Soziale Ungleichheit im und durch das deutsche Schul- und Bildungssystem - Perspektiven und Konzepte zum Abbau der herkunftsspezifischen Chancenungleichheit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

21 Seiten, Note: 2,75


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung

2. Soziale Ungleichheit im Bildungssystem
2.1. Die Bedeutung formaler Bildungsabschlüsse
2.2. Chancengleichheit im Bildungssystem
2.3. Soziale Ungleichheit trotz Bildungsexpansion
2.4. Soziale Ungleichheit durch Habitus und Lebensstil

3. Perspektiven eines sozial integrierenden Schul- und Bildungssystems
3.1. Ökonomische Benachteiligung
3.2. Benachteiligung durch das dreigliedrige Bildungssystem
3.3. Soziokulturell bedingte Benachteiligungen

4. Die Gesamtschule – Versuch einer Chancenungleichheit abbauenden Schulkonzeption
4.1. Die Gesamtschule und Chancengleichheit
4.2. Probleme der Gesamtschule

5. Abschließende Stellungnahme

1. Einleitung

Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit sind in modernen, demokratischen Gesellschaften wie der Bundesrepublik Deutschland allgemein akzeptierte Werte. Eine realistische Betrachtung der tatsächlichen Gegebenheiten zeigt aber recht deutlich, dass das deutsche Bildungssystem, als Verteilungsinstanz formaler Bildungsabschlüsse, noch weit von seinem Anspruch auf Chancengleichheit entfernt ist. Da aber Erfolg im Bildungssystem und das Erlangen formaler Bildungsabschlüsse direkte Auswirkungen auf den sozialen Status der Individuen haben, bedeutet eine ungleiche Verteilung von Bildungschancen eine Reproduktion sozialer Ungleichheit.

Es scheint jedoch, dass die Schule nicht nur indirekt mit dem Problem der sozialen Benachteiligung einiger Schülergruppen konfrontiert wird, sondern durch ihre generelle Konzeption und durch im Unterricht tagtäglich auftretende kulturell bedingte Missverständnisse und Benachteiligungen seitens des Lehrpersonals, aktiv an der Reproduktion sozialer Ungleichheit beteiligt ist und damit die Chancenungleichheit verschiedener sozialer Gruppierungen produziert.

Ich werde mich im Folgenden mit dem Begriff der Chancengleichheit und der damit verbundenen Problematik auseinandersetzen und die Strukturen der sozialen Ungleichheit im deutschen Bildungssystem darstellen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse werde ich Perspektiven eines sozial gerechten Bildungssystems, also eines Bildungssystems, das die Problematik der sozialen Ungleichheit im Bildungssystem als solche erkennt und aktiv bemüht ist sie zu bekämpfen, diskutieren. Einen hervorgehobenen Stellenwert nimmt dabei die Konzeption der Gesamtschule ein, die von vielen Interessengruppen zwar häufig kritisiert wird, aber gerade im Kontext der PISA-Studie wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt ist, da der europäische Spitzenreiter Finnland mit seinem staatlichen Gesamtschulsystem sehr gute Ergebnisse, vor allem auch unter dem Gesichtspunkt des Abbaus herkunftsspezifischer Chancenungleichheit, erzielt hat.

2. Soziale Ungleichheit im deutschen Bildungssystem

Mitte der 60er Jahre wurde das deutsche Bildungssystem reformiert in der Hoffnung, mehr soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu erzeugen. Die Hochschulen wurden ausgebaut, der Zugang zum sekundären Bildungssystem vereinfacht und das dreigliedrige Schulsystem, mit Haupt-, Realschule und Gymnasium eingeführt. Diese Veränderungen, bekannt als Bildungsreform hatten weitreichende Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben. Dennoch musste die aktuelle Sozialstrukturanalyse inzwischen feststellen, dass die, durch die Bildungsreform ausgelöste Bildungsexpansion nicht, wie erwartet, zu mehr Chancengleichheit und einer Öffnung des Bildungssystems für sozial unterprivilegierten Schichten geführt hat. Überdies hinaus hat sie sogar gegenteilige Effekte produziert.

2.1. Die Bedeutung formaler Bildungsabschlüsse

In modernen Gesellschaften, mit immer komplexer werdenden technischen, gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen gewinnen Bildung und formale Bildungsabschlüsse immer mehr an Bedeutung. Bereits in den 50er Jahren stellte der Soziologe Shelsky fest, die Schule sei zur „ersten und damit entscheidenden, zentralen sozialen Dirigierungsstelle für die zukünftige soziale Sicherheit, für den zukünftigen sozialen Rang und für das Ausmaß zukünftiger Konsummöglichkeiten“ (Shelsky 1957, S. 17) geworden.

Seit der sogenannten Bildungsexpansion der 60er Jahre ist in Deutschland ein Effekt zu beobachten, der häufig als „Aufwertungseffekt“ (Geißler, 1995, S. 258) formaler Bildungsabschlüsse bezeichnet wird. Mittlere und höhere Bildungsabschlüsse werden „immer wichtiger für den Einstieg in viele Berufslaufbahnen (...). Wo früher niedrige Schulabschlüsse genügten, werden heute mittlere oder höhere gefordert“ (ebd.).

Aber gleichzeitig mit dieser Aufwertung formaler Bildungsabschlüsse ist auch der gegenteilige Effekt, eine „Entwertung“ (ebd.) derselben zu beobachten. Entwertung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass „mit einem Bildungszertifikat des selben Niveaus (...) nur noch Berufspositionen mit durchschnittlich weniger Statuschancen (Einkommen, Einfluß, Arbeitsqualität, Prestige u. ä.) erworben werden“ (ebd.) können. Rainer Geißler spricht in diesem Zusammenhang von einem „Paradox der Bildungsexpansion“ (ebd.), durch die einerseits formale Bildungsabschlüsse zu einer notwendigen Voraussetzung, aber immer weniger zu einer Garantie für das Erlangen höherer Einkommen wurden. Rainer Geißler kommt daher zu dem Schluss, dass „die Frage nach der sozialen Auslese durch das Bildungssystem weiterhin von erheblicher gesellschaftspolitischer Bedeutung“ (ebd.) ist.

Auch die Soziologen Müller und Shavit stellten in ihrer vergleichenden Studie „Bildung und Beruf im institutionellen Kontext“ in 13 Ländern fest, dass weiterhin nur „Bildungsqualifikationen das Erlangen von Berufen mit hohem Status und Prestigewert“ (Müller / Shavit, 1998, S.27) ermöglichen und Gleichzeitig „das Risiko der Arbeitslosigkeit“ (ebd., S.28) verringern. Höhere Bildungsabschlüsse garantieren also inzwischen zwar nicht mehr automatisch das Erlangen höherer Einkommen und bedeuten keine absolute Sicherheit vor Arbeitslosigkeit, jedoch verringern sie die Wahrscheinlichkeit von Arbeitslosigkeit betroffen zu werden und erhöhen gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit höhere Einkommen zu erlangen signifikant.

2.2. Chancengleichheit im Bildungssystem

In modernen Gesellschaften bildet der Wert der Chancengleichheit einen grundlegenden Bestandteil der demokratischen Ordnung. Jedoch gibt es verschiedene Vorstellungen darüber, was genau unter Chancengleichheit im Bildungssystem zu verstehen und wie dieser Anspruch zu verwirklichen ist. Die Tatsache, dass, wie oben aufgeführt, vor Allem formale Bildungsabschlüsse die soziale Stellung der Individuen bestimmen, bedeutet keinen Ausdruck von Chancengleichheit, da sich möglicherweise „lediglich bestehende gesellschaftliche Voraussetzungen (aufgrund der Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der Hautfarbe, der politischen Einstellung, persönlicher Bekanntschaft oder der Familienzugehörigkeit) in höheren oder niedrigeren Bildungsabschlüssen“ (Hradil, 1999, S. 148) niederschlagen.

Im Allgemeinen spricht man von Chancengleichheit im Bildungssystem, wenn die individuelle Leistung des Individuums ausschlaggebendes Kriterium für den Bildungserfolg ist. Aber auch dieser Ansatz wird von verschiedenen Interessengruppen unterschiedlich interpretiert. In einer konservativen Vorstellung wird Chancengleichheit bereits dadurch erreicht, dass innerhalb der Bildungseinrichtungen ausschließlich die von den Individuen erbrachte und von dem Lehrpersonal bewertete Leistung als Kriterium für den Bildungserfolg herangezogen wird. Chancengleichheit soll dadurch erzeugt werden, dass das Bildungssystem „blind“ für die soziale Herkunft der in ihm befindlichen Individuen ist. Alle werden gleich behandelt, unabhängig ihrer sozialen Herkunft.

[...]

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Details

Titel
Soziale Ungleichheit im und durch das deutsche Schul- und Bildungssystem - Perspektiven und Konzepte zum Abbau der herkunftsspezifischen Chancenungleichheit
Hochschule
Universität Münster  (Fachbereich 06. Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaft)
Veranstaltung
Schule und demokratische Gesellschaft
Note
2,75
Autor
Jahr
2002
Seiten
21
Katalognummer
V10265
ISBN (eBook)
9783638167420
Dateigröße
559 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale, Ungleichheit, Schul-, Bildungssystem, Perspektiven, Konzepte, Abbau, Chancenungleichheit, Schule, Gesellschaft
Arbeit zitieren
Johannes Reimann (Autor:in), 2002, Soziale Ungleichheit im und durch das deutsche Schul- und Bildungssystem - Perspektiven und Konzepte zum Abbau der herkunftsspezifischen Chancenungleichheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10265

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