Das Wirtschafts- und Sozialwort der Kirchen in der Kritik


Seminararbeit, 2001

8 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1. Einleitung

Am 22. Februar 1997 gingen der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und heutige Kardinal, Dr. Karl Lehmann, Bischof von Mainz, sowie der damalige Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt, einen völlig neuen Weg: Seit an Seit trat man vor die Öffentlichkeit und stellte ein von beiden Kirchen gemeinsam verfasstes Sozialwort mit dem Titel „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ vor. Gemeinsam wird hierin Stellung genommen zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Kirchen sehen sich „geleitet und ermutigt durch das christliche Verständnis vom Menschen, durch die biblische Botschaft und die christliche Sozialethik“1 und wollen ihren Beitrag zu der ihrer Ansicht nach notwendigen Neuorientierung der Gesellschaft und Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft leisten. Ihr Anliegen sehen sie darin, „zu einer Verständigung über die Grundlagen und Perspektiven einer menschenwürdigen, freien, gerechten und solidarischen Ordnung von Staat und Gesellschaft beizutragen und dadurch eine gemeinsame Anstrengung für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit möglich zu machen.“2

Den beiden Kirchen geht es nicht darum, detaillierte politische oder ökonomische Empfehlungen zu geben oder zu aktuellen politischen Streitfragen die Rolle eines Schiedsrichters zu übernehmen, vielmehr wollen sie für eine Wertorientierung eintreten, die dem Wohlergehen aller dient, die auch insbesondere denjenigen Gehör verschafft, die oft in Vergessenheit geraten.3 Es sollen Voraussetzungen für eine Politik geschaffen werden, die sich an den Maßstäben der Solidarität und Gerechtigkeit orientieren.

Dem Sozialwort vorausgegangen war ein langer Konsultationsprozess, an dem sich sämtliche gesellschaftlichen Gruppierungen, Parteien, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände etc., die katholische und evangelische Kirche sowie andere Kirchen beteiligt haben.

Dies lässt die Fragen aufkommen, wie es denn nun zu dem Verfassen eines gemeinsamen Sozialwortes gekommen ist und warum dies gerade zu diesem Zeitpunkt und nicht bereits früher geschehen ist. Was kann das Sozialwort bewirken, wenn die beiden Kirchen von sich sagen, sie wollten Politik nicht selber machen, wohl aber Politik möglich machen? War das Sozialwort der Kirchen womöglich nur ein verzweifelter Versuch, angesichts einer zunehmend säkularisierten Welt noch einmal in der Öffentlichkeit aufzutreten und weiteren Kirchenaustritten entgegenzuwirken? Welche Rolle spielt das Sozialwort in Hinblick auf die Ökumene? Diesen Fragen soll unter einer genaueren Betrachtung des Konsultationsprozesses, der bei der Entstehung des Sozialwortes eine zentrale Rolle eingenommen hat, nachgegangen werden.

2. Der Konsultationsprozess

2.1. Der Weg zum Sozialwort

Zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Kirche haben die Bischöfe in eine von ihnen geplante Stellungnahme nicht hinter verschlossenen Türen erstellen lassen und dann der Öffentlichkeit vorgelegt. Das Vorhaben, die Nöte der Menschen, vor allem der in den neuen Bundesländern, aufzugreifen, sollte nicht über den Köpfen der Menschen durchgeführt werden.4 Die Kommission VI für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz „beschloss im Juni 1993, für eine geplante Verlautbarung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland ein öffentliches Beratungsverfahren durchzuführen.“5

Aufgabe war es zunächst, eine Diskussionsvorlage zu erstellen, die nicht eine von abstrakten Grundwerten herabsteigende Denkstruktur wiederholte, wie es bis dato üblich war.6 Auf einer Konferenz im Juli gleichen Jahres beschloss man eine Urteilsbildung „von unten“ ferner wurde die Themenstruktur des zu verfassenden Sozialwortes (theologische Grundlegung, Arbeitslosigkeit, Armut, ökologischer Umbau, Benachteiligung der Familien) festgelegt.7

Mit ihrem nächste Schritt handelte die Kommission ganz im Rahmen des gängigen Politikverständnisses. Mit den aufgestellten Thesen führte sie zunächst eine „Konsultationsveranstaltung mit Repräsentanten aus der Politik“ und dann eine „Konsultationsveranstaltung mit Repräsentanten aus der Wirtschaft“ durch, zuletzt erst mit den Vertretern der Theologie und der kirchlichen Verbände.8 Aufgrund der Ergebnisse dieser Gespräche und Diskussionen kam man zu der Überzeugung, dass der öffentliche Konsultationsprozess einer differenzierten Textgrundlage bedurfte.9 Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland beschloss, an dem geplanten Sozialwort mitzuarbeiten. Eine durch eine gemeinsame Kommission erstellte und am 22. November 1994 veröffentlichte Diskussionsgrundlage10 leitete den eigentlichen Konsultationsprozess ein. Damit verband sich die Einladung zum Dialog: „Einem Dialog sowohl innerhalb der Kirchen als auch mit Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und gesellschaftlichen Gruppen, um Rat der EKD und Deutsche Bischofskonferenz bei der Vorbereitung des von ihnen zu verantwortenden Wortes zu beraten und im Austausch von Erfahrungen und Argumenten den gesellschaftlichen Grundkonsens zu verbreitern.“11 Auch weitere Kirchen haben am Konsultationsprozess mitgewirkt. Die Diskussionsgrundlage wurde in einer Auflage von 400000 Exemplaren verbreitet. In den Kirchen selbst, in Parteien, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, besonders auch zwischen kirchlichen und gesellschaftlichen Vertretern fand eine große Zahl von Gesprächen und Veranstaltungen statt, eine Fülle von Änderungsvorschlägen kam zusammen. Auf einem zentralen wissenschaftlichen Forum am 12.09.1995 wurde der Rat ausgewählter Fachleute eingeholt. Abgeschlossen wurde der Konsultationsprozess dann am 9./10. Februar 1996 in Berlin. Die Bereitschaft zur Mitwirkung am Sozialwort war beachtlich: Im Verlaufe des Konsultationsprozesses wurden insgesamt ca. 2500 Stellungnahmen mit einem Umfang von über 25000 Seiten eingereicht. Die beiden Kirchen hatten schon zu Beginn klargestellt, dass die Diskussionsgrundlage das vorgesehene gemeinsame Sozialwort nicht vorwegnehmen könne und wolle, sondern dieses erst entstehen solle nach Abschluss des Konsultationsprozesses und unter Berücksichtigung seiner Ergebnisse in der Verantwortung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz.12 Die Verabschiedung des gemeinsamen Sozialwortes geschah dann am 19. Februar 1997 durch die Deutsche Bischofskonferenz sowie zwei Tage darauf durch den Rat der EKD.

2.2. Ergebnisse und Wirkungen des Konsultationsprozesses

Nach Ansicht der Kirchen war der Konsultationsprozess ein voller Erfolg. Wie schon erwähnt, haben die beiden Kirchen mit diesem Experiment Neuland betreten. Aus ihrer Sicht ermöglichte das Verfahren des Konsultationsprozesses „dem berechtigtem Interesse an einer breiteren innerkirchlichen Beteiligung an der Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung der Kirchen Rechnung zu tragen.“13 Dieses Verfahren habe außerdem dazu beigetragen, den Dialog von Kirche und Gesellschaft auf allen Ebenen zu verstärken. Wenn nun aber der Konsultationsprozess von seiner Natur her nicht die inhaltlichen Entscheidungen über das Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage vorwegnehmen kann:

2.2.1. Worin liegt der Sinn des Konsultationsprozesses?

Die beiden Kirchen vertreten die Auffassung, das der Konsultationsprozess die inhaltliche Vorbereitung des Sozialwortes in hohem Maße bereichert habe. Rat der EKD und Deutsche Bischofskonferenz könnten und wollten sich nicht zur wirtschaftlichen und sozia len Lage in der BRD äußern, ohne sich eingehend beraten zu lassen. Dieses Verfahren habe die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung entscheidend vertieft. Nicht nur der Rat der Wissenschaftler und Experten, sondern auch der große Kreis der Akteure und Betroffenen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens müsse gehört werden. Ergebnis des Konsultationsprozesses war es auch, dass die Kirchen ein eigenes Kapitel einfügten, die sich mit den Herausforderungen für die Kirchen selbst befasst. Diese könnten sich nicht zu Maßstäben über das wirtschaftliche und soziale Handeln äußern, ohne ihr eigenes Handeln auf diesem Gebiet an denselben Maßstäben auszurichten. Die Kirchen verweisen darauf, dass der Konsultationsprozess den politischen Handlungsspielraum erweitern könne. Diese seien in der Politik oftmals von den Meinungen und Verhaltensweisen der Wähler abhängig. Er sei hingegen „ein Beitrag zu Bewusstseinsbildung und sozialem Lernen.“14 Menschen würden nicht mit einem fertigen Ergebnis konfrontiert, das sie nur noch akzeptieren oder ablehnen könnten, sondern seien vielmehr selbst dazu aufgerufen, sich in die Überlegungen und Abwägungen einzubeziehen.

Aus ihrer Sicht biete der gewählte Prozess „einen Rahmen, in dem der gesellschaftliche Grundkonsens gebildet, gestärkt und verbreitert wird.“15 So sei die mit der Veröffentlichung der Diskussionsgrundlage verbundene Einladung zu einem öffentlichen Dialog auf eine riesige Zustimmung gestoßen, diese Grundlage war Anregung und Basis für zahlreiche Gespräche, so z.B. zwischen den Kirchen und den Parteien und gesellschaftlichen Gruppen, innerhalb der Kirchen und der gesellschaftlichen Gruppen. So habe der Konsultationsprozess zur „Bildung, Stärkung und Verbreiterung des gesellschaftlichen Grundkonsenses“16 beigetragen.

Nach Meinung der Verfasser habe er auf der persönlichen und lokalen Ebene praktische Veränderungen bewirkt und die Netzwerke solidarischer Hilfe gestärkt.17 So habe der Dialog bei vielen Beteiligten Veränderungen bewirkt, Lernprozesse angestoßen und scheinbar festgefahrene Fronten aufgelockert. Argumente, denen man bislang keine Beachtung geschenkt hatte, wurden gehört, Vorurteile in Frage gestellt. Ein hohes Maß an Solidarität und Anteilnahme mit dem Schicksal von Arbeitslosen sei feststellbar gewesen.

Auch die Kirchen selbst hätten gelernt. Zwar gebe es innerhalb der Kirchen eine hohe Sensibilität für ihren Dienst an der Gesellschaft und eine Menge Aktivitäten, dennoch gebe es auch viele Christen, die zu sehr selbstbezogen seien und den Vorgängen in der Gesellschaft zu wenig Aufmerksamkeit schenkten. Das Eintreten für Solidarität und Gerechtigkeit gehöre unabdingbar zur Bezeugung des Evangeliums dazu. Gottesbegegnung im Gottesdienst sowie der Dienst an der Gesellschaft seien für Christen nicht zu trennen.18 Dies habe der Konsultationsprozess gezeigt. Wichtig war den Kirchen auch zu beweisen, dass ein gemeinsames sozialethisches Sprechen und Handeln der beiden Kirchen möglich und notwendig ist.

3. Fazit

Die Kritik, das Sozialwort komme erst sehr spät, ist sicherlich nachvollziehbar. Innerhalb der KAB habe es bereits in den 80er Jahren eine große Unzufriedenheit gegeben, dass die katholische Kirche trotz drohender Massenarbeitslosigkeit und einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft keine deutliche Stellungnahme zur wirtschaftlichen und sozialen Lage vorgelegt habe, obgleich dies bei anderen nationalen Bischofskonferenzen der Fall gewesen sei.19 Michael Schäfers führt die Zurückhaltung der deutschen Bischöfe vor allem auf eine Rücksichtnahme auf die christdemokratisch-liberale Regierung zurück. Die 1982 neu gebildete Regierung war mit der Aufgabe angetreten, die soziale Marktwirtschaft zu erneuern und so die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Desweiteren suchten CDU/CSU den Schulterschluss mit den Kirchen und versprachen eine „geistig-moralische Wende“, fanden damit die Zustimmung in offiziell kirchlichen Kreisen.20 Das Sozialwort, so Schäfers, spiegele eine Rücksichtnahme auf die Koalition wider, wenn davon die Rede sei, „die Kirchen wollen nicht selbst Politik machen, sie wollen Politik möglich machen“. Meines Erachtens wäre es aber übertrieben, den Kirchen vorzuwerfen, sie hätten bewusst aus Rücksichtnahme auf „Schwarz-gelb“ solange mit dem Sozialwort auf sich warten lassen und ihre eigene Rolle abgeschwächt, dadurch, dass sie nicht selber Politik machen, wohl aber möglich machen wollten. Sicher hat es auch in den 80er Jahren Grund zu Kritik und einer Stellungnahme für Solidarität und Gerechtigkeit gegeben, hier hätten die Kirchen durchaus schon einmal eine Position beziehen können. Andererseits ist, betrachtet man die Schilderung über den Konsultationsprozess, meines Erachtens auch nachvollziehbar, warum das Wort „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ erst 1997 veröffentlicht wurde und die Kirche Politik möglich machen, nicht aber selber machen will. Eine zentrale Bedeutung kommt innerhalb des Sozialwortes den Menschen in den neuen Ländern bei. Gerade hier sind die Lebensverhältnisse oft noch weit unter Westniveau, treten Sorgen wie Massenarbeitslosigkeit auf. Bis zum Fall der Mauer und darüber hinaus, war noch längst nicht klar, dass es zur Wiedervereinigung kommen würde. Diese Diskussion ließ dann aber alle anderen Themen in den Hintergrund treten. Die Wiedervereinigung bot dann auch für die Kirchen eine große Herausforderung, eine Eingliederung der neuen Länder in die BRD musste materiell und ideell in Angriff genommen werden. Es galt - und gilt heute immer noch - das Zusammenwachsen von Ost und West zu fördern, gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Die mit der Wiedervereinigung verbundenen Probleme verlangten von den Kirchen, Stellung zu nehmen. Der passende Zeitpunkt für ein Sozialwort war nun gegeben. Es ist allerdings verständlich, dass so ein Sozialwort nicht aus dem Boden gestampft werden kann, sondern einer guten Vorbereitung bedarf. So wie Rat der EKD und Deutsche Bischofskonferenz den Konsultationsprozess lobend hervorheben, scheint meiner Meinung nach nicht erst ein großer Druck der Basis notwendig gewesen zu sein, um diese neue Form der Ergebnisfindung zu wählen. Vielmehr scheint es tatsächlich Herzensangelegenheit der Kirchen gewesen zu sein, nicht nur den Rat von Experten einzuholen, sondern „den weiten Kreis des wirtschaftlichen und sozialen Lebens zu hören.“ Der Konsultationsprozess habe viele Einsichten und Anregungen gebracht. Dies werde schon klar, wenn man die Diskussionsgrundlage mit dem verabschiedeten Wort vergleiche. Wenn 2500 Stellungnahmen auf über 25000 Seiten eingehen und der Konsultationsprozess auch wirklich ernst genommen werden soll, dann kann man die Stellungnahmen nicht einfach unbeachtet lassen, sondern muss sich auch ernsthaft mit diesen auseinandersetzen. Das nimmt wiederum einen langen Zeitraum ein, aber die Diskussionen und Gespräche sind durchaus fruchtbar gewesen, der Konsultationsprozess hat sich als sinnvoller Weg bewährt und so ist auch eine späte Verabschiedung des Sozialwortes nicht nur negativ zu bewerten. Im übrigen kann man meiner Meinung nach von den Kirchen auch nicht verlangen, dass sie über das umfangreiche Sachwissen in Sozial- und Wirtschaftspolitik verfügen, um von sich selber behaupten zu können, sie selber wollten Politik machen und mal eben schnell eine eigene zukunftsweisende Konzeption im Sinne von Solidarität und Gerechtigkeit aufstellen. Das Einholen von Rat im Vorfeld ist durchaus nachvollziehbar. Der Vorwurf, die Kirchen wollten sich noch einmal in den Vordergrund spielen, da sie angesichts einer säkularisierten Welt immer mehr an Einfluss verlören ist sicherlich überzogen. Natürlich machen die Kirchen keinen Hehl daraus, dass, auch gerade durch die Wahl des Konsultationsprozesses, der Dialog von Kirche und Gesellschaft massiv verstärkt worden sei, was ihr angesichts anhaltender Austrittswellen sicherlich auch von Nutzen sein könnte. So wird in der Öffentlichkeit deutlich, dass die Kirchen sich ihrer Verantwortung bewusst sind und sich engagieren. Das Sozialwort wurde dennoch sicherlich nicht aus Eigennutz verfasst, vielmehr galten die Kirchen auch, insbesondere bei den schwächeren Menschen, als Hoffnungsträger, die sich parteipolitisch unabhängig für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit einsetzen. Von ihnen wurde erwartet, dass sie sich in die Diskussion einbringen und die Politik zum Handeln bringen, die aufgrund ihrer parteipolitischen Streitereien handlungsunfähig erschien. Die Kirchen sollten den Versuch unternehmen, alle Seiten, Politik und Wirtschaft etc. noch einmal an einen Tisch zu bringen, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Dies ist ihnen auch sicherlich gelungen. Sie nehmen auch nicht für sich in Anspruch, dass es sich bei dem Sozialwort um eine abschließende Stellungnahme handelt, vielmehr laden sie zur kritischen Auseinandersetzung ein. Eine Rücksichtnahme auf die Koalition konnten sich die Kirchen meiner Ansicht nach gar nicht leisten, dies hätte nur zu Handlungsunfähigkeit und weiteren Kirchenaustritten geführt, wäre dies ans Licht gekommen. Die Ernsthaftigkeit der Kirchen, auch wirklich etwas zu bewegen und nicht nur einmal kurz in Erscheinung zu treten, beweist meines Erachtens auch die Tatsache, dass sich die Deutsche Bischofskonferenz auch weiterhin mit gesellschaftlichen und sozialen Fragen befasst hat. So wurde eine Expertengruppe einberufen, die diesem Thema weiter nachging und am 29.Oktober 1998 „9 Gebote für die Wirtschafts- und Sozialpolitik“ vorlegte.21

Das Wort „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ stellt meiner Meinung nach durchaus auch einen entscheidenden Beitrag zur Ökumene dar. Es ist eingebettet in einen großen ökumenischen Kontext. Die ökumenische Christenheit wendet sich deutlich und einmütig gegen eine neoliberale Marktwirtschaft, wie sie immer wieder von Politik und Wirtschaft gewollt wird. Diese ist für Christen sozialethisch unerträglich. Soziale Schieflagen und politisch herbeigeführte Folgen des Neoliberalismus zeigen sich zunehmend, eine stärker werdende Kluft zwischen Verarmung auf der einen und Bereicherung auf der anderen Seite ist klar erkennbar.22 Dass die großen christlichen Kirchen in dieser Problematik zusammenarbeiten, stellt auch, wie ich meine, eine Hoffnung für eine Annäherung der beiden Institutionen dar. Das Sprechen mit vereinter Stimme verspricht zudem auch viel eher, auf Gehör zu stoßen.

Abschließend lässt sich meiner Meinung nach sagen, dass das Sozialwort zwar wenig Neues und Bahnbrechendes zum Thema Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit vorgebracht hat, allerdings lässt ein eigenes Kapitel, das sich auf die Aufgaben der Kirchen selbst konzentriert, den Schluss zu, dass es den Kirchen mit ihrer Verantwortung sehr ernst ist und sie etwas bewirken wollen. Sie machen klar, dass es kein abschließendes Wort ist, sondern es zur weiteren Diskussion anregen und einen Grundkonsens bilden wolle. Als parteienunabhängige Institutionen ist es ihnen allerdings gelungen, die verschiedenen Parteien und Gruppierungen an einen Tisch zu bringen und sind so der Hoffnung vieler Menschen nachgekommen, sich in die Diskussion einzumischen und diejenigen, die Verantwortung in unserer Gesellschaft tragen, zum Handeln zu bewegen.

4. Literaturverzeichnis

Christliche Verantwortung in veränderter Welt. Die Deutschen Bischöfe 46. Bonn 1990.

Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Gemeinsame Texte 9. Hg. vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland,

Herrenhäuser Straße 12, 30419 Hannover und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, 53113 Bonn. 1997.

Das Wirtschafts- und Sozialwort im Kontext ökumenischer Äußerungen und Stellungnahmen. In: Huhn, Martin, Franz Segbers u.a. (Hrsg.): Gerechtigkeit ist unteilbar. Beiträge zum Wirtschafts- und Sozialwort der Kirchen. Bochum 1997.

Gabriel, Karl und Werner Krämer (Hrsg.): Kirchen im gesellschaftlichen Konflikt. Der Konsultationsprozess und das Sozialwort Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. In: Studien zur christlichen Gesellschaftsethik. Bd. 1. Münster 1997.

Mehr Beteiligungsgerechtigkeit. Beschäftigung erweitern, Arbeitslose integrieren, Zukunft sichern: Neun Gebote für die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Memorandum einer Expertengruppe berufen durch die Kommission VI für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz. Hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, 53113 Bonn. 1998.

Schäfers, Michael: Der Konsultationsprozess und das Sozialwort der Kirchen. Ergebnis einer „Sozialbewegung von unten“? In: Gabriel, Karl und Werner Krämer (Hrsg.): Kirchen im gesellschaftlichen Konflikt. Der Konsultationsprozess und das Sozialwort Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. In: Studien zur christlichen Gesellschaftsethik. Bd. 1. Münster 1997. Unsere Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft. Dokumentation der ersten Konsultationsphase. Hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, 53113 Bonn. Arbeitshilfen 116. Bonn 1994.

Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage. Diskussionsgrundlage für den Konsultationsprozess über ein gemeinsames Wort der Kirchen. Gemeinsame Texte 3. Hg. v. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Herrenhäuser Straße 12, 30419 Hannover und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, 53113 Bonn. 1994.

[...]


1 Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Gemeinsame Texte 9. Hg. vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Herrenhäuser Straße 12, 30419 Hannover und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, 53113 Bonn (Künftig zitiert als: Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit) 1997. S.5.

2 ebda. S.5.

3 vgl. Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. S.8.

4 vgl. Christliche Verantwortung in veränderter Welt. Die deutschen Bischöfe 46. Bonn 1990.

5 Gabriel, Karl und Werner Krämer (Hrsg.): Kirchen im gesellschaftlichen Konflikt. Der Konsultationsprozess und das Sozialwort Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. In: Studien zur christlichen Gesellschaftsethik. Bd. 1. Münster 1997 (Künftig zitiert als: Gabriel: Kirchen im gesellschaftlichen Konflikt...) S.7.

6 siehe ebda. S.7.

7 vgl. ebda. S.7.

8 siehe Unsere Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft. Dokumentation der ersten Konsultationsphase. Hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, 53113 Bonn. Arbeitshilfen 116. Bonn 1994.

9 vgl. Gabriel: Kirchen im gesellschaftlichen Konflikt...S.7.

10 siehe auch Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage. Diskussionsgrundlage für den Konsultationsprozess über ein gemeinsames Wort der Kirchen. Gemeinsame Texte 3. Hg. vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. (Künftig zitiert als: Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage...) 1994.

11 Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit S.19.

12 siehe Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage S.5.

13 Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit S.20.

14 ebda. S.22.

15 ebda. S.23.

16 ebda. S.23.

17 vgl. ebda. S.23.

18 vgl. Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit S.24.

19 siehe Schäfers, Michael: Der Konsultationsprozess und das Sozialwort der Kirchen. Ergebnis einer „Sozialbewegung von unten“? In: Gabriel, Karl und Werner Krämer (Hrsg.): Kirchen im gesellschaftlichen Konflikt. Der Konsultationsprozess und das Sozialwort Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. In: Studien zur christlichen Gesellschaftsethik Bd.1 Münster 1997. S.12.

20 vgl. ebda. S.13.

21 siehe auch: Mehr Beteiligungsgerechtigkeit. Beschäftigung erweitern, Arbeitslose integrieren, Zukunft sichern: Neun Gebote für die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Memorandum einer Expertengruppe berufen durch die Kommission VI für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz. Hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, 53113 Bonn 1998.

22 vgl. auch: Das Wirtschafts- und Sozialwort im Kontext ökumenischer Äußerungen und Stellungnahmen. In: Huhn, Martin, Franz Segbers u.a. (Hrsg.): Gerechtigkeit ist unteilbar. Beiträge zum Wirtschafts- und Sozialwort der Kirchen. Bochum 1997. S.165.

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Das Wirtschafts- und Sozialwort der Kirchen in der Kritik
Hochschule
Universität Münster
Veranstaltung
Grundkurs-Unterseminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
8
Katalognummer
V103335
ISBN (eBook)
9783640017133
Dateigröße
345 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
in meiner Hausarbeit untersuche ich den Konsultationsprozess, schildere ich, wie es zur Verfassung eines gemeinsamen Sozialwortes gekommen ist. Auch soll kritisch untersucht werden, warum dieses erst so spät veröffentlich wurde und was es überh! aupt bewirkt hat.
Schlagworte
Wirtschafts-, Sozialwort, Kirchen, Kritik, Grundkurs-Unterseminar
Arbeit zitieren
Christian Herbert Steins (Autor:in), 2001, Das Wirtschafts- und Sozialwort der Kirchen in der Kritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103335

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