Bindungsverhalten. Modelle und Versuche


Term Paper, 1998

12 Pages, Grade: 2


Excerpt


Bindung

1. Einleitung

Bindung ist im Leben eines jeden Menschen von entscheidender Bedeutung. Die soziale Ent- wicklung eines Kindes beginnt mit dem Aufbau einer Beziehung zwischen dem Säugling und seiner Mutter oder einer anderen Bezugsperson. Dazu besitzt das Kind ein breitgefächertes Verhaltensrepertoire. Durch Weinen, Lachen, Blickkontakt oder Lautäußerung ist das Kind in der Lage, auf mütterliche Fürsorge zu reagieren oder selbst Kontakt aufzunehmen. Diese Ver- haltensweisen können dem System der Bindung dienen, haben aber in einem anderen Kontext mitunter andere Funktionen. Die Stärke der sich entwickelnden Bindung ist abhängig von den Lebensumständen des Kindes und der Dauer und Häufigkeit von Körperkontakt (nach Oe r- ter/Montada 1995, S.240).

Betrachtet man das Erkundungsverhalten eines Kindes, so ist es dem Bindungsverhalten komplementär zugeordnet. Bei sicherer Bindung nutzt das Kind seine Bezugsperson als sichere Basis für das Entdecken seiner näheren Umgebung, Häufig sichert es sich mit Blickkontakt zur Bindungsperson ab (nach Oerter/Montada 1995, S.240).

Welchen Einfluß der Kontakt zu einer Bezugsperson auf das weitere Leben haben kann, zeigt ein 1958 mit Makaken-Äffchen durchgeführtes Experiment vonHarlow & Zimmerman.

Ist Bindung nur die Befriedigung physi- scher Bedürfnisse?

Harlow & Zimmermantrennten neugeborene Makaken-Äffchen gleich nach der Geburt von ihrer Mutter. In die Käfige der jungen Affen stellten sie zwei künstliche „Mütter“, wobei eine von ihnen aus Draht und die andere aus Plüsch bestand. In der darauffol- genden Beobachtung stellte sich heraus, daß die Affenjungen die Plüschmutter bevorzug- ten, sich an sie schmiegten und als Basis für Erkundungen nutzten. Selbst als die Draht- mutter Milch gab und die Plüschmutter nicht, verbrachten sie die meiste Zeit bei der Plüschmutter. Sie zogen also behaglichen Kontakt der Befriedigung körperlicher Be- dürfnisse vor. Wurde die Plüschmutter aus dem Käfig entfernt, reagierten die Affen mit Schreien und Weinen.

Aber nicht nur die direkte Reaktion war Ziel- scheibe der Beobachtungen, sondern auch die weitere Entwicklung der Makaken-Äffchen. Entgegen der Annahme des Versuchsleiters, daß die Entwicklung normal verlaufe, wurden die Affen später fruchtbar als normal aufge- wachsene Artgenossen. Sie reagierten entwe- der abweisend auf ihren Nachwuchs oder wurden gegen ihre Jungen gewalttätig. Erst bei nachfolgenden Schwangerschaften ver- besserte sich das Verhalten der Affenmütter. Ein weiteres interessantes Ergebnis war, daß die mißhandelnden Affenjungen trotz ständ i- ger Bestrafung mütterliche Nähe suchten.

Harlow & Zimmermanmachten folglich mit ihrem Experiment deutlich, daß Bindung nicht allein der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse dient, sondern eine weit größere Bedeutung besitzt (nach Zimbardo 1995, S.83).

In dieser Hausarbeit werden mit dem Strange Situation Test und dem Adult Attachment Interview zwei Methoden vorgestellt, menschliche Bindungen zu untersuchen. Beginnen möchte ich meine Ausführungen mit einer Klärung der relevanten Begriffe. Es folgt die Darstellung des Strange Situation Tests und der aus ihm entstandenen Einteilung von drei bzw. vier internalen Arbeitsmodellen von Bindung. Sie liegen dem Adult Attachment Interview zugrunde, das nachfolgend dargestellt wird. Zuletzt gehe ich auf den Zusammenhang zwischen Attachment und Metakognition ein. Den Abschluß dieser Hausarbeit bildet ein Resümee, das eine Anregung für zukünftige Studien beinhaltet.

Die Begriffe Attachment und Bindung werden im folgenden synonym verwendet. In den Aus- führungen wird me hrmals von der Beziehung zwischen Mutter und Kind die Rede sein. Dazu muß konstatiert werden, daß die Bindungsperson nicht die Mutter sein muß. Jede Person mit regelmäßigen Kontakt zum Kind kann dessen relevante Bindungsperson werden. Die Be- schreibung der Mutter als wichtigste Bindungsperson ist zurückzuführen auf ihre überdurch- schnittlich hohe Repräsentanz in kontextrelevanten Studien. Diese wiederum kann begründet werden durch leichtere Erreichbarkeit und größerer Bereitschaft, an Untersuchungen teilzu- nehmen.

2. Begriffsklärung

2.1 Internale Arbeitsmodelle

Internale Arbeitsmodelle sind innere Repräsentationen der Welt, sich selbst und der Bin- dungsperson. Das Modell enthält Repräsentationen von direkten Ereignissen mit der Bezugs- person und Selbstkonzepten, die aus diesen Ereignissen resultieren (nach Main 1991, S.131). Ihre Funktion ist, „to help forecast and interpret the partner’s behavior, as well as to plan one’s own behavior in response to the partner“ (Bretherton 1992, S. 134). Internale Arbeitsmodelle er- möglichen es dem Menschen, zu handeln ohne jede Situation neu zu überdenken.

Ein Kind kann mit beiden Elternteilen unterschiedliche Arbeitsmodelle haben. Während es mit dem einen Elternteil sicher gebunden ist, kann es mit dem anderen unsicher gebunden sein. Wichtig zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, daß ein internales Arbeitsmodell sich auch auf eine abwesende Person bezieht und sich durch ihre Ab- bzw. Anwesenheit än- dern kann.

Die Umsetzung von Arbeitsmodellen erfolgt je nach Alter unterschiedlich. Während ein ein- jähriges Kind sein Modell direkt in Verhalten umsetzt, verschlüsselt es dies im Alter von sechs Jahren in einen Dialog, den es mit der Bindungsperson führt. Erwachsene führen dieses Verhalten fort. Ihr Modell zeigt sich in der Art, wie sie über bindungsrelevante Themen spre- chen sowie an der Zugänglichkeit, die sie zu ihren Erinnerungen haben. Insgesamt ist hier eine Analogie des kindlichen Verhaltens auf sprachlicher Ebene zu beobachten (nach Fre mmer- Bombik 1997, S.113).

Ainsworth ermittelte in ihrem 1969 erstmals durchgeführten Strange Situation Test drei Arten von internalen Arbeitsmodellen: sicher, unsicher-vermeidend und unsicher-ambivalent. Darüber hinaus existiert eine vierte, nicht den drei anderen Modellen zuzuordnende Gruppe, das unsicher-desorganisierte Modell. Es wurde entdeckt von Main und Hesse (1990). Auf die genaue Beschreibung der Gruppen soll unter Punkt drei eingegangen werden.

2.1.1 Multiple Modelle

Multiple Modelle sind jene Arbeitsmodelle, die Gegensätze in sich vereinen. Das Konzept bezieht sich insgesamt nicht auf eine Vielzahl von Modellen zu verschiedenen Aspekten, sondern auf sich widersprechende Modelle zu einem einzigen Aspekt. Es äußert sich in gege n- sätzlichen Gefühlen, Gedanken oder Intentionen (nach Main 1991, S. 132).

Ein multiples Modell entwickelt sich beispielsweise durch inkonsistentes elterliches Verhalten über einen längeren Zeitraum. Ist die Mutter aus für das Kind nicht erkennbaren Gründen oft verärgert, wenige Minuten später aber freundlich und fürsorglich, kann das Kind sie nicht einschätzen und somit nicht adäquat auf sie reagieren. Das Resultat ist ein sich widerspre- chendes Modell von seiner Bezugsperson, das mehrere kognitive und emotionale Gegensätze in sich ve reint.

2.2 Metakognition

Als Metakognition wird die Reflexion über das eigene Denken bezeichnet. Main beschreibt Metakognition metaphorisch als „cognition as a target of thought“ (Main 1991, S.133). Sie unter- scheidet zwischen den zwei Aspektenknowledge about cognitionundregulation of cognition. Ersteres kann übersetzt werden als das Wissen über die eigenen Gedanken bzw. die Erkennt- nis, daß es unterschiedliche Repräsentationen der Realität gibt. Die Welt existiert unabhängig von den Gedanken des Einzelnen. Des weiteren besteht ein Unterschied zwischen dem Auftreten und der Realität, die sogenannteappearance-reality distinction(Main 1991, S.133), d.h. es kann einen Unterschied zwischen dem Gemeinten und dem Gesagten geben wie es z.B. bei ironischen Bemerkungen der Fall ist.

Mitregulation of cognitionwird die Fähigkeit bezeichnet, die eigenen Gedanken zu kontrol- lieren. Ein zentraler Begriff ist in diesem Zusammenhangmetacognitive monitoring.Meta-cognitive monitoringbezieht sich auf das Finden von Widersprüchen in den eigenen Gedan- kengängen sowie das Suchen nach Irrtümern und logischen Fehlern. Dies geschieht im Ideal- fall nach folgendem Schema: Überwachen der eigenen Gedanken fi Finden von Wi- dersprüchen fi kognitive Neuorganisation. Hierbei gilt Selbstkritik als zentrale Kompo- nente der Intelligenz.

Der Mensch besitzt nicht von Geburt an die Fähigkeit zu einer metakognitiven Repräsentation der eigenen Gedanken Sie entwickelt sich erst zwischen dem vierten und dem sechsten Lebensjahr. Bei der Entwicklung dieser Fähigkeit kann erneut zwischen zwei Aspekten unterschieden werden, derrepräsentativen Divergenzund demrepräsentativem Wandel.

1.Repräsentative Divergenz: Das Kind wird sich der Tatsache bewußt, daß es die Gedanken der anderen Menschen nicht lesen kann. Umgekehrt kann auch niemand seine Gedanken lesen, getreu dem Ausspruch Ciceros „Liberae sunt nostrae cogitationes.“ (Gedanken sind frei. Zitiert nach Puntsch 1997, S.244). Desgleichen erkennt das Kind, daß es mehr bzw. weni- ger weiß als andere und daß seine subjektiven Repräsentationen nicht der objektiven Rea- lität entsprechen müssen.

2.Repräsentativer Wandel: Das Kind erwirbt im Laufe seiner Entwicklung ein Wissen dar- über, daß Gedanken und Meinungen sich ändern können und dies auch müssen. Was das Kind gestern noch dachte, kann heute nicht mehr richt ig bzw. aktuell sein. Außerdem ist es möglich, nach Betrachten mehrerer Sichtweisen zu anderen Schlüssen zu kommen. Re- präsentativer Wandel bezeichnet somit die Fähigkeit, seine Vorstellungen zu überdenken und ggf. zu ergänzen oder neu zu organisieren (nach Main 1991, S.134f.).

2.3 Duales Kodieren

Unter dualem Kodieren wird die Fähigkeit verstanden, ein Objekt mehreren Kategorien zuzuordnen. Sein Gegenteil ist die Annahme des gegenseitigen Ausschlusses. Kinder unter einem Alter von vier Jahren nehmen an, daß eine Tatsache die andere ausschließt: eine Person kann nicht gleichzeitig Vater und Sohn sein, sie kann nicht zum selben Zeitpunkt positive und negative Gefühle gegenüber einer Sache oder einer anderen Person haben. Sie sind nicht fähig, ein Objekt (Vater) mehreren Kategorien (Vater, Sohn, Onkel usw.) zuzuordnen (nach Main 1991, S.135).

3.Strange Situation Test

3.1 Versuchsanordnung

Der Strange Situation Test nach Ainsworth und Wittig (1969) ist ein strukturiertes Laborexperiment. Sein Ziel ist es, bei Kindern Erkundungs- und Bindungsverhalten auszulösen. Der Aufbau basiert auf acht dreiminütigen Episoden, die wie folgt aussehen:

1. Mutter und Kind werden in einen durch eine Einwegscheibe beobachtbaren Raum geführt. Dort befinden sich Spielzeug und zwei Stühle. Die Mutter setzt das Kind auf den Boden.

2. Während die Mutter eine Zeitschrift liest, kann das Kind die Umgebung erkunden. Beide befinden sich alleine im Raum.

3. Eine Fremde tritt ein, setzt sich zur Mutter und unterhält sich mit ihr. Desgleichen be- schäftigt sie sich mit dem Kind.

4. Die Mutter verläßt den Raum und läßt die Fremde mit ihrem Kind allein. Die Fremde fährt fort, sich mit dem Kind zu beschäftigen und tröstet es, wenn die Notwendigkeit be- steht.

5. Die Mutter kehrt zurück, die Fremde geht. Mutter und Kind sind allein. Die Mutter ve r- sucht, das Kind zum Spielen anzuregen.

6. Die Mutter verabschiedet sich offiziell von ihrem Kind und verläßt den Raum.

7. Die Fremde betritt den Raum. Wenn es notwendig wird, versucht sie das Kind zu trösten.

8. Die Mutter kehrt zurück, die Fremde verläßt den Raum.

Während ihrer Abwesenheit im Versuchsraum kann die Mutter das Geschehen durch die Einwegscheibe beobachten. Sie kann über die Dauer der Zeit, die sie sich nicht im Raum befindet, ggf. verkürzen.

Die Auswertung der Fremden Situation erfolgt - besonders in den Szenen fünf und acht - durch vier siebenstufige Likert-Skalen. Beobachtet werden die Aspekte Nähe-Suchen, Kon- takthalten, Widerstand gegen Körperkontakt und Vermeidungsverhalten. Aus diesen Werten sowie dem Gesamteindruck des Kindes während der Testsituation wird die Qualität der Bin- dung den drei angesprochenen Klassen sicher, unsicher-vermeidend und unsicher-ambivalent zugeordnet (nach Orter/Montada 1995, S.241f.; Bretherton 1992, S.137).

3.2 Innere Arbeitsmodelle von Bindung

Die kindlichen Reaktionen ordnet Ainsworth drei Kategorien zu, welche sich in groben Zügen durch eine sichere und eine unsichere Bindung unterscheiden. Innerhalb der unsicheren Bindungsbeziehung differenziert Ainsworth zwischen unsicher- vermeidenden und unsicherambivalenten Kindern. Main und Hesse identifizierten 1990 eine vierte Gruppe, die den drei Ainsworth-Kategorien nicht eindeutig zuzuordnen war. Sie nannten diese Gruppe unsicherdesorganisiert (nach Bretherton 1992, S.137).

3.2.1 Das sichere Modell

Mit einem sicheren Arbeitsmodell bringt das Kind Vertrauen in die Zuverlässigkeit und die Verfügbarkeit der Bindungsperson. Das einjährige Kind spielt bei Anwesenheit der Mutter ungezwungen mit dem ihm angebotenen Spielzeug. Es benutzt die Bindungsperson als sichere Basis, von der aus es die fremde Umgebung erkundet. Verläßt die Mutter den Raum, vermißt

das Kind sie, empfindet sie jedoch noch als verfügbar. Es sorgt sich erst ernsthaft, wenn die Mutter über eine längere Zeit den Raum nicht wieder betritt. Die Rückkehr der Mutter be- trachtet das Kind als ein Zeichen ihrer Zuverlässigkeit. Es sucht körperlichen Kontakt zu ihr, setzt aber sein Erkundungsverhalten bald fort. Bretherton beschreibt das Verhalten des Kindes bei Rückkehr der Mutter wie folgt: „They ¶the childrenß approached her readily, sought in- teraction or close contact, were relatively quickly soothed, and then returned to play.“ (Brether- ton 1992, S.137).

Ein sechsjähriges Kind setzt sein Arbeitsmodell nicht mehr direkt in Verhalten um, sondern beginnt einen flüssigen Dialog mit der Mutter, wenn diese zurückkehrt. Der Aktionsradius des Kindes ist nicht eingeschränkt, die Stimmung ist entspannt (nach Fremmer-Bombik 1997, S. 114).

3.2.2 Das unsicher-vermeidende Modell

Das unsicher-vermeidendes Modell entsteht durch eine dauerhafte Zurückweisung durch die Bindungsperson und ihre Unsensibiliät, auf kindliche Signale zu reagieren. Dem Kind fehlt es insgesamt an Nähe und Zuwendung. Es hat kein Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Mutter, sondern - im Gegenteil - in ihre Unzuverlässigkeit (nach Main 1991, S.140). Das einjährige Kind ist während des Strange Situation Tests nicht beunruhigt durch die Ab- wesenheit der Mutter und zeigt kein Anzeichen des Vermissens. „Avoidant children tended not to communicate with their parents nor to seek bodily contact when distressed after separa- tion“ (Bretherton 1992, S.138). Kehrt die Mutter in den Versuchsraum zurück, ignoriert es ihre Wiederkehr, um eine schmerzliche Zurückweisung von vornherein auszuschließen. Das unsicher-vermeidende Modell eines sechsjährigen Kindes charakterisiert sich durch of- fensichtliche Distanz. Das Kind reagiert auf die Rückkehr der Mutter mit angespannter Vo r- sicht, ist höflich, aber in seinen Antworten und Erzählungen kurz angebunden. „Je weniger das Kind offenbart, um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit für eine abwertende Reaktion der Bindungsfigur“ (Fremmer-Bombik 1997, S.116).

3.2.3 Das unsicher-ambivalente Modell

Das unsicher-ambivalente Modell entsteht durch unorganisiertes Verhalten der Bindungsfigur. Diese agiert unberechenbar und unvorhersehbar für das Kind, dessen Bindungssystem wäh- rend des Strange Situation Tests allein schon durch die fremde Umgebung aktiviert wird. Das einjährige unsicher-ambivalente Kind ist stark auf seine Bindungsperson fixiert. Durch die chronische Aktivierung ihres Bindungssystems sind sie in ihrem Erkundungsdrang stark eingeschränkt. Kehrt die Mutter nach ihrer Abwesenheit in den Raum zurück, reagiert das Kind widersprüchlich: Es zeigt Ärger und Kontaktsuche in schneller Aufeinanderfolge. Das sechsjährige Kind ist unreif und anhänglich. Die Trennung von der Bindungsfigur stellt eine Bedrohung dar, da das Kind kein Vertrauen in ihre Zuverlässigkeit aufbauen konnte (nach Fremmer-Bombik 1997, S.115).

3.2.4 Das unsicher-desorganisierte Modell

Über dieses Modell gibt es noch wenig konkrete Aussagen. Main nimmt an, daß seine Entstehung auf unverarbeitete Traumata der Eltern zurückzuführen ist, z.B. sexueller Mißbrauch. Daraus resultiert ein ängstlicher Umgang mit den Kindern, welche sich genötigt fühlen, fürsorglich auf ihre Eltern zu reagieren.

Während der Fremden Situation friert das einjährige Kind in seinen Bewegungen ein und zeigt sich aus nicht ersichtlichen Gründen unentschlossen. Das sechsjährige Kind fühlt sich entweder für das Wohlergehen seiner Bindungsfigur verantwortlich oder will die Kontrolle über die Situation erlangen. In diesem Fall reagiert es mit Bestrafung und Schimpfen auf die Rückkehr der Bindungsperson in den Versuchsraum nach Fremmer-Bombik 1997, S.116f.; Main 1991, S.140).

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, daß unsicher- vermeidend gebundene Kinder augenscheinlich am unberührtesten von der Abwesenheit ihrer Bindungsperson sind. Dies konnte jedoch durch Verwendung physiologischer Meßverfahren widerlegt werden(Spangler & Grossmann, 1993).Hierbei scheinen unsicher-vemeidende Kinder die Trennungssituation sehr belastend zu empfinden. Sie zeigen einen Anstieg des EKG nach dem Weggang der Mut- ter. Zudem weisen sie höhere Cortisolwerte im Speichel auf, was auf Streß schließen läßt. Sicher gebundene Kinder hingegen können die Belastung mit belastungsreduzierendem Ver- halten abbauen. Sie sind physiologisch weniger gestreßt (nach Oerter/Montada 1995, S.243).

3.3 Verhalten der Bindungsperson

Um das Verhalten der Bindungsperson bei den jeweiligen internalen Arbeitsmodellen zu ve r- anschaulichen, sei an dieser Stelle kurz die 1988 durchgeführte Studie vonCrowell & Feldmanangeführt. Hierbei ging es darum, das Verhalten von unterschiedlich gebundenen Müttern zu untersuchen, während ihre Kinder eine Aufgabe mit Werkzeuggebrauch bewältigten. Die Studie führte zu folgenden Ergebnissen:

1. Sicher gebundene Mütter unterstützten ihr Kind in seiner Aufgabe. Sie gaben klare, leicht verständliche Tips, waren insgesamt aber nicht überfürsorglich.

2. Bindung abwehrende Mütter zeigten eindeutige Intentionen, die Aufgabe schnell zu been- den. Sie wirkten kalt im Umgang mit ihrem Kind und waren zurückhaltend in ihren In- struktionen.

3. Präokkupierte Mütter waren zwar bemüht, Hilfestellung zur Bewältigung der Aufgabe zu geben, ihre Instruktionen waren jedoch unsicher, unorganisiert und dissynchron. Ihre Hilfsbereitschaft schwenkte oft abrupt in Ungeduld und Ärger um (nach Main 1991, S.141).

Wie aber wurde das Bindungsmodell der erwachsenen Mütter ermittelt? Der Strange Situation Test konnte dabei nicht zur Anwendung gekommen sein, da er nur für Kinder konzipiert ist. Crowell & Feldmannutzten zur Festlegung der Bindungsmodelle einen anderen Weg: das 1985 vonGeorge et al.entwickelte Ad ult Attachment Interview. Dieses sei nun erläutert.

4. Das Adult Attachment Interview

4.1 Aufbau des Interviews

Das Adult Attachment Interview ist ein strukturiertes Interview mit 15 Fragen. Es betrachtet das frühe Bindungsverhalten, die Attachment-Beziehungen und -erlebnisse des Interviewten sowie die Bewertung der kindlichen Erfahrungen in bezug auf ihre heutige Bedeutung. Vor dem Beginn des eigentlichen Interviews werden die Befragten aufgefordert, die Bezie- hung zu jedem Elternteil mit fünf Adjektiven zu beschreiben. Des weiteren sollen sie episodi- sche Erinnerungen nennen, die sie mit den jeweiligen Adjektiven in Verbindung setzen. Dar- über hinaus werden sie nach ihrem Verhalten bei Ärger gefragt, welchem Elternteil sie näher standen, warum das Verhältnis zu den Eltern sich so und nicht anders verhielt und ob das Verhältnis zu den Eltern sich im Laufe der Zeit verändert hat.George et al.nennen diese Technik „surprise the unconscious“ (Main 1991, S.141).

Besondere Aufmerksamkeit liegt beim Adult Attachment Interview auf der Kohärenz, d.h. der Schlüssigkeit in den Schilderungen der Versuchspersonen. Ist ein Interview kohärent, dann ist es möglich, von ihm ein singuläres Bindungsmodell zu erstellen. Der Befragte besitzt ein klares Konzept von der Welt, den Bezugspersonen und sich selbst. Zur Beurteilung der Kohärenz gibt es vier Standards (nach Main 1991, S. 142f.):

1. Qualität: Der Befragte ist glaubwürdig und kann das Geschilderte belegen.

2. Quantität: Der Befragte gibt kurze, prägnante Ausführungen, die in sic h schlüssig sind.

3. Relevanz: Der Befragte antwortet bedeutungsvoll und sachdienlich.

4. Art und Weise: Die Ausführungen sind geordnet, übersichtlich und nachvollziehbar.

4.2 Ergebnisse

Die Ergebnisse des Adult Attachment Interviews bestätigen die Einteilung der drei Bindungsmodelle durch Ainsworth. Auch beim Adult Attachment Interview ergibt sich eine Einteilung der befragten Personen in drei Kategorie (nach Main 1991, S.143f.).

4.2.1 Das sichere Modell

Ein Teil der Befragten zeigt eine große Kohärenz in der Schilderung ihrer Bindungsgeschichte. Diese werden dem sicheren Modell zugeordnet. Die Versuchspersonen haben deutlich nachvollziehbare Gedankengänge, sind kooperativ, glaubhaft und konzentrieren sich voll auf die ihnen gestellte Fragen. Ihre Bindungserfahrungen sind relativ realitätsgetreu gespeichert und widerspruchsfrei miteinander verbunden. Positive und negative Aspekte sind gut integriert. Erinnerungen aus ihrer Kindheit sind den Befragten gut zugänglich. Neu hinzukommende Erfahrungen werden adäquat verarbeitet.

4.2.2 Das Bindung abwehrende Modell

Versuchspersonen mit hoher Inkohärenz in ihren Schilderungen gehören dem Bindung abwehrenden Attachmentmodell an. Die Befragten verletzen die vier genannten Standards: Ihre Ausführungen sind widersprüchlich und weisen Lücken auf. In einigen Fällen sind sie unve r- hältnismäßig lang und beinhalten unwichtige, für die Bindungsgeschichte nicht relevante Aspekte. Die Befragten können kognitive und affektive Anteile schlecht integrieren, neue Erfahrungen werden nur unzureichend verarbeitet. Darüber hinaus haben die Interviewten einen schlechten Zugang zu ihren Kindheitserinnerungen.

Eine genaue Analyse der Antworten ergab, daß die Versuchspersonen unterschiedliche Stra- tegien entwickelt haben, sich vor negativen Kindheitserlebnissen zu schützen. Einige Befragte idealisierten ihre Eltern, andere wiederum würdigten die Bedeutung von Bindung für ihr Le- ben herab.

4.2.3 Das präokkupierte Modell

Versuchspersonen mit einem präokkupierten Bindungsmodell weisen ebenfalls hohe Inkohärenzen in ihren Schilderungen auf. Sie unterbrechen ohne Grund ihren Erzählfluß und ve r- wenden auffallend oft Floskeln sowie unvollständige Sätze. Der Gebrauch einerinquitFormel(einleitende Worte bei der Beschreibung eines Gesprächs mit den Eltern) fehlt. Zudem wechseln die Befragten schnell die Sichtweise. Sie sind nur bedingt fähig, ihre Erfahrungen zu verarbeiten und zu beurteilen.

George et al. führten ergänzend zu dem Adult Attachment Interview den Strange Situation Test mit den Kindern der befragten Personen durch. Diese Untersuchung ergab, daß Kohärenz in der elterlichen Präsentation hoch mit kindlicher Sicherheit korrelierte. Insgesamt war die Zuordnung wie folgt (nach Main 1991, S.141):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5.Attachment und Metakognition

Main sieht einen engen Zusammenhang zwischen dem Entstehen von negativen Bindungs- modellen und Metakognition. Besonders jüngere Kinder sind verwundbarer in bezug auf mul- tiple Modelle, da sie in größerer Abhängigkeit zu ihren Mitmenschen stehen. Des weiteren besitzen sie ein weniger ausgeprägtes Verständnis für Raum und Zeit sowie einen größeren Egozentrismus und ein höheres Engagement in magischem Denken (nach Main 1991, S.137). Einen weiteren Grund sieht Main in der Tatsache, daß ein Kind im Alter von bis zu sechs Jah- ren Behauptungen nicht meta-repräsentieren kann. Zur Verdeutlichung sei in diesem Zusam- menhang ein Beispiel aufgeführt:

Wird das Kind von seiner Bindungsperson mit den Worten getadelt „Du bist ein bö- ses Kind“, so übernimmt es diese Behaup- tung in sein Selbstkonzept und sagt sich: „Ich bin ein böses Kind“. Das Kind

kann den Satz nicht in eine Meta-Aussage trans- ferieren, die lautet: „Sie denkt, daß ich ein bö- ses Kind bin.“ Dieser Satz impliziert die Mög- lichkeit, daß die Bindungsperson sich irrt (nach Main 1991, S.136).

Desgleichen ist das Kind nicht zum repräsentativen Wandel fähig. Hat es einmal eine Behauptung in sein internales Arbeitsmodell übernommen, so kann es diese nicht modifizieren. Widersprüchliche Aussagen können nicht in das Modell integriert werden, sie existieren im kindlichen Modell nebeneinander.

Darüber hinaus haben Kinder - maximal bis zum sechsten Lebensjahr - Schwierigkeiten mit dem dualen Kodieren. Sie sind sich nicht der Tatsache bewußt, daß der Gegenüber mitunter etwas anderes sagt, als er meint. Kinder ziehen nicht in Erwägung, daß der Bindungspartner lügen könnte. Verhält sich eine Bindungsperson unvorhersehbar und gegensätzlich, so ist das Kind nicht in der Lage, ein konstantes singuläres Arbeitsmodell zu entwickeln. Die Entwick- lung eines solchen Modells hängt zudem mit der mangelnden kindlichen Fähigkeit zusam- men, die Quelle von Erinnerungen zu lokalisieren. Nimmt das Kind eine Tatsache wahr und wird eine andere behauptet, so kann es keine Prioritäten in bezug auf ihren Wahrheitsgehalt setzen. Die beiden gegensätzlichen Behauptungen bestehen zur gleichen Zeit und können nicht in das existierende Modell integriert werden. Die nachfolgend angeführte Studie vonCain & Fast(1972) stützt diese These (nach Main 1991, S.137f.).

Die Folgen elterlicher Verleugnung traumatischer Ereignisse Cain & Fastgingen mit ihrer Untersuchung der Frage nach, ob und warum elterliche Ver- leugnung von traumatischen Ereignissen in Zusammenhang mit negativen Bindungsmo- dellen steht. Ihre Versuchspersonen waren 45 Kinder im Alter von vier bis 14 Jahren. Die Gemeinsamkeit aller Kinder war, daß eines ihrer Elternteile Selbstmord begangen hatte und sie aus diesem Grund psychische Prob- leme hatten. Ein Viertel der Kinder hatte As- pekte des Selbstmords beobachtet. Ihnen war jedoch durch eine andere Bindungsperson eine natürliche Todesursache genannt wo r- den. Dadurch waren sie mit zwei gegen- sätzlichen Erinnerungen konfrontiert: dem Beobachteten und dem Behaupteten.

Bei den jüngeren Kindern zeigte sich deut- lich, daß sie nicht zwischen den Quellen ihrer Erinnerungen unterscheiden konnten. Wider- sprüchliche Aussagen standen gleichwertig nebeneinander, ohne bewertet oder kategori- siert werden zu können.Gopnik & Grafer- mittelten 1988, daß das Gedächtnis für die Quelle von Annahmen erst zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr erworben wird. Dementsprechend konnten die älteren Kinder den Wahrheitsgehalt der gegensätzli- chen Aussagen bestimmen, indem sie der eigenen Beobachtung einen größeren Glauben schenkten.

Aber nicht nur die Verleugnung traumatischer Ereignisse durch Bindungspersonen kann zur Ausbildung unvorteilhafter Bindungsmodelle führen, sondern auch die eigene Vermeidung mentalen Leidens. Dies belegt dieTokyo studyvonYamamoto et al. (1969). Hierbei wurden 20 Witwen interviewt. Zwölf von ihnen konnten nur schwer begreifen, daß ihr Mann tot war. Eine Frau ging regelmäßig zur Straßenbahnhaltestelle, um ihren Ehemann von der Arbeit ab- zuholen, eine andere ging jedesmal zur Tür, wenn sie ein Motorrad hörte, in der Absicht, ih- rem Gatten die Tür zu öffnen und ihn willkommen zu heißen. Die Witwen waren kognitiv in der Lage, den Tod ihres Partners zu verstehen, sie akzeptierten die Tatsache des Todes jedoch nicht. Diese Diskrepanz zwischen Realität und Wunschvorstellung führte zu einem unsicheren Bindungsmodell.

Die Versuchsanordnung der angeführten Untersuchungen ist keineswegs obligatorisch. Bisher war der Aufbau der beschrieben Untersuchungen und Thesen derartig, daß sie von der mangelnden Fähigkeit zur Metarepräsentation auf das Bindungsmodell schlossen. Es gibt jedoch auch das umgekehrte Konzept: Das Bindungsmodell des Kindes ist bekannt, und Studien untersuchen die metakognitive Fähigkeit der Versuchsperson.

Eine Beobachtungsuntersuchung Mains (1973/1983) ergab, daß sicher gebundene Kinder ihre Umwelt aktiver und engagierter entdecken. Wie auch in der Fremden Situation nutzen sicher gebundene Kinder ihre Bindungsperson als sichere Basis. Des weiteren müssen sie weniger Aufmerksamkeit auf ihre Attachmentfigur richten, da sie nicht erwarten, daß sie unverhofft oder abweisend reagiert. Sichere Kinder verwenden weniger Kapazität ihres Gehirns auf ihre Bindungsperson, deren Erreichbarkeit und Reaktion. Dadurch ergibt sich kognitiv größerer Platz, die neue Situation zu beurteilen und zu überdenken. Die Denkprozesse sind nicht aufge- teilt auf die Bezugsperson und die jeweilige Situation, weil die Bezugsperson nicht als nach- denkenswert empfunden wird. „Indeed, since defensive and/or self-deceiving processes are compartmentalizing processes which act to separate feeling, attention, perseption, and memo- ry, they will inherently place limits on metacognitive monitoring“ ( Main 1991, S.145f.).

Kaplan fand 1987 durch dasSeparation-Anxiety-Interviewheraus,in dem er sechsjährigen Kindern Bilder von einer Eltern-Kind- Trennung zeigte und sie nach den Gefühlen der darge- stellten Personen fragte, daß sichere Kinder im Gegensatz zu unsicheren konstruktive Lö- sungsvorschläge äußern. Sie sind sich bewußt, daß Gefühle sich situationsbedingt ändern können. Darüber hinaus sind sichere Kinder in der Lage, zwischen den gezeigten und mögli- cherweise versteckten Gefühlen zu unterscheiden: „Well, well, um, if he says he doesn’t care that might means ¶sicß he does care“ (Main 1991, S.147). Unsicher gebundene Kinder hingegen wirken resigniert und nehmen die Situation als bedrohend für das Kind wahr (nach Main 1991, S.146f.).

Werden sicher gebundenen Kindern Fragen zu der Natur des Denkens gestellt, geben sie nachvollziehbare Antworten, sind engagiert und nachdenklich. Sie wissen, daß andere ihre Gedanken nicht lesen können und haben eine adäquate Vorstellung von ihrer Gestalt: „Do you know what thoughts look like?I don’t know.Like movies?Maybe.“ (Main 1991, S.149). Sichere Kinder ertappen sich öfter als ungebundene Kinder beim Denken. Letztere sind sich der Pri- vatsphäre des Denkens nicht bewußt und beschränkt in ihren Antworten: „Do other people know what youre thinking when they cant see you?Mmhm. Yes. They know what I’m thin- king.Who?Somebody.¶...ßHow do they know?Easy. I think of them and then they think of me.“ (Main 1991, S.149) Main (1983) war es auch, die feststellte, daß sicher gebundene Kinder mehr Selbstgespräche führen als unsichere. Selbstgespräche meint in diesem Zusammenhang Selbstinstruktionen, -aufmunterung und -lob. Dies können Sätze sein wiePut it here.(beim Spiel mit Bauklö t- zen),Where? Down here.(beim Suchen eines Gegenstands) oderNo go, try again. (Main 1991, S.146).

6. Resümee

Die angeführten Thesen und Studien bekräftigen die Wichtigkeit von Bindung im Leben des Menschen. Sicher gebundene Kinder besitzen größere metakognitive Fähigkeiten und reagie- ren streßfreier auf belastende Situationen wie dem Strange Situation Test. Sie nutzen ihre At- tachmentfigur als sichere Basis für die Erkundung der Umwelt. Aber auch Erwachsene haben Vorteile durch eine sichere Bindung. Sie haben einen besseren Zugang zu ihren Kindheitser- innerungen und wissen, mit widersprüchlichen Erfahrungen und Aussagen umzugehen und sie in ihr bestehendes Modell zu integrieren. Sowohl kognitive als auch affektive Fähigkeiten sind ausgeprägter, der Zugang zu Gefühlen ist le ichter, der Umgang mit ihnen ist für sicher gebundene Erwachsene einfacher.

Insgesamt bieten der Strange Situation Test und das Adult Attachment Interview eine solide Möglichkeit zur Ermittlung von Bindungsmodellen. Insbesondere die Fremde Situation erfo r- dert aber eine mehrmalige Anwendung, d.h. den Aufbau einer Längsschnittstudie, da Kinder in den Entwicklungsphasen kurzzeittig andere Arbeitsmodelle haben können (z.B. in der „Trotzphase“). Auch liegt es an der Tagesverfassung eines jeden Kindes, wie es auf die Fremde Situation reagiert. Ist das Kind krank oder müde, wirkt es unter Umständen anhängli- cher und handelt nicht in der üblichen Weise. Des weiteren wäre ein Längsschnittaufbau inte- ressant in bezug auf die Entwicklung eines Kindes und dessen Bindungssituation. Main zeigt in ihren Ausführungen deutlich, welchen Einfluß die Verdrängung traumatischer Ereignisse im Leben von Kindern haben kann. Durch mangelnde kognitive Fähigkeiten sind Kinder nicht in der Lage, mit widersprüchlichen Informationen umzugehen. Dies erfordert Ehrlichkeit der Eltern und anderer Bezugspersonen, aber auch Sensibilität im Umgang mit der Wahrheit.

Darüber hinaus zeichnet sich ein Kreislauf ab. Durch die Kombination von Strange Situation Test und Adult Attachment Interview deutet sich eine Weitergabe von Bindungsmodellen über Generationen an. Diese muß jedoch nicht obligatorisch sein. Eine weitere Forschung ist in diesem Zusammenhang vonnöten, auch in bezug auf einen Ausbruch aus diesem Kreis. Inwieweit einige Ergebnisse aus Untersuchungen mit Kindern auf Erwachsene übertragbar sind, ist eine weitere Frage. Sichere Kinder besitzen einen größeren Arbeitsspeicher und spie- len konzentrierter, da ihre Aufmerksamkeit nicht gleichzeitig auf die Attachmentfigur und die Situation gerichtet ist. Gilt dies auch für Erwachsene? Arbeiten sicher gebundene Erwachsene konzentrierter als präokkupierte?

Ebenso stellt sich die Frage, inwieweit ein unsicheres Bindungsmodell Auswirkungen auf die kognitive Leistung und die Intelligenzwerte von Kindern ha t. Ergibt sich eine hohe Korrelation, so muß Hilfe für die Betroffenen geschaffen werden. Inwieweit unsichere Modelle in sichere umgewandelt werden können - etwa durch therapeutische Hilfe - sollte in diesem Zusammenhang erforscht werden.

Unabhängig davon ergibt sich die Frage, welchen Einfluß die ersten Bindungsfiguren im Leben eines Menschen auf seine gesamtes soziales Verhalten haben, insbesondere auf die Partnerschaft. Besteht ein Zusammenhang zwischen unsicheren Attachmentmodellen und Ehescheidungen? Außerdem drängt sich mir die Frage auf, wie der Tod einer Bindungsfigur adäquat verarbeitet werden kann und ob das Arbeitsmodell danach fortbesteht.

Literaturverzeichnis

Bretherton, I. (1992): Attachment and bonding. In: van Hasselt, V.B. / Hersen, M. (Hrsg.): Handbook auf Social Development. A Lifespan Perspective. (New York, Plenum Press)

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Zimbardo, P.G.: Psychologie (Berlin, Heidelberg, New York, Springer Verlag)

Excerpt out of 12 pages

Details

Title
Bindungsverhalten. Modelle und Versuche
College
University of Dusseldorf "Heinrich Heine"
Grade
2
Author
Year
1998
Pages
12
Catalog Number
V103055
ISBN (eBook)
9783640014354
ISBN (Book)
9783656827566
File size
391 KB
Language
German
Keywords
Bindung
Quote paper
Vanessa Giese (Author), 1998, Bindungsverhalten. Modelle und Versuche, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103055

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Title: Bindungsverhalten. Modelle und Versuche



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