Untersuchungen zu Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren


Seminararbeit, 2001

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Zur Person

3. Memoiren - Autobiographie

4. Beglaubigungen

5. Memoiren oder biographische Erzählung?

6. Zusammenfassung und abschließende

Einschätzung S

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren - ein Widerspruch in sich? Diese Buch erschien 1974 im Fischer Verlag, Frankfurt am Main und liegt seit August 2000 in der zweiten Auflage als Taschenbuchausgabe vor. Vor mir liegen die Memoiren Katia Manns. Aber der Titel macht stutzig. Weshalb hat sie ihre Memoiren als "ungeschrieben" bezeichnet? Ein Blick in den Klappentext scheint die Frage zu beantworten. Dort heißt es:„Fast jedes Mitglied der Familie Mann hat geschrieben: Katia Mann weigerte sich, es zu tun:„in dieser Familie mußes einen Menschen geben, der nicht schreibt.“Deshalb hat sie diese Memoiren nicht selbst geschrieben; sie hat sie erzählt, den Fragen Elisabeth Plessens und ihres Sohnes Michael antwortend; erzählt freilich in einem Ton, der unverkennbar und unverwechselbar ist.“1

Der Text des vorliegenden Buches ist demnach nicht von der Autorin selbst niedergeschrieben worden. Die Herausgeber Plessen und Mann brachten die mündlichen Erzählungen Katia Manns in eine schriftliche Form, wobei nicht unerwähnt bleiben darf, daß das erstellte Manuskript vor der Veröffentlichung von der Erzählerin einer intensiven Bearbeitung unterzogen wurde.2Auch geht aus dem Vorwort der Herausgeber hervor, es habe von verschiedenen Seiten Versuche gegeben, Katia Mann zu Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren 4 ihrer Lebensgeschichte zu befragen. Aber erst Elisabeth Plessen und Michael Mann ist es dann gelungen, trotz anfänglicher Widerstände, Antworten in Form einer Erzählung auf ihre Fragen zur Biographie Katia Manns von ihr selbst zu erhalten. Katia Mann wird als Autorin ihrer Memoiren genannt, die sie, wenn auch nicht im engen schriftstellerischen Sinne, ohne Zweifel auch ist.3In dieser Arbeit möchte ich nun klären, worin der Unterschied zwischen Memoiren und einer Autobiographie liegt und ob es sich hier tatsächlich um einen autobiographischen Bericht handelt oder nicht vielmehr um eine Biographie Thomas Manns aus Sicht seiner Ehefrau vorliegt.

2. Zur Person

Katia Mann, geb. Pringsheim wurde am 24. Juli 1883 in München als einzige Tochter von Hedwig und Alfred Pringsheim geboren. Sie wuchs mit vier Brüdern auf, von denen einer ihr Zwillingsbruder war. Sie machte siebzehnjährig als externe das Abitur am Wilhelm-Gymnasium in München. Daraufhin begann sie ein Studium der Mathematik und Physik, welches sie Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren 5 zeitgleich mit der Heirat mit Thomas Mann im Alter von einundzwanzig Jahren vorzeitig abbrach. Aus der Ehe gingen die Kinder Klaus, Erika, Monika, Golo, Michael und Elisabeth hervor. Katia Mann starb 1980 im Alter von 97 Jahren.4

3. Autobiographie - Memoiren

Aus dem Titel des Buch geht bereits hervor, daß es sich hier nicht um die Autobiographie, sondern um die Memoiren Katia Manns handelt. Worin aber besteht der Unterschied zwischen Autobiographie und Memoiren?

Die Grenzen zwischen Autobiographie und Memoiren sind fließend. Memoiren beinhalten„Denkwürdigkeiten, Lebenserinnerungen, Darstellung selbsterlebter histor. (!) Tatsachen verbunden mit e. (!) Rechtfertigung des eigenen Verhaltens ..., (im Gegensatz zur Autobiographie) doch meist stärker auf die Umweltgeschehnisse und -zustände ausgerichtet, an denen der Verfasser handelnd oder leidend teilhat, auch sorgloser, detailfreudiger plaudernd und unverbindlicher als diese, bes. (!) durch die subjektive Färbung, die in Auswahl und Ausdeutung des Erzählten oft tendenziöse Zwecke verfolgt und nicht zuletzt unwillkürlich ein uneingestandenes Wunschbild Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren 6 des Vergangenen, wie es hätte sein sollen, wiedergibt.“5

Sowohl Autobiographie als auch Memoiren haben die Lebensgeschichte der Autorin zum Gegenstand. Dies kann sich auf die Gesamtheit oder nur auf größere Abschnitte des Lebens beziehen und ist aus der zwangsläufig subjektiven Perspektive des Autors geschildert. Allerdings unterscheiden sich beide in ihrer Ausrichtung, wobei die Übergänge auch hier fließend sind.

Die Autobiographie ist bestrebt, das Leben als Einheit darzulegen und es vor der Autorin und/ oder der Umwelt zu rechtfertigen oder in einen größeren Sinnzusammenhang zu bringen. Ihre Form reicht von einer„primitiven Aneinanderreihungäußerer Geschehnisse ... und den sachlichen Darstellungen denkwürdiger Geschehnisse ... bis zur .. bekenntnishaften Bildungs- und Entwicklungsgeschichte der eigenen Seele.“6

Memoiren haben im Gegensatz zur Autobiographie einen eher sorglos plaudernden Charakter und richten ihr Augenmerk dabei überwiegend auf äußere Geschehnisse. Sie erheben keine Anspruch auf Vollständigkeit in bezug auf die Darstellung persönlichkeitsprägender Erlebnisse. In Katia Manns Buch finden sich unzählige Anekdoten, eine Aneinanderreihung familiärer Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren 7 Erlebnisse aus ihrer Kindheit und Jugend, der Familie ihres Mannes und aus der Zeit ihrer Ehe mit Thomas Mann. Durch die einerseits detaillierte aber auch seltsam unbeteiligte Art, mit der Katia Mann ihre Lebensgeschichte erzählt, entspricht die Lektüre dieses Buch tatsächlich eher den Erwartungen, die die Ankündigung von Memoiren hervorruft, als denen einer Autobiographie.

4. Beglaubigungen

Welche Indizien aber lassen die Leser nun davon ausgehen, daß es sich bei diesem Buch tatsächlich um die Memoiren, also um tatsächliche Erlebnisse Katia Manns handelt? Hier geben die Paratexte erste entscheidende Hinweise. Katia Mann wird auf dem Umschlag als Autorin genannt und der Titel impliziert, in diesem Buch die Lebensgeschichte eben dieser Autorin niedergeschrieben zu finden. Im Klappentext befinden sich einige biographische Daten der Autorin, die zum Vergleich mit dem Inhalt der Erzählung einladen, und ein Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Buches, auf welche in einem Vorwort der Herausgeber (S. 7) noch etwas ausführlicher eingegangen wird. Auch der Inhalt des Buches festigt den Eindruck der Übereinstimmung von Autorin, Erzählerin und Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren 8 Protagonistin und die Annahme, daß es sich damit um eine, der Terminologie Genettes entsprechend, homodiegetische Erzählung handele. Der Text ist in der 1. Person Singular geschrieben und die Erzählerin befindet sich teilnehmend innerhalb der Erzählung. Dies erzeugt die Identität zwischen Erzählerin und handelnder Person. Hinzu kommt, daß die Protagonistin den Namen der Autorin trägt7, also auch hier eine Identität zwischen handelnder Person und Autorin festgestellt werden kann und damit die wesentliche Vorraussetzung für eine faktuale, autobiographische Erzählung gegeben ist.8

Weiter läßt sich ein Großteil der Informationen, die Katia Mann dem Leser bietet, überprüfen. Es liegen diverse Biographien, Briefe und autobiographische Berichte von und über die einzelnen Mitglieder der Familie Mann vor, so daß auch hier eine inhaltliche Kontrolle ein leichtes wäre.9

Hinzu kommt außerdem, daß sich die Memoiren streckenweise wie ein „Who is Who“ der vorwiegend deutschsprachigen Künstler- und Intellektuellenszene von der Jahrhundertwende bis zur Zeit des zweiten Weltkriegs lesen lassen. Richard Strauss, Gerhard Hauptmann, Bruno Walter, Alfred Döblin, Alma Mahler- Werfel und Franz Werfel, Max Horkheimer und Theodor Adorno, um nur einige zu nennen, standen teils in freundschaftlichem Kontakt mit Katia und Thomas Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren 9 Mann.10Dies trägt ebenfalls zur Glaubwürdigkeit der Memoiren bei, da zwischen den Angaben Katia Manns und den Lebensdaten dieser Personen ein Vergleich gezogen werden könnte.

Aber nicht allein diverse geschichtlich und biographisch belegte Daten können als autobiographische Beglaubigungen gelten, die nicht nur zur Glaubhaftigkeit von Autobiographien, sondern auch von Memoiren entscheidend beitragen. Ebenso untermauert auch der Erzählstil die Authentizität des Erzählten. Katia Mann verwendet häufig die wörtliche Rede, benutzt mehrmals dialektale Ausdrücke11, und auch die im nachhinein transkribierte narrative Erzählung schimmert an einigen Stellen durch12. Nicht zuletzt untermauern auch die zahlreichen privaten Photos die Glaubwürdigkeit dieser Memoiren.

5. Memoiren oder biographische Erzählung?

Die Memoiren Katia Manns beginnen mit der Schilderung der Umstände ihrer Geburt und ihres Elternhauses. Innerhalb der Erzählung ihrer Jugend geht sie nicht strikt chronologisch vor, sondern Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren 10 läßt, inhaltlich anknüpfend, auch spätere Ereignisse mit einfließen. So erfahren wir beispielsweise schon auf Seite 3 von ihrer Heirat und der Geburt der ersten vier Kinder. Das erste Kapitel ihres Buches entspricht bis zur Schilderung ihres Ehe- und Familienlebens und der Person ihrer Schwiegermutter der plaudernden Erzählweise, wie sie die Leserin bei der Lektüre von Memoiren erwartet.

Aber schon im zweiten Kapitel fällt auf, daß Katia Mann sich immer stärker der Person ihres Mannes widmet. So geht sie ausführlich auf das problematische Verhältnis der Brüder Thomas und Heinrich Mann ein und erwähnt nur am Rande eigene Erlebnisse mit ihrem Schwager. Diese Tendenz, Eigenes in den Hintergrund zu stellen, zieht sich ab Kapitel II durch die gesamten Memoiren. Diese Neigung bezieht sich nicht nur auf die Schilderung eigener Erlebnisse, sondern in hohem Maße auch auf die damit verbundenen Empfindungen und Ansichten der Autorin, die sie nur äußerst sparsam und trocken mitteilt. Über ihre Kriegserlebnisse schreibt sie:

„Im Ersten Weltkrieg war es sehr schwierig, eine Familie mit vier heranwachsenden Kindern einigermaßen zu ernähren, und ich habe es nicht leicht gehabt.“13

Darauf folgt eine Schilderung der Umstände, die über knapp zwei Seiten geht und in einem ausführlichen Bericht über Verlagsverhandlungen mit Samuel Fischer wegen einer Volksausgabe der „Buddenbrooks“ endet. An diesem Beispiel wird die Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren 11 Tendenz deutlich, schwierige Zeiten ihres persönlichen Lebens in nur wenigen Sätzen zu thematisieren, die berufliche Laufbahn ihres Mannes aber in den Vordergrund zu stellen. Über das Fest anläßlich der Verleihung des Nobelpreises an Thomas Mann erfährt der Leser: „Es war sehr komisch, aber es war auch alles sehr schön und festlich, und wir waren natürlich ingehobener Stimmung.“14

Diese Gefühlsäußerung stellt eher eine Ausnahme dar. Dagegen macht Katia Mann häufig Angaben über die Empfindungen ihres Mannes. So hatte die „Arbeit am ‚Krull`.. ihm später Vergnügen gemacht“15und die Zeit des„womöglich lebenslänglichen Exils machte ihm schwer zu schaffen. Er fühlte sich viel zu sehr als ein guter Deutscher, mit der deutschen Sprache, mit deutschen Kultur-Überlieferungen allzu eng verbunden, als daßer der neuen Existenzform ohne größte Vorbehalte hätte begegnen können.“16Über die Gefühle der Autorin, die mit ihrem Mann zusammen ins Exil gegangen war, erfahren wir dagegen wenig. Auf Seite 131 schreibt sie:

„Es war nicht so sehr schwierig für uns, inAmerika neue Heime aufzubauen.“ und über die Anmietung eines neuen Hauses wenige Zeilen darunter: „Es war ein sehr angenehmes, gut eingerichtetes Haus, wo Thomas Mann sich gleich recht wohl gefühlt hat.“

Derartige Äußerungen finden sich mehrmals in diesem Buch. So widmet Katia Mann ganze Passagen den Vorlieben und Freundschaften ihres Mannes. Sie geht beispielsweise auf Seite 56 im Anschluß an eine Beschreibung Bruno Walters direkt zu dem musikalischen und bildnerisch-künstlerischen Interesse Thomas Manns über, wobei sie ihr eigenes Interesse unerwähnt läßt. Auch auf Seite 64 kommt es zu einer auffälligen Schilderung, die sich so wiederholt in Katia Manns Memoiren findet:

„Der Kreis der intimen Freunde meines Mannes war klein. Mit Bruno Frank standen wir sehr freundschaftlich Mit Emil Preetorius waren wir befreundet, und dann natürlich mit Ernst Bertram, dem Germanisten aus Bonn, der damals in München lebte, mit einem Fußim George-Kreis stand und meinen Mann sehr bewunderte und verehrte. Stefan George schätzte mein Mann gar nicht, ihm lag alles aufragende Prophetentum fern. Aber Bertram war einer der ältesten und besten Freunde meines Mannes.“17Katia Mann informiert auch hier den Leser vorwiegend über die freundschaftlichen Verhältnisse ihres Mannes zu verschiedenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Zwar bezieht sie sich stellenweise mit ein, indem sie den Plural „wir“ benutzt, die eigentliche Verbindung scheint aber immer über die Person ihres Mannes zu bestehen. Weitere Beispiele für Freundschaften und persönliche Beziehungen, die denselben Charakter aufweisen, finden sich auf den Seiten 47 bis 57.

Ihr eigenes Gefühlsleben drückt Katia Mann meist in Verbindung mit dem ihres Mannes aus, indem sie von „wir“ oder „uns“ spricht, wobei sie die Emotionen Thomas Manns an anderer Stelle aber besonders hervorhebt. Dies läßt bei der Lektüre ihrer Memoiren häufig die Frage entstehen, wie denn die Autorin bestimmte Situationen emotional erlebt hat. Wenn sie eigene Auffassungen äußert, beziehen sich diese hauptsächlich auf die berufliche Tätigkeit Thomas Manns. Zu dem Roman „Königliche Hoheit“ schreibt sie:

„Auch wenn Thomas Mann dabei ziemlich wesentlich an mich gedacht hat, ist es nach meinen Ansichten ein ganz schiefes Portrait. Imma ist ein bißchen zu schnippisch, so war ich eigentlich nicht. Ich habe schon mal gern ein bißchenÜberlegenheit durchblitzen lassen, doch Imma ist zu outriert nach meiner Meinung- aber ich kenne mich ja nicht so genau. Kurzum, er hat da Vater und Tochter sehr stilisiert porträtiert. Und daßich nicht wollte,„daßmein Väterchen darbt“, habe ich auch nie gesagt.“18

Selbst ihren Kuraufenthalt im Jahre 1912, den sie im Waldsanatorium in Davos verbrachte, scheint Katia Mann nur deshalb zu erwähnen, da der dortige Besuch Thomas Manns ihn veranlaßte, den „Zauberberg“ zu schreiben.

„Nun, er besuchte mich in Davos, und schon seine Ankunft war eigentlich ziemlich genau wie die Ankunft von Hans Castorp. Er stieg auch in Davos-Dorf aus, und ich holte ihn unten ab, genau wie sein Cousin Ziemssen es tut. Dann gingen wir zum Sanatorium hinauf und haben so endlos geschwätzt wie die Vettern. Ich war doch schon monatelang dort und legte los, erzählte hundert Sachen und habe immer wieder gesagt: es ist doch so nett, daßman endlich wieder mit jemandem reden kann. Dann habe ich ihm die verschiedenen Typen gezeigt; ich hatte sie ihm auch geschildert. Er hat sie dann bloßmit Veränderung der Namen verwendet.“19

Diese beschriebene Begebenheit läßt an einigen Stellen vergessen, daß der Besuch Thomas Manns zeitlich vor der fiktiven Szene lag, in der die Romanfigur Hans Castorp den Zug in Davos-Dorf verläßt. Zeitweise macht dieses tatsächliche Ereignis sogar den Eindruck, als wäre es der Romanszene nachgestellt und nicht umgekehrt. Selbst ihre Tuberkulosekrankheit und die damit verbundenen Klinikaufenthalte erwähnt Katia demnach nur einleitend, um ausführlich über die damit verbundenen Erlebnisse berichten zu können, die ihrem Mann Material für einen neuen Roman boten.

Weiterhin ist auch die distanzierte Erzählweise auffällig, in der Katia Mann von ihrem Mann spricht. Meistens erwähnt sie ihren Ehemann, mit dem sie über fünfzig Jahre verheiratet war, mit seinem vollen Namen. Nur zweimal (Seite 140 und 168) nennt sie ihn beim intimeren Namen „Tommy“, häufiger betitelt Katia Mann ihn mit „mein Mann“. Diese formelle Form bestärkt das Gefühl beim Lesen, die eigentliche Hauptfigur dieses Buches heiße nicht Katia, sondern Thomas Mann. Die Autorin scheint damit als Nebenfigur und Erzählerin aufzutreten, nicht aber als Protagonistin, wie aus dem Titel vermutet werden könnte.

Nun stellt sich die Frage, weshalb Katia Mann ihre eigene Person in ihren Memoiren so sehr zurücknimmt, um ihren Mann zum Mittelpunkt ihres Berichtes machen zu können. Welchen Zweck scheint Katia Mann mit ihren Memoiren zu verfolgen? Lange Passagen ihrer Memoiren lesen sich wie ein literarisches Denkmal für Thomas Mann. Er wird als herausragende und sensible Persönlichkeit geschildert, dessen Wünsche und Bedürfnisse scheinbar oberste Priorität hatten. Ob dies auch von Thomas Mann selber so gesehen wurde, wird nicht deutlich, Katia Mann aber hinterfragt das eigene Verhalten nicht, sondern nimmt diese Lebenssituation als gegeben an. Schon im ersten Kapitel wird ihre Haltung offensichtlich:

„Ich hatte erst einige Widerstände, dachte nicht daran, so früh zu heiraten, und habe gesagt: Wirkennen uns ja noch gar nicht genug. Ich war zwanzig und fühlte mich sehr wohl undlustig in meiner Haut, auch mit dem Studium, mit denBrüdern, dem Tennisklub und mit allem, war sehr zufrieden und wußte eigentlich gar nicht, warum ichnun schon so schnell weg sollte.

Aber Thomas Mann hatte den dringenden Wunsch,mich zu heiraten.“20 Wozu es dann auch nur wenige Monate später kam. So waren wohl schon vor der Heirat die Bedürfnisse ihres Mannes für Katia Mann wichtiger als ihre eigenen. Und diese Handlungsweise zieht sich durch die gesamten Memoiren und entspricht damit offensichtlich auch ihrer Grundeinstellung. Ab dem Zeitpunkt der Heirat unterstützt sie ihren Mann, hält alltägliche Probleme von ihm fern, fügt sich ganz in den Lebensrhythmus Thomas Manns ein und orientiert sich an den von ihm gesetzten Prioritäten. Ihr Erzählverhalten läßt auf das Bedürfnis schließen, das Leben und damit die Person Thomas Manns zu rechtfertigen, in eine Darstellung zu bringen, die keine Fragen offen läßt und ihn damit vor einem möglichen Vorwurf des partiellen persönlichen Versagens zu bewahren oder davon zu befreien.

Auf Seite 133 ihrer Memoiren schreibt Katia Mann:

„Aber die Leute bauen sich ihre Kartenhäuser. Sie wissen von Thomas Manns autobiographischem Verfahren bei seinem Schaffen, wissen, daßer manchmal Personen seines weiteren und engeren Bekanntenkreises in seinen Büchern skizziert hat, und fangen dann an zu spekulieren, frei und gefällig ins Blaue hinein. Und dann sind sie selig, wenn sie mit ihren Entdeckerkünsten ihn vermeintlich erwischt haben. Da ist es immer zu entsetzlichen Mißverständnissen gekommen und kommt immer noch dazu

- und zwar nicht nur hinsichtlich der vermeintlichen Modelle, sondern auch in Hinsicht auf angebliche Beeinflussungen Thomas Manns durch andere Autoren. Statt frei zu erfinden, stützte Thomas Mann sich am liebsten auf die Wirklichkeit. Er fand lieber, als daßer erfand, Schauplätze, Grundzüge von Personen und vieles mehr. Er eignete sich das Gegebene an,durchdrang es auf seine Weise, beseelte es, wie er es nannte, mit seinem Künstlertum. Wie es nicht wenigenGroßen der Literaturgeschichte ging, gab er damit seinen Urbildern mitunter AnlaßzumÄrgernis, weil sie sich allzu naiv mit der dichterischen Hervorbringung identifizierten.“

Katia Mann verteidigt in diesen Absätzen das

schriftstellerische Schaffen ihres Mannes gegenüber den Vorwürfen, er habe tatsächliche Personen in seinen Texten benutzt und sie dabei in ein schlechtes Licht gerückt, sie ohne ihr Einverständnis der Öffentlichkeit preisgegeben. Dabei wirft die den Beschuldigern Naivität und Unverständnis für die „dichterischen Hervorbringungen“ eines „Großen der Literaturgeschichte“ vor. Diese Zeile ihrer Memoiren festigen die Vermutung, Katia Mann wäre bemüht, das Werk und Verhalten ihres Mannes zu rechtfertigen und zu schützen.

Eine Verteidigungsstrategie scheint sie auch hinsichtlich der politischen Haltung ihres Mannes zu verfolgen. Sie schildert die im Oktober 1930 Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren 18 gehaltenen Rede Thomas Manns mit dem Titel „Deutsche Ansprache. Ein Appell an die Vernunft“, die ihn zum „Nazifeind legitimiert“ hätte.21Tatsächlich aber stellte sich Thomas Mann erst Jahre später in einem offenen Brief konsequent gegen Nazi-Deutschland, woraufhin ihm 1936 die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen wurde.22

Hinzu kommt, daß Katia Mann einigen Passagen ihres Buches dem Teil des Lebens ihres Mannes widmet, der vor ihrer Bekanntschaft lag. Sie beschreibt auf Seite 35f den Lebensweg ihrer Schwiegermutter, den ihres Schwagers Heinrich und das Verhältnis der beiden Brüder (Seite 39), bevor sie sich dem Bruch zwischen Thomas und Heinrich Mann widmet, dessen Beginn sie Heinrich anlastet:

„Mit Heinrichs Zola-Essay kam es dann zum Bruch, und zwar zu einem Bruch, unter dem beide sehr gelitten haben Dieser unselige Essay, dessen Anfang wirklich kränkend war.“23 Auch hier versucht sie die Reaktion ihres Mann gegenüber den Ansichten seines Bruders zu verteidigen und damit seine politischen Äußerungen in seinen „Betrachtungen“ zu relativieren.24 Außerdem ist neben den Memoiren auch das aussagekräftig, was diese nicht enthalten. So mutet es doch sonderbar an, daß der Selbstmord des Sohnes Klaus im Alter von 42 Jahren im Mai 1949 nicht mit einem Wort erwähnt wird. Den Suizid eines Kindes in der Erzählung der eigenen Lebensgeschichte auszulassen, ist sicherlich nicht als Desinteresse daran zu bewerten. Möglicherweise liegt diese Auslassung darin begründet, daß Klaus Mann Zeit seines Lebens ein problematisches Verhältnis zum Vater hatte25, und diese Episode nicht in Bild paßte, welches Katia Mann von ihrem Mann präsentieren wollte.

6. Zusammenfassung und abschließende Einschätzung

Die Memoiren Katia Manns sind nicht aus freiem Antrieb der Autorin entstanden. Sie wurde von verschiedenen Seiten immer wieder gebeten, wie es dem Vorwort zu entnehmen ist, ihre Lebensgeschichte zu Papier zu bringen. Sie selber sah die Notwendigkeit nicht gegeben, der Nachwelt eine autobiographische Erzählung zu hinterlassen, weder aus einem persönlichen Klärungsbedürfnis in bezug auf die eigene Biographie oder dem Versuch einer übergreifenden Sinngebung, noch aus dem Gefühl heraus, Bedeutsames über die eigene Person mitteilen zu können. Ihr Leben schien ihr dafür nicht bedeutend genug gewesen zu sein.

Da sie sich nun aber dazu bereit erklärt hatte, ihre Memoiren zu schreiben bzw. zu erzählen, schien sie bemüht zu sein, ihr Leben einem breiten Publikum darzustellen. Was die Kindheit und Jugend anbelangt, gelingt ihr dies. Katia Mann erzählt lebendig und läßt vor dem Leser, wenn auch nicht ausgiebig, die Persönlichkeit eines jungen Mädchens entstehen. Mit dem Bericht über ihre Heirat mit Thomas aber weicht die Schilderung der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Lebens immer mehr der Lebensgeschichte ihres Mannes. Sie teilt der Leserin Gefühle und wichtige Ereignisse aus dem Leben Thomas Manns mit, ohne in einem ähnlichen Maße auf die eigene Person einzugehen. Was sie selber betrifft, muß der Leser sich mit wenigen, unpräzisen Äußerungen begnügen, die weitere Fragen aufwerfen, anstatt einen Eindruck zu vermitteln von dem Leben, Denken und Fühlen dieser Frau an der Seite eines herausragenden deutschen Schriftstellers. Es scheint nicht einmal möglich zu sein, Verständnis oder Unverständnis für Handlungen Katia Manns zu entwickeln, da sie tiefe Gefühle und Beweggründe nicht offenbart und ihr Handeln somit auch nicht ansatzweise an Transparenz gewinnt.

Den Erwartungen, die an eine Autobiographie oder Memoiren von Seiten des Lesers gestellt werden, persönlichere Einblicke in das Leben eines Menschen zu erlangen, der selber Autor diese Berichtes ist, wird diese autobiographische Erzählung meines Erachtens daher nicht ausreichend gerecht. Selbst nach einer Reduzierung dieser Erwartungen, zumal es sich hier um Memoiren handelt, deren teils unverbindlicherer Charakter sich von einer Autobiographie unterscheiden mag, kommt bei der Lektüre doch häufig die Frage auf, ob es sich hier tatsächlich um Memoiren handelt, bzw. wessen Lebensgeschichte im Mittelpunkt steht? Die Memoiren Katia Manns wirken in ihrer Gesamtheit eher wie ein biographischer Bericht über Thomas Mann aus der Sicht seiner Ehefrau, als eine autobiographische Erzählung der Autorin. Die tendenziösen Zwecke dieser Memoiren gelten daher nicht so sehr der Beschönigung des Lebensgeschichte der Autorin, was durchaus akzeptabel wäre, sondern der Erschaffung eines Wunschbildes des Lebens Thomas Manns.

Demnach ist der Titel dieses Buches irreführend, wollte die Leserin nicht psychologische Rückschlüsse aus der Wahl des Titels auf die Psyche der Autorin schließen, die möglicherweise den Sinn ihres eigenen Lebens hauptsächlich in der Rolle der Assistentin eines großen Literaten sah und deren Persönlichkeit sich tatsächlich im Laufe der Jahre dahin entwickelt hatte, Eigenes entweder nicht mehr wahrzunehmen zu können und/oder den Bedürfnissen ihres Mannes immer hintenan stellen zu wollen.

Damit spiegeln die Memoiren Katia Manns leider nur wenig Persönliches aus dem ereignisreichen Leben einer intelligenten Frau des vergangenen Jahrhunderts Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren 22 wider. Da dieses Buch aber nicht aus dem Bedürfnis und auf Eigeninitiative der Autorin entstanden ist, mag dies letztendlich nicht verwundern.

7. Literaturverzeichnis

Flick, Uwe: Qualitative Forschung, 2. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt TB, 1996

Fuchs, Werner: Biographische Forschung, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1984

Genette, Gerard: Fiktion und Diktion, München: Fink, 1992

Krüll, Marianne: Im Netz der Zauberer: Eine andere Geschichte der Familie Mann, Frankfurt am Main: Fischer TB, 1997

Mann, Katia: Meine ungeschriebenen Memoiren, 2. Aufl., Frankfurt am Main: Fischer TB, 2000

Mann, Thomas: Betrachtungen eines Unpolitischen, in: Mann, Thomas: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Bd. 12, Frankfurt am Main: Fischer TB, 1990

Naumann, Uwe: Klaus Mann, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1984

Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur, 7., verb. u. erw. Aufl., Stuttgart: Kröner, 1989

Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren 24

[...]


1Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 2

2 Vgl. Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 7

3 In der qualitativen Biographieforschung haben verbale Daten (z.B. narrative Interviews) in den letzten Jahrzehnten eine hohe Akzeptanz erlangt und sind mittlerweile als wissenschaftliche Methode der Datengewinnung anerkannt. Vgl. auch Fuchs, W., Biographische, 1984 und Flick, U., Qualitative, 1996

4 Vgl. Krüll, M., Netz, 1997, S. 174-179

5Wilpert, G.v., Sachwörterbuch, S. 565

6 Vgl. Wilpert, G.v., Sachwörterbuch, S. 66f

7Vgl. Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S.23

8Vgl. Genette, G., Fiktion, 1992, S.80

9 Hier sei aufgrund der Fülle der Literatur nur noch einmal auf Krüll, M., Netz, 1997 verwiesen, deren Literaturverzeichnis ausgesprochen umfangreich ist.

10Die entsprechenden Seitenzahlen befinden sich im Register ab Seite 177 in: Mann, K., ungeschriebenen, 2000

11Vgl. Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 11 u. 24

12 z.B. „Tooon“, Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 40

13 Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 42

14Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 70

15Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 96

16 Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 113

17 Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 64f

18 Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. S73

19 Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 86

20 Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 28f

21Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 106

22Krüll, M., Netz, 1997, S. 358f

23Mann, K., ungeschriebenen, 2000, S. 41

24 Mann, T., Betrachtungen, 1990

25 Naumann, U., Klaus, 1984, S. 7-9

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Untersuchungen zu Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren
Hochschule
University of Sheffield
Veranstaltung
Seminar
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
24
Katalognummer
V103273
ISBN (eBook)
9783640016518
Dateigröße
371 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Untersuchungen, Katia, Mann, Meine, Memoiren, Seminar
Arbeit zitieren
Silke Thieß (Autor:in), 2001, Untersuchungen zu Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103273

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