Das dramatische Prinzip der akustischen Maske und seine Anwendung in Canettis Werk


Seminararbeit, 1999

19 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

Einführung

1. Zu Elias Canetti
1. 1 Canettis Leben und seine besondere Beziehung zur Sprache

2. Über das dramatische Prinzip der „akustischen Maske”
2.1 Die Bedeutung der Maske in Canettis „Anthropologie”

3. Beispiele zur Verwendung der „akustischen Maske”
3.1 Die Dramen Hochzeit und Komödie der Eitelkeit
3.2 Der Roman Die Blendung
3.3 Der Ohrenzeuge. Fünfzig Charaktere

Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis

Einführung

In der vorliegenden Arbeit beschäftige ich mich mit dem Canetti‘schen Prinzip der „akustischen Maske”, das der Autor selbst in einem Interview im April 1937 in der Wiener Zeitschrift „Sonntag” bestimmt hat. Trotz seiner Wichtigkeit für das Verständnis von Canettis Werke, wurde der Begriff nicht sofort erfaßt. Er wurde erst später zum Gegenstand literarischer Auseinandersetzungen. Dies geschah vor allem in den sechziger Jahren als das Buch Masse und Macht und die dritte Ausgabe des Romans Die Blendung veröffentlicht wurden, was den Autor zugleich in den Blickpunkt der „Öffentlichkeit” gebracht hat.

Das Prinzip der „akustischen Maske“ wurde von Canetti als „das wichtigste Element dramatischer Gestaltung” bezeichnet, da für ihn das Drama in den Sprachen lebte. Aber ein Überblick über seine Romane, Essays, zahlreichen Aphorismen oder Bücher wie z. B. Der Ohrenzeuge genügt, um zu bemerken, daß das Prinzip später nicht mehr nur als dramatisches Element wie am Anfang gemeint war, sondern die Charakterisierung der Figuren durch Sprache im Mittelpunkt aller seiner Werke steht. Aber die „akustische Maske” ist „nur in erster Linie Sprachcharakterisierung”[1], wie der Kritiker H. Feth beobachtet.

Eine erweiterte Auffassung des Begriffes der „akustischen Maske“ zeigt eine enge Verbindung mit den antropologischen Ansatzpunkten Canettis. Einige Kritiker haben das Prinzip sogar als etwas fast unfaßbares betrachtet, wenn man diese Bezüge nicht herstellt. Dies hilft uns, besser zu verstehen, warum der Autor das Prinzip der „akustischen Maske” nicht nur für seine Dramen angewendet hat.

Die Werke, die das Prinzip der „akustischen Maske“ am besten ausdrücken, sind die frühen Dramen Die Komödie der Eitelkeit und Hochzeit, das Roman Die Blendung und das Buch Der Ohrenzeuge.

1. Zu Elias Canetti

Elias Canetti wurde am 25. Juli 1905 als erster Sohn sephardischer Eltern in Rustschuk (Bulgarien) geboren. Mit sechs Jahren zog er mit seiner Familie nach England um. Nach kurzer Zeit starb dort der Vater und die Mutter entschloß sich mit ihren Söhne in der Schweiz zu leben.

Nach einem kurzen Sommeraufenthalt in Lausanne, wo der junge Canetti Deutsch lernte, zog die Familie nach Wien um. Dort besuchte er die Volksschule. 1916 ließ sich die Familie Canetti in der neutralen Schweiz nieder. Im folgenden Jahr besuchte Canetti das Realgymnasium der Kantonschule Zürich. 1921 ging er allein nach Frankfurt am Main und besuchte das Köhler-Realgymnasium bis zum Abitur in Jahr 1924.

Nach dem Abitur fuhr Canetti nach Wien, wo er ein Studium mit dem Hauptfach Chemie an der Universität anfing. Dort lernte er Karl Kraus und seine spätere Frau Veza Tauber-Calderon kennen. Im Jahr 1928 fuhr er nach Berlin, wo er einen Angebot als Übersetzer bekam. Dort hatte er die Möglichkeit, Intellektuellenkreise zu besuchen, wo er Personen wie Bertold Brecht, Isaak Babel und George Grosz kennenlernen konnte. In dem nachfolgenden Jahr entwarf er die nicht beendete Romanreihe Comedie Humaine an Irren. Im Herbst 1931 wurde der Roman Kant fängt Feuer (später Die Blendung) abgeschlossen, der nur vier Jahre später in Wien, Leipzig und Zürich erschien, aber zu diesem Zeitpunkt unbeachtet blieb. In diese Zeit schrieb er auch die zwei Dramen Hochzeit (1932) und Komödie der Eitelkeit (1933), die aber nicht aufgeführt wurden. 1938 marschierte Hitler in Wien ein und Elias und Veza Canetti, verheiratet seit 1934, verließen die Stadt und fuhren nach London. Dort begann er das Buch Masse und Macht zu schreiben. Die Arbeit an diesem Werk dauerte dreißig Jahre. 1960 wurde das Buch schließlich in Hamburg veröffentlicht. Inzwischen war auch die französische und englische Übersetzung des Romans Die Blendung. Eine zweite Auflage auf Deutsch blieb weiterhin unbeachtet.

1963 starb Veza Canetti, im selben Jahr gab es eine Neuauflage der Die Blendung, die jetzt verstärkt eine große Akzeptanz erzeugte. Eine größere Öffentlichkeit führte dazu, daß die frühen Dramen uraufgeführt wurden, sie provozierten ambivalente Reaktionen bei den Zuschauern. Von hier an bekam er endlich Anerkennung und es wurden ihm zahlreiche Preisen verliehen. Werken wie Die Stimmen von Marrakesch (1968), Die gespaltene Zukunft (1972), Der Ohrenzeuge (1974) und die drei Bände der Autobiographie Die gerettete Zunge (1977), Die Fackel im Ohr (1980), Das Augenspiel (1983) trugen zu seiner Popularität bei. 1981 erhielt Canetti den Nobelpreis für Literatur. Er starb am 14. August 1994 in Zürich.

1.1 Canettis Leben und seine besondere Beziehung zur Sprache

Für die Analyse des Themas „akustische Maske” ist die Beziehung zwischen Canettis Leben und der Sprache herauszuheben. In den ersten Lebensjahren lernte Canetti Ladino, eine sephardische Sprache, die zu Hause gesprochen wurde. Diese Sprache „geht zurück auf die Nachkommen der 1492 aus Spanien und Portugal vertriebenen Juden.”[2] Bei den religiösen Gelegenheiten hörte das Kind auch Jüdisch und durch die Bediensteten und das Kindermädchen lernte es Bulgarisch. In der kleinen Stadt, wo die Familie wohnte, war die Mehrheit der Bevölkerung bulgarischer Abstammung, aber ein großes Viertel war von Türken bewohnt. Außerdem lebten dort Griechen, Russen, Albanien, Armenier und Zigeuner. So konnte man auf den Straßen sieben oder acht verschiedene Sprachen hören. Nach der Übersiedlung der Familie nach Manchester lernte Canetti Englisch in der Schule und hatte Französischunterricht bei der Gouvernante. Mit acht Jahren war er wegen des Aufenthaltes in der Schweiz gezwungen, sehr schnell Deutsch zu lernen, eine Sprache, die ihn auf seinem weiteren Lebensweg sehr geprägt hat.

Festzustellen ist, daß die verschiedenen Umzüge der Familie Canetti dem Jungen die Verbindung zwischen der Entdeckung neuer Welten und der Erfahrung neuer und fremder Sprachen ermöglichten. Dies schuf schon früh ein enges Verhältnis zur Sprache und führte zu einer Sprachreflexion, die nicht nur im Mittelpunkt seines ganzen Lebens stehen würde, sondern wie ein roter Faden sein gesamtes Werk durchläuft. Ein Schlüsselerlebnis in diesem Zusammenhang war ohne Zweifel die Begegnung des 19jährigen Canetti in Wien mit Karl Kraus. Canetti besuchte seine Vorlesungen und war sehr beeindruckt, wie Kraus das Publikum in seinen Bann zog. Er selbst hat geschrieben:

Als zweites hat mir Karl Kraus das Ohr aufgetan, (...). Dank ihm begann ich zu fassen, daß der einzelne Mensch eine sprachliche Gestalt hat, durch die er sich von allen anderen abhebt.[3]

So wird für Canetti die Sprache „immer mehr als bloß ein Medium der Kommunikation”[4]. Er denkt durch seine literarische Welt immer wieder über „die Möglichkeiten und Grenzen der Sprache” nach. Sie wird in Canettis Werk nicht nur als „ein Element der Handlung” betrachtet, sondern „in ihr repräsentiert sich direkt und unmittelbar die Handlungsstruktur des Romans bzw. der Stü name="_ftnref5" title="">[5] Die Thematisierung der Sprache spielt sowohl in den frühen Dramen als auch in den Roman Die Blendung, in den Stimmen von Marrakesch, Der Ohrenzeuge und in zahlreichen Aphorismen und Essays eine Hauptrolle.

2. Über das dramatische Prinzip der „akustischen Maske”

Das Drama lebt auf eine ganz eigene Art in der Sprache. Fast könnte man, wenn es nicht so mißverständlich wäre, sagen: Es lebt in den Sprachen. Denn für das wichtigste Element dramatischer Gestaltung halte ich die akustische Maske.[6]

So bezeichnete Elias Canetti die „akustische Maske” als Stilmittel seiner Dramen.

Jeder Figur müßte, seiner Meinung nach, eine „akustische Maske” entsprechen. Die äußere Gestalt seiner Protagonisten verliert ihre Wichtigkeit, denn in erster Linie wird ihre Sprache wiedergegeben. Sie werden so „Sprechende” statt „Handelnde”. So aufgefaßt sei Sprache aber „nicht nur ein bloßes Zeichensystem,”[7] nicht nur ein einfaches Mittel der Kommunikation zwischen Menschen, sondern sie entspreche einer bestimmten Realität und führte zum einzigartigen Ausdruck der „Wirklichkeit”. Durch das Sprachverhalten eines Mensch äußere sich sogar sein Bewußtsein und es spiegele seine Innenwelt. Daraus folgt, daß jeder seine eigene Weise zu sprechen ausbilde. So sagte Canetti:

Gehen sie in ein Volkslokal, (...) setzen Sie sich an irgend einen Tisch und machen Sie da die Bekanntschaft eines Ihnen wildfremden Menschen.(...) Sobald er aber richtig ins Sprechen gekommen ist (...) hören Sie ihn sich einige Minuten hindurch genau an. Unternehmen Sie keinerlei Versuch, ihn zu verstehen, forschen Sie nicht nach dem, was er meint, fühlen Sie sich nicht in ihn ein, - achten Sie ganz einfach auf das Äußere seiner Worte.(...) Da werden Sie nun finden, daß Ihr neuer Bekannter eine ganz eigentümliche Art des Sprechens an sich hat.(...) seine Sprechweise ist einmalig und unverwechselbar. Sie hat ihre eigene Tonhöhe und Geschwindigkeit, sie hat ihre eigenen Rhythmus. Er hebt die Sätze wenig von einander ab. Bestimmte Worte und Wendungen kehren immer wieder. Überhaupt besteht seine Sprache aus nur fünfhundert Worten. Er behilft sich recht gewandt damit. Es sind seine fünfhundert Worte.(...) Sie können ihn, wenn Sie ihm gut zugehört haben, das nächste Mal an seiner Sprache erkennen, ohne ihn zu sehen. Er ist im Sprechen so sehr Gestalt geworden,(...).[8]

Canetti stellt fest, daß die Sprache eines jeden Menschen einmalig und unverwechselbar ist. Da jeder nur „fünfhundert Worten” benötigt, beschränkt sich seine „akustische Gestalt” auf stereotype Äußerungen. So wählt jeder seine Lieblingsworte, die ”immer wieder kehren”. Das Reden bildet sich aus derselben „Tonhöhe” aus und die Stimme hat immer denselben „Rhythmus”. Damit wird die Sprache zum Erkennungsmerkmal eines Sprechers.

Diese sprachliche Gestalt eines Menschen, das Gleichbleibende seines Sprechens, diese Sprache, die mit ihm entstanden ist, die er für sich allein hat, die nur mit ihm vergehen wird, nenne ich seine akustische Maske.[9]

[...]


[1] Feth, H. Elias Canettis Dramen. Frankfurt / M 1980. S. 51.

[2] Barth, M.: Canetti versus Canetti. Identität, Macht und Masse im literarischen Werk Elias Canettis. Frankfurt/M., 1994. S. 19.

[3] Canetti, E. Karl Kraus. Schule des Widerstand. In: Canetti, E.. Das Gewissen der Worte. Essays. München, Wien 1983. S. 44.

[4] Knoll, H.: Das System Canetti. Zur Rekonstruktion eines Wirklichkeitsentwurfes. Stuttgart 1993. S. 86.

[5] Ebenda, S. 87.

[6] Canetti, E.; Durzak, M.: Akustische Maske und Maskensprung. Materialen zu einer Theorie des Dramas. Ein Gespräch. In: Neue Deutsche Heft 3, 1975. S. 497.

[7] Knoll, H.: Das System Canetti, a.a.O., S. 89.

[8] Canetti, E.; Durzak, M.: Akustische Maske und Maskensprung, a.a.O., S. 498.

[9] Ebenda.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das dramatische Prinzip der akustischen Maske und seine Anwendung in Canettis Werk
Hochschule
Universität Potsdam  (Germanistik)
Veranstaltung
Blockseminar: Groteske Elemente im Werk Elias Canettis
Note
2
Autor
Jahr
1999
Seiten
19
Katalognummer
V10315
ISBN (eBook)
9783638167734
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elias Canetti
Arbeit zitieren
Mag.a Stefania Selvaggi (Autor:in), 1999, Das dramatische Prinzip der akustischen Maske und seine Anwendung in Canettis Werk, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10315

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