Leseprobe
WWU Münster SS 2001
Proseminar: Deutschlandpolitik Dozent: W. Beckord
Datum: 31.5.2001 Referentinnen: Martin Brungert, Cornelia Oed,
Institut für Politikwissenschaften
Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Koalition
1. Ursprünge der neuen Ostpolitik
1.1 Entwicklung in der SPD
- strikte Ablehnung des Kommunismus und der DDR nach dem zweiten
Weltkrieg unter dem Vorsitzenden Kurt Schuhmacher
- 1963: entscheidender Wendepunkt: Festveranstaltung zum zehnjährigen Be stehen des politischen Clubs der Evangelischen Akademie zu Tutzing > Formulierung einer neuen Ostpolitik durch die Redner Willy Brandt und Egon Bahr
> „Wandel durch Annäherung“
- Anlehnung an Kennedys „strategy for peace“
- wirtschaftliche Förderung der Ostblockstaaten und somit Hebung des dortigen Lebensstandards ?
- Anerkennung des Status quo und der Koexistenz zweier politischer Systeme
- Lösung der deutschen Frage könne es nur mit der Sowjetunion geben o Wiedervereinigung nicht ein einmaliger Akt, sondern ein geschichtlicher Prozess mit vielen Schritten und Stationen
1.2 Entwicklung in der FDP
- schon früh Kontakt mit der gleichgeschalteten liberalen Partei in der DDR
- zur Zeit der großen Koalition entscheidende Weichenstellungen für die die Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition > Schollwerthpapier (1966)
- Aufgabe des Alleinvertretungsanspruchs o Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze > Entwurf eines Generalvertrages zwischen der BRD und der DDR (1969) o staatliche Anerkennung der DDR
- aber Festhalten am Ziel der Widervereinigung
2. Die sozialliberale Koalition
2.1 Regierungswechsel in Bonn 1969
- knappe Mehrheit für die Koalition von SPD und FDP
- Willy Brandt (SPD) wird Bundeskanzler und Walter Scheel (FDP) wird Außenminister und Vizekanzler
- Regierungserklärung 28.10.1969
- der Deutschlandpolitik wird großer Raum zugedacht
- Annerkennung des territorialen Status quo in Europa und der DDR („zwei Staaten im geteilten Deutschland“)
- reformatorische Aufbruchstimmung in der neuen Regierung, zügig kommt es zu Kontakten und offizielle Verhandlungen mit der UdSSR, Polen und der DDR
2.2 Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrag (28.11.1969)
- Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen
- Wurde am 01.07.1968 von der UdSSR, den USA, Großbritannien u.a. unterschrieben
2.3 Moskauer Vertrag
- Angebot der BRD zu Verhandlungen am 15.11.1969
- Beginn der Verhandlungen 30.01.1970
- Unterzeichnung des Vertrages 12.08.1970
- Inhalt des Vertrages:
- Gewaltverzicht
- Entschlossenheit beider zu Frieden und Sicherheit in Europa beizutra- gen
- Grenzen aller Staaten in Europa sind unverletzlich, einschließlich der Oder-Neiße-Grenze und der innerdeutschen Grenze
- Absichtserklärungen:
- der Vertrag ist Bestandteil eines einheitlichen Gebildes mit noch auszu- handelnden Verträgen mit Polen und der DDR
- ein künftiger Vertrag hat die gleiche Gültigkeit wie Verträge mit Dritt- staaten
- UdSSR will Beitritt beider deutscher Staaten in die UNO unterstützen o aktive Arbeit an einer Europäischen Konferenz über Fragen der o Sicherheit und Zusammenarbeit
- zusätzlich wurde zur gleichen Zeit ein „Brief zur deutschen Einheit“ im sowjetischen Außenministerium abgegeben
2.4 Warschauer Vertrag
- Angebot der BRD zu Verhandlungen am 25.11.1969
- Beginn der Verhandlungen 04.02.1970
- Unterzeichnung des Vertrages 07.12.1970
- Inhalt des Vertrages:
- Bekräftigung der Oder-Neiße-Grenze
- die Unverletzlichkeit der Oder-Neiße-Grenze o Verzicht auf jeglichen Gebietsanspruch o Gewaltverzichtserklärung
2.5 Ratifizierungsdebatte
- Widerstand bei der Ratifizierung im Bundestag bekam die Bundesregierung von der Opposition
- Zudem verließen Mitglieder der SPD und der FDP ihre Fraktion, so dass die Mehrheit der Regierung schmolz
- Am 28.04.1972 kam es zum Konstruktiven Misstrauensantrag der Opposition, dieser scheiterte aber
- Am 17.05.1972 stimmte der Bundestag den Ostverträgen zu, und die pposition enthielt sich
3. Transitabkommen und Verkehrsvertrag
- Transitabkommen vom 17. Dezember 1971: Regelung des Transitverkehrs von zivilen Personen und Gütern zwischen BRD und West-Berlin
- Verkehrsvertrag vom 26. Mai 1972
- Erster völkerrechtlich bindender Staatsvertrag zwischen BRD und DDR o Regelung aller praktisch-technischen Fragen des Verkehrs fi Bedeutung der Verträge vor allem als Vorläufer des Grundvertrags
4. Grundvertrag mit der DDR
- Unterzeichung des Grundvertrages mit der DDR am 21.Dezember 1972
- Umstrittenster aller Ostverträge, da herkömmlichem Deutschlandverständnis widersprechend, bei Ratifizierung Enthaltung der CDU/CSU- Fraktion
- Tritt am 21. 6. 1973 in Kraft
- Grundsätze:
- Gewaltverzicht
- Anerkennung der Unverletzlichkeit der Grenzen
- Respektierung der Selbstständigkeit beider Staaten in äußeren und in- neren Angelegenheiten
- Kernpunkt: Regelung der Beziehung zwischen BRD und DDR
- Eigentlich wird Teilung in zwei Staaten von BRD nicht anerkannt
- Durch einen diplomatischen Akt Herbeiführung eines Rechtszustandes, der bei objektiver Betrachtungsweise einer Anerkennung gleichkommt o Mittelding zwischen von BRD vertretener Ein-Staat und von DDR ver tretener Zwei-Staaten-Theorie fi Modifizierte Zwei-Staaten-Theorie: "Zwei Staaten in Deutschland , die nicht Ausland füreina nder sind."
- Artikel 8: Errichtung „Ständiger Vertretungen“: keine vollständige völkerrechtli che Anerkennung der DDR
- Ausgeklammert: Vermögensfragen; Staatsangehörigkeitsfrage
- Vorläufiger Vertrag bis zur Verabschiedung eines Friedensvertrags
- Folgezeit: Briefwechsel zwischen Willy Brandt und Egon Bahr über weitere Themen mit verbindlichen Regelungen
- 18. September 1973: Beitritt von BRD und DDR zur den Vereinten Nationen
5. Der Prager Vertrag
- Verabschiedet am 11. Dezember 1973, in Kraft ab Januar 1975
- Ziele:
- Anknüpfen an Warschauer und Moskauer Verträge
- Schaffung dauerhafter Grundlagen für die Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen
- Bestimmungen
- „Münchner Vertrag“ vom 18. September 1938 wird für nichtig erklärt, allerdings ohne Rechtsgrundlage für materielle Ansprüche der CSSR o Bekräftigung der Unverletzlichkeit der Grenzen
- Weitere Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen und nachbar- schaftliche Zusammenarbeit
6. Regierung Schmidt
- Wirtschaftliche und innenpolitische Schwierigkeiten der Regierung und „Guil laume-Affäre“
- Mai 1974: Rücktritt Brandts, neuer Kanzler Helmut Schmidt, Außenminister
Hans-Dietrich Genscher
- Fortsetzung der Entspannungspolitik, aber Priorität innenpolitischer Proble men (z.B. Terrorismus)
- Verträge:
- Okt. 1975 mit Polen: Zahlungen von Rentenversicherung im Tausch gegen Rückwanderungsmöglichkeit für 125.000 Deutschstämmige o Dez. 1975 Verhandlungen mit DDR über Autobahnausbau
- Abschluss der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
- Dauer: Juli 1973- August 1975
- Teilnehmer: alle europäischen Staaten + USA und Kanada
- Schlusserklärung mit Absichtserklärungen wie z.B. Unverletzlichkeit der Grenzen; Menschenrechte; Beschluss vertrauensbildender Maßna h- men
- Bedeutung: erste gesamteuropäische Konferenz, zeigt Fortschritte der Entspannung, aber kein rechtlich bindender Vertrag
- Ab Ende 1979 Allgemeine Verschlechterungen der Ost-West- Beziehungen, aber Intensivierung der innerdeutschen Beziehungen
- Verstärkung der Differenzen zwischen SPD und FDP vor allem bei Haushalts fragen fi Ende der sozial-liberalen Koalition, Helmut Kohl wird Kanzler
7. Bewertung
- Innenpolitische Widerstände gegen jeden Vertrag der sozial- liberale Koalition da auf den 1. Blick Bestätigung Teilung Deutschlands
- Aber: Keine verbindliche Anerkennung der Grenzen, keine völkerrechtliche Anerkennung der DDR; alle Verträge vorbehaltlich Friedensvertrags
- Indirektes Vorgehen auf dem Weg zur Wiedervereinigung
- Ostpolitik von Kohl fortgesetzt, Wiedervereinigung wäre ohne Vorarbeit der sozial-liberalen Koalition nicht möglich gewesen
Literaturverzeichnis
1. Blumenwitz, Dieter/Zieger, Gottfried (Hrsg.): Die deutsche Frage im Spiegel der Partein, Köln 1989.
2. Blumenwitz, Dieter: Denk ich an Deutschland. Antworten auf die deutsche
Frage. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. München 1989.
3. Blumenwitz, Dieter: Denk ich an Deutschland. Antworten auf die deutsche
Frage. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. Dokumente n- band. München 1989.
4. Buchheim, Hans: Deutschlandpolitik 1943 -1972. Der politisch-diplomatische Prozeß, Stuttgart 1984.
5. dtv-Atlas: Weltgeschichte. Band 2: Von der französischen Revolution bis zur Gegenwart. München 1991.
6. Ehmke, Horst/Koppe, Karlheinz/Wehner, Herbert (Hrsg.): Zwanzig Jahre Ost- politik. Bilanz und Perspektiven, S.17-31, Bonn 1986.
7. Jahn, Egbert/Rittberger, Volker (Hrsg.): Die Ostpolitik der BRD. Triebkräfte, Widerstände, Konsequenzen, Opladen 1974.
8. Müller, Helmut M.: Schlaglichter der deutschen Geschichte. Sonderauflage für die Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. Mannheim 1996.
9. Noack, Paul: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Zweite und überarbeitete Auflage, Stuttgart 1972.
10. Reichert, Winfried: Die Deutsche Frage, Würzburg 1974.
11. Schönefelder, Heinrich: Deutsche Gesetze. Textsammlung. München 1983.
12. Schramm, Thomas: Das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur DDR nach dem Grundvertrag. Berlin 1972.
13. Uschner, Manfred: Die Ostpolitik der SPD. Sieg und Niederlage einer Strate- gie, Berlin 1991.
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- Cornelia Oed (Autor:in), 2001, Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Koalition, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102979
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Kommentare
deutschlandpolitik der sozial-lieberalen koalition.
einfach nur danke! meine rettung in letzter "sekunde", da ich mal wieder den termin für das referat verpennt habe!!
synet
sehr informativ.
Die stärken und schwierigkeiten der ostverträge werden sehr gut aufgezeichnet.