Interaktion von Kindern und Jugendlichen mit Pferden im außerschulischen Lernort


Examensarbeit, 2000

59 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1. Pferdestall als Lernort
1.1 Die Bedeutung des Tieres für den Menschen
1.2 Das Pferd als Symbol und Mythos
1.3 Die Entwicklung des Pferds in der Evolution
1.4 Die Geschichte des Reitsports
1.5 Lebenssituation der Kinder u. Jugendlichen in der Gesellschaft
1.6 Kind- Tier- Beziehung
1.7 Die Geschlechterrolle im Reitsport
1.8 Kinder und Jugendliche im Breitensport
1.9 Kinder und Jugendliche im Turniersport

2. Grundregeln bei der Arbeit mit dem Pferd
2.1 Zur Entwicklung des Bewegungsgefühls
2.2 Koordinative Grundlagen
2.2.1 Gleichgewicht..23
2.2.2 Muskuläre Unterscheidungsfähigkeit
2.2.3 Rhythmus
2.3 Grundtechnik des Sitzes auf dem Pferderücken
2.3.1 Grund- oder Dressursitz
2.3.2 Leichter Sitz
2.3.3 Rennsitz
2.4 Zügel-, Schenkel-, und Gewichtshilfen
2.5 Körperhaltung
2.6 Gymnastik ohne Pferd

3. Reitausrüstung
3.1 Reitweisen im Überblick
3.2 Turnierklassen im Überblick
3.3 Grundausbildung im Reiten bei Kindern und Jugendlichen
3.4 Entwicklungsphasen des Kindes
3.5 Lernstufen beim Voltigieren und Reiten
3.6 Umsetzung des richtigen Sitzens auf dem Pferd
3.6.1 Übungen am Führzügel
3.6.2 Übungen an der Longe
3.6.3 Reiten im Gelände
3.7 Funktionsgymnastik mit dem Pferd
3.8 Das richtige Pferd als Lehrpferd
3.9 Die Rolle des Reitlehrers
3.10 Reiten als Therapie

4. Resümee

5. Anhang

6. Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Entscheidung, mich im Rahmen meiner Examensarbeit mit der Thematik des Reitsports speziell bei Kindern und Jugendlichen zu befassen, ist aus meinem persönlichen Erfahrungen entsprungen.

Durch das Aufwachsen auf dem seit Generationen betriebenen Pferdezuchtbetrieb meiner Eltern hatte ich schon von Kindesbeinen an engsten Kontakt zu Ponys und Pferden, ich habe somit das Reiten automatisch erlernt. Seit vielen Jahren bin ich auf diesem Hof auch tätig und unterrichte dort Kinder und Jugendliche. Dies brachte mich dazu, mich auch wissenschaftlich damit auseinanderzusetzen, auf welche Weise Kindern, die ohne diesen selbstverständlichen Kontakt zu Tieren aufwachsen, das Reiten nahegebracht werden kann.

Nach Abschluß des Studiums plane ich, auf dem elterlichen Hof einen Reiterhof aufzubauen. Mein Ziel dabei ist, behinderten und nicht behinderten Kindern die Möglichkeit zum Reiten anzubieten und Kindern wieder einen natürlichen Umgang mit Tieren zu ermöglichen.

Einleitung

Zwischen Mensch und Pferd besteht von je her eine ganz besondere Beziehung. Gerade auf Kinder, insbesondere Mädchen, üben Pferde und Ponys eine nahezu magische Anziehungskraft aus. Doch anders als in früheren Zeiten, in denen Mensch und Tier in einer symbiotischen Gemeinschaft lebten und so die Fähigkeit besaßen, sich miteinander zu verständigen und gestische Signale oder Lautäußerungen wechselseitig spontan zu verstehen, ist durch die zunehmende Industrialisierung und Urbanisierung eine Entfremdung entstanden. Die heutigen Stadtkinder wissen z.B. das Signal der angelegten Ohren oder das Schnauben des Pferdes nicht mehr zu deuten. Regelmäßiger Umgang mit Pferden vom Stallsäubern bis hin zum Waldritt kann dazu beitragen, wieder einen Bezug zur Natur herzustellen und dabei die Instinkte wieder zu schärfen, Verantwortung für ein Lebewesen zu erlernen und somit zur Persönlichkeitsentwicklung beizutragen. Auch die Schulung der Bewegungs- und Körpererfahrung ist ein wichtiger Beitrag, den der Reitsport leisten kann.

Wichtig ist aber dabei, den Kontakt zwischen den Kindern und den Pferden in pädagogisch sachgemäßer Weise herzustellen, sie nicht zu überfordern und in erster Linie Freude am Kontakt zu den Tieren, zu anderen Kindern und Jugendlichen und an der Bewegung zu vermitteln.

In der vorliegenden Arbeit wird zunächst die Bedeutung des Pferdes für den Menschen allgemein dargestellt, wobei sowohl auf seine mythische Rolle wie auch auf die Entwicklungsgeschichte des Pferdes und des Reitsports eingegangen wird.

Es werden Grundlagen des Reitens dargestellt, um danach deren Umsetzung im Reitunterricht zu beschreiben.

1. Pferdestall als Lernort

Kinder bewegen sich überwiegend in vorgeschrieben Räumen und Plätzen, wo es erlaubt ist zu spielen. Diese Spielräume sind auf die Kinder direkt zugeschnitten und lassen kaum Möglichkeiten für Phantasie. Die moderne Architektur zeigt sich in Form von Siedlungen und geballten Hochhäusern. Heutige Kinder aus Städten leben in einer Form der Verinselung. So erleben sie ihren Lebensraum nicht mehr als ganzes, sondern als Teil voneinander getrennter Bereiche[1] und können ihre Lebensbereiche nicht miteinander verbinden.

Welche gewinnbringende Bedeutung Pferde und Reitställe als außerschulischer Lernort, für die heutige Kindheit und deren Lebensräume haben, soll in den folgenden Kapiteln gezeigt werden.

Die Schule ermöglicht vielen Schülern das Kennenlernen einer oder mehrerer Natursportarten, wie z.B. den Reitsport. In den meisten Fällen handelt es sich um Einsteigerkurse, Arbeitsgemeinschaften oder Klassenfahrten, bei denen eine Natursportart geboten wird.

Auf einer Reitanlage gibt es viele Möglichkeiten etwas zu lernen. Es wird vor allem die Verantwortung gegenüber dem Tier gelernt. Fütterung, Reiten, Pferde pflegen und misten, sind nur einige Beispiele der täglichen Arbeit vor und nach dem Reiten. Insbesondere für Mädchen steht weniger das Reiten, sondern eher die Umsorgung des Pferdes im Vordergrund.

Nicht immer ist die Wahl der Ställe möglich, da es oft nur einen Stall in der Nähe gibt. Trotzdem müssen Grundvoraussetzungen vorhanden sein, die eine richtige Reitschule als außerschulischen Lernort erfüllen sollte[2]. Die Reitanlage sollte eine große helle Halle mit ordentlich eingezäunten Außenplätzen besitzen. Ideal wäre ein gutes Ausreitgelände. Im Stall sollte eine gute Pferdehaltung erkennbar sein. Geräumige, helle Ställe und vor allem nicht nur Sauberkeit auf den Stallgassen, sondern auch gepflegte Boxen. Die Schulpferde müssen ein ruhiges, ausgeglichenes und sicheres Erscheinen haben. Dieses wird durch einen guten Futterzustand, lebhaftes Ohrenspiel bei den Tieren sichtbar. Eine Vereinsanbindung ist ebenfalls von wichtiger Bedeutung. Hier können zusätzlich Jugendarbeit, Veranstaltungen wie Reiterfeste, Abzeichenprüfungen, kleine Turniere und Ausflüge geplant werden. Kinder und Jugendliche finden durch einen passenden Reitstall viele Möglichkeiten sich körperlich „auszutoben“ und anderen Pferdefreunden anzuschließen.

1.1 Die Bedeutung der Tiere für den Menschen

Die historisch gewachsene Vertrautheit von Mensch und Tier bewirkt auf beiden Seiten bis heute eine spontane Fähigkeit, sich miteinander zu verständigen oder auch eine enge Beziehung miteinander einzugehen.

Infolge der Domestikation und Zuchtauswahl wurden die Tiere vom Menschen so verändert, daß sie sich ihrem Umfeld und dem Verhalten des Menschen in ihrer Eigenart angepaßt wurden. Die Zähmung der Tiere stellte für den Menschen neue Aufgaben dar. Versorgung und Verantwortungstätigkeiten gegenüber den Haustieren veränderten die Rolle und das Selbstverständnis in seinem Umfeld. Die Tiere schienen nicht mehr nur als Fleischlieferant zu dienen, sondern brachten durch Zähmung Nutzen für den Menschen. So sind am Beispiel Pferd, die Menschen spontan in der Lage, die gestischen Signale des Tieres (angelegte Ohren) oder Lautäußerungen (Schnauben) zu deuten, ebenso wie Tiere auf unsere Stimme und Körperhaltung reagieren.

Andererseits wird auch ein Ungleichgewicht zwischen Mensch und Tier deutlich.

Massentierproduktion und Massentierhaltung stehen in der Industriegesellschaft im Vordergrund. Mensch und Tier sind nicht mehr in einer Symbiose zu sehen, sondern das Tier steht in einseitiger Abhängigkeit von dem Menschen[3].

Im Reitsport finden Menschen noch ein Stück des besonderen, außerordentlich differenzierten Mensch- Natur- Verhältnisses. Der Reitsport und der Umgang mit dem Pferd vermittelt einen Ausgleich zum Alltäglichen. Hier steht das Wohlergehen des Tieres in dem Vordergrund.

1.2 Das Pferd als Symbol und Mythos

Pferde dienten immer wieder als religiöse Symbole und wurden sehr verehrt. In den frühgeschichtlichen Kulturen schätzte man sie mehr als alle anderen Tiere. Die ersten Völker die Pferde zähmten und nutzen lernten, waren plötzlich viel schneller und stärker, als sie es sich je vorgestellt hatten. Pferde wurden zum Symbol von Macht und Reichtum. Sie waren die Reittiere der Könige und Krieger. Auch die Götter hatten Pferde, daher spielen in den Sagen übernatürliche Pferde und pferdeähnliche Wesen eine so große Rolle.

Die symbolische Bedeutung des Pferdes ist so alt wie die Beziehung des Menschen zu diesem Tier. Gerade der Mythos und der Archetypus Pferd sind in der heutigen Zeit immer wieder aufzufinden und scheinen somit nie an Bedeutung zu verlieren.

Hier einige Beispiele:

- Pegasus war ein herrlicher weißer Hengst mit Flügeln. Der Legende nach wurde er von Bellerophon mit Hilfe der Göttin Athene gezähmt. Pegasus half ihm, ein feuerspeiendes Ungeheuer zu bezwingen. Doch der Besitz des unsterblichen Pferdes hatte Bellerophon übermütig gemacht. Er wollte sich in das Reich der Götter emporschwingen. Das "göttliche" Pferd aber widersetzte sich und schleuderte den irdischen Reiter zu Boden, welchen von da an den Göttern verhaßt war.
- Zentauren sind Wesen der griechischen Sagenwelt mit dem Oberkörper eines Menschen und dem Unterteil und Beinen eines Pferdes. Sie liebten nicht nur das Kämpfen, sondern auch das Trinken. Der berühmteste von ihnen hieß Chiron. Im Gegensatz zu den meisten anderen war er weise und gerecht. Er lehrte Achilles und andere griechische Helden das Jagen, Medizin und Musik. Der Legende nach heißt es, daß der Göttervater Zeus, Chiron nach dessen Tod im Sternbild Zentaurus – zusammen mit dem Zentauren Sagitarius verewigte
- Das Einhorn ist ein Phantasie Pferd – mit einem gedrehten Horn auf der Stirn. Der Legende nach konnte es nur von einer Jungfrau gezähmt werden.
- Odin war der König und höchste Gott in der Mythologie der Wikinger. Er soll die Erde erschaffen und den Göttern und Menschen Furcht eingejagt haben. Der Sage nach galoppierte er mit seinem Pferd Sleipnir auch über die Meere und durch die Luft.

Während sich die vermittelnde Funktion des Pferdes hinsichtlich der Erklärung von Naturereignissen und kosmischen Erscheinungen fast verloren hat, ist seine Bedeutung als Symbol für innerpsychische Ereignisse weitgehend lebendig geblieben. Viele Symbole sind in Vergessenheit geraten, weil sie erklärbar geworden sind, wie z.B. die Blitzsymbolik des Pferdes, in dem das Pferd als Wetterroß erscheint. Das Pferd erscheint in Mythen als Wetterroß und ist für Wind-, Wasser- und Sonne zuständig. In den armenischen Mythen wird der Vergleich von Pferd und Wetter besonders deutlich: „ Die Gewitter- und Blitzdämonin Covinar tanzt auf einem feurigen Roß , der Blitz ist ihre Peitsche, der Donner das Getrampel ihres Rosses... Der Winddämon Surb-Sargis reitet auf seinem Schimmel. Sein Roß schnaubt Nebel und Wolken. Von dem Hufschlag (...)erbebt die Erde...“[4]

Der Blitz als Pferd wurde als reinigende Kraft zur Abwehr des Bösen und der Feinde gesehen. So steckten die Germanen Pferdeköpfe als Erinnerung an die blendende Kraft der Sonne und Blitze auf lange Holzstangen. Die sogenannten Neidstangen, die auch in Verbindung mit dem Roßopfer zu sehen sind, waren manchmal Grenzmakierungen und sollten Feinde und böse Geister abschrecken. Heute sind an Fachwerkhäusern noch gekreuzte Pferdeköpfe als Schutzsymbole an Dachgiebeln in zu finden.

BAUM beschreibt das Pferd als ein Tier, daß die Überwindung von Raum und Zeit, der Bewegung sowie Leidenschaft und Angst in sich verbunden hat. Nach BAUM symbolisiert das Pferd gerade in der griechischen Mythologie das Leben. Mit dem Beginn des Reitens konkretisieren sich die mythischen Bilder bezüglich der Auseinandersetzung zwischen Mutterrecht und Patriarchat, da die Roß- Reiter- Symbiose von weit größerer Ausdruckskraft ist als das Streitwagenfahren. Der Mann wird mit dem Pferd zum Reiter und zwingt nach BAUM so die Libido unter sich. Er erhebt sich über die mütterliche Erde und löst sich damit von der Übermacht des Unbewußten. Für die Auseinandersetzungen zwischen Mutterrecht und aufsteigendem Patriarchat gibt es nach BAUM vor allem drei Mythen die diese Schlüsselfunktion zukommt. Es handelt sich um die Mythen von den Zentauren, von Pegasos und Bellerophon und vom trojanischen Pferd. Sie weisen laut BAUM auf den Übergang von matriachalen zu patriachalen Herrschaftsformen hin: „(...) und alle drei stellen Grundmuster bereit für die Beziehung des Menschen zur Natur, deren Stellvertreter das Pferd ist.“[5] Im europäischen Kulturkreis gibt es wohl kein anderes Symbol, das seit magisch- mytischen Zeiten bis in die Gegenwart hinein mit solcher Kontinuität tragfähig geblieben ist.

1.3 Entwicklung des Pferdes in der Evolution

Geschichtlich betrachtet geht man davon aus, daß die Biographie des Pferdes schon vor 60-70 Mill. Jahre begann[6]. Die Evolution des Pferdes ist besonders interessant, weil das Pferd Jahrmillionen überdauern konnte, obwohl es weder Hörner noch scharfe Zähne oder Krallen besaß. Das Pferd lebte ausschließlich in der Flucht und im Herdenverband.

Ungefähr 1 Mill. Jahre v. Chr. entwickelten sich vier verschiedene Wildformen von Pferden[7]. Nach der Eiszeit, ab 10.000 Jahre v. Chr. ergaben sich daraus wieder neue Mischformen.

Ca. 5.000 Jahren später wurde das Pferd in unterschiedlicher Wildform des Equus caballus domestiziert.

Relativ zeitgleich entdeckte man sowohl in Europa (1838-39) als auch in Nordamerika (1871-72) Skelettreste eines Wirbeltieres, das Wissenschaftler als den Vorläufer unseren heutigen Pferdes erkannten[8]. In Europa nannte man diesen Fund Hyracotherium, das etwa „schlieferartiges“ Tier bedeutet. (Schliefer sind in Afrika und Vorderasien verbreitete Säugetiere, die Ähnlichkeit mit Murmeltieren haben und zu der Gruppe der „Fast-Huftiere“, den Paenungulata, gehören). In Nordamerika gefundene fossile Skelettreste wurden Eohippus „Pferd der Morgenröte“ genannt. Untersuchungen fanden heraus, daß beide Funde starke Ähnlichkeiten aufweisen. Während die Hyracotherien in Europa im Zeitalter des Oligozäns (vor ca. 40 Millionen Jahren) vollständig ausstarben, entwickelte sich der Eohippus zu verschiedenen Gattungen weiter. Der Eohippus war nur fuchsgroß und hatte einen nach oben aufgewölbten Rücken, schlanke Beine und mehrzehige Pfoten. Durch Klimawandlungen, Ernährungsprobleme und Umwelteinflüsse entwickelte sich das Pferd zu einem grasfressenden Steppeneinhufer. Während der Eohippus und der sich daraus entwickelnde Orohippus (Sie lebten vor 40-60 Millionen Jahren) ihr relativ geringes Körpergewicht noch leicht durch das weiche, federnde Buschland tragen konnten, brauchten die nachfolgenden Formen des Epihippus und Mesohippus (Sie lebten vor 25-40 Millionen Jahren) schon sehr viel stärkere Beine, um ihren größer und damit schwerer werden Körper tragen zu können. Die jeweils äußeren Zehen bildeten sich zugunsten der mittleren drei zurück, wobei sich diese besonders kräftig entwickelten.

Die Entwicklung des in Europa und Asien angesiedelten Pferdes kann über sehr lange Zeitstrecken hinweg überhaupt nicht verfolgt werden, weil bis heute keine Knochenfunde verfügbar sind. So ist man deshalb immer noch auf Vermutungen angewiesen. Aufgrund der Vielzahl der Hauptpferderassen bildeten sich verschiedene Theorien über ihre Entstehung heraus. Anfang des 20 Jahrhunderts teilte man die vorhandenen Hauspferderassen in drei Gruppen Steppenpferde, Waldpferde und Plateaupferde mit je einem

Wildpferdevorfahren ein. DARWIN stellt die Hypothese von nur einem Wildpferd (equus ferus) auf, das in mehreren Unterarten von Europa bis Asien vorkam. SPEED (Veterinäranatom) und EBHARDT (Pferdezüchter) stellten die Behauptung auf, daß sich die heutigen Pferderassen aus vier klar unterschiedlichen Urformen Urpony, Tundrenpony, Ramskopfpferd und Steppenpferd, der letzten Eiszeit ableiten[9]. Diese Theorie wird auf röntgenologische Untersuchungen gestützt.

1.4 Geschichte des Reitsports

Der Anfang der Reiterei kann nur vermutet werden. Wahrscheinlich hat man zuerst ein Kind als Last auf den Rücken des Pferdes gesetzt. Dieses Kind empfand die Bewegung dann vielleicht als angenehm und lustig, so daß auch ausgewachsene Menschen sich auf den Pferderücken wagten. Es existieren keine Angaben über den Zeitpunkt, wann das Pferd zum erstenmal geritten wurde. Es ist nicht einmal sicher, ob das Pferd erst geritten und dann zum ziehen diente.

Möglicherweise kam es auch in Mittel- und Westeuropa zuerst als Reitpferd und später als Zugtier zum Einsatz, weil es hier erst Wagen gab, nachdem die Römer Straßen gebaut hatten. In Asien und Osteuropa aber war dies umgekehrt.

Die ältesten Unterlagen zu Reitkünsten findet man in XENOPHONS Schriften (434 - 355 v. Chr.).[10] Die Reitlehre des Griechen ist der Grundstein der heutigen Reitwissenschaft. Die Leitlinien seiner Werke „Über die Reitkunst“ und „Der Reitoberst“ haben bis heute ihre Wichtigkeit in der Praxis behalten. XENOPHONS Reitlehre betont vor allem einen unabhängigen, geschmeidigen Sitz des Reiters auf dem Pferd. Wie aus Darstellungen antiker bildender Künstler zu entnehmen ist, waren die Pferde der Athener und Spartaner von mittlerer Größe. Sie stammten aus dem orientalisch - thessalischen Zuchtgebiet und bedurften einer besonderen einfühlsamen Behandlung. Dieses Einfühlungsvermögen, welches die klassische Reitkunst der Griechen auszeichnete, fehlte den Römern. Sie ahmten zwar die Reitweisen nach, aber ihre Reitlehre besaß keinen Inhalt. Sie hielten sich die Pferde zur Schaulust für die Masse im Circus Maximus.

Bei den Chinesen waren schon in der vorchristlichen Zeit sogenannte Reitausrüstungen bekannt. Im Laufe der Zeit wurden dann Sättel, Bügel und Eisen allmählich Gemeingut der europäischen Welt. Trotzdem entstand ein Bruch in der Weiterentwicklung in der Reitkunst. Stürme der Völkerwanderung mit ihrer Vernichtung edler Pferdezuchten zerstörten ebenfalls jegliche reiterliche Überlieferung. Das Pferd wurde in dieser Zeit vor allem als Fortbewegungsmittel und Kriegsmaschine genutzt.

Die Jahre des Überganges vom 19. in das 20. Jahrhundert und die Jahrzehnte danach bis in die achtziger Jahre sind in der Reitkunst stark bewegt.[11]

Dem Ersten und Zweiten Weltkrieg fielen ebenfalls viele Pferde zum Opfer. Noch weit mehr wurden nach dem Krieg geschlachtet, weil sie nutzlos und unrentabel wurden. Der Zusammenbruch Deutschlands zum Ende des zweiten Weltkrieges 1945 schien auch der Zusammenbruch der deutschen Reitkunst zu sein.[12]

Zum Erstaunen aller Beteiligten zeigten sich aber nach relativ kurzer Zeit des wirtschaftlichen Aufbaus wieder neue Ansätze in der deutschen Reitkunst. Der ehemalige „Reichsverband für Zucht und Prüfung deutscher Pferde“ entwickelte sich im Laufe der Jahre durch Zusammenschluß aller am Pferd interessierten Kreise zur „Deutschen Reiterlichen Vereinigung“ (FN). Alle in dieser Vereinigung zusammengeschlossenen Verbände und Personen sehen es als ihre große Verpflichtung an, die traditonsreiche deutsche Reitkultur weiter zu pflegen und ihren Bestand zu sichern.

Für die Jahre 1935 bis 1938 verzeichnete das Statistische Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland noch einen Gesamtbestand von durchschnittlich 1.542.000 Pferden, 1962 war ihre Zahl bereits auf 559.000 Pferde gesunken. Den Tiefstand bezifferte die deutsche Reiterliche Vereinigung 1970 mit 252500 Pferden und Ponys; mit der letzten Zählung 1995 konnten bereits wieder 595.848 Pferde und 155.573 Ponys registriert werden.

Obwohl kein Wirtschaftszweig mehr das Pferd als Arbeitskraft nutzt und es keine Kavallerie mehr gibt, wird das Pferd in zunehmenden Maße als Freizeitpartner des Menschen entdeckt. Was früher ausschließlich den Privilegierten vorbehalten war, hat sich mit der Zeit zum Breitensport entwickelt. Neue Erkenntnisse und grundlegende Änderungen entwickeln die Reitweisen im Rennsport und im Reiten über Hindernisse in der Jahrhundertwende. Vor allem das Springen mit dem Pferd erhält einen erhöhten Leistungsstand.

Der Reitsport zeigt immer noch eine aufsteigende Tendenz. Die Pferdezucht hat sich völlig auf den neuen Trend eingestellt und liefert das gewünschte leichtrittige Reitpferd in fast idealer Form.[13] Die Tabelle zeigt noch mal den Entwicklungsverlauf des Pferdebestandes von 1950 bis 2000 auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle: Entwicklung des Pferdebestandes in Deutschland. Aus: Agrarwirtschaft, Fachstufe Landwirt. BLV Verlagsgesellschaft München Landwirtschaftsverlag Münster - Hiltrup1997.

1.5 Lebenssituation der Kinder u. Jugendlichen in der Gesellschaft

Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges hat sich der Lebensalltag des Kindes grundlegend gewandelt. Eingeschränkte Bewegungsräume für Kinder, Verlust der Naturbezogenheit und steigende Konsumorientierung sind nur Beispiele, die das heutige Aufwachsen kennzeichnen. Viele Kinder wachsen in sozialer Vereinzelung auf. Gemeinschaftliches Handeln wird außerhalb der Familie nur selten erlebt. Gerade im Schulbereich ist zu erkennen, daß häufig soziale Erfahrungen im Umgang miteinander erst gelernt werden müssen. Möglichkeiten sozialen Kontakt aufzubauen, sollten im Freizeit Bereich verstärkt werden. Kinder u. Jugendliche können so im außerschulischen Bereich Freunde mit den gleichen Hobbys und Interessen kennenlernen.

Die meisten Familien sind geprägt durch Alleinerziehende Elternteile. Menschen leben heute überwiegend in räumlich, zeitlich und inhaltlich voneinander getrennten Räumen. Die Beschreibung der Familienstruktur erweist sich als sehr komplex. Die eigentliche Familie an sich hat es nie gegeben. Allerdings kann man von einer Durchschnittsfamilie ausgehen, die sich auf ein Elternpaar mit ein bis zwei Kinder beläuft.[14]

Die Familienstruktur hat sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändert. Der Wandel vollzog sich von der vorindustriellen Großfamilie über die Arbeiterfamilie bis hin zur modernen bürgerlichen Familie.[15] Mitverursacht wurde dieser Wandel durch den Arbeitsmarkt mit seinen gestiegenen Anforderungen und die Gesellschaft mit ihrem Individualisierungsdruck. Die Lebensansprüche steigen weiter und die Realisation des Familienideals wird immer schwieriger bis unmöglich.

MEYNERS[16] zeigt auf, daß vor einigen Jahrzehnten Familien mit drei bis vier Kindern noch als konventionell zu betrachten waren. In der heutigen Gesellschaft geht die Kinderzahl innerhalb der Familien zurück. 1996 betrug die Zahl der Kinder 1,37 pro Familie in Deutschland. So hat nicht nur MEYNERS erkannt, daß sich die Familienstrukturen erheblich verändert haben. Elterliche Rollenzuweisungen sind neu definiert worden. FÜRSTENBERG[17] hat festgestellt, daß die Zahl der alleinerziehenden Mütter und Väter stark angestiegen ist.

Alleinerziehende Elternteile müssen oft mit geringem Einkommen, Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe auskommen. Das Kindergeld allein reicht nicht zur Versorgung aus und so entstehen Existenzsorgen der betroffenen Personen, die sich auf die Kinder übertragen. Die familiären Belastungen innerhalb einer Familie werden immer stärker durch Faktoren von Außen geprägt. Das Resultat spiegelt sich in den Kindern wider. Gewalt in den Familien und auf dem Schulhof steigt jährlich um etwa 300.000 bis 500.000 Kinder. Nach FÖLLING- ALBERS[18] ist die steigende Gewalt darauf zurückzuführen, daß den Kindern die Orientierungsleistung der Familie fehlt. Er behauptet außerdem, daß Kindheit zu sehr pädagogisiert werde. Die Kinder werden pädagogisch im Hort, Kindergarten, Verein oder Schule betreut. Den thematischen Bezugsrahmen hierfür liefern aktuelle Wissenschafts- und Mediendiskurse aus der Kindheitsforschung. Man spricht beispielsweise global davon, daß es Tendenzen gebe, daß Kindheit sich "individualisiere", daß sie zunehmend "verhäusliche" oder "pädagogisiere".[19]

Hier gibt es eine Möglichkeit wieder Kinder „Kind sein“ zu lassen. Das Pferd kann tiefste Wünsche nach vertrauter Nähe, zu einem starken Partner, einem Individuum, das der Hege und Pflege bedarf , erfüllen. Kinder und Jugendliche können durch den Umgang mit Pferden eigene Bedürfnisse auf das Tier projizieren. Für die Kinder und Jugendlichen ist das Tier ein Freund, der immer da ist, im Gegensatz zu den Eltern.

3.4 Entwicklungphasen des Kindes

Die Entwicklungsphasen des Kindes sind von wesentlicher Bedeutung für den Reitsport. Es sollte darauf geachtet werden, in welchem Entwicklungsstadium sich Kinder oder Jugendliche befinden. Mit Wachstum und psychischer Reife wächst auch die Leistungsfähigkeit und die motorische Fähigkeit des Kindes. Die motorische und kognitive Bildung des Kindes durchlaufen die Systeme der Informationsverarbeitung und Informationsaufnahme im Gehirn.

Kinder und Jugendliche sind noch im Wachstum und ihr Körper ist in der Entwicklung, deshalb sind Gleichgewichtssinn und Einfühlungsvermögen zum Reiten immer individuell zu betrachten. Dies ist besonders in der ersten Lernphase sichtbar. Man sieht schnell, daß die Koordinationsfähigkeit der Kinder auf dem Pferd wesentlich runder und schneller ist als beim erwachsenen Anfänger. Die Leistungsfähigkeit und Anforderungen an Kinder sollte von den physischen Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Kraft beim Reiten wird durch Ausdauer und Muskulatur aufgebaut. Das Bewegungsverhalten des Kindes differenziert sich aufgrund einer aktiven Auseinandersetzung mit seiner Umwelt. Jedes Kind macht seine eigenen persönlichen Erfahrungen und Lernprozesse bedingt durch das Umfeld, in dem es sich befindet. So sollte es keine einseitige Einteilung der Altersstrukturen geben. Nach WEINECK läßt sich sogar eine Streubreite[20] der Koordinationsfähigkeit vom biologisch jüngsten zum biologisch ältesten Schüler von bis zu fünf Jahren feststellen. Diese grobe Teilung ist deshalb relevant, weil die Entwicklung jedes Kindes interaktiv zur Umwelt verläuft.

Eine andere Einteilung im Zusammenhang mit dem Reitsport bietet die FN, die nach ELSNER wie folgt eingeteilt wird.[21]

Kinder im Vorschulalter

Vier –bis siebenjährige Kinder weisen häufig noch Probleme mit der Feinmotorik gerade in der Bewegung auf. Unter Berücksichtigung des Körperbaus, der noch im Wachstum ist, sollte der Unterricht und das Heranführen zum Pferd so vielseitig wie möglich sein. Kinder lernen in dem Alter wesentlich schneller über Nachahmen und Sehen als über verbale Anweisungen des Reitlehrers. Bei vielen Kindern steht die visuelle und kinästhetische Wahrnehmung im Vordergrund. Je mehr Sinneswahrnehmungen des Kindes angesprochen werden, desto freudiger und effektiver ist das Lernen. Durch Erlernen der differenzierten Beherrschung der Muskulatur, bzw. der gesamten Motorik, wird der Erfahrungsradius des Kindes erweitert.

Sieben- bis zehnjährige Grundschulkinder

- physische Voraussetzungen dieser Altersgruppe sind günstiger.
- Längen- und Breitenwachstum wird ausgeglichener, motorische Fertigkeit nimmt zu.
- Verbesserung der Beweglichkeit und Geschicklichkeit.
- Korrekturen können auditiv aufgenommen und umgesetzt werden, wodurch eine gezielte Bewegungsform und Reitausbildung ermöglicht wird.

Zehn- bis dreizehnjährige Schulkinder

- Längen und Breitenwachstum des Körpers stehen in einem ausgewogenen Verhältnis.
- Bewegungsdrang, -stärke und -tempo steigern sich.
- In dieser Entwicklungsphase können Bewegungsmuster angeeignet werden, die nach dem Eintritt in die Adoleszenz nur noch schwer oder in Grobform erlernt werden können.
- Motorik ist beherrscht und zielgerichtet
- Lernbereitschaft und Fähigkeiten sind hoch
- Jungen u. Mädchen unterscheiden sich kaum von den motorischen Leistungsfähigkeit.

[...]


[1] LUTZ; MANUELA; IMKE BEHNKEN; JÜRGEN ZINNECKER 1997n: B. FRIEBERTSHÄÜSER, A. Prengel (Hrsg.): Weinheim. S. 414-435.

[2] GUHL;CHRISTIANE. Pferde und Kinder. S.30.

[3] Agrarmarkt. 8/99. S.33

[4] SCHACHMEYER, Fritz. München 1950, Seite 89.

[5] BAUM, Marlene 1993.S.63

[6] WERNER H.: 1997, S.6

[7] SCHEMEL: 1996, S.33.

[8] WERNER H.: 1997. S.6-7.

[9] FALKEN. 1997 S. 8-9.

[10] FN- (1994).S 12

[11] ARNOLD, DIETBERT: Gespräche mit einem Pferdemann: Dr. Rudolf Lessing.1995. S.24

[12] AGRARWIRTSCHAFT. BLV Verlagsgesellschaft München Landwirtschaftsverlag Münster – Hiltrup1997. S 249

[13] FN- (1992) S. 11

[14] NAVE-HERZ, Rosemarie 1988,Seite 82.

[15] GEIßLER, Rainer 1996, Seite 319

[16] MEYNERS, E. Pädagogisch wertvoll! In: Reitsport magazin,5/1996, S.32/33

[17] FÜRSTENBERG, F.F.. Clett-Cotta Vlg., Stuttgart 1994

[18] FÖLLING­­ –ALBERS,M (1989);Seite 78.

[19] BEHNKEN , Imbke; S. 147-169 .

[20] WEINECK,J. Balingen 1994. S.117

[21] ELSENER, C. Warendorf 1992

Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Interaktion von Kindern und Jugendlichen mit Pferden im außerschulischen Lernort
Hochschule
Universität Bremen  (Sportlehre/ Behinderten-Pädadogik)
Note
1
Autor
Jahr
2000
Seiten
59
Katalognummer
V1031
ISBN (eBook)
9783638106344
Dateigröße
796 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kinder, Pferde, außerschulischen Lernort
Arbeit zitieren
Susanne Blanken (Autor:in), 2000, Interaktion von Kindern und Jugendlichen mit Pferden im außerschulischen Lernort, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1031

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