Geschichte und Entstehung der TAZ


Seminararbeit, 1999

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Studentenproteste
2.1.Vorgeschichte
2.2. Grundlagen ihrer Entstehung
2.3. Entwicklung
2.4. Folgen

3. Die neuen sozialen Bewegungen

4. Die Alternativpresse

5. Die RAF und der Deutsche Herbst
5.1. Die politische Situation von ´69 bis ´77
5.2. Die RAF und die Folgen

6. Die Entstehung der taz
6.1. Das Projekt: tageszeitung
6.2. Der Richtungsstreit der taz
6.3. Wandel - vom Bewegungs- zum Nachrichtenblatt
6.4. Das Nachrichtenblatt-Konzept

7. Fazit

1. Einleitung

Im September 1978 erscheint die taz in Berlin und ist damit die jüngste aller überregionalen Tageszeitungen in Deutschland. Gegründet wird sie von verschiedenen Initiativen aus dem gesamten Bundesgebiet und nicht etwa von einer Verlagsgruppe, namhaften Journalisten oder einer Partei. Ihre Gründung ist eine Reaktion auf die Situation der politischen Linken in der Bundesrepublik. Sie hält bis heute eine Sonderposition auf dem deutschen Zeitungsmarkt.

In meinen folgenden Ausführungen möchte ich zunächst herausarbeiten, wie es überhaupt in Deutschland zu einem politischen Klima kommen konnte, aus dem erst die Studentenbewegungen, später die Alternativbewegungen und hieraus wiederum eine Tageszeitung wie die taz entstehen konnten. Am Ende meiner Arbeit möchte ich beschreiben, inwiefern sich die taz in ihrer 21jährigen Geschichte entwickelt hat und wie sich bei ihr ein stetiger Wandel vom linksradikalen Protestblatt zu einer etablierten linken Tageszeitung vollzogen hat, der immer noch andauert.

2. Die Studentenproteste

2.1. Vorgeschichte

In den 50ern und frühen 60ern hatte das System der sozialen Marktwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg den Menschen in allen Bevölkerungsschichten wieder zu einem relativen Wohlstand verholfen. Die politische Kultur in Deutschland war deswegen vor allem auf Akzeptanz des bestehenden politischen Systems ausgerichtet. Die politische Zufriedenheit war groß. Nach dem Wirtschaftswachstum der 50 Jahre zeichnet sich Anfang der sechziger Jahre eine politische Trendwende in Deutschland ab:

Das Wachstum verlangsamte sich, innen- und aussenpolitisch gibt es keine Fortschritte. Selbst der erzwungene Rücktritt Adenauers im Jahre 1963 zugunsten Ludwig Erhards bringt keine Besserung, die Rezession setzt sich fort.1

1966 kommt es zur großen Koalition im Bundestag, als einzige parlamentarische Opposition bleibt die FDP mit knapp 10 Prozent. Bedingt durch die schlechte Wirtschaftslage und hohe Arbeitslosenzahlen bekommen die Rechtsextremisten der NPD enormen Zulauf. Sie ziehen in mehrere Landtage ein. Gleichzeitig formieren sich aber gegenkulturelle, linksextremistische Bewegungen, die sich hauptsächlich aus Studentenkreisen erheben.

2.2. Ursprünge und Entstehung

Bedeutendste Rolle spielt dabei der Sozialistische Deutsche Studentenbund, der sich 1959 von der SPD gelöst hatte, beziehungsweise wegen seiner Linksradikalität durch den „Unvereinbarkeitsbeschluss“ aus dem Godesberger Programm von der Partei ausgeschlossen wurde.

Der SDS versucht, neue Ansätze in den traditionellen marxistischen Ideen zu finden und arbeitet eine radikale Gesellschaftskritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem aus. Die Studenten berufen sich dabei auf die Klassiker des Sozialismus, wie zum Beispiel Karl Marx oder die ‘Kritische Theorie’ der Frankfurter Schule um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno.2

Die Kritische Theorie fordert die ständige Kritik an der Gesellschaft und dadurch an den sie beherrschenden Ideologien. Das Individuum ist diesen, alles determinierenden, Totalitäten verfallen. Der einzelne Mensch reflektiert so die Zusammenhänge nicht mehr, in denen er lebt und liefert sich auf diese Weise klaglos den sogenannten System- und Sachzwängen aus. Diese dienen nur einem Zweck, nämlich die bestehenden Machtstrukturen zu erhalten. Das dabei vom System und seinen Vertretern vielzitierte Gemeinwohl ist nach der Kritischen Theorie nur ein Mittel der Verschleierung von den eigentlichen Herrschaftsinteressen.

Die Repressalien durch das System müssen durch Kritik an diesem bloßgestellt und aufgebrochen werden. Durch die Verringerung des vorherrschenden emanzipatorischen Defizits muss der Mensch seiner Selbstverwirklichung, das heißt, der Erschliessung aller seiner schöpferischen Anlagen, näher gebracht werden.3

Zusammen mit der, aus dem SDS hervorgegangenen, Ausserparlamentarischen Opposition (APO) suchen sie eine Alternative zum bestehenden System, die die vollständige Emanzipation des Geistes und die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen ermöglicht. Denn die Gesellschaft wie sie unser demokratisches System hervorbringt, die „sozialkapitalistische Technokratie“4, unterdrückt den freien Willen und die Entfaltung des Individuums. Die zentrale Frage in der APO lautete also: Wie kann sie den manipulierten Menschen die Inhumanität des Systems bewusst machen und zur Autonomie motivieren?

In diesem Zusammenhang diskutieren sie ihre Strategien, um Ihre Ideale in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Unter anderem wird auch den Einsatz von Gewalt als legitimes Mittel gegen das System verstanden.

Unterstützt wurde diese Diskussion vorwiegend durch den Soziologen Herbert Marcuse, der ebenfalls der Frankfurter Schule nahestand. Seine Theorien und Handlungsanweisungen prägten seit 1967 maßgeblich das Bewußtsein der APO. In seinem „Essay über die Repressive Toleranz“ weist er Studenten auf die Folgen hin, die ein allzu friedlicher Protest gegen das System haben könnte: Ein zu schwacher, völlig gewaltfreier Protest stärkt das System eher, als es zerstören. Die Demonstranten bezeugen damit das Vorhandensein von demokratischen Strukturen, auch wenn diese nur gering oder nicht ausreichend vorhanden sind. In ihrer Ventilfunktion tragen die Aktionen dann auch gleichzeitig dazu bei, die pseudodemokratischen Strukturen zu untermauern und dabei die Protestierenden in das System zu integrieren. Daher, so fordert Marcuse, müssen Anpassungszwänge durch die Gesellschaft, besonders durch die Exekutive, bewusst überschritten werden.

„Ich glaube, daßes für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein Naturrecht auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben. Gesetz und Ordnung sind immer Gesetz und Ordnung derjenigen, welche die etablierte Hierarchie schützen;...“5

Hierbei ist aber zu beachten, das Marcuse nicht unbedingt körperliche Gewalt meinte. Vielmehr bedeute Gewalt für ihn „all diejenigen Aktivitäten, die auf eine radikale Änderung des Systems abzielen“, was allerdings physische Gewalt auch nicht ausschließen sollte.6

Auf der anderen Seite der Soziologen der Frankfurter Schule rief Jürgen Habermas die aufständischen Studenten zur Vernunft: Er warnte die APO davor, nicht in blinden Aktionismus zu verfallen und darüber die eigentlichen Ziele zu vergessen. Rudi Dutschke, dem wichtigsten Führer der APO, hatte er wegen seiner radikalen Ansichten sogar „linken Faschismus“7 vorgeworfen. Seiner Meinung nach sollten sich die Studenten auf den demonstrativen, gewaltfreien Kampf konzentrieren und somit die Öffentlichkeit zur Aufmerksamkeit für ihre Forderungen zwingen.

2.3. Entwicklung

Die Studentenbewegung radikalisierte sich nach der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Besuch des persischen Schahs am 2.Juni 1967. Der Tod des friedlichen Studenten, der von einem Polizisten in Zivil aus nächster Nähe erschossen wurde, zieht eine ungeheure Protestwelle nach sich und eine wachsende Gewaltbereitschaft der Demonstranten bei Konfrontationen mit der Polizei macht sich breit.8

Der wichtigste politische Kritikpunkt der Studenten ist das Hauptwerk der Großen Koalition aus SPD und CDU, der Entwurf einer Notstandsverfassung, die durch den Wegfall der alliierten Notstandsprogramme fällig geworden war. Die im Mai 1968 verabschiedeten Gesetze sahen unter anderem eine Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, den Einsatz der Bundeswehr zur Bekämpfung innerer Aufstände und Befugnisse der Bundesregierung zum Eingriff in die Länderhoheiten im Verteidigungsfall vor. Die Linke sah in der Notstandsverfassung eine Bedrohung für die demokratische Ordnung und eine Aushöhlung des Grundgesetzes. Vor und nach der Verabschiedung der Gesetze kommt es zu erheblichen Studentendemonstrationen und Protestmärschen.9

Ein weitere wichtige Forderung der Studentenbewegung war die Reform des deutschen Hochschulsystems. Die Hochschulen waren in den zwanzig vorangegangenen Jahren zugunsten des Wiederaufbaus der Wirtschaft zurückgestellt worden; sowohl personell als auch institutionell waren sie in einem desolatem Zustand. Vor allem gab es viel zuwenig Universitäten und Studienplätze, die Vorhandenen waren restlos überfüllt. Die Antwort des Staates auf diese Bildungskatastrophe war eine restriktive Hochschulreform mit Neuregelungen wie dem Numerus Clausus und Studienzeitbegrenzungen, die faktisch die Situation der Studenten nicht verbesserte. Für die Studenten waren diese sogenannten Reformen wie eine Provokation. Dementsprechend intensiv waren auch die Protestwellen an den Hochschulen, die darauf folgten.10

Hinzu kamen revolutionäre Impulse von außerhalb: Auch an amerikanischen Universitäten, wie zum Beispiel an der Universität Berkeley, protestierten die Studenten gegen die staatliche Politik. Der Protest richtete sich vor allem gegen den immer weiter eskalierenden Vietnam- Krieg blieb dabei aber weitgehend friedlich. Die Ablehnung des Vietman-Krieges weitete sich nach Deutschland aus und war hier auch Ausdruck der allgemeinen Ablehnung des US- Imperialismus und der Solidarisierung mit den Befreiungsbewegungen der dritten Welt.11

All diese Einflüsse schürten die ohnehin schon revolutionäre Stimmung im Lande. Angeführt vom SDS kochte jetzt die Stimmung unter den Studenten hoch und entwickelte sich im vielzitierten Jahre 1968 zu einem innenpolitischen Machtfaktor.

Die Protestbewegung erlebt ihren Höhepunkt nach dem Attentat gegen Rudi Dutschke am 11. April 1968. Er überlebt das Attentat zwar, ist aber nun als Anführer außer Gefecht gesetzt und wird elf Jahre später sogar an den Spätfolgen sterben. In den darauffolgenden Wochen kommt es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Bei den sogenannten Osterunruhen sterben zwei Demonstranten. Diese Protestaktionen richteten sich vor allem gegen den Springer-Verlag, der wegen seiner Hetze gegen die APO mit Parolen wie „Stoppt den Terror der Linken jetzt“12 in der Welt und der Bild-Zeitung indirekt für das Attentat auf Dutschke verantwortlich gemacht wurde. Vor den Verlagsgebäuden in Berlin und Hamburg wird fast täglich demonstriert. Der Kampf gegen Springer ist nunmehr das Zentrum des studentischen Protests. Diese schürt ihrerseits die negative Presse zu den Aufständischen.13

Zu dieser Zeit ändert sich die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber den Studenten. Statt sich weiterhin mit der Bewegung zu solidarisieren, geht die Arbeiterschaft gegenüber den Aktionen der Studenten auf Distanz. Auch die Medien reagieren auf die immer radikaler werdenden Proteste und die Methoden der Demonstranten erst mit weniger Wohlwollen, dann nur noch mit Unverständnis und Ablehnung. Die radikale Linke erkennt zugleich, dass sie andere Organe als die etablierten Zeitungen braucht, um ihre Ideen unzensiert an die Öffentlichkeit zu bringen. Hier wurzeln die ersten Auslöser für die Schaffung der Alternativpresse.14

Ab Herbst des Jahres geht die Entwicklung der radikalen Linken in Deutschland schlagartig zurück, auch bedingt durch den neuen Bundespräsidenten Heinemann, der die Zustimmung des SDS findet. Das System erweist sich immer mehr als reformfähig und kompromissbereit und entzieht somit den Protesten ihren Boden. Die APO zerfällt in den folgenden Monaten sehr schnell, 1970 löst sich der SDS auch formell auf.

2.4. Folgen:

Obwohl die Studentenbewegung nach ihrer explosionsartigen Ausbreitung im Jahre ´68 schon zwei Jahre später als gescheitert gesehen wurde, blieb sie nicht ohne Auswirkungen für die Nachwelt. Von größter Bedeutung ist dabei die innenpolitsche Umbruchstimmung, die die Studentenrevolte in Deutschland hinterlässt. Als direkter politischer Erfolg ist die Verbesserung der Bildungspolitik von der sozial-liberalen Regierung ab 1969 der Protestbewegung zuzuschreiben.15

Die meisten der ehemaligen Mitglieder zogen sich zwar gänzlich aus dem politischen Leben zurück oder traten politischen Parteien bei. Aus dem Umfeld der APO kristallisieren sich aber auch radikal-linke Ideologen heraus, die auf ihre Weise politisch aktiv bleiben. So zum Beispiel der spätere Mitbegründer der RAF, Andreas Baader. Er versuchte weiterhin, das Establishment mit Gewalt zu bekämpfen. Bereits im April 1968 hatte Baader zusammen mit drei weiteren Personen Bomben in einem Frankfurter Kaufhaus gezündet. Dieser Kaufhausbrand wird als „Intialzündung“16 des Linksterrorismus in Westdeutschland gesehen. Baader wird zwar wenig später gefasst und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. 1970 kann er aber drei Monate vor seiner möglichen Haftentlassung mit Hilfe von Ulrike Meinhof fliehen. Ein Wachmann wird bei der Aktion getötet; diese Befreiungsaktion wird als Demonstration der Gewaltbereitschaft der RAF gesehen.

Andere ehemalige Protestler tragen mit ihren reformerischen Impulse zur Entwicklung der neuen sozialen Bewegungen in Deutschland bei. So hinterließdie Studentenbewegung ihre Spuren in der Gesellschaft und gab den Anstoßfür das Entstehen verschiedener GegenKulturen zur bürgerlichen Kultur in Deutschland.17

3. Die neuen sozialen Bewegungen:

Der Gedanke, der die Grundlage für die Notwendigkeit von sozialen Bewegungen ist, entstammt ebenfalls dem sozialistischen Gedankengut nach Marx, das auch grundlegend für die Studentenbewegung war. Soziale Bewegungen sind bei den Marxisten Teil eines unvermeidlichen Entwicklungsprozess, an dessen Endziel die sozialistische Gesellschaft steht Unter den Oberbegriff der sozialen Bewegungen werden allgemein verschiedene Gegen- Bewegungen zur bürgerlichen Kultur zusammengefasst. Zu ihnen gehörten damals unter anderem die Alternativ-, Bürgerinitiativ-, die Ökologie und Anti-Atomkraftbewegung, Frauen- und Jugendbewegung, die Landkommunen und Konsumkritiker.18

Zunächst muss man zwischen zwei verschiedenen Arten von sozialen Bewegungen unterscheiden: Zum einen gibt es hier die offensiven Widerstandsbewegungen, zum anderen die defensiven Rückzugsbewegungen. Widerstandsbewegungen, wie zum Beispiel die Anti- Atomkraft Bewegung, wenden sich gegen die destruktiven Folgen der Industriegesellschaft. Sie streben gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse an, wollen auf ihre Ziele aufmerksam machen und suchen dazu das Interesse der Öffentlichkeit. Darüber hinaus bringen sie Leitfiguren hervor, die es in den Medien zu einem gewissen Bekanntheitsgrad bringen, wie etwa Greenpeace für die Umweltbewegung. Sie müssen sich eher an Medien wenden um ihr Thema so breitgefächert wie möglich in die bürgerliche Öffentlichkeit einzubringen.

Die sogenannten Kommunen, als Beispiel für defensive Bewegungen, lehnen die Werte, Normen und Leitbilder der bürgerlichen Gesellschaft zwar ebenfalls ab und entwickeln eigene, gegenkulturelle Lebensformen. Ihr Ziel ist es jedoch nicht, diese Lebensform auf die Gesamtgesellschaft zu übertragen. Dennoch wirkt sich schon ihre Existenz, allein durch die Thematisierung in den Medien, auch indirekt auf die bürgerliche Gesellschaft aus.19

4. Die Alternativpresse

Bereits zu Beginn der Studentenproteste entsteht neben der vorwiegend künstlerisch- literarischen Undergroundpresse eine politische, anarchistische Gegenpresse. Aufgrund negativer Erfahrungen mit den etablierten Medien wollen sie eine neue Gegenöffentlichkeit schaffen. In den Jahren 1973 bis ´75 kommt durch die zunehmende Bedeutung der neuen sozialen Bewegungen zu Gründungswellen alternativer Blätter. Diese unterscheiden sich sowohl inhaltlich als auch formal von den herkömmlichen Presseprodukten.

Als erstes sehen sie ihre Aufgabe nicht nur in der reinen Berichterstattung, sondern darüber hinaus wollen sie Kommunikation mit politischer Aktion verbinden, also aktiv meinungsbildend sein.20

Ein wichtiges inhaltliches Merkmal der Alternativpresse ist der sogenannte Betroffenenjournalismus. Hierbei sollen die Leser, oder jeder andere Bürger, die Möglichkeit haben, ihre eigenen Lebenserfahrungen in Form von Zeitungsartikeln an die Öffentlichkeit zu bringen. Zum einen wollte man damit eine hohe Authentizität der Artikel erreichen, zum anderen soll so die klassische Rollenverteilung zwischen Kommunikator und Rezipient umgekehrt und aufgehoben werden. Jeder soll das Recht auf freie Meinungsäußerung bekommen. Ein weiterer Unterschied zwischen den alternativen und klassischen Medien ist die Tatsache, dass Alternativmedien sich deutlich parteiisch zeigen, aber dennoch keiner Partei zugehörig sind.21

Auch formal gibt es einen gravierenden Unterschied in der Alternativpresse, der so in den etablierten Medien nicht durchführbar wäre. In dem sogenannten „Redaktionskollektiv“ soll jeder Mitarbeiter nach dem Rotationsprinzip alle anfallenden Aufgaben einmal übernommen haben. In der extremsten Ausprägung wird dabei auch kein Unterschied zwischen dem Chefredakteur und dem Setzer gemacht. In abgeschwächter Form, wie es in der Anfangszeit der taz angewendet wird, tauschen nur die Journalisten untereinander ihre Einsatzbereiche aus.

In ökonomischer Hinsicht gab es zu damaliger Zeit noch einen weiteren, wichtigen Unterschied zwischen bürgerlicher und alternativer Presse. Das oberste Ziel war nicht etwa die Gewinnmaximierung. Aus diesem Grund wollte man auch auf die Aufnahme von Anzeigen verzichten, um die vollständige Unabhängigkeit zu bewahren.

5. Die RAF und der „Deutsche Herbst“:

5.1. Die politische Situation von 1970 bis 1977

Im Oktober 1969 bilden SPD und FDP eine Koalitionsregierung mit Willy Brandt als Bundeskanzler und Walter Scheel (FDP) als Außenminister. Dies ist der Beginn der sozialliberalen Ära von 1969 bis 1982.

Mit Parolen wie "Mehr Demokratie wagen" und "Demokratisierung der Gesellschaft" entschärfte die Regierung Brandt zu Beginn ihrer Amtszeit 1969 die studentischen Proteste weiter. Ein großer Teil der Studenten tritt in die politischen Parteien, wo die Jungssozialisten innerhalb der SPD ab 1969 zur Opposition in der Partei werden. Die nächsten Jahre sind politisch gesehen ruhig. Die SPD schafft im Herbst 1972 einem erneuten Wahlsieg.

Zuvor, zu Beginn des Jahres 1972, hatte die Bundesregierung den sogenannten „Radikalenerlass“ beschlossen, ein Gesetz das politischen Extremisten den Zugang zu öffentlichen Ämtern verweigerte und dazu ein genaues Überprüfungsverfahren von Bewerbern ermöglichen sollte. Diese neuen Gesetze werden hauptsächlich gegen Links- Radikale angewendet. Wieder entstehen massive Proteste, vor allem aus linken Kreisen.

Die Wende zu einem verschärften innenpolitischen Klima kommt mit der Ölkrise 1973, die Deutschland hohe Inflationsraten und Arbeitslosenquoten beschert. Die folgende ökonomische Krise erfasste nicht nur die klassischen Randgruppen, sondern trifft Menschen aus allen Gesellschaftsschichten.

1974 wird Helmut Schmidt Bundeskanzler, er drängt zusammen mit Herbert Wehner Willy Brandt nach der Guillaume-Affäre, bei der ein enger Mitarbeiter Brandts als Stasi-Spitzel entlarvt wird, aus dem Amt. Mit der Ära Schmidt bestimmt von nun an kühler Pragmatismus die Politik. Diese konzentriert sich ganz auf die Bekämpfung der Auswirkungen der wirtschaftlichen Probleme, die die Folgen der weltweiten Ölkrise sind. Kritiker werfen Schmidt vor, sich zu wenig mit der sozialen Erneuerung des Staates zu beschäftigten. Sie befürchten eine gesellschaftliche Spaltung in einen ökonomisch und sozial gesicherten Kern und eine ungesicherte Peripherie.22

Unterdessen hatte sich von 1970 an die RAF immer mehr entwickelt. Seit der Flucht Baaders hatten sie zu Beginn der siebziger Jahre immer wieder spektakuläre Aktionen begangen, um eine „Stadtguerilla“ aufzubauen.23

Im Juni des Jahres 1973 wird der Kern der Baader-Meinhof-Gruppe, wie die RAF in der Öffentlichkeit benannt wird, gefasst, unter ihnen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Sie werden im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim inhaftiert. Wieder wird in diesem Zusammenhang die Berichterstattung der Springer-Presse kritisiert. Heinrich Böll sieht in ihr eine Aufforderung zur Lynchjustiz und warnt vor einer Eskalation des Terrors. Er fordert einen fairen Prozess für die Terroristen und will dadurch die politische Lage entspannen. Als Reaktion wird er des Sympatisantentums bezichtigt. In den Medien und der Öffentlichkeit werden die Diskussion um den Umgang mit der RAF hitziger.

1974 kommt es zum Hungerstreik der Gruppe, an dessen Folgen ein Mitglied stirbt. Nach einem erneuten Anschlag von der RAF werden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, man rechnet mit weiteren Terrorakten. 1975 soll es für die verbleibenden Terroristen zum Prozess kommen. Der Prozessbeginn wird behindert: Ihren Anwälten wird erst der Ausschluss vom Prozess, später das Berufsverbot erteilt. Ihnen wird vorgeworfen, sich der Komplizenschaft mit ihren Mandanten schuldigt gemacht zu haben. Mithilfe dieser Anwälte soll die einsitzende RAF-Elite den Kampf der Truppe aus dem Gefängnis heraus weiter geführt und eine nachfolgende Generation von Terroristen instruiert haben. Einer der Anwälte, Hans-Christian Ströbele, ist einer der späteren Mitbegründer der taz.24

Zur gleichen Zeit finden auch andere sozialen Bewegungen, wie zum Beispiel die Anti- Atomkraft-Demonstrationen ihren ersten Höhepunkt. Im Herbst des Jahres kommt es zu den ersten grösseren Protestaktionen gegen die Gefahren der Atomenergie. In Brokdorf beteiligen sich im Februar 1977 mehr als 28 000 Menschen an einer Kundgebung gegen den Bau eines Atommüll-Endlagers.25

5.2. Die Rote Armee Fraktion und die Folgen

1977 ist das Jahr des Terrorismus in der Bundesrepublik. Die Anschläge der RAF erreichen ihr bisher höchstes Maß, die Angst vor dem Terrorismus wächst und die Fahndung läuft auf Hochtouren. Die Bundesregierung erlässt verschärfte Anti-Terror-Gesetze, z.B. eine Kontaktsperre der Häftlinge zu ihren Anwälten, die von der Linken als undemokratisch und antiliberal angesehen und kritisiert werden. Im sogenannten „Deutschen Herbst“ des Jahres erreichen die Terroraktionen ihren Gipfel.

Am 5. September 1977 entführen Terroristen den Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Arbeitgeberverbände, Hanns-Martin Schleyer. Sie wollen die Freilassung von elf inhaftierten RAF-Terroristen und 15 Mio. Dollar erpressen. Die Bundesregierung lehnt den Handel ab, die Geldübergabe scheitert. Am 13. Oktober entführen Terroristen eine Passagiermaschine mit 86 Menschen nach Mogadischu in Somalia. Auch hier fordern die Entführer den Austausch der Geiseln gegen die 11 inhaftierten Terroristen. Der Einsatz der GSG-9 Truppe bereitet der Entführung am 18. Oktober ein schnelles Ende, drei der Geiselnehmer sterben. Einen Tag später wird der ermordete Hanns-Martin Schleyer aufgefunden. Der RAF war es zwar gelungen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erzwingen, ihre Ziele hatten sie aber nicht erreicht. Führende Aktivisten der damaligen RAF begingen nach dem Scheitern ihrer Forderungen Selbstmord, darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Karl Raspe.26

Der Terror der RAF wirkt sich auch auf die Situation der friedlichen Linken in Deutschland aus: Die allgemeine politische Stimmung im Jahre 1977 gegenüber ihnen ist zu dieser Zeit fast einheitlich negativ. Diese ablehnende Haltung schlägt sich auch in der Berichterstattung der Medien zur damaligen Zeit : In der Berichterstattung der Medien wurde kaum zwischen den Terroristen der RAF und dem nicht radikalen Teil der Linken differenziert. Selbst linksgerichteten Zeitungen wie die Frankfurter Rundschau oder der Spiegel werden als „sozialliberal“ und „regierungskonform“27, wie es später Hans-Christian Ströbele in der taz formuliert, abgelehnt. Insgesamt werden die Zustände von der gesamten Linken, ob linksradikal oder linksliberal, als erdrückend empfunden. Diese politische Isolierung schweißte 1977 die zersplitterte Linke wieder zu einer gewissen Einheit zusammen.

Ihr größter gemeinsamer Nenner war dabei die logische Schlussfolgerung aus der Situation in Deutschland: Sie brauchten ein linkes, überregionales Sprachrohr, eine linke Tageszeitung, wo sie ihre politische Identität offen ausdrücken konnten.28

„Deutscher Herbst“,„bleierne Zeit“: Der Staat durchkämmt die Republik nach RAF-Terroristen, verhängt eine Nachrichten- und Kontaktsperre. Die Medien machen brav mit und berichten nur noch, was der Bonner Krisenstab will. Die Linke diskutiert das Projekt Tageszeitung.29

6. Die Entstehung der taz

6.1. Das „Projekt: Tageszeitung“:

Wie oben bereits erwähnt, waren durch das Entstehen der sozialen Bewegungen und der daraus hervorgegangenen Alternativpresse die Grundlagen für ein größeres linkes Zeitungsprojekt bereits geschaffen. In den 70er Jahren war eine breite, linksalternative Presselandschaft aus Stadtzeitungen, Szeneblättern und Projekten entstanden, die allerdings meist nur regional erschienen. Den entscheidenden Startschuss gab dann die Situation der undogmatischen Linken im Deutschen Herbst 1977.

Im Januar 1978 findet der sogenannte Tunix-Kongreßvon verschiedenen alternativen Gruppierungen und Vertretern der Alternativpresse in der technischen Universität von Berlin statt, wo über das „Projekt: Tageszeitung“ geredet wird. Hier wird die Notwendigkeit eines eigenen, täglich erscheinenden Mediums ausgesprochen und ein erster Entwurf für die Zeitung erstellt.

Leider mangelt es den Laienjournalisten an Kapital, journalistischer Kompetenz, Erfahrung und nicht zuletzt einer einheitlichen politischen Linken. Sie war auf dem Kongress in viele Splittergruppen aufgeteilt, die sogenannten Initiativen, das Spektrum reichte von Sponti´s wie dem RAF-Rechtsanwalt Ströbele bis hin zu linksradikalen Autonomen-Kreisen.

Zwischen diesen vielen Initiativgruppen, die an dem Projekt Tageszeitung teilnehmen, kommt es zu wochenlangen Diskussionen über die Ziele des Projektes. Sie sind sich uneins, ob die Zeitung eine Bewegungszeitung sein soll, die das Sprachrohr ihrer Leser sein soll oder ob die Redakteure journalistisch unabhängig arbeiten sollten? Diese Fragen werden nie abschließend beantwortet. Die Vertreter sind sich dennoch einig, dass tagesaktuelle Nachrichten eine herausragende Bedeutung spielen sollten, denn deren Unterdrückung war zuvor prägend für den Deutschen Herbst.30

Im Herbst 1978 werden in Frankfurt die sechs Grundthesen für das „Projekt: Tageszeitung“ festgelegt:

1. Objektivität - nein danke
2. Kein Linienblatt- offen für Kontroversen
3. Quellen und Ecken angeben
4. Isolierung aufbrechen, die öffentliche Meinung beeinflussen.
5. Experimentieren
6. Quer zu den Sachzwängen31

Auch in der Struktur des Verlages hat die taz-Initiative feste Vorstellungen: Die Macht im Blatt soll die Basis innehaben, um Machtmonopole zu vermeiden. Die Lokalredaktionen sollen sich, zusätzlich zur normalen Berichterstattung, zu übergreifenden Arbeitsgruppen zusammenfinden. Darüber hinaus soll ein Rotationsverfahren zwischen den Mitgliedern der einzelnen Redaktionen eingeführt werden, das jedem Redakteur die Teilnahme an der Zentralredaktion ermöglichen soll.

Am 22. September 1978 erscheint die erste ‘tageszeitung’. Neun weitere Ausgaben erscheinen erst monatlich, dann im wöchentlichen Rhythmus. Vom 17. April 1979 an kommt die taz dann täglich an die Kioske. Diese lange Anlaufphase hatte zum größten Teil ökonomische Gründe, da die angestrebten 20.000 Vorausabos nicht zusammenkommen, sondern nur knapp 7000.32

Die ersten Schwierigkeiten zwischen den verschiedenen politischen Fraktionen innerhalb der taz treten auf und es kommt zu den ersten schärferen Kontroversen. Ein wichtiger Streitpunkt ist dabei die Frauenquote bei der taz, die 1979 noch nicht durchgesetzt ist. Am 1. Januar wird die Berliner Zentrale, nach langer Rivalität mit der Frankfurter Initiative, zur Hauptzentrale erklärt und bezogen. 20 Mitarbeiter angestellt werden angestellt, die für einen Einheitslohn von 800 DM arbeiten. Die Regionalredaktionen werden nach Hamburg, Hannover, Frankfurt, Köln und Stuttgart gelegt. Die Initiativen als Gründungsmitglieder der sollen zwar auch durch die Betroffenenberichterstattung in die Arbeit der taz miteinbezogen werden, ihre primäre Aufgabe ist es aber, Bindeglied und Vermittler zwischen linker Basis und den Zeitungsmachern zu sein.

6.2. Der Richtungsstreit der taz:

Ihre wichtigste Wurzel hat die taz in den neuen sozialen Bewegungen. Trotzdem will sie in ihrer Arbeit nicht Partei für eine bestimmte Bewegung nehmen, sondern, wie es ihren Grundthesen festgelegt hat, „kein Linienblatt“ sein und offen für Kontroversen. Diese erste These verdeutlicht sich vor allem in der langanhaltenden Streitkultur, die innerhalb der Zeitung gedieh. Zum einen entbrannte immer wieder Streit zwischen den vielen verlagsinternen Lobbies, die die taz an eine bestimmte soziale Bewegung binden wollen, wie die Alternativ-, AKW- oder Frauen-Bewegung. Ebenfalls gibt es häufig Diskussionen um den Umfang der Berichterstattung über die Grünen, ausserdem durchzieht deren Spaltung in Fundi´s und Realos auch die taz-Redaktion. Ein weiteres „rotes Tuch“ für die Redaktion ist die Einstellung gegenüber der radikalen Linken, wie der RAF und den Autonomen. Die Frage nach der Legitimität von Gewalt, die schon in der Studentenbewegung eine Thema war, entzweit hierbei auch die taz-Redaktion: Sollen sie das Mittel der physischen Gewalt bei der radikalen Linken ablehnen oder sich mit dem „kämpfenden Teil“ der linken Klasse solidarisieren?

Ein weiterer Streitfaktor sind die zunehmenden Schwierigkeiten in der Organisation zwischen der Berliner Zentrale und den taz-Außenbüros. Der Vorsatz von einem nicht-zentralistischen Journalismus, auf dem auch das Konzept der Betroffenenberichterstattung ruhte, gerät durch die schlechte Arbeit der Initiativbüros immer mehr ins Wanken. Die Berichterstattung ist lückenhaft, Artikel kommen zu spät, sind schlecht geschrieben oder passen nicht ins redaktionelle Konzept.

Die taz-Zentrale möchte sich von den Initiativen am liebsten lösen, ist dazu aus finanziellen Gründen aber gezwungen sich den Sachzwängen zu unterwerfen: Anzeigen sollen nun doch erscheinen dürfen, um den Erhalt der Zeitung zu sichern. Ausserdem müssen rasche Auflagensteigerungen das Projekt tageszeitung vor dem finanziellen Ruin bewahren, die man wiederum nur durch Anpassung an den Markt erreichen konnte. Im Zuge dieser Entwicklung löst sich das Problem der Initiativen allmählich von selbst: Die meisten zerfallen oder geben auf, weil die Marktorientierung der taz nicht mehr den Basisideologien entspricht.33

Insgesamt spaltet sich die Redaktion der taz zu dieser Zeit in zwei Fraktionen: Die Nachrichtenblattfraktion fordert die Hinwendung zum bürgerlichen Journalismus. Sie wollen aus der taz ein linkes Nachrichtenblatt machen. Auf der anderen steht die Bewegungsfraktion, die an den Idealen von einem Bewegungs- und Kampforgan festhält.34

Mitte Juni 1979 machen externe Sympathisanten der Bewegungsfraktion auf sich aufmerksam: Weil die taz der Meinung einer Gruppe von Autonomen nach zu wenig Hintergrundberichterstattung über einen Hungerstreik von RAF-Häftlingen brachte, sabotieren sie Mithilfe von taz-Mitarbeitern die Druckvorlagen und bringen eine TAZ mit völlig verändertem Inhalt heraus. Darin sprechen sie der taz die Bezeichnung linksradikal ab und zweifeln die Notwendigkeit einer linken Tageszeitung, die so wie die taz ist, an. Die Mehrheit der Redaktion verurteilt die Aktion im nachhinein.35

Dennoch sympathisiert die taz aber weiterhin mit der links-autonomen Szene: Die hundertste Hausbesetzung in Berlin wird 1981 in der taz gefeiert, gleichzeitig ruft sie zu einem Mietboykott der Neuen Heimat auf.

Im Frühjahr 1982 kommt es wieder zu einer Auseinandersetzung mit Autonomen, diesmal mit der Berliner Hausbesetzerszene. Im Februar stürmen 40 Autonome die Berliner Lokalredaktion, weil sie ihr fehlende Radikalität vorwerfen. Weitere Aktionen folgen.

Eine Missstimmung macht sich innerhalb der taz-Redaktion breit, da klar ist, dass die Aktionen gegen die taz auch wieder in den eigenen Reihen Befürworter und Mithelfer haben.

6.3. Wandel: Vom Bewegungs- zum Nachrichtenblatt

Die zunehmende Spaltung innerhalb der taz wird beim 5. Jubiläum der Zeitung 1984 deutlich: Es gibt schwere finanzielle Probleme, die ohnehin geringen Löhne werden gekürzt.

Die Protagonisten der Bewegungsfraktion werfen den Redaktionskollegen die Anpassung an die herrschende Ordnung vor. Sie verstehen ihre Aufgabe in erster Linie eine politische, erst danach als eine journalistische. Ihrem Verständnis nach soll die taz nach wie vor ein Organ des Kampfes sein.Die Mehrheit der Redaktion will allerdings das Konzept eines linken Nachrichtenblattes durchsetzen. Sie wollen die taz eher „informativ wie eine linke FAZ“36. Die Bewegungsfraktion sieht in dieser Formulierung ein Provokation.

Wieder ein Jahr später, 1985, auf dem Nationalen Plenum, der Jahreshauptversammlung aller taz-Mitarbeiter, wird der Richtungsstreit maßgeblich entschieden. Die anhaltende ökonomische Krise des Blattes erzwingt neue Konzepte und die Mehrheit spricht sich dafür aus, die Zeitung zu einer neuen, überregionalen Tageszeitung für die links-liberale, ökologisch bewusste Mittelschicht zu machen. Die Bewegungsfraktion unterliegt bei der Abstimmung.37

Im Anschluss findet der erste große Umbruch bei der taz statt: Der aktuelle, nachrichtliche Teil der taz wird erweitert und ein neues Layout wird entworfen. Zusätzlich will man in einer großangelegte Kampagne neue taz-Leser werben.38

Als Antwort auf die Veränderungen gibt es wieder Protestaktionen aus Autonomen-Kreisen, die taz-Räume werden bei Anschlägen zerstört. Eine Reihe von weiteren Anschlägen und Aktionen folgt in den nächsten Jahren, die die Position der Bewegungsfraktion in der taz aber weiterhin schwächen, als sie zu verbessern. Die Übergriffe gipfeln 1987 bei einem Attentat auf die Wohnung eines Berliner Lokalredakteur Gerd Nowakowski, weil dieser zuvor das Verhalten der Autonomen in einem Kommentar in der taz kritisiert hatte.

Der endgültige Wandel der taz zum Nachrichtenblatt ist 1989 vollzogen: Trotz aller Widerstände aus linksradikalen Kreisen verabschiedet sich die Zeitung kurz vor dem 10jährigen Bestehen von ihrer Funktion als Bewegungsorgan.39

6.4. Das Nachrichtenblatt-Konzept:

Nachdem sie sich mit dem 10jährigen Bestehen endgültig die Diskussion über das Bewegungsblatt beendet hatte, sollte nun das Konzept eines Nachrichtenblattes neu ausgearbeitet werden. Zuvor hatte es schon schrittweise Änderungen gegeben, die den Wandel der taz vom Bewegungs- zum Nachrichtenblatt einleiteten. Die tagesaktuellen Seiten wurden ausgebaut, Ereignisse aus der Alternativszene, die Ökologie- und Gewerkschaftsseiten, die zuvor einen grossen Anteil an der taz hatten, wurden zurückgeschnitten. Das Interesse an der Bonner Politik wurde grösser und ein Aussenbüro in der damaligen Hauptstadt wird eingerichtet. Das Auslandskorrespondentennetz wurde ausgebaut und die Anzahl der abonnierten Nachrichten-Agenturen erhöht. Auch technisch werden Fortschritte gemacht, die taz beschliesst, sich Computer zuzulegen. Eine Wirtschaftseite wird am 1.1.86 eingeführt

Das neue Nachrichtenblatt-Konzept wird 1990 verabschiedet, womit das Hauptaugenmerk jetzt, wie bei den anderen Tageszeitungen auch, auf den Nachrichten liegt. Deren Anteil an der taz soll verdoppelt werden, um in Sachen Informationsbreite und -dichte bei den anderen Tageszeitungen mithalten zu können.

Außerdem sollen der aktuelle politische Teil weiter ausgebaut und tägliche Wirtschafts- und Sportseiten eingeführt werden.

7. Fazit:

Möchte man die Entstehung der taz verstehen, muss man in der deutschen Geschichte sehr weit zurückgreifen. Es gab verschiedene Einflüsse, die die Entstehung, das Erscheinungsbild und die Entwicklung der taz prägten, im wesentlichen haben aber all diese Einflüsse dieselbe Wurzel: Die studentischen Proteste um das Jahr 1968 herum haben dabei den entscheidenden Einfluss gehabt. Sie schufen nicht nur ein neues politisches Auferstehen der Linken in Deutschland und etablierten das linke Gedankengut in der Gesellschaft. Insbesondere bewirkten sie gravierende Veränderungen im kulturellen Milieu, die ganz neue Gegen- Kulturen entstehen ließen. Die Ideen der Studentenrevolte setzten sich dann nach ihrem Scheitern in den neuen sozialen Bewegungen fort, aus deren Kontext wiederum die Alternativpresse hervorging.

Die entscheidende Auslöser, die aber den Anstoßfür die Gründung der taz gab, war dann die politische Situation im „Deutschen Herbst“. Der Öffentlichkeit sollte klar werden, daßes auch eine andere Linke in Deutschland gab, als den radikalen Teil der RAF. Dazu war eine eigene Plattform, wie sie die taz lieferte, notwendig. Die Einheit, die die ansonsten so zerstrittene Linke durch dieses gemeinsame Ziel plötzlich bekam, machte eine solches Projekt überhaupt erst möglich. Nur der Druck der politischen Lage schweißte die unterschiedlichen linken Lager zu einem zusammen. Betrachtet man die Entwicklung der taz in den nächsten Jahren, wird die Problematik dieser Konstellation deutlich. Mit der zunehmenden Entspannung der politischen Lage weicht der Druck von außen auf die Linke und die interne Uneinigkeit bricht wieder auf. Die hohen Ansprüche, die sie in ihrer Gründungsphase an sich selbst erhebt, sind schon einige Jahre später verworfen.

1989, 10 Jahre nach ihrer Gründung, sieht die Mehrheit der taz-Macher ein, dass ein großangelegtes Zeitungsprojekt wie ihres nicht ohne Anpassung an den Markt zu realisieren ist. Die chaotischen Strukturen der Alternativblätter reichten nicht länger aus, um das Projekt am Leben zu halten. Das Rotationsprinzip wurden schnell abgeschafft, ebenso das System der Initiativen. Auch inhaltlich musste sich die taz anpassen um dem Bankrott zu entgehen. Der Ton der taz musste moderater werden, um überhaupt erst in der bürgerlichen Öffentlichkeit Gehör zu finden. Ebenso mussten die Redakteure einsehen, dass ein derartiges Projekt nur mit Unterstützung von Anzeigen finanziell gesichert sein konnte.

All diese Veränderungen haben seit der Entstehungsphase das Gesamtbild der taz entscheidend verändert. Zwar hebt sie sich immer noch in Erscheinungsbild, Sprache und Themenauswahl von den anderen Tageszeitungen ab. So wurde die taz zum Beispiel 1991 zur Genossenschaft. Sie gehört somit nun den Mitarbeitern und Lesern der Zeitung, ihre Unabhängigkeit ist damit weitgehend gesichert. Immer noch setzt sie andere Akzente im deutschen Zeitungsmarkt und bekennt Farbe, wie zuletzt bei ihrer Berichterstattung über den Kosovo-Krieg. Die Radikalität der Anfangsphase ist aber weg.

Dabei kann man die Entwicklung der taz mit der Entwicklung der Studentenproteste oder der sozialen Bewegungen vergleichen. Wolfgang Flieger charakterisiert die Entwicklung von sozialen Bewegungen in drei Phasen, die meiner Meinung nach auch auf die Beschreibung der Entwicklung der Studentenbewegung oder eben der taz passen:

„Eine Krise ist der Auslöser für ihr Entstehen; es folgt eine dynamische Phase in der die soziale Bewegung wächst; sie endet [...] meist durch Institutionalisierung.“40

Viele der ehemaligen Teilhabern an der 68er-Studentenbewegung haben sich an das einst bekämpfte System angepasst oder sind selbst Vertreter dessen geworden, indem sie zu Beamten, Politikern oder Lehrstuhlinhabern an den Universitäten wurden. Ähnlich institutionalisierte sind auch die taz: Die Ideale von damals haben vielleicht nicht an Bedeutung verloren, immer noch bekennt sich die taz-Redaktion zu ihren sechs Gründungsthesen. Aber die Zeitungsmacher mussten einsehen, ob bewusst oder unbewusst, wie schwer sie in der Wirklichkeit durchzusetzen waren.

[...]


1 Vgl.: Backes, Uwe; Jesse, Eckhard: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Band II: Analyse. Köln 1989, S. 115

2 Vgl.: Flieger, Wolfgang: Die TAZ. Vom Alternativblatt zur linken Tageszeitung, München 1992, S.55

3 Vgl.:Neumann, Franz (Hrsg.): Handbuch politischer Theorien und Ideologien, Reinbek bei Hamburg 1977, S. 534

4 Zit.: Ebert, Theodor: Ziviler Ungehorsam. Von der APO zu Friedensbewegung. Waldkirch 1984, S. 12

5 Zit. nach.: Wiggershaus, Rolf: Die Frankfurter Schule. Geschichte, Theoretische Entwicklung, Politische Bedeutung. München, Wien, 1986, S.678

6 Vgl.: ebd.

7 Zit. nach: a.a.O., S.687

8 Vgl.: Wiggershaus 1986, S. 682

9 Vgl.: Baier, Lothar u.a.: Die Früchte der Revolte. Über die Veränderung der politischen Kultur durch die Studentenbewegung, Berlin 1988, S.97

10 Vgl.: Wiggershaus 1986, S. 683

11 Vgl.: Baier, Lothar u.a. 1988, S.122

12 Zit. nach: Flieger 1992, S.74

13 Vgl.: a.a.O., S. 74

14 Vgl.: ebd.

15 Vgl.: Backes, Jesse 1989 Band II, S.116

16 Vgl.: Backes, Uwe; Jesse, Eckhard: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Band I: Literatur. Köln 1989, S.225

17 Vgl.: Backes, Jesse 1989. Band II, S.146

18 Vgl.: Flieger 1992, S.57

19 Vgl.: Flieger 1992, S.65

20 Vgl.: a.a.O., S.80

21 Vgl.: a.a.O., S.83-84

22 Vgl.: Flieger 1992, S. 57

23 Vgl.: Backes, Jesse 1989. Band I, S. 225

24 Vgl.: a.a.O., S. 227

25 Vgl.: taz-Journal: 20 Jahre Deutscher Herbst. Analysen, Recherchen, Interviews, Debatten, Dokumente von 1977 bis 1997. Berlin 1997. S.6

26 Vgl.: Backes, Jesse 1989. Band I. S. 234

27 Zit. nach: Flieger 1992, S.99

28 Vgl.: taz-Journal: 20 Jahre Deutscher Herbst, 1997. S. 6

29 Zit.: taz-Verlagsdarstellung. Berlin 1999, S. 3

30 Vgl.: Flieger 1992, S. 100

31 Vgl.: a.a.O., S. 100-102

32 Vgl.: Flieger 1992, S.

33 Vgl.: Flieger 1992, S. 110

34 Vgl.: a.a.O., S. 126

35 Vgl.: a.a.O., S. 117

36 Zit.nach: Flieger 1992, S. 118

37 Vgl.: Flieger 1992, S. 119

38 Vgl.: a.a.O., S.133

39 Vgl.: Flieger 1992, S. 196

40 Zit.: Flieger 1992, S. 51

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Geschichte und Entstehung der TAZ
Veranstaltung
Deutsche Presse nach 1945
Note
1,7
Autor
Jahr
1999
Seiten
19
Katalognummer
V103738
ISBN (eBook)
9783640021161
Dateigröße
380 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichte, Entstehung, Deutsche, Presse
Arbeit zitieren
Sarah Dickel (Autor:in), 1999, Geschichte und Entstehung der TAZ, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103738

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