ( Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984 )

Conzelmann, Hans: Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, Mohr Siebeck Tübingen 61997 UTB

Dschulnigg, Peter: Rabbinische Gleichnisse und das Neue Testament - Die

Gleichnisse der PesK im Vergleich mit den Gleichnissen Jesu und dem Neuen Testament, in: Simon Lauer, Clemens Thoma (Hrsg.): Judaica et Christiana, Institut für jüdisch-christliche Forschung an der Theologischen Fakultät Luzern Band 12, Peter Lang Verlag Bern 1988

Gnilka, Joachim: Das Matthäusevangelium. Zweiter Teil Kommentar zu

Kap.14,1-28,20 und Einleitungsfragen, in: Alfred Wikenhauser, Anton Vögtle, Rudolf Schnackenburg ( Hrsg. ): Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, Herder-Verlag Freiburg Basel Wien 21992

Luz, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus ( Mt 18-25 ), in: EvangelischKatholischer Kommentar zum Neuen Testament

Roloff, Jürgen: Einführung in das Neue Testament, Philipp Reclam jun. GmbH&Co., Stuttgart 1995

Strecker, Georg / Schnelle, Udo: Einführung in die neutestamentliche Exegese, Vandenhoeck&Ruprecht Göttingen 21985 UTB

Zink, Jörg: Das Neue Testament übertragen von Jörg Zink, Kreuz-Verlag Stuttgart 51969

[...]


1 Die Bibel nach M.Luther

2 Jörg Zink

3 Gnilka S.513-515

4 Roloff S.162-163

5 Gnilka S.515-519

6 Roloff S.161-162

7 Gnilka S.519-520

8 Roloff S.164

9 Gnilka S.520-526

10 Roloff S.165

11 Gnilka S.530

12 Luz S.216

13 Die Bibel nach M.Luther

14 Gnilka S.226

15 Luz S. 218-219

16 Strecker/Schnelle S.78-79

17 Strecker/Schnelle S.71-72

18 Gnilka S.530-534

19 Gnilka S.227

20 Gnilka S.226-227

21 Dschulnigg S. 54-57; 329-333

22 Conzelmann, S.155

23 Gnilka S.232

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Exegese von Matthäus 21,33-46
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Veranstaltung
Einführung in das Neue Testament
Note
1-2
Autor
Jahr
2000
Seiten
23
Katalognummer
V103789
ISBN (eBook)
9783640021666
Dateigröße
387 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Exegese, Matthäus, Einführung, Neue, Testament
Arbeit zitieren
Saskia Prawitz (Autor:in), 2000, Exegese von Matthäus 21,33-46, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103789

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