Lessing, G. E. - Nathan der Weise (II/5) - Erschließung eines poetischen Textes


Referat / Aufsatz (Schule), 2001

6 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Solange es Menschen gibt, haben sie eine mehr oder weniger deutliche Ahnung und Vorstellung von Gott gehabt.

Hunderte von Götternamen, Kulten, Tempeln, Tausende von Antworten und Vorstellungen - so bietet sich uns die Religion dar. Schon auf den ersten Blick wird dadurch deutlich, dass sich die vielen Religionen in ihren Aussagen widersprechen.

Religionsfreiheit gehört zu den Grundrechten eines jeden Menschen, trotzdem ist der Glaube einer der häufigsten Ursachen für Konflikte, damals, wie auch noch in der heutigen Zeit, denn es stellt sich die Frage:

„Welche Religion ist die richtige?“

Dieses schwerwiegende Problem behandelt Gotthold Ephraim Lessing in seinem im Jahre 1779 veröffentlichten Drama „Nathan der Weise“.

Im fünften Auftritt des zweiten Aufzugs wartet zunächst Nathan auf den Tempelherrn, um diesem für die Rettung seiner Tochter Recha aus dem Feuer zu danken. Ihm ist der Tempelherr vom ersten Blick an sympathisch. Der Templer jedoch ist sehr abgeneigt gegen Nathan, denn Nathan ist ein Jude, er selbst ein Christ und von Juden hält er grundsätzlich nichts.

Nathan möchte ihm danken, doch der Templer möchte es zuerst nicht annehmen. Der Weise lässt nicht ab und versucht den Templer umzustimmen, indem er ihm erklärt, dass doch das Mensch sein zählt und nicht, ob man Jude oder Christ sei, dies gelingt ihm schließlich auch und der Templer willigt sogar in eine Freundschaft ein.

Am Anfang des Auftritts geht Nathan mit sehr vorsichtiger Erwartung an den Tempelherren heran, obwohl der Kreuzritter einen äußerst positiven Eindruck auf ihn macht, denn er erwähnt ausdrücklich seinen „guten, trotz’gen Blick! Den prallen Gang! ...“

Er nähert sich beinahe unterwürfig dem viel jüngeren Tempelherren, obwohl er doch für seine Weisheit und Würde angesehen ist, [„Verzeihet, edler Franke...“]. Der Tempelherr ist völlig gegen ein Gespräch mit Nathan, was an den knappen Antworten seinerseits sehr deutlich wird [...“Doch nur kurz.“]. Und sofort kommt der Grund des Kreuzritters Ablehnung gegen Nathan zum Vorschein, denn gleich am Anfang benennt er ihn mit vorwurfsvollem Ton als Juden [„Was, Jude? Was?“]. Nathan lässt sich jedoch nicht abschrecken. Trotzdem weiß er nicht recht, wie er ihm seine Dankbarkeit erweisen soll, denn der spröde Franke scheint unzugänglich. Nathans Bitten, seinen Dank anzunehmen, begegnet der Tempelherr mit einer Art bescheidenem Stolz und relativiert die Rettung Rechas: „Es ist des Tempelherren Pflicht, dem ersten, Dem besten beizuspringen, dessen Not sie sehn.“ Ein weiteres Mal beleidigt er Nathan indirekt, da er das Leben eines Juden als minderwertig bezeichnet [... „Gern, sehr gern ergriff ich die Gelegenheit, es für ein andres Leben in die Schanze zu schlagen: für ein andres - wenn’s auch nur das Leben einer Jüdin wäre .“]. Nathan insestiert darauf, dass seine Tat Bewunderung und Dank verdiene, und er macht dies an der Aussage des Tempelherrn selbst fest: Er wolle sich nur bescheiden hinter das Abscheuliche flüchten, um der Bewunderung auszuweichen.

Als Nathan dem Kreuzritter sogar Geld anbietet [„Ich bin ein reicher Mann.“] spricht er schlagfertig Nathan gegenüber sein Vorurteil aus: „Der reichre Jude war mir nie der bessre Jude.“

Nathans Versuche schlagen zunächst fehl, aber >ein Nathan vermag alles ins Gespräch zu ziehen und sprechend zu machen< (Schröder, Lessing,S.254). Als nun der dankbare Weise aus Rührung den verbrannten Fleck auf dem Mantel des Retters küssen will, verwirrt er damit den jungen Tempelherr [„ - Bald aber fängt mich dieser Jud an zu verwirren.“], der nun aus seiner Rolle fällt und nicht mehr gemäß seiner angelernten Regel agiert: sondern als Mensch spricht und handelt: „Aber, Jude - Ihr heißet Nathan? - Aber, Nathan - Ihr setzt Eure Worte sehr - sehr gut - sehr spitz - Ich bin betreten...“.

Nathan geht noch weiter und unterstellt dem Tempelherrn Bescheidenheit und Ritterlichkeit, das Mädchen, das hilflos war, nicht auszunützen und da der Jude dieses Handeln als gut und dankenswert anerkennt, kann solches Handeln nicht auf eine Religion oder einen Orden beschränkt sein.

Der Rollen-Dialog bricht nun auf, indem Nathan als Aufklärer im mitmenschlichem Gespräch versucht den Templer auf seine Seite zu ziehen. Nathan beginnt ihn zu belehren „dass alle Länder gute Menschen tragen“ und im Grunde genommen sich nicht unterscheiden.

Der christliche Tempelherr aber erinnert Nathan daran, dass es die Juden waren, die ihren Glauben selbstgefällig für ausschließlich wahr hielten und durch das Dogma ihrer Erwählung das Vorurteil vom niederen Wert aller anderen Völker in die Welt brachten [„Sehr wohl gesagt! - Doch kennt Ihr auch das Volk, Das diese Menschenmäkelei zuerst Getrieben? Wisst Ihr, Nathan, welches Volk Zuerst das auserwählte Volk sich nannte?“].

Als er seine Frage hingegen ausfaltet und anmerkt, dass Christen und Muselmanen die jüdische Einstellung übernommen haben [...„Seines Stolzes, den es auf Christ und Muselmann vererbte.“...], erschrickt er vor seiner Selbst- erkenntnis [„...- Vergesst, was ich gesagt; und lasst mich! (Will gehen.)“], da dies ja nun auch eine Kritik an seiner christlichen Glaubensgemeinschaft darstellt.

Als der Tempelherr vor seiner Selbsterkenntnis fliehen will, verhindert Nathan dies, indem er den Tempelherrn nun zum Einlenken zwingt, denn schon längst ist klar, dass es nicht mehr allein um den Dank für den Rettungsakt geht, sondern das Nathans Interesse an dem jungen Tempelherren ganz allgemein geweckt ist. Doch angesprochen ist überhaupt der Christ, denn durch Nathan hindurch spricht von der Bühne als >Kanzel< sein Autor Lessing:

„Verachtet mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide uns unser Volk nicht auserlesen. Sind wir unser Volk? Was heißt den Volk?“

Und nun stellt Nathan die entscheidende Frage:

„Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, als Mensch? Ah! Wenn ich einen mehr in Euch gefunden hätte, dem es genügt, ein Mensch zu heißen!“ Der Tempelherr ist geschlagen und bietet ihm nun auch seinerseits die Freundschaft an. Nathan hat mit diesen Worten seine Rolle als Jude vollendet gut gespielt: er hat sie behauptet und zugleich überschritten. Die Rolle wird damit nicht nur transparent zum Menschen, zur Menschlichkeit, sondern sie wird gleichsam zum Medium der Humanität.

Nathan scheint das Spiel gewonnen zu haben, denn als Daja mit einer Botschaft Saladins aus dem Hause stürzt, ist es nun der Tempelherr, der ängstlich fragt: „Unsrer Recha ist doch nichts begegnet?“ Doch warum sagt er: „unserer“ Recha? Es erweckt den Eindruck als ob der Kreuzritter nun ein Verbundenheitsgefühl zu Nathan und seiner Familie entwickelt und wirklich ein Freund geworden ist.

So scheint Nathans Prognose, dass der Tempelherr einen „guten Kern“ unter einer „bitteren Schale“ habe, zutreffend gewesen zu sein.

Es fällt auf, dass Nathan der Weise vom Anfang des fünften Auftritts bis zum Ende der Unterhaltung mit dem Templer diesem immer freundlich entgegen tritt. Beide sprechen auf hohem Niveau und doch kann man jedes Wort beim Wort nehmen. Die Sprache wird soweit wie möglich rational durchleuchtet. Das Stück ist im Blankvers, in fünfhebigen, jambischen Zeilen verfasst. Durch klare, nüchterne und kurze Sätze erreichte Lessing einen lebendigen Stil.

Häufige Enjambements sind charakteristisch, Satz - und Versrhythmen sind auffällig versetzt; häufig sind die Verse durch Pausen unterbrochen oder auf mehrere Personen verteilt.

Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Dies ist der Wahlspruch der Aufklärung (Immanuel Kant).

Der Begriff der Aufklärung meint eine Epoche in der Geschichte, in der das „Vernunftdenken“ des Menschen im Gegensatz zu altem, überliefertem Wissen eine immer größere Rolle spielte. Den Menschen sollte bewusst gemacht werden, sich eine eigene Ansicht vom Leben und von Behauptungen durch vorgesetzte Personen zu machen. Die Vorgaben von Staat und Kirche waren in der Aufklärung nicht mehr maßgeblich, da die Menschen begannen, selbstständig zu denken.

Somit ist der Tempelherr auf dem Weg zum aufgeklärten Menschen, denn er entwickelt sich weiter.

Anfangs hat er seine Vorurteile gegen andere Religionen, speziell gegen das Judentum, doch legt er seine antisemitische Befangenheit nach und nach ab, nachdem ihn Nathan aufklärt und dieser denkt einen mehr gefunden zu haben, >dem es genügt, ein Mensch zu heißen<.

Aber der weise Nathan täuscht sich, denn er rechnet nicht mit der nachwirkenden Macht des Vorurteils, wenn Leidenschaft die Vernunft blendet. Als der Tempelherr mit seiner Liebe und seinen Wünschen bei Nathan kein Gehör zu finden meint, bemerkt er zynisch über den Juden:

„Der Aberglaub’, in dem wir aufgewachsen, verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum doch seine Macht nicht über uns. - Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.“ (IV4 S.90)

Später sieht er sein falsches intolerantes Denken wieder ein und bereut sein Gespräch mit dem Patriarchen. (V5 S.111)

Was damals ein Leitbegriff der Aufklärung war, ist heute ein für jeden Bürger geltendes Grundrecht.

„Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden “ Durch diesen Status sichert Toleranz den Frieden.

Nathan zeigt im Drama bewusst Toleranz, indem er nicht nur seine Mitmenschen als Teil der Gesellschaft sieht, sondern sich mit den Meinungen und den Religionen anderer auseinandersetzt. Doch leider halten sich nicht alle an das Gesetz und handeln oder denken wie Nathan der Weise.

Lessing zeigte in seinem Drama, dass das Problem der Toleranz immanent ist.

Die Botschaft lebt fort und bleibt bestehen, solange es Neid, Missgunst und Starrsinn auf dieser Welt gibt.

„Jeder glaubt, die Wahrheit zu haben, und jeder hat sie anders.“ (Gotthold Ephraim Lessing)

Quellen:

Gotthold Ephraim Lessing Nathan der Weise Oldenbourg Interpretationen Nathan der Weise

Diesterweg Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas N.d.Weise

C. C. Buchner Geschichte der deutschen Literatur S.66

Lahn-Verlag Limburg F.Krenzer: Morgen wird man wieder glauben www.hausarbeiten.de Stichwort: Nathan der Weise www.hausaufgaben.de Stichwort: Nathan der Weise

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Lessing, G. E. - Nathan der Weise (II/5) - Erschließung eines poetischen Textes
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
6
Katalognummer
V102776
ISBN (eBook)
9783640011568
Dateigröße
367 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
War`ne Arbeit diesen Hausaufsatz zu schreiben,-) Viel Spaß denen die es noch vor sich haben!
Schlagworte
Lessing, Nathan, Weise, Erschließung, Textes
Arbeit zitieren
Marlene Deubler (Autor:in), 2001, Lessing, G. E. - Nathan der Weise (II/5) - Erschließung eines poetischen Textes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102776

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